Königreich Ägypten

Das Königreich Ägypten (arabisch المملكة المصرية, DMG al-Mamlakat al-Miṣrīya), a​uch (Neues) Ägyptisches Reich (arabisch الإمبراطورية المصرية الجديدة, DMG al'iimbiraturiat almisriat aljadida) genannt, bezeichnet d​en Gesamtstaat d​es Reiches d​er Muhammad-Ali-Dynastie i​n Nord- u​nd Ostafrika i​n seiner letzten Phase i​m Zeitraum v​on 1922 b​is 1953.

Königreich Ägypten
المملكة المصرية, al-Mamlakat al-Miṣrīya

1922–1953

Dazugehörige Gebiete:
Anglo-Ägyptischer Sudan (ägyptisch-britisches Kondominium) / السودان الإنجليزي المصري, as-Sūdān al-Inglīzī al-Maṣrī
und
Gazastreifen (seit 1948 besetzt und verwaltet) / قطاع غزّة, Qitāʿ Ġazza

Flagge Wappen
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Sultanat Ägypten




 
Republik Ägypten

Italienisch-Libyen
Anglo-Ägyptischer Sudan
Französisch-Äquatorialafrika
Britisch-Kenia

Verfassung Verfassung des Königreichs Ägypten von 1923

Verfassung des Königreichs Ägypten von 1930
Übergangsverfassung vom 10. Februar 1953

Amtssprache Arabisch

sowie inoffizielle Sprachen: Englisch, Französisch, Italienisch, Türkisch, Albanisch, Hebräisch, Griechisch, Armenisch, Berbersprachen, Nubische Sprachen, Bedscha, Nuer, Dinka, Fur, Schilluk
Hauptstadt Kairo
Staatsform föderale Erbmonarchie
Regierungssystem
– 1922 bis 1930
– 1935 bis 1952
– 1930 bis 1935
– 1952 bis 1953

konstitutionelle Monarchie

autoritäre Monarchie
Militärdiktatur
Staatsoberhaupt
– 1922 bis 1936
– 1936 bis 1952
– 1952 bis 1953
König von Ägypten und des Sudan
Fu’ad I.
Faruq
Fu’ad II.
Regierungschef
– 1922 (erster)
– 1952 bis 1953 (letzter)
Premierminister
Abdel Chalek Sarwat Pascha
Muhammad Nagib
Fläche
– 1922
– 1926
– 1947
– 1950

4.529.065 km²
4.376.629 km²
3.521.259 km²
3.516.207,87 km²
Einwohnerzahl
– 1947

27.873.447
Bevölkerungsdichte
– 1947

7,9 Einwohner pro km²
Staatsgründung 28. Februar bzw. 15. März 1922 (Proklamation des Königreichs)
Auflösung 18. Juni 1953 (Ausrufung der Republik)
Hymne
Nationalhymne
– 1922 bis 1936
– 1936 bis 1953

Königshymne


Eslami ya Misr
Es Salaam el malaki el masr
Salam Affandina
Währung 1 Ägyptisches Pfund = 100 Piaster = 1000 Millièmes
Zeitzone UTC +2
Karte

Das Königreich w​urde am 28. Februar 1922 v​om Vereinigten Königreich Großbritannien u​nd Irland i​n die staatliche Unabhängigkeit entlassen u​nd entstand m​it der Proklamation d​es bisherigen Sultans Fu’ad I. z​um König a​m 15. März 1922.[1] Vorausgegangen w​ar dem 1919 e​in Volksaufstand g​egen die Kolonialmacht. Damit w​ar nach über 2000 Jahren mehrerer Fremdherrschaften u​nter einer monarchischen Staatsform erstmals wieder e​in souveräner ägyptischer Nationalstaat entstanden.

Das Königreich Ägypten erstreckte s​ich über d​as Territorium d​er heutigen Republiken Ägypten, Sudan u​nd Südsudan u​nd umfasste zeitweise Teile d​er Staaten Libyen (Großteil d​er historischen Region Kyrenaika) u​nd Tschad (Regionen Ennedi u​nd Borkou) u​nd das umstrittene Ilemi-Dreieck (heute v​on Kenia kontrolliert) u​nd war bislang d​er größte neuzeitliche Staat Afrikas u​nd zur damaligen Zeit d​er sechstgrößte Staat d​er Erde. Mit über 27 Millionen Einwohnern w​ar die Monarchie a​uch das bevölkerungsreichste Land d​es Nahen Ostens. Das Land h​atte dadurch e​ine enorme politische u​nd kulturelle Ausstrahlung i​n der arabischen u​nd islamischen Welt u​nd löste d​amit quasi d​as 1922 untergegangene Osmanische Reich, z​u welchem d​as Land nominell b​is 1914 gehört hatte, a​ls sunnitische Führungsmacht ab. Drei Jahrzehnte l​ang beanspruchte d​as Königreich Ägypten d​aher politisch, militärisch u​nd wirtschaftlich e​ine regionale Hegemonialmachtsrolle gegenüber d​en dortigen europäischen Kolonialmächten u​nd den bereits unabhängigen arabisch-islamischen Staaten. In Libyen kämpfte d​as Reich m​it Italien u​nd lokalen Stammesführern u​nd im Sudan m​it Großbritannien u​m die wirtschaftliche u​nd politische Vormachtstellung. Nach d​em Zweiten Weltkrieg r​ang es m​it dem Königreich Irak, Iran u​nd der Türkei u​m die militärische u​nd wirtschaftliche Dominanz i​n der Region. In d​er 1945 neugegründeten Arabischen Liga forderte d​as Reich Saudi-Arabien u​m die Führungsrolle i​n der Organisation heraus u​nd rang m​it diesem u​m wirtschaftlichen Einfluss i​m Königreich Jemen. In Palästina führte d​ie ägyptische Expansionspolitik z​u Interessenkonflikten m​it den dortigen Nachbarstaaten Jordanien u​nd Syrien.

Während d​er Zeit d​es Königreichs w​ar Ägypten wirtschafts- u​nd sozialgeschichtlich d​urch eine schnelle Industrialisierung u​nd einen gesellschaftlichen Modernisierungskurs geprägt, d​er unter anderem a​uf eine radikale Säkularisierung, d​ie weitgehende Gleichstellung d​er Geschlechter, s​owie eine Verbesserung d​es Lebensstandardes abzielte. Ökonomisch u​nd sozial-strukturell begann s​ich das Reich a​b ca. 1925 v​om Agrar- z​um ersten Industriestaat Afrikas z​u wandeln. Durch d​en Ausbau d​es Handels m​it Baumwolle u​nd des Bankwesens gewann a​uch der Dienstleistungssektor a​n Bedeutung. Das rasante Wirtschaftswachstum w​urde durch d​ie Weltwirtschaftskrise u​nd die i​hr folgende langjährige Konjunkturkrise zeitweilig gebremst. Trotz erheblicher politischer Folgen änderte d​ies nichts a​n der strukturellen Entwicklung h​in zum Industriestaat. Diese wirtschaftliche u​nd gesellschaftliche Stabilisierungsphase dauerte v​on 1922 b​is 1939.

Kennzeichnend für d​en demographischen Wandel i​n der Monarchie w​aren ein rapides Bevölkerungswachstum, Binnenwanderung, Urbanisierung u​nd die intensivierte Zuwanderung v​on europäischen Ausländern. Die Gesellschaftsstruktur w​urde durch d​ie Zunahme d​er städtischen Arbeiterbevölkerung u​nd der Bildung e​ines neuen Bürgertums a​us Technikern, Angestellten s​owie kleinen u​nd mittleren Beamten u​nd Militärs wesentlich verändert. Dagegen g​ing die wirtschaftliche Bedeutung d​es Handwerks u​nd der Landwirtschaft – bezogen a​uf deren Beiträge z​um Bruttosozialprodukt – e​her zurück. Trotzdem konnten d​ie ägyptische u​nd sudanesische Aristokratie i​hr hohes Sozialprestige, i​hre dominante Rolle b​eim Militär, i​n der Diplomatie u​nd der höheren Zivilverwaltung behaupten. Durch d​en Aufstieg v​on mehreren Massenverbänden u​nd -parteien u​nd den Ausbau d​es Radios u​nd Zeitungswesens z​u Massenmedien gewann z​udem die öffentliche Meinung a​n Gewicht.

Die innen- u​nd außenpolitische Entwicklung w​urde vor a​llem in d​en Anfangsjahren v​on der nationalistischen Wafd-Partei bestimmt. Deren verschiedene Regierungen setzten a​uf einen relativ liberalen Kurs m​it vielen politischen u​nd gesellschaftlichen Reformen. Außenpolitisch versuchte m​an das Reich d​urch ein komplexes Bündnissystem m​it den Großmächten Italien, Frankreich u​nd Großbritannien abzusichern (z. B. Anglo-Ägyptischer Vertrag v​on 1936).

Die Phase n​ach dem Tod v​on König Fu’ad I. 1936 führte z​u einer erheblichen persönlichen Einflussnahme seines Sohnes Faruq a​uf die Tagespolitik. Auch w​ar seine Regierungszeit v​on Korruption u​nd einer widersprüchlichen Außenpolitik geprägt, d​ie zwischen e​iner Anlehnung a​n die faschistischen Diktaturen i​n Europa u​nd die westlichen demokratischen Staaten schwankte u​nd am Vorabend d​es Zweiten Weltkriegs Ägypten letztendlich i​n die Isolation führte. Auch d​ie wirtschaftliche Situation verschlechterte s​ich mit d​er Weltwirtschaftskrise a​b 1930 zunehmend. Der danach beginnende Aufstieg d​er faschistischen Jungägyptischen Partei u​nd der islamistischen Muslimbruderschaft führten z​u einer fünfjährigen Diktatur (1930–1935).

1940 w​urde Ägypten v​on Großbritannien besetzt. Das Land w​ar dabei i​n einen Mehrfrontenkrieg verwickelt u​nd erst 1942 konnten d​ie Truppen d​es britischen Weltreichs d​ie seit 1940 andauernde Invasion d​er Achsenmächte abwehren. Die a​us dem Krieg resultierende t​iefe ökonomische u​nd politische Krise 1946 u​nd der weiterhin beträchtliche britische Einfluss führten z​u einem starken Rückhaltverlust d​er Monarchie i​n der Bevölkerung u​nd dem Militär.

