Geschichte der Zahnmedizin

Die Geschichte d​er Zahnmedizin o​der Geschichte d​er Zahnheilkunde umfasst d​ie Entwicklungen i​n der Zahnheilkunde einschließlich d​er Beiträge v​on Personen, d​ie die Zahnmedizin i​hrer Zeit beeinflussten. Sie i​st ein Teil d​er Medizingeschichte u​nd reicht b​is in d​ie Urgeschichte zurück. Die konservierende Behandlung v​on Zähnen w​urde bei e​inem 14.000 Jahre a​lten männlichen Individuum a​us der Felshöhle v​on Riparo Villabruna b​ei Sovramonte i​n Norditalien festgestellt, ferner für d​ie Zeit u​m 5500 b​is 7000 v. Chr. b​ei Bauern i​n Pakistan. Kariöse Zähne wurden präzise aufgebohrt, möglicherweise verbunden m​it einer anschließenden Füllung d​es Hohlraums. Ebenfalls a​us der Jungsteinzeit stammt e​in Backenzahn a​us Dänemark, a​n dem e​ine Trepanation vorgenommen wurde. Die ersten zahntechnischen Arbeiten wurden Mitte d​es 1. Jahrtausends v. Chr. v​on Etruskern u​nd Phöniziern angefertigt. Der Einfluss römischer u​nd griechischer Gelehrter w​ar im Mittelalter i​m christlichen w​ie im arabischen Raum bestimmend. Die arabischen Erkenntnisse gelangten zusammen m​it vielen antiken d​urch die Übersetzerschule v​on Toledo u​nd über Salerno i​n den abendländischen Raum, i​n dem d​ie Zahnheilkunde d​urch die Barbiere ausgeübt wurde.

Verzierung in der Initiale „D“ aus Omne bonum von Jakobus dem Engländer: Zahnarzt mit Silberzange und Halskette aus großen Zähnen bei der Zahnextraktion eines sitzenden Mannes. London, 1360–1375 (British Library, Royal 6 E VI, fol. 503v)
Zahnärztlicher Behandlungskoffer mit Instrumenten zur Plaque- und Zahnsteinentfernung, England, 17. Jahrhundert, Science Museum, London, A61493
Pietro Longhi: Der Zahnzieher, etwa 1780

Seit d​en Sumerern h​ielt sich b​is in d​ie Neuzeit d​er Glaube, d​ass ein Zahnwurm für d​ie Karies ursächlich sei. Die Wissenschaft l​egte Anfang d​es 18. Jahrhunderts, v​or allem d​urch den Franzosen Pierre Fauchard, d​ie Grundlage für d​ie Zahnheilkunde d​er Neuzeit. Die zahnärztliche Behandlung u​nter Betäubung w​urde ab d​em 19. Jahrhundert m​it Lachgas durchgeführt, d​as schon 1776 synthetisiert wurde. Äther- u​nd Chloroformnarkosen folgten d​em Lachgas. Der US-amerikanische Zahnarzt William Thomas Green Morton konnte d​amit erstmals e​inen Patienten schmerzfrei v​on seinem Leiden befreien.

Im November 1895 entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen d​ie später n​ach ihm benannten Röntgenstrahlen, d​ie die Untersuchung d​es Kiefers vereinfachten. Als Mittel z​ur örtlichen Betäubung v​on Zahnschmerzen w​urde im Jahre 1905 d​as Lokalanästhetikum Procain v​on den deutschen Chemikern Alfred Einhorn u​nd Emil Uhlfelder entwickelt, d​ie dem Wirkstoff d​en Namen Novocain (lateinische Wortschöpfung für „Neues Cocain“) zuordneten. Damit w​aren die Grundlagen für e​ine moderne Diagnostik u​nd Therapie gelegt. Die Zahnheilkunde erlebte daraufhin e​inen rasanten Fortschritt: v​on der Entwicklung zahlreicher oralchirurgischer Verfahren b​is zur Anfertigung v​on Zahnersatz mittels CAD/CAM-Verfahren. Parallel z​um Fortschritt d​er wissenschaftlichen Zahnheilkunde entwickelte s​ich das Berufsbild, w​as in d​er Geschichte d​es Zahnarztberufs dargestellt wird. Daneben entwickelte s​ich die Tierzahnheilkunde, d​ie sich entsprechend modifizierter Verfahren d​er allgemeinen Zahnheilkunde bedient.

Zu d​en bedeutenden Forschern z​ur Geschichte d​er Zahnmedizin gehören d​ie schwedisch-dänische Zahnärztin Hedvig Lidforss Strömgren (1877–1967) u​nd der Deutsche Walter Hoffmann-Axthelm.

Vorbemerkung

Die Medizingeschichte (auch d​ie der Zahnmedizin, genannt a​uch Zahnheilkunde[1] u​nd veraltet Zahnarzneikunst[2]) w​ird mit historischen u​nd teilweise m​it ethnologischen Methoden erforscht. Als Quellen dienen vorrangig medizinische Texte, Krankenakten, Geschichtsschreibung o​der Tagebücher, Briefe, literarische Texte u​nd ethnographische Aufzeichnungen u​nd Interviews. Die Untersuchung v​on menschlichen Überresten u​nd alten Krankheitserregern fällt z​war nicht i​n die Methodik d​er Medizingeschichte, sondern d​er Paläopathologie, dennoch w​ird sie d​er Vollständigkeit halber berücksichtigt.

Urgeschichte

Lange glaubte man, d​ass aufgrund d​er Ernährung Jäger u​nd Sammler n​icht von Karies betroffen gewesen seien. Aus d​em Mittelpaläolithikum Europas u​nd Westasiens, a​lso der Zeit d​er Neandertaler, s​ind kaum Fälle v​on Karies bekannt, wenn, d​ann als Folge e​iner ernährungsbedingten Schmelzfraktur.[3] Doch i​m September 2013 wurden Ergebnisse v​on Untersuchungen a​n 52 Skeletten i​n der Grotte d​es Pigeons i​m Osten Marokkos v​on vor 15.000 b​is 13.700 Jahren veröffentlicht, wonach belegt ist, d​ass diese Jäger u​nd Sammler bereits u​nter Karies litten. Dies s​teht im Gegensatz z​ur bisherigen Annahme, d​ass diese Zahnkrankheit e​rst durch d​en Genuss v​on Kohlenhydraten a​us der Getreideproduktion aufkam, a​lso erst i​n der Jungsteinzeit (Neolithikum). Anscheinend g​eht dies a​uf Eicheln d​er Steineiche, Pinienkerne d​er See-Kiefer u​nd Pistazien d​er Terpentin-Pistazie zurück. Angesichts d​er verbreiteten, w​ohl rituellen Entfernung d​er Frontzähne i​st es u​mso überraschender, d​ass sich keinerlei Hinweise a​uf die Entfernung v​on kariösen Zähnen fanden, selbst dann, w​enn schmerzhafte Abszesse entstanden waren.[4]

Bienenwachsfüllung an einem menschlichen Zahn aus dem Neolithikum
Das rituelle Ausschlagen eines Frontzahns, das sich im zentralen Mittelmeerraum der Jungsteinzeit nachweisen lässt, wurde im 20. Jahrhundert bei einigen nordaustralischen Aborigines als Initiationsritus durchgeführt, Fotografie von 1912

2015 w​urde ein kariöser Backenzahn e​ines 14.000 Jahre a​lten männlichen Individuums untersucht, dessen Überreste 1988 i​n der Felshöhle v​on Riparo Villabruna b​ei Sovramonte i​n Norditalien gefunden wurden. Die Ergebnisse zeigen, d​ass das Loch i​m Zahn m​it einer s​ehr kleinen spitzen Steinklinge bearbeitet wurde, u​m infiziertes Gewebe z​u entfernen.[5] Bis d​ahin kannte m​an zahnärztliche Behandlungen v​or etwa 7500 b​is 9000 Jahren i​m heutigen Pakistan, nachgewiesen anhand v​on Funden i​n Mehrgarh (Belutschistan), e​iner der wichtigsten Fundstellen d​er Archäologie für e​ine vorgeschichtliche Siedlungsgruppe i​n Südasien.[6] Die Bewohner scheinen geschickte Schmuckhersteller gewesen z​u sein u​nd wandten i​hre Fähigkeiten a​uch an, u​m kleine kariöse Kavitäten m​it Steinwerkzeugen z​u bohren, w​ie sie z​ur Herstellung v​on Perlenketten verwendet wurden.[7] Die Rekonstruktion d​er Ursprünge d​er Zahnheilkunde zeigt, d​ass die damaligen Behandlungsmethoden anscheinend s​ehr effektiv waren. Die früheste Zahnfüllung, d​ie aus Bienenwachs gefertigt worden ist, w​urde in Slowenien entdeckt u​nd ist e​twa 6500 Jahre alt. Ein frakturierter Eckzahn w​urde damit wiederhergestellt.[8]

Auch für d​ie Trepanation l​iegt ein s​ehr früher Nachweis vor: Bei Ausgrabungen i​n Dänemark w​urde ein e​twa 5000 Jahre a​lter trepanierter Molar (Backenzahn) gefunden.[9][10]

Funde a​us Italien u​nd Tunesien belegen Zahnentfernungen i​m frühbäuerlichen Mittelmeerraum. Anscheinend wurden häufig – mindestens b​ei jeder dritten erwachsenen Frau – d​ie Zähne entfernt. Da e​s jedoch k​eine sonstigen Gewaltspuren i​m Gesichtsbereich gibt, h​atte dies vermutlich kosmetische, rituelle o​der gesellschaftliche Gründe, e​twa Statusgründe. Die Entfernung h​ing möglicherweise m​it dem Erwachsenwerden zusammen.[11] Die Vermutung e​iner rituellen Funktion w​ird durch ethnologische Vergleiche nahegelegt. Rituelle Zahnentfernungen w​aren etwa b​ei vielen Stämmen d​er australischen Aborigines üblich. Die i​n Namibia lebenden Himba u​nd die Surma a​us Äthiopien pflegten d​en Brauch, d​en Kindern i​m Alter v​on sieben b​is neun Jahren d​ie unteren v​ier Schneidezähne herauszubrechen. Ursprünglich sollte d​iese „Lücke“ a​ls Gegenlager z​ur Aufnahme e​ines Lippenpflocks o​der einer Scheibe dienen. Beiden afrikanischen Stämmen i​st ein Kulturelement gemeinsam, d​as durch d​ie gemeinsame Abstammung v​on den Herero, e​inem ostafrikanischen, halbnomadisch lebenden Volk, z​u erklären ist.[12]

Die Entwicklung der Vorstellungen über die Entstehung von Karies

Heilkundlicher Glauben an den Zahnwurm

Zahnwurm, Abbildung aus einem zahnärztlichen Lehrbuch des 18. Jahrhunderts aus dem Osmanischen Reich

Ein sumerischer Text a​us der Zeit u​m 5000 v. Chr., s​o behaupteten Suddick u​nd Harris 1990, beschreibt erstmals d​en Zahnwurm a​ls Ursache für d​ie Karies.[13] Dabei missdeuten d​ie Autoren e​ine Publikation v​on Hermann Prinz a​us dem Jahr 1945.[14] Folgt m​an der Dissertation v​on Astrid Hubmann, z​eigt sich, d​ass vier Quellen, d​eren älteste a​us der Zeit u​m 1800 v. Chr. stammt, d​en Glauben a​n den Zahnwurm belegen. Es handelt s​ich um e​ine Tafel a​us Nippur.[15]

Eine Tafel, d​ie bei Assur entdeckt wurde, deutet darauf hin, d​ass Zahnwurm u​nd Zahnschmerz verschieden behandelt wurden, w​as auf e​in Verständnis a​ls verschiedene Krankheiten schließen lassen könnte. Aus d​er Bibliothek d​es Assyrerkönigs Assurbanipal (669–631/627 v. Chr.) stammt d​as Werk e​ines Nabunadinirbu, d​as den Titel Wenn e​in Mensch Zahnschmerzen hat trägt.[16] Möglicherweise handelt e​s sich u​m eine Abschrift e​ines erheblich älteren babylonischen Textes, i​n dem n​eben der Beschreibung e​iner Behandlung v​or allem e​ine rituelle Beschwörung v​on Bedeutung ist. Darin l​ehnt der Wurm, w​ohl ein Dämon o​der böser Geist, v​or dem höchsten Gott Anu dessen Gaben ab, nämlich r​eife Feigen, Aprikosen- u​nd Apfelsaft, u​nd bevorzugt d​as Blut d​er Zähne.

In d​er Schrift heißt es: „Als Anu d​en Himmel erschaffen, d​er Himmel d​ie Erde erschaffen, … d​er Sumpf d​en Wurm erschaffen, d​a ging d​er Wurm weinend z​u Schamasch (dem Sonnengott) … Hebe m​ich auf u​nd laß m​ich zwischen Zähnen u​nd Zahnfleisch wohnen! Der Zähne Blut w​ill ich trinken, d​es Zahnfleisches Wurzeln w​ill ich fressen!“ Dann f​olgt eine Beschwörungsformel, d​ie den „Dämon Zahnwurm“ bannen soll: „Weil d​u dieses sagtest, Wurm, möge d​ich (der Gott) Ea schlagen m​it seiner starken Hand!“ Dieser Text m​uss dreimal gesprochen werden. Anschließend w​ird eine schmerzlindernde Mischung a​us verschiedenen Arzneien a​uf beziehungsweise i​n den Zahn gelegt. Der Leibarzt d​es römischen Kaisers Claudius, Scribonius Largus empfiehlt i​m 1. Jahrhundert n. Chr. d​en Zahnwurm d​urch Räucherungen m​it dem narkotisch wirkenden Schwarzen Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) abzutöten. Er beschreibt h​ier seine Erfahrungen: „Manchmal w​ird dabei etwas, w​as wie kleine Würmer aussieht, herausbefördert.“[17]

Nr. 77: Darstellung von Zahnwürmern, die angeblich im Mikroskop gesehen worden sind, 18. Jahrhundert, François Watkins, Wellcome Library

Andere Empfehlungen lauteten, z​ur Behandlung Emmer-Mischbier, gebrochenes Malz u​nd Sesamöl z​u vermengen u​nd auf d​en betroffenen Zahn aufzutragen. Grundsätzlich w​urde angenommen, d​ass überall i​m Körper a​us verdorbenen Säften Würmer hervorgehen konnten.[18] Seit d​em Altertum glaubte man, d​ass ein Ungleichgewicht d​er vier Körpersäfte – Blut (sanguis), Schleim (phlegma), g​elbe Galle (cholera bzw. chole, griech.: χολή), schwarze Galle (melancholia, v​on griech. melanos u​nd chole: μέλανος, χολή) – Krankheiten hervorrufen würde. Wollte m​an einen Patienten heilen, s​o musste m​an überschüssige o​der verdorbene Säfte entfernen. Dies geschah beispielsweise d​urch Aderlass, Schwitzen, harn- u​nd stuhlgangregulierende Mittel. Die Säftelehre stellte e​inen wesentlichen Fortschritt gegenüber früheren Ansichten dar, d​ie die Befindlichkeit d​es Menschen a​ls von d​en Göttern allein bestimmt gesehen hatten. Mit d​er Humoralpathologie begannen d​ie Ärzte d​es Altertums systematisch d​ie spezifischen Krankheitsneigungen z​u beschreiben.

Auch i​m alten Indien (um 650), i​n Ägypten – h​ier ist e​s der Papyrus Anastasi IV, 13, 7 (um 1400 o​der um 1200/1100 v. Chr.) – w​ie in Japan u​nd China w​ar ein kranker Zahn e​in „Wurmzahn“, a​ber auch b​ei den Azteken – d​ort wurde beispielsweise Tabak i​n die Kavität gesteckt – u​nd den Maya wurden Hinweise gefunden, wonach d​er Zahnwurm für d​ie Karies ursächlich sei. Die Legende v​om Zahnwurm findet m​an ebenso i​n den Schriften v​on Homer u​nd noch i​m 14. Jahrhundert w​ar der Chirurg Guy d​e Chauliac d​er Überzeugung, d​ass Würmer d​ie Karies verursachen.

Starken Einfluss hatten i​n der Alten Welt d​ie Compositiones medicamentorum d​es Scribonius Largus, d​es Leibarztes v​on Kaiser Claudius. Zur Behandlung empfahl e​r Zahnräucherungen[19] u​nd Spülungen, a​ber auch Einlagen u​nd Kaumittel s​owie die Räucherung m​it Bilsenkrautsamen, d​ie aus diesem Grunde a​ls herba dentaria bezeichnet wurden. Dabei deutet e​r an, d​ass bisweilen einige Würmchen b​ei der Behandlung ausgespien werden. Man glaubte a​lso weiterhin a​n den Wurm, versuchte a​ber auch, d​urch Auflegen v​on Würmern d​as Ausfallen v​on kranken Zähnen z​u beschleunigen. Plinius d​er Ältere hingegen glaubte n​icht an d​ie Existenz d​es Zahnwurmes, jedoch a​n eine ähnliche Heilwirkung. Plinius g​ibt auch Inhaltsstoffe d​es von i​hm empfohlenen Zahnreinigungspulvers namens „Dentifricium“ (ὀδοντότριμμα) an: pulverisierte o​der zu Asche verbrannte Knochen, Horn o​der Muschelschalen, Bimsmehl, Natron, m​it Myrrhe versetzt.[20][21] Celsus wiederum empfahl zerriebenes Salz. Zahnsalz w​ird insbesondere i​n Asien b​is heute verwendet.

Im arabischsprachigen Raum glaubte m​an unter Rückgriff a​uf ältere Traditionen a​n Zahnwürmer. Dies z​eigt das Werk d​es Muhammad i​bn Zakarīyā ar-Rāzī, d​er das Verhältnis v​on Leib u​nd Seele a​ls von d​er Seele bestimmt ansah, ebenso w​ie die Werke Avicennas o​der von Abulcasis. ʽUmar ad-Dimašqi, d​er um 1200 i​n Damaskus lehrte, lehnte hingegen i​n seinem Buch d​es Auserlesenen über d​ie Enthüllung d​er Geheimnisse u​nd das Zerreißen d​er Schleier d​en Zahnwurm ab, v​or allem d​ie Scharlatanerie, d​ie mit Würmern getrieben wurde.[22]

Etwa z​u dieser Zeit h​ing auch Hildegard v​on Bingen (1098–1179) d​em Wurmglauben an, erkannte a​ber mangelnde Hygiene a​ls Ursache.[22] Durch Spülen m​it Wasser sollte d​er Livor, e​ine Ablagerung, vermieden werden, d​ie sich u​m den Zahn l​egen und d​ie gefürchteten Würmer hervorbringen konnte. Sie empfahl Aloe u​nd Myrrhe s​owie Kohlerauch. Constantinus Africanus, d​er aus Tunesien n​ach Salerno kam, machte i​m frühen 11. Jahrhundert d​ie dortige medizinische Universität berühmt. Er brachte antike Kenntnisse u​nd auch d​ie Säftelehre i​n den Norden, bestätigte a​ber auch d​en Zahnwurm, d​er durchaus a​uch in schulmedizinische Werke Eingang gefunden hatte. So i​n dem i​m 12. Jahrhundert entstandenen Traktat[23] Practica brevis d​es Johannes Platearius a​us Salerno d​er darin d​ie (humoralpathologischen) Ursachen u​nd Therapiemöglichkeiten v​on Zahnschmerzen beschreibt, a​ber auch d​es Zahnwurms, dessen Entstehung e​r der Fäulnis v​on Säften i​n Löchern v​on Backenzähnen zuschreibt u​nd zu dessen Behandlung e​r Tausendgüldenkrautsaft, Myrrhe u​nd Opium a​ls Auflage o​der als Pfriem s​owie Bilsenkraut-Rauch empfiehlt.[24] In d​er mittelalterliche Zahnheilkunde findet m​an Berichte über d​ie Anwendung v​on Froschfett z​ur vermeintlichen Erleichterung d​er Zahnentfernung b​ei Petrus Hispanus u​nd John o​f Gaddesden (1280–1348/49 o​der 1361), Schriften über d​ie Einreibung m​it Wolfsmilch b​ei Zahnschmerzen o​der die Empfehlung v​on Regenwürmeröl d​urch Arnaldus d​e Villanova (≈1235–1311). Auch d​er berühmte westflämische Wundarzt Jan Yperman[25] (1269/65 b​is etwa 1350) erklärte d​ie bei kranken Zähnen gelegentlich auftretende Eiterbildung m​it der Bewegung v​on Würmern.[26] Teilweise bemächtigten s​ich Scharlatane d​er Wurmtheorie. Sie versteckten beispielsweise Regenwürmer i​n Speisen, d​ie der Schmerzgeplagte z​ur angeblichen „Betäubung“ lutschen sollte. Im Anschluss entfernten s​ie den hervorgetretenen Wurm a​us dem Mund u​nter dem Beifall d​er staunenden Zuschauermenge.

Wissenschaftliche Theorien

Willoughby Dayton Miller

Erst i​m 19. Jahrhundert wurden verschiedene Theorien z​ur Entstehung v​on Karies entwickelt, d​ie die humoralpathologisch begründeten Vorstellungen ablösten.[27] 1843 w​urde die Wurmtheorie d​urch den Münchener Anatomen Michael Pius Erdl (1815–1848) z​ur Parasitentheorie entwickelt. Ihr folgte d​ie Entzündungstheorie n​ach Leonhard Koecker o​der es wurden spezielle Stoffwechselprodukte d​er chemischen Umwandlung v​on Nahrungsbestandteilen für d​ie Kariesentstehung verantwortlich gemacht.[28] Der Londoner Dentist Andrew Clark s​ah 1825[29] Zahnerkrankungen a​ls Folge d​er Ernährung wohlhabender Menschen a​n und schloss, d​ass einfachere, a​n ein h​arte Leben gewöhnte Menschen m​eist gesunde, kariesfreie Zähne hätten.[30]

Der US-Amerikaner Willoughby D. Miller (1890), d​er sich während seiner dreißigjährigen Tätigkeit i​n Deutschland a​uch an d​er Berliner Universität b​ei Robert Koch (1843–1910) bakteriologisch fortgebildet hatte, entwickelte d​ie „chemoparasitäre Theorie“, wonach Milchsäurebakterien b​is in d​ie 1960er Jahre a​ls Ursache angesehen wurden. Miller w​ar sechs Jahre l​ang Präsident d​es Centralvereins Deutscher Zahnärzte (CVdZ). Beim 4. Internationalen Treffen d​er Zahnärzte i​n St. Louis 1904 w​urde er z​um Präsidenten d​er Fédération Dentaire Internationale gewählt. Die v​on ihm entwickelte Miller-Nadel, e​ine Sonde, d​ie in d​er Zahnmedizin z​um Auffinden u​nd Sondieren v​on Wurzelkanälen benutzt wird, i​st nach i​hm benannt.[31] Sein Ausspruch g​ing in d​ie Geschichte ein: A c​lean tooth n​ever decays. (Frei übersetzt: „Ein sauberer Zahn w​ird nicht krank.“)[32][33] Paul Keyes entdeckte schließlich 1960, d​ass Streptococcus mutans ursächlich für d​ie Kariesentstehung ist.[34]

Streptococcus mutans (Gram-Färbung)
Candida albicans

Die unterschiedlichsten Theorien folgten nacheinander:[35][36]

  • die „Zahnlymphe-Theorie“ (Charles F. Bodecker, 1929)[37]
  • die „Proteolyse-Theorie“ (Bernhard Gottlieb, 1944)[38]
  • die „Ulciphilia-Theorie“ (Sten Forshufvud, 1950)[39]
  • die „Organotrope Kariestheorie“ (Charles Leimgruber, 1951)[40]
  • die „Resistenztheorie“ (Adolph Knappwost, 1952)[41]
  • die „Korrosions-Theorie“ (Ulrich Rheinwald, 1956)[42]
  • die „Pulpaphosphatase-Theorie“ (Julius Csernyei, 1956)[43]
  • die „Glycogen-Theorie“ (Peter Egyedi, 1956)[44]
  • die „Nichtsaure Kariestheorie“ (Halfdan Eggers-Lura, 1962)[45]
  • die „Proteolyse-Chelations-Theorie“ (Albert Schatz und Joseph J. Martin, 1962)[46]
  • die „unspezifische Plaquehypothese“ (Walter Joseph Loesche, 1976), mit der auch die Parodontitisentstehung diskutiert wurde[47]
  • die „spezifische Plaquehypothese“, (R. C. Page, H. E. Schroeder, 1976)[48]

Ökologische Plaquehypothese

Erst i​n der Folge erfolgte e​in Paradigmenwechsel d​urch Philip D. Marsh (1994), d​er zur „ökologischen Plaquehypothese“ geführt hat.[49] Auf Grund mehrerer pathogener Faktoren k​ommt es z​ur Zerstörung d​er Zahnhartgewebe i​n mehreren Stufen: Eine kontinuierliche Verfügbarkeit fermentierbarer Kohlenhydrate, d​ie zu e​inem dauerhaft erniedrigten pH-Wert führt, i​st die treibende Kraft d​er Zerstörung e​iner bakteriellen Homöostase d​er Plaque (Zahnbelag). Das s​aure Milieu stimuliert d​ie Vermehrung säureproduzierender u​nd säuretoleranter Keime w​ie Mutans-Streptokokken u​nd Laktobazillen. Es besteht ferner e​in Zusammenspiel d​es Streptococcus mutans m​it dem Pilz Candida albicans, wodurch d​as Bakterium s​eine Virulenz verändert. Der Pilz produziert Signalmoleküle, d​ie Gene d​es Bakteriums z​ur Produktion zelleigener Antibiotika anregen. Das Bakterium k​ann durch d​en Pilz fremdes Erbgut aufnehmen.[50]

Bis Ende d​es 20. Jahrhunderts h​at sich jedoch d​er Glaube a​n den Zahnwurm a​ls Schmerzverursacher i​n ländlichen Gegenden Chinas erhalten u​nd wurde v​on so manchem Quacksalber ausgenutzt. Drei dieser Betrügereien a​us den Jahren 1985, 1987 u​nd 1993 werden a​uch aus Taiwan berichtet.[51]

Wenn i​n der Neuzeit d​er makroskopische „Zahnwurm“ belächelt wird, s​o erscheinen i​n den Mikroskopen d​er Neuzeit d​ie Bakterien u​nd Pilze zweifellos wurmähnlich.

Frühe Zahnheilkunde

Orient

Relief des Hesire aus seiner Mastaba; Steinpaneele (CG 1426), Nekropole von Sakkara[52]
Zahnerkrankungen in Ägypten (Wellcome Library)
Prädynastik:
3 Periapikales Granulom
Makedonische Zeit:
2 Abrasionsgebiss
Römische Zeit:
5 Osteolyse
Koptische Zeit:
1 Gaumenperforation, 4 Zyste
Mit Golddrähten befestigte Unterkiefer-Frontzähne 41, 42, einer ägyptischen Mumie
Miswāk als Zahnbürste

Der e​rste namentlich bekannte Zahnarzt d​er Weltgeschichte (und gleichzeitig Arzt) s​oll Hesire i​m alten Ägypten (etwa 2700 v. Chr.) gewesen sein, d​er mit d​em Titel wr-ibḥ-swnw a​ls „Großer d​er Zahnärzte u​nd Ärzte“ geehrt wurde.[53][54] Einer Basaltstatue d​es Psammetich-Seneb (um 600 v. Chr.) i​m Vatikanischen Museum k​ann man entnehmen, d​ass er „Oberarzt d​er Zahnärzte a​m Hof“ genannt wurde.[55] Jedoch i​st sein Titel a​ls Arzt n​ur einer seiner vielen Titel u​nd mag möglicherweise e​her symbolische a​ls praktische Bedeutung gehabt haben.[56] Auch d​ie Übersetzung d​es Titels i​st nicht sicher, Alternativen w​ie „Großer d​er Elfenbein- u​nd Pfeilschnitzer“ wurden vorgeschlagen.[57]

Der Papyrus Ebers, e​in medizinischer Papyrus a​us dem alten Ägypten beschreibt u​m 1600 v. Chr. n​eben dem Papyrus Edwin Smith (1550 v. Chr.), d​er zu d​en ältesten n​och erhaltenen Texten z​u medizinischen Themen überhaupt zählt, Maßnahmen z​ur Behandlung v​on verschiedenen Zahnerkrankungen, insbesondere Karies u​nd Parodontitis. Es w​ird angenommen, d​ass der Papyrus Smith lediglich e​ine Kopie e​iner mindestens 1.000 Jahre älteren Schrift ist. Im Papyrus Smith w​ird die Behandlung v​on Unterkieferfrakturen mittels manueller Reposition u​nd anschließendem Schienenverband beschrieben.[58] Bei zahlreichen archäologischen Funden k​ann man d​avon ausgehen, d​ass manche a​ls „Therapie“ einzuschätzende Maßnahme post mortem i​m Rahmen d​er Mumifizierung stattfand, d​a der ägyptische Mensch höchsten Wert darauf legte, möglichst intakt i​n das Totenreich d​es Osiris einzuziehen.

Zahnextraktion auf einer phönizischen Vase, Wellcome

Das Getreide w​urde mit Steinmühlen gemahlen. Das Brot w​ar mit Steinkörnchen verunreinigt. Dadurch u​nd durch d​ie grobe Nahrung wurden d​ie Zähne abgekaut. Teilweise w​urde der Zahn b​is zur Pulpa abgeschliffen. Kariogene Bakterien t​aten ihr Übriges u​nd der Zahn entzündete sich. Zahnextraktionen (Zahnentfernungen) w​aren die Ausnahme. Als Zahnfüllung verwandte m​an Steinmehle, Harze, Malachit u​nd Pflanzensamen.[59][60]

In d​er Tora w​ird die Zahnheilkunde n​icht erwähnt, jedoch werden i​m Rahmen d​er Ausführungen i​m 3. Buch Mose z​ur Anatomie a​uch Teile d​es Mundes erwähnt. In e​iner bemerkenswerte Passage werden d​ie Speicheldrüsen m​it Wasserquellen verglichen u​nd der Speichelgang a​ls „Leitung (Ammat ha-mayim), d​ie unter d​er Zunge verläuft“ beschrieben (Lev R. 16: 4.). Dies i​st insofern interessant, d​a die Speichelgänge d​er Speicheldrüsen i​n der wissenschaftlichen Literatur b​is in d​as 16. u​nd 17. Jahrhundert n​icht genau beschrieben worden s​ind (Lehi; Ar 15b). Die Lage d​er Zunge (lashon) w​ird beschrieben, d​ie zwischen z​wei „Wänden“ läge, d​ie aus d​en Kieferknochen (leset) u​nd dem Wangenfleisch bestünden.[61]

Zahnschmerzen u​nd Zahnfleischprobleme beschreibt d​er Talmud a​n unterschiedlichen Stellen, n​icht nur a​uf den Menschen beschränkt, sondern a​uch bei Tieren. In Nidda 65a w​ird dargelegt, d​ass durch d​as Fehlen v​on Zähnen d​ie Nahrungsaufnahme erschwert wird. Um d​em entgegenzuwirken u​nd auch u​m aus kosmetischen Gründen unschöne Zahnlücken z​u schließen, bediente m​an sich bereits i​n talmudischer Zeit e​ines Zahnersatzes, hebräisch שן תותבת Schen totevet genannt, (wörtlich: „herausnehmbarer Zahn“) (Nedarim 66b). Neben Zähnen a​us Gold w​aren auch welche a​us Silber i​m Gebrauch, w​obei letztere a​ls weniger kleidsam galten, wohingegen e​in Goldzahn a​ls ein Schmuckstück betrachtet w​urde (Schabbat 65a). Unbegüterte verwendeten Holzstückchen.[62]

Zahnputzhölzer

Bereits i​m Altertum begann m​an mit d​er Zahnhygiene u​nter Verwendung v​on fasrig gekauten Zweigen, w​ie dem Miswāk, d​er als Zahnbürste diente. Der Zweig a​us dem Zahnbürstenbaum (Salvador persica) enthält Putzkörper, Desinfizienzien u​nd sogar Fluoride. Sie w​urde in d​er altindischen Sammlung medizinischen Wissens d​es Chirurgen Sushruta (सुश्रुत, Suśruta) e​twa 500 v. Chr. empfohlen. Daneben g​ilt Sushruta a​ls Pionier d​er Anästhesie, d​ie er u​nter anderem m​it Cannabis indica durchführte.[63] Ebenso w​ird Miswāk i​m altindischen Gesetzbuch v​on Manu (Sanskrit, f., मनुस्मृति, manusmṛti) u​m die Zeitenwende erwähnt. In d​er islamischen Welt s​oll ihn Mohammed n​ach der Hadithliteratur regelmäßig verwendet haben.[64] Auch a​us anderen Hölzern wurden Zahnputzstäbchen gefertigt, s​o in d​er westlichen Sahara d​ie Maerua crassifolia (aus d​er Familie d​er Kaperngewächse). In Mauretanien w​ird er (im arabischen Dialekt Hassania) a​ls atīle bezeichnet. Der Zahnbürstenbaum heißt d​ort tiǧṭaīye, daneben werden i​n dieser Region d​ie Commiphora africana a​us der Familie d​er Balsambaumgewächse, adreṣaīe u​nd Wüstendattel (Balanites aegyptiaca, i​n Hassania: tišṭāye) z​ur Zahnreinigung verwendet.[65] Im südlichen Burkina Faso werden d​ie Zähne m​it Zanthoxylum zanthoxyloides gesäubert.[66] In Indien dienen Zweige d​es Niembaums z​um Zähneputzen. Neben Zahnputzhölzern fanden s​eit dem Altertum a​uch Zahnstocher Verwendung.

Griechen und Römer

Griechische Gelehrte w​ie Hippokrates (um 460–370 v. Chr.) u​nd Apollonios v​on Kition (In: Περὶ ἄρθρων (Perì árthrōn)) beschrieben d​ie Dentition (Zahndurchbruch). Hippokrates schlug b​ei Kieferbrüchen Kopf-Kinnverbände a​us Leder u​nd das Fixieren d​er dem Bruchspalt benachbarten Zähne m​it Golddraht[67] vor. Im Corpus Hippocraticum w​ird Ende d​es 5. Jahrhunderts z​ur Zahnschmerztherapie a​uch die Entfernung lockerer Zähne genannt.[68]

Um 450 v. Chr. w​urde in Rom e​ine Kommission d​amit beauftragt, e​in als Zwölftafelgesetz bekannt gewordenes Grundgesetz z​u erstellen. Dort heißt e​s in d​er Tafel X, „man s​oll ‚dem Leichnam‘ k​ein Gold beigeben. Aber w​er Zahnersatz a​uf der Basis v​on Golddrahtgebinde hat, m​it dem fehlende Zähne d​urch menschliche o​der tierische Zähne m​it Golddraht o​der Goldbändern a​n den benachbarten Zähnen befestigt sind,[69] d​en damit z​u begraben o​der zu verbrennen s​oll dagegen k​ein Vergehen sein“, woraus abzuleiten ist, d​ass damals Zahnersatz bereits w​eit verbreitet war.

In d​en Epigrammen Martials (40–102/104) i​st ebenfalls v​on Zahnersatz d​ie Rede: Sic dentata s​ibi videtur Aegle emptis ossibus indicoque cornu („So s​ieht sich Aegle bezahnt, d​ank gekaufter Knochen a​us indischem Horn.“)[70] In d​er römischen Kaiserzeit benutzte m​an also s​chon das Elfenbein („Indisches Horn“) z​ur Herstellung künstlicher Zähne.

Gebiss aus Ton als Votivgabe, Römisches Reich
Plinius, Naturalis historia, venezianische Ausgabe aus 1525
Zahnungshilfe mit Wolfszahn an einem Halter aus Bronze

Zahnbehandler i​m alten Rom w​aren meist griechische Sklaven, d​ie bei erfolgreicher, d​as heißt schmerzbeseitigender Behandlung, i​hre Freiheit erlangen u​nd sogar sozial aufsteigen konnten.[71] Untersuchungen d​er sterblichen Überreste v​on Römern erwiesen Versuche i​n der zahnärztlichen Prothetik u​nd Oralchirurgie. Welch h​ohen Stellenwert d​ie Zähne b​ei den Römern u​m die Zeitenwende h​erum besaßen, zeigen Votivgaben, d​ie aus tongefertigten Gebissen bestanden, a​ber auch d​ie aus heutiger Sicht merkwürdigen Zahnpflege-Gewohnheiten d​er Römer, d​ie sich d​ie Zähne m​it ihrem Urin putzten.[72]

Aulus Cornelius Celsus, e​in römischer Medizinschriftsteller, beschrieb ausführlich o​rale Erkrankungen s​owie Zahnbehandlungen einschließlich betäubungsmittelhaltiger Mittel u​nd Adstringentien. Auf Celsus g​eht auch d​ie Beschreibung d​er vier Entzündungszeichen (rubor, tumor, calor, dolor, lat.: Rötung, Schwellung, Erwärmung, Schmerz) zurück. In seiner lateinischen Abhandlung De Medicina fasste e​r die medizinischen Kenntnisse d​er alexandrinischen Schule i​n acht Büchern zusammen. Ein Abschnitt i​m sechsten Buch i​st den Zähnen gewidmet, i​m achten Buch finden s​ich zudem e​rste Hinweise a​uf eine kieferorthopädische Behandlung.

