Wachsausschmelzverfahren
Das Wachsausschmelzverfahren ist ein Formverfahren für den Metall- und Glasguss. Es werden oft einteilige Formen hergestellt. Die Modelle werden meist aus Wachs hergestellt. Im Verlauf des Verfahrens wird sowohl das Modell als auch die Form zerstört. Daher wird es auch als Verfahren mit verlorenem Modell bezeichnet, gelegentlich auch als Verfahren mit verlorener Form. Da aber noch andere, gänzlich verschiedene Formverfahren mit verlorener Form existieren, sollte letztere Bezeichnung vermieden werden.
Eine andere Bezeichnung für das Verfahren ist der französische Begriff cire perdue („verlorenes Wachs“).
Arbeitsschritte
- Ein gewünschter Gegenstand wird aus Wachs modelliert. Dies ist das Modell oder Wachsmodell.
- Das Modell wird mit Einguss- und Entlüftungskanälen versehen (in Gießereien werden solche Modelle auch als „das Wachs“ bezeichnet).
- Der Formstoff wird aufbereitet.
- Das Modell wird mit Formstoff/Einbettmasse ummantelt; es entsteht die Grünform.
- Die Grünform wird ausgeschmolzen; der Formhohlraum entsteht. Bei wasserhaltigen Formstoffen wird dieser dabei getrocknet, bei Gipsmodellen erfolgt teilweise zuvor eine Vakuumtrocknung.
- Je nach Einbettmasse wird die Form eventuell gebrannt.
- Geschmolzenes Metall oder Glas wird in die Form gegossen.
- Die geschmolzene Masse erstarrt in der Form.
- Die Form wird zerschlagen, um den Rohguss zu entnehmen.
Varianten des Wachsausschmelzverfahrens
Man unterscheidet zwei Arten von Formen, die verschieden aufgebaut werden:
Blockförmige Formen
Hierzu zählen alle Formstoffe, deren Bindemittel Gips ist, z. B. Schamotte oder Ziegelsplitt. Die Wachsmodelle werden mit einem Anschnitt versehen und entweder in den flüssigen Formstoff getaucht oder die Modelle werden mit dem Formstoff übergossen. Nachdem der Gips abgebunden hat, müssen die Formen je nach Größe einige Tage im Trockenofen bei Temperaturen bis etwa 800 °C gebrannt werden.
Formen mit schalenförmigem Aufbau
Diese Formen umhüllen das Wachsmodell mit einer Schale aus feuerfestem Formstoff. Während bei den obengenannten Formen der Formstoff in flüssiger Weise vorliegt, wird bei dieser Methode der Formstoff in einem oder mehreren Arbeitsgängen auf das Wachs aufgetragen. Die am häufigsten verwendeten Formstoffe hierfür sind Tone und speziell aufbereitete Lehme. Seit Ende des 20. Jahrhunderts werden auch Quarzsand mit Wasserglas als Bindemittel bzw. andere feuerfeste Materialien wie Zirkon- und Olivinsand mit synthetischen Bindemitteln. Letztere finden oft in der Schmuckindustrie, dem Präzisionsguss oder Feingießen Verwendung.
Anforderungen an die Materialien
Das Modellmaterial muss mechanisch belastbar sein, so dass es beim Einformen nicht zerbricht oder deformiert wird. Das Modellmaterial muss sich restlos ausschmelzen lassen, dies gilt speziell beim Präzisionsguss. Sollte das Modell auch mittels einer Form hergestellt werden, sollte es nur eine geringe oder gar keine Schwindung aufweisen.
Die Formstoffe sind vielgestaltig, aber alle Formstoffe sollten eine Kombination der folgenden Eigenschaften aufweisen:
- Bildsamkeit
- Feuerfestigkeit
- Gasdurchlässigkeit
- guter Zerfall nach dem Guss
Für den Präzisionsguss sind zusätzlich erforderlich:
- Dimensionsverhalten
- chemische Stabilität
Gipsgebundene Einbettmassen zerfallen leicht und geben dabei Schwefel ab, der das Gussmetall verunreinigt.
Aus den Anforderungen ergibt sich, dass eine Reihe von Materialien in Frage kommen, zum Beispiel:
- Tonminerale
- Lehm
- Schamotte
- Quarzsand
- Ziegelsplitt
- Gips
Geschichte
Das Prinzip dieses Verfahrens ist seit Jahrtausenden bekannt und fand spätestens seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. Anwendung im Metallhandwerk. Bedeutende Zentren der Metallverarbeitung waren ab dem 5. Jahrtausend Bulgarien mit seinen frühen Kupferminen sowie Kestrel und Göltepe in Anatolien mit einer der frühesten Zinnminen und Zinnproduktion der Alten Welt (4. Jahrhundert v. Chr.).
Das Verfahren war auch den indigenen Völkern Kolumbiens und Mittelamerikas bekannt, z. B. den Muisca (Eldorado). Sie benutzten dafür z. B. Tumbaga und formten Kultgegenstände.
Alle bedeutenden Bronzekunstgusswerke des frühen Mittelalters sind so entstanden.
Heute wird beispielsweise die Kühlerfigur des Rolls-Royce (siehe Spirit of Ecstasy) im Wachsausschmelzverfahren hergestellt. Auch in der zeitgenössischen Kunst findet dieses Verfahren seine Anwendung, da die Abformung sehr exakt die feinen Modellierstrukturen abbildet, wie man beispielsweise an den Bronzeskulpturen des Künstlers Norbert Marten erkennen kann. Die Zahntechnik verwendet diese Methode ebenfalls.
Traditionell gibt es neben dem Wachsausschmelzverfahren beim Glockenguss – bei dem Schriftzeichen und Zierschmuck aus Wachs vor dem Guss auf der „falschen Glocke“ aufgebracht werden – noch ein weiteres Verfahren, um Glocken zu beschriften und/oder zu verzieren: die Glockenritzzeichnung.
Das Prinzip wird heutzutage teilweise auch noch beim Stahlguss angewandt.
Werkbeispiele
Der reiche biblische Figurenschmuck der Bernwardstür, eine um das Jahr 1015 datierte zweiflügelige Bronzetür im Westportal des Doms zu Hildesheim, der erste Bildzyklus der deutschen Plastik, Teil des Hildesheimer Weltkulturerbes von Dom und Michaeliskirche, und zugleich eines der Hauptwerke der ottonischen Kunst, wurde im Wachsausschmelzverfahren hergestellt.
Egbert Broerken, Emil Cimiotti und Bodo Muche gehören zu Bildhauern, die das Verfahren in jüngerer Zeit nutzen.
- Stadtmodell Lüneburg
- Stadtmodell Bayreuth
Siehe auch
Literatur
- Peter Cornelis Bol: Antike Bronzetechnik. Kunst und Handwerk antiker Erzbildner, C. H. Beck, München 1985, ISBN 3-406-30462-1, S. 118–135.