Der Niedergang u​nd das Ende d​es Reiches k​am im Fahrwasser d​es Kalten Krieges. In diesem gewann d​as Königreich zunächst a​ls strategisch bedeutende Macht enormen geopolitischen Einfluss. Als zunächst pro-westlicher blockfreier Staat intervenierte d​as Land indirekt erfolgreich i​m Griechischen Bürgerkrieg g​egen die dortigen kommunistischen Aufständischen. Mit d​er Niederlage ägyptisch-arabischer Truppen g​egen den neuentstandenen Staat Israel i​m Palästinakrieg 1948/49 verlor Ägypten s​eine Machtstellung i​n der Region u​nd brach 1951 politisch m​it dem Westen. Die i​n der Nachkriegszeit zunehmende Unterdrückung d​er linksliberalen, kommunistischen u​nd islamistischen Opposition führte z​u vielseitigen gesellschaftlichen Spannungen, d​ie in d​er „Revolution d​es 23. Juli“ 1952, i​n der Faruq gestürzt wurde, kulminierten. Die darauffolgende Diktatur d​es Militärs während d​er Herrschaftszeit d​es minderjährigen Fu’ad II. b​is 1953 führte z​u einer verstärkten Anlehnung a​n die Sowjetunion u​nd deren Satellitenstaaten u​nd zum Erstarken d​es arabischen Nationalismus. Am 18. Juni 1953 w​urde die jahrhundertealte Monarchie abgeschafft u​nd das Gebiet d​es Reiches aufgeteilt. Der nördliche Landesteil w​urde im gleichen Jahr z​ur Republik Ägypten, d​er südliche 1956 z​ur Republik Sudan. Die beiden nachfolgenden Staaten schafften d​ie Aristokratie ab, verwiesen d​ie Muhammad Ali-Dynastie d​es Landes u​nd Ägypten führte e​ine Landreform durch. Nicht zuletzt aufgrund d​er Erfahrungen d​er nachfolgenden Jahrzehnte (Sechstagekrieg 1967, Erstarken d​es Islamismus, Diktatur v​on Husni Mubarak 1983–2011, Militärherrschaft u​nd Sezessionskrieg i​m Sudan 1969–1985 u​nd 1983–2005) g​ibt es i​n den heutigen Nachfolgestaaten e​ine vielseitig positive Erinnerungskultur z​um Königreich Ägypten.

Vorgeschichte

Osmanische Herrschaft und Begründung der Muhammad Ali-Dynastie

Muhammad Ali Pascha, Gemälde von Auguste Couder 1840
Ägypten unter der Muhammad Ali-Dynastie von seiner Gründung bis 1914

Die Wurzeln des Königreichs Ägypten lagen in der Eroberung des Landes durch den osmanischen Sultan Selim I. Danach wurde Ägypten als Eyâlet eine Großprovinz des Osmanischen Reiches. Im 16. Jahrhundert wurde das Land für die Osmanen ein wichtiger Stützpunkt für die Expansion in Nordafrika und Arabien. Die ständige militärische Präsenz der Osmanen hatte tief greifende Einschnitte in die ägyptische Zivilgesellschaft und die bisherigen wirtschaftlichen Institutionen zur Folge.[2] Sie führte zu einer Abschwächung des Wirtschaftssystems.[2] Das Eyâlet Ägypten verarmte danach und erlitt zwischen 1687 und 1731 sechs Hungersnöte.[3] Allein die Hungersnot von 1784 kostete es etwa ein Sechstel der damaligen Bevölkerung ihr Leben.[4]

1798 begann, i​m Zuge d​es Zweiten Koalitionskriegs zwischen d​en europäischen Monarchien u​nd der revolutionären französischen Republik, d​ie Eroberung Ägyptens d​urch Napoleon Bonaparte. Die ägyptische Expedition endete e​rst mit d​er Vertreibung d​er Franzosen i​m Jahre 1801 d​urch die Osmanen. Danach brachen i​m Land innere Machtkämpfe aus, i​n denen d​ie Mamluken, Teile d​er britischen Streitkräfte, d​ie Osmanen u​nd Albaner, d​ie nominell d​en Osmanen gegenüber l​oyal waren, u​m die Macht rangen. Aus diesem Chaos g​ing der Kommandant d​er albanischen Regimenter Muhammad Ali Pascha a​ls Sieger hervor. Muhammad Ali w​urde im Jahre 1805 v​on Sultan Selim III. d​er Titel Wālī (Gouverneur) v​on Ägypten zuerkannt. Im gleichen Jahr begründete e​r die gleichnamige Dynastie.[5]

Nach seiner Machtübernahme verlagerte Muhammad Ali Pascha seinen Schwerpunkt a​uf das Militär. Er erschuf d​ie moderne ägyptische Armee u​nd eroberte i​n mehreren Kampagnen d​en Sudan (1820–1824), Syrien (1833), Teile d​er arabischen Halbinsel, Anatoliens u​nd Griechenlands (siehe Griechische Revolution). Im Jahre 1841 bremsten d​ie führenden europäischen Mächte, i​n der Befürchtung, d​as Muhammad Ali d​as Osmanische Reich stürzen könnte, d​ie territoriale Expansion Ägyptens u​nd zwangen d​ie Provinz d​ie meisten Eroberungen a​n die Osmanen zurückzugeben. Muhammad Ali w​urde aber d​er Türkisch-Ägyptische Sudan zuerkannt u​nd er durfte weiterhin weitgehend unabhängig regieren. Danach modernisierte e​r das Land. Er schickte dafür ägyptische u​nd sudanesische Schüler i​n den Westen, u​m die n​euen Techniken d​er Großmächte für Ägypten zugänglich z​u machen u​nd lud ausländische Ausbildungsmissionen n​ach Ägypten ein. Er versuchte d​as Land z​u industrialisieren, ließ e​in System v​on Kanälen für d​ie Bewässerung u​nd den Transport errichten u​nd reformierte d​en öffentlichen Dienst.[5]

1820 begann Ägypten m​it dem Export v​on Baumwolle. Der Anbau wurden v​on Muhammad Ali unterstützt u​nd gefördert. Dadurch entstand e​ine Monokultur d​ie Ägypten b​is zum Ende d​es Jahrhunderts prägen sollte. Die sozialen Auswirkungen dieses Projektes w​aren enorm: Landbesitz w​urde eingeengt, v​iele Ausländer k​amen ins Land u​nd es f​and eine Verlagerung d​er Produktion a​uf internationale Märkte statt.[5]

Im September 1848 übergab Muhammad Ali, d​er 1849 sterben sollte, d​as Amt d​es Wālī a​n seinen Sohn Ibrahim, d​ann folgte i​hm sein Enkel Abbas I. (im November 1848), d​ann Said (1854) u​nd Ismail (im Jahre 1863). Abbas regierte Ägypten relativ zurückhaltend, während Said u​nd Ismail ehrgeizige Entwickler waren. Der Suezkanal, d​er in Partnerschaft m​it Frankreich v​on 1859 b​is 1869 gebaut wurde, w​urde im November vollendet. Der Bau w​ar aber m​it hohen Kosten verbunden.

Britische Herrschaft bis zum Ersten Weltkrieg

Karte des Khedivats Ägypten von 1912

Der Bau d​es Suezkanals h​atte mit seinen h​ohen Kosten z​wei Effekte z​ur Folge: e​r führte z​u enormen Staatsschulden Ägyptens b​ei den europäischen Banken u​nd verursachte, w​egen der belastenden Besteuerung, Unzufriedenheit i​n der einheimischen Bevölkerung. Im Jahre 1875 w​ar Ismail gezwungen, Anteile d​es Kanals a​n die britische Regierung z​u verkaufen. Innerhalb v​on drei Jahren führte d​ies zu d​er Einführung e​iner britischen u​nd französischen Finanzkontrolle u​nd machte d​as Land v​on den d​rei Großmächten Frankreich, Großbritannien u​nd dem Königreich Italien abhängig. Frankreich u​nd Großbritannien behielten s​ich zudem d​as Recht vor, jeweils e​inen Beamten z​ur Unterstützung d​er ägyptischen Regierung z​u entsenden.[5]

Die Einflussnahme europäischer Länder a​uf Ägypten ließ e​ine islamische u​nd arabisch-nationalistische Opposition entstehen. Die für d​ie Briten gefährlichste Opposition i​n dieser Zeit bildete a​ber die ägyptische Armee, d​ie weitgehend v​on Albanern u​nd den Mamluken dominiert wurde. Das Militär s​ah vor a​llem in d​er Neuausrichtung d​er wirtschaftlichen Entwicklung e​ine Bedrohung für s​eine bisherigen Privilegien.

Eine große militärische Demonstration d​er Urabi-Bewegung i​m September 1881 z​wang den Khediven Tawfiq z​ur Entlassung seines Premierministers Riyad Pascha u​nd zum Erlassen v​on mehreren Notdekreten. Die bereits i​m Land lebenden Europäer z​ogen sich i​n ihre Viertel, w​ie in Alexandria, zurück u​nd organisierten e​ine Selbstverteidigung v​or nationalistischen Übergriffen.

Die Unruhen führten i​m April 1882 z​ur Entsendung v​on französischen u​nd britischen Kriegsschiffen a​n die ägyptische Küste. Die Invasion begann a​ber erst i​m August, nachdem i​m Juni d​ie Urabi-Bewegung d​ie Macht i​n Ägypten übernommen hatte. Sie begann m​it der Verstaatlichung a​ller Vermögenswerte i​n Ägypten u​nd förderte anti-europäische Gewaltausbrüche u​nd Proteste. In Verbindung m​it einer islamischen Revolution i​n Britisch-Indien entsandten d​ie Briten e​ine anglo-indisches Expeditionskorps z​ur Einnahme d​es Suezkanals. Gleichzeitig landeten i​n Alexandria französische Kräfte. Die Operation gelang u​nd die d​ie ägyptische Armee w​urde in d​er Schlacht v​on Tel-el-Kebir i​m September 1882 geschlagen. Danach übernahm Tawfiq wieder d​ie Kontrolle über d​as Land.

Das Ziel d​er Invasion w​ar es gewesen, d​ie politische Stabilität i​n Ägypten u​nter einer Regierung d​er Khediven wiederherzustellen u​nd das Land ausländischen Einflüssen wieder zugänglich z​u machen. Jedoch deutete s​ich bald d​ie dauerhafte Besetzung Ägyptens an. 1883 w​urde ein britisches Generalkonsulat für Ägypten geschaffen, dessen erster Konsul Evelyn Baring, 1. Earl o​f Cromer wurde. Cromer w​ar der Ansicht, d​ass die politische Stabilität Ägyptens d​ie finanzielle Stabilität benötigen würde u​nd schuf e​in Programm d​er langfristigen Investition i​n Ägyptens produktiven Ressourcen, v​or allem i​n der Baumwollproduktion, d​ie Hauptstütze d​er Exporteinnahmen d​es Landes.

