Knochen
Der Knochen oder lateinisch Os (Plural Ossa; altgriechisch οστούν in Zusammensetzungen Osteo-), deutsch auch Bein (aus germanischer Wortwurzel, vergleiche Brustbein, Elfenbein, Beinhaus und englisch bone) ist ein druck- und zugfestes Organ. Aus Knochen bestehen die Endoskelette der Wirbeltiere. Das menschliche Skelett eines Erwachsenen besteht aus etwa 205 Knochen. Die Anzahl variiert, da unterschiedlich viele Kleinknochen in Fuß und Wirbelsäule vorhanden sein können. Kleine Knochen, beispielsweise akzessorische Knochen in Hand- oder Fußwurzel, werden oft als Ossikel (Knöchelchen) bezeichnet.
Knochen sind Teil des Stütz- und Bewegungsapparats und werden dem passiven Bewegungsapparat zugerechnet. Die einzelnen Knochen sehen je nach Lage und Funktion unterschiedlich aus. Gleichzeitig schützen die Knochen innere Organe, wie die Schädelknochen das Gehirn und der Brustkorb das Herz und die Lunge. Außerdem bilden sich im roten Knochenmark die roten Blutkörperchen, die Blutplättchen und die weißen Blutkörperchen. Die Größe variiert zwischen den nur millimetergroßen Gehörknöchelchen einiger Kleinsäuger bis zu den meterlangen Bein- und Rippenknochen der Dinosaurier.
Etymologie
Ursprünglich wurden Teile des Endoskeletts mit Bein (mhd., ahd. bein; Plural: Beine, Kollektivum: Gebein) bezeichnet, seit dem 14. Jahrhundert mit dem von knoche (mhd.) oder knoke (mnd.) abgeleiteten Knochen. Das wohl ursprünglich lautmalerische Wort (vgl. knacken, engl. to crack) verdrängte weitgehend das ältere Bein. In den deutschen Namen einiger Knochen kommt das Wort Bein jedoch immer noch vor, beispielsweise bei fast allen Schädelknochen. Vgl. auch Elfenbein.
Knochenformen
Die Osteologie als Teilbereich der Anatomie unterscheidet verschiedene Knochenformen:
- Röhrenknochen (lange Knochen, Ossa longa): Oberarmknochen (Humerus), Elle (Ulna) und Speiche (Radius), Oberschenkelknochen (Femur) und Schien- (Tibia), Wadenbein (Fibula) und Fingerknochen. Die langen Knochen bestehen aus zwei Knochenenden (Epiphyse) und einem Knochenschaft (Diaphyse).
- platte Knochen (Ossa plana): am Schädel (Cranium) sowie als Rippen (Costae), Schulterblatt (Scapula), Brustbein (Sternum), Becken (Ossa coxae)
- kurze Knochen (Ossa brevia): ungeformte Knochen, wie Handwurzelknochen
- Sesambeine (Ossa sesamoidea): in Sehnen eingelagerte, kleine rundliche Knochen, die variabel auftreten können, wie Kniescheibe (Patella)
- luftgefüllte Knochen (Ossa pneumatica): enthalten mit Schleimhaut ausgefüllte Hohlräume, am Schädel das Stirnbein (Os frontale)
- unregelmäßige Knochen (Ossa irregularia): Sie lassen sich den anderen Knochenformen nicht zuordnen, Wirbel (Vertebrae) der Wirbelsäule oder der Unterkieferknochen (Mandibula).
Aufbau
Knochen sind lebendige, gut durchblutete Organe aus verschiedenen Geweben. Die mechanischen Eigenschaften werden entscheidend vom Knochengewebe bestimmt. Dieses bildet an der Außenfläche des Knochens die Substantia corticalis (im Mittelteil von Röhrenknochen ist diese sehr dick und wird deshalb auch als Substantia compacta bezeichnet) und im Inneren die Substantia spongiosa, ein schwammartiges Gerüstwerk feiner Knochenbälkchen (Trabekel), die stets so angeordnet sind, dass sie nur auf Druck oder nur auf Zug belastet werden. Die Substantia corticalis macht 70 % der Knochendichte bei Erwachsenen und 30 % bei Kindern aus. Das Knochengewebe besteht zu 25 % aus Wasser, zu 30 % aus organischen und zu 45 % aus anorganischen Anteilen. Die organischen Anteile bestehen ihrerseits zu 95 % aus Kollagen vom Typ I.