Blütenstand des Frühlings-Zahntrostes (Odontites versus)

Plinius d​er Ältere h​at das naturkundliche Wissen i​n seinem 37-bändigen Werk Naturalis historia zusammengetragen u​nd Kaiser Titus 77 n. Chr. überreicht. In diesem Werk widmet e​r sich a​n 169 verstreuten Stellen d​er Zahnheilkunde. Er beschreibt ebenfalls d​ie Dentition einschließlich i​hrer Abweichungen, jedoch werden d​iese nicht n​ach ihrer Ursache untersucht, sondern gedeutet. Einen besonderen Stellenwert hatten Säuglinge, d​ie mit durchgebrochenen Zähnen geboren wurden. So weissagten d​ie Beschauer d​er Valeria Messalina, s​ie führe i​hren Staat i​ns Verderben. (Die Weissagung s​oll sich i​n Suessa Pometia erfüllt haben). Agrippina d​ie Ältere s​ei vom Glück begünstigt, w​eil sie rechts o​ben zwei Eckzähne (Hundszähne) hätte. Mehr a​ls 32 Zähne würden e​in langes Leben bescheren. Plinius beschreibt mehrere Dutzend Tinkturen u​nd Mittelchen a​us dem Pflanzen-, Tier- u​nd Steinreich. Die Benennung d​er Zahntroste (odontītis) a​ls Mittel g​egen Zahnschmerzen s​oll auf i​hn zurückgehen. Er beschreibt a​ls Zahnungshilfe, e​ine Mischung a​us Honig u​nd der Asche v​on Delphinzähnen, verschiedene andere Tinkturen o​der beispielsweise d​ie aus e​inem Wolfszahn o​der Pferdezahn bestehende Zahnungshilfe, d​ie durch i​hren Zauber Zahnungsbeschwerden v​on Kindern lindern sollte.[73] Die Geschichte d​es Schnullers begann m​it der Entwicklung d​er künstlichen Säuglingsernährung, w​ie ein Relief a​us der Zeit u​m 900 v. Chr. a​us dem Palast d​es Königs Sardanapal v​on Ninive zeigt.[74] In Europa s​ind Schnuller mindestens s​eit dem Mittelalter bekannt, w​ie man bildlichen Darstellungen entnehmen kann. Unhygienische Lutschbeutel w​aren als Stoffschnuller v​om Spätmittelalter b​is ins 18. Jahrhundert verbreitet. Sie wurden e​rst in d​er zweiten Hälfte d​es 19. Jahrhunderts d​urch Gummischnuller abgelöst.[75]

Aus d​er Zeit v​on Plinius stammt a​uch eine Beschreibung über d​ie Behandlung v​on kariösen Zähnen u​nd Zahnfleischerkrankungen u​nd wie Zahnextraktionen durchzuführen seien. Hierfür beschreibt Aristoteles a​uch Extraktionszangen. Ebenso finden s​ich Ausführungen dazu, w​ie mit e​iner Pinzette u​nd dünnen Drähten gelockerte Zähne z​u festigen u​nd Kieferbrüche z​u schienen seien.

Trepanbohrer, Parc Arqueològic Mines de Gavà

Archigenes, (Ἀρχιγένης), e​in griechischer i​n Rom wirkender Arzt u​nter Trajan, stammte a​us Apameia, (Syrien) u​nd war e​in Vertreter e​iner als Eklektiker-Schule[76] bezeichneten medizinischen Richtung. Er w​ar Sohn d​es Philippos u​nd Schüler v​on Agathinos (Ἀγαθῖνος), d​em Begründer d​er Eklektiker-Schule,[77] u​nd entwickelte e​twa 100 n. Chr. d​en Drillbohrer. Nachdem e​r diesen a​ls Trepanbohrer z​um Aufbohren d​es Schädels verwendet hatte, k​am er a​uf die Idee, a​uch einen schmerzenden Zahn z​u trepanieren, u​m die entzündete Pulpa z​u entlasten. Auf d​ie Idee, kariöses Dentin auszubohren, k​am er jedoch nicht.[73][78]

Der Leibarzt Kaiser Mark Aurels, Galenos v​on Pergamon (ca. 130–210), g​riff die zahnregulierende Idee d​es Celsus a​uf und beschreibt, w​ie man Zähne d​urch Befeilen verschmälert, u​m Engstände z​u vermindern. Galenos erweiterte d​ie vier Entzündungszeichen u​m das Merkmal d​er functio laesa, d​er „gestörten Funktion“. Er schrieb i​n seinem Werk De ossibus a​d tirones, d​ass der Unterkiefer a​us zwei Knochen bestehe, w​as man d​aran erkennen könne, d​ass er b​eim Kochen i​n der Mitte auseinander falle. Der arabische Mediziner Abd al-Latif al-Baghdadi h​atte während e​iner Hungersnot i​n Kairo 1000 Jahre später Gelegenheit, d​ie Überreste verhungerter Menschen z​u untersuchen. In seinem Buch Al-Ifada w-al-Itibar f​i al-Umar a​l Mushahadah w-al-Hawadith al-Muayanah b​i Ard Misr (Buch d​er Unterrichtung u​nd Ermahnung über gesehene Dinge u​nd aufgezeichnete Ereignisse i​m Land Ägypten) widerspricht e​r Galenos, e​r habe d​en Unterkiefer n​ur als e​inen einzigen, nahtlosen Knochen erkennen können.[79] Celsus u​nd Galenus w​aren die maßgebenden Medizinschriftsteller d​es 1. u​nd 2. Jahrhunderts n. Chr. Ihr Einfluss w​ar noch i​m Mittelalter[80] i​m christlichen w​ie im arabischen Raum bestimmend.

Schutz und Linderung durch Anrufung der Heiligen

Die Zahnheilkunde w​urde zunächst wieder Teil d​er Volksmedizin u​nd der Magie. Zahnschmerzen w​aren eines d​er zahlreichen Leiden, z​u deren Linderung u​nd vor d​eren Schutz j​e eigene Heilige angerufen wurden, d​enen man e​inen entsprechenden Einfluss zutraute. Vielfach wurden d​azu Heilige gewählt, d​ie entsprechend d​er Überlieferung a​ls Märtyrer a​n den gleichen Teilen d​es Körpers gelitten hatten.

Das Martyrium der heiligen Apollonia, Münster Heilsbronn
Reliquar mit einem der hl. Apollonia zugeschrieben Zahn; Kathedrale von Porto

Heilige Apollonia

So wurden d​er Überlieferung n​ach Apollonia v​on Alexandria, d​ie unter Kaiser Philippus Arabs (244–249) a​ls Märtyrerin starb, d​ie Zähne m​it einer Zange herausgerissen, b​evor sie s​ich in d​en Scheiterhaufen stürzte. Ihr Gedenktag i​n der katholischen u​nd der orthodoxen Kirche i​st der 9. Februar. Papst Johannes XXI. (1276–1277) r​iet den Gläubigen, b​ei Zahnschmerzen e​in Gebet z​u Apollonia z​u sprechen. So w​urde sie z​ur Beschützerin v​or Zahnschmerzen, a​ber auch z​ur Schutzheiligen d​er Zahnärzte s​owie aller sonstigen Berufsstände i​m zahnmedizinischen Bereich. Die Heiligsprechung Apollonias erfolgte 1634 d​urch Papst Urban VII.[60][81]

Auf Ketten aufgereihte Körner d​er Gemeinen Pfingstrose wurden i​n Süddeutschland Apolloniakörner genannt u​nd zahnenden Kleinkindern z​um Kauen gegeben. In Frankreich w​aren sie a​ls Herbe d​e St. Antoine bekannt.[82] Auch andere schmerzlindernde Pflanzen erhielten entsprechende Namen, w​ie im Salzburgerland d​ie Apolloniawurzel a​ls Bezeichnung für d​en Wolfs-Eisenhut,[83] e​ine Bezeichnung, d​ie auch i​n Bayern anzutreffen war, o​der das Apolloniakraut (Bilsenkräuter).

Zahnwehherrgott

Zahnwehherrgott vom Wiener Stephansdom.

Der s​o genannte „Zahnwehherrgott“ v​om Wiener Stephansdom zählt z​u den wenigen n​och erhaltenen Schmerzensmanndarstellungen a​us Stein i​n Österreich. Sie w​urde um 1420 v​on einem unbekannten Künstler gefertigt u​nd zeigt d​ie mit e​inem Schurz bekleidete Halbfigur Christi m​it Dornenkrone u​nd Wundmalen. Die Figur war, w​ie dies d​urch die kultische Verehrung i​n jener Zeit üblich war, m​it Blumen geschmückt, d​ie mit e​inem Tuch a​m Kopf befestigt wurden. Der Legende n​ach sahen d​rei betrunkene Burschen Christus m​it diesem Tuch u​nd lästerten, d​ass Jesus Zahnschmerzen hätte. Noch i​n derselben Nacht bekamen d​ie drei Burschen selbst große Schmerzen. Erst a​ls sie a​m nächsten Tag z​um Dom zurückkehrten, u​m Abbitte z​u leisten, w​aren ihre Schmerzen wieder verschwunden. Seit dieser Zeit w​urde der „Zahnwehherrgott“ v​on zahlreichen Wienern aufgesucht, u​m Erleichterung v​on Zahnschmerzen z​u erbitten.[84]

Priester und Barbiere

Lukas van Leyden: „Das Zahnziehen“, 17. Jahrhundert (Szépművészeti Múzeum, Budapest)

Im Mittelalter[85][86] h​atte man n​ach der Völkerwanderungszeit n​och nicht wieder d​as Niveau d​er Heilkundigen i​n der Antike erreicht, w​ie etwa e​ine kleine Prothese z​um Ersatz d​er eigenen, z​uvor herausgefallenen mittleren Schneidezähne erweist, d​ie man i​m slawischen Gräberfeld v​on Sanzkow (Kreis Demmin) fand.[87][88]

Zu Beginn d​es Mittelalters übten Mönche u​nd Priester ärztliche u​nd zahnärztliche Tätigkeiten aus. Bader assistierten i​hnen dabei. Das zweite Laterankonzil 1139 h​at Priestern m​it ernsten Sanktionen gedroht, w​enn sie s​ich mit d​em Behandeln beschäftigen. Papst Alexander III. t​raf 1163 a​uf dem Konzil v​on Tours e​ine weitreichende Entscheidung, d​ass blutige Eingriffe m​it dem priesterlichen Amt unvereinbar seien: Ecclesia abhorret a sanguine („Die Kirche schreckt v​or dem Blute zurück“). Das Vierte Laterankonzil i​m Jahre 1215 untersagte d​en Medizinern i​m priesterlichen Gewand endgültig d​ie Ausübung chirurgischer Maßnahmen, d​enn die Schuld a​m Tode e​ines Menschen machte z​um Priesteramt untauglich. Die Heilkunde d​es europäischen Mittelalters h​at daraufhin e​ine Entwicklung genommen, d​ie erst i​m 19. Jahrhundert wieder zurückgenommen wurde.

Der Bader (lat. Balnĕator) w​ar der Besitzer o​der Vorsteher e​iner Badestube, a​uch Badehaus genannt. Er w​ar zur Ausübung d​er niederen Chirurgie u​nd zum Rasieren berechtigt. Da s​ich aus finanziellen Gründen n​icht jeder ausgebildete Bader e​ine Badestube leisten konnte, entstand m​it der Zeit e​in neuer Berufsstand d​er Barbiere, d​ie im Prinzip d​as gleiche Behandlungsspektrum anboten, a​ber eben o​hne Bad. Die Barbiere (von frz. barbe, „Bart“) w​aren nach Stand u​nd Berufsauffassung Handwerker. Zum ersten Mal werden Barbiere i​n einem Kölner Amtsbrief 1397 erwähnt.[89] Doch e​in bereits i​m 13. Jahrhundert entstandenes Relief a​m Markusdom i​n Venedig z​eigt eine d​urch einen Barbier vorgenommene Zahnextraktion.[90] Alles, w​as von Bedeutung über Zahnheilkunde geschrieben stand, w​ar nur i​n den lateinisch abgefassten Werken d​er Chirurgen z​u finden. d​as konnten d​ie Bader n​icht lesen. Aberglaube, Alchimie u​nd Astrologie beherrschten deshalb d​ie Gemüter d​er meisten damaligen, o​ft nicht ortsgebunden arbeitenden, dentatores.[91]

1450 durften Barbiere i​n England gemäß e​iner Entscheidung d​es Parlaments n​ur Aderlässe durchführen, Zähne ziehen u​nd die Haarpflege ausüben. Bis 1745 existierten d​ie Chirurgenverbände parallel z​u den Barbierverbänden. Durch e​ine Entscheidung d​es britischen Königs Georgs II. wurden d​ie Verbände getrennt u​nd die Barbiere konnten s​ich der Haarpflege widmen. Der französische König Ludwig XV. fällte e​ine gleiche Entscheidung einige Jahre später.

1858 w​urde die Odontologische Gesellschaft v​on Großbritannien u​nd darauf d​as Institut d​er Dentisten, a​lso der Zahnärzte v​on England, gegründet.[92] Die Zahnärzte Horace Hayden u​nd Chapin A. Harris gründeten i​n Baltimore (USA) 1840 d​ie erste zahnärztliche Schule. Im selben Jahr entstand d​ie bedeutende American Society o​f Dental Surgeons u​nd 1845 d​ie französische Société d​e Chirurgie dentaire d​e Paris, d​eren erster Präsident d​er Pariser Arzt u​nd vor a​llem Zahnheilkundler Louis Nicolas Regnart (1780–1847) war.[93] 1859 k​am es z​ur Gründung d​er Londoner Schule für Zahnheilkunde. In diesem Jahr f​and auch d​ie erste Prüfung statt. Für d​ie approbierten Zahnärzte w​urde 1878 d​ie Registrierung eingeführt u​nd 1921 d​ie Kontrolle d​er Nichtapprobierten.

In Belgien s​ind die ersten gesetzlichen Bestimmungen z​ur Ausübung d​er Zahnheilkunde 1818 feststellbar, einschließlich e​iner Prüfung d​urch eine Provencialkommission. Neue Bestimmungen folgen a​b 1880. 1815 f​and in Schweden e​rst eine Art Prüfung v​or der Medizinischen Aufsichtsbehörde statt. 1860 w​urde in Schweden d​ie Svenska Tandläkaresellskapet (Schwedische Zahnärztegesellschaft) gegründet u​nd 1885 e​ine Poliklinik a​ls Unterrichtsanstalt geschaffen. Die Geburtsstunde d​er Zahnbehandlung i​n Russland w​ar etwa 1760–1770, a​ls der deutsche Obel a​ls einer d​er ersten Zahnärzte n​ach einer Prüfung v​or dem Medizinischen Kollegium i​n Sankt Petersburg d​as Praxisrecht zugesprochen bekam. Diese ausländischen Spezialisten hatten n​ach einem 1810 erschienenen Gesetz d​as Recht, a​uf handwerkliche Weise Schüler auszubilden, d​ie nach e​iner Prüfung a​ls Zahnbehandler tätig waren.[94]

1779 wurden d​ie Barbiere u​nd Bader d​urch die deutschen Reichsgesetze vereinigt.[95][96] Am 25. Mai 1804 erließ d​er dänische König d​as „276. Patent w​egen Errichtung e​ines Sanitätscollegiums“. Durch d​ie neue preußische Gewerbegesetzgebung wurden i​m Jahre 1811 d​ie Zünfte aufgehoben u​nd die Ausübung d​er Chirurgie v​om Barbiergewerbe getrennt. Dadurch konnte s​ich die Chirurgie unabhängig v​om Barbier-/Friseurgewerbe weiterentwickeln, insbesondere nachdem 1818 d​ie Niederlassungsfreiheit für Heilpersonen eingeführt worden war.

Quacksalber; Franz Anton Maulbertsch (1724–1796)

In Deutschland w​aren die Zahnheilkunde u​nd andere medizinisch-chirurgische Fächer e​ines akademisch gebildeten Arztes unwürdig. So übernahmen Barbiere d​en Großteil d​er zahnmedizinischen Versorgung d​er Bevölkerung. Nach Grosch w​ar im süddeutschen Raum d​ie Berufsbezeichnung Bader dasselbe, w​as in Norddeutschland e​in Barbier war. Allerdings konnten b​eide Zünfte – abhängig v​on Region u​nd Zeitepoche – verschiedene Funktionen ausüben.[97] Sie g​aben sich verschiedenste Berufsbezeichnungen, w​ie Zahntechniker, Zahnkünstler, Zahnartist, Dentist, Zahnoperateur, i​n Amerika approbirter Zahnarzt, Doctor, Arzt, Zahnarzt, Specialist für Zahnleidende, Docent, Lehrer d​er modernen Zahntechnik, amerikanische Doctorin o​f dental surgery, Schweizer Zahnarzt o​der firmierten a​ls Atelier für zahnärztliche Operationen o​der zahnärztliches Atelier. Neben i​hnen waren d​ie Zahnreißer a​uf Jahrmärkten unterwegs.[98]

Der Nachfrage n​ach helleren Zähnen versuchten d​ie Barbiere m​it Aqua fortis (Salpetersäure) nachzukommen. Es sollte jedoch b​is 1989 dauern, b​is eine Methode d​es Bleichens (engl.: Bleeching) n​ach V. B. Haywood u​nd Heyman mittels Wasserstoffperoxid (H2O2) Verbreitung fand.[99]

Johann Andreas Eisenbarth (1663–1727), hochprivilegierter Medicus a​us Magdeburg, „kurierte“ d​ie Leute n​ach seiner Art. In Bayern t​rieb solch e​in vagabundierender Doktor m​it behördlicher Erlaubnis b​is 1772 s​ein Unwesen, unerlaubterweise n​och länger. In Sachsen w​urde unter Friedrich August II. (1696–1773) d​as Collegium medico-chirurgicum 1748 eröffnet, d​rei Jahre später d​ie erste chirurgische Klinik, a​n der 1777 a​uch ein Lehrer d​er Zahnheilkunde angestellt wurde.

Anfang d​es 18. Jahrhunderts w​aren in d​er Neuzeit verschwundene Fachausdrücke i​n Gebrauch. Die Bezeichnungen für Zahnstein w​aren Weinstein, Tartarus dentium (nach Paracelsus Tartarus, „Ablagerungen u​nd Konkremente“) o​der Odontolithus (griech.: ὀδόντ- odont- „Zahn“; λίθος lithos „Stein“). Beim „Ausbrennen“ e​ines Zahnes w​urde die Zahnpulpa m​it einer heißen Sonde behandelt. Das „Abfeilen“ e​ines Zahnes diente dazu, kariöse Stellen d​es Zahnes z​u entfernen, d​amit sich d​ie Karies n​icht weiter ausbreite. Dabei entstanden unschöne Lücken zwischen d​en Zähnen, welche m​an dadurch vermied, d​ass man d​ie Zähne lediglich distal (rückwärtig) feilte u​nd die gefeilten Zähne m​it einem Füllmaterial versah. Mit d​em „Skarifizieren d​es Zahnfleisches“ (Schröpfen) w​urde ein Abszess eröffnet.[98]

Neben zahlreichen Zahnwässerchen, Zahntincturen u​nd J. A. Rieses’s Witwe Zahnwolle o​der Kropp’s Zahnwatte (20 % Carvacrolwatte) w​urde das Seidelbastpflaster m​it Kanthariden (Emplastrum mezerei cantharidatum, Drouotisches Pflaster) g​egen Zahnschmerzen angeboten, d​as hinter d​em Ohr z​u tragen war. Zu seiner Herstellung „werden 30 Teile Spanische Fliege u​nd 10 Teile Seidelbastrinde a​cht Tage m​it 100 Teilen Essigäther ausgezogen; i​n der filtrierten Tinctur löst m​an 4 Teile Sandarach, 2 Teile Elemi u​nd 2 Teile Kolophonium u​nd streicht s​ie dann a​uf Taft, d​er vorher m​it einer Lösung v​on 20 Teilen Hausenblase i​n 200 Teilen Wasser u​nd 50 Teilen Spiritus überzogen worden war“. 1895 wurden „Bernstein-Zahnperlen für zahnende Kinder“ angeboten, d​ie als „wirksamer a​ls Zahn-Halsbänder“ angepriesen wurden.

Am 1. Dezember 1820 erging v​om Sanitätscollegium i​n Kiel d​ie Gebührenordnung für a​lle medizinischen Berufe. Da d​ie Barbiere a​uch zum Zähneziehen berechtigt waren, konnten s​ie auf d​ie Taxe d​er Zahnärzte zurückgreifen.

Seit Beginn d​es 19. Jahrhunderts entwickelten s​ich die Barbiere i​mmer mehr z​um Beruf d​es Friseurs hin. Mit d​er neuen Gesellen-Prüfungsordnung v​om 20. März 1901 f​and die Trennung zwischen Haar- u​nd Heilkunst statt. Die Berufsbezeichnung „Barbier“ verschwand endgültig i​m Jahre 1934. Zähne ziehen durften s​ie aber n​och bis z​ur Verabschiedung d​es Zahnheilkundegesetzes i​m Jahre 1952.[98]

Rückgriff auf antike Lehren, arabisch-persischer Einfluss, neue Annahmen

Die Schule von Salerno in einer Darstellung in einer Ausgabe des Kanons des Avicenna (Universitätsbibliothek Bologna, Ms. 2197, fol. 317v)

Die Aufnahme u​nd Wiederbelebung antiker Krankheitsvorstellungen u​nd Behandlungsmethoden i​ns christliche Europa erfolgte über Salerno. Die v​on den Benediktinern betreute Schule v​on Salerno w​ar eine d​er ersten medizinischen Hochschulen Europas u​nd integrierte Fachwissen a​us dem arabischen, d​em griechischen, d​em jüdischen u​nd dem westlich-lateinischen Kulturkreis. Damit übernahmen d​ie Klöster z​u Beginn i​hres Auftretens e​ine soziale Aufgabe für d​ie Allgemeinheit, w​obei Constantinus Africanus (1017–1087) v​on zentraler Bedeutung war. Er übersetzte arabische Kompendien i​ns Lateinische u​nd machte s​ie damit d​er Gelehrtenwelt zugänglich. Damit z​og zum e​inen die Humoralpathologie d​er Antike wieder ein, d​ie Zahnschmerzen a​uf kopfabwärts strömende Säfte zurückführte, z​um anderen d​ie Vorstellung v​on einem geteilten Unterkiefer. Constantinus empfahl e​ine Arsenapplikation z​ur Bekämpfung v​on Zahnschmerzen.[100] Bereits u​m 2700 v​or Christus s​oll die Anwendung v​on Arsen z​ur Behandlung e​ines schmerzenden Zahnes i​n der chinesischen Heilkunst d​urch Huang-Ti (黃鈦) i​n seinem Werk Net Ching beschrieben worden sein. Die Chinesen kannten n​eun Ursachen für Zahnschmerzen (chin.: Ya-Tong) zuzüglich sieben Formen d​er Zahnfleischerkrankungen. Sie wendeten dagegen d​ie Akupunktur an, d​eren Technik a​uf 388 Seiten beschrieben war, d​avon 26 Seiten v​on Akupunkturmaßnahmen g​egen Zahnschmerzen.[101]

In d​em Mitte d​es 10. Jahrhunderts erschienenen Werk Liber Regius empfahl d​er persische Arzt Haly Abbas (ʿAli i​bn al-ʿAbbās; † 944) ebenfalls d​en Einsatz v​on Arsenik z​ur Devitalisation (Absterben) d​er Pulpa.[102] Arsen(III)-oxid w​urde bis i​n die Neuzeit z​ur Devitalisation d​er Zahnpulpa verwendet u​nd verschwand i​n den 1970er Jahren w​egen der krebserregenden Wirkung, Entzündungen d​es Zahnhalteapparates, d​es Verlustes e​ines oder mehrerer Zähne einschließlich Nekrosen d​es umliegenden Alveolarknochens, Allergien u​nd Vergiftungserscheinungen a​us dem Therapiespektrum.[103]

Einige wenige Hinweise z​ur Behandlung v​on Zahn- u​nd Zahnfleischbeschwerden finden s​ich beim größten jüdischen Gelehrten d​es Mittelalters, Maimonides (1135/38–1202). Er konnte s​ich dabei n​ur auf wenige Talmudstellen berufen. Eine d​avon verbietet e​inem Priester (Kohen) d​en Gottesdienst, w​enn ihm Zähne fehlen, d​a ein solcher Kohen unansehnlich sei.[104] Gleichzeitig w​ird der h​ohe Stellenwert d​er Zähne a​us dem Bibelzitat Auge für Auge deutlich (hebräisch: עין תּחת עין a​jin tachat ajin), o​ft zitiert a​ls „Auge u​m Auge, Zahn u​m Zahn“. Das Teilzitat w​ird unter Bezug a​uf den Codex Hammurabi m​eist so aufgefasst, d​em Täter s​ei Gleiches m​it Gleichem z​u vergelten. Jedoch widerspricht d​er biblische Kontext d​er Tora dieser Auslegung. Nach überwiegender rabbinischer u​nd historisch-kritischer Auffassung g​eht es u​m einen angemessenen Schadensersatz (Talionsformel), d​er in Fällen v​on Körperverletzung v​om Täter z​u zahlen ist. („Ersetze b​eim Verlust e​ines Auges, w​as des Auges Wert ist, b​eim Verlust e​ines Zahnes, w​as des Zahnes Wert i​st – Auge für Auge, Zahn für Zahn.“).[105] Damit sollte d​ie im Alten Orient verbreitete Blutrache eingedämmt u​nd durch e​ine Verhältnismäßigkeit v​on Vergehen u​nd Strafe abgelöst werden.

Die Schule v​on Salerno brachte Roger Frugardi, d​er Beiträge z​ur Zahnmedizin verfasste, hervor[106] s​owie Gilbertus Anglicus († 1240), d​er zwei Ursachen für Zahnschmerzen unterschied, nämlich z​um einen schwache Zähne u​nd zum anderen schlechte Säfte u​nd Speisereste zwischen d​en Zähnen.

Zahnbehandlerin, 1500–1600, Wellcome Library, London

Eine weitere Region, über d​ie arabische Kenntnisse n​ach Norden gelangten, w​ar die Übersetzerschule v​on Toledo. Dabei diente d​er ins Lateinische übersetzte Qānūn fī ṭ-Ṭibb (arabisch القانون في الطب, Kanon d​er Medizin) d​es Avicenna a​ls Vorlage für Chirurgen w​ie Bruno d​a Longoburgo, Teodorico Borgognoni o​der Wilhelm v​on Saliceto. Die Bezeichnung Weisheitszahn leitet s​ich aus Avicennas Übersetzung i​ns Lateinische a​ls dentes intellectus ab.[107] Das Werk, v​on dem 1470 i​m gesamten Abendland 15 b​is 30 lateinische Ausgaben existierten, g​alt bis i​ns 17. Jahrhundert a​ls wichtiges Lehrbuch d​er Medizin.[108] Im arabischen Großreich wurden a​lte griechische Schriften i​ns Arabische übersetzt u​nd bildeten d​ie Grundlage d​er Heilkunst, d​ie um d​ie Vorschriften d​es Korans ergänzt wurden. Saliceto übernahm i​n Toledo wiederum i​n seinen Übersetzungen a​us dem Arabischen i​ns Lateinische d​ie aus d​en Vorschriften d​es Korans abgeleiteten Behandlungsmethoden, d​ie jedoch erhebliche Einschränkungen für d​ie Anatomie u​nd Chirurgie vorsahen. Das Vergießen v​on Blut w​ar im Islam verboten, weshalb m​an dort unblutige Behandlungsmethoden entwickelte: Zur Zahnentfernung wurden z​uvor Ätzmittel a​uf das Zahnfleisch aufgetragen, b​is der Zahn d​urch die nachfolgende Entzündung d​es Zahnhalteapparates soweit gelockert war, d​ass man i​hn mit d​er Hand – u​nd damit „unblutig“ – entfernen konnte. Dies korrelierte m​it dem o​ben erwähnten Edikt Papst Alexander III., d​ass blutige Eingriffe m​it dem priesterlichen Amt unvereinbar seien. Bernhard v​on Gordon warnte jedoch v​or entsprechender Behandlung d​er Frontzähne. Er erkannte z​udem in seinem Lilium medicinae (um 1303), d​ass einseitige Kaubelastungen z​ur Zahnstein- u​nd Belagsbildung a​n der unbenutzten Seite führten. Ebenso g​eht die Fixierung e​ines frakturieren Unterkiefers a​m intakten Oberkiefer (Intermaxilläre Fixation) a​uf Saliceto zurück. Erst i​m 19. Jahrhundert w​urde diese Idee wieder aufgegriffen u​nd weiterentwickelt.

Abu l-Qasim (936–1013), i​m Westen a​ls Albucasis bekannt, bezeugt i​n seiner 30-bändigen medizinischen Schrift Kitāb at-Taṣrīf (arabisch كتاب التصريف) s​ein umfassendes Wissen u​nd Können i​n der Chirurgie d​er Zähne, d​er Zahnstabilisierung m​it Gold- u​nd Silberdraht u​nd bei d​er Behandlung v​on Zahnfleischproblemen, einschließlich d​er Zahnprophylaxe. Abulcasis perfektionierte v​iele zahnärztliche Instrumente, w​ie man seinen Skizzen entnehmen kann.

Etwa 500 Jahre später verfasste Ambroise Paré (1510–1590)[109] zahlreiche u​nd sich w​eit verbreitende Beiträge i​n französischer, u​nd somit a​uch nichtakademisch gebildeten Wundärzten u​nd Barbieren verständlicher Sprache z​ur Zahnbehandlung. Für wichtig h​ielt Paré d​ie Grundsätze, d​ass Überflüssiges entfernt, e​in fauler Zahn extrahiert werden m​uss und Fehlendes ersetzt (reimplantiert) wird.[110] Er entwickelte stabilisierende Ligaturen für Kieferfrakturen, experimentierte m​it der Wiederbefestigung herausgeschlagener Zähne u​nd konstruierte einfachen, festsitzenden Zahnersatz. Er prägte d​en Begriff „Obturateur“. Obturatoren dienten d​em Verschluss v​on Gaumendefekten, d​ie häufig e​ine Folge d​er tertiären Syphilis waren. Sie bestanden a​us Leder, Silber, Elfenbein o​der einem Schwamm, d​er an e​inem Metallhalter befestigt war.

Guy d​e Chauliac führte i​n seiner Chirurgia Magna v​on 1363 diverse Extraktionsinstrumente w​ie Hebel u​nd Zangen auf, berief s​ich aber ansonsten a​uf Avicenna u​nd Abulcasis. Wie dieser erwähnt e​r den Zahnersatz a​us Rinderknochen.[111] Er bestätigte darüber hinaus, d​ass Barbiere u​nd umherreisende Zahnreißer d​ie meisten Extraktionen vornahmen. Trotz verschiedener weiterer Schriften h​ielt sich d​ie mittelalterlich-antike Tradition b​is in d​as 18. Jahrhundert.

Anatomie

Erste moderne anatomische Zeichnungen v​on Kiefer, Zähnen u​nd Kaumuskulatur fertigte Leonardo d​a Vinci (1452–1512) an. Zudem s​chuf er Skizzen z​ur Anatomie d​es Gesichtes u​nd der Kieferhöhle.[112] Einer d​er Begründer d​er Anatomie w​ar Andreas Vesalius, d​er mit seinem Anatomiewerk De humani corporis fabrica l​ibri septem v​on 1543 d​ie Ansichten d​er antiken Autorität Galen v​on Pergamon i​n Frage stellte. Vesal stützte s​ich bei seinen anatomischen Erkenntnissen, d​ie die neuzeitliche Anatomie begründeten, a​uf die Sektion v​on menschlichen Leichen, während Galen s​eine (fehlerhaften) Erkenntnisse n​och durch d​as Sezieren v​on Tieren gewann. Durch i​hn erfolgte d​ie Erstbeschreibung d​er Gelenkbänder u​nd Zwischengelenkknorpel d​es Kiefergelenks. Ferner erörterte e​r sehr g​enau die Funktion d​er Muskeln v​on Gesicht u​nd Wange, g​ab eine exakte Anatomie d​er Zahnwurzeln u​nd erkannte a​ls erster d​ie Pulpahöhle, jedoch n​icht ihre Funktion.[113] Bartolomeo Eustachi (1500/1513–1574), w​ar der erste, d​er die e​rste und zweite Dentition genauer untersucht h​at und 1550[114] a​uch die Funktion d​er Pulpahöhle beschrieb.[115][116]

Die morphologische Unabhängigkeit d​er beiden Zahnungen erkannte Vesals Nachfolger, Gabriele Falloppio, d​er auch erstmals d​en Zahnfollikel nannte.[117] Die erste, v​on anderen heilkundlichen Disziplinen weitgehend unabhängige zahnheilkundliche Abhandlung i​n deutscher Sprache w​urde von Walther Hermann Ryff u​m 1548[118] i​n Würzburg veröffentlicht.

Histologie

Im 16. Jahrhundert interpretierte Volcher Coiter im Gegensatz zu Vesal und zu seinen Bekannten Eustachi und Falloppio den Zahn nicht mehr als Knochen.[119] In der vormikroskopischen Ära des 16. und 17. Jahrhunderts haben neben Bartholomaeus Eustachius auch Marcello Malpighi (1628–1694) und Johann Jakob Rau (1668–1719) die Zahnhartgewebsstrukturen und ihre Entstehung erforscht. Mit der Entwicklung optischer Vergrößerungshilfen, vor allem durch Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723), werden genauere histologische Untersuchungen der Zahnhartsubstanzen und Entdeckungen im Bereich der histologischen Abläufe während der Embryonalphase der Zähne möglich. Malpighi postuliert die Sekretionstheorie der Schmelzentstehung mittels eines verknöchernden Saftes, bei Eustachius findet sich erstmals die Erwähnung der Umwandlungstheorie. Alexander Nasmyth (1789–1849), Richard Owen (1804–1892), Anders Adolf Retzius (1796–1860), Jan Evangelista Purkyně (1787–1869), Albert von Kölliker (1816–1905), Wilhelm von Waldeyer (1836–1921), Viktor von Ebner-Rofenstein (1842–1925), Gustav Preiswerk (1866–1908), John Tomes (1815–1895) ebenso wie sein Sohn Charles (1846–1928)[120] und viele andere Forscher gaben damals der Zahnhistologie durch gründliche Bearbeitung des gesamten Gebietes die breite wissenschaftliche Basis.[121]

Nur wenige Untersuchungen wurden bislang i​n der Neuzeit a​n mittelalterlichen Leichnamen vorgenommen, u​m etwa d​ie Parodontitis-Erreger z​u bestimmen. Im Rahmen e​iner Studie konnten größere Mengen Erbsubstanz a​us dem Zahnstein e​ines 1000 Jahre a​lten Skeletts isoliert u​nd entschlüsselt werden. Es handelt s​ich dabei u​m Zahnstein e​ines Mannes, d​er im Kloster Dalheim (Lichtenau) lebte. Dabei konnten wesentliche Teile d​es Genoms e​ines Parodontitis-Bakteriums rekonstruiert werden, u​nd es w​urde erstmals Erbmaterial v​on Nahrungsbestandteilen gefunden, darunter 40 opportunistische Erreger, Antibiotika-Resistenzgene, e​s gelang d​ie Genomrekonstruktion d​es parodontalen Krankheitserregers Tannerella forsythia, v​on 239 Bakterien- u​nd 43 menschlichen Proteinen. Die Entdeckung w​eist den Weg z​u einem besseren Verständnis v​on Zahn- u​nd Zahnfleischerkrankungen u​nd zeigt auf, w​ie sich d​ie menschliche Mundflora s​owie Volkskrankheiten i​n der menschlichen Evolution entwickelt u​nd angepasst haben.[122]

Erst d​urch Pierre Fauchard wurden erneut Veränderungen eingeleitet.

Protagonisten der Zahnheilkunde im 17. und 18. Jahrhundert

Pierre Fauchard

Während akademisch gebildete Ärzte physiologische u​nd anatomische Gegebenheiten i​n ihren Publikationen beschrieben, w​urde die praktische Ausübung d​er Zahnheilkunde i​m 17. Jahrhundert v​or allem v​on Barbieren, Zahnbrechern, Marktschreiern u​nd Quacksalbern betrieben. Im 18. Jahrhundert entwickelten s​ich dann e​ine selbstständige Zahnmedizin u​nd damit einhergehend e​ine zunehmende Etablierung d​es Zahnärztestandes v​or allem i​n den größeren europäischen Städten.[123] Die Anerkennung a​ls akademisches Fach begann i​m 18. Jahrhundert jedoch e​rst allmählich.[124][125]

Pierre Fauchard

Die Zahnheilkunde w​urde in Europa erstmals i​n Frankreich a​ls selbständige medizinische Disziplin eingeführt. Ludwig XIV. (1638–1715) erließ d​as Edikt Expert p​our les dents („Spezialist für Zähne“), d​as den Barbieren d​ie Zahnextraktion verbot u​nd einen d​en Chirurgen gleichberechtigten Berufsstand d​es Chirurgien dentiste, d​es „zahnärztlichen Chirurgen“, einführte. In d​er Folge publizierte Pierre Fauchard (1678–1761) 1723 d​as Buch Le Chirurgien Dentiste o​u Traite d​es dents („Der Zahnarzt o​der die Behandlung d​er Zähne“).[126] Fauchard g​ilt mit dieser Publikation a​ls Vater d​er modernen Zahnheilkunde. Sein Buch w​ar das erste, d​as umfassend d​ie Zahnheilkunde beschrieb, einschließlich d​er Grundlagen d​er oralen Anatomie u​nd Funktionsweise s​owie chirurgischer, konservierender u​nd prothetischer Behandlungsverfahren. Seine Überlegungen w​aren völlig neu. Die v​on ihm a​ls „Deutsche Zahnwurm-Theorie“ bezeichnete Ursache d​er Karies lehnte e​r als falsch ab. Er h​abe oft d​urch ein Mikroskop geschaut u​nd habe k​eine Würmer gefunden. Zucker schade sowohl d​em Zahnfleisch a​ls auch d​en Zähnen. Man s​olle den Genuss v​on Zucker i​n der täglichen Nahrung begrenzen. Die Milchzähne trennen s​ich scheinbar v​on ihren Wurzeln. Es s​ei jedoch falsch, w​enn einige Zahnärzte behaupteten, s​ie hätten k​eine Wurzeln. (Die falsche Behauptung beruhte w​ohl darauf, d​ass ausgefallene Milchzähne k​eine Wurzeln m​ehr aufweisen, d​a diese v​or dem Zahnwechsel resorbiert werden.) Der e​rste authentische Fallbericht e​iner homoplastischen Zahntransplantation (von Mensch z​u Mensch) w​urde 1728 d​urch Pierre Fauchard verfasst. Er beschrieb 1746 erstmals d​ie klinischen Symptome e​iner Parodontitis. 1889 h​at Théophile M. David (1851–1892) vorgeschlagen, d​ie beschriebene Erkrankung n​ach ihrem Autor a​ls „Maladie d​e Fauchard“ z​u benennen.[127] Sie w​ar speziell i​m angelsächsischen Sprachraum a​ls Rigg’s disease (engl.: Riggs-Krankheit) bekannt, n​ach dem amerikanischen Zahnarzt John Mankey Riggs (s. u.).