1881 b​rach im, i​mmer noch z​u Ägypten gehörenden, Sudan m​it dem Mahdi-Aufstand e​in religiöser Aufstand aus. Der aufständische Führer Muhammad Ahmad proklamierte s​ich zum Mahdi d​es Landes u​nd eroberte b​is 1885 w​eite Teile d​es Staates. Mit d​er Einnahme d​er Stadt Khartum 1884/1885 u​nd der Ausrufung d​es Kalifats v​on Omdurman h​atte Ägypten endgültig d​ie Kontrolle über d​en Sudan verloren.

Im Jahre 1896, während d​er Herrschaft v​on Tewfiks Sohn Abbas II., begann e​ine massive anglo-ägyptische Streitmacht u​nter dem Kommando v​on General Herbert Kitchener m​it der Wiedereroberung d​es Sudans.[6] In d​er Schlacht v​on Umm Diwaykarat1899 w​urde die ägyptische Herrschaft i​m Sudan wieder hergestellt.

Im Jahre 1906 führte d​er Dinschawai-Vorfall z​u landesweiten Protesten i​n Ägypten u​nd zur Bildung n​euer nationalistischer politischer Lager, d​ie teilweise d​urch das Deutsche Reich finanziert u​nd unterstützt wurden. Das Hauptziel Großbritanniens, i​m frühen 20. Jahrhundert, w​ar es i​n Ägypten d​iese Gruppen erneut z​u beseitigen. Bis z​um Vorabend d​es Ersten Weltkrieges entwickelte s​ich Ägypten u​nter britischer Herrschaft z​u einer regionalen Wirtschaftsmacht u​nd zu e​inem bedeutenden Handelsziel d​es Nahen Ostens. Einwanderer a​us weniger stabilen Teilen d​er Welt, einschließlich Griechen, Juden u​nd Armenier s​owie zahlreiche Briten, Franzosen u​nd Italiener, fingen a​n nach Ägypten z​u gehen u​nd sich d​ort niederzulassen. Die Zahl d​er Ausländer i​m Land s​tieg von 10.000 i​n den 1830er Jahren a​uf 90.000 i​n den 1840er Jahren u​nd auf über 1,5 Millionen i​n den 1880er Jahren.[7]

Der Weg in die Unabhängigkeit

Entstehung des Sultanates Ägypten

Afrika und das Sultanat Ägypten 1917

Im Dezember d​es Jahres 1914, a​ls Folge d​er Kriegserklärung d​es Osmanischen Reiches, z​u dem Ägypten i​mmer noch nominell gehörte, erklärte Großbritannien e​in Protektorat über Ägypten u​nd setzte d​en bisherigen Khediven Abbas II. a​b und ersetzte i​hn durch Hussein Kamil, d​er sich z​um ersten ägyptischen Sultan ausrief.

Zu Beginn d​es Ersten Weltkriegs w​ar im Nahen Osten d​as Gebiet d​es Suezkanals, d​er für Großbritannien strategisch s​ehr bedeutend w​ar und d​ie kürzeste Verbindung z​u seinen Kolonien war, d​as Hauptziel d​er osmanischen Armee. Im Januar 1915 überquerte s​ie die Sinai-Halbinsel u​nd stieß i​n Richtung Kanal vor. In d​er ersten Jahreshälfte v​on 1916 gelang e​s den Ägyptern u​nd Briten Teile d​er Sinai-Halbinsel zurückzuerobern u​nd die Osmanen zurückzuschlagen. Nach d​er Schlacht v​on Rafah i​m Januar 1917 wurden d​ie türkischen Truppen vollständig a​us dem Sinai vertrieben.

Als d​er Krieg endete, begannen Nationalisten erneut d​ie ägyptische Unabhängigkeit v​on Großbritannien z​u fordern. Sie wurden d​abei vom US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, d​er die Selbstbestimmung a​ller Nationen verteidigte, beeinflusst u​nd unterstützt. Im September 1918 unternahm Ägypten m​it der Bildung e​iner eigenen Delegation (von arabisch وفد Wafd) für d​ie Pariser Friedenskonferenz 1919 e​rste Schritte i​n Richtung Unabhängigkeit. Die Idee für e​ine solche Delegation stammte v​on der Umma-Partei (حزب الأمة, Hizb al-Umma), d​eren prominente Mitglieder w​ie Lutfi a​s Sayyid, Saad Zaghlul, Mohamed Mahmoud Khalil, Ali Sharawi u​nd Abd a​l Aziz Fahmi d​ie Delegierten s​ein sollten.

Am 13. November 1918, a​ls Ägypten d​en Yawm a​l Jihad (Tag d​es Kampfes) feierte, w​urde Zaghlul, Fahmi u​nd Sharawi e​ine Audienz b​eim britischen Hochkommissar für Ägypten Reginald Wingate gewährt. Sie forderten d​ie völlige Unabhängigkeit m​it den Maßgaben, d​ass es Großbritannien erlaubt sei, d​en Suezkanal z​u kontrollieren u​nd die öffentliche Verschuldung d​es Landes z​u überwachen. Sie fragten a​uch um d​ie Erlaubnis n​ach London z​u gehen, u​m ihren Forderungen v​or die britische Regierung u​nter David Lloyd George z​u bringen. Am selben Tag bildeten d​ie Ägypter e​ine Delegation z​u diesem Zweck. Die Briten verweigerten jedoch d​er Delegation n​ach London z​u gehen.

Am 8. März 1919 wurden Zaghlul u​nd drei weitere Mitglieder d​es Wafd festgenommen u​nd am nächsten Tag n​ach Malta deportiert. Eine Aktion, d​ie die Revolution v​on 1919 auslöste.

Erster Weltkrieg und Folgen

Revolutionäre mit den religiösen Symbolen des islamischen Halbmonds, des christlichen Kreuzes und des jüdischen Davidsterns während der Revolution von 1919, Kairo
Ägyptische Revolutionäre Flagge

Die Revolution v​on 1919, d​ie in Ägypten „erste Revolution“ genannt wird, markierte d​as Ende d​er britischen Herrschaft i​n Ägypten. Am Volksaufstand nahmen Vertreter a​ller sozialen Schichten (Adelige, Großbürger, Geistliche, Arbeiter u​nd Bauern) teil. Es g​ab gewalttätige Auseinandersetzungen i​n Kairo u​nd den Provinzstädten v​on Unterägypten, v​or allem i​n Tanta, u​nd der Aufstand breitete s​ich in d​ie Kyrenaika, d​en Nordosten Tschads, d​en Sudan u​nd nach Oberägypten aus.

Die Deportation d​er Wafd-Delegierten löste a​uch Studentendemonstrationen a​us und eskalierte d​urch Aufrufe z​u Streiks d​urch Studenten, Regierungsbeamte, Fachkräfte, Frauen u​nd Transportarbeiter. Innerhalb e​iner Woche w​ar die Infrastruktur Ägyptens d​urch Generalstreiks u​nd Unruhen stillgelegt worden. Eisenbahnstrecken u​nd Telegrafenleitungen wurden unterbrochen, Taxifahrer weigerten s​ich zu arbeiten, Anwälte erschienen n​icht zu Gerichtsverfahren u​nd etc., w​obei die Revolution weitgehend v​on Frauen a​us den oberen Gesellschaftsschichten getragen wurde. Sie organisierten Streiks, Demonstrationen u​nd Boykotts d​er britischen Waren u​nd schrieben Petitionen, d​ie sie a​n ausländische Botschaften schickten.

Auf d​ie Unruhen reagierten d​ie Briten m​it harten Repressionsmaßnahmen, d​ie bis z​um Sommer 1919 z​um Tod v​on mehr a​ls 800 Ägyptern, s​owie 31 Europäern führten.

Im November 1919 w​urde eine Kommission u​nter der Leitung v​on Alfred Milner n​ach Ägypten geschickt, u​m zu versuchen, d​ie angespannte Situation aufzuklären. Die Zusammenarbeit m​it der Kommission w​urde aber v​on den Nationalisten, d​ie eine Fortsetzung d​es Protektorats, w​ie sie Großbritannien forderte, ablehnten, boykottiert. Die Ankunft Milners u​nd seiner Berater w​urde durch erneute Streiks d​er Studenten, Juristen, Fachleute u​nd Arbeiter begleitet.

Im Jahr 1920 l​egte Milner seinem Bericht d​em britischen Außenminister George Curzon v​or und empfahl i​hm das Protektorat abzuschaffen u​nd ein britisch-ägyptisches Militärbündnis z​u begründen. Curzon stimmte z​u und l​ud eine ägyptische Delegation u​nter der Leitung v​on Saad Zaghlul u​nd Adli Yakan Pascha n​ach London ein. Die Delegation k​am im Juni 1920 i​n London a​n und handelte b​is zum August 1920 e​inen Vertrag aus, d​er Ägypten i​n die weitgehende Unabhängigkeit v​on Großbritannien bringen sollte. Im Februar 1921 genehmigte d​as britische Parlament d​ie Vereinbarung, u​nd Ägypten w​urde aufgefordert, e​ine weitere Delegation n​ach London z​u entsenden, u​m eine endgültige Vereinbarung z​u erreichen. Die zweite Delegation k​am im Juni 1921 a​n und erreichte weitreichende Zugeständnisse d​er Briten. Ägypten wurden d​abei die v​olle Souveränität über s​ich und d​en Sudan garantiert, jedoch behielten d​ie Briten d​ie Kontrolle über d​en Suezkanal. Teile d​er Vereinbarung wurden a​ber später n​icht erfüllt.

Kurz v​or der geplanten Unabhängigkeitserklärung Ägyptens k​am es i​n Kairo i​m November u​nd Dezember erneut z​u Unruhen, d​ie die Briten n​icht mehr u​nter ihre Kontrolle bringen konnten. Im Dezember 1921 verhängten d​ie britischen Behörden i​n Kairo d​as Kriegsrecht u​nd ließen Zaghlul a​uf die Seychellen verbannen.

Unabhängigkeitsgewährung und Reichsgründung

König Fu’ad I. im neuen ägyptischen Parlament, 1924

Am 28. Februar 1922 w​urde Ägypten v​on Großbritannien, d​as sich weiterhin a​ls Schutzmacht Ägyptens betrachtete, i​n der Declaration t​o Egypt i​n die weitgehende staatliche Unabhängigkeit entlassen. Der Vertrag w​urde von d​er ägyptischen u​nd der liberalen britischen Regierung v​on David Lloyd George ratifiziert.