Im Schaft von Röhrenknochen ist eine Markhöhle (Cavitas medullaris) ausgebildet. In der Markhöhle und in den Zwischenräumen der Spongiosa befindet sich das Knochenmark (Medulla ossium), das im Laufe des Lebens allmählich durch gelbes Fettmark ersetzt wird. Rotes Knochenmark bleibt nur in wenigen Knochen erhalten (Rippen, Brustbein, Wirbelkörper, Hand- und Fußwurzelknochen, platte Schädelknochen und Becken). Dort finden sich Blut bildende Zellen (siehe Hämatopoese).
Der Knochen wird von einer Bindegewebshaut umgeben, der äußeren Knochenhaut (Periost), die ihm eng anliegt. Alle inneren Oberflächen (Innenseite der Kortikalis, Oberfläche der Trabekel, Gefäßkanäle durch das Knochengewebe) sind mit der inneren Knochenhaut (Endost) bedeckt. An Gelenkflächen ist der Knochen mit Knorpel überzogen, das Periost ist hier unterbrochen.
Knochenwachstum und -umbau
Aus dem embryonalen Bindegewebe, dem Mesenchym, entstehen in der Umgebung von Blutkapillaren unter anderem Osteoblasten. Diese Zellen bilden das weiche Osteoid (kollagenhaltiges Bindegewebe), die noch unverkalkte Knochengrundsubstanz. Sie reichern mit der Zeit Hydroxylapatit an, erst durch die Einlagerung dieses Calciumphosphats wird der Knochen hart und stabil. Osteoblasten, die vollständig von Knochenmatrix umgeben sind, nennt man Osteozyten.
Das Längenwachstum eines Knochens unterliegt einem circadianen Rhythmus mit einem Hauptmaximum in der Nacht (Untersuchung an Ratten).[1] Auch nach den Ergebnissen der Untersuchungen von amerikanischen Forschern der University of Wisconsin–Madison wachsen Knochen hauptsächlich nachts. Die Ursache der insbesondere nachts auftretenden sogenannten Wachstumsschmerzen vor allem an den unteren Extremitäten bei Kindern ist aber nicht geklärt.[2] Unter Wachstumsschmerzen leidet bis zu ein Drittel aller Kinder zwischen drei und zwölf Jahren.[3]
Man kann zwei verschiedene Arten der Knochenentwicklung (Ossifikation) unterscheiden.
- Desmale Ossifikation – Entwicklung aus bindegewebiger Vorstufe (Schädeldach, Gesicht, Teile des Schlüsselbeins)
- Chondrale Ossifikation – Entwicklung aus hyalinem Knorpelskelett (Mehrheit der Knochen)
Das Längenwachstum der Röhrenknochen erfolgt in den knorpeligen Epiphysen- oder Wachstumsfugen zwischen Schaft und Epiphysen, wobei Blutgefäße einsprossen und gegen die Wachstumsfuge ein Labyrinth erweiterter Blutkapillaren bilden.[4] Die Knorpelzellen teilen sich in Längsrichtung gegen den Schaft (Diaphyse). Vom Schaft aus verknöchert dieser wachsende Knorpel. Die Epiphysen weichen dadurch auseinander, der Knochen wird länger. Die Wachstumsfugen gehen aus der knorpeligen Knochenanlage hervor. Sie schließen sich mit Abschluss des Längenwachstums; dies geschieht je nach Knochen in etwas unterschiedlichem Alter. Da die Wachstumsfugen röntgenologisch sichtbar sind, kann der Fugenschluss zur gerichtsmedizinischen Altersbestimmung herangezogen werden.
Knochen ist kein starres Gebilde, sondern unterliegt einem permanenten Umbau. Man spricht hier von Knochengeweberemodellierung.
Verletzungen und Erkrankungen des Knochens
Wenn ein Knochen durch äußeren Einfluss oder mangels Knochenmasse bricht, spricht man medizinisch von einem Knochenbruch (Fraktur). Bei der Heilung wächst der Knochen unter der Knochenbruchbehandlung wieder zusammen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass sich die beiden Teile in richtiger Stellung zueinander befinden. Eine Ruhigstellung erfolgt konservativ, d. h. mit Hilfe eines Gipsverbandes oder einer Schiene, oder operativ als Osteosynthese mit Hilfe einer Marknagelung oder einer Verplattung. Werden die Knochenenden nicht ruhiggestellt, kann die Heilung ausbleiben, und es kommt zur Pseudarthrose, einem sogenannten „falschen Gelenk“.