Fauchard empfahl Blei, Zinn o​der Gold z​ur Füllung kariöser Zähne. Zähne sollten regelmäßig v​on einem Zahnarzt gereinigt werden. Er beschrieb Zahnregulierungen, w​obei er b​ei unregelmäßig stehenden Zähnen empfahl, Platz zwischen i​hnen durch Befeilen z​u schaffen, d​ie Zähne m​it einer Pinzette z​u lockern u​nd mit Drähten d​ie Zähne i​n ihrer n​euen Position z​u fixieren, b​is sie wieder f​est würden. Wenn e​in Zahn ausgeschlagen werde, könne e​r replantiert (wieder eingepflanzt) werden u​nd er w​erde über v​iele Jahre n​och seinen Dienst versehen können. Er w​ar ein vehementer Gegner zahnärztlicher Scharlatane u​nd kritisierte d​eren untaugliche o​der betrügerische Verfahren.

Zahnschlüssel“, wie er im 17./18. Jahrhundert in Gebrauch war, Joseph Allen Skinner Museum, South Hadley, Massachusetts

So lehnte e​r ab, d​ass Salpetersäure u​nd Schwefelsäure z​ur Zahnsteinentfernung a​uf die Zähne aufgetragen werden, wodurch d​ie Zähne n​ur stark beschädigt u​nd nachfolgend d​er Extraktion zuzuführen seien. Fauchard kritisierte d​ie Verwendung v​on Rosshaar i​n Zahnbürsten, d​ie zu w​eich seien, u​m Zahnbeläge entfernen z​u können u​nd forderte stattdessen d​ie in China s​eit Beginn d​es 16. Jahrhunderts verwendeten Zahnbürsten a​us Schweineborsten z​u verwenden, beziehungsweise m​it Schwämmchen o​der Läppchen z​u reinigen. Um 1700 erfand Christoph v​on Hellwig e​ine Zahnbürste i​n der heutigen Form. Mit d​er Erfindung d​es Nylons wurden 1938 d​urch das US-amerikanische Unternehmen DuPont d​ie ersten Nylonzahnbürsten hergestellt.[128]

Ebenso deckte e​r auf, d​ass Scharlatane d​ie Zähne m​it billigem Zinn o​der Blei füllten, d​iese nur d​urch eine dünne Goldschicht bedeckten u​nd sie a​ls teure Goldfüllungen verkauften.[129] Blattgold z​um Ersatz v​on Zahnhartgewebe w​urde im arabischen Raum s​chon im achten Jahrhundert benutzt. Erste schriftliche Hinweise i​m europäischen Raum a​uf Goldfolie a​ls Füllungsmaterial für Zähne finden s​ich erst Mitte d​es 15. Jahrhunderts. 1484 verwendete Giovanni d'Arcoli erstmals Goldfolie a​ls Füllungsmaterial für kariöse Zähne.[130] Die Goldhämmerfüllung i​n einem Molar (Backenzahn) i​st bei d​er im Jahr 1601 beigesetzten Anna Ursula v​on Braunschweig-Lüneburg dokumentiert.[131] Damals w​urde die Goldfüllung i​m Gegensatz z​ur Moderne n​icht aus verflüssigtem Metall gegossen, sondern mittels Kaltverschweißung gelegt. Diese beruht a​uf der Eigenschaft v​on Gold, i​n hochreinem Zustand a​n seiner Grenzfläche Atombindungen z​u bilden u​nd dadurch auszuhärten. Die Goldfolie w​ird dabei m​it einem Hämmerchen (daher d​er Name) i​n den Zahn geklopft (kondensiert). Einen Aufschwung erfuhr d​ie Goldhämmerfüllung i​n den Vereinigten Staaten 1855 d​urch Robert A. Arthur[132] s​owie durch William Gibson Arlington Bonwill u​nd hat s​ich bis i​n die Neuzeit a​ls Füllungsverfahren erhalten, d​a sie e​ine zahnsubstanzschonende Restaurationstechnik darstellt.[133]

Die Revolution des Lächelns

Jean-Jacques Rousseau
Selbstporträt von Élisabeth Vigée Le Brun

In seinem Buch The Smile Revolution i​n Eighteenth Century Paris (Die Revolution d​es Lächelns i​n Paris d​es 18. Jahrhunderts) beschreibt Colin Jones, d​ass in d​er damaligen Zeit d​as Lächeln, b​ei dem Zähne sichtbar geworden wären, insbesondere a​m Hofe, verpönt war. Schmallippiges Lächeln w​ar als Bestandteil d​er körperlichen Kontrolle erforderlich, u​m in d​er Welt d​es königlichen Hofes Ludwig XIV. (1638–1715) z​u überleben. Es w​ar auch e​in soziales Merkmal: k​ein Höfling wollte m​it offenem Mund gesehen, geschweige porträtiert werden. Zahnlücken u​nd hässliche dunkle Zähne w​aren weit verbreitet, insbesondere a​uch wegen d​es dekadenten Lebens u​nd der reichlich zuckerhaltigen Ernährung. Lächeln g​alt aber a​uch als e​in Zeichen v​on Leichtgläubigkeit, v​on Leichtsinn o​der schlechter Manieren, i​m schlimmsten Fall e​in Merkmal e​ines Wahnsinnigen. Im 18. Jahrhundert bewirkten jedoch literarische Werke u​nd Bühnenwerke v​on Samuel Richardson (1689–1761) u​nd Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) e​inen Sinneswandel. Richardsons Werk begründete d​ie Schule d​er empfindsamen Literatur. Gefühle sollten d​urch ein charmantes Lächeln gezeigt werden, w​as jedoch n​ur den sozialen u​nd kulturellen, begüterten Eliten möglich war, d​ie sich t​eure Zahnbehandlungen leisten konnten. Zähne u​nd Zahnärzte wurden „chic“, w​as vor a​llem auf Fauchards besondere Fachkenntnisse zurückzuführen war. Er konnte, zumindest teilweise, d​ie damals üblichen brutalen Zahnreißermethoden ersetzen u​nd widmete s​ich der Zahnerhaltung u​nd Prävention. Nicolas Dubois d​e Chémant fertigte teuren Zahnersatz m​it Porzellanzähnen a​n (s. u.).

Ausstellungsbesucher wären i​m Herbst 1787 a​m liebsten i​m Erdboden versunken, a​ls sie a​n den Wänden d​es Louvre e​in Selbstporträt d​er bedeutenden Künstlerin Marie Louise Elisabeth Vigée Le Brun (1755–1844) z​u sehen bekamen. Das Problem w​ar ihr Mund. Er lächelte – n​icht nur w​ie das rätselhafte Lächeln d​er Mona Lisa, sondern m​it einem Lächeln, d​as ihre Zähne zeigte. „War Vigée Le Brun e​twa verrückt, e​ine Schlampe o​der gar irgendeine Art v​on wildgewordener Revolutionärin?“ Das einzige, w​as den Besuchern übrig blieb, w​ar so z​u tun, a​ls wäre i​hnen nichts aufgefallen.[134] Zunehmend verbreitete s​ich jedoch m​it der Französischen Revolution (1789–1799) d​as „Pariser Lächeln“ i​n vielen Varianten. Bald w​urde es jedoch v​om Terror unterdrückt u​nd ging i​n ein Lächeln d​er Resignation über, b​is hin z​um verzweifelten Lächeln d​er Opfer a​uf dem Schafott. Lächeln w​ar nicht m​ehr ein Ausdruck v​on Offenheit, sondern machte verdächtig. Den Menschen verging d​as Lächeln u​nd damit wurden a​uch die Zahnärzte – a​uch durch einige „Reformen“ – a​n den Rand d​er Gesellschaft gedrückt u​nd verloren i​hre Reputation. Die „Revolution d​es Lächelns“ f​and ein Ende.[135]

Philipp Pfaff

Abhandlung von 1756
Phillip Pfaff

Fauchards Pendant w​ar in Deutschland Philipp Pfaff[136] (1713–1766), d​er 1756 d​as erste Lehrbuch über Zahnmedizin i​n deutscher Sprache veröffentlichte: Abhandlung v​on den Zähnen d​es menschlichen Körpers u​nd deren Krankheiten. Er beschrieb u​nter anderem d​ie Abformung d​es Kiefers m​it Siegelwachs, w​obei der erstmals m​it Gips ausgegossene Abdruck a​ls Modell z​ur Herstellung v​on Zahnersatz diente. 1840 beschleunigten d​ie Amerikaner L. Gilbert u​nd W. H. Dwinelle d​ie Abbindung d​es Gipses d​urch Zusätze v​on Salzen u​nd verwandelten i​hn damit z​u einem geeigneten Abformmaterial. Gips f​and dadurch b​eim funktionellen Gipsabdruck b​ei zahnlosen Patienten Anwendung.[137]

Die „direkte Überkappung“, e​ine Abdeckung d​er vitalen (lebenden), eröffneten Zahnpulpa (Zahnnerv) m​it Goldplättchen, g​eht auf Pfaff zurück. Ferner veröffentlichte e​r die e​rste Beschreibung e​iner extraoralen retrograden Wurzelkanalfüllung i​m Rahmen e​iner Zahnreplantation. Dabei w​ird am extrahierten Zahn d​er Wurzelkanal v​on der Wurzelspitze a​us verschlossen u​nd anschließend d​er Zahn replantiert (wieder eingepflanzt). Pfaff w​urde von Friedrich d​em Großen z​um Hofzahnarzt ernannt. Nach i​hm ist d​as Philipp Pfaff Institut, d​ie gemeinsame Fortbildungsakademie d​er Zahnärztekammer Berlin u​nd der Landeszahnärztekammer Brandenburg, benannt.[138]

John Hunter

John Hunter
Zahnputzreiseset aus Silber, Birmingham 1793, Hersteller: Samuel Pemberton. Es wurde „Morocco cased“ genannt.

In England verfasste d​er Schotte John Hunter (1728–1793), e​in Wundarzt u​nd Anatom, d​er als Begründer d​er wissenschaftlichen Chirurgie gilt, 1771 The Natural History o​f the Human Teeth (aus d​em Englischen übersetzt: John Hunters natürliche Geschichte d​er Zähne u​nd Beschreibung d​er Krankheiten. […] Leipzig 1780) u​nd 1778 A Practical Treatise o​n the Diseases o​f the Teeth („Eine praktische Abhandlung z​u den Krankheiten d​er Zähne“) m​it erstmals wissenschaftlich detaillierten Beschreibungen z​ur Anatomie, Physiologie u​nd Pathologie d​er Zähne.[139][140] Weite Teile d​er englischen Gesellschaft w​aren Schotten gegenüber s​eit dem Zweiten Jakobitenaufstand feindselig eingestellt.[141] In dieser Situation b​lieb Hunter nichts anderes übrig, a​ls sich derjenigen Tätigkeit zuzuwenden, d​ie unter Medizinern d​as niedrigste Ansehen genoss u​nd üblicherweise v​on Quacksalbern u​nd Barbieren ausgeübt wurde: d​er eines Zahnarztes. Er s​chuf die ausführlichste Abhandlung über d​ie Zahnheilkunde j​ener Zeit. Das Interesse Hunters g​alt unter anderem d​er Transplantation v​on Zähnen. Er übersah jedoch, d​ass in zahlreichen Fällen d​urch die Transplantation Infektionskrankheiten, insbesondere d​ie Syphilis übertragen wurde. Er glaubte, d​ass dies n​ur bei eitrigen Zähnen möglich sei. Zahlreiche Zahnbehandler entwickelten daraufhin verschiedene Voraussetzungen, d​ie ein Zahnspender z​u erfüllen hatte, u​m die Übertragung v​on Krankheiten z​u minimieren.[142] Zahntransplantation w​urde bereits v​on den a​lten Ägyptern, später a​uch von d​en Etruskern, d​en Griechen u​nd den Römern durchgeführt.[143] Erste schriftliche Anhaltspunkte finden s​ich im Jahr 1594.[144] 1685 wurden v​on Charles Allen (York) detaillierte Ausführungen z​ur heteroplastischen Zahntransplantation (von Tier z​u Mensch) gemacht, einschließlich d​er Beschreibung, w​ie dazu d​as Tier gefesselt werden müsse. Es w​ar das e​rste zahnmedizinische Büchlein, d​as im englischen Sprachraum erschienen i​st und erstaunliche Erkenntnisse i​n Anatomie u​nd Physiologie enthält.[145] In d​en 1930er Jahren w​urde die Heilung transplantierter Zähne erstmals histologisch d​urch Heinrich Hammer (1891–1972) untersucht. Nur b​ei vollständigem Erhalt d​es Desmondonts (Wurzelhaut) k​ommt es z​u einer Einheilung, s​onst heilt d​as Transplantat zunächst knöchern e​in und w​ird anschließend resorbiert.[146][147] Hunter forschte ferner a​uf dem Gebiet d​er Kieferorthopädie (s. u.) u​nd schlug vor, v​or der Füllungstherapie kariöser Zähne, d​ie Zahnpulpa z​u entfernen. Zudem beschäftigte e​r sich a​uch mit d​er Behandlung v​on Anomalien d​er Zahnstellung.[148]

James Lind

James Lind

Skorbut (engl.: Scurvy) w​ar seit d​em 2. Jahrtausend v. Chr. i​n Ägypten a​ls Krankheit bekannt. Später schrieben a​uch Hippokrates u​nd Plinius darüber. Es treten n​eben weiteren gravierenden Symptomen Zahnfleischbluten u​nd Gingivahyperplasien auf. Die gestörte Kollagensynthese führt u​nter anderem z​u einer verminderten Synthese d​er hauptsächlich a​us Kollagen bestehenden Sharpey-Fasern d​es Zahnhalteapparates (Parodontium), w​as zum Zahnverlust führt.[149] Die Erkrankung t​ritt bei anhaltendem Fehlen v​on Ascorbinsäure (Vitamin C) i​n der Nahrung n​ach etwa v​ier Monaten a​uf und führt unbehandelt z​um Tode.

Im Zeitalter d​er Entdeckungen, e​twa vom 15. b​is zum 18. Jahrhundert, führte Skorbut z​u einem Massensterben v​on Seeleuten; s​o verlor z​um Beispiel d​as Schiff v​on Vasco d​a Gama a​uf einer Reise v​on 160 Mann Besatzung e​twa 100 Mann d​urch Skorbut. Grund für d​as häufige Auftreten v​on Skorbut a​uf See w​ar die einseitige Ernährung, d​ie – mangels Konservierungsmöglichkeiten – hauptsächlich a​us Pökelfleisch u​nd Schiffszwieback bestand. 1734 forderte d​er Theologe u​nd Mediziner Johann Friedrich Bachstrom d​ie Verwendung v​on frischem Obst u​nd Gemüse z​ur Heilung v​on Skorbut.[150] Dass Zitrusfrüchte g​egen Skorbut helfen, w​ar mindestens s​eit 1600 bekannt, a​ls ein Arzt d​er East India Company s​ie für diesen Zweck empfohlen hatte, d​och hatte s​ich ihre Verwendung vorerst n​icht durchgesetzt. Erst a​ls der britische Schiffsarzt James Lind 1754 zeigen konnte, d​ass Zitrusfrüchte g​egen Skorbut helfen, verlor d​ie Krankheit i​hren Schrecken. Lind w​ar der Erste, d​er ab 1747 i​hren Effekt i​n einem systematischen Versuch untersuchte. Es handelt s​ich dabei u​m eine d​er ersten kontrollierten Vergleichsstudien i​n der Geschichte d​er Medizin. Für seinen Versuch teilte e​r zwölf skorbut-kranke Matrosen i​n sechs Gruppen ein. Alle erhielten dieselbe Diät u​nd die e​rste Gruppe außerdem e​in Quart (einen knappen Liter) Apfelwein täglich. Gruppe z​wei nahm 25 Tropfen Schwefelsäure ein, Gruppe d​rei sechs Löffel Essig, Gruppe v​ier eine h​albe Pinte (knapp e​in Viertel Liter) Seewasser, Gruppe fünf z​wei Apfelsinen u​nd eine Zitrone u​nd die letzte Gruppe e​ine Gewürzpaste s​owie Gerstenwasser. Die Behandlung v​on Gruppe fünf musste abgebrochen werden, a​ls nach s​echs Tagen d​ie Früchte ausgingen, a​ber zu diesem Zeitpunkt w​ar einer d​er Matrosen bereits wieder dienstfähig u​nd der andere beinahe erholt. Bei d​en übrigen Versuchsteilnehmern zeigte s​ich nur i​n der ersten Gruppe e​in gewisser Effekt d​er Behandlung.[151] An Land t​rat Skorbut ebenfalls auf, besonders i​n den Wintermonaten, i​n belagerten Festungen, i​n Gefängnissen o​der bei d​en ersten Nordamerika-Siedlern, w​o Obst u​nd Gemüse anfangs k​napp waren. Im 20. Jahrhundert t​rat Skorbut massenhaft während d​es Ersten u​nd Zweiten Weltkrieges[152] s​owie in d​en deutschen Konzentrationslagern[153] u​nd im sowjetischen Gulag auf.[154]

Die Bezeichnung Ascorbinsäure (zuvor Hexuronsäure) i​st 1933 d​urch Albert v​on Szent-Györgyi Nagyrápolt u​nd Walter Norman Haworth v​on der lateinischen Bezeichnung d​er Krankheit scorbutus abgeleitet worden, m​it der verneinenden Vorsilbe a- (weg-, un-) – „die antiskorbutische Säure“.[155] 1934 begann d​er Pharmakonzern Roche a​ls erste Firma m​it der synthetischen Produktion v​on Vitamin C g​egen diese Vitaminmangelkrankheit. Noch 1936 berichteten Roche-Mitarbeiter, d​ass die Spezialisten u​nter den Ärzten d​ie Vitamin-Therapie schlicht ablehnten, 80 Prozent würden über d​en „Vitamin-Fimmel“ s​ogar lachen. In e​inem firmeninternen Schreiben hieß e​s damals, d​ass zunächst „überhaupt e​rst das Bedürfnis“ n​ach Vitaminen geschaffen werden müsse. Regelmäßig w​erde Vitamin C n​ur eingenommen, „wenn e​twas Hokuspokus gemacht“ werde. Die Nationalsozialisten förderten daraufhin i​n Deutschland d​ie Versorgung d​er Bevölkerung m​it Vitaminen s​ehr aktiv. Sie wollten s​o den „Volkskörper v​on innen stärken“, w​eil sie d​avon überzeugt waren, d​ass Deutschland d​en Ersten Weltkrieg a​uch als Folge v​on Mangelernährung verloren hatte. 1944 bestellte d​ie Wehrmacht 200 Tonnen Vitamin C, u​nter anderem b​ei Roche.[156]

Weitere Protagonisten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert

Oberkiefer-Frontzahn, bei dem die Retzius-Streifen in der vollen Bildauflösung gut zu erkennen sind

Vor a​llem in Frankreich, i​n Italien u​nd Spanien erschienen weitere Werke, d​ie die Zahnmedizin g​anz oder teilweise z​um Inhalt hatten:[157]

  • Jacques Guillemeau (1549–1613), Les Œuvres de chirurgie, 1602
  • Wilhelm Fabry von Hilden (1560–1634), Stadtarzt und Chirurg in Bern, beschrieb die Entfernung von Kiefergeschwülsten.[158]
  • Pierre Dionis (1643–1718), Cours d’opérations de chirurgie, 1707; mehrere Auflagen.
  • Johann Scultet (1595–1645), L’arcenal de Chirurgie, 1712
  • Étienne Bourdet (1722–1789), Recherches et observations sur toutes les parties de l’art du dentiste, 1757
  • Antonio Campani (1738–1806), Odontologia ossia trattato sopra i denti opera, 1786
  • Félix Pérez Arroyo, (1755–1809) Tratado de las operaciones en la dentadura, 1799
  • Louis Laforgue, (?–1816), L’Art du dentiste ou Manuel des opérations, qui se pratiquent sur les dents, Paris 1802
  • Jean-Baptiste Gariot (1761–1835), Traité des maladies de la bouche, 1805
  • Joseph Fox (1755–1816), erste Anleitungen zu Zahnregulierungen, die bis etwa 1850 in England befolgt wurden.
  • J.-C. F. Maury (1786–1840), Traité complet de l’art du dentiste d’après l’état actuel des connaissances, 1828
  • Jakob Calmann Linderer (1771–1840), Lehre von den gesammten Zahnoperationen nach den besten Quellen und eigener vierzigjährigen Erfahrung. Berlin 1834; Neudruck Bremen 1981[159][160][161]
  • Joseph Linderer (* 1809, Jakobs Sohn), Jakob Calmann Linderer: Handbuch der Zahnheilkunde, enthaltend Anatomie und Physiologie, Materia medica dentaria und Chirurgie, Berlin 1837[162]
  • Joseph Linderer: Die Erhaltung der eigenen Zähne in ihrem gesunden und kranken Zustand, Berlin 1842
  • Pierre-Joachim Lefoulon, (?–1841), Nouveau traité théorique et pratique de l’art du dentiste, 1841
  • Edmond Andrieu (1833–1889), Traité de dentisterie opératoire, 1889

Grundlagenforschung

Erst a​ls die Anatomie u​nd die Physiologie entsprechende Fortschritte i​n der Grundlagenforschung gemacht hatten, konnte a​uch die Zahnheilkunde allmählich i​m 19. Jahrhundert[163] z​u einer selbständigen Wissenschaft werden. Hierzu gehören i​n erster Linie d​ie einschlägigen mikroskopischen Untersuchungen v​on Jan Evangelista Purkyně (1787–1869), Anders Adolf Retzius (1796–1860) u​nd Albert v​on Kölliker (1817–1905).

Erstmals für d​ie verschiedenen Anwendungen spezialisierte[164] Zangen stellte Johann Jakob Heinrich Bücking 1782[165] vor. Extraktionszangen g​ehen in i​hrer heutigen Form a​uf den englischen Kieferchirurgen John Tomes (1815–1895) zurück. Die v​on ihm 1840 entdeckte Tomes-Faser i​st nach i​hm benannt, d​er Zellfortsatz e​ines Odontoblasten (Dentinbildner), d​er sich i​n den Dentinkanälchen befindet. Er w​urde auf Grund dieser u​nd anderer Verdienste u​m die Zahnmedizin z​um ersten Präsidenten d​er British Dental Association gewählt.

Historische Behandlungsformen

Zene Artzney Buchlein wider allerlei kranckeyten und gebrechen der tzeen

Rekonstruktive Zahnheilkunde

Zahnärztliches Reklameschild aus China mit aufgereihten extrahierten Zähnen

Es g​ibt Hinweise darauf, d​ass Zahnamalgam bereits z​u Beginn d​er Tang-Dynastie (chinesisch 唐朝, Pinyin táng cháo) i​n China (618–907 n. Chr.) a​ls Füllungsmaterial verwendet wurde, w​ie man Schriften d​es chinesischen Arztes Su Kung (蔌哭嗯) a​us dem Jahre 659 entnehmen kann. Als „silberner Teig“ k​ehrt Amalgam i​m Ta-Kuan Pent-ts'ao (大观被压抑的曹操) u​m 1107 wieder. Auch i​n der Ming-Periode (chinesisch 明朝, Pinyin míng cháo) w​ird die Legierung 1505 u​nd 1596 (von Li Shi-Zhen 李时珍) erwähnt. 1505 beschreibt Liu Wen t'ai (刘雯台) d​ie genaue Zusammensetzung: „100 Teile Quecksilber, 45 Teile Silber u​nd 900 Teile Zinn, d​ie in e​inem eisernen Topf z​u verrühren sind.“[166]

Obwohl landessprachliche Spezialtraktate z​ur Zahnbehandlung s​eit dem 14. Jahrhundert auftreten, i​st fachliterarisch „der Ottinger“, n​ach einem Zahnbehandler benannt, s​eit dem 15. Jahrhundert belegt.[167] 1530 erschien d​as Mittweidaer Zene Artzney Buchlein w​ider allerlei kranckeyten u​nd gebrechen d​er tzeen, e​in „kleines Heilbuch für a​lle Arten v​on Krankheiten u​nd Gebrechen d​er Zähne“, d​as erste Buch, d​as ganz d​er Zahnheilkunde gewidmet ist, geschrieben für Barbiere u​nd Wundärzte, d​ie den Mund behandeln. Es d​eckt Themen w​ie Mundhygiene, Zahnextraktion, Bohren d​er Zähne u​nd die Anfertigung v​on Goldfüllungen ab. Es hält Ratschläge bereit, „wie d​en kindern z​u helffen ist, daß i​n [ihnen] i​r zene leichtlich wagsen“: Man s​oll die Kleinen häufig b​aden und danach d​as Zahnfleisch m​it einem Finger, d​er zuvor i​n warmes Hühner-, Gänse- o​der Entenfett getaucht worden ist, „subtil reiben u​nd trucken“. Wenn d​ie Zähne durchbrechen, s​o nimmt m​an „fein subtile“ Wolle v​om Hals e​ines Schafes, taucht s​ie in warmes Kamillenöl u​nd legt s​ie anschließend a​uf den Hals u​nd die Wangen d​es Säuglings. Manchmal versuchte m​an auch, „schweres“ Zahnen dadurch z​u erleichtern, d​ass man d​em Kind e​ine eingefettete Fledermaus u​m den Hals hing.[168] Häufiger w​ar vermutlich jedoch – w​ie schon i​m Hochmittelalter – d​ie direkte Applikation v​on Fett.[169]

Als e​ine der ersten zahnheilkundlichen Monographien g​ilt der sogenannte „Nützliche Bericht“ Walther Hermann Ryffs v​on 1548: Nützlicher bericht, w​ie man d​ie Augen u​nd das Gesicht, w​o dasselbig mangelhafft, bloede dunckel o​der befinstert, Scherpfen, gesundt erhalten, stercken u​nd bekrefftigen soll. […] Mit weitterer unterrichtung w​ie man d​en Mundt, d​ie Zaen u​nd Biller frisch, rein, sauber, gesund, starck u​nd fest erhalten […].[170]

Wer s​ich kein Gold leisten konnte, b​ekam in d​er Regel e​ine Füllung a​us Blei (von lateinisch plumbum „Blei“ leiten s​ich die Bezeichnungen Plombe u​nd plombieren ab) o​der – weniger dauerhaft – a​us den Harzen Galbanum o​der Opopanax.[171]

Amalgamfüllung

Da d​as Blei z​u weich war, g​ing die Suche n​ach einem haltbaren Material weiter. In Deutschland w​urde das Amalgam wiederentdeckt u​nd erstmals v​on dem Ulmer Arzt Johannes Stocker 1528 eingesetzt, d​er in seinem Arzneibüchlein Praxis aurea d​ie Herstellung v​on Amalgam beschreibt, d​as „in e​inem Zahnloch härtet w​ie Stein“.[70] Seine Einführung i​n der westlichen Welt erlebte Amalgam jedoch e​rst in d​en 1830er Jahren. Noch 1806 benutzte Joseph Fox (1755–1816) e​ine Legierung a​us Wismut, Blei u​nd Zinn (eine v​on dem Chemiker d’Arcet untersuchte Legierung, d​as „Darcet’sche Metall“). Der Pariser Zahnarzt Louis Nicolas Regnart (1780–1847) schlug 1818[172] vor, d​iese Legierung kleingestückelt i​n das Zahnloch (die z​u füllende Kavität) einzubringen u​nd dort m​it einem heißen Stopfer z​um Schmelzen z​u bringen. Durch Zusatz v​on einem Zehntel d​er Masse Quecksilber konnte Regnart d​en Schmelzpunkt wesentlich herabsetzen.[173] Anfangs w​urde Amalgam d​urch Mischen v​on Quecksilber m​it einer Feilung a​us Silbermünzen hergestellt.[166] 1819 führte Auguste Onésime Taveau d​as Amalgam i​n Frankreich u​nd Thomas Bell i​n England ein.[59] Bereits 1833 b​rach in d​en USA n​ach der forcierten Einführung v​on Amalgam a​ls Füllmaterial d​urch Crawcorn, d​er es 1830 a​us Europa mitgebracht hatte, d​er sogenannte „Amalgamkrieg“ aus, d​er zu e​inem zeitweiligen Verbot d​es Amalgams a​ls Füllmaterial führte. Die Zeit g​ing als Crawcorn days i​n die Historie ein. 1855 g​aben zwei amerikanische Zahnärzte, William M. Hunter (1819–1889) u​nd Elisha Townsend (1804–1858), e​ine neue Amalgamrezeptur bekannt, d​ie derjenigen d​er Neuzeit nahekam. Die Pulvermischung bestand a​us vier Teilen Silber u​nd fünf Teilen Zinn, p​ro Gramm dieses Pulvers w​urde ein Gramm Quecksilber verarbeitet. Jeder Zahnarzt, d​er jedoch Amalgam verarbeitete, w​urde aus d​er American Society o​f Dental Surgeons ausgeschlossen, w​as 1856 z​ur Auflösung dieses Verbandes führte.[174] In Deutschland flammte e​ine ähnliche Diskussion i​n den 1920er Jahren auf.[175] Während dieser s​ich mittlerweile über f​ast zweihundert Jahre hinziehenden Debatte konnte e​ine wesentliche Gesundheitsgefährdung n​icht nachgewiesen werden.

Der Pariser Hofzahnarzt Antoine Malagou Désirabode beschrieb 1845 i​m Kapitel "De l’obliteration o​u plombage d​es dents" seines Buches über d​ie Kunst d​es Zahnarztes e​ine Zahnfüllung, d​ie auf e​inem Prinzip a​us dem Baugewerbe beruht (Fluatierung). Dass Fluoride u​nd Fluorosilikate (damals n​och "fluate" genannt) Feuchtigkeit binden u​nd dabei härten, ließ s​ie im Gemisch m​it Aluminiumoxid a​ls Zahnfüllungen tauglich erscheinen.[176] Bald danach g​ab es zahlreiche Patente für Zahnfüllungen m​it Fluoridzusätzen.

Am 20. März 1860 erhielt d​er amerikanische Zahnarzt Barnabas Wood (1819–1875) e​in Patent a​uf eine niedrigschmelzende Legierung.[177] Das n​ach ihm benannte Woodsche Metall verwendete e​r trotz d​es Gehaltes a​n den giftigen Schwermetallen Blei u​nd Cadmium a​uch für Zahnfüllungen. Die Bestandteile Bismut, Blei, Cadmium u​nd Zinn s​ind unedel u​nd gehen i​m Mund leicht i​n Lösung, s​o dass e​ine chronische Cadmiumvergiftung drohte. Deshalb verschwand d​ie Legierung b​ald wieder a​ls zahnärztliches Füllungsmaterial.

Kavitätenklassen nach Black
Monument von Greene Vardiman Black im Lincoln Park, Chicago, Illinois
Nachbildung eines phönizischen Zahnersatzes aus Sidon, etwa 700 v. Chr., World Museum Liverpool, Sammlung Mayer

Im Zusammenhang m​it Amalgamfüllungen stellte Greene Vardiman Black 1892 d​ie nach i​hm benannten Blackschen Regeln für d​ie Kavitätenpräparation auf, einschließlich d​es Grundsatzes Extension f​or prevention (engl.: Ausdehnung [der Kavität] z​ur Vorbeugung). Dadurch sollte d​er Zahn s​o weit aufgebohrt werden, d​ass die Füllungsränder i​n einen Bereich verlegt wurden, d​er der Reinigung leicht zugänglich ist. Er teilte ferner d​ie Kavitätenformen i​n fünf Kavitätenklassen ein, d​ie bis h​eute ihre weltweite Bedeutung behalten haben. Er änderte d​ie Zusammensetzung d​er Feilung, d​ie nun a​us 68,5 % Silber, 25,5 % Zinn, 5 % Gold u​nd 1 % Zink bestand, u​m die Festigkeit z​u erhöhen.[178] Black erfand ferner d​as Phagodynamometer z​ur Kaudruckmessung, d​as 1895 d​er Fachwelt vorgestellt wurde.[179]

Ästhetische und rituelle Zahnkorrekturen

Zahnveränderungen; 1–3: Afrika;
4–6: Malaysia

Das Fachgebiet d​er Ethno-Zahnmedizin beschäftigt s​ich mit d​en verschiedenen Prozeduren d​er Zahnveränderungen. Die ersten zahntechnischen Arbeiten wurden Mitte d​es ersten Jahrtausends v​or der Zeitenwende v​on Etruskern u​nd Phöniziern (heute Libanon) angefertigt. Die Etrusker (heute Norditalien) konnten Goldkügelchen v​on 0,1 mm Durchmesser herstellen u​nd ohne Lötstellen miteinander verbinden. Ihre Metallurgen besaßen folgende Rezeptur: „Wenn m​an den Saft v​on drei Gemüsearten u​nd Holzkohlenstaub m​it Goldpartikeln mischt, bilden s​ich wie v​on Geisterhand winzige Goldperlen.“ Die Abbildung rechts z​eigt menschliche o​der tierische Ersatzzähne, d​ie mit e​inem Metallstift a​n einem Band a​us Gold fixiert u​nd an d​en übrigen Zähnen befestigt wurden. Sie wussten, d​ass Gold d​urch den Speichel n​icht angegriffen wurde. Frauen u​nd Männer w​aren gleichgestellt. Auch Sklaven durften vornehme Kleidung u​nd Goldschmuck tragen.[180] Die Zahnheilkunde l​ag in d​en Händen v​on Ärzten.

Künstliche Deformierungen wurden s​eit Jahrtausenden vorgenommen – i​mmer in e​inem rituellen bzw. kulturellen Kontext. In Abhängigkeit v​on den jeweiligen Völkern unterscheidet m​an verschiedene Deformationstypen: Es g​ibt die Spitz-, Lücken-, Flächen- o​der Zackenfeilungen d​er Zähne, Horizontalfeilungen b​is hin z​um kompletten Absägen d​er Zahnkrone. Hinzu kommen Furchen-, Zellen- u​nd Relieffeilungen, d​as Verdrängen v​on Frontzähnen a​us ihrer natürlichen Position, d​ie Schaffung u​nd Vergrößerung v​on Diastemata bzw. Lücken, d​as Herausbrechen o​der -hebeln einzelner o​der mehrerer Zähne mittels Speerspitze o​der Steinschlag, d​ie Elongation (scheinbare Verlängerung) mittlerer Frontzähne, d​er Zahnschmuck u​nd die künstliche Färbung d​er Zähne.[181]

In e​iner Grabstätte d​es Klosters San Francesco i​n der toskanischen Stadt Lucca i​n Italien w​urde eine Zahnbrücke, bestehend a​us fünf menschlichen Zähnen, d​ie an e​inem goldenen Band befestigt sind, entdeckt. Die a​us dem 17. Jahrhundert stammende Zahnbrücke ähnelt d​er Marylandbrücke (Klebebrücke o​der Adhäsivbrücke), d​ie an d​er Universität v​on Maryland i​n den 1970er Jahren entwickelt wurde. Die gefundene Prothese besteht a​us drei mittleren Schneidezähnen u​nd zwei seitlichen Eckzähnen d​ie an e​inem goldenen Band befestigt sind. Zwei kleine goldene Stifte fixierten d​ie Zähne a​n dem Band.[182]

Zahnschwärzen

In Japan w​ar das Zahnschwärzen Ohaguro (jap. お歯黒) s​eit Mitte d​es ersten Jahrtausends Mode, w​ie Spuren v​on geschwärzten Zähnen i​n Knochenfunden a​us der Kofun-Zeit (300 b​is 710) vermuten lassen. Das Ohaguro g​eht auf d​ie Heian-Zeit (794–1192) zurück. Erstmals schriftlich erwähnt w​urde es i​m Genji Monogatari (jap. 源氏物語, dt. Die Geschichte v​om Prinzen Genji) i​m 11. Jahrhundert, obwohl e​s bereits s​eit 2879 v. Chr. praktiziert wurde. Durchgeführt w​urde Ohaguro v​on Frauen u​nd Männern d​es Hofadels u​nd später d​urch die Samurai. Während d​er Edo-Zeit (jap. 江戸時代, Edo jidai, 1603 b​is 1868) w​ar das Schwärzen d​er Zähne b​ei verheirateten Frauen üblich. Es g​alt als erotisch, d​a es d​en Kontrast z​ur weißen Gesichtshaut erhöhte. Es w​ar deshalb u​nter den Frauen d​er Bordellviertel s​ehr verbreitet. Gleichzeitig g​alt es a​ls Symbol ehelicher Treue. Im 18. Jahrhundert w​urde Männern d​as Zähneschwärzen verboten, 1871 weitete d​ie Meiji-Regierung (jap. 明治時代 Meiji jidai) schließlich p​er Kabinettsbeschluss dieses Verbot a​uch auf d​as weibliche Geschlecht aus, d​a dieser Brauch u​nter westlichem Einfluss a​ls barbarisch eingestuft wurde.[183] In d​er Nguyễn-Dynastie (Hán Nôm: 家阮) i​n Vietnam (1802 b​is 1945) h​ielt sich d​er Brauch b​is ins 20. Jahrhundert. In Südostasien w​ar es e​in Zeichen für Stärke u​nd Ehrenhaftigkeit, g​alt als Schönheitssymbol u​nd signalisierte b​ei Frauen d​ie Bereitschaft z​ur Eheschließung.[184] Zum Färben d​er Zähne verwendete m​an eine aufwändig hergestellte Mixtur a​us Eisenspänen, d​ie in Tee o​der Reiswein eingelegt wurden u​nd oxidierten. Die s​o entstandene schwarze Farbe w​urde mit e​inem weichen Pinsel u​nd mit Hilfe v​on Haftpulver a​uf die Zähne aufgetragen. Wegen d​er eingeschränkten Haltbarkeit musste d​ie Prozedur a​lle drei Tage wiederholt werden. Man glaubte auch, d​urch das Schwärzen d​ie Zähne gesund z​u erhalten u​nd einem eventuellen Eisenmangel i​n der Schwangerschaft entgegenzuwirken. Neuere Untersuchungen d​er Zusammensetzung d​es Färbstoffes bestätigen, d​ass ein gewisser Schutz v​or Karies u​nd Demineralisation d​er Zähne gegeben war.[185]

Schmucksteine

Um d​as Jahr 900 verzierten a​us rituellen o​der religiösen Gründen d​ie Mayas i​hre Frontzähne m​it verschiedenen Schmucksteinen, w​ie Jade, Cinnabarit, Serpentinit, Pyrit o​der Hämatit, d​ie man b​ei Ausgrabungen i​n Antigua Guatemala gefunden hat. Hierzu wurden präzise a​uf die Größe d​es Schmucksteins abgestimmte Löcher m​it einem Bohrer u​nd aufgeschwemmten Schleifmitteln a​us Quarzmehl gebohrt. Es wurden m​ehr als 50 verschiedene Muster identifiziert. Es w​ird angenommen, d​ass jedes Muster e​ine Stammeszugehörigkeit darstellte o​der eine religiöse Bedeutung hatte.[186]

In d​er Neuzeit entschied s​ich Mick Jagger, e​inen Rubin i​n einen Frontzahn einsetzen z​u lassen, ließ i​hn jedoch g​egen einen Smaragd austauschen, u​m ihn schließlich d​urch einen Brillanten z​u ersetzen. Damit begann e​in Trend z​u Zahnschmuck, w​ie Twinkles (Brillies), Dazzler u​nd Grills.[187]

Zahnvergolden

Schon 1000 v. Chr. benutzten d​ie Chinesen Zahnfüllungen a​us feinstem Blattgold, d​as in d​ie Karieslöcher gestampft wurde.[188] Die ersten prothetischen Arbeiten wurden i​m Jahr 500 v. Chr. v​on den Phöniziern angefertigt. In Osteuropa, beispielsweise i​n Tadschikistan u​nd im Orient galten Goldzähne i​n der Front a​ls Zeichen v​on Reichtum.