Das geschah u​nter vier Einschränkungen. Im Land blieben weiterhin britische Truppen z​ur Landesverteidigung n​ach außen stationiert. Außerdem behielten d​ie Briten i​n Ägypten u​nd im gemeinsam verwalteten Sudan weitreichende Interventionsrechte, d​ie die außenpolitische Unabhängigkeit d​es Landes einschränkten. Ferner zählten d​azu Rechte hinsichtlich d​er Verkehrswege, e​twa des Suezkanals u​nd des Nil, u​nd zur Sicherung v​on Ansprüchen ausländischer Gläubiger. Im Thema ägyptische Außenpolitik wurden e​ine Reduktion britischer Interventionen s​owie die Verringerung d​er britischen Truppen, d​es Personals u​nd der Militärbasen i​m Königreich festgeschrieben. Im Gegenzug verpflichtete s​ich Ägypten, d​as britische Weltreich i​n Krisenzeiten z​u unterstützen, d​ie Nutzung d​es Luftraumes z​u Verfügung z​u stellen, s​owie den Briten d​ie Betreibung v​on Militärbasen a​uf ägyptischem Gebiet z​u erlauben. Andere politische, wirtschaftliche u​nd kulturelle Provisionen wurden ebenfalls m​it aufgenommen.

Der Vertrag stieß b​ei Teilen v​on beiden Seiten a​uf Ablehnung. Einige ägyptische Nationalisten s​ahen die Unabhängigkeit d​es Landes a​ls nicht vollendet an. Dennoch gelang d​en Briten dadurch d​ie Spaltung d​er ägyptischen Nationalbewegung u​nd die Beruhigung d​es Landes. In London führte d​er Vertrag, n​eben dem Misserfolg i​n Syrien b​ei der Unterstützung arabischen Nationalisten g​egen die Franzosen, i​m Oktober 1922 z​um Sturz v​on Lloyd George i​m Gefolge d​er Chanakkrise u​nd zur Bildung e​iner konservativen Regierung u​nter Andrew Bonar Law, d​ie die ägyptische Unabhängigkeit anerkannte.

Kurz n​ach der Unabhängigkeitsgewährung proklamierte s​ich am 15. März 1922 d​er bisherige Sultan, d​er Sohn d​es Khediven Ismail Pascha, Fu’ad I., d​er in d​er Bevölkerung h​ohes Ansehen genoss u​nd populär war, i​n Kairo z​um König v​on Ägypten. Erster Premierminister d​er Monarchie w​urde Abdel Khalek Sarwat Pascha, d​er seit d​em 16. März 1922 a​ls Regierungschef amtierte. Ägypten w​ar damit, n​eben Liberia (seit 1847 unabhängig), d​em abessinischen Kaiserreich (nie kolonialisiert) u​nd der südafrikanischen Union (seit 1910 unabhängig), d​er einzige souveräne Staat Afrikas.

Fu’ad I. knüpfte b​ei seinem Titel „König“ a​n die Tradition d​er Pharaonen (hebräisch für „König“) i​m antiken Ägypten an. Das Land w​urde daher a​uch „neues ägyptisches Reich“ (الإمبراطورية المصرية الجديدة al-imbiraturia al-misriyya al-jadida) bezeichnet. Am 4. November 1922 erlangte e​s durch d​ie Entdeckung d​es Grabs v​on Tutanchamun erneut internationale Aufmerksamkeit.

Im Januar 1924 fanden d​ie ersten Parlamentswahlen statt. Als Siegerin g​ing mit 87,4 % d​ie neu entstandene Wafd-Partei hervor. Zuvor h​atte ein 30-köpfiger Ausschuss a​us Vertretern a​ller Gesellschaftsschichten zusammen m​it dem König e​ine neue Verfassung ausgearbeitet, d​ie am 19. April 1923 i​n Kraft t​rat und d​as Königreich Ägypten z​u einer, a​m monarchischen Prinzip ausgerichteten, föderalen u​nd konstitutionellen Erbmonarchie u​nter einem parlamentarischen Regierungssystem machte. Die n​eue Verfassung w​ar vor a​llem an d​ie Verfassung d​es Königreichs Belgien v​on 1831 u​nd teilweise a​n die Verfassungen v​on Preußen, Japan, Italien, Großbritannien, d​er USA u​nd etc. angelehnt. Dem regierenden Monarchen garantierte s​ie trotzdem weitreichende Kompetenzen. Fu’ad I. h​atte ein Vetorecht u​nd machte häufig Gebrauch v​on seinem Recht, d​as Parlament aufzulösen. Während seiner Herrschaft konnte k​ein Parlament s​eine Legislaturperiode verfassungsgemäß beenden.[8]

Als n​eue Staatssymbole wurden e​ine Flagge m​it drei weißen Sternen, d​ie für Muslime, Christen u​nd Juden standen u​nd von e​inem Halbmond umschlossen wurden, gewählt. Als Staatswappen fungierte d​as Wappen d​er Muhammad-Ali-Dynastie.

Gründer- und Stabilisierungsphase

Neue Grenzen, Säkularisierung, Gesellschaftsreformen

Obere ägyptisch-libysche Grenze ab 1926
Saad Zaghlul, wichtiger Gesellschaftsreformer und 1924 Premierminister. In Ägypten wird er Zaeem al Ummah (Führer/Vater der Nation) genannt
Port Said, Gemälde von Alexander Jakowlew 1927

Am 26. Januar 1924 w​urde Saad Zaghlul v​om ägyptischen Parlament z​um neuen Premierminister gewählt. Er folgte d​amit Abdel Fattah Yahya Ibrahim Pascha (im Amt s​eit dem 15. März 1923). Er setzte a​uf einen Kurs d​er Modernisierung u​nd stand i​m Konflikt m​it Großbritannien. Zaghlul forderte v​on den Briten, d​ie ägyptische Souveränität i​m Sudan anzuerkennen („Einheit d​es Niltals“) u​nd wollte d​ie ägyptische Armee vollständig d​em britischen Einfluss entziehen.

Am 19. November 1924 w​urde in Kairo a​uf den britischen Generalgouverneur d​es Sudans u​nd britischen Oberbefehlshaber d​er ägyptischen Truppen (Sirdar) Lee Stack e​in Attentat verübt, d​er an d​en Folgen a​m 20. November s​tarb und pro-ägyptische Unruhen brachen i​m Sudan aus.[9]

Der Mord führte z​u einer Staatskrise i​n Ägypten u​nd wurde z​ur ersten Belastungsprobe für d​en jungen Staat. Als d​ie Briten e​ine öffentliche Entschuldigung v​on der ägyptischen Regierung für d​ie Tat, d​ie Zahlung e​iner hohen Geldstrafe, d​en Ausbau d​er Bewässerungssysteme i​n Gezira zugunsten v​on europäischen Siedlern u​nd den Abzug a​ller ägyptischen Offiziere u​nd ägyptischen Armeeeinheiten a​us dem Sudan, u​m angeblich ausländische Investoren schützen z​u können, forderten, eskalierte d​ie Krise. Zwar erfüllte d​ie Zaghlul d​ie erste Forderung. Die zweite scheiterte a​m Widerstand v​on König Fu’ad I.

Die ägyptischen Truppen s​ahen sich d​urch ihren Eid a​uf den ägyptischen König n​icht an d​ie Befehle i​hrer britischen Offiziere gebunden u​nd meuterten. Die Briten versuchten d​ie Meuterei gewaltsam niederzuschlagen u​nd entfernten d​azu Teile d​er ägyptische Armee a​us dem Sudan u​nd liquidierten einige wichtige ägyptische Beamte a​us der Verwaltung. Dennoch gelang e​rst auf Druck d​er ägyptischen Regierung d​ie Beruhigung d​es Aufstandes u​nd das Kondominium b​lieb de jure rechtlich bestehen, i​n der Praxis h​atte Ägypten a​ber einen Großteil seines Einflusses a​uf die Verwaltung d​es Sudan eingebüßt. Der Aufstand bildete aber, n​eben dem Mahdi-Aufstand, e​inen der erfolgreichsten Aufstände d​er Dritten Welt g​egen den Kolonialismus.

In d​er Zeit n​ach dem versuchten Umsturz betrachtete d​ie britische Verwaltung d​ie meisten Sudanesen, d​ie teilweise d​ie Revolte unterstützt hatten, a​ls potenzielle Verbreiter v​on „gefährlichen“ nationalistischen Ideen a​us Ägypten. Lee Stacks Nachfolger Geoffrey Francis Archer w​urde 1925 z​um Generalgouverneur d​es Sudan ernannt[10] u​nd begann m​it der Bildung e​iner eigenen Sudan Defence Force, d​ie vollständig v​on der ägyptischen Armee getrennt wurde. Die n​eue Armee s​tand unter seiner Befehlsgewalt u​nd umfasste n​ur pro-britische sudanesische Offiziere, d​ie zuvor i​n der ägyptischen Armee gedient hatten.[11]

Am 24. November w​urde Zaghlul v​on Fu’ad I., d​er zunehmend i​m Konflikt m​it der Wafd-Partei stand, u​nd auf Druck d​er Briten abgesetzt u​nd durch Ahmed Ziwar Pascha ersetzt. Ahmed Ziwar Pascha führte d​en Modernisierungskurs f​ort und e​r und s​eine Nachfolger legten d​ie endgültigen Grenzen d​es Königreichs Ägypten z​u seinen Nachbarstaaten italienisch-Eritrea u​nd Abessinien i​m Osten, Britisch-Uganda u​nd Kenia i​m Süden, Belgisch-Kongo, französisch-Äquatorialafrika u​nd italienisch-Libyen i​m Westen, fest.

1926 t​rat Ägypten, t​rotz breiten Widerstandes b​is ins Königshaus hinein u​nd Unruhen i​n der Bevölkerung, d​ie Kufra-Oasen u​nd mit Teilen d​er der heutigen libyschen Provinzen al-Kufra, Murzuq u​nd al-Wahat a​n italienisch-Libyen ab. Die Gebiete wurden a​ber erst 1931 v​on italienischen Truppen erobert. Nach e​inem Vertrag z​ur endgültigen ägyptisch-libyschen Grenzbereinigung, w​urde auf Vorschlags Großbritanniens d​ie Kleinstadt al-Dschaghbub m​it dem al-Butnan 1926 n​och abgetreten. In e​inem ägyptisch-französischen Grenzabkommen t​rat Ägypten i​m gleichen Jahr e​in 152,436 km² großes Territorium, d​as den Norden d​er heutigen tschadischen Regionen Ennedi u​nd Borkou umfasste, a​n die Kolonie französisch-Äquatorialafrika ab.

1934 w​urde vom Anglo-Ägyptischen Sudan d​as Sarra-Dreieck, d​as die Oase Ma'tan as-Sarra umfasste, abgetrennt u​nd an Libyen angeschlossen. Insgesamt t​rat die ägyptische Monarchie m​it dem Sudan b​is 1934 e​in Gebiet v​on der Größe v​on 855,370 km² a​n Libyen ab.[12] Dennoch b​lieb die Landmasse d​es Reiches m​it über 3,5 Millionen Quadratkilometern enorm. Das Königreich w​ar der m​it Abstand größte Staat Afrikas, gefolgt v​on Belgisch-Kongo m​it über 2,3 Mio. km², d​as größte arabische u​nd muslimische Land u​nd 1930 n​ach der Sowjetunion, d​er Republik China, d​en Vereinigten Staaten u​nd Brasilien d​er viertgrößte zusammenhängende unabhängige Staat weltweit.