Knochenerkrankungen (Osteopathien) und Störungen des Knochenstoffwechsels sind:
- Achondroplasie
- Fibrodysplasia ossificans progressiva
- Hypophosphatasie
- Knochenmarködem
- Morbus Ahlbäck
- Morbus Paget (Osteodystrophia deformans)
- Osteoporose
- Osteomalazie
- Osteochondrosis dissecans
- Osteogenesis imperfecta
- Osteomyelitis (Knochenentzündung)
- Panostitis
- Spongiosaödem
Knochen können auch im Rahmen von Erkrankungen mitbetroffen sein, deren primäre Ursache nicht im Knochen selbst liegt. Bei Brustkrebs und Prostatakrebs finden sich häufig Metastasen im Knochen, Knochenmetastasen. Das Multiple Myelom führt meist zu Osteolysen. Bei Niereninsuffizienz kommt es zu vermehrtem Knochenabbau (siehe Chronisches Nierenversagen).
Verwendung tierischer Knochen
Tierknochen gehören zusammen mit Holz und Stein zu den ältesten Rohstoffen, die der Mensch für die Herstellung von Werkzeugen und Geräten wie Nadeln und Ahlen nutzte. In der Geißenklösterle-Höhle wurden relativ gut erhaltene oder rekonstruierbare Flöten mit Grifflöchern entdeckt, die nahezu 35.000 Jahre alt sind. Zwei von ihnen sind in einem Stück aus Schwanenknochen[5] gefertigt. Indianer benutzten die Adlerknochenpfeife. Knochenmark war eine geschätzte Nahrung. Knochen dienten zudem als Messergriffe und für andere Schäftungen. Perlen, Rosenkranzperlen, Haarnadeln und Kämme wurden bis ins Mittelalter vor allem aus Knochen gefertigt.[6] In China dienten Knochen, vor allem Schulterblätter, seit dem ausgehenden Neolithikum als Schreibmaterial für Orakelanfragen. Das macht Knochen zu einem der ältesten Beschreibstoffe.[7]
Knochenasche (Spodium) enthält Calciumoxid und Calciumphosphat, was unter anderem dazu benutzt wurde, Porzellan eine besondere Transparenz zu verleihen. Die Ausdrücke Knochenporzellan und Feines Knochenporzellan rühren daher. Aus Knochen hergestellte Tierkohle hat ebenso verschiedene Anwendungen. Elfenbein- oder Beinschwarz sind schwarze Pigmente, die in der Malerei oder als Schuhcreme verwendet wurden. Die Knochen von Tieren, insbesondere von Rindern, werden dazu genutzt, Seife oder Knochenleim zu produzieren. Des Weiteren wird heute nach wie vor Knochenmehl als organischer Dünger hergestellt. Als Futterzusatz wurde Knochenmehl seit dem Aufkommen der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) verboten.
Literatur
- Dieter Felsenberg: Struktur und Funktion des Knochens. In: Pharmazie in unserer Zeit. 30(6), 2001, S. 488–493, doi:10.1002/1615-1003(200111)30:6<488::AID-PAUZ488>3.0.CO;2-U.
- Claus-Peter Adler: Knochenkrankheiten. Thieme, Stuttgart/ New York 1983.
Weblinks
Einzelnachweise
- R. Flammersfeld: Über den circadianen Profiferationsrhythmus in der proximalen Tibiametaphyse bei der jungen Ratte während der enchondralen Ossifikation. Inaugural-Dissertation. Medizinische Fakultät, Ruhr-Universität, Bochum 1988.
- Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch 2013. Verlag Walter de Gruyter, Berlin/ Boston 2012, ISBN 978-3-11-027788-3, S. 2246.
- Journal of Pediatric Orthopaedics. Ausgabe 24, Nr. 6, 2005, S. 726.
- P. Stanka, U. Bellack, A. Lindner: On the morphology of the terminal microvasculature during endochondral ossification in rats. In: Bone and Mineral. vol. 13, 1991, S. 93–101.
- urgeschichte.uni-tuebingen.de (Memento vom 19. Januar 2012 im Internet Archive; JPG) Flöte aus einem Schwanenknochen
- Mostefa Kokabi, Björn Schlenker, Joachim Wahl: Knochenarbeit – Artefakte aus tierischen Rohstoffen im Wandel der Zeit. (= Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg. 27). Stuttgart 1994, ISBN 3-927714-23-2.
- Paola Demattè: The Origins of Chinese Writing: the Neolithic Evidence. In: Cambridge Archaeological Journal. 20/2, 2010, S. 211–228.