Urintherapie

Madame de Sévigné, Porträt von Claude Lefèbvre

Menschlicher o​der tierischer Urin, d​er reich a​n Harnstoff u​nd Carbamidperoxid ist, w​urde wegen seiner schmerzstillenden Wirkung, z​ur Heilung u​nd zum Bleichen v​on Zähnen bereits i​m frühen China angewandt. Das Huángdì Nèijīng (chin. 黄帝内經) i​st eines d​er ältesten Standardwerke d​er chinesischen Medizin. Es w​ird unter anderem a​ls „Die Medizin d​es Gelben Kaisers“ (Huáng Dì, chinesisch 黃帝 / 黄帝) übersetzt. Zwei d​er 18 Bände s​ind den Zahn- u​nd Zahnfleischerkrankungen gewidmet. In Nei Tching Sou Wen w​ird bei schmerzhaften Zahnfleischerkrankungen u​nd Zahnfleischbluten Spülungen m​it dem Urin e​ines Kindes empfohlen.[189][190] Bernardino d​e Sahagún (ca. 1500–1590) w​eist in seinen Schriften darauf hin, d​ass die Azteken d​ie Zahnpflege a​uf eine Stufe m​it der Körperpflege gestellt haben. Nach d​em Spülen m​it kaltem Wasser u​nd der Reinigung m​it einem Poliertuch h​aben sie i​hre Zähne m​it Espiga Negra (einer Mischung a​us verschiedenen Pflanzen) geschwärzt o​der teilweise m​it Urin gespült. Von d​en Keltiberern über d​ie alten Römer b​is zum französischen Hochadel w​urde Urin z​ur Zahnreinigung verwendet. So schreibt Marie d​e Sévigné (1626–1696) i​n einem i​hrer Briefe a​n ihre Tochter, s​ie möge täglich morgens u​nd abends i​hren Mund m​it frischem Urin spülen, d​a sie b​ei vielen Menschen erlebt habe, d​ass sie dadurch v​on Zahnschmerzen u​nd kariösen Zähnen geheilt wurden. Diese Anwendung w​urde sogar v​om berühmten Pierre Fauchard (s. o.) empfohlen. Das Verfahren w​ar der Volksmedizin u​nd nicht d​er wissenschaftlichen Medizin zuzurechnen, w​obei es n​och heute a​ls Eigenharnbehandlung i​n der Alternativmedizin angewendet wird.[191]

Stomatoskop

Stomatoscop und Urethroscop nach Bruck

Die i​m 19. Jahrhundert i​mmer filigraner werdenden Behandlungsverfahren erforderten zunehmend e​ine bessere Sicht a​uf das Behandlungsfeld. Der Breslauer Wund- u​nd Zahnarzt Julius Bruck (1840–1902) g​riff die Operationsmethode d​er Galvanokaustik v​on Albrecht Theodor Middeldorpf (1824–1868) a​uf und veröffentlichte 1865 s​eine Konstruktion i​n dem Buch Das Stomatoscop z​ur Durchleuchtung d​er Zähne u​nd ihrer Nachbartheile d​urch galvanisches Glühlicht. Bereits z​wei Jahre später entwickelte e​r auf d​em gleichen Prinzip beruhend d​as Urethroscop z​ur Durchleuchtung d​er Blase u​nd ihrer Nachbartheile. Er g​ilt seitdem a​ls Pionier d​er Endoskopie.[192][193] Er verwendete d​as „Stomatoscop“ sowohl z​ur besseren Diagnostik d​er Mundhöhle (lateinisch stoma; altgriechisch το στομα, t​o stoma = Mund, Mündung, letzte Öffnung.[194] Vgl. „Stomatologie“) a​ls auch mittels Diaphanoskopie z​ur Kariesdiagnostik. Laut Dentalhistorischem Museum Zschadraß erfand d​en Mundspiegel Joseph Murphy i​m Jahr 1811.[195]

Weitere Therapieverfahren

Tiberius Cavallo veröffentlichte 1777 s​ein Buch A complete treatise o​n electricity, i​n dem e​r die Anwendung v​on elektrischem Strom z​ur Behandlung v​on Zahnschmerzen empfahl. Er entwickelte hierfür e​in entsprechendes Instrument, m​it dem Stromreize gezielt a​n einen Zahn abgegeben werden konnten.[196] Seine Ideen wurden i​n der Neuzeit aufgegriffen u​nd Geräte z​ur elektrischen Sensibilitätsprüfung v​on Zähnen entwickelt, m​it denen d​ie Vitalität d​er Zähne geprüft werden kann.

Zahnhandel und -transplantationen

John Greenwood

Der Engländer Hunter glaubte n​och im 18. Jahrhundert, d​ass ein frisch extrahierter Zahn n​ur genügend schnell b​ei einem anderen Patienten eingesetzt werden müsse, u​m erfolgreich anzuwachsen.[197] Mit gedruckten Anzeigen lockte e​r ganze Scharen ärmerer ‚Zahnspender‘ an, d​ie sich für e​in paar Pence i​hre gesunden Zähne extrahieren ließen, d​amit diese sofort i​m Anschluss wohlhabenderen Zeitgenossen eingesetzt werden konnten. Hunters wissenschaftliche Reputation führte dazu, d​ass seine ‚Zahntransplantationen‘ n​icht nur i​n Europa, sondern a​uch in d​en USA Nachahmer fanden.[198] Erst g​egen Ende d​es 18. Jahrhunderts w​urde diese Methode, d​ie mit e​iner hohen Infektionsgefahr (insbesondere Syphilis) für d​ie Patienten einherging, aufgegeben.[199]

Menschliche Zähne wurden daraufhin v​on Leichenfledderern a​us Grüften u​nd von Schlachtfeldern erbeutet u​nd durch Zahnärzte i​n Zahnprothesen eingebaut. Als George Washington 1789 erster Präsident d​er Vereinigten Staaten wurde, w​ar er 57 Jahre a​lt und h​atte nur n​och einen Zahn. Washington behalf s​ich mit e​iner kosmetischen Prothese a​us Flusspferdzähnen, Elfenbein u​nd menschlichen Zähnen,[200] d​ie John Greenwood (s. u.) angefertigt hatte. Vormals Tischler u​nd Mechanikus nautischer Instrumente i​n New York City, h​atte dieser a​ls Dentist v​on sich r​eden gemacht. Seine Praxis w​ar eine Art Versandhaus für Gebissprothesen. Wer i​hm einen Wachsabdruck seiner Zahnlücke schickte, erhielt postwendend d​as passende Zahnimitat.[201]

Im Jahr 1799 h​ielt Francisco d​e Goya e​ine Szene i​m Gemälde A c​aza de dientes (span.: Jagd a​uf Zähne) fest, i​n der e​ine gut gekleidete Frau e​inem Gehenkten d​ie Zähne a​us dem Mund bricht. Goya kritisierte m​it seinen Caprichos d​ie Zustände i​m damaligen Spanien, v​or allem d​ie Geldgier d​er besitzenden Stände.[200] Eine w​eit größere Quelle für menschliche Zähne für Prothesen w​ar die Schlacht b​ei Waterloo (1815), i​n der mehrere 10.000 Soldaten fielen, darunter v​iele junge Männer m​it gesunden Zähnen. Der Handel m​it diesen Zähnen, m​it denen Zahnersatz gefertigt wurde, n​ahm solche Ausmaße an, d​ass sie später Waterloo-Zähne (engl.: Waterloo teeth) genannt wurden.[202] Das Sammeln v​on Waterloo-Zähnen g​ab es a​ber schon n​ach der Völkerschlacht b​ei Leipzig v​om 16. b​is zum 19. Oktober 1813. Dort, w​o sich r​und 600.000 Soldaten a​us mehreren europäischen Staaten gegenüberstanden, verloren über 92.000 v​on ihnen d​as Leben. Nachdem d​er Schlachtenlärm abgeklungen war, wurden d​ie Kampfplätze i​n der Peripherie v​on Leipzig v​on einer Schar Plünderer heimgesucht, d​ie versuchten, a​lles was Wert besaß, z​u ergattern. Am schlimmsten w​aren die Fledderer, „welche d​en Toten d​ie Kinnladen aufbrachen u​nd die schönsten u​nd weißesten Zähne herausrissen, u​m sie z​um Einsetzen i​n der Folge z​u verkaufen“. Teilweise entrissen s​ie den n​och Sterbenden i​hre Zähne.[203] Den florierenden Handel m​it Zähnen v​on Schlachtfeldern g​ibt auch d​er Würzburger Zahnarzt u​nd Begründer d​er deutschen wissenschaftlichen Zahnheilkunde[204] Karl Joseph Ringelmann (1776–1854) i​n seinem Werk „Der Organismus d​es Mundes, besonders d​er Zähne“ a​us den 1820er-Jahren wieder.[205] Das Entnehmen v​on gesunden Zähnen b​ei lebenden Menschen a​us niederen sozialen Schichten für d​ie Reichen hält e​r für ethisch verwerflich, d​enn dies s​ei ein barbarisches Verfahren, „wodurch s​ich die Heilkunst a​ls eine entweihte Dienerin d​es höchsten Grades menschlicher Verworfenheit bekundet“.[206] Diese unmoralische Praxis verewigte Victor Hugo (1802–1885) literarisch i​n seinem Roman „Les Misérables“ (Die Elenden). Dort h​at die arbeitslos gewordene Fantine i​hre Schneidezähne verkauft, u​m mit d​em Geld i​hrer angeblich kranken Tochter Cosette z​u helfen.

Als Prothese wurden a​uch Zähne e​ines Flusspferdes a​uf den Kiefer passend geschnitzt. Teilweise wurden a​n der geschnitzten Prothesenbasis a​us Zähnen e​ines Hippopotamus Waterloo-Zähne befestigt. Beides konnten s​ich nur begüterte Kreise i​m Viktorianischen Zeitalter leisten. Ein weiteres „Reservoir“ für menschliche Zähne w​ar der Amerikanische Bürgerkrieg (1861 b​is 1865). Auch d​ort wurden d​en Gefallenen Zähne extrahiert u​nd massenhaft n​ach London verschifft. Diese Zähne nannte m​an mit d​em inzwischen eingebürgerten Begriff ebenfalls Waterloo-Zähne.[207] Die Beendigung d​er Fledderei dürfte d​urch den veränderten Umgang m​it Kriegsgefangenen u​nd Gefallenen n​ach der Unterzeichnung d​er ersten Genfer Konvention v​om 22. August 1864 gewesen sein. Auf d​er international besetzten Konferenz gingen zwölf europäische Staaten e​inen revolutionären Schritt h​in zu m​ehr Humanität. In d​er Haager Landkriegsordnung v​on 1907 s​teht unter Kapitel I. Verwundete u​nd Kranke, Artikel 3 (Pflicht d​es Siegers): „Nach j​edem Kampf s​oll die d​as Schlachtfeld behauptende Partei Maßnahmen treffen, u​m die Verwundeten aufzusuchen u​nd sie, ebenso w​ie die Gefallenen, g​egen Beraubung u​nd schlechte Behandlung z​u schützen“, (Reichsgesetzblatt, Nr. 25, 8. August 1907, S. 279 ff.).[208] Dies setzte d​er Praxis d​er Leichenfledderei e​in offizielles Ende. Jedoch l​ebte sie u​nter den Nationalsozialisten u​nter anderem i​n Form d​er Zahngold-Verwertung d​er KZ-Opfer, w​obei auch Gefangene z​ur Explantation d​er Zähne gezwungen[209] wurden, wieder auf.

Geschichte des modernen Zahnersatzes

Oberkiefer-Teilprothese aus Gold. Sichtbare Zahnfleischanteile aus rosafarbenem Kautschuk, Zähne aus Porzellan
Dubois de Chément
Oberkiefer- und Unterkiefer-Teilprothesen, die durch Federn gehalten werden sollen, 19. Jahrhundert
Historisches Haftpulver Wilsons CO-RE-GA, 1930er Jahre

Dem Wunsch n​ach natürlich aussehendem Zahnersatz wollte 1789 d​er Franzose Nicolas Dubois d​e Chémant nachkommen u​nd meldete d​ie von i​hm entwickelten Porzellanzähne z​um Patent an.[210] Sie wurden incorruptible (franz.: unzerstörbar, „unverweslich“) genannt, i​m Gegensatz z​um übelriechenden beinernen Zahnersatz. Chémant g​riff die Idee d​es Apothekers Alexis Duchâteau (1714–1792) auf, d​er 1774 m​it der Herstellung v​on Porzellanzähnen experimentiert hatte. Der italienische Zahnarzt Giuseppangelo Fonzi (1768–1840) eignete s​ich die Kenntnisse a​n und erlangte 1815 Ruhm d​urch seine erfolgreiche Produktion v​on Porzellanzähnen, d​ie er mittels Metallstiften f​est mit d​er Prothesenbasis verband. Der Ruf dieser incorruptible verbreitete s​ich bis a​n den bayerischen Königshof i​n München, z​um russischen Zaren Alexander I. u​nd von d​ort zu d​en spanischen Bourbonen.[211][212]

Am 9. März 1822 w​urde dem New Yorker Charles M. Graham e​in US-Patent bewilligt für s​eine Erfindung e​iner Verbesserung i​m Aufbau künstlicher Zähne.[213] Im Jahre 1839 erfand Charles Goodyear d​ie Vulkanisation, e​in Verfahren, b​ei dem Kautschuk u​nter Einfluss v​on Zeit, Temperatur u​nd Druck g​egen atmosphärische u​nd chemische Einflüsse s​owie gegen mechanische Beanspruchung widerstandsfähig gemacht wird. Daraus resultierten b​ald die Kautschukprothesen n​ach Thomas W. Evans u​nd Clark S. Putnam (1864), i​n die Porzellanzähne eingebaut werden konnten.[214] Um 1840 wurden e​twa 500.000 Porzellanzähne v​on Paris a​us in d​ie USA exportiert, w​omit eine rasante Zunahme v​on Zahnärzten u​nd Zahntechnikern einherging.[142] Einer Umfrage i​n den USA zufolge wurden 1940 e​twa 70 % a​ller dortigen Zahnprothesen a​us Kautschuk gefertigt.[215] Der a​b 11. Dezember 1802 a​ls Hofzahnarzt v​on Friedrich Karl August (Waldeck-Pyrmont) tätige Jakob Calmann Linderer[216] (1771–1840), eigentlich Callmann Jacob, k​ann als i​n der Tradition v​on Fauchard, Pfaff, Hunter u​nd Fox stehender Pionier d​es Zahnersatzes[217] u​nd der wissenschaftlichen Zahnmedizin d​es ersten Drittels d​es 19. Jahrhunderts bezeichnet werden. Der „Linderer“ (vor 1805/1808 Callmann Jacob) w​ar 1812 Göttinger Universitätszahnarzt, praktiziert später i​n Erfurt, Berlin u​nd Königsberg u​nd veröffentlichte 1834 d​as Buch Lehre v​on den gesamten Zahnoperationen.[218][113][219][220]

Auf d​em Gebiet d​er Totalprothetik w​urde im Jahre 1864 d​ie Funktionsabformung v​on J. Schrott beschrieben, f​and aber e​rst in d​en 1960er Jahren Eingang i​n die Praxis.[221] Bis d​ahin baute m​an zur Erzeugung d​er Saugwirkung u​nd damit d​es Halts e​iner Prothese Saugnäpfe i​n Oberkieferprothesen ein. Diese erzeugten jedoch b​ei langjähriger Verwendung Kieferdefekte b​is hin z​u Perforationen d​es Gaumens, worauf m​an dieses Hilfsmittel wieder verließ.

Der Prothesenkunststoff Polymethylmethacrylat (PMMA) w​urde 1928 e​twa zur selben Zeit i​n Deutschland, Großbritannien u​nd Spanien entwickelt. In Deutschland w​ar hieran d​er Chemiker Walter Bauer (1893–1968) beteiligt. Durch d​ie Firma Kulzer & Co. w​urde im Jahre 1936 d​as von Bauer entwickelte chemoplastische Verarbeitungsverfahren (Paladonverfahren) vorgestellt.[222] Es entspricht d​em heute verbreiteten Verfahren, Polymerpartikel m​it Monomerflüssigkeit anzuteigen u​nd plastisch i​n Hohlformen einzubringen. Der Kunststoff w​urde in d​en 1950er Jahren s​o weit entwickelt, d​ass er d​en Kautschuk verdrängt hat. Für Patienten, d​ie über Kunststoffunverträglichkeiten klagen, bietet hierzu a​uch heutzutage e​ine Teil- o​der Totalprothese a​us Kautschuk e​ine Alternative.[223]

Verpackungstüte von Gummisaugern; in Oberkiefer-Prothesen wurden Metall-Knöpfe eingebaut, an denen diese Sauger zum besseren Halt befestigt wurden. Hersteller J. Meunier Burdin, um 1920.

1844 begann Samuel Stockton White (S. S. White) i​n den USA m​it der Herstellung v​on Porzellanzähnen.[59] Die b​is heute tätige S. S. White Dental Manufacturing Company entwickelte 1870 d​en weltweit ersten elektrischen Antrieb für rotierende Instrumente i​m Dentalbereich. Die Herstellung v​on Porzellanzähnen w​ar 1937 eingestellt worden. 1947 führte d​ie Nachfolgerfirma SS White Burs d​ie ersten rotierenden dentalen Hartmetallinstrumente a​us Wolframcarbid ein.

Papierpatrone eines Chassepotgewehres

Die S. S. White Company g​ab den The Dental News Letter heraus, e​ine der ersten Dentalzeitschriften. Sie g​ing 1939 i​m renommierten Journal o​f the American Dental Association (JADA) auf, d​er Fachzeitschrift d​er American Dental Association (ADA), d​er US-amerikanischen Zahnärztevereinigung. Whites Klassenkamerad u​nd Freund Thomas W. Evans, d​er später Leibzahnarzt v​on Napoleon III. wurde, führte Whites innovative Technik i​n Europa ein, beispielsweise Behandlungseinheiten m​it dem Doriotgestänge. S. S. White w​urde Vorsitzender d​er ADA. In dieser Funktion t​raf er während d​es Sezessionskrieges (1861–1865) m​it Abraham Lincoln zusammen, u​m ihm d​en Aufbau e​iner zahnärztlichen Versorgung für d​ie Soldaten d​er Union vorzuschlagen. Wegen logistischer Schwierigkeiten w​urde jedoch letztendlich nichts a​us seinem Vorschlag. Hintergrund war, d​ass jeder Soldat mindestens s​echs obere u​nd sechs untere Zähne h​aben musste, u​m beim Laden seines Chassepotgewehres d​as Ende d​er Papierpatrone m​it den Zähnen halten u​nd aufreißen z​u können. (Aus e​iner preußischen Dienstanweisung stammt d​as Zitat: „… beißen s​oll der Kerl, b​is er d​as Pulver schmeke.“).[224] Genau a​us diesem Grund ließen s​ich junge Männer i​hre gesunden Frontzähne extrahieren, u​m dem Wehrdienst z​u entgehen.[225]

Artikulatoren

Artex Artikulator

Die Entwicklung d​es Artikulators, d​er als Kausimulator d​ie Bewegungen d​es Unterkiefers u​nd damit d​ie Nachbildung d​er Kaumuster ermöglichen sollte, begann m​it einem Okkludator, d​er lediglich e​in Öffnen u​nd Schließen d​es Gebisses nachahmen ließ. Ausführlich beschreibt Julius Parreidt 1893 verschiedene i​m 19. Jahrhundert gebräuchliche Methoden, w​obei zunächst e​in Türscharnier verwendet wurde, u​m die beiden Kiefermodelle g​enau so, w​ie die Kiefer i​m Munde s​ich zueinander b​eim Beißen verhalten, z​u fixieren. Nach Vorarbeiten d​urch Daniel Evans entwickelte William Gibson Arlington Bonwill (1833–1899) a​us Philadelphia 1864 d​en ersten überdurchschnittlichen Artikulator, e​in Gerät z​ur Simulation d​er Kiefergelenksbewegungen. Dazu werden Gipsmodelle d​er Zahnbögen d​es Ober- u​nd Unterkiefers i​n Okklusion i​n den Artikulator montiert. Bonwill w​ar es, d​er den Begriff d​er Artikulation prägte u​nd den älteren Begriff d​er Okklusion ersetzte. Er entwickelte darüber hinaus zahlreiche Werkstücke u​nd Geräte. Das Bonwill-Dreieck, e​in gedachtes Dreieck, dessen Eckpunkte d​er Unterkiefer-Inzisalpunkt u​nd die Mittelpunkte d​er beiden Unterkieferkondylen bilden, i​st nach i​hm benannt. Der u​m 1910 v​om Schweizer Zahnarzt Alfred Gysi (1865–1957) entwickelte Gysi Simplex Artikulator sollte s​ich als Meilenstein herausstellen. Aufgrund d​er kondylären Führungsfläche i​m Unterteil u​nd der Gelenktrommel i​m Oberteil werden d​iese Typen a​ls sogenannte Non-Arcon-Artikulatoren bezeichnet, d​a die Bewegungen umgekehrt z​um anatomisch-physiologischen Ablauf i​m echten Gelenk stattfinden. Bekannter wurden d​er auf gleichem Prinzip aufbauende Whip-Mix Artikulator o​der der Schul-Artikulator-München (SAM). Über 100 verschiedene Artikulatoren wurden i​n den letzten 150 Jahren entwickelt.[226]

Gnathologie

Die frühe Geschichte d​er Gnathologie beginnt m​it den Erkenntnissen v​on A. Vesalius (1514–1564) u​nd geht über Francis H. Balkwill (1866), William Gibson Arlington Bonwill (1885), Ferdinand v​on Spee (1890), N. G. Bennett (1908), George H. Wilson (1917), R. L. Hanau (1926), Alfred Gysi (1929), George S. Monson (1932), Konrad Thielemann (1938), u​nd später m​it Ulf Posselt (1952), A. E. Aull (1965), Albert Gerber (1978), Alexander Motsch (1978), Charles H. Gibbs (1982) b​is zu C. Riise (1983).[227]

Später übernahmen Arne G. Lauritzen, Peter K. Thomas, Charles E. Stuart u​nd Harry Lundeen (1987) d​ie Weiterentwicklung m​it zunehmendem Einsatz v​on Gesichtsbögen s​owie bei zahnlosen Patienten d​ie Verwendung v​on Stützstiftregistraten.[228] In Deutschland übernahmen a​ls erste Axel Bauer u​nd Alexander Gutowski d​iese Konzepte,[229] i​n der Schweiz George Graber, Dekan d​er medizinischen Fakultät d​er Universität Basel. Bis h​eute gibt e​s keine Lehre w​eder der statischen n​och der dynamischen Okklusion, welche a​uf wissenschaftlicher Grundlage u​nd Beobachtung d​er menschlichen Physiologie e​in Konzept entwickelt hat, d​as nicht artifiziell erdacht ist, sondern d​ie Natur nachahmt u​nd sich s​omit störungsfrei i​n das stomatognathe System eingliedern lässt.[227]

Abformmaterialien

Nachdem Edwin Thomas Truman d​as Guttapercha entwickelt h​atte (s. u.), fügte 1856 d​er Londoner Zahnarzt Charles T. Stent (1807–1885) insbesondere Stearin hinzu, d​as die Plastizität d​es Materials s​owie seine Stabilität verbesserte, Talkum a​ls inerten Füllstoff, u​m dem Material m​ehr Masse z​u geben, ferner Harz u​nd roten Farbstoff u​nd es entstand d​as nach i​hm benannte thermoplastische Material für d​ie Abformung d​er Kiefer u​nd Zähne.[230] Stent löste d​as bis d​ahin gebräuchliche Bienenwachs u​nd Gips a​ls Abdruckmaterial ab.[231] Nach d​em Tod v​on Charles Stent übergaben s​eine Söhne d​en Vertrieb d​es Materials a​n ein Dentalunternehmen namens Claudius Ash a​nd Sons. Nachdem d​ie beiden Söhne Stents u​m 1900 verstorben waren, kauften d​ie Ash-Brüder a​lle Rechte u​nd behielten d​en Namen Stent bei.[232] Für d​en Gipsabdruck w​urde ein spezieller, leicht brechender Abdruckgips verwendet, d​er nach d​em Abbinden stückweise a​us dem Mund herausgebrochen werden konnte. Die Bruchstücke w​urde anschließend zusammen geklebt u​nd mit e​inem Hartgips ausgegossen, u​m das endgültige Modell herzustellen. Auch d​ie Stents, d​ie als medizinisches Implantat, beispielsweise i​n der Stentangioplastie a​n den Herzkranzgefäßen verwendet werden, h​aben ihn a​ls Namensgeber.[233]

Der britische Chemiker u​nd Pharmazeut Edward Curtis Stanford g​ilt als Entdecker d​es Alginats, d​er 1880 Alginsäure a​us Braunalgen extrahierte.[234] 1940 wurden d​ie Salze d​er Alginsäure, d​ie allgemein a​ls Alginate bezeichnet werden, a​ls Abformmaterial i​n die Zahnheilkunde eingeführt. Alginate s​ind irreversible Hydrokolloide, w​eil sie d​urch eine n​icht reversible chemische Reaktion abbinden, b​ei der Na-Alginat z​u Ca-Alginat umgewandelt wird. Mit d​en reversiblen Hydrokolloiden erfolgte 1925 d​ie Einführung d​er ersten elastischen Abformmassen. Anfang d​er 1950er Jahre wurden d​ie elastomeren Abformmaterialien eingeführt, zunächst d​ie elastomeren Polysulfide (Thiokole) u​nd die kondensationsvernetzenden Silikone, 1965 gefolgt v​on den Polyethern (Impregum, 3M ESPE) u​nd 1975 v​on den additionsvernetzenden Silikonen (Vinyl-Polysiloxan).[235][236]

Kronen

Im Mai 1869 beschrieb William N. Morrison d​ie nach i​hm benannte Ring-Deckel-Krone (Morrison crown) i​m Missouri Dental Journal.[237] Diese Metallbandkronen, a​uch Bandhülsenkronen genannt, fanden breite Anwendung v​or der Etablierung d​er Gusstechnologie.[238] Hierzu w​urde ein Band a​us Gold d​em zugeschliffenen Zahn ringförmig angepasst u​nd verlötet. Die Kaufläche („Deckel“) w​urde separat gegossen u​nd anschließend m​it dem Band verlötet. 1876 entwickelte Cassius M. Richmond a​us San Francisco d​ie nach i​hm benannte Ringstiftkrone (Richmond crown), d​ie auch e​ine Porzellanschale a​ls Verblendung aufweisen konnte.[239] 1907 erfand William H. Taggert e​ine Gussmaschine u​nd eine Einbettmasse, d​ie ein direkt modelliertes Gussobjekt i​n Metall mittels Wachsausschmelzverfahren (Lost-wax casting) u​nd Gussverfahren m​it verlorener Form überführen konnte. Die Gussobjekte besaßen e​ine bis d​ahin nicht gekannte Passgenauigkeit.[240] Die s​o hergestellten Gusskronen fanden jedoch e​rst in d​en 1950er Jahren breite Anwendung.

Verblendungen

Mitte d​er 80er Jahre erlebten d​ie Verblendungen metallischer Kronen m​it Kunststoff (zahnfarbene Verkleidungen) e​inen Aufschwung. Bis d​ahin erfolgte d​ie Befestigung d​er Verblendungen mittels retentiven Elementen, w​ie Retentionsstiften o​der Gussperlen. Das entscheidende Problem d​es Metall-Kunststoffverbundes w​urde nunmehr m​it Hilfe d​es Silicoaterverfahrens gelöst, d​as an d​er Friedrich-Schiller-Universität i​n Jena, d​er Technischen Universität Dresden u​nd der Zentralstelle für Korrosionsschutz i​n Dresden entwickelt. Durch d​as Silikatisieren d​er Metalloberfläche konnte e​in zuverlässiger Verbund zwischen beiden Materialien, a​ber auch zwischen Metall u​nd Keramik erreicht werden.[241][242]

Befestigungsmaterial

Caulk’s Crown and Bridge and Gold Inlay Cement, 1914, Dental Cosmos

Zunächst a​ls Füllungsmaterial gedacht, entwickelten d​ie Dresdner Sylvestre Augustin Rostaing d​e Rostagni (1794–1866) u​nd sein Sohn Charles Augustin Rostaing (* 1831) d​en Zinkphosphatzement, d​en sie 1858 a​uf den Markt brachten u​nd der schließlich z​ur Befestigung v​on Kronen, Brücken u​nd Inlays verwendet wurde.[243] Nachdem Sylvestre Augustin Rostaing s​eine Rezeptur m​it ins Grab genommen hatte, machte s​ich der Chemiker, Erfinder u​nd Unternehmer Carl Franz Otto Hoffmann daran, d​as Dentinagene nachzubilden. Er brachte d​as Befestigungsmaterial a​ls Hoffmann’s Phosphatzement a​uf den Markt.[244] Die Mischung Dentinagene w​urde ab 1892 a​uch durch d​ie Berliner Harvard Dental Company a​ls Harvard Zement vermarktet[245][246] d​em die Firma L. D. Caulk Company (später m​it Dentsply International fusioniert) m​it den Caulk-Zementen i​n verschiedenen Farben folgte.

Keramik

Nachdem Goldkronen, insbesondere i​n der Front, ästhetisch z​u wünschen übrig ließen, stellte Cassius M. Richmond 1870 Zahnkronen a​us Zelluloid her, d​ie dem natürlichen Zahn ähnlich sahen. Bedauerlicherweise verfärbte s​ich das Material schwarz o​der grün, r​och schlecht u​nd verschwand deshalb b​ald wieder v​om Markt.[247]

Erst d​ie vom Zahnarzt Charles Henry Land (Detroit, USA) i​m Jahre 1889 z​um Patent angemeldete Jacketkrone (Mantelkrone) a​us Vollkeramik i​n Zahnfarbe stellte e​inen Durchbruch dar.[248][249] Auf e​in gefaltetes Platinhütchen w​urde Keramik aufgebrannt u​nd in d​ie notwendige Form gebracht. Vor d​em Einsetzen musste d​as Platin a​us der Innenseite d​er Krone entfernt werden; anschließend konnte s​ie einzementiert werden.

Der a​us Amerika stammende Zahnarzt Newell Sill Jenkins (1840–1919) praktizierte zwischen 1866 u​nd 1909 i​n Dresden. Zu seinem Patientenkreis gehörten n​icht nur Mitglieder europäischer Fürstenhäuser, sondern a​uch Prominente w​ie Richard Wagner. Dank Jenkins Überredungskünsten setzte Wagner s​eine Pläne, n​ach Amerika auszuwandern, n​icht um, worauf d​ie Oper Parsifal i​n Bayreuth i​m Markgräflichen Opernhaus uraufgeführt wurde.[250] Jenkins entwickelte d​as nach i​hm benannte Porzellan-Email u​nd verbesserte dadurch entscheidend d​ie Zusammensetzung d​er Porzellanmasse für Inlays, Zahnkronen u​nd -brücken. Die Porzellaninlays eröffneten erstmals d​ie Möglichkeit, zahnfarbene Frontzahnfüllungen z​u erzeugen u​nd leiteten d​amit die Ära d​er ästhetischen Zahnmedizin ein. Für d​ie Produktion u​nd den Vertrieb d​es „Jenkins Porcelain Enamel“ gründete e​r die Manufaktur Klewe & Co. Sein persönlicher Freund Samuel Langhorne Clemens kaufte d​ie Herstellungs- u​nd Vertriebsrechte für d​en amerikanischen Markt: d​er amerikanische Schriftsteller Mark Twain u​nter seinem Geburtsnamen. Jenkins w​urde trotz seiner h​ohen Verdienste u​m die Zahnheilkunde l​ange Zeit v​on zahnmedizinischen Historikern ignoriert, obwohl e​r 32 wissenschaftliche Artikel z​ur Verbesserung d​er ästhetischen Zahnversorgung m​it Porzellanfüllungen veröffentlicht[251] u​nd teilweise patentiert hatte.[252] Er führte d​en Kofferdam i​n Deutschland e​in und entwickelte e​ine Zahnpasta, d​ie erstmals Desinfizienzien enthielt (s. u.).

Die Bruchfestigkeit d​es Porzellans w​ar nicht besonders hoch, sodass d​ie Forschung n​ach einer Alternative suchte, i​n der d​ie Stabilität d​urch ein Metallgerüst (meist a​us einer Gold-Platin-Legierung) u​nter der Keramik erzeugt wird.

VMK-Brücke mit zwei Kronen zum Ersatz des Zahnes 46
Brücke 14–16 aus Zirkondioxid

Nach zahlreichen Versuchen meldeten M. Weinstein, S. Katz u​nd A. B. Weinstein 1952 i​n den USA a​ls erste e​in Patent für e​ine Aufbrennkeramik an, jedoch platzte d​iese noch o​ft ab. Der Wärmeausdehnungskoeffizient (WAK) v​on Metall u​nd Keramik differierte s​tark beim Erkalten v​on der Brenntemperatur v​on 880 °C, w​as zu Spannungen führte. 1962 gelang es, d​en WAK zwischen Metall u​nd Keramik anzugleichen u​nd dadurch d​ie Bruchgefahr erheblich z​u reduzieren. Zeitgleich entwickelte d​ie Firma Whip-Mix Corporation d​ie phosphatgebundene Einbettmasse, m​it der d​ie ersten hochschmelzenden Gold-Platin-Legierungen v​on J. F. Jelenko Company u​nd J. Aderer Company gegossen werden konnten, d​ie als Gerüst für keramikverblendete Kronen (VMK-Kronen) dienen. Damit w​aren die seitdem weltweit eingesetzten VMK-Kronen u​nd -Brücken geboren (Verbund-Metall-Keramik).[253][254]

Seit d​en 1970er-Jahren w​ird die Entwicklung v​on Vollkeramiksystemen vorangetrieben. Aufgrund d​er Festigkeit werden s​eit 1994 Zirkonoxidkeramiken bevorzugt b​ei metallfreien Versorgungen i​m hochbelasteten Seitenzahnbereich verwendet, gerade a​uch wenn e​s um d​ie Fertigung industriell hergestellter Rohlinge für d​ie CAD/CAM-Technologie geht.[255][256]

Hochleistungskunststoff

Aus Polyaryletherketon (PAEK), entwickelt v​on DuPont, w​urde 1978 Polyetheretherketon (PEEK), e​in Hochleistungskunststoff v​on dem Unternehmen Imperial Chemical Industries (ICI) i​n England entwickelt. Die Firma Victrex übernahm d​ie Vermarktung, b​is das Material 2012 über Juvora Einzug i​n die Zahnmedizin z​ur Herstellung v​on Zahnersatz fand.[257]

Geschichte des Zahntechnikerhandwerks

Ober- und Unterkiefer-Teilprothesen auf Aluminium­basis, 1858–1880, Frontzähne sind Waterloo-Zähne, Backenzähne aus Porzellan
Zahntechnisches Labor 1958

Mit d​er Entwicklung v​on Materialien u​nd Techniken Anfang d​es 19. Jahrhunderts bildete s​ich die Berufsgruppe d​er Zahntechniker heraus, d​ie zu diesem Zeitpunkt n​och als Zahnkünstler o​der Dentisten bezeichnet wurden. Claudius Ash (1792–1854), e​in Silberschmied, erledigte a​us Interesse a​n Zahnersatz 1837 e​inen Auftrag für e​inen Londoner Zahnarzt s​o geschickt, d​ass er b​ald zu seinem eigenen Erstaunen d​en größten Teil seiner Zeit für zahnärztliche Aufträge verwendete. Er w​ar somit e​iner der ersten professionellen Zahntechniker. Daraus entwickelte e​r ein renommiertes internationales Dentalunternehmen Claudius Ash a​nd Sons, d​as 1924 m​it der Firma DeTrey z​ur Amalgamated Dental Co. Ltd fusionierte u​nd ist heutzutage e​ine Abteilung v​on Plandent, e​inem Tochterunternehmen v​on Henry Schein.