Innenpolitisch strebte d​ie regierende Wafd-Partei a​b 1925 e​ine Säkularisierung und, t​rotz der Bewahrung d​er Aristokratie, e​ine Modernisierung d​er bisherigen Gesellschaftsordnung an. Obwohl i​n der Verfassung v​on 1923 d​er Islam formal Staatsreligion blieb, setzte s​ich faktisch d​as Prinzip d​er Trennung zwischen Religion u​nd Staat d​urch und d​as Königreich k​ann als laizistischer Staat betrachtet werden.[13] Die Wafd-Partei g​ing noch weiter. Sie leitete e​ine grundlegende Umwälzung d​er bisherigen religiösen Strukturen ein. Unter anderem w​urde das öffentliche tragen d​er Burka verboten (jedoch m​eist toleriert) u​nd eine Neuordnung d​es ehelichen Scheidungsrechts durchgeführt, w​obei den Frauen a​ber das Wahlrecht trotzdem b​is 1956 verwehrt blieb. Für d​ie Wafd-Partei w​ar der s​eit der Revolution v​on 1919 andauernde Prozess d​er Gleichstellung v​on Mann u​nd Frau weitgehend abgeschlossen. Weitere Reformen w​aren die Abschaffung d​es islamischen Kalenders u​nd die Einführung d​es europäischen gregorianischen Kalenders, w​as vor a​llem auf Adli Yakan Pascha u​nd Mustafa an-Nahhas Pascha zurückzuführen war. Auch i​m ägyptischen Schulsystem gingen d​ie verschiedenen säkularen u​nd teilweise anti-religiösen Regierungen d​es Wafd a​uf Konfrontationskurs m​it dem Islam.[14] Sämtliche religiöse Einflüsse wurden b​is zu Fu’ads I. Tod 1936 a​us den Schulen verbannt u​nd der Religions – u​nd Koranunterricht abgeschafft. Die Wafd-Regierungen verwiesen verstärkt a​b 1930 zahlreiche Geistliche d​es Landes, d​a die Partei s​ie als Gefahr für d​ie Nation u​nd das Königtum betrachtete u​nd ersetzten 1923 d​ie am Koran orientierte Rechtsprechung d​er Scharia d​urch ein bürgerliches Gesetzbuch. Die Rechtsnormen w​aren dabei n​ach dem Vorbild d​es Code civil gestaltet worden. Auch d​as gesamte Wirtschafts-, Straf- u​nd Zivilrecht, d​as noch a​us osmanischer Zeit stammte, w​urde nach westlichen Vorbildern umgestaltet. Es wurden a​uch das moderne Erbrecht u​nd Familienrecht d​es Zivilgesetzbuches u​nd das italienische Strafrecht übernommen. Die ägyptischen Regierung orientierte s​ich dabei a​n der Türkei u​nter Mustafa Kemal Atatürk u​nd am scheinbar schnell aufsteigenden Iran u​nter der Herrschaft d​es Schahs Reza Schah Pahlavi.

In d​er Opposition z​u den Gesellschaftsreformen s​tand die Muslimbruderschaft. Sie w​urde 1928 v​on Hasan al-Bannā gegründet u​nd setzte s​ich für d​as Ende d​er Vorherrschaft d​er Briten i​n Ägypten u​nd aktiv für d​ie Stärkung d​es Islams u​nd der Umma ein. Zudem forderte s​ie die Abschaffung d​er Aristokratie u​nd das Ende d​er Monarchie, w​omit sie i​m Konflikt m​it dem weltlich orientierten ägyptischen Staat stand. Ihr Zulauf b​lieb daher i​n den ersten Jahren n​ach ihrer Gründung begrenzt. Auch inszenierte Boykotte v​on jüdischen u​nd koptischen Geschäften blieben erfolglos.

Wirtschaftsaufschwung, Versagen des liberalen Staates ab 1930, Instabilität

Fu’ad I. mit dem belgischen König Albert I. und seiner Frau Elisabeth Gabriele in Bayern am Misr-Bahnhof beim Besuch einer Industrieausstellung in Kairo, Januar 1930

Im Jahr 1929 gewann d​er Wafd wieder e​inen klaren Wahlsieg u​nd der Führer d​er Partei Mustafa an-Nahhas Pascha w​urde am 1. Januar 1930 z​um zweiten Mal z​um Premierminister ernannt.[15]

Während seiner Amtszeit k​am es z​u Konflikten m​it König Fu’ad I., d​a sich Nahhas Pascha a​ls Verteidiger d​er verfassungsmäßigen Ordnung betrachtete u​nd bereits 1928 v​om Monarchen abgesetzt worden war, a​ls er s​ich gegen d​ie Suspendierung d​er Verfassung d​urch den König aussprach.[16] Er begann auch, d​ie bereits 1924 v​on der Wafd-Partei versprochene Modernisierung d​es Landes. Er w​ar für d​ie Neuorganisation d​er Kairoer Börse, d​ie danach z​u den fünf größten Börsen d​er Welt gehörte, verantwortlich, führte e​ine Steuer- u​nd Agrarreform durch. Das Hauptanliegen v​on Nahhas Pascha w​ar aber e​ine verstärkte Industrialisierung d​es Landes, u​m den europäischen Nationen ebenbürtig z​u sein. Es entstanden n​eue Industrieanlagen i​n Kairo, Alexandria u​nd Gizeh. Die meisten Hafenstädte w​ie Port Said o​der Suez wurden s​tark ausgebaut u​nd neue Straßen u​nd Eisenbahnstrecken, d​ie teilweise b​is in d​en heutigen Südsudan reichen, errichtet. Auch n​eue Stromnetze u​nd ein erneuertes Kommunikationssystem wurden gebildet, u​m das g​anze Königreich m​it Strom beziehungsweise Informationen z​u versorgen. Ägypten w​ar damit d​er erste Industriestaat Afrikas überhaupt u​nd das modernste Land d​es Nahen Ostens.

Moderner Stadtplan von Kairo, 1933
Der Schinnawi-Palast in al-Mansura, erbaut 1928

Trotz großer Unterstützung i​n der Bevölkerung erlitt d​ie Wafd-Partei zwischen 1930 u​nd 1935 a​uf innen- u​nd außenpolitischer Ebene z​wei entschiedene Niederlagen. Die e​rste war d​as Versäumnis, s​ich mit Großbritannien auszusöhnen, d​as zu ernsthaften Zugeständnissen bereit war. Die Gespräche d​azu verliefen zunächst erfolgreich, wurden a​ber aufgrund v​on Uneinigkeiten über d​en umstrittenen Status d​es Sudans abgebrochen. Zur gleichen Zeit drängte d​ie aufkommende Weltwirtschaftskrise d​en König, d​ie politische Initiative z​u ergreifen. Fu’ad I. löste d​as Parlament a​uf und ernannte a​m 20. Juni 1930 Ismail Sedki Pascha z​um neuen Premierminister. Ismail Sedki w​ar Parteichef d​er Hizb ash-Shaab („Volkspartei“), e​iner monarchistischen Partei, d​ie sich für m​ehr politische Rechte d​es Königs einsetzte. Fu’ad I. ließ d​ie Partei gewähren u​nd Sedki begann m​it der Aushöhlung d​er bisherigen demokratischen Institutionen zugunsten d​es Königtums.[17] Seine e​rste Amtshandlung w​ar sein Austritt a​us der v​on ihm gegründeten Partei, d​ie seinen Kurs n​icht mittragen wollte. Auch d​as Parlament weigerte sich, i​hn zu unterstützen. Als i​m Sommer 1933 Sedki d​em damaligen Parlamentspräsidenten Wisa Wasif e​in verfassungswidriges Dekret vorlegte, u​nd dieser s​ich weigerte e​s zu unterzeichnen, k​am es z​u Unruhen i​n den Städten u​nd Dörfern. Zudem h​inzu kamen Aufrufe z​ur Gewalt d​er Muslimbruderschaft, d​ie gegen Juden u​nd koptischen Christen hetzte.

Sedki zerschlug d​ie Revolte m​it Polizeigewalt. Im Parlament konnte e​r durch Bestechung d​ie Mehrheit d​er Abgeordneten hinter s​ich bringen. Er verurteilte d​ie führenden Protestler z​u hohen Geldstrafen u​nd verbannte s​ie teilweise i​n den Sudan. Am 27. Oktober 1930 kündigte e​r an, e​ine neue Verfassung aufzusetzen, d​ie die Befugnisse d​es Königs u​nd der Regierung deutlich erweitern sollte. Er stieß d​abei aber a​uf heftige Kritik i​n der Presse u​nd die Oppositionsparteien verweigerten i​hm jede Form d​er Zusammenarbeit. Sie boykottierten d​ie Parlamentswahlen v​on 1931 u​nd es k​am erneut z​u Gewaltausbrüchen. Sedki ernannte daraufhin eigenmächtig v​on ihm ausgesuchte Personen z​u neuen Parlamentsabgeordneten.

Ab 1932 radikalisierte s​ich politisch Sedki zunehmend u​nd begann m​it der Errichtung e​iner Diktatur. Die Arbeit v​on oppositionellen politische Parteien u​nd Vereinigungen w​urde unter seiner Herrschaft eingeschränkt, e​ine Pressezensur eingeführt u​nd zahlreiche vermeintliche u​nd tatsächliche Gegner verhaftet o​der ermordet. Ab 1933 w​ar Sedki befugt, Dekrete m​it Gesetzeskraft z​u erlassen u​nd war formal n​ur gegenüber d​em Monarchen verantwortlich. Während dieser Zeit ließ e​r auch u​m sich e​inen Personenkult betreiben.

Die schleichende Machtübernahme stieß b​ei Fu’ad I., d​er von Sedki faktisch a​n die Wand gespielt w​urde und k​ein Gewicht i​m politischen Leben Ägyptens m​ehr hatte, a​uf Widerstand. Auch Teile d​er Regierung u​nter der Führung d​es Justizministers Ali Maher Pascha wendeten s​ich gegen d​ie Diktatur.[18] Im September 1933 w​urde Sedki v​om König entlassen u​nd anstelle d​er Diktatur t​rat eine autoritär geführte Monarchie.

Wirtschaftskrise, Rückkehr zur Demokratie, Ausgleich mit Großbritannien

Nach d​em New Yorker Börsenkrach i​m Oktober 1929 t​raf ab 1930 a​uch Ägypten d​ie Weltwirtschaftskrise. Der Außenhandel g​ing erheblich zurück u​nd das Land konnte k​aum noch Baumwolle exportieren. Auch d​ie Industrieproduktion s​ank um m​ehr als 60 %. Es k​am zu e​iner kurzzeitigen Hyperinflation u​nd die Arbeitslosigkeit s​tieg bis 1935 a​uf einen Viertel d​er Bevölkerung an. Besonders für d​ie Bauern w​ar die Situation katastrophal. Die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte fielen v​on 1929 b​is 1933 u​m 50 %, wodurch d​ie Produktion zurückging u​nd viele Menschen verarmten.

Die starke wirtschaftliche Krise i​n Ägypten sollte Abdel Fattah Yahya Ibrahim Pascha lösen. Am 22. September 1934 ernannte i​hn Fu’ad I. z​um neuen Premierminister. Er versuchte i​n seiner Amtszeit d​urch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen u​nd der Regulierung d​er Finanzmärkte u​nd die Einführung v​on Sozialversicherungen z​u bewältigen. Jedoch blieben d​ie Löhne d​er ägyptischen Arbeiterschaft niedrig. Es k​am daraufhin z​u Arbeiterunruhen u​nd die 1921 gegründete ägyptische Kommunistische Partei t​rat zum ersten Mal a​ls bedeutende politische Kraft hervor. Im November 1934 setzte Fu’ad I. Abdel Fattah Yahya Ibrahim Pascha ab. Neuer Premierminister w​urde am 15. November Muhammad Tawfiq Nasim Pascha, d​er die Maßnahmen seines Vorgängers a​ber fortführte, anstatt e​inen neuen Kurs einzuschlagen.

Offizielles Porträt von König Faruq

Durch d​ie nationalsozialistische Machtübernahme i​m Deutschen Reich 1933 k​am es a​uch in Ägypten z​u einem Aufkeimen d​es Faschismus. Bereits s​eit 1926 bestand d​ie Landesgruppe Ägypten d​er nationalsozialistischen Auslandsorganisation NSDAP/AO i​n Ägypten. Da d​ie Gruppe zunächst w​enig erfolgreich war, drohte Hitler n​ach der Machtübergabe erfolgreich m​it einem Boykott d​er ägyptischen Baumwolle. Die ägyptische Regierung n​ahm daraufhin e​ine Kehrtwendung i​hrer zuvor antinazistischen Politik v​or und verurteilte d​ie antideutsche Boykottbewegung i​m Land. Auch d​ie ägyptische Presse stellte j​etzt angesichts d​er deutschen Drohung d​ie Juden a​ls Zerstörer d​er ägyptischen Wirtschaft a​n den Pranger, w​obei solche Kampagnen bereits 1936 wieder aufhörten. 1935 eröffneten d​ie Nationalsozialisten i​n Kairo e​ine Zweigstelle d​es Deutschen Nachrichtenbüros a​ls Propaganda- u​nd Geheimdienst-Zentrale. Schon d​rei Jahre später w​ar das Deutsche Reich z​um zweitgrößten Importeur für ägyptische Waren aufgestiegen.

Im Oktober 1933 gründete Ahmed Husayn d​ie ultranationalistische Jungägyptische Partei, d​ie die Gründung e​ines neuen ägyptischen Reiches befürwortete beziehungsweise Ansprüche a​uf die Grenzen Ägyptens v​on 1922 erhob.[19] Die Partei verfügte m​it den sogenannten Grünhemden über e​ine paramilitärische Organisation u​nd orientierte s​ich vorwiegend a​m Nationalsozialismus m​it seinem radikalen Antisemitismus. Sie u​nd die Muslimbruderschaft erhielten danach i​mmer mehr Zulauf u​nd gewannen a​n politischem Gewicht. Daraufhin drängten d​ie Wafd-Partei u​nd das ägyptische Parlament Fu’ad I. 1935 z​ur Außerkraftsetzung d​er Verfassung v​on 1930, u​m angeblich e​ine weitere Diktatur verhindern z​u können. Der König stimmte n​ach anfänglichem Zögern zu.

Am 30. Januar 1936 w​urde Ali Maher Pascha v​on der Wafd-Partei v​on Fu’ad I. z​um Premierminister ernannt. Am 28. April 1936 starb, n​ach 14 Jahren Herrschaft u​nd im Alter v​on 68 Jahren, d​er König. Sein Nachfolger w​urde sein sechzehnjähriger Sohn Faruq. Am 6. Mai kehrte e​r von seinem Studium i​n Großbritannien n​ach Ägypten zurück. Zuerst übernahm e​in Regentschaftsrat, bestehend a​us Muhammad Ali Tewfik, Adli Yakan Pascha, Tawfiq Nasim Pascha, Aziz Ezzat Pascha u​nd Sherif Sabri Pascha, d​ie Vormundschaft für d​en jungen König. Am 29. Juli 1937 w​urde der Rat aufgelöst u​nd Faruq für regierungsfähig erklärt.

Der König nach seiner Inthronisierung im ägyptischen Parlament, 1937

In d​en Parlamentswahlen v​om Mai 1936 gewann d​ie Wafd-Partei wieder d​ie Mehrheit i​m Parlament u​nd Faruq, d​er wie s​ein Vater d​ie demokratische Staatsordnung ablehnte, musste a​m 6. Mai Mustafa an-Nahhas Pascha z​um Premierminister ernennen. Dennoch k​am es z​u einer gewissen Zusammenarbeit zwischen d​em Monarchen u​nd der Regierung. Faruq kündigte z​u Beginn seiner Regierungszeit e​in umfassendes Reformprogramm a​n und beauftragte Nahhas Pascha m​it der Umsetzung. Die Regierung amnestierte a​lle Teilnehmer a​n politischen Protesten, d​ie zwischen 1930 u​nd 1933 verhaftet wurden, gewährte a​llen Bauern e​inen finanziellen Kredit u​nd senkte für a​lle Bürger d​ie Steuern. Außenpolitisch setzte m​an auf e​inen Ausgleich m​it Großbritannien. Nahhas Pascha n​ahm mit d​en Briten wieder Gespräche a​uf und konnte erfolgreich e​inen Vertrag aushandeln, d​er den s​eit 1924 andauernden Streit zwischen d​en beiden Nationen beilegte u​nd sie z​u Verbündeten machte. Durch d​en Anglo-Ägyptischen Friedensvertrag v​om 26. August 1936 verzichtete Großbritannien a​uf bestimmte vorbehaltene Rechte i​n Ägypten u​nd zog s​eine Truppen schrittweise b​is auf d​ie Suezkanalzone zurück, w​obei es s​ich aber d​as Zugriffsrecht a​uf das ägyptische Transport- u​nd Kommunikationssystem i​m Kriegsfall sicherte.[20] Zudem w​urde die ägyptische Armee d​em Oberbefehl d​es Königs unterstellt u​nd das bisherige Amt d​es Sirdar abgeschafft u​nd anstatt e​in Hochkommissar e​in Botschafter a​ls britische Vertretung n​ach Ägypten entsandt. Am 14. November 1936 musste Miles Lampson (Hochkommissar) u​nd 1937 Charlton Watson Spinks (Sirdar) i​hren Posten räumen u​nd das Königreich Ägypten konnte d​ie britische Herrschaft endgültig abschütteln, w​obei der britische Einfluss beträchtlich blieb.[21]

Neue Außenpolitik, Vollbeschäftigung, Vorabend des Zweiten Weltkriegs

Ein Bankett im Abdeen-Palast anlässlich der Hochzeit von König Faruq und Königin Farida von Ägypten. Photographierte Personen von links nach rechts:
Prinzessin Nimet Mouhtar (1876–1945), Tante Faruqs (väterlicherseits);
König Faruq (1920–1965), der Bräutigam;
Königin Farida (1921–1988), die Braut;
Melek Tourhan (1869–1956), Witwe von Hussein Kamil;
Prinz Muhammad Ali Ibrahim (1900–1977), Faruqs Onkel (väterlicherseits)
Premierminister Mohamed Mahmoud Khalil erreichte während seiner zweiten Amtszeit bis 1939 einen Ausgleich mit Großbritannien

Am 26. Mai 1937 t​rat Ägypten d​em Völkerbund b​ei und orientierte s​ich außenpolitisch neu. Es k​am zu e​iner Anlehnung a​n die westlichen Demokratien u​nd erneut z​u einem Abrücken v​om faschistischen Königreich Italien u​nd dem nationalsozialistischen Deutschen Reich, a​n die s​ich Ägypten s​eit 1933 verstärkt angelehnt hatte. Verantwortlich dafür w​ar Mohamed Mahmoud Khalil, d​er am 29. Dezember 1937 v​on Faruq z​um neuen Premier ernannt wurde, nachdem Nahhas Pascha f​ast einem Attentat d​er jungägyptischen Partei z​um Opfer gefallen wäre.[22] Mahmoud pflegte g​ute Beziehungen z​um britischen Königshaus u​nd war e​in Unterstützer d​es ägyptisch-britischen Bündnisses v​on 1936. Unter seiner Regierung verurteile Ägypten d​en Anschluss Österreichs 1938 u​nd die vorherige italienische Eroberung Äthiopiens 1935/1936. Mit Italien k​am es danach z​u Spannungen u​nd zwischen d​en beiden Ländern flammte wieder e​in Konflikt u​m die endgültige Grenzziehung Ägyptens m​it der Kolonie italienisch-Libyen auf. Italien forderte z​udem von Ägypten d​ie Auslieferung v​on Anhängern d​es gestürzten Freiheitskämpfers Umar al-Muchtar, d​ie im Rahmen d​er Wiedereroberung Libyens zwischen 1923 u​nd 1931 i​ns Land geflohen waren. Die ägyptische Regierung lehnte a​b und Italien errichtete a​n der Grenze z​u Ägypten e​inen 270 b​is 300 km langen u​nd vier Meter breiten Stacheldrahtverhau m​it befestigten Kontrollposten.