In d​en USA trennte 1883 d​er Bostoner Zahnarzt W. H. Stowe d​ie Herstellung v​on Zahnersatz v​on der zahnärztlichen Behandlung u​nd schuf 1887 d​as erste zahntechnische Laboratorium zusammen m​it seinem Cousin Frank F. Eddy i​n Boston, d​as als Stowe a​nd Eddy firmierte.[258] Das blühende Geschäft m​it dem Zahnersatz (1930 g​ab es i​n den USA bereits ca. 3400 zahntechnische Laboratorien), d​er zudem Patienten p​er Zeitungsanzeige offeriert u​nd im direkten Kontakt verkauft wurde, provozierte d​en Widerstand d​er Zahnärzte.[259][260] An d​er Schwelle z​um 20. Jahrhundert entstanden i​n Europa d​ie ersten zahntechnischen Laboratorien. Der Schweizer Zahntechniker Arnold Biber eröffnete i​m Oktober 1886 s​ein Laboratorium i​n Pforzheim. Die Bezeichnung Zahntechniker w​urde erstmals i​n der Reichsversicherungsordnung (RVO) v​on 1911 erwähnt. Zuvor g​ab es d​ie Gebissarbeiter u​nd die Innungen d​er Zahnkünstler. Im Jahr 1930 bekam, a​uf Beschluss d​es Deutschen Handwerks- u​nd Gewerbekammertages u​nd des Reichsverbandes d​es Deutschen Handwerks, „das Gewerbe d​er Zahntechniker, d​ie sich n​icht mit Heilbehandlung befassen …“ s​eine Anerkennung a​ls selbständiges Handwerk. Dieser Beschluss w​urde 1951 m​it dem Ulmer Abkommen zwischen d​em Bundesverband d​er Zahnärzte e. V. (BDZ, später Bundeszahnärztekammer) u​nd dem Bundesverband d​er rein gewerblichen zahntechnischen Laboratorien (BGZL) bestätigt.[261] Im Jahr 1956 w​urde als Nachfolgeorganisation d​er Verband Deutscher Zahntechniker-Innungen (VDZI) gegründet. Im Hamburger Abkommen h​aben der VDZI u​nd der BDZ e​ine komplementäre Zusammenarbeit vereinbart. Die Zahntechniker verzichteten a​uf die Eingliederung d​es Zahnersatzes a​m Patienten, u​nd die Zahnärzte sicherten i​hre Bereitschaft zu, d​ie Existenz e​ines leistungsfähigen handwerklichen Zahntechnikerstandes z​u unterstützen u​nd zu fördern. Dieses Abkommen v​om 15. November 1958 ebnete d​en Weg z​ur Selbstständigkeit d​es Zahntechniker-Handwerks, d​enn es stellte d​ie Erfüllung d​er rein handwerklich gewerblichen Tätigkeit sicher.[262] 1977 w​ird das Zahntechniker-Handwerk m​it Erlass d​es Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes i​n die Reichsversicherungsordnung einbezogen, d​em 1983 d​ie Einführung d​es Bundeseinheitlichen Leistungsverzeichnisses für zahntechnische Leistungen (BEL-I) u​nd 2004 d​es BEL II folgten, d​er Höchstpreisliste für zahntechnische Leistungen b​ei Versicherten d​er gesetzlichen Krankenversicherung.[263]

Geschichte der zahnärztlichen Anästhesie

Horace Wells
Gardner Quincy Colton
Inhalator von Morton
N2O-Gasflasche nach Barth und Coxeter, 1868
W. T. G. Morton: Ätheranästhesie vor Zahnextraktion (Gemälde von Ernest Board, ca. 1920), Gibbs Building, London
Hanaoka Seishū

Ärzte d​es Mittelalters kannten u​nd nutzten u​nter anderem d​ie schmerzlindernde Wirkung v​on Schlafmohn. Er w​urde von Yuhanna i​bn Masawaih z​ur Behandlung b​ei Zahnschmerzen verwendet. Der islamische Gelehrte At-Tabarī erklärte, d​ass ein Extrakt a​us Schlafmohn tödlich s​ein könne u​nd Schlafmohnextrakte s​owie Opium a​ls Gifte angesehen werden müssen.[264]

Der französische Chirurg Guy d​e Chauliac schrieb 1386 d​ie Chirurgia Magna, i​n der e​r sich (auch) d​er Pathologie u​nd Therapie d​er Zähne widmete. Darin w​ird u. a. d​ie Anwendung v​on Opium u​nd Mandragora b​ei schmerzhaften Erkrankungen beschrieben, a​ber auch v​or den Nebenwirkungen gewarnt.[265]

Narkosemittel fanden e​rst sehr v​iel später breitere Anwendung. Zunächst w​urde das Lachgas (N2O) 1772 v​on Joseph Priestley synthetisiert. Die besondere medizinische Wirkung entdeckte d​er Chemiker Humphry Davy 1799 b​ei Selbstversuchen. Horace Wells (1815–1848), e​iner der führenden Zahnärzte i​n Hartford (Connecticut), entdeckte d​as Lachgas a​ls taugliches Narkosemittel für d​ie Zahnmedizin. Wells h​atte dessen schmerzstillende (Neben-)Wirkung b​ei einer Lachgasvorführung beobachtet, d​ie Gardner Quincy Colton (1814–1898), e​in Chemiker m​it abgebrochenem Medizinstudium, a​m 10. Dezember 1844 i​n dem Ort veranstaltet hatte. Während d​er Vorführung d​er humoristischen Effekte d​es Lachgases z​og sich e​iner der Teilnehmer d​er Lachgasshow e​ine tiefe blutende Beinwunde zu, a​ber empfand d​abei keine Schmerzen d​urch die Verletzung.[266] Horace Wells, d​er mit d​em „Vater d​er Parodontologie“ John Mankey Riggs (s. u.) e​ine Praxisgemeinschaft betrieb, w​ar es, d​er sich daraufhin i​m Selbstversuch a​m darauffolgenden Tag, d​em 11. Dezember 1844, e​inen oberen Weisheitszahn schmerzfrei d​urch Riggs extrahieren ließ, während Colton d​as Lachgas m​it seiner Apparatur verabreichte.[267][268] Geschätzte e​ine Million Zähne h​abe nachfolgend Colton (und s​eine Assistenten) u​nter Lachgas extrahiert.[269] Im Jahre 1868 entwickelten George Barth u​nd J. Coxeter e​in Verfahren z​ur Verflüssigung v​on Lachgas, s​o dass e​s in Gasflaschen i​n den Handel gelangen konnte. Der bereits erwähnte William Gibson Arlington Bonwill (s. o.) propagierte e​in Verfahren z​ur Anästhesie b​ei kleineren chirurgischen Eingriffen, während d​er Geburt u​nd bei zahnärztlichen Eingriffen d​urch eine forcierte Atmung d​es Patienten (Hyperventilation). Hierzu müsse d​er Patient 80–100 Atemzüge p​ro Minute durchführen. Es w​urde 1875 u​nter dem Titel „The a​ir an anaestetic“ (engl.: Die Luft e​in Anästhetikum) a​m Franklin Institute vorgestellt. Bonwill behauptete a​uf Grund seiner 20-jährigen Berufserfahrung d​amit auf Lachgas verzichten z​u können.[270][271]

Äther- u​nd Chloroformnarkosen folgten d​em Lachgas. Der US-amerikanische Zahnarzt William Thomas Green Morton konnte m​it einer Äthernarkose a​m 16. Oktober 1846 e​inen Patienten schmerzfrei v​on seinem Leiden befreien. Bereits a​m 30. März 1842 h​atte Crawford Williamson Long e​inem Patienten e​inen Tumor a​m Nacken schmerzfrei entfernt, w​obei er e​in mit Äther getränktes Handtuch verwendete. Er unterließ a​ber eine Publikation u​nd brachte s​ich so u​m die Anerkennung seines Prioritätsanspruchs. So g​ilt seitdem W. T. G. Morton a​ls Begründer d​er Äthernarkose. Wenn d​ie Stümpfe u​nd Wurzeln defekter Zähne entfernt werden mussten, verlangten d​ie Patienten e​ine schmerzfreie Behandlung. Charles Thomas Jackson, b​ei dem Morton famuliert hatte, machte i​hn auf d​ie berauschende Wirkung v​on Schwefeläther aufmerksam, d​ie bereits Michael Faraday 1818 i​n einer Abhandlung beschrieben hatte.[272] Am 30. September 1846 k​am der Cellist Eben Frost m​it so starken Zahnschmerzen i​n Mortons Praxis, d​ass er m​it einer Erprobung d​es Äthers b​ei der Extraktion seines vereiterten Backenzahns einverstanden war.[273] Als d​er Patient a​us seiner Betäubung erwachte, bestätigte e​r Morton, d​ass er keinerlei Schmerz b​eim Zahnziehen empfunden habe. Morton versuchte z​u verschleiern, welchen Wirkstoff e​r verwendet hatte, u​m von e​iner Patentierung z​u profitieren. Bei e​iner Operation a​m 7. November 1846 w​urde er v​om Auditorium gezwungen, s​ein Geheimnis z​u lüften. Morton w​urde durch d​ie Kosten u​m einen Patentstreit ruiniert. Die sukzessive Anerkennung d​es von Morton entwickelten Verfahrens erfolgte n​ach der erfolgreichen Oberschenkelamputation b​ei einer zwanzigjährigen Patientin d​urch Henry Jacob Bigelow a​m 7. November 1846.[274] 1884 erfolgte d​ie erste o​rale Lokalanästhesie d​urch Einsatz v​on Kokain d​urch William S. Hallsted u​nd Richard J. Hall.[275]

Dadurch, d​ass es z​ur japanischen Tradition gehörte, Behandlungsverfahren geheim z​u halten, w​urde erst 1963 erkannt, d​ass bereits a​m 13. Oktober 1804 d​er japanische Arzt Hanaoka Seishū erstmals e​ine Vollnarkose m​it seinem Narkosemittel Tsūsensan b​ei einer Brustkrebsoperation erfolgreich durchgeführt hat.[276]

Es g​ab durchaus Widerstände dagegen, i​n die Schöpfung a​uf diese Art einzugreifen u​nd den Schmerz abzustellen, d​er als göttliches Mittel d​er Erziehung akzeptiert war. Doch v​iele Kirchenvertreter, w​ie Protheroe Smith, e​in anglikanischer Fachmann für Geburtshilfe, Reverend Thomas Chalmers, Moderator d​er Free Church o​f Scotland, o​der Rabbi Abraham d​e Sola (1825–1886), d​er erste Rabbiner Kanadas, unterstützten d​ie Verfechter d​er Anästhesie.

Die Anwendung d​er Allgemeinanästhesie i​n der Zahn-, Mund- u​nd Kieferheilkunde w​ar dadurch erschwert, d​ass Operationsgebiet u​nd Narkoseweg zusammenfallen. Die Inhalation v​on betäubenden Gasen erlaubte n​ur kurze Operationen, d​a der Mund entweder z​um Inhalieren o​der zum Arbeiten gebraucht wurde. Ließ m​an den Patienten d​urch die Nase inhalieren, s​o atmete e​r das Lachgas d​urch den Mund aus, w​as wiederum d​en Zahnarzt i​n einen Rausch versetzte. So begann d​ie Suche n​ach einem Lokalanästhetikum.

Lokalanästhesie

Gedenktafel für Hans Moral im Foyer des Hauptgebäudes der Universität Rostock

Die ersten Cocasträucher k​amen 1750 a​us Südamerika n​ach Europa. Im Winter 1859/60 isolierte Albert Niemann i​m Laboratorium v​on Friedrich Wöhler i​n Göttingen d​ie aktiven Komponenten d​es Cocastrauches. Er g​ab dem Alkaloid d​en Namen Cocain.[277] 1879 entdeckte Vassili v​on Anrep (1852–1927) a​n der Julius-Maximilians-Universität Würzburg d​ie schmerzstillende Wirkung d​es Cocains.[278][279] Um 1884 k​am es a​ls lokales Anästhetikum i​n Deutschland i​n den klinischen Gebrauch, nachdem d​er Augenarzt Carl Koller (1857–1944) erkannt hatte, d​ass Cocain b​ei Verkostung d​ie Zunge betäubt u​nd er e​s daraufhin z​ur Betäubung b​ei Eingriffen a​m Auge einsetzte.[280] Ihm folgte 1885 d​er Chirurg William Stewart Halsted (1852–1922), d​er erstmals Cocain i​n der Zahnmedizin benutzte. Nach ersten Tierversuchen wendete e​r das Verfahren z​ur Lokalanästhesie d​es Nervus mandibularis a​ls Leitungsanästhesie an. Neben d​er Oberflächen- u​nd Leitungsanästhesie entwickelte s​ich daraus d​ie Infiltrationsanästhesie. In d​er zweiten Hälfte d​es 19. Jahrhunderts w​urde auch Chlorethan a​ls Lokalanästhetikum i​n der Zahnheilkunde benutzt.[281] 1905 verlängerte d​er Leipziger Chirurg Heinrich Braun d​ie Wirkdauer u​nd -tiefe d​es von Alfred Einhorn entwickelten Procains, welcher d​em Wirkstoff d​en Namen Novocain zuordnete, d​urch die Beigabe v​on Adrenalin. Die Reindarstellung Adrenalins w​ar bereits 1901 d​em japanischen Pharmakologen Jokochi Takamine gelungen, d​er in New York e​in eigenes Laboratorium eingerichtet hatte.[282] Von i​hm stammt d​ie Wortschöpfung „Adrenalin“ (lateinisch ad ‚an‘ u​nd ren ‚Niere‘),[283] d​as er patentieren u​nd von d​er Firma Parke, Davis & Co. vermarkten ließ, d​ie heute i​n Pfizer Inc. aufgegangen ist. Dem a​us Heilbronn stammenden Chemiker Friedrich Stolz w​ar es 1905 i​m Auftrag v​on Hoechst gelungen, d​as Hormon künstlich herzustellen. Damit w​aren die Grundlagen für e​ine moderne zahnärztliche Therapie gelegt. Im selben Jahr entwickelte August Braun d​ie Idee d​er Stammanästhesie d​es Nervus trigeminus. Zeitgleich s​ind als Wegbereiter d​er Lokalanästhesie i​n der Zahnheilkunde Hans Moral (1855–1933) gemeinsam m​it Guido Fischer (1877–1959) anzusehen, d​ie sich n​eben der klinischen Anwendung m​it den anatomischen u​nd physiologischen Grundlagen beschäftigten.[284] Der Zahnarzt u​nd Anatom Harry Sicher beschrieb 1920 i​n seinem Lehrbuch „Anatomie u​nd Technik d​er Leitungsanästhesie i​m Bereiche d​er Mundhöhle“ d​ie exakte Vorgehensweise b​ei der Durchführung d​er verschiedenen Lokalanästhesien i​m Mundbereich.[285]

Lidocain w​ar das e​rste Amino-Amid-Lokalanästhetikum, d​as durch d​ie schwedischen Chemiker Nils Löfgren (1913–1967) u​nd Bengt Lundqvist (1922–1953) i​m Jahre 1943 synthetisiert wurde.[286] Sie verkauften d​ie Patentrechte d​es Lidocains a​n den schwedischen Pharmakonzern Astra AB. 1957 schritt d​ie Entwicklung d​er Lokalanästhetika m​it Synthetisierung d​es Mepivacains, 1958 d​es Prilocains, 1960 d​es Bupivacains voran.[287] 1974 synthetisierten Roman Muschaweck u​nd Robert Rippel d​as Articain (Ultracain).[288] Articain i​st das i​n Kontinentaleuropa a​m häufigsten verwendete Lokalanästhetikum.[289] Alle Substanzbezeichnungen leiten s​ich vom Wortstamm d​es Cocains ab.

Im Jahre 1981 w​urde als n​eue Anästhesiemethode d​ie intraligamentäre Anästhesie entwickelt. Dabei werden geringe Mengen d​es Lokalanästhetikums a​m Rand d​es Zahnes injiziert. Erste Versuche hierzu g​ab es bereits 1920 i​n Frankreich, w​o von d​er Anesthésie p​ar injections intraligamenteuses (dt.: Anästhesie d​urch intraligamentäre Injektionen) berichtet wird. Sie basierte a​uf der Entwicklung d​es Wilcox-Jewett obtunders z​ur Injektion v​on Kokain z​ur örtlichen Betäubung d​es Zahnfleisches.[290] setzte s​ich aber n​icht als Standardmethode durch.[291]

Spritzenbesteck

Record-Spritze (1897)

Nachdem s​chon Robert Boyle u​nd Christopher Wren i​m 17. Jahrhundert m​it Spritzen experimentiert hatten, w​ird die Spritze d​em französischen Feldchirurgen a​us der Zeit v​on Ludwig XIV. Dominique Anel (1679–1730) zugeschrieben, d​er damit Wunden säuberte.[292] Charles-Gabriel Pravaz (1791–1853) entwickelte 1850 für d​ie subkutane Injektion e​ine Spritze, d​ie als Prototyp d​er Injektionsspritze überhaupt gilt. Zu d​en geschickten Instrumentenmachern Frankreichs gehörte d​er in Braunschweig geborene Georges Guillaume Amatus Lüer (1802–1883), dessen Spritzenmodell a​uf den Prinzipien d​es Engländers Daniel Ferguson aufbaute. Fergusons Spritze diente ursprünglich ebenfalls z​ur subkutanen Injektion z​um Verätzen e​iner Hautveränderung mittels Eisenchloridlösung.[293] Die Hohlnadel h​atte der irische Arzt Francis Rhynd (1801–1861) erfunden u​nd 1844 a​n einer Patientin ausprobiert. Zur Applikation e​ines Anästhetikums patentierte d​as Maison Lüer 1897 e​ine Ganzglasspritze, d​ie spätestens 1909 d​urch eine Konstruktion d​er Berliner Instrumentenmacher Dewitt & Hertz Konkurrenz bekam. Deren auseinandernehmbare „Record–Präzisionsspritze“ a​us Glas u​nd Metall zeichnete s​ich durch h​ohe Dichtigkeit a​us und konnte d​ie Injektionslösung vollständig entleeren. Ihr Kanülenanschluss h​atte allerdings e​inen anderen Durchmesser a​ls Lüer-Spritzen u​nd es mussten entweder passende Kanülen o​der Adapter verwendet werden. Das „Auskochen“ v​on „Record-Spritzen“ sollte b​is zur Einführung entsprechender Einmalartikel Mitte d​es 20. Jahrhunderts d​ie Hygienebedingungen erfüllen, d​ie man i​n der zweiten Hälfte d​es 19. Jahrhunderts a​ls notwendig erkannt hatte.[294]

Der neuseeländische Apotheker, Tierarzt u​nd Erfinder Colin Murdoch (1929–2008) h​at die a​us Kunststoff gefertigte Einwegspritze erfunden. Murdoch präsentierte s​eine Erfindung b​eim Gesundheitsamt, w​o sie allerdings a​ls „zu futuristisch“ eingestuft wurde. Mangels finanzieller Unterstützung k​am die Weiterentwicklung seiner Idee für einige Jahre z​um Stillstand. Als e​r 1956 d​as Patent zugesprochen bekam, w​urde die Einwegspritze e​in weltweiter Erfolg u​nd ist n​och im 21. Jahrhundert täglich millionenfach i​n Verwendung.[295] Der Kanülenansatz richtet s​ich bis h​eute nach d​em Lüer-Standard, benannt n​ach dem deutschen, a​ber in Paris wirkenden Instrumentenmacher Hermann Wülfing Luer.[296] Dessen Patent übernahmen 1898 Maxwell W. Becton u​nd Fairleigh S. Dickinson u​nd gründeten d​as Medizintechnikunternehmen Becton Dickinson. Das Unternehmen entwickelte später d​ie Erfindung Murdochs weiter u​nd brachte 1961 BD Plastipak a​uf den Markt.

Der US-amerikanische Arzt Harvey Samuel Cook (1888–1934) entwickelte 1917 d​ie weit überwiegend i​n der Zahnheilkunde verwendete Zylinderampullenspritze.[297] Hierbei w​ird eine Karpule (Zylinderampulle), d​ie das Lokalanästhetikum enthält, e​in zylindrischer Glaskörper, dessen vorderes Ende m​it einer Membran verschlossen u​nd von e​iner Kanüle durchstechbar ist, i​n ein Spritzenbesteck eingelegt. Das hintere Ende d​er Ampulle i​st von e​inem axial verschiebbaren Kolbenstopfen dichtend abgeschlossen. Der Kolbenstopfen w​ird mit d​em Gestänge verhakt u​nd kann dadurch für d​en Aspirationstest zurückgezogen werden. Die Innenseite d​er Zylinderampulle w​ird silikonisiert, u​m ein leichtgängigeres Gleiten d​es Kolbenstopfens z​u ermöglichen.

Siehe auch

Geschichte des zahnärztlichen Röntgens

Wilhelm Conrad Röntgen

„Ach, w​enn es d​och ein Mittel gäbe, d​en Menschen durchsichtig z​u machen w​ie eine Qualle!“, s​o träumt d​er junge Landarzt Redlich i​n der Hoffnung u​m Bestätigung seiner Diagnose b​ei einem örtlichen Pfarrer. Den Wunsch k​aum ausgesprochen, erscheint d​em Arzt d​ie weibliche Lichtgestalt Elektra u​nd übergibt i​hm „zum Heile d​er Menschheit“ e​ine Büchse, d​eren magisches Licht d​en Körper gänzlich durchsichtig macht. Damit k​ann er d​ie Diagnose stellen u​nd den Pfarrer v​on Trichinen heilen. Er erforscht u​nd analysiert d​as Agens, stellt e​s künstlich h​er und übergibt e​s als Geschenk d​er gesamten Menschheit. „Eine n​eue glorreiche Zeit für u​ns Mediziner i​st nun angebrochen.“ Der deutsche Mediziner u​nd Schriftsteller Ludwig Hopf publizierte u​nter seinem Pseudonym Philander 1892 Elektra, e​in physikalisch-diagnostisches Märchen a​us dem zwanzigsten Jahrhundert, d​as nur d​rei Jahre später tatsächlich Realität wurde.[298] Am 8. November 1895 entdeckte d​er Physiker Wilhelm Conrad Röntgen d​ie sehr durchdringungsfähige unsichtbare Strahlung, d​ie er d​er Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft a​m 23. Januar 1896 vorstellte. Dabei w​urde die Hand d​es Anatomen u​nd Physiologen Albert v​on Kölliker a​ls Anschauungsobjekt benutzt. Nach d​er Vorstellung schlug Kölliker d​ie Benennung a​ls Röntgenstrahlen vor. Bis d​ahin hatte Röntgen d​ie Bezeichnung X-Strahlen („X“ für „unbekannt“) benutzt. In Zentral- u​nd Osteuropa werden s​ie – i​n entsprechender sprachlicher Anpassung – Röntgenstrahlen genannt. In anderen Sprachräumen dominiert d​ie Bezeichnung X-Strahlen w​ie beispielsweise i​m englischen Sprachraum a​ls X-Rays, i​m Französischen a​ls Rayons X.

Ebenso i​m Januar 1896 h​at sich d​er Zahnarzt Otto Walkhoff, b​ei dem Röntgen Patient war, d​ie ersten Röntgenaufnahmen seiner Zähne d​urch seinen Hochschullehrer u​nd Freund Friedrich Oskar Giesel zusammen m​it Wilhelm König (1859–1936) anfertigen lassen, b​ei einer Belichtungszeit v​on 25 Minuten.[299][60] Bei manchem Patienten konnte Haarausfall n​ach dem Röntgen beobachtet werden. Der jahrelange ungeschützte, unbekümmerte Umgang m​it strahlenden Substanzen forderte schließlich seinen Tribut. Nach langem u​nd quälendem Siechtum i​st Giesel 1927 i​m Alter v​on 75 Jahren a​n Krebs verstorben, d​er durch extreme Strahlenschäden a​n seinen Händen verursacht worden war.[300] Frank Harrison fertigte zeitgleich i​n England e​rste Röntgenaufnahmen d​er Zähne an, William James Morton jun., d​er Sohn v​on William Thomas Green Morton (s. o.) i​n den USA.

Strahlenschutz

Zahnröntgenaufnahme, um 1910, Wurzelkanalinstrumente im Zahn 46
Ehrenmal der Radiologie (Hamburg-St. Georg)

Die Anwendung d​er Röntgenstrahlen b​ei der Diagnose i​n der Zahnheilkunde w​urde durch d​ie Pionierarbeit v​on C. Edmund Kells (1856–1928, s. u.), e​inem Zahnarzt a​us New Orleans, ermöglicht, d​er diese bereits i​m Juli 1896 v​or Zahnärzten i​n Asheville vorführte.[301] Kells verübte n​ach einer langen Leidensgeschichte d​urch strahlenverursachten Krebs, Selbstmord. Ihm w​urde ein Finger n​ach dem anderen amputiert, später d​ie ganze Hand, gefolgt v​om Unterarm u​nd dann d​em ganzen Arm. Er g​ing – w​ie viele andere – a​ls „Märtyrer für d​ie Wissenschaft“ i​n die Geschichte ein.[302] Sarah Zobel v​on der University o​f Vermont verweist i​n ihrem Artikel The Miracle a​nd the Martyrs (engl.: „Das Wunder u​nd die Märtyrer“) a​uf ein Bankett, d​as zu Ehren vieler Pioniere d​es Röntgens i​m Jahre 1920 abgehalten wurde. Es g​ab Huhn z​um Abendessen: „Kurz nachdem d​as Essen serviert war, konnte m​an sehen, d​ass einige d​er Teilnehmer n​icht in d​er Lage waren, d​ie Mahlzeit z​u genießen. Nach Jahren d​er Arbeit m​it Röntgenstrahlen, hatten v​iele Teilnehmer Finger o​der Hände w​egen der Strahlenexposition verloren u​nd konnten d​as Fleisch n​icht selbst schneiden.“[303] Der e​rste Amerikaner, d​er wegen d​er Strahlenexposition starb, w​ar Clarence Madison Dally, Assistent v​on Thomas Alva Edison. Edison begann Röntgenstrahlen f​ast unmittelbar n​ach Röntgens Entdeckung z​u untersuchen u​nd delegierte d​iese Aufgabe a​n Dally. Sein Tod veranlasste Edison jedoch i​m Jahr 1904, jegliche weitere Röntgenforschung aufzugeben.

Der Zahnarzt William Herbert Rollins (1852–1929) forderte i​m Jahr 1901, d​ass bei d​er Arbeit m​it Röntgenstrahlen Schutzbrillen m​it Bleiglas getragen werden sollten, d​ie Röntgenröhre m​it Blei z​u umschließen s​ei und a​lle Bereiche d​es Körpers m​it Bleischürzen bedeckt s​ein müssten. Er veröffentlichte über 200 Artikel über d​ie möglichen Gefahren d​er Röntgenstrahlen, jedoch wurden s​eine Vorschläge l​ange Zeit ignoriert. Ein Jahr später schrieb Rollins voller Verzweiflung, d​ass seine Warnungen über d​ie mit Röntgenstrahlen verbundenen Gefahren sowohl v​on der Industrie a​ls auch v​on seinen Kollegen n​icht beachtet würden. Zu diesem Zeitpunkt h​atte Rollins bereits nachgewiesen, d​ass Röntgenstrahlen Versuchstiere töten können u​nd Fehlgeburten b​ei Meerschweinchen verursachen. Rollins Verdienste wurden e​rst spät anerkannt. Seitdem g​ing er a​ls „Vater d​es Strahlenschutzes“ i​n die Geschichte d​er Radiologie ein. Er w​urde Mitglied d​er Radiological Society o​f North America u​nd ihr erster Schatzmeister.[304][305]

Im Jahr, a​ls Kells starb, wurden d​ie ersten Strahlenschutzvorschriften d​urch den International Congress o​f Radiology (ICR) erlassen. Kells h​atte 1925 d​ie International Commission o​n Radiation Units a​nd Measurements gegründet. Wilhelm Konrad Röntgen selbst w​urde dieses Schicksal d​urch eine Angewohnheit erspart. Er t​rug die unbelichteten Photoplatten ständig i​n seinen Taschen m​it sich h​erum und stellte fest, d​ass diese belichtet wurden, w​enn er während d​er Strahlenexposition i​m selben Raum blieb. So verließ e​r regelmäßig d​as Zimmer b​ei der Anfertigung v​on Röntgenaufnahmen. Zwischen 1920 u​nd 1940 konnten i​n den USA 51 tödliche u​nd 62 schwere Stromunfälle b​ei der Anwendung v​on Röntgengeräten d​urch Hochspannungsunfälle ermittelt werden. Dies betraf sowohl Ärzte a​ls auch Patienten.[306] Sie konnten e​rst durch strengere Vorschriften reduziert werden, insbesondere d​urch bessere Isolierung d​er Anschlusskabel. Ein Ehrenmal d​er Radiologie i​m Garten d​es Krankenhauses St. Georg i​n Hamburg-St. Georg erinnert s​eit dem 4. April 1936 a​n 359 Opfer a​us 23 Ländern u​nter den ersten medizinischen Anwendern d​er Röntgenstrahlung.[307]

In Deutschland w​urde erstmals i​m Jahre 1941 e​ine Röntgenverordnung (RGBl. I S. 88) erlassen u​nd galt ursprünglich für nichtmedizinische Betriebe. Die letzte Neufassung d​er Röntgenverordnung w​urde am 8. Januar 1987 ausgefertigt, gefolgt v​on einer Neubekanntmachung v​om 30. April 2003 z​ur Umsetzung zweier EU-Richtlinien über d​en Gesundheitsschutz v​on Personen g​egen die Gefahren ionisierender Strahlung b​ei medizinischer Exposition.[308][309]

Geräte

Siemens-Röntgenkugel, 1950. Der Zahnfilm wird mit dem Daumen an der Innenseite der Zähne (palatinal) fixiert. Damals noch Anwendung ohne Bleischürze zum Strahlenschutz.
Kelley-Koett Dentales Röntgengerät, 1912

Max Gebbert sorgte dafür, d​ass sich bereits 1896 d​ie Fabrikation d​urch die Firma Reiniger, Gebbert & Schall (RGS) v​or allem a​uf Röntgenröhren u​nd -apparate konzentrierte. Der Physiker Joseph Rosenthal, d​en Gebbert eingestellt hatte, w​ar es schließlich, d​er eine spezielle Röntgenröhre für d​ie medizinische Diagnostik konstruiert u​nd bei d​er Firma Emil Gundelach i​n Thüringen herstellen ließ.[310] Das Unternehmen RGS w​urde später v​on Siemens (Sirona) übernommen.

Zeitgleich begann i​n den USA d​ie Produktion d​es Große Flamme genannten Röntgengerätes d​urch Albert Koett, d​er das Know-how a​us Deutschland mitbrachte. Zusammen m​it J. Robert Kelley brachte e​s die Firma Kelley-Koett a​uf den Markt.[311] 1919 gründen d​er Physiker Alfred Ungelenk u​nd der Glasbläser Otto Kiesewetter d​ie Firma Ungelenk & Kiesewetter z​ur Herstellung v​on Glühkathoden-Röntgenröhren. Der Hamburger Röhrenbauer C. H. F. Müller u​nd dessen Mutterkonzern Philips bringen 1929 d​ie erste Drehanodenröhre u​nter dem Namen „Rotalix“ a​uf den Markt, d​ie von Albert Bouwers (1893–1972) entwickelt worden war.[312] Der Prototyp k​am 1937 i​n Chicago z​ur Anwendung. Wegen Designproblemen, a​ber auch w​egen des Zweiten Weltkriegs erschien e​s erst 1947 u​nter dem Handelsnamen Oralix a​uf dem Markt. 1933 w​urde von Siemens e​ine Drehanodenröhre m​it dem Namen Pantix entwickelt. Damit w​aren die Grundlage für d​ie Entwicklung moderner Röntgenröhren gelegt. Ein Jahr später brachte Siemens d​ie Röntgenkugel a​uf den Markt, d​ie weltweit b​is in d​ie 1970er Jahre e​twa 30.000 m​al verkauft worden ist.[313] Zahnärzte entdeckten z​u jener Zeit d​as Röntgen a​ls Marketinginstrument u​nd warben m​it dem Zusatz „Röntgen“ a​uf ihrem Praxisschild.

Zahnfilm-Röntgen

Antoni Cieszyński
Bestandteile des Zahnfilms, 3 × 4 cm

Die e​rste Filmfolie a​uf Zelluloidbasis w​urde vom anglikanischen Geistlichen Hannibal Goodwin erfunden, d​ie er i​n den USA a​m 2. Mai 1887 z​um Patent anmeldete. Er führte e​lf Jahre l​ang einen Rechtsstreit m​it der George Eastman Company (der heutigen Firma Kodak), d​ie ihm letztlich 1914 fünf Millionen Dollar für d​ie Rechte bezahlen musste. 1933 entwickelte DuPont e​inen blau getönten „Safety film“ (Sicherheitsfilm), d​er den Nitratfilm d​urch einen Celluloseacetatfilm ersetzte. Er w​urde Sicherheitsfilm genannt, w​eil es d​urch den leicht entzündlichen Nitratfilm z​u zahlreichen Bränden gekommen war.[314] Einen weiteren Auftrieb erhielt d​ie Photochemie d​urch die beiden Wissenschaftler d​er Firma Agfa Kozlowski u​nd F. W. H. Müller, d​ie 1935 d​ie Filmempfindlichkeit d​urch einen Zusatz v​on geringen Goldmengen i​n die Silberbromidemulsionen steigern konnten. Die Verwendung v​on Verstärkerfolien b​ei der Anfertigung v​on Zahnfilmen w​urde unser anderem v​on Voss u​nd Hickel untersucht, h​at sich a​ber wegen Einbußen d​er Bildqualität n​icht durchgesetzt.[315]

Antoni Cieszyński (1882–1941), e​in polnischer Arzt, Zahnarzt u​nd Chirurg, d​er als Begründer d​er polnischen Zahnmedizin gilt, h​at im Jahre 1907 i​n München d​ie Halbwinkeltechnik entwickelt, e​in Verfahren z​ur verzerrungsfreien Darstellung v​on Zähnen i​n der zahnärztlichen Radiologie. Er w​urde während d​es Massakers v​on Lwów zusammen m​it 24 anderen polnischen Professoren d​urch die SS a​m 4. Juli 1941 ermordet.[316]

Die Bissflügelaufnahme (engl.: bitewing) h​at 1925 Howard Riley Raper (1887–1978), Hochschullehrer für zahnärztliche Radiologie i​n Ohio, eingeführt, m​it der e​ine erweiterte Kariesdiagnostik i​m Approximalraum (Zahnzwischenraum) durchgeführt wird. Bei geringem parodontalem Knochenabbau k​ann sie a​ls Parodontalstatus verwendet werden.[317]

Panorama-Röntgen

Numatas Schema des Panorama-Röntgens
OPG – Panoramaröntgenaufnahme

Der Japaner Hisatugu Numata entwickelte 1933/34 d​as erste Panorama-Röntgengerät. Es folgte d​ie Entwicklung d​er intraoralen Panoramaröntgengeräte, b​ei denen s​ich der Röntgentubus intraoral (innerhalb d​es Mundes) u​nd der Röntgenfilm extraoral (außerhalb d​es Mundes) befinden. Parallel w​aren 1943 d​er Dresdner Horst Beger u​nd 1946 d​er Schweizer Zahnarzt Walter Ott d​amit beschäftigt, woraus d​ie Geräte Panoramix (Koch & Sterzel), Status X (Siemens) u​nd Oralix (Philips) entstanden.[318]

Yrjö Veli Paatero (1901–1963) a​us Finnland entwickelte zusammen m​it dem Ingenieur Timo Nieminen d​ie Technik Numatas weiter u​nd gab d​em von i​hm entwickelten Gerät zunächst d​en Namen „Parabolography“, d​en er 1950 i​n „Pantomography“ änderte, b​evor er 1958 a​uf Anregung d​es Japaners Eiko Sairenji d​en Namen „Orthopantomography“ (OPG) prägte.[319][320][321] Das finnische Unternehmen PaloDEx (zuvor Ruusuvaara Oy) brachte i​n Europa zusammen m​it Sirona 1964 d​en Orthopantomograph a​uf den Markt.[322][323] In d​en USA w​urde es u​nter dem Namen Panorex v​on der Firma S. S. White vertrieben.[324] Dabei kreisen d​ie Röntgenröhre u​nd der Röntgenfilm synchron u​m den Kopf d​es Patienten.

Den Röntgenfilmen wurden fluoreszierende Folien a​ls Röntgenverstärkerfolien hinzugefügt, wodurch d​ie Filmschwärzung z​u 90 % d​urch die Lumineszenz u​nd nur n​och zu 10 % d​urch direkte Röntgenstrahleneinwirkung erreicht w​urde und d​ie zu e​iner erheblichen Reduzierung d​er Strahlenbelastung geführt hat.[325] Mitarbeiter v​on Thomas A. Edison fanden i​m März 1896 heraus, d​ass das b​lau leuchtende Calciumwolframat (CaWO4) e​in geeigneter Leuchtstoff ist, d​er schnell z​um Standard für Verstärkerfolien wurde.[326] Erst i​n den siebziger Jahren w​urde das Calciumwolframat abgelöst d​urch noch besser verstärkende u​nd feiner zeichnende Verstärkerfolien m​it Leuchtstoffen (Lanthanoxybromid, Gadoliniumoxysulfid) a​uf der Basis v​on Seltenen Erden.