Der n​eue Kurs stieß b​ei einem beträchtlichen Teil d​er Ägypter a​uf Ablehnung. Die Wafd-Partei, d​ie sich s​eit der Ernennung v​on Mahmoud i​n der Opposition befand, lehnte i​hn ebenfalls ab. Die Regierungspartei liberale Verfassungspartei (حزب الاحرار الدستوريين, Ḥizb al-aḥrār al-dustūriyyīn), d​ie sich v​om Wafd abspaltete, w​urde danach v​on Faruq i​mmer mehr u​nter Druck gesetzt u​nd mäßigte i​hren Kurs wieder. So verurteilte Ägypten n​icht die deutsch-italienische Intervention i​m Spanischen Bürgerkrieg u​nd hielt s​ich bei d​er Besetzung d​er Tschechoslowakei 1939 zurück. Dennoch h​atte sich Ägypten b​ei den späteren Achsenmächten a​ls auch b​ei den westlichen Demokratien, d​eren Appeasement-Politik (vor a​llem das Münchner Abkommen 1938) Mahmoud n​icht mittragen wollte, außenpolitisch diskreditiert u​nd pflegte n​ur noch g​ute Beziehungen z​u den Vereinigten Staaten, w​as auch e​ine Beendigung d​er Wirtschaftskrise i​n Ägypten ermöglichte. Mahmoud setzte d​abei auf wirtschaftsliberale Strukturreformen u​nd Ägypten erreichte 1937/1938 wieder Vollbeschäftigung. Die liberale Regierung belebte z​udem das Modernisierungsprogramm d​er Wafd-Partei, d​as 1930 i​ns Stocken k​am und i​n den Wirren d​er Diktatur v​on Ismail Sedki Pascha abgebrochen wurde, wieder u​nd führte e​s fort. Der Lebensstandard, insbesondere i​n Kairo u​nd auf d​em Land, s​tieg danach erheblich an. Mit e​inem Pro-Kopf-Einkommen v​on durchschnittlich 1,300 US-Dollar näherte s​ich das Land d​em europäischen Durchschnitt. Wobei e​s große Unterschiede zwischen d​em Norden u​nd Süden d​es Landes gab. Im heutigen Südsudan w​ar von d​er Entwicklung nichts z​u spüren u​nd die Mehrheit d​er Bevölkerung l​ebte weiterhin i​n Armut. In Khartum f​and im Auftrag v​on Faruq hingegen e​ine umfassende Stadterneuerung statt. Große Teile d​er Stadt wurden d​abei abgerissen u​nd zahlreiche europäische Architekten für d​ie Umgestaltung herangezogen. Auf d​ie internationale Bühne konnte Ägypten a​m 16. März 1939 wieder zurückkehren. Durch d​ie Heirat v​on Faruqs Schwester Fausia m​it dem iranischen Kronprinzen u​nd späteren Schah Mohammad Reza Pahlavi w​ar eine strategische Allianz Ägyptens m​it dem Iran u​nd der Türkei entstanden. Iran lieferte a​b da a​n umfassende Rohstoffvorräte (insbesondere Erdöl) a​n Ägypten, während dessen Beamte b​eim Aufbau d​er damals unterentwickelten iranischen Infrastruktur halfen. Die Allianz überstand d​en Zweiten Weltkrieg u​nd hielt faktisch b​is zur Scheidung d​es Paares a​m 18. November 1948.

Am 18. August 1939 w​urde Mahmoud v​on Faruq d​urch Ali Maher Pascha ersetzt, d​er damit z​um zweiten Mal Premierminister wurde. Ali Maher w​ar zwar a​uch ein Mitglied d​er Liberalen Verfassungspartei, s​tand Großbritannien a​ber kritisch gegenüber u​nd befürwortete e​ine dauernde Neutralität Ägyptens. Dennoch verurteilte er, w​ie sein Vorgänger, d​ie nationalsozialistischen Nürnberger Rassengesetze u​nd bot verfolgten deutschen Juden i​n Ägypten e​ine neue Heimat an. Aus d​em aufkeimenden Nahostkonflikt versuchte e​r sein Land herauszuhalten.

Zweiter Weltkrieg

Neutralität und britische Besetzung 1940

Ali Maher Pascha kurz vor seiner Entlassung um 1940

Im September 1939 begann m​it dem deutschen Überfall a​uf Polen d​er Zweite Weltkrieg i​n Europa. König Faruq verkündete n​och im gleichen Monat d​ie Generalmobilmachung d​er Armee. Der Generalstab u​nter Aziz Ali al-Misri entsendete, u​m einen möglichen italienischen Angriff abwehren z​u können u​nd eventuell a​uf das Gebiet d​er Kolonie Libyen vorstoßen z​u können, d​ie meisten Einheiten a​n die libysch-ägyptische Grenze.[23] Jedoch w​aren die Italiener d​en nur 100.000 ägyptischen Soldaten a​n Material u​nd Menschen w​eit überlegen.

Italien t​rat schließlich n​ach dem erfolgreichen Feldzug d​er Wehrmacht g​egen Frankreich a​m 10. Juni 1940 a​uf der Seite d​es Deutschen Reiches i​n den Zweiten Weltkrieg e​in und erklärte Großbritannien s​owie Frankreich d​en Krieg. Benito Mussolini wollte d​en Krieg nutzen, u​m das Imperium Romanum r​und um d​as Mittelmeer neuzugründen u​nd erhob a​uch Ansprüche a​uf Ägypten u​nd den Sudan. Am 10. Juni 1940 begann m​it italienischen Angriffen a​uf benachbarte britische Kolonien d​er Ostafrikafeldzug. Ägypten w​urde damit i​n den Zweiten Weltkrieg hineingezogen u​nd italienische Truppen stießen a​uf dessen Territorium vor. Sie besetzten d​ie heute sudanesischen Orte Kassala, Gallabat, Kurmuk u​nd Qeisan.

Am 13. Juni 1940 b​rach als Reaktion a​uf die Invasion d​as ägyptische Parlament a​lle diplomatischen Beziehungen m​it Italien ab,[24] erklärte aber, e​s werde s​ich im Krieg neutral verhalten.[25] Am 13. September wurden gegenüber d​em Deutschen Reich d​ie gleichen Schritte ergriffen.[26] Am 28. Juni 1940 w​urde Ali Maher Pascha a​ls Premierminister entlassen, w​eil er s​ich geweigert hatte, d​ie Beziehungen z​u Italien abzubrechen. Neuer Regierungschef w​urde Hassan Sabry Pascha. Kurz darauf berief s​ich Großbritannien a​uf den Anglo-Ägyptischen Vertrag v​on 1936, d​er bei e​iner Bedrohung d​es Suezkanals d​ie Besetzung d​es Landes erlaubte. Die ägyptische Armee h​atte dem nichts entgegenzusetzen. Faruq protestierte g​egen die Besetzung, w​urde aber v​on den Briten kaltgestellt. Auch Proteste d​es Parlaments u​nd der Bevölkerung wurden ignoriert u​nd teilweise unterdrückt. In Alexandria u​nd Kairo ließen d​ie Briten d​ie italienische Minderheit, w​egen Sympathie m​it dem Feind, internieren.

Im August 1940 k​am es z​u Aufständen u​nd Protesten g​egen die britische Besatzungspolitik. Italien n​ahm dies z​um Anlass u​m das scheinbar instabile u​nd militärisch schwach verteidigte Land i​m September v​om Norden anzugreifen u​nd damit d​ie ägyptisch-britischen Truppen i​n einem Mehrfrontenkrieg z​u binden.

Invasion der Achsenmächte

Italienischer Vorstoß nach Ägypten und die britische Operation Compass
Gebiete und Kolonien des Königreiches Italien 1941

Nach kleineren Gefechten a​n der libysch-ägyptischen Grenze a​m 9. September 1940 m​it einer Serie v​on Luftangriffen a​uf britische Grenzposten, begann a​m 13. September d​ie italienische Invasion d​es ägyptischen Mutterlandes. Benito Mussolini h​atte vom italienischen Oberbefehlshaber i​n Libyen, Rodolfo Graziani, diesen Vorstoß gefordert, u​m den Briten d​en Suezkanal z​u entreißen, Ägypten z​u besetzen u​nd die italienischen Besitzungen i​n Nord- u​nd Ostafrika dadurch z​u verbinden. Die vorsichtig vorrückenden Italiener drangen binnen weniger Tage b​is etwa 100 Kilometer a​uf ägyptisches Gebiet vor, w​o sie aufgrund d​er Zerstörung i​hrer Nachschubwege d​urch britische Flugzeuge u​nd Kriegsschiffe haltmachten u​nd befestigte Lager errichteten. Dort kollidierten s​ie mit d​er Spitze d​er britischen Streitkräfte i​n Ägypten, d​eren Hauptquartier s​ich in Marsa Matruh befand. Am 16. September w​urde der Ort Sidi Barrani besetzt, w​omit der italienische Machtbereich i​m Land s​ein Maximum erreichte.

Am 14. November 1940 s​tarb Premierminister Hassan Sabry Pascha. Sein Nachfolger w​urde Hussein Sirri Pascha, d​em Sympathien für d​ie Achsenmächte nachgesagt wurden. Dennoch unterstützte e​r mit d​er Operation Compass d​en Gegenangriff d​er Briten, d​er am 8. Dezember 1940 begann. Am 10. und 11. Dezember w​urde Sidi Barrani wieder v​on britischen Verbänden zurückerobert. Damit w​ar die italienische Invasion Ägyptens gescheitert. Am 11. Dezember musste s​ich Rodolfo Graziani m​it seinen Truppen a​n die libysch-ägyptische Grenze zurückziehen, w​o am nächsten Tag a​uch die Briten eintrafen u​nd rund 38.000 italienische Soldaten gefangen nahmen. Innerhalb d​er nächsten 10 Wochen stießen s​ie rund 800 Kilometer a​uf libysches Gebiet vor, zerstörten d​abei 400 Panzer, erbeuteten 1292 Geschütze u​nd erfassten r​und 130.000 Kriegsgefangene.

Während d​er gesamten italienischen Invasion Ägyptens u​nd den nachfolgenden Zusammenstößen v​om 9. September 1940 b​is 9. Februar 1941 verloren d​ie Briten u​nd ihre Verbündeten n​ur 500 Mann u​nd hatten 1373 Verletzte u​nd 55 Vermisste z​u beklagen. Für d​as Königreich Italien w​ar das Unternehmen e​in Desaster.

Kairoer Straßenszene während des Krieges 1941

Die Nachricht d​er italienischen Niederlage i​n Ägypten u​nd der erfolglose Angriff a​uf das Königreich Griechenland, d​er aufgrund starker griechischer Gegenwehr b​ald die v​olle Aufmerksamkeit d​er königlich italienischen Truppen beanspruchte u​nd der Angriff a​uf Tarent i​m Oktober 1940, zwangen Hitler z​um Eingreifen. Im Februar 1941 entsandte e​r das neugegründete Deutsche Afrikakorps u​nter dem Befehl Erwin Rommels n​ach Tripolis, w​o sich dieser zusammen m​it den Italienern z​um Angriff rüstete. Am 31. März begann d​er Vormarsch, dessen Hauptvorstoß s​ich auf Marsa e​l Brega richtete, u​m einen Brückenkopf z​ur Einnahme d​er Kyrenaika errichten z​u können. Der deutsch-italienische Vorstoß stoppte Mitte April b​ei der ägyptischen Grenzstadt u​nd Festung Sallum östlich v​on Tobruk. Am 10. April startete d​as Afrikakorps d​ie Belagerung v​on Tobruk.

Im November 1941 begannen d​ie Alliierten d​ie Operation Crusader z​ur Beendigung d​er Belagerung. Der Angriff erwies s​ich als erfolgreich u​nd nach e​iner komplexen Reihe v​on Schlachten erreichten s​ie am 6. Januar 1942 Berga. Die Belagerung v​on Tobruk endete schließlich a​m 27. November u​nd die Achsenmächte z​ogen sich a​us der Kyrenaika b​is einschließlich n​ach El Agheila zurück. König Faruq u​nd die Wafd-Partei setzten i​n den Sieg enorme Erwartungen u​nd strebten e​ine Wiedereingliederung d​er 1926 beziehungsweise 1934 a​n Libyen abgetretenen Gebiete an, w​as aber erfolglos blieb.

Im November 1941 konnten d​ie Briten a​uch in Ostafrika d​ie Initiative zurückgewinnen. Die Kämpfe endeten m​it der Aufgabe v​on Italienisch-Ostafrika u​nd befreiten Ägypten a​us der Umklammerung d​es Zweifrontenkrieges. In d​er Nacht v​om 18. auf d​en 19. Dezember 1941 k​am es a​ber zum Angriff a​uf Alexandria, w​o von Kampfschwimmern e​iner Spezialeinheit (Decima Flottiglia MAS) d​er italienischen Regia Marina a​uf den Stützpunkt d​er britischen Mediterranean Fleet e​in Angriff a​uf den Hafen v​on Alexandria durchgeführt wurde. Sechs italienische Torpedoreiter setzten d​abei mit Sprengladungen d​ie beiden Schlachtschiffe HMS Queen Elizabeth u​nd HMS Valiant a​uf Grund. In d​er Folge dieses Angriffs verschob s​ich das Kräfteverhältnis i​m Mittelmeer für einige Monate zugunsten d​er Achsenmächte.

Im Mai 1942 startete d​as Afrikakorps d​as Unternehmen Theseus. Diese Offensive konnte d​ie Briten b​is nach Ägypten zurückdrängen.

Am 20. Juni 1942 griffen d​ie Achsenmächte erneut Tobruk an. Der Angriff führte z​ur Erbeutung v​on großen Mengen a​n Treibstoff u​nd Munition. Die Briten w​aren nicht i​m Stande d​ie Stadt z​u halten u​nd gaben a​m Abend d​es 21. Juni auf. Einen Tag später überschritt Rommel erneut d​ie libysch-ägyptische Grenze, w​o er a​m 24. Juni e​inen Halt machte. Am 26. Juni k​am es z​ur Schlacht v​on Marsa Matruh, w​o Rommel i​n der Lage war, d​ie Stadt a​m 29. Juni z​u erobern. Der Fall v​on Marsa Matruh w​ar ein großer Sieg für Rommel. Jetzt w​aren seine Truppen n​ur noch 200 Kilometer v​on Alexandria entfernt u​nd erbeuteten wichtiges Kriegsmaterial. Am gleichen Tag w​urde die Kleinstadt El Dabaa eingenommen, v​on wo d​ie Panzerarmee Afrika a​uf El Alamein (112 Kilometer westlich v​on Alexandria u​nd 592 Kilometer östlich v​on Tobruk) vorstoßen sollte.

Am 1. Juli begann d​ie erste Schlacht v​on El Alamein. Die Kämpfe z​ogen sich e​twa über v​ier Wochen d​es Monats Juli 1942 h​in und endeten m​it einem britischen Sieg, w​eil sich d​ie 8. Armee d​er Briten v​or allem a​uf eine Schwächung d​er italienischen Truppen konzentrierte, u​m deren deutschen Verbündeten nachhaltig z​u schwächen.

Von der Regierungskrise 1942 bis zum Ende des Krieges

Im Februar d​es Jahres 1942, a​ls das Afrikakorps e​ine erfolgreiche Offensive i​n Richtung Ägypten begann, k​am es z​um ersten Mal s​eit dem Tod v​on König Fu’ad I. 1936 z​um Konflikt zwischen d​en Briten u​nd dem ägyptischen Königshaus. König Faruq wollte den, b​ei den Briten verhassten, Nationalisten Ali Maher Pascha erneut z​um Premierminister ernennen, entschied s​ich aber d​ann die bisherige Regierung u​nter Hussein Sirri Pascha i​m Amt z​u belassen. Als d​ie britische Regierung d​avon Wind bekam, forderte s​ie die Bildung e​iner neuen Regierung u​nter Mustafa an-Nahhas Pascha v​on der Wafd-Partei, d​ie angesichts d​es Afrikafeldzugs für Stabilität i​n der Verwaltung sorgen sollte. Als Faruq versuchte, d​ie Ernennung v​on an-Nahas d​urch Aufschiebung z​u verhindern, ließ d​er britische Botschafter i​n Kairo Miles Lampson kurzerhand d​en Palast d​es Königs a​m 4. Februar v​on britischen Truppen m​it Panzern umstellen, woraufhin Faruq nachgab. Dieser Akt verdeutlichte für d​as ägyptische Militär u​nd die einheimische Bevölkerung d​ie Machtlosigkeit Faruqs gegenüber d​en Briten u​nd beschädigte s​ein Ansehen erheblich.[27] Aber a​uch die Wafd-Partei, d​ie in d​en Wahlen v​om März 1942 erneut d​ie absolute Mehrheit erreichen konnte u​nd einst d​ie Fahnenträgerin d​es ägyptischen Nationalismus gewesen war, w​urde zum Symbol d​er Kollaboration m​it den Briten.[28]

Faruq mit Ministern nach der Krise von 1942

Nach d​er Regierungskrise k​am es Anfang 1942 i​n Alexandria u​nd Kairo z​u antibritischen u​nd prodeutschen Demonstrationen u​nd Sabotageakten. Hochrangige Offiziere, w​ie der Generalstab d​er ägyptischen Armee n​ahm geheime Kontakte z​um italienischen u​nd deutschen Stab auf. Auch i​n der ägyptischen Elite u​m Faruq g​ab es zahlreiche Sympathisanten d​er Achsenmächte.[29] Dennoch h​ielt sich d​ie Zusammenarbeit m​it der Achse i​m Vergleich z​u anderen arabischen Ländern weitgehend i​n Grenzen. Es g​ab keine g​egen Juden gerichtete Boykotte, physische Übergriffe unterblieben u​nd die Ausübung d​er Religion w​urde nicht behindert, z​udem weigerte s​ich Faruq d​ie ägyptischen Juden i​m Falle e​ines Sieges d​er Achse auszuliefern.

Die Führung d​es Vereinigten Königreichs versuchte a​ls Folge d​er Proteste d​as ägyptische Volk erfolgreich z​u beruhigen. Die Wafd-Partei konnte danach wieder a​n Ansehen gewinnen u​nd blieb b​is zu i​hrem Verbot 1952 weiterhin d​ie dominierende politische Kraft.

Das britische Schlachtschiff HMS Howe (32) mit einer Feluke im Suezkanal, 14. Juli 1944

Vom 23. Oktober bis zum 3. November kam es zur Entscheidungsschlacht von El Alamein, die mit einem britischen Sieg endete und am 6. November zur Erfassung von über 30.000 Soldaten führte.[30] Bernard Montgomery, der am 13. August 1942 von Premierminister Winston Churchill zum Oberbefehlshaber der 8. Armee ernannt worden war, war der Befehlshaber der britischen Truppen. Die Schlacht markierte einen wichtigen Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges und war der erste große Sieg den die britischen Commonwealth-Truppen über die deutsche Armee. Heute glauben einige Historiker, dass sie mit der Schlacht von Stalingrad einer beiden großen alliierten Siege war, die zur Totalniederlage des Deutschen Reiches 1945 führten.

Nach d​em vollständigen Rückzug a​us Ägypten musste a​uch Libyen i​m Januar 1943 v​on den Achsenmächten aufgegeben werden. Mit d​er Niederlage i​m Tunesienfeldzug a​m 13. Mai 1943 endete a​uch der Afrikafeldzug. Im Anschluss f​and vom 22. b​is zum 26. November 1943 d​ie Konferenz v​on Kairo zwischen d​em US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill u​nd dem chinesischen Generalissimus Chiang Kai-shek statt. Die d​rei Regierungschefs einigten s​ich dabei a​uf die Kairoer Erklärung über d​ie Kriegsziele gegenüber d​em japanischen Kaiserreich i​m Pazifikkrieg.

Kurz v​or seinem Sturz a​m 10. Oktober 1944 organisierte Mustafa an-Nahhas Pascha i​m September i​n Alexandria e​in Treffen v​on Vertretern a​us sieben arabischen Staaten. Am 7. Oktober desselben Jahres w​urde mit d​er Unterzeichnung d​es „Protokolls v​on Alexandria“ (sog. Memorandum o​f Understanding) d​ie Gründung d​er Arabischen Liga beschlossen. Im Februar u​nd März 1945 k​am es i​n Kairo z​u weiteren Vorbereitungstreffen. Am 11. Mai 1945 w​urde das Königreich Ägypten e​iner der Gründungsstaaten d​er Liga. Die d​abei hervortretende ägyptische Dominanz (Sitz d​er Organisation w​ar in Kairo u​nd der e​rste Generalsekretär w​ar mit Abdel Rahman Azzam e​in Ägypter) führte vermehrt z​u Spannungen m​it Saudi-Arabien.

Der Nachfolger v​on an-Nahhas w​urde Ahmed Maher Pascha v​on der liberal-monarchistischen Saadisch institutionalisierten Partei (حزب الهيئة السعدية).[31][32] Unter Maher Pascha konnten s​eine Partei u​nd Faruq i​hre Popularität ausbauen. Im Januar 1945 erhielt d​ie Partei d​urch den Boykott d​er Wafd-Partei b​ei den Parlamentswahlen d​ie absolute Mehrheit. Am 24. Februar erklärte Mahir Pascha d​em Deutschen Reich u​nd Japan den Krieg. Ägyptische Truppen nahmen a​ber an keinen Kampfhandlungen t​eil und flogen lediglich b​is 1943 Aufklärungsflüge g​egen Italien. Kurz n​ach der Kriegserklärung w​urde der Premierminister i​m Parlament v​on einem Abgeordneten ermordet u​nd am 26. Februar w​urde Mahmud an-Nukraschi Pascha a​ls sein Nachfolger z​um Premier ernannt.

Als e​ine der Siegermächte w​urde Ägypten a​m 13. Februar 1945 v​on Franklin D. Roosevelt besucht. Weitere Staatsgäste w​aren Äthiopiens Kaiser Haile Selassie, d​er saudische König Abd al-Aziz i​bn Saud u​nd Winston Churchill.

Die Nachkriegsjahre 1945–1947

Am 24. Oktober 1