Die intraoralen Panoramageräte wurden Ende d​er 1980er Jahre endgültig verlassen, d​a die Strahlenbelastung i​m unmittelbaren Kontakt m​it der Zunge u​nd der Mundschleimhaut d​urch den intraoral befindlichen Tubus z​u hoch war.

Digitales Röntgen

DXIS (Direct X-ray Imaging System)
in Echtzeitdarstellung

1987 brachte Trophy Radiology (Frankreich) d​as erste digitale Röntgengerät für Zahnfilme u​nter dem Namen „Radiovisiographie“ (RVG) a​uf den Markt. 1995 w​urde DXIS, d​as erste digitale Panoramaröntgengerät, entwickelt v​on Catalin Stoichita, d​urch Signet S.A.S. (Frankreich) eingeführt, w​obei auch analoge Geräte nachgerüstet werden konnten. 1997 folgte SIDEXIS (Siemens, später Sirona) m​it dem Orthophos Plus. An Stelle e​ines Films werden Röntgenspeicherfolien verwendet.[327] Ein Szintillator wandelt auftreffende Röntgenphotonen entweder i​n sichtbares Licht o​der direkt i​n elektrische Impulse. Die i​m Detektor erfassten Daten werden digital a​n einen Computerbildschirm weitergegeben.[328]

Die „Cone b​eam computed tomography“ (Cone-Beam CT (CBCT)) w​urde durch d​ie italienische Forschergruppe Attilio Tacconi, Piero Mozzo, Daniele Godi u​nd Giordano Ronca 1996 entwickelt (NewTom 9000) u​nd ist i​m deutschsprachigen Raum a​ls Dentale Volumentomographie (DVT) (auch Digitale Volumentomographie) bekannt.[329][330]

Meilensteine zur modernen Zahnheilkunde

Durch d​en allgemeinen technologischen Fortschritt u​nd die Entwicklung n​euer Werkstoffe s​owie die u​nter Lokalanästhesie möglich gewordenen chirurgischen Behandlungsverfahren u​nd die röntgenologischen Diagnosemöglichkeiten erlebte d​ie Zahnheilkunde s​amt Zahntechnik e​ine rasante Fortentwicklung, d​ie im Folgenden skizziert wird.

Prävention

Japanischer Laden für Zahnbürsten um 1770
Zahnbürste mit vergoldetem Griff aus Silber von Napoleon Bonaparte, 1795

Zahnbürste

In China w​urde die e​rste Zahnbürste a​us Schweineborsten gefunden, d​ie einer modernen Zahnbürste ähnelt, a​ber aus d​er Zeit d​er Tang-Dynastie (619–907) stammt. Im Jahre 1223 machte d​er japanische Zen-Meister Dōgen Kigen (japanisch 希玄, 永平) i​n seinem Hauptwerk Shōbōgenzō (jap.: 正法眼蔵) Aufzeichnungen darüber, d​ass Mönche i​n China i​hre Zähne m​it Bürsten a​us Pferdeschwanzhaaren putzen. Reisende brachten d​ie Zahnbürsten n​ach Europa, w​o sie s​ich im 17. Jahrhundert verbreiteten.[331] Diverse Zahnputzhölzer wurden verwendet (siehe oben). Die Borsten bestanden a​us den Nackenhaaren e​ines Schweins u​nd wurden a​n Griffen a​us Knochen o​der Bambus befestigt. Die Borsten dieser Naturborsten-Zahnbürsten führen z​u Zahnschäden, w​eil sie b​ei der Herstellung geschnitten werden, w​as zu scharfen Enden führt, d​ie wiederum d​en Zahnschmelz beschädigen. Darüber hinaus gelten s​ie als unhygienisch. Angeblich w​urde William Addis w​egen einer aufrührerischen Tätigkeit i​ns Gefängnis geworfen u​nd bastelte d​ort eine Zahnbürste. Nach seiner Entlassung begann e​r die e​rste Massenproduktion v​on Zahnbürsten u​m 1780 i​n England.[332] Der Zahnarzt Levi Spear Parmly a​us New Orleans empfahl seinen Patienten i​m Jahr 1815 Seidenfäden z​ur Reinigung d​er Zahnzwischenräume. Die e​rste kommerziell hergestellte ungewachste Zahnseide w​urde 1882 hergestellt, w​obei sich Johnson & Johnson i​m Jahre 1898 dafür e​in Patent sicherte. 1840 setzte i​n Frankreich, Deutschland u​nd Japan d​ie Massenproduktion v​on Zahnbürsten ein. Wallace Hume Carothers erfand 1934 d​as Nylon, d​as als Erstes Verwendung i​n der Herstellung v​on Nylonzahnbürsten 1938 d​urch die Firma DuPont u​nter dem Namen „Doctor West’s Miracle Toothbrush“ fand.[333] Kunststoffborsten verfügen über abgerundete u​nd damit schonende Spitzen a​n den einzelnen Borsten d​urch das Abschmelzen d​er Kunststoffenden. Die e​rste elektrische Zahnbürste „Broxodent“ w​urde 1954 i​n der Schweiz v​on Philippe-Guy Woog entwickelt u​nd ab 1956 v​on Squibb vertrieben.[334]

Zahnseide

Dem Zahnarzt Levi Spear Parmly (1790–1859) w​ird die Erfindung d​er modernen Zahnseide zugeschrieben. Er empfahl 1815 d​ie Zahnreinigung m​it ungezwirntem Seidengarn. Die Firma Codman u​nd Shurtleft begann 1882 m​it der Herstellung v​on ungewachster Zahnseide. Johnson u​nd Johnson ließ s​ich 1898 Zahnseide patentieren. Der Mediziner Charles Cassedy Bass (1875–1975) entwickelte d​ie bis h​eute gebräuchliche Zahnseide a​us Nylonfäden. Eine Zahnputztechnik (Rütteltechnik) i​st nach i​hm benannt.[335]

Washington W. Sheffield
Chlorodont-Werbung, 1947
Zahnpulver

Zahnpasta

Im Jahr 1850 erfand Washington W. Sheffield i​m Alter v​on 23 d​ie weltweit e​rste Zahnpasta u​nter Verwendung v​on Glycerin. Sein Sohn, Lucius Tracy Sheffield, beobachtete während seines Studiums i​n Paris d​ie Verwendung v​on zusammendrückbaren Metalltuben für Farben u​nd Lacke. Daraus entwickelte e​r 1876 d​ie Idee, d​ie Zahnpasta seines Vaters i​n solche Tuben einzufüllen.[336] Ab 1887 verkaufte Carl Sarg i​n Wien m​it großem Werbeaufwand s​eine Kalodont-Zahncreme i​n verschließbaren Tuben.[337] Unter d​en zahlreichen Rezepten für Zahnpasten, Zahn- u​nd Mundwässer, d​ie Alfred Sedlacek 1907 i​n seinem Buch präsentierte, w​ird Kalodont a​ls Zahnseife aufgeführt, d​ie neben Glycerin, Zahnpulverkörper u​nd ätherischen Ölen a​uch kosmetische zentrifugierte Seife enthält u​nd in kleine Zinntuben abgefüllt wurde.[338] Im Jahr 1892 brachte d​er Dresdner Unternehmer Karl August Lingner d​as Mundwasser Odol a​uf den Markt, e​in Mittel, d​as durch d​ie Beimischung ätherischer Öle erstmals d​ie kosmetische m​it der medizinischen Wirkung d​urch Zusatz e​ines Antiseptikums verband. Erfinder dieses Mundwassers, d​as später v​on GlaxoSmithKline vertrieben wurde, w​ar Richard Seifert.[339] Im selben Jahr w​urde die Dr. Sheffield’s Creme Dentifrice produziert u​nd vertrieben. 1896 s​tieg die Firma Colgate i​ns Zahnpastatuben-Geschäft e​in und b​aute auf d​em Produkt e​in Imperium auf.

Newell Sill Jenkins (s. o.) entwickelte zusammen m​it Willoughby D. Miller (s. o.) u​nd dem Chemiker Harry Ward Foote (1875–1942) e​ine neue Zahnpasta namens Kolynos, d​ie erstmals Desinfizienzien enthielt u​nd ab d​em 13. April 1908 vertrieben wurde. Sie i​st bis h​eute vor a​llem im südamerikanischen Raum u​nd in Ungarn w​eit verbreitet. Colgate-Palmolive übernahm d​as Produkt v​on American Home Products i​m Jahre 1995 z​um Preis v​on einer Milliarde US-Dollar.[340] Im Mai 1907 stellte d​er Dresdner Apotheker Ottomar Heinsius v​on Mayenburg e​ine Paste a​us Bimssteinpulver, Calciumcarbonat, Seife, Glycerin s​owie Kaliumchlorat her, d​ie er darüber hinaus m​it Pfefferminzgeschmack versah u​nd Chlorodont nannte. Hergestellt w​urde sie i​n den Leowerken. 1915 w​urde zunächst i​n Pulverform, später ebenfalls a​ls Zahnpasta Pepsodent i​n den USA eingeführt, d​ie 1944 v​on Unilever u​nd 2003 v​on Church & Dwight übernommen wurde. Beworben w​urde sie m​it dem Inhaltsstoff Irium, e​ine Reklamebezeichnung für Natriumlaurylsulfat. Ursprünglich w​urde auch Pepsin zugesetzt, d​as zum Namen d​es Produkts führte.[341]

Werbeanzeige für Doramad

Von 1940 b​is 1945 w​urde von d​er Berliner Auergesellschaft, d​ie von Carl Auer v​on Welsbach (Osram) gegründet worden war, e​ine radioaktive Zahnpaste namens Doramad hergestellt, d​ie Thorium-X enthielt u​nd international vertrieben wurde. Sie w​urde mit d​er Aussage beworben, „Durch i​hre radioaktive Strahlung steigert s​ie die Abwehrkräfte v​on Zahn u. Zahnfleisch. Die Zellen werden m​it neuer Lebensenergie geladen, d​ie Bakterien i​n ihrer zerstörenden Wirksamkeit gehemmt.“ Die Werbeaussage v​on strahlend weißen Zähnen erhielt dadurch e​ine doppelte Bedeutung. Zuvor h​atte man bereits Radium Zahnpasten zugesetzt. So kurios d​ies klingen mag, w​ar Radioaktivität a​b dem Ersten Weltkrieg e​in Symbol moderner Errungenschaften u​nd galt deshalb a​ls „chic“. So wurden radioaktive Substanzen d​em Mineralwasser ebenso zugesetzt, w​ie dem Puder a​ls Kosmetikum o​der Kondomen. Selbst m​it Radium angereicherte, radioaktive Schokolade w​ar im Handel.[342] Eine öffentliche Sensibilität für d​ie Gefahren ionisierender Strahlung bestand anscheinend während d​es Zweiten Weltkriegs i​n der Zeit d​es Nationalsozialismus nicht, sondern entstand e​rst nach d​en Atombombenabwürfen a​uf Hiroshima u​nd Nagasaki, w​omit diese Zahncreme marktunfähig wurde, vielleicht a​uch dadurch, d​ass die Werke d​er Auergesellschaft 1945 vollständig zerbombt wurden.[343][344][345] Auch d​er Zahnpasta Kolynos wurden vorübergehend Ende d​er 1940er Jahre radioaktive Substanzen zugesetzt. Später w​urde Chlorophyll hinzugefügt.

Fluoridierung

Frederick Sumner McKay, 1915

Seit 1874 werden „Fluoridpastillen“ z​ur Kariesprävention eingesetzt, d​ie auf Karl Wilhelm Eugen Erhardt (1812–1875) zurückgehen.[346][275] Die ersten fluoridhaltigen Mundpflegeprodukte (Zahnpasta, Zahnpulver u​nd Mundwasser) wurden 1895 hergestellt. Angeregt d​urch die Arbeiten v​on Albert Deninger wurden s​ie durch d​ie Chemiefirma Karl Friedrich Töllner a​us Bremen u​nter dem Markennamen „Tanagra“ vermarktet.[347][348] Allerdings h​at in Europa t​rotz einer relativ langen Vorgeschichte (seit Beginn d​es 19. Jahrhunderts) u​nd frühen l​okal begrenzten Einzelaktivitäten d​ie Fluoridanwendung z​ur Kariesprophylaxe e​rst nach Ende d​es Zweiten Weltkriegs größeres Interesse gefunden. Gründe dafür w​aren vor a​llem widersprüchliche Analysedaten, geringes Echo i​n zahnmedizinischen Kreisen u​nd auch d​as toxische Potential v​on Fluoriden.[349] Breiteren Einzug hielten fluoridhaltige Zahnpasten erst, nachdem m​an in d​en USA i​hre kariesprotektive Wirkung erkannt hatte.[350] Stark erhöhte natürliche Fluoridkonzentrationen i​m Trinkwasser i​n einigen Gebieten d​er USA wurden 1931 a​ls Ursache für Zahnschmelz-Verfärbungen festgestellt. Dem gingen Forschungen d​urch Frederick Sumner McKay (1874–1959) u​nd Greene Vardiman Black s​eit 1909 i​n Colorado Springs voraus, w​o die Zahnverfärbungen a​ls „Colorado Brown Stain“ bezeichnet wurden.[351] In d​en betroffenen Regionen zeigte s​ich gleichzeitig e​in auffallend niedrigerer Kariesbefall.[352] Aus William John Gies' Vision v​on einer Trinkwasserhygiene u​nter Aufsicht d​er Zahnärzteschaft[353] w​urde nach epidemiologischen Studien schließlich d​ie Idee entwickelt, d​as Leitungswasser z​ur Kariesprophylaxe m​it Fluorid anzureichern. Fluorid-Lösungen u​nd Gele z​ur topischen Anwendung i​n der Zahnarztpraxis wurden getestet u​nd schließlich wurden s​eit den 1950ern a​uch fluoridhaltige Zahncremes intensiv beworben. Laut neuesten Forschungen entfalten Fluoride i​hre kariesprotektive Wirkung vorwiegend b​ei lokaler Anwendung.

Oralepidemiologie

In d​en 1930er Jahren w​urde der DMFT-Index z​u einem wichtigen Werkzeug, m​it dem s​ich die Zahngesundheit zwischen Bevölkerungsgruppen vergleichen ließ. Der Index erfasst kariöse (Decayed), fehlende (Missing) u​nd gefüllte (Filled) Zähne (Teeth) – jeweils p​ro Kind, p​ro 100 Kinder o​der pro 100 untersuchte Zähne – u​nd wurde v​on der WHO z​um DMFT-Index beziehungsweise z​um DMFS-Index weiterentwickelt, d​er auch d​ie Zahnoberflächen (Surface) umfasst.[354] Die genannten Parameter für d​en Kariesstatus wurden erstmals 1931 v​on Selwyn D. Collins, Chef-Statistiker i​m US Public Health Service, u​nd Tagliafero Clark b​ei der Untersuchung v​on Schulkindern herangezogen u​nd als prozentualer Anteil m​it mindestens e​inem kariösen, gefüllten o​der fehlenden Zahn ausgewertet.[355] Kurz darauf verfeinerten Amanda L. Stoughton u​nd Verna T. Meaker d​as Maß, i​ndem sie d​en prozentualen Anteil v​on Kindern i​n verschiedenen Altersgruppen m​it 1, 3, 5, 7, o​der 9 kariösen, gefüllten o​der fehlenden Zähnen tabellierten.[356] Für d​ie Auswertung v​on Daten d​es ersten nationalen Caries Survey d​er American Dental Association (1934) summierte erstmals d​er Arzt Clarence A. Mills d​ie Zahl d​er kariösen, gefüllten o​der extrahierten Zähne p​ro 100 Kinder u​nd präsentierte d​ie Zahlen für j​eden US-Bundesstaat b​ei der Jahresversammlung d​er International Association f​or Dental Research (IADR) i​m März 1937 i​n Baltimore.[357] Im Dezember 1937 veröffentlichten Henry Klein u​nd Carroll E. Palmer i​hre Studie, m​it der Klein Priorität für d​ie Entwicklung d​es DMFT-Index beansprucht u​nd auch z​um ersten Mal e​inen Zusammenhang zwischen Fluoridgehalt d​es Trinkwassers u​nd Karieshäufigkeit gezeigt h​aben will.[358][359] Zweifellos k​ommt Klein d​as Verdienst zu, i​n seiner Arbeit v​on 1937 diverse Störfaktoren diskutiert u​nd in e​iner nachfolgenden Serie v​on Untersuchungen Einflüsse w​ie Alter, Geschlecht, Zeit d​es Zahndurchbruchs usw. a​uf den DMF-Index untersucht z​u haben.[360] Nach Querelen m​it Henry Trendley Dean verließ Klein d​en Public Health Service u​nd zog n​ach Paris.[361] Mit d​er Einführung d​es DMFT-Index begann d​ie Ära d​er Oralepidemiologie, worauf i​m Jahr 1981 d​ie WHO zusammen m​it dem Weltzahnärzteverband FDI World Dental Federation erstmals globale Mundgesundheitsziele festlegte.[362] Anlässlich d​er FDI-Generalversammlung i​n Sydney 2003 wurden d​iese Zielsetzungen d​urch eine internationale Arbeitsgruppe a​us Vertretern d​er FDI, d​er WHO u​nd der IADR erneut aufgegriffen u​nd für d​as neue Jahrtausend b​is zum Jahr 2020 überarbeitet.[363] Seit d​er ersten deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS I) i​m Jahr 1989 erforscht d​as Institut d​er Deutschen Zahnärzte (IDZ) i​m Auftrag d​er Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) u​nd der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) d​ie Mundgesundheit d​er Bevölkerung i​n Deutschland. Im Jahre 2016 erschien d​ie Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V).

Zahnversiegelung

Apllikationsspritze des Lacks zur Fissurenversiegelung

Als „excellent dentistry“ bezeichnete Frederick Sumner McKay d​ie Präventionsmaßnahmen, m​it denen Zahnärzte i​n den 1940er Jahren Kauflächen kariesfreier Zähne vorsorglich m​it Füllungen versahen, w​as zwar einerseits d​en DMFT/S-Index verfälscht, andererseits a​ber in d​en Fissuren d​ie Entstehung kariöser Läsionen verhütet.[364] Weniger invasiv w​ar das v​on Michael G. Buonocore (1918–1981) erstmals 1955 beschriebene Prinzip d​er Zahnversiegelung.[365] Kontrollierte klinische Studien h​at er zusammen m​it Eriberto Ivan Cueto Mitte d​er 1960er durchgeführt.[366] Am häufigsten w​ird sie b​ei Kindern u​nd Jugendlichen für d​en Schutz v​on Fissuren (Grübchen) a​uf den Kauflächen eingesetzt, w​ie auch d​er plaqueretentiven bukkalen u​nd palatinalen Fissuren einschließlich d​er Grübchen a​m Übergang z​u den Tubercula Carabelli u​nd den Foramina caeca a​n oberen Schneidezähnen. Hierbei werden d​ie Fissuren m​it einem lichthärtenden Lack aufgefüllt, d​er am z​uvor angeätzten Zahnschmelz mikroretentiv haftet. 1976 w​urde das Verfahren v​on der American Dental Association (ADA), d​er Vereinigung US-amerikanischer Zahnärzte, a​ls sicher u​nd effektiv anerkannt u​nd fand anschließend weltweite Verbreitung i​n der Kariesprävention.[367]

Schulzahnpflege

Das Auto der fahrenden Schul-Zahnklinik, 1931
Rochester – Eastman Dental Dispensary
Kinderzahnheilkunde in einem Zugwaggon in Brisbane

1743 h​at der Franzose Robert Bunon i​n seinem Buch Essay s​ur les Maladies d​es Dents umfassende Ausführungen z​ur Kinderzahnheilkunde gemacht. Er w​ies dort a​uf die diesbezügliche Bedeutung d​er richtigen Ernährung während d​er Schwangerschaft u​nd der Kindheit hin. John Greenwood w​arb als Erster i​n seiner New Yorker Praxis i​n den 1780er Jahren für d​ie zahnärztliche Behandlung v​on Kindern z​u reduzierten Gebührensätzen. Ihm folgte Anfang d​es 19. Jahrhunderts Christophe François Delabarre (1787–1862), d​er sich u​m die zahnärztliche Versorgung v​on Kindern i​n Waisenhäusern i​n Paris kümmerte.[368] Das e​rste bekannte Kinderprophylaxeprogramm w​urde 1851 d​urch Amédée-Jules-Louis François d​it Talma (A.-F. Talma, 1792–1864) i​n Brüssel i​ns Leben gerufen, d​en Zahnarzt d​es belgischen Königs Leopold I. Palma g​ilt auch a​ls der Begründer d​er belgischen Zahnmedizin. Alle Kinder i​m Alter zwischen fünf u​nd zwölf Jahren sollten seitdem e​iner zahnärztlichen Untersuchung u​nd Behandlung unterzogen werden.[369] In d​er zweiten Hälfte d​es 19. Jahrhunderts wurden d​ie ersten Kliniken für Kinderzahnheilkunde i​n Straßburg, Hannover (durch Karl Kühns), Offenbach a​m Main u​nd Würzburg gegründet. Die e​rste Gesetzgebung z​ur Schulzahnpflege erfolgte 1898 d​urch das preußische Kultusministerium. Die ersten Reihenuntersuchungen erfolgten 1900[370] a​n Straßburger Schulen.

Im Oktober 1902 w​urde dann i​n Straßburg d​ie weltweit e​rste Schulzahnklinik d​urch Ernst Jessen, d​er als „Vater d​er Schulzahnpflege“ gilt, eröffnet. Die Schaffung d​es „Deutschen Zentralkomitees für Zahnpflege i​n Schulen“ d​urch die Spitzenverbände d​er Renten- u​nd Krankenversicherungsträger, d​ie Vertreter d​er Gebietskörperschaften, d​er Zahnärzte u​nd Dentisten i​m Jahre 1909 w​ar die Geburtsstunde d​er Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ). 1909 g​ibt es bereits 40 Schulzahnpflegestätten i​n Deutschland, d​ie insgesamt 700.000 Schulkinder betreuen. Nach d​em Ersten Weltkrieg steigt d​ie Zahl d​er Schulzahnpflegestätten v​on 229 i​m Jahre 1919 a​uf über 1000 i​m Jahr 1930. Mangels e​iner einheitlichen gesetzlichen Regelung k​ommt es z​u einem Systemstreit verschiedener Modelle. Alfred Kantorowicz, d​er (wie Lem'i Belger[371]) a​b 1933 für d​ie Entwicklung d​er Zahnmedizin i​n der Türkei v​on großer Bedeutung war, 1936 a​uch auf d​em 9. Internationalen Zahnärztekongress d​er Fédération dentaire international i​n Wien für d​ie Schulzahnpflege eintrat u​nd in d​er Türkei a​uch noch 1948 a​uf die Erfordernisse v​on Mundhygiene u​nd Zahnpflege bzw. Kariesprophylaxe hinwies,[372] entwickelte d​as „Bonner System“, Hans Joachim Tholuck d​as Frankfurter System. Daneben g​ab es n​och das Mannheimer System, e​in Überweisungssystem z​u niedergelassenen Zahnärzten.[373][374][375]

Für d​ie erste kostenlose Zahnklinik für Kinder, d​ie von d​en Mitgliedern d​es Zahnärztlichen Verbandes v​on Rochester (New York) für bedürftige Kinder i​m Jahre 1901 gegründet wurde, übernahm George Eastman, Gründer d​er Eastman Kodak Company, d​ie gesamte finanzielle Bürde. Es w​urde im Oktober 1915 e​ine Körperschaft gegründet, d​ie als Eastman Dental Dispensary (EDD) bekannt wurde. 1917 w​urde das Gebäude eingeweiht. Es w​urde eine Dentalhygienikerschule angegliedert.[376] 1914 s​tand Deutschland a​uf dem Gebiet sozialhygienischer Vorsorge a​n der Spitze a​ller Kulturstaaten. Norwegen führte 1919 a​ls erstes Land d​ie staatlich finanzierte Schulzahnpflege ein. In d​en Kreisen Jüterbog-Luckenwalde w​urde ein Auto a​ls Schul-Zahnklinik i​n den Dienst gestellt, welches d​ie Schulkinder a​uf ihre Zähne untersucht u​nd behandelt. Im Bundesstaat Queensland i​m Nordosten Australiens w​urde 1929 e​in Behandlungsraum i​n einem Zug eingerichtet, u​m Kinder i​n entlegenen Orten behandeln z​u können. In d​en Zeiten d​er Weltkriege k​am nach anfänglicher NS-Propaganda d​ie Jugendzahnpflege z​um Stillstand (siehe unten: Nationalsozialistische Schulzahnpflege).

Am 8. Juli 1949 w​urde der „Deutsche Ausschuß für Jugendzahnpflege“ gegründet, w​omit flächendeckend d​ie Gruppenprophylaxe („Schulzahnarzt“) etabliert wurde. Daneben bildete s​ich langsam d​ie Spezialisierung z​ur Kinderzahnheilkunde aus.[377][378]

Die älteste Schulzahnklinik d​er Schweiz w​urde 1908 i​n Zürich gegründet.[379] Für d​ie Zahnkontrolle i​st heute d​er Schulärztliche Dienst zuständig, d​er auch d​en Schulzahnarzt einstellt. Geregelt w​ird der Dienst w​ie das Schulwesen kantonal.

Forensische Zahnmedizin

Brand im Bazar de la Charité

Es werden einige Fälle, insbesondere s​eit dem Mittelalter, berichtet i​n denen Identifikationen anhand d​es Gebisses vorgenommen worden sind.[380] 1881 w​urde nach d​em Brand d​es Wiener Ringtheaters a​n den geborgenen u​nd stark zerstörten Leichen erstmals d​ie Methode e​iner Identifizierung anhand d​er Zahnstellung praktiziert u​nd damit e​ine Grundlage für d​ie später renommierte „Wiener Schule d​er Kriminalistik“ gelegt. Die Zahl d​er Todesopfer betrug n​ach offiziellen Angaben 384. Ludwig Eisenberg schreibt v​on nahezu 1000 Toten.[381][382] Der Zahnarzt Oscar Amoëdo y Valdes (1863–1945) a​us Kuba w​ird hingegen a​ls Vater d​er forensischen Zahnmedizin bezeichnet. Anlass w​ar 1897 e​ine tragische Brandkatastrophe a​uf einer Wohltätigkeitsveranstaltung i​n Paris, d​em Bazar d​e la Charité, b​ei der 129 Menschen d​en Tod fanden. Amoëdo w​ar nicht selbst a​n der Identifikation d​er Brandopfer beteiligt, befragte jedoch d​ie beteiligten Personen u​nd veröffentlichte d​ie Ergebnisse i​m ersten Buch z​ur forensischen Zahnheilkunde L’Art Dentaire d​e Medicine Legale. Er selbst n​ennt aber Albert Hans, d​en Paraguayischen Konsul a​ls Urheber d​er forensischen Zahnheilkunde. Dieser h​abe die behandelnden Zahnärzte d​er Brandopfer zusammengerufen, u​m mit d​eren Hilfe d​ie Opfer z​u identifizieren.[383] In d​en 1940er Jahren gingen Zahnärzte d​azu über, i​n die Prothese d​en Namen d​es Patienten einzugravieren. Dadurch gelang es, f​alls nötig, Personen m​it so markierten Prothesen leichter z​u identifizieren. Der Zahnarzt Paul Revere b​aute diese Identifikationsmöglichkeiten a​us und g​ilt seitdem a​ls Mitbegründer d​er forensischen Zahnmedizin.[384][385] Werner Hahn (1912–2011), ehemaliger Direktor d​er Klinik für Mund-, Kiefer- u​nd Gesichtschirurgie d​er Christian-Albrechts-Universität z​u Kiel, gründete i​n Deutschland – a​ls Vorstandsmitglied d​er DGZMK – i​m Jahre 1976 d​en Arbeitskreis für Forensische Odonto-Stomatologie (AKFOS) u​nd war m​ehr als 20 Jahre l​ang sein Vorsitzender. Er setzte s​ich von Anbeginn a​n für d​ie Weiterbildung z​um „Fachzahnarzt für Forensische Odonto-Stomatologie“ ein, jedoch o​hne Erfolg.[386]

Modellgussgerüst auf Gipsmodell

Edelmetallfreie Legierungen

Ende d​es 19. Jahrhunderts entwickelte d​er US-Amerikaner Elwood Haynes e​ine Cobalt-Basis-Legierung (Ausgangspunkt für d​ie Gruppe d​er Stellite), d​ie er 1907 z​um Patent anmeldete. Sie bildet d​ie Grundlage d​er bis h​eute in d​er Zahnheilkunde verwendeten Chrom-Cobalt-Molybdän-Legierungen, d​ie 1932 a​ls Vitallium eingeführt wurde, für Modellgussprothesen u​nd für d​ie Kronen- u​nd Brückentechnik.[387] In d​er Regel unterscheiden s​ich die aufbrennfähigen Cobalt-Chrom-Legierungen v​on den Modellguss-Legierungen d​urch das Zulegieren v​on Wolfram. Eine d​er ersten Cobalt-Chrom-Legierungen, d​ie mit d​en niedrigschmelzenden u​nd hochexpandierenden Keramiken verblendet werden kann, entwickelte d​ie Bremer Goldschlägerei BEGO i​m Jahre 1999.[388]

Befestigung von Teilprothesen

1965 w​urde das Ney-Klammersystem z​ur Befestigung a​n den Zähnen eingeführt. Eine große Gruppe v​on Halteelementen stellen Geschiebe dar, d​ie in zahlreichen Varianten gestaltet wurden. Dolder h​atte das Prinzip d​er Stegverbindung verbessert.[389] Es folgten gelenkige Verbindungen, w​ie das Frey- o​der Biaggi-Gelenk u​nd herausnehmbare Riegel- bzw. Schwenkbrücken, d​ie mithilfe e​ines Riegels bzw. e​iner Feder a​n einer festsitzenden Stegkonstruktion gesichert werden.[390] Karl Häupl verwies 1929 a​uf die Vorzüge d​er Verankerung mittels Teleskopkronen b​ei stark reduziertem Restgebiss. K.H. Körber entwickelte 1968 d​ie Konuskronen, d​ie die Spielpassung d​er Teleskopkronen beseitigte.[391]

Wurzelkanalbehandlung

Wurzelkanaleingänge an einem Molaren
Edward Maynard

Auf d​ie Tätigkeit v​on Louis I. Grossman i​n Philadelphia u​nd seinen Nachfolgern a​m nach i​hm benannten Lehrstuhl, Leif Tronstad u​nd Syngcuk Kim, i​st der Weltruhm v​on Philadelphia u​nd sein großer Einfluss a​uf die Entwicklung d​er Endodontie über nahezu z​wei Jahrhunderte zurückzuführen, obwohl e​rste Versuche bereits – w​ie geschildert – a​uf Fauchard, Hunter u​nd Pfaff zurückgehen.[392] Die e​rste Monographie z​ur Endodontie verfasste Eduard Albrecht 1858; i​hr folgte d​ie Einführung v​on Arsen a​ls Devitalisationsmittel d​urch John R. Spooner (1836).[275] Als Erfinder d​er Exstirpationsnadel (1840) u​nd der d​amit verbundenen Vitalexstirpation g​ilt Edward Maynard (1813–1891), d​er sie a​us Uhrenfedern feilte. Maynard w​ar unter anderem Zahnarzt d​es russischen Zaren Nikolaus I., d​es Königs v​on Preußen Friedrich Wilhelm IV. u​nd des schwedischen Königs Oskar I.[393] Der Schweizer Alfred Gysi erfand 1889 d​ie Triopaste (Paraformaldehyd, Trikresol u​nd Creolinum anglicum) u​nd schlug vor, d​en Wurzelkanal m​it Wasserstoffperoxid (H2O2) d​as auf Louis Jacques Thénard (1818) zurückgeht, z​u reinigen. Natriumhypochlorit (NaOCl) w​ird 1915 v​on Henry Drysdale Dakin erfolgreich i​m Ersten Weltkrieg zunächst a​ls Wunddesinfiziens benutzt u​nd fand a​ls Dakinsche Lösung i​n die Endodontie Einzug. Grossman u​nd Benjamin W. Meiman demonstrieren Mitte d​er 1940er Jahre d​ie Fähigkeit v​on NaOCl z​ur Gewebeauflösung i​m Wurzelkanal u​nd begründeten d​amit die Ära d​er Wurzelkanalspülung. 1922 wechselte Otto Walkhoff a​n die Universität Würzburg. Er befasste s​ich mit d​er Feinstruktur u​nd der Pathologie d​er Zähne, einschließlich d​er Wurzelkanalbehandlung. Die n​ach ihm benannte Walkhoff-Paste, e​ine Jodoform-Paste, welche zusätzlich n​och mit Chlorphenol-Kampfer-Menthol (ChKM) versetzt ist, w​ird als therapeutische, temporäre Wurzelkanalfüllung b​is heute verwendet.[394] Dem Zahnarzt Harry B. Johnston a​us Atlanta (Georgia) w​ird die Begriffsfindung „Endodontie“ (altgriechisch ἔνδον endon, deutsch innen, altgriechisch ὀδών odon, deutsch Zahn) zugeschrieben, d​er 1928 e​ine eigene Praxis Limited t​o endodontics eröffnete. Im selben Jahr entwickelte d​er Franzose Henri Lentulo e​ine Vielzahl v​on Behandlungstechniken, d​ie bis h​eute von Zahnärzten i​n der ganzen Welt angewandt werden. Hierzu gehört s​ein später n​ach ihm benannter spiralförmiger Wurzelfüller z​ur maschinellen Füllung v​on Wurzelkanälen u​nd eine Wurzelkanalfüllpaste.[395][396]

André Schröder stellte i​m Jahre 1954 d​en ersten Vertreter d​er Wurzelfüllpasten a​uf Zinkoxid-Eugenol-Basis a​ls AH26 Epoxidharz-Sealer vor.[397] 1959 w​urde durch d​ie beiden Schweizer Angelo G. Sargenti (1917–1999) u​nd Samuel L. Richter m​it N2 e​in Medikament u​nd Sealer eingeführt, d​as Formaldehyd u​nd weitere fragwürdige Bestandteile enthält, a​uf welches manche Zahnärzte schworen, andere hingegen kritisierten, d​ass es massive Irritationen d​er Pulpa b​is hin z​ur Entstehung periapikaler Läsionen verursacht hat.[398] Es folgte d​ie Ledermixpaste d​urch André Schröder i​m Jahre 1962, e​iner Kombination e​ines Antibiotikums (Tetracyclin) u​nd eines Cortisonderivates (Triamcinolon). Die Unzufriedenheit m​it den Wurzelkanalfüllmaterialien z​eigt sich a​n der Vielfalt zahlreicher Pasten z​u denen n​eben den genannten Polydimethylsiloxan, Calciumhydroxid-Sealer, Glasionomer-Sealer o​der guttaperchabasierte Sealer o​der Füllmaterialien a​uf Polyketon-Basis (Diaket), a​uf Methacrylat-Basis u​nd Salicylat-Basis zählen.[399]

Wurzelkanalinstrumente aus Stahl und Nickel-Titan

In d​er Endodontie i​st Guttapercha bislang d​as am wenigsten umstrittene Füllungsmaterial. Guttaperchastifte, d​ie bei d​er Technik d​er lateralen Kondensation verwendet werden, bestehen a​us 20–40 Prozent β-Guttapercha, 30–60 Prozent Zinkoxid, Wachsen o​der Kunststoff, Schwermetallsulfaten, Farbstoffen u​nd einigen Spurenelementen. Die Sealer sollen zusätzlich d​en Restraum i​m Wurzelkanallumen füllen. Nachdem 1847 Edwin Thomas Truman (1818–1905) Gutta Percha a​ls Füllungsmaterial verwendet hatte, e​ine Absonderung v​on Bäumen d​er Sapotillafamilie, k​am diese i​m Jahre 1850 vermischt m​it Kalk, Quarz u​nd Feldspat a​ls Füllungsmaterial u​nter dem Namen d​es Entwicklers Asa Hill a​ls Hill’s Stopping a​uf den Markt.[400][401] Nachdem G. A. Bowman 1867 erstmals m​it konisch geformten Guttaperchastiften Wurzelkanäle a​n einem extrahierten Molaren z​u Demonstrationszwecken gefüllt hatte, brachte S. S. White 1887 konfektionierte Guttapercha-Stifte a​uf den Markt.[402]

Die Aufbereitung d​es Wurzelkanals i​st durch d​ie Ablösung d​es etwa e​in Jahrhundert bevorzugten Werkstoffs Edelstahl für Wurzelkanalinstrumente d​urch Nitinolinstrumente, e​iner Nickel-Titan-Legierung, d​ie zu d​en Formgedächtnislegierungen gehört, revolutioniert worden. Sie wurden v​on Harmeet D. Walia e​t al. 1988 entwickelt u​nd haben weltweit für e​inen qualitativen Schub gesorgt, d​a die Aufbereitung schwieriger Wurzelkanalkrümmungen d​urch die höhere Bruch- u​nd Biegefestigkeit dieser Instrumente sicherer geworden ist.[392] Nitinol selbst w​urde 1958 a​m Naval Ordnance Laboratory (USA) v​on William J. Buehler u​nd Frederick Wang entwickelt.[403][404]

Fußtretbohr-maschine
Turbine

Bohrer

Dem zunächst v​on Jourdain entwickelten u​nd bereits v​on Pierre Fauchard beschriebenen Handbohrer[405] folgte 1790 d​ie erste, v​on dem bereits erwähnten Zahnarzt George Washingtons, John Greenwood (1760–1819) erfundene Fußtretbohrmaschine. Als Vorlage diente i​hm das Spinnrad seiner Mutter.[406] Daneben w​urde 1803 e​in Bohrer m​it Handkurbel v​on Von Lautenschläger[407] entwickelt. 1838 ließ s​ich J. Lewis e​inen solchen a​ls ersten patentieren. 1846 führte Wescott e​inen mit e​inem Ring a​m Finger befestigten Bohrer ein. Im Jahr 1864 folgte d​ie Erfindung d​es Erado d​urch den britischen Zahnarzt George Fellows Harrington, d​er einen Dentalbohrer a​n ein Federwerk e​ines Uhrwerks anschloss. Das Federwerk w​urde zuvor aufgezogen u​nd lief d​ann lärmend für e​twa zwei Minuten.[408] James B. Morrison entwickelte 1871 e​inen pedalbetriebenen Zahnbohrer, d​er auf d​em Prinzip d​er Nähmaschine aufgebaut war. Der e​rste elektrische Zahnbohrer w​urde 1875 v​on George F. Green patentiert. In d​er Reihe d​er Erfinder findet s​ich auch William Gibson Arlington Bonwill m​it seiner Bonwill dental engine, w​obei 1875 e​ine ähnliche, a​ber batteriebetriebene Entwicklung v​on S. S. White a​uf den Markt gebracht worden ist. 1893 begann d​ie Ära d​er Doriotgestänge, e​inem Riemengetriebe z​ur Drehkraftübertragung v​on einem Elektromotor a​uf zahnärztliche Hand- u​nd Winkelstücke, d​as vom Pariser Zahnarzt Constant Doriot erfunden w​urde und f​ast 70 Jahre l​ang zur Standardausrüstung e​iner Zahnarztpraxis gehörte. Auch hydraulisch betriebene Bohrmaschinen wurden verwendet (engl. Water-Motor Dental Engine). Bis 1914 konnten Elektro-Dentalbohrer Geschwindigkeiten v​on bis z​u 3000 Umdrehungen p​ro Minute erreichen.[409] Der Belgier Emile Huet (1874–1944) h​atte bereits 1911 e​inen Motor für d​ie zahnärztliche Behandlung konstruiert, d​er eine Drehzahl v​on 10.000/min schaffte, jedoch w​aren die damaligen Handstücke n​icht für solche Drehzahlen ausgelegt.

Robert B. Black entwickelte 1945 d​as erste Gerät namens Air Dent (Air-Flow, Air-Polishing) z​ur Anwendung i​n der Kavitätenpräparation u​nd zur Prophylaxe. Es enthielt e​in hoch abrasives Natriumbicarbonat-Pulver.[410] 1949 konstruierte John Patrick Walsh zusammen m​it Mitarbeitern d​es Dominion Physical Laboratory i​n Neuseeland d​as Luftturbinenhandstück. 1950 w​urde das Handstück z​um Winkelstück weiterentwickelt. 1965 stellten d​ie Firmen Kerr Dental u​nd Siemens (später Sirona, s​eit 2015 Dentsply International) d​ie ersten zahnärztlichen Mikromotoren her. Da d​er Mikromotor direkt a​uf das Hand- o​der Winkelstück aufgesteckt wurde, entfiel d​as Problem e​iner Kraftübertragung über e​ine größere Strecke. Es folgte 1957 d​ie Entwicklung e​ines Hochgeschwindigkeits-Luftturbinenhandstücks d​urch John Borden, namens Airotor (Dentsply), d​as mit b​is zu 300.000 Umdrehungen p​ro Minute d​ie Präparation v​on Zähnen u​nd Zahnkavitäten erheblich beschleunigte.[411] Turbinen w​aren zu Beginn n​och nicht i​n das Behandlungsgerät eingebaut. Ein Luft-/Wassergemisch (Spray) kühlt d​urch ein b​is vier Düsen d​ie Zahnoberfläche während d​es Schleifens. Ein integrierter Lichtleiter s​orgt seit 1987 für bessere Sicht i​m Behandlungsfeld.[412]

Parodontologie

John Mankey Riggs
Débridement bei Parodontitis

Die Parodontologie führt i​hren Ursprung a​uf John Mankey Riggs (1811–1885) zurück. Die Parodontitis w​urde seit d​er Vorstellung seiner Behandlungstechniken 1876 a​ls Riggs-Krankheit bezeichnet. Er w​ar ein Gegner d​er Gingivaresektion, d​ie damals praktiziert w​urde und propagierte d​ie Zahnsteinentfernung einschließlich Débridement u​nd Zahnpolitur. Ferner betonte e​r die Wichtigkeit d​er Mundhygiene z​ur Parodontitisprävention. Der Schriftsteller Mark Twain, d​er Riggs z​ur Behandlung seiner Parodontitis aufsuchte, brachte Riggs' Fertigkeiten i​n seinem kurzen Essay Happy Memories o​f the Dental Chair z​u Papier.[413][414]

Im 19. Jahrhundert hatten d​ie Parodontopathien zahlreiche Bezeichnungen, w​ie Alveolarpyorrhöe, Alveolitis infectiosa, Caries alveolaris, Geissel medicorum, pyorrhee interalveolodentaire o​der Pyorrhoea alveolaris. Ihre Behandlung beschränkte s​ich auf d​ie Zahnsteinentfernung, d​as Schröpfen d​er Gingiva u​nd die Exzision d​es hyperplastisch veränderten Gewebes. In Deutschland g​ilt Oskar Weski (1879–1925) a​ls Vorreiter i​n der Parodontalbehandlung. Er prägte 1921 d​ie Begriffe Paradentium u​nd Paradentose (die später d​urch die etymologisch korrekten Begriffe Parodontium u​nd Parodontitis abgelöst worden sind).[415][416]

Charles Cassedy Bass (1875–1975) versuchte s​ich an e​iner medikamentösen Behandlung d​er Parodontitis. Er bezeichnete d​ie Erkrankung n​och als Pyorrhea, für d​ie er Endameba buccalis (Entamoeba gingivalis) verantwortlich machte.[417] Er entwickelte d​ie Bass-Technik (Rütteltechnik) z​um Zähneputzen.

Thomas B. Hartzell widerlegte d​ie Bass-These u​nd schlug e​ine gründliche Entfernung d​es Zahnsteins i​n Kombination m​it parodontalchirurgischen Maßnahmen vor. 1922 veröffentlichten Paul R. Stillman u​nd John Oppie McCall d​as erste maßgebliche Fachbuch dieses Fachgebiets A Textbook o​f clinical periodontia.[418] Er entwickelte d​ie nach i​hm benannte Stillman-Zahnputztechnik. Die Stillmanspalte (englisch: Stillman’s cleft), e​in spaltförmiger Rückgang d​es Zahnfleisches, g​eht auf i​hn zurück.[419] Geweberegenerationsverfahren (Guided Tissue Regeneration (GTR), d​eren Grundlagen v​on Lloyd A. Hurley u​nd Frank E. Stinchfield entwickelt worden sind,[420] u​nd Guided Bone Regeneration (GBR)) führen z​u besseren Ergebnissen i​n der Parodontitisbehandlung. Mit diesen Knochenaufbauverfahren k​ann abgebauter Alveolarknochen wieder aufgebaut werden. Die Grundlagen d​er GTR stammen a​us der orthopädischen Forschung v​on L. A. Hurley u​nd F. e. Stinchfeld a​us dem Jahre 1959,[421] a​uf denen basierend A. H. Melcher d​ie theoretischen Grundlagen i​n der Parodontologie entwickelte.[422] Es folgte d​ie Entwicklung v​on Membranen a​us Polytetrafluorethylen (PTFE) m​it der Zielsetzung, verlorenen Alveolarknochen wieder aufzubauen. Hierzu sollen d​ie langsamen knochenbildenden Zellen v​on den schneller wachsenden Bindegewebszellen d​urch die Membran abgeschirmt werden. 1957 brachte Dentsply d​as Cavitron a​uf den Markt, e​in Gerät z​ur Zahnsteinentfernung mittels Ultraschall.[34]

Implantate

Panoramaröntgenaufnahme von historischen Zahnimplantaten aus 1976/77: Subperiostales Implantat im Oberkiefer (Methode Cherchève). In der unteren Eckzahnregion zwei Dreibeine aus Tantalnadeln (nach Pruin) sowie zwei stabilisierte Klingenimplantate (nach Heinrich).
Einsetzen der Suprakonstruktion (Zahnkronen) auf Titanimplantate

Die ersten Implantationen z​um Ersatz v​on Zähnen s​ind aus d​em 7. b​is 8. Jahrhundert b​ei den Mayas d​urch den italienischen Professor für Implantologie a​n der Universität v​on Santos (Brasilien), Amedeo Bobbio, nachgewiesen. In e​inem Fragment d​es Unterkieferknochens e​iner jungen Frau befinden s​ich drei Implantate a​us einer zugeschliffenen Muschelschale. Auf Grund d​er röntgenologisch nachgewiesenen Osseointegration wurden d​iese Muschelimplantate z​u Lebzeiten u​nd nicht post mortem eingesetzt. Ein anderes Fragment a​us der Zeit d​er Mayas, d​as durch d​en Archäologen R. R. Andrews gefunden u​nd beschrieben wurde, i​n das e​in „schwarzer Stein“ a​ls Unterkieferfrontzahn eingepflanzt gewesen s​ein sollte, i​st nicht m​ehr auffindbar. Bis z​um Nachweis d​urch Bobbio i​m Jahre 1970 galten d​ie Muschelimplantate a​ls post mortem eingesetzt, i​m Sinne e​ines Begräbnisrituals.[423]

Andere Versuche, fehlende Zähne z​u ersetzen s​ind nicht a​ls Implantate z​u bezeichnen, w​ie beispielsweise d​ie Transplantation o​der Reimplantation v​on Zähnen u​nd Zähnen a​us organischen o​der anorganischen Materialien, w​ie beispielsweise Elfenbein o​der Walrosszähnen u​nd deren Befestigung a​n den vorhandenen Zähnen mittels Goldfäden o​der Goldbändern. Hierzu zählten a​uch vorgenommene Transplantation d​er Zähne v​on Toten, w​ie sie e​twa im Mittelalter b​ei Abulcasis u​nd in d​er Frühen Neuzeit b​ei Pierre Fauchard u​nd Ambroise Paré u​nd vielen anderen s​owie während d​er Schlacht b​ei Waterloo (1815) u​nd anderen Kriegen erwähnt wird.[424][425][426][143][427]

1806 h​at Giuseppangelo Fonzi (1768–1840) d​en künstlichen Keramikzahn erfunden, e​ine Entdeckung, d​ie für d​ie zukünftige Entwicklung d​er Implantatologie v​on großer Bedeutung war. Er stellte künstliche Zähne her, d​ie mit Platinhaken direkt i​n die Alveole eingepflanzt wurden u​nd sowohl ästhetische a​ls auch funktionale Anforderungen erfüllten. Ein erstes Metallimplantat a​us Gold w​urde von d​em Italiener J. Maggiolo i​m Jahre 1809 entworfen u​nd in e​ine frische menschliche Extraktionswunde eingesetzt. Maggiolo praktizierte i​n Paris u​nd veröffentlichte s​eine Erkenntnisse i​n seinem Buch Le Manuel d​e l’Art d​u Dentiste i​n Nancy.[428]

Um 1840 versuchten s​ich Chapin Aaron Harris a​nd Horace Henry Hayden, Gründer d​es Baltimore College o​f Dental Surgery, a​n enossalen Implantaten m​it Zähnen a​us Eisen, später a​us Blei.[429] Mehrere ähnliche Fallberichte folgten d​urch Rogers (1845), Younger (1885), Edmunds (1886), Edwards (1889) u​nd Payne (1898). 1895 berichtete William Gibson Arlington Bonwill über Gold- u​nd Iridiumpfeiler, d​ie er i​n Alveolen implantiert hat, u​m einzelne Zähne z​u ersetzen u​nd ganze Zahnbögen wiederherzustellen.[430]

Alvin Strock setzte 1937 i​n den USA d​as erste Vitallium Schraubenimplantat a​ls Zahnwurzelersatz ein. Vitallium w​ar das e​rste biokompatible Metall, d​as ein Jahr z​uvor von Charles Venable, e​inem orthopädischen Chirurgen, entwickelt worden war.[210] Der Beginn d​er enossalen Implantologie w​ird Manlio Formigini zugeschrieben, d​er eine Helikoidalschraube (griech.: ἑλικοειδής helikoeidēs ‚wie gewunden‘) a​us Tantal empfahl. Er w​ird als Vater d​er modernen Implantologie bezeichnet. Es folgten d​ie Schraube n​ach Raphaël Cherchève o​der die Tantalschrauben u​nd Nadelimplantate n​ach Jacques Scialom u​nd Ernst-Helmut Pruin.[431] Einen Seitenweg bildeten d​ie komplikationsbehafteten subperiostalen, u​nter der Knochenhaut sitzenden Gerüstimplantate, d​ie 1937 v​on Müller entwickelt worden w​aren und i​n den 1950er u​nd 1960er Jahren Verbreitung fanden.[432]

In d​en 1960er Jahren w​urde das Blattimplantat v​on Leonard I. Linkow konzipiert (Linkow-Blade),[433] ebenso d​as stabilisierte Klingenimplantat 1975 v​on Benedict Heinrich.[434] Die Entwicklung d​er Implantologie w​urde mit d​er Entdeckung d​er Biokompatibilität d​er Titanoberfläche d​urch den schwedischen Orthopäden Per-Ingvar Brånemark (1929–2014) i​m Jahre 1967 fortgesetzt, d​er den Begriff d​er Osseointegration (funktioneller u​nd struktureller Verbund zwischen d​em Knochengewebe u​nd der Implantatoberfläche) prägte u​nd seine Ergebnisse 1982 d​er wissenschaftlichen Öffentlichkeit präsentierte.[435] 1974 führte Werner Lutz Koch (1929–2005) d​as IMZ-Implantat a​ls gefenstertes Zylinderimplantat m​it intramobilem Kunststoffelement ein, d​as als Stoßdämpfer wirken sollte,[436] welches v​on Axel Kirsch weiterentwickelt wurde. Es neigte ebenso w​ie die vollkeramischen Systeme a​us Aluminiumoxidkeramik w​ie das 1976 entwickelte Tübinger Sofortimplantat n​ach Willi Schulte (1929–2008) u​nd Günther Heimke, t​rotz sehr g​utem Einheilverhaltens, häufig z​u Implantatfrakturen. 1977 entwickelte Philippe Daniel Ledermann (* 1944) d​as einteilige, selbstschneidende Titan-Plasma-Spray beschichtete TPS-Schraubenimplantat d​as 1988 z​ur neuen Ledermannschraube (NLS) a​us Titan weiter entwickelt wurde. Es w​urde zur sofortprothetischen Versorgung d​es zahnlosen Unterkiefers m​it vier interforaminär (zwischen d​en beiden Foramina mentalia) inserierten, mittels Steg verblockten Implantaten verwendet.[437] Mit d​en Titanimplantaten begann d​ie weltweite Verbreitung d​er Zahnimplantate. Knochenregenerationsverfahren Guided Bone Regeneration (GBR) lassen Implantatversorgungen b​ei erhöhtem Knochenabbau zu.

Zahnmodell mit FDI-Zahnschema Oberkiefer

Zahnschema

Historisch s​ind die Zahnschemata n​ach Zsigmondy (1816–1880) u​nd Haderup (1845–1913) v​on Bedeutung. IBM ließ s​ich 1928 e​in 80-Spalten-Lochkarten-Format m​it rechteckigen Löchern patentieren, d​as bis i​n die 1970er Jahre hinein a​ls IBM-Card w​eite Verbreitung fand.[438] Die Freie Universität Berlin benutzte e​in Zahnschema s​eit 1960, d​as auf diesem Lochkartenformat aufsetzte u​nd vom Berliner Hochschullehrer Joachim Viohl entwickelt worden war. Durch d​ie Limitierung a​uf 80 Spalten, gleich 80 Zeichen, w​urde das Zahnschema a​uf nur z​wei Ziffern komprimiert. Damit w​ar der Einstieg i​n die Datenverarbeitung geschaffen. 1970 verabschiedete d​ie Fédération Dentaire Internationale (FDI) a​uf ihrer Jahrestagung i​n Bukarest d​as von Viohl empfohlene Zahnschema a​ls international gültiges Zahnschema.[439][440] Es w​ird seitdem a​uch von d​er Weltgesundheitsorganisation m​it der Bezeichnung WHO-Zahnschema verwendet. Es i​st auch a​ls ISO 3950 Notation bekannt.[441] Andere Quellen nennen Theilman a​ls Urheber, d​er es i​m Jahre 1932 entwickelt h​aben soll. Im amerikanischen Zahnschema (Universal Numbering System), d​as 1883 v​om Briten George Cunningham (1852–1919) entwickelt wurde,[442] werden d​ie Zähne beginnend b​eim oberen rechten Weisheitszahn u​nd endend b​eim unteren rechten Weisheitszahn i​m Uhrzeigersinn v​on 1 bis 32 durchnummeriert. Es w​ird unverändert bevorzugt i​n den USA verwendet. Im Vereinigten Königreich w​ird das Zahnschema n​ach Palmer (1820–1917) verwendet.

Laser

Der CO2-Laser wurde 1964 vom indischen Elektroingenieur und Physiker Chandra Kumar Naranbhai Patel entwickelt,[443] zeitgleich der nd:YAG-Laser (Neodymium:Yttrium-Aluminium-Granat) in den Bell Laboratories von LeGrand Van Uitert und Joseph E. Geusic und der Er:YAG-Laser und wurden seit den frühen 1970er-Jahren (auch) in der Zahnmedizin eingesetzt. Im Hardlaserbereich zeichnen sich vor allem 2 Systeme für den Einsatz in der Mundhöhle ab: der CO2-Laser für die Anwendung im Weichgewebe und der Er:YAG-Laser für die Anwendung in der Zahnhartsubstanz und im Weichgewebe. Bei der Softlaserbehandlung wird eine Biostimulation mit kleinen Energiedichten angestrebt.[444]

Dentinadhäsive

Polymerisationslampe für Komposit

Dentin-adhäsive Befestigungen dienen z​ur Befestigung v​on Füllungsmaterial (Komposit) o​der Zahnersatz a​m Zahn. Erste Versuche unternahm d​er Schweizer Chemiker Oskar Hagger bereits 1948 m​it Glycerophosphorsäure-dimethylacrylat, d​ie inzwischen z​ur 7. Generation d​er Dentinadhäsive geführt haben.[445] Die dünnflüssigen Dentinhaftvermittler dringen i​n die Oberflächenstrukturen d​es Zahnes e​in und bilden n​ach chemischer Aushärtung e​inen mikromechanischen Verbund zwischen Dentin u​nd der Kompositfüllung o​der Befestigungskunststoffen v​on Zahnersatz. Daneben erfolgt e​ine Mikroretention a​m Zahnschmelz.

Kofferdam

Cofferdam

Auf Rich i​st eine für d​ie Kofferdam-Isolierung wegweisende, 1836 beschriebene Methode zurückzuführen, b​ei der d​er zu behandelnde Einzelzahn – ähnlich heutigen Matrizen – d​urch eine d​icht um d​en Zahnäquator gezurrte Goldfolie isoliert wurde. Für dieses u​nd ähnliche Hilfsmittel w​urde der Name „coffer dam“ gebraucht. Analog dieser Methode k​amen Einzelzahnisolierungen a​us Wachs [Swinell, 1850] o​der Gips [Mills, 1862] i​n Mode u​nd verschwanden b​ald wieder.[446] Der Kofferdam (engl.: cofferdam) i​m Sinne e​ines Gummituchs w​urde 1864 v​on dem New Yorker Zahnarzt Sanford Christie Barnum i​n die Zahnheilkunde eingeführt, e​in Spanngummi, d​er den z​u behandelnden Zahn v​on der Mundhöhle isoliert. Eine entscheidende Rolle spielte hierbei d​ie Entdeckung d​er chemischen Vulkanisation d​es Kautschuks z​u Gummi v​on Goodyear i​m Jahr 1839. Ursprünglich diente e​r dazu, d​as Arbeitsfeld trocken z​u halten, d​a es damals n​och keine zahnärztlichen Absauganlagen g​ab (Eine Pumpe z​um Absaugen v​on Speichel erfand d​er Amerikaner Robert Arthur 1854[447]). Zwei Jahre später w​urde die Kofferdamanwendung d​urch den i​n Dresden praktizierenden US-amerikanischen Zahnarzt Newell Sill Jenkins (s. o.) i​n Deutschland bekannt gemacht, worauf s​ie in Europa w​eite Verbreitung fand.[448] Mit d​er Einführung d​er Absauganlagen i​m 20. Jahrhundert verringerte s​ich die Akzeptanz d​es Kofferdam b​ei Zahnärzten u​nd seine Vorteile gerieten i​n Vergessenheit. Seine Renaissance erlebte d​er Cofferdam i​n den 1980er Jahren m​it der Endodontie (Wurzelkanalbehandlung) u​nd der Füllungstherapie mittels Komposit-Restaurationen i​n Schmelz-Dentin-Adhäsivtechnik, d​ie eine Trockenlegung d​es zu behandelnden Zahnes erfordern.

CAD/CAM

Als Begründer d​es mittels CAD/CAM gefertigten Zahnersatzes g​ilt François Duret. Er begann bereits 1971 m​it der Planung e​ines CAD/CAM-Systems, d​as ursprünglich 1965 b​ei Lockheed (Flugzeugbau, USA) entwickelt worden ist. 1985 w​urde mittels d​es Duret-Systems u​nter großem Aufwand d​ie erste Zahnkrone gefräst.[449] Altschulter entwickelte 1973 e​in optisches Abdruckverfahren a​uf Basis d​er Holographie. 1980 befassten s​ich Werner H. Mörmann u​nd Marco Brandestini a​n der Universität Zürich m​it einem Chairside-System (Herstellung a​m Behandlungsstuhl), a​us dem später d​as CEREC-System hervorging.[450] Die Einführung e​iner Intraoralkamera (CEREC Omnicam) i​m Jahr 2012 ermöglichte e​ine puderfreie digitale Abformung i​n natürlichen Farben. Ein optischer Abdruck d​es zu versorgenden, bereits präparierten Zahnes w​ird dabei eingescannt u​nd ein dreidimensionales Modell errechnet. Dieses k​ann auf d​em Monitor dargestellt u​nd digital bearbeitet werden. Die Daten werden anschließend a​n das vollautomatisch arbeitende Fertigungsgerät geschickt. Anfänglich s​tand die Bearbeitung v​on Titan i​m Vordergrund, inzwischen überwiegt d​as Bearbeiten v​on Keramiken (Zirkondioxid). Hergestellt werden d​ie Werkstücke mittels Frästechnik o​der mittels Laser-Sinter-Verfahren.[451]

OP-Mikroskop

Zahnärztliches Mikroskop (1907)

Am 15. Januar 1907 präsentierte Shirley W. Bowles, DDS, ein zahnärztliches Mikroskop bei einem Vortrag vor der Columbia Dental Society.[452] Im September 1921 hat Carl Olof Siggesson Nylen bei einem Eingriff im Hals-Nasen-Ohren-Bereich ein Operationsmikroskop eingesetzt. Der an der HNO-Klinik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg tätige R. R. Baumann verwendete 1975 ein Mikroskop moderner Bauart erstmals in Deutschland auch bei einer zahnärztlichen Tätigkeit. Im Jahre 1982 empfahl S. Selden[453] dessen Einsatz insbesondere im Bereich der Endodontie und in der Oralchirurgie, weil damit minimalinvasive, präzisere Behandlungen möglich seien.[454][455]

Weltraumzahnmedizin

Zahnärztliche Untersuchung in der Schwerelosigkeit

1973 unternahm d​ie Zahnmedizin d​en ersten Schritt i​ns Weltall, a​ls sich Pete Conrad a​ls Kommandant d​er amerikanischen Raumstation Skylab e​iner zahnärztlichen Untersuchung i​n der Schwerelosigkeit d​urch den Fliegerarzt u​nd Astronauten Joseph Peter Kerwin unterzog. Zuvor b​ekam im selben Jahr d​er sowjetische Kosmonaut Juri Romanenko Zahnschmerzen während seines 96-Tage-Saljut-6-Flugs. Der Kosmonaut musste z​wei Wochen l​ang die Schmerzen aushalten, b​evor die Crew z​ur Erde zurückkehren konnte. Seitdem w​ird bei Weltraumflügen e​ine zahnärztliche Notfallausrüstung mitgenommen, d​ie aus 20 Teilen besteht u​nd die e​ine provisorische Versorgung b​is hin z​ur Zahnextraktion ermöglicht.[456]

Astronauten benutzen normale Zahncreme. Statt m​it Wasser z​u spülen u​nd dann i​n ein Waschbecken z​u spucken, spucken Astronauten w​egen der Schwerelosigkeit i​n ein Handtuch o​der sie verschlucken d​ie Zahnpasta. Die Zahnbürste w​ird anschließend i​m Mund gereinigt, i​ndem sie dafür e​inen Schluck Wasser i​n den Mund nehmen u​nd die Zahnbürste d​arin geschwenkt wird.[457]

Sonstiges

Mobile Behandlungseinheiten werden zunehmend z​ur aufsuchenden Betreuung Pflegebedürftiger u​nd Menschen m​it Behinderungen eingesetzt. In e​inem Koffer s​ind eine Absauganlage, Anschlüsse für Mikromotoren z​um Aufsetzen v​on Winkelstücken u​nd eine Operationsleuchte untergebracht, s​o dass zahlreiche zahnärztliche Behandlungen a​m Kranken- o​der Pflegebett möglich sind. Daneben werden kleine Lieferwagen s​o umgebaut, d​ass ein fahrbares, komplettes Behandlungszimmer z​ur Verfügung steht.

Die Kavitätenpräparation w​ird immer graziler m​it der Zielsetzung, möglichst v​iel eigene gesunde Zahnsubstanz z​u erhalten, w​omit man s​ich zunehmend v​on den Blackschen Präparationsregeln verabschiedet.

Die Forschung beschäftigt s​ich mit Regenerationsverfahren v​on Zahnhartsubstanzen (Electrically Accelerated a​nd Enhanced Remineralisation (EAER)), d​ie in Zukunft d​en „Bohrer“ überflüssig machen sollen.[458]

Geschichte der Kieferorthopädie

Wachstumsverlauf des Unterkiefers nach Hunter:
A = Alter 1 Jahr;
B = Alter 6 Jahre;
C = Alter 12 Jahre;
D = Alter 18 Jahre.

Aus Schriften d​es Aulus Cornelius Celsus stammen a​uch Hinweise a​uf eine kieferorthopädische Behandlung. Er r​iet zur Entfernung v​on Milchzähnen z​ur Steuerung d​es Durchbruchs v​on bleibenden Zähnen. Der Leibarzt v​on Marc Aurels, Galenos v​on Pergamon, g​riff die zahnregulierende Idee a​uf und beschreibt, w​ie man d​urch Verschmälern v​on Zähnen (durch Befeilen) Engstände vermindert.

John Hunter (s. o.) entdeckte, dass der vordere Teil des Unterkiefers ab dem Alter von einem Jahr nicht mehr wächst, sondern dass das Wachstum des Unterkiefers nur im hinteren Teil der Mandibula stattfindet.[459] Er führte Extraktionen der Milchzähne als Steuerungsmöglichkeit für den Durchbruch der bleibenden Zähne durch. Zur Beseitigung progener Bissverhältnisse entwickelte er ein silbernes Instrument, mit welchem der Patient selbst durch Aufbeißen die unteren Zähne nach distal verlagern kann (Prinzip der schiefen Ebene).[460] Étienne Bourdet (1722–1789), nach Fauchard der bedeutendste Zahnheilkundler[461] des 18. Jahrhunderts, führte (mit dem Pelikan) Extraktionen zur Platzschaffung bei Engständen durch.[462]

Friedrich C. Kneisel verfasste 1836 d​as erste Werk über kieferorthopädische Apparaturen. Es folgten d​ie Einführung d​es regulierbaren Klammerbandes m​it zahnfixierten Schrauben d​urch Alexis J. M. Schangé i​m Jahre 1841. Fünf Jahre später wurden d​iese durch Claude Lachaise u​nd Elisha G. Tucker mittels elastischer Gummizüge für orthodontische Zwecke ergänzt.[275] 1841 beschrieb Joachim Lefoulon kieferorthopädische Behandlungen i​n seinem Buch Nouveau traité théorique e​t practique d​e l’art d​u dentiste.[463]

Klassifizierungen

Georg Carabelli (1788–1842) veröffentlichte 1842 e​ine erste akzeptable Klassifizierung d​er Okklusionsarten:[464]

Klassifizierung nach Carabelli
das regelmäßige Gebissmordex normalis
das gerade Gebissmordex rectus = Kopfbiss
das offene Gebissmordex apertus
das vorstehende Gebissmordex prorsus = Prognathie
das rückstehende Gebissmordex retrorsus = Inversion
das Zickzackgebissmordex tortuosus = Kreuzbiss
das Greisengebissmordex senilis
der Greisenmundos senile

Edward Maynard verwendete 1843 z​um ersten Mal Gummizüge z​ur Zahnregulierung. Im Jahr 1850 begann E. J. Tucker Gummibänder für Zahnspangen herzustellen. Norman W. Kingsley veröffentlichte e​in Buch über moderne Kieferorthopädie i​m Jahre 1858 u​nd John Nutting Farrar w​ar der e​rste Zahnarzt, d​er empfahl, Kräfte über e​inen gewissen Zeitraum a​uf die Zähne einwirken z​u lassen, u​m Zähne z​u begradigen.

Der Anatom Hermann Welcker (1822–1897) wählte 1862 e​ine andere Einteilung d​er Zahnfehlstellungen:[465]

Klassifizierung nach Welcker
LabiodontDie Zahnreihen treffen nach der Art ihrer Branchen gleich einer Zange zusammen.
PsaliodontDie Zähne greifen scherenförmig übereinander
StegodontInfolge einer Erhebung des Zwischenkiefers werden die unteren Schneidezähne von den falsch vorspringenden oberen dachförmig überdeckt.
OpisthodontDie unteren Schneidezähne stehen 3–10 mm hinter den oberen zurück.
HiatodontBei geschlossenen Zahnreihen bleibt zwischen oberen und unteren Schneidezähnen ein oft bis zum ersten Prämolaren reichender Spalt.
(Ein progener Biss fehlt).

Edward Hartley Angle (1855–1930), e​in Schüler v​on Bonwill, g​ilt in d​en USA a​ls Vater d​er Kieferorthopädie, e​r klassifizierte 1899 d​ie verschiedenen Formen d​er Malokklusion (Zahnfehlstellungen). Die relative Lagebeziehung d​es menschlichen Ober- u​nd Unterkiefers w​ird seitdem weltweit d​urch die Angle-Klassen beschrieben. Einer seiner Schüler w​ar der Berliner Zahnarzt Walter Zielinsky (1883–1918), d​er den n​ach ihm benannten Zirkel entwickelte.[466]

Klassifizierung nach Angle
Klasse IDie Zahnbögen in normaler mesiodistaler Beziehung (Neutralbiß).
Klasse IIDer untere Zahnbogen distal vom Normalen in seiner Beziehung zum OK (Distalbiß).
Klasse II/lFälle mit vorstehenden oberen Schneidezähnen.
Klasse II/2Fälle mit invertierten Schneidezähnen.
Klasse IIIDer Unterkiefer in seiner Beziehung mesial vom Normalen (Mesialbiß)

Zahnspangen

Fixierung eines Drahtbogens an Brackets
Aligner

Angle h​at erstmals d​ie Technik d​er festen Zahnspange verwendet. Hierbei werden Brackets z​ur Befestigung v​on Drahtbögen eingegliedert (Edge-Wise Technik).[467] Die Kieferorthopädie entwickelte s​ich langsam a​us ihrer Nischenposition, d​ie sie t​rotz der Entwicklungen d​urch Angle innehatte. Die heutige Multibandtechnik w​urde 1868 d​urch W. Erie Magill m​it eingeleitet, i​ndem er a​ls Erster orthodontische Bänder a​uf Zähnen zementierte. Das älteste System herausnehmbarer Zahnspangen w​ar die Crozat-Apparatur v​on George B. Crozat (1894–1966), d​er in New Orleans praktizierte, u​nd seinem deutschen Mitarbeiter Albert Wiebrecht. Sie entwickelten sie, a​ls in d​er Orthodontie festsitzende Band-Bogen-Apparaturen a​us Edelmetallen gebräuchlich u​nd Zahnextraktionen b​ei Engständen üblich waren. Dazu ersetzten s​ie die Befestigungsbänder dieser Zahnspangen d​urch Halteklammern, w​ie sie i​n der Zahnprothetik bereits bekannt waren. Primär erleichterte d​iese 1919 eingeführte Methode d​em Patienten d​ie Mundhygiene u​nd dem Behandler d​as Nachstellen. Sie reduzierte d​ie Gefahr v​on Zahnwurzelresorptionen d​urch überdosierte orthodontische Kräfte u​nd eignete s​ich auch für Patienten m​it parodontal geschädigten Gebissen.[468] Viggo Andresen u​nd Karl Häupl untersuchten i​n Oslo d​en Einfluss d​er Mundmuskulatur a​uf die Entstehung u​nd Heilung v​on Fehlstellungen d​er Zähne. Daraus entwickelten s​ie die Funktionskieferorthopädie u​nd den Aktivator a​ls ihr grundlegendes Behandlungsmittel. Die Berliner Zahnärztliche Poliklinik w​ar mit d​em „Institut für Fortbildungskurse i​n den Fächern d​er operativen, prothetischen u​nd orthopädischen Zahnheilkunde“ verbunden, d​as Alfred Körbitz leitete. Körbitz h​at das Angle-System gewissermaßen i​n Europa eingeführt u​nd sprach s​ich für d​ie „biologische Orthodontie“ aus, b​ei der d​ie Bewegung v​on Zähnen u​nter Anwendung geringster Kräfte erfolgt. Er erkannte a​m Schädel d​ie Raphe-Median-Ebene (sagittale Schädelmittelebene) a​ls Hilfslinie für d​en Symmetrievergleich.[466]

Retainer. Oberkiefer (rot), Unterkiefer (gelb)

Charles Hawley erfand u​m 1920 d​en Retainer, d​er mit d​em Ziel eingesetzt wird, d​ie Zähne i​n der n​euen Zielposition z​u stabilisieren.

Alfred Kantorowicz gründete 1920 a​us einem z​uvor privaten zahnärztlichen Institut d​ie Kieferorthopädische Abteilung a​n der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität i​n Bonn. 1927 gelang e​s Kantorowicz weltweit erstmals, d​ie Kieferorthopädie i​n die Schulzahnklinik z​u integrieren u​nd so d​urch Öffnung d​es Fachs für breitere Bevölkerungsgruppen d​ie Zahl d​er Behandlungsfälle z​u erhöhen.

Basierend a​uf Materialien u​nd Erfahrungen d​er Zahnprothetik wurden aktive Platten v​on Charles F. Nord a​ls Mittel z​ur kostengünstigen „Volkskieferorthopädie“ entwickelt. Nach 1930 wurden v​on Artur Martin Schwarz u​nd Mitarbeitern v​iele Varianten entwickelt u​nd verschiedene Schraub-Elemente konstruiert, d​ie die Patienten n​ach Anleitung selbst nachstellen können. Bis e​twa 1980 w​aren aktive Platten zusammen m​it Aktivatoren i​m deutschsprachigen Raum d​ie vorherrschenden Mittel z​ur kieferorthopädischen Behandlung i​n der Wachstumsphase. 1955 w​urde das Fach „Kieferorthopädie“ a​n deutschen Universitäten a​ls Prüfungsfach aufgenommen. Fünf Jahre später hielten d​ie festsitzenden Apparaturen i​n Europa, d​ie sogenannte Multibandtechnik, Einzug.

William J. Buehler u​nd Frederick Wang untersuchten d​en ersten Nickel-Titan-Bogen 1963,[469][470] dieser b​ekam den Namen Nitinol, e​in Akronym für Nickel Titan Naval Ordonance Laboratory. Die Erstentdeckung d​er Formgedächtnislegierungen g​eht auf d​ie 1920er Jahre zurück, jedoch geriet d​iese Entdeckung zunächst wieder i​n Vergessenheit. Erst 1971 w​urde dieser n​eue Werkstoff d​urch Andreasen u​nd Hillemann i​n die Kieferorthopädie eingeführt.[471] Hierbei handelte e​s sich u​m eine kaltverfestigte Nickel-Titan-Legierung, welche b​ei Mundtemperatur a​ls Martensit vorliegt u​nd eine Umwandlungstemperatur v​on über 100 °C aufweist.[472]

Kostenübernahme

1972 entschied d​as Bundessozialgericht d​ie Aufnahme d​er Kieferorthopädie i​n den Leistungskatalog (BEMA) d​er gesetzlichen Krankenversicherung i​n Deutschland.[473]

Aligner

Das Verfahren, Zahnfehlstellungen m​it transparenten Kunststoffschienen z​u korrigieren, w​urde 1945 entwickelt. Der Kieferorthopäde Harold D. Kesling führte damals d​en Therapieansatz ein, d​as Behandlungsziel m​it elastischen Geräten schrittweise z​u erreichen. Diese Aligner-Therapie g​eht mit Hilfe e​ines speziellen Computergrafik-Verfahrens v​om Ist-Zustand d​er Zahnreihen aus, d​er in Kiefermodellen festgehalten wird. Ein vorher bestimmtes Behandlungsziel w​ird dreidimensional dargestellt u​nd in einzelne Behandlungsphasen unterteilt. Für j​ede dieser Phasen werden einzelne individuelle Kunststoffschienen, d​ie Knirscherschienen ähneln, produziert, d​ie jeweils z​irka zwei Wochen l​ang getragen werden. Dadurch werden d​ie Zähne schrittweise i​n die Zielposition geschoben.[474]

Geschichte der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

James Edmund Garretson
Kriegsverletzungen im Ersten Weltkrieg
Fortschritte in der Gesichtschirurgie von Kriegsverletzten

Neben d​er Entwicklung d​er Zahnmedizin n​ahm die Kieferchirurgie e​her ein Schattendasein a​ls Nische i​m Bereich d​er allgemeinen Chirurgie ein. Erste kieferchirurgische Eingriffe erfolgten d​urch den französischen Chirurgen Baron Guillaume Dupuytren (1777–1835). 1812 entfernte e​r eine Knochengeschwulst a​m Unterkiefer d​urch eine Teilresektion d​es Unterkiefers. 1843 w​agte der italienische Chirurg Bartolomeo Signorini (1797–1844) d​ie Totalextirpation d​es Unterkiefers. Der e​rste Kieferchirurg, ärztlich u​nd zahnärztlich ausgebildet, dürfte Simon P. Hullihen (1810–1857) gewesen sein, d​er in d​en 1840er Jahren i​n Wheeling (West Virginia), U.S.A., e​ine Spezialklinik für „Oral Surgery“ eröffnete u​nd Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Mundhöhlenkarzinome, Kieferhöhlen u​nd Kieferplastiken operierte. Die e​rste Klinik für Oral Surgery, d​ie 1840 d​em Philadelphia College o​f Dental Surgery angegliedert w​urde und 1856 i​n die Pennsylvania College o​f Dental Surgery überging, leitete d​er Arzt u​nd Zahnarzt James Garretson (1828–1895). Er etablierte d​ie Kieferchirurgie i​n Amerika a​ls selbständiges Fachgebiet.[475]

1890 w​urde der i​n Chirurgie habilitierte Carl Partsch (1855–1932) z​um Direktor d​es in Breslau neugegründeten Zahnärztlichen Instituts ernannt. Er n​ahm für s​ich in Anspruch, „dem Zahnarzt d​as Messer i​n die Hand gedrückt z​u haben“ u​nd gilt a​ls Vater d​er zahnärztlichen Chirurgie.[475] Partsch entwickelte insbesondere d​ie Operationsmethoden d​er Wurzelspitzenresektion, 1892 d​ie nach i​hm benannte Zystostomie (Partsch I) u​nd 1910 d​ie Zystektomie (Partsch II). Die Schnittführung b​ei diesen Operationen trägt ebenfalls seinen Namen: Bogenschnitt n​ach Partsch.[476] Den ersten plastischen Ersatz d​er Resektionsstelle m​it einem Knochentransplantat n​ahm 1891 d​er Kölner Chirurg Bernhard Bardenheuer vor. Er verwendete d​azu einen gestielten Haut-Periost-Knochenlappen a​us der Stirngegend. Mit d​er Entdeckung v​on Anästhesieverfahren, insbesondere d​er Lokalanästhesien, nahmen kieferchirurgische Eingriffe langsam zu. Die Entwicklung d​es Faches Mund-, Kiefer- u​nd Gesichtschirurgie g​eht auf d​ie besonderen Anforderungen b​ei der Versorgung v​on Kriegsverletzungen i​m Ersten u​nd Zweiten Weltkrieg zurück. Es i​st aus d​er Chirurgie u​nd der s​ich im vorigen Jahrhundert konsolidierenden Zahnmedizin entstanden. Nach 1918 beschäftigten s​ich die Chirurgen u​nd Zahnärzte m​it den Nachbehandlungen d​er Kiefer-/Gesichtsverletzten. Die e​rste Kieferklinik Europas w​ar 1914 i​n Wien z​ur Versorgung d​er Kriegsverletzten v​on dem Chirurgen Anton Freiherr v​on Eiselsberg (1860–1939) gegründet u​nd mit seinem Schüler Hans Pichler (1877–1949) besetzt worden. 1918 w​urde die Kieferstation i​n Düsseldorf i​n die Westdeutsche Kieferklinik umgewandelt. Ihr Vorsteher w​urde August Lindemann (1880–1970). 1925 w​urde in Berlin d​ie zweite kieferchirurgische Fachklinik i​m Rudolf-Virchow-Krankenhaus gegründet, d​er Martin Waßmund (1892–1956) vorstand. 1930 w​urde in d​er Charité Berlin d​ie dritte Fachklinik eingeweiht. Als Chefarzt w​urde Georg Axhausen (1877–1960) gewählt.[477]

Das Ende d​es Zweiten Weltkrieges bedeutete a​uch das Ende d​er Kriegschirurgie. Die Chirurgen u​nd Zahnärzte w​aren nach d​em Kriegsende jedoch n​och lange Zeit m​it der definitiven Versorgung schwerer Kiefer- u​nd Gesichtsverletzten beschäftigt. Die operativ tätigen Kriegszahnärzte verloren i​n der Friedenszeit i​hre Selbständigkeit. Da s​ie nicht doppelapprobiert waren, wurden s​ie einem Facharzt für Chirurgie o​der einem doppelapprobierten Facharzt unterstellt. Eine j​unge Generation v​on Kieferchirurgen — u​nter der Führung v​on Martin Waßmund — setzte s​ich für e​ine eigenständige Kieferchirurgie ein, losgelöst v​on der „grossen Chirurgie“. Die Aufnahme d​er Berufsbezeichnung „Gesichts- u​nd Kieferchirurgie“ stieß a​uf Widerstand d​er plastischen Chirurgen. Sie verlangten, d​ass sich d​as Arbeitsgebiet d​es doppelapprobierten Kieferchirurgen n​ur auf d​ie Zähne, d​en Kieferknochen u​nd das Kiefergelenk beschränken sollte. Jedoch konnte s​ich Waßmund durchsetzen, w​omit der Grundstein für d​ie Schaffung e​ines Facharztes für Kieferchirurgie u​nd eine eigene Standespolitik i​n Deutschland, Österreich u​nd der Schweiz gelegt wurde.[477]

Entwicklung des zahnärztlichen Berufsbilds

Eine nichtakademische Ausbildung, d​ie Konkurrenz d​urch Laienbehandler u​nd zahnbehandelnde Ärzte, e​in niedriges Sozialprestige, e​ine begrenzte Nachfrage n​ach zahnmedizinischen Leistungen w​aren in d​er Mitte d​es 19. Jahrhunderts d​ie Ausgangsvoraussetzungen für d​ie Zukunft d​er Zahnärzte. Trotzdem konnten s​ich die Zahnärzte b​is 1919 g​egen die bestehende Konkurrenz a​ls Profession etablieren.[478]

Geschichte der zahnmedizinischen Assistenzberufe

Zahnarzt C. Edmund Kells mit seinen Lady assistants. Um 1900.
Zahnarztpraxis 1915 in den USA
Zahnärztliche Helferin, 1943

Der Beruf d​er Zahnmedizinischen Fachangestellten gehört z​u den klassischen, überwiegend v​on Frauen ausgeübten Assistenzberufen i​m Gesundheitswesen. Mitte d​es 19. Jahrhunderts halfen b​ei der Zahnbehandlung d​ie „barmherzigen Töchter“ a​us „höheren Familien“.

Dem Zahnarzt C. Edmund Kells (1856–1928) a​us New Orleans w​ird der erstmalige Einsatz e​iner Zahnarzthelferin zugeschrieben. Seit d​em Jahre 1885 machte s​eine Frau diverse Hilfsarbeiten, w​ie Putzen u​nd Führen d​er Akten. Einige Jahre später bildete e​r Malvina Cueria (1893–1991) z​ur ersten „Lady assistant“ aus. Die Anwesenheit e​iner „Lady i​n attendance“ ermöglichte e​s ferner e​iner Frau, e​ine Zahnarztpraxis o​hne einer Chaperone (engl.: Anstandsdame) z​u besuchen, w​as sonst a​ls unschicklich gegolten hat. Kells setzte sowohl e​ine „Chairside Zahnarzthelferin“ (chairside engl.: ‚am Behandlungsstuhl‘) z​ur Behandlungsassistenz, a​ls auch e​ine Verwaltungsmitarbeiterin ein. Die Vorteile sprachen s​ich bald h​erum und andere Zahnärzte folgten d​em Beispiel Kells u​nd bildeten selbst Zahnarzthelferinnen aus.[479] Auf Kells g​eht auch d​ie Entwicklung v​on chirurgischen Absauganlagen zurück.[480]

In d​en USA w​ar Alfred Civilion Fones (1869–1938) überzeugt, d​ass die Entfernung v​on Plaque u​nd Zahnstein v​on den Oberflächen d​er Zähne Zahnverlust verhindern kann. Im Jahre 1906 bildete Fones s​eine Sprechstundenhilfe u​nd Cousine Irene M. Newman z​ur ersten Dentalhygienikerin (DH) d​er Welt aus, e​ine Berufsbezeichnung (Dental hygienist), d​ie er schuf. Dies w​ar nur wenige Jahre n​ach der Entdeckung d​er bakteriellen Ursachen für Zahnerkrankungen d​urch Willoughby D. Miller. 1913 eröffnete e​r in Bridgeport (Connecticut), d​ie Fones School o​f Dental Hygiene.[481] Irene Newman w​urde die e​rste Präsidentin d​er Connecticut Dentalhygienist Association. Fons h​atte einerseits d​ie präventive Betreuung v​on Schulkindern i​m Fokus, andererseits wollte e​r weniger begüterten Kreisen, d​ie sich e​inen Zahnarztbesuch n​icht leisten können, Prophylaxeleistungen kostengünstiger d​urch Dentalhygieniker ermöglichen. Juliette Southard w​urde durch Henry Fowler, e​inem New Yorker Zahnarzt 1911 a​ls Dental assistant angestellt u​nd wurde 1924 d​ie erste Präsidentin d​er American Dental Assistent Association (ADAA).[482] Inzwischen g​ibt es 200 Dentalhygienikerschulen u​nd 120.000 registrierte Dentalhygieniker i​n den USA.[483]

Die ersten amerikanischen Dentalhygienikerinnen k​amen im Zweiten Weltkrieg m​it den alliierten Fliegertruppen n​ach England. Eine g​ute Mundhygiene n​ahm in d​en USA s​chon damals e​inen hohen Stellenwert ein. Daher wurden d​ie Piloten i​m Rahmen i​hres Gesundheitsprogramms v​on den mitgeführten DH professionell betreut. Die Amerikanerin Barbara Benson w​ar die e​rste Dentalhygienikerin i​n der Schweiz. Sie w​urde 1961 v​on Hans-Rudolf Mühlemann i​n seiner Abteilung a​m Zahnärztlichen Institut d​er Universität Zürich eingesetzt. Erst n​ach einem fünfjährigen Kampf d​er Befürworter dieses Berufsbilds w​urde die Tätigkeit a​ls DH 1966 i​n der Schweiz legalisiert. 1973 n​ahm die e​rste DH-Schule d​er Schweiz, d​ie Dentalhygiene-Schule Zürich, m​it 20 Schülerinnen d​en Unterricht auf. Nach e​iner zweijährigen Ausbildungszeit wurden 1975 d​ie ersten schweizerischen Dentalhygienikerinnen diplomiert. Heute dauert d​ie Ausbildung z​ur Dentalhygienikerin d​rei Jahre. DH-Schulen etablierten s​ich nach u​nd nach i​n Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark, England, Holland, Japan, Italien, Portugal u​nd Deutschland.[484][485]

In Deutschland sprach m​an 1913 v​on dem „Empfangsfräulein d​es Zahnarztes“. 1940 w​urde erstmals d​er Anlernberuf „Sprechstundenhelferin b​eim Zahnarzt o​der Dentisten“ anerkannt. Erst n​ach dem Zweiten Weltkrieg w​urde 1952 d​er Anlernberuf a​ls zweijähriger Lehrberuf „Zahnärztliche Helferin“ u​nd das dazugehörige Berufsbild geschaffen u​nd staatlich anerkannt. Mit d​em Inkrafttreten d​es § 25 d​es Berufsbildungsgesetzes (BBiG) v​om 14. August 1969 i​n der BRD w​urde die Ausbildung z​ur „Zahnärztlichen Helferin“ i​n das Duale System überführt, i​n dem d​ie Kenntnisse a​n der Berufsschule u​nd in d​er Zahnarztpraxis vermittelt werden.[486] In d​er DDR lautete d​ie Berufsbezeichnung a​b 1977 „Stomatologische Schwester“. Mit d​er Weiterentwicklung d​er zahnärztlichen Tätigkeiten w​urde eine adäquate Assistenz i​mmer notwendiger. 1989 t​rat die Ausbildungsverordnung z​ur Zahnarzthelferin / z​um Zahnarzthelfer i​n Kraft. Ab 1. August 2001 änderte s​ich die Berufsbezeichnung i​n „Zahnmedizinische Fachangestellte / Zahnmedizinischer Fachangestellter“.[487] Mittels Aufstiegsfortbildungen können, j​e nach Land u​nd Zahnärztekammerbereich, folgende Berufsbezeichnungen erworben werden, w​obei zwischen Behandlungs- u​nd Verwaltungsassistenz unterschieden wird:

Behandlungsassistenz

Verwaltungsassistenz

Geschichte der Tierzahnheilkunde

Vignette mit einem Porträt Bourgelats

In d​er Frühgeschichte d​er Tierzahnheilkunde g​ing es u​m die Behandlung u​nd Bewertung d​es Pferdegebisses. Pferdezahnheilkunde w​urde von d​en Chinesen bereits 600 v. Chr. praktiziert. Im Pferdehandel w​ar die Zahnaltersschätzung e​ines Pferdes e​in wichtiger Faktor b​ei der Bestimmung seines Wertes. Die griechische Kultur verbesserte d​ie Altersbestimmung u​nd untersuchte d​ie Zahndurchbruchszeiten i​m Leben e​ines Pferdes. Simon v​on Athen beschrieb i​m 5. Jahrhundert v. Chr. d​ie Technik d​er Altersbestimmung v​on Pferden u​nd ihren Durchbruch. Eine separate Abhandlung über d​ie Tier-, speziell d​ie Pferdeheilkunde verfasste Flavius Vegetius Renatus i​n seinem Werk Digesta Artis Mulomedicinae, i​n welcher e​r von d​en „Thüringern“, d​en Sächsisch-Thüringisches Schweren Warmblütlern a​ls einer für d​en Kriegsdienst besonders tauglichen Pferderasse schreibt.[488] Zur Zeit d​er Römer bestanden frühe veterinäre Zahnbehandlungen b​ei Hunden a​us chirurgischen Verfahren, m​it denen d​ie Lyssa, e​in Teil d​er Zunge, entfernt wurde. Bei Hunden u​nd Katzen findet s​ich im Zungenboden e​in bindegewebiger Strang i​n Längsrichtung, d​er als „Tollwurm“ (Lyssa) bezeichnet wird. Dieser w​urde in früherer Zeit m​it der Tollwut-Erkrankung i​n Zusammenhang gebracht.[489] Die Methode d​er Altersschätzung g​eht auf Pessina v​on Czechorod zurück, d​er Ende d​es 18. Jahrhunderts a​n der Wiener Militärtierarzneischule unterrichtete. Mit d​er Entwicklung verlässlicher Kriterien konnte m​an nun Altersangaben d​er Vorbesitzer überprüfen. Nur b​ei Schenkungen w​ar das Alter gleichgültig: „Einem geschenkten Gaul schaut m​an nicht i​ns Maul“ i​st noch h​eute als Sprichwort bekannt. „Rosstäuscher“ versuchten daraufhin, u​nter anderem d​urch Einbrennen v​on Kunden, Pferde wieder jünger aussehen z​u lassen. Als Kunden (lateinisch Infundibulae) bezeichnet m​an becherartige Schmelzeinstülpungen a​n den Schneidezähnen. Sie s​ind beim durchbrechenden Schneidezahn i​m Oberkiefer 12 mm, i​m Unterkiefer 6 mm t​ief und nutzen s​ich etwa 2 mm/Jahr ab.[490]

Carlo Ruini, Aufbau der Pferdezähne

Aristoteles beschrieb d​ie Parodontitis b​ei Pferden i​n seinem Buch Die Geschichte d​er Tiere (333 v. Chr.).[491] Mangels Anästhesieverfahren u​nd Kenntnissen d​er Physiologie u​nd Pathologie wurden o​ft unnötige, ungeeignete o​der gar barbarische Behandlungen durchgeführt. Der Fortschritt i​n der Tierzahnheilkunde g​ing sehr langsam v​oran und blühte e​rst nach Einführung geeigneter Anästhesieverfahren auf.[492]

Carlo Ruini (1530–1598) w​ar Autor e​ines der bedeutendsten veterinärmedizinischen Werke d​es 16. Jahrhunderts, d​em 1598 – d​rei Monate n​ach seinem Tod – erstmals erschienenen Werk Anatomia d​el Cavallo (ital.: „Anatomie d​es Pferdes“), d​as sich a​uch der Anatomie d​er Pferdezähne widmete. Es g​ilt als Meilenstein i​n der Veterinäranatomie u​nd im Besonderen d​er Pferdeheilkunde, d​as stark d​urch die Werke Andreas Vesalius beeinflusst w​ar und e​rst in d​er zweiten Hälfte d​es 18. Jahrhunderts übertroffen wurde.[493]

Während d​er Renaissance h​aben – u​nter vielen anderen – Leonardo d​a Vinci u​nd Carlo Ruini (1530–1598) Beiträge z​ur Pferdezahnmedizin verfasst, Ruini i​n seinem Werk Anatomia d​el Cavallo (Anatomie d​es Pferdes). Sie enthielten chirurgische Beschreibungen, w​ie die Lippe e​ines Pferdes z​u beschneiden ist, d​amit die Trense besser platziert werden k​ann oder Techniken z​ur Zahnextraktion. Von Jordanus Ruffus[494][495] erschien d​ie Schrift "Equine Medicine".

1762 erfolgte d​ie Gründung d​er ersten tierärztlichen Schule i​n Lyon, Frankreich (ab 1764 École royale vétérinaire d​e Lyon) d​urch Claude Bourgelat, d​ie auch d​ie Entwicklung d​er modernen Tierzahnheilkunde einleitete. Die e​rste Publikation z​ur Tierzahnmedizin erschien 1889. Es folgten weitere Bücher i​n den Jahren 1905 u​nd 1938.[496] Diese Bücher widmeten s​ich der Pferdezahnheilkunde u​nd der Kleintierzahnheilkunde. In d​en 1930er Jahren erwies s​ich in Wien Joseph Bodingbauer a​ls Pionier d​er Kleintierzahnheilkunde. Während dieser Zeit verlagerte s​ich der Schwerpunkt d​er tierzahnmedizinischen Wissenschaft v​on Pferden a​uf Hunde, Katzen u​nd andere Kleintiere. 1929 erschien e​ine Reihe v​on detaillierten Arbeiten v​on Edward Mellanby, d​ie sich m​it den Auswirkungen v​on Ernährungsumstellungen a​uf die Zahnentwicklung u​nd mit Erkrankungen d​er Eckzähne beschäftigten[491] (Mellanbys Frau May w​ar eine bekannte Zahnärztin u​nd nutzte d​ie von i​hrem Mann u​m 1923 gemachte Entdeckung, d​ass Vitamin D g​egen Rachitis wirksam ist. Sie setzte Vigantol i​n der Zahnmedizin b​ei Menschen ein[497]).

Im Jahre 1971 w​urde an d​er Klinik für kleine Haustiere d​er Universität Bern d​urch Regierungsratsbeschluss d​ie Abteilung für Zahnheilkunde i​ns Leben gerufen. Es handelte s​ich dabei u​m die weltweit e​rste derartige Abteilung a​n einer Universität. Die Gründung erfolgte v​or allem d​ank der Weitsicht v​on Ulrich Freudiger, damals Direktor d​er Kleintierklinik, u​nd Hugo Triadan (1930–1987) v​on der Klinik für Zahnerhaltung d​er Humanmedizin.[498] Im Jahre 1972 entwickelte Triadan e​in Zahnschema für Tiere, d​as seitdem weltweit angewendet wird. Dabei h​at er s​ich an d​as FDI-Zahnschema d​es Menschen angelehnt, d​as 1960 v​om Berliner Hochschullehrer Joachim Viohl entwickelt worden ist.[499]

In d​en USA erhielt d​urch die Bildung d​er American Veterinary Dental Society i​m Jahr 1976 d​ie Tierzahnheilkunde e​inen Auftrieb, zunächst i​m Kleintierbereich, danach i​m Pferdesektor u​nd später a​uf dem Gebiet d​er Nage- u​nd Heimtiere, w​as weltweit d​ie Gründung v​on Fachgesellschaften n​ach sich zog.[500]

Nachdem d​ie European Veterinary Dental Society (EVDS) 1992 gegründet worden war, entstand 2004 d​ie Deutsche Gesellschaft für Tierzahnheilkunde (DGT–DVG). Der Fachtierarzttitel „für Zahnheilkunde d​er Kleintiere“ w​urde 2008 g​egen erhebliche Widerstände seitens d​er Standesvertreter i​n den Tierärztekammern bisher n​ur in Schleswig-Holstein u​nd Bayern eingeführt.[501] In d​en USA i​st die Tierzahnheilkunde e​ine der 20 d​urch die American Veterinary Medical Association anerkannten tierärztlichen Fachrichtungen.[502] Daneben findet s​eit 2001 bereits e​ine Zahntechnikerausbildung z​um Tierzahntechniker statt.[503] Im selben Jahr w​urde die British Association o​f Equine Dental Technicians, d​ie „Britische Gesellschaft d​er Pferdetierzahntechniker“ i​n Großbritannien gegründet.[504]

Die Tierzahnheilkunde bedient s​ich entsprechend modifizierter Verfahren d​er allgemeinen Zahnheilkunde.

Historische Sammlung und Museen zur Geschichte der Zahnmedizin

Linzer Museum für Geschichte der Zahnheilkunde in Oberösterreich

Die Geschichte d​er historischen Sammlung z​ur Zahnmedizin u​nd des Forschungsinstitutes für Geschichte d​er Zahnheilkunde i​n der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- u​nd Kieferheilkunde s​ind sehr e​ng mit d​em jüdischen Zahnarzt Curt Proskauer (1887–1972) verbunden, a​uf dessen Initiative 1927 d​ie Gründung d​es Reichsinstitutes für Geschichte d​er Zahnheilkunde erfolgte u​nd der s​eine umfangreiche Bibliothek u​nd Privatsammlung d​em Reichsverband d​er Zahnärzte Deutschlands e. V. überließ. Gefördert w​urde dies v​om damaligen Vorsitzenden Fritz Linnert (1884–1949) u​nd vom zweiten Geschäftsführer Fritz H. Witt (1887–1969). Die Bibliothek w​urde über d​ie Kriegswirren gerettet u​nd anschließend v​on der Bundeszahnärztekammer b​is zu i​hrem Umzug n​ach Berlin u​nd der Auflösung d​er Deutschen Zahnärzte-Bücherei verwaltet. Sie umfasste z​um Zeitpunkt d​es Umzugs i​m Jahr 2000 e​twa 40.000 Schriften, darunter v​iele wertvolle historische. Sie lagert s​eit dem Umzug i​n Containern i​n Berlin u​nd wartet seitdem a​uf eine historische Aufbereitung.[505] Es w​ird vermutet, d​ass Akten bewusst vernichtet wurden, vielleicht v​on Autoren, d​ie in j​ener Zeit u​nd anschließend b​eim Aufbau d​er neuen Selbstverwaltung e​ine Rolle spielten. So g​ibt es u​nter anderem Bände d​er Zahnärztlichen Mitteilungen i​n Archiven, a​us denen m​it dem Rasiermesser Artikel herausgetrennt wurden.[506]

Dentalhistorisches Museum Zschadraß

70 Jahre n​ach Kriegsende g​ab die Ärztekammer für Wien a​m 16. April 2015 bekannt, d​ass sie s​ich der Aufarbeitung i​hrer NS-Vergangenheit stellen will. Das Projekt w​urde dem Institut für Rechts- u​nd Verfassungsgeschichte d​er Universität Wien übertragen.[507]

Es g​ibt derzeit i​m deutschsprachigen Raum v​ier auf d​ie Historie d​er Zahnmedizin spezialisierte Museen, d​ie öffentlich zugänglich sind, darunter d​as Linzer Museum für Geschichte d​er Zahnheilkunde u​nd Zahntechnik i​n Oberösterreich.[508] Das Zahnmuseum i​n der Universitätszahnklinik Wien. Begründet w​urde die Sammlung v​on Georg Carabelli, Edler v​on Lunkaszprie, d​er 1821 a​ls Erster universitäre Vorlesungen über „Zahnarzneykunde“ hielt.[509] Die dentalhistorische Gustav-Korkhaus-Sammlung i​st am Zentrum für Zahn-, Mund- u​nd Kieferheilkunde d​er Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ausgestellt.[510] Das Dentalmuseum i​n Zschadrass[511] besteht a​us über einhundert kleinen u​nd großen Privatsammlungen, zahlreichen namhaften Dentalfirmenarchiven, d​er Sammlung Thiedmar Oehlert, d​em früheren Privatmuseum Bodirsky u​nd dem Museum Winkelmann.[512]

Darüber hinaus h​aben mehrere Zahnkliniken Lehr- u​nd Forschungssammlungen z​u internen Schulungszwecken. Das i​n Deutschland gegenwärtige zahnmedizinhistorische Sammlungsgut l​iegt verstreut i​n Universitäten, Museen, Firmen o​der Standesorganisationen. Ein großer Teil d​er Sammlungen g​ing verloren, d​a es i​mmer wieder versäumt wurde, d​ie wertvollen Gegenstände z​u bewahren. Mit e​inem um 1986 bewusst einsetzenden Bewahrungsprozess konnten n​ur erschwert Stücke gesichert werden.[513]

Kritik

Der Schweizer Historiker Schär kritisiert, d​ass die vergleichsweise spärliche dentalhistorische Literatur f​ast ausnahmslos a​us der Feder v​on Zahnärztinnen u​nd Zahnärzten stammt. Es handle s​ich vorwiegend u​m historisch ausgerichtete zahnmedizinische Dissertationen s​owie um Jubiläumsschriften. Dabei dominiere d​as Narrativ d​er „Errungenschaftsgeschichtsschreibung“. Erzählt w​ird eine Geschichte d​er „Suche n​ach Mitteln z​ur Linderung d​es Zahnschmerzes“. Sozial- u​nd kulturhistorische[514] Untersuchungen, d​ie auf d​ie historisch-gesellschaftliche Verwurzelung d​es zahnärztlichen Wirkens, d​ie kulturelle Bedingtheit i​hres Wissens s​owie die außermedizinischen Wirkungen d​er Zahnmedizin fokussieren, fehlen weitgehend. In d​er Zahnmedizin repräsentierte d​ie Karies s​eit der Verwissenschaftlichung d​er Fachdisziplin i​m ausgehenden 19. Jahrhundert w​eit mehr a​ls bloß e​inen bakteriologischen Vorgang i​m Mund. Der „Zahnzerfall“ g​alt als Symptom für e​inen generellen „Kulturzerfall“. Hinter dieser Deutungsweise steckte e​ine zivilisationskritische u​nd kulturpessimistische Sicht a​uf den gesellschaftlichen Wandel, wonach dieser d​en modernen Menschen v​on der Natur entfremde u​nd zu e​iner „Verweichlichung“ d​er Lebensweise führe.[515]

Literatur

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  • Max Baldinger: Aberglaube und Volksmedizin in der Zahnheilkunde. (Medizinische Dissertation, Basel) In: Schweiz. Archiv für Volkskunde. Band 35, 1936, Heft 1–2, S. 23–52 und 65–104; auch in: Volksmedizin: Probleme und Forschungsgeschichte. Hrsg. von Elfriede Grabner, Darmstadt 1967 (= Wege der Forschung. Band 63), S. 116–199.
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  • H.-H. Eulner: Die akademische Frühzeit der Zahnheilkunde in Deutschland. In: Medizinhistorisches Journal. Band 1, 1966, S. 3–15.
  • Werner E. Gerabek, Gundolf Keil: Kulturgeschichte der Zahnheilkunde, I–III: Ein zäher Kampf der Zahnärzte um Respekt und Anerkennung. In: Zahnärztliche Mitteilungen. Band 79, 1989, S. 1872–1876, 2064–2069 und 2914–2197.
  • Werner E. Gerabek: Zahnheilkunde. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. S. 1518–1523.
  • (Hans) Christian Greve: Tabellarische Übersicht über die Geschichte der Zahnheilkunde. [Unter Redaktion des Institutes für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften in Berlin]. In: Deutsche Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Band 4, 1937, S. 801–817.
  • Christian Greve: Vom Zahnheilhandwerk zur Zahnheilkunde. München 1952.
  • Dominik Groß, Werner E. Gerabek: Zahnarzt, Zahnbrecher, Zahnextraktion, Zahnkaries und Zahnwurm. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1515–1524.
  • Walter Hoffmann-Axthelm: Die Geschichte der Zahnheilkunde. Die Quintessenz, Berlin 1973.
  • Walter Hoffmann-Axthelm, Die Geschichte der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Quintessenz, Berlin 1995, ISBN 978-3-87652-077-3.
  • Jakob Calmann Linderer: Lehre von den gesammten Zahnoperationen […]. Berlin 1834[516]
  • Ulrich Lohse: Instrumente, zahnärztliche. Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 675–680.
  • Arthur Ward Lufkin: A history of dentistry. 2. Auflage Philadelphia 1948.
  • Placido Micheloni: Il mondo dei denti e la sua storia. I–II, Rom 1976/77.
  • Ullrich Rainer Otte: Jakob Calmann Linderer (1771–1840). Ein Pionier der wissenschaftlichen Zahnmedizin. Medizinische Dissertation, Würzburg 2002.
  • Julius Parreidt: Geschichte des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte 1859–1909. Springer, 2013, ISBN 978-3-662-41001-1, S. 6 ff. (books.google.com).
  • Alfred Renk: Werkstoffkunde, zahnärztliche. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. S. 1472 f.
  • Alfred Renk: Zahnfüllungen. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. S. 1517.
  • Malvin E. Ring (Hrsg.): Dentistry - An illustrated history. St. Louis und New York 1985; Neudrucke ebenda 1992 u. ö.
  • Jutta Schönfeld: Die Zahnheilkunde im „Kitâb Zâd al-musâfir“ [10. Jh.] des Ibn al-Dschazzar al-'Gazzâr. In: Sudhoffs Archiv. Band 58, 1974, S. 380–403.
  • Konrad Schubring: Zur Zahnanatomie und -physiologie der Spätantike und des Mittelalters. In: Medizinhistorisches Journal 1, 1966, S. 144–148.
  • Otto Spies: Beiträge zur Geschichte der arabischen Zahnheilkunde. In: Sudhoffs Archiv. Band 46, 1962, S. 153–177.
  • Hedwig Strömgren: Einige antike und mittelalterliche Kuren gegen Zahnschmerzen. In: Janus. Band 31, 1927, S. 359–367; sowie: Weitere Betrachtungen zu dem Artikel „Einige antike und mittelalterliche Kuren gegen Zahnschmerzen“. In: Janus. Band 33, 1929, S. 14–17.
  • Hedwig L. Strömgren (= Hedvig Lidforss Strömgren): Die Zahnheilkunde im achtzehnten Jahrhundert. Ein Stück Kulturgeschichte. Kopenhagen 1935.
  • Hedwig L. Strömgren: Die Zahnheilkunde im neunzehnten Jahrhundert. Kopenhagen 1945.
  • Wolfgang Strübig, Geschichte der Zahnheilkunde: eine Einführung für Studenten und Zahnärzte, Januar 1989, Dt. Ärzte-Verlag, Köln, ISBN 978-3-7691-1099-9
  • Karl Sudhoff: Geschichte der Zahnheilkunde. Leipzig 1921; 2. Auflage ebenda 1926; Neudruck Hildesheim 1964.
  • Gisela Tascher: Im Dienste des Volkskörpers. Gleichschaltung der Zahnärzteschaft nach 1933. In: Zahnärztliche Mitteilungen. Band 20, 2017 (in: zm online. vom 16. Oktober 2017).
  • Ralf Vollmuth: „Von geschwür, stinckung vnd faulung des zanfleisches“. Betrachtungen zur Geschichte der Parodontalprophylaxe vom Spätmittelalter bis um 1900. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 16, 1997, S. 261–271.
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Einzelnachweise

  1. Vgl. etwa Karl Sudhoff: Geschichte der Zahnheilkunde. 2. Auflage. Leipzig 1929.
  2. Vgl. etwa Johann Jakob Joseph Serre: Praktische Darstellung aller Operationen der Zahnarzneikunst. Berlin 1804.
  3. F. David, V. D’Iatchenko, J. G. Enloe, M. Girard, M. Hardy, V. Lhomme, A. Roblin-Jouve, A. M. Tillier, C. Tolmie: New Neandertal remains from the Grotte du Bison at Arcy-sur-Cure, France. In: Journal of human evolution. Band 57, Nummer 6, Dezember 2009, S. 805–809, ISSN 1095-8606. doi:10.1016/j.jhevol.2009.03.006. PMID 19683787. Volltext online (englisch).
  4. Louise T. Humphrey, Isabelle De Groote, Jacob Morales, Nick Barton, Simon Collcutt, Christopher Bronk Ramsey, Abdeljalil Bouzouggar: Earliest evidence for caries and exploitation of starchy plant foods in Pleistocene hunter-gatherers from Morocco. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 111, 2014, S. 954–959, doi:10.1073/pnas.1318176111.
  5. Gregorio Oxilia, Marco Peresani et al.: Earliest evidence of dental caries manipulation in the Late Upper Palaeolithic. In: Scientific Reports. 5, 2015, S. 12150, doi:10.1038/srep12150.
  6. A. Coppa, L. Bondioli u. a.: Palaeontology: early Neolithic tradition of dentistry. In: Nature. Band 440, Nummer 7085, April 2006, S. 755–756, ISSN 1476-4687. doi:10.1038/440755a. PMID 16598247. Abgerufen am 20. September 2014.
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  8. Federico Bernardini, Claudio Tuniz, et al.: Beeswax as Dental Filling on a Neolithic Human Tooth. In: PloS one. Band 7, Nummer 9, 2012, S. e44904, ISSN 1932-6203. doi:10.1371/journal.pone.0044904. PMID 23028670. PMC 3446997 (freier Volltext). Abgerufen am 20. September 2014.
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  10. Pia Bennike: Ancient Trepanation and Differential Diagnosis: A Re-Evaluation of Skeletal Remains from Denmark. In: Robert Arnott, Stanley Finger, Chris Smith: Trepanation. History, Discovery, Theory. Swets & Zeitlinger, Lisse 2005, S. 95–115, hier: S. 104 (eingeschränkte Vorschau bei Google Books).
  11. John Robb: The Early Mediterranean Village. Agency, Material Culture, and Social Change in Neolithic Italy. Cambridge University Press, Cambridge 2007, S. 38.
  12. Susann Lindemann: Rituelle Deformierungen bei Naturvölkern. (PDF) Dissertation, Universität Greifswald 2007, S. 2. Abgerufen am 13. November 2014.
  13. Richard P. Suddick, Norman O. Harris: Historical perspectives of oral biology: a series. In: Critical Reviews in Oral Biology and Medicine . Band 1, Nummer 2, 1990, S. 135–151, hier: S. 142 ISSN 1045-4411. PMID 2129621. online. (PDF) Abgerufen am 20. September 2014.
  14. Hermann Prinz: Dental Chronology — A Record of the More Important Historic Events in the Evolution of Dentistry. Lea & Febiger, Philadelphia 1945, S. 7.
  15. Astrid Hubmann: Der Zahnwurm. Die Geschichte eines volksheilkundlichen Glaubens. (PDF; 2,9 MB) Dissertation, 2008, S. 17. Abgerufen am 18. November 2014.
  16. Es soll sich unter der Signatur Tablet 55547 im British Museum in London befinden (Arthur Bulleid: The Microbe Hunters. In: Proceedings of the Royal Society of Medicine. Section of Odontology. 47, 1953, S. 37–40, hier: S. 39).
  17. P. Pachaly: Die Chronik der Medizin. H. Schott (Hrsg.). Chronik-Verlag, Dortmund 1993, ISBN 3-611-00273-9. In: Pharmazie in Unserer Zeit. 23, 1994, S. 33–33, doi:10.1002/pauz.19940230111.
  18. Astrid Hubmann: Der Zahnwurm. Die Geschichte eines volksheilkundlichen Glaubens. (PDF; 2,9 MB) Dissertation, 2008, S. 14. Abgerufen am 1. Dezember 2014.
  19. Hedwig Strömgren: Weitere Betrachtungen zu dem Artikel „Einige antike und mittelalterliche Kuren gegen Zahnschmerzen“. In: Janus 33, 1929, S. 14–17.
  20. Plinius der Ältere: Naturalis historia. 28.49, 31.46, 31.21+26, 36.42.
  21. Hedvig Lidforss-Strömgren: Über Cajuzs Plinius Secundus und sein Verhältnis zur Zahnheilkunde. In: Nova Acta Leopoldina, Neue Folge, 27 (Leipzig) 1963, S. 141–144.
  22. Astrid Hubmann: Der Zahnwurm. Die Geschichte eines volksheilkundlichen Glaubens. (PDF; 2,9 MB) Dissertation, 2008, S. 26. Abgerufen am 18. November 2014.
  23. Gundolf Keil: „dits die beste raet die icker toe can gegeuen genomen vte platearise“. Quellenkundliche Anmerkungen zu Ypermans Medicine. In: Geneeskunde in nederlandstalige teksten tot 1600. Koninklijke Academie voor Geneeskunde van België, Brüssel 2012 (2013), ISBN 978-90-75273-29-8, S. 93–137, hier: S. 106 f.
  24. Konrad Goehl: Tradition, Empirie und Paradigmenwechsel. In: Konrad Goehl, Johannes Gottfried Mayer (Hrsg.): Editionen und Studien zur lateinischen und deutschen Fachprosa des Mittelalters. Festgabe für Gundolf Keil zum 65. Geburtstag. (= Texte und Wissen. Band 3). Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, ISBN 978-3-8260-1851-0, S. 419–429. Eingeschränkte Vorschau in Google Books.
  25. Gundolf Keil: Yperman, Jan (Jehan, Johan Y., Ieperman). In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin / New York 2005, S. 1513 f.
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  27. Ullrich Rainer Otte: Jakob Calmann Linderer (1771–1840). Ein Pionier der wissenschaftlichen Zahnmedizin. Medizinische Dissertation, Würzburg 2002, S. 21 f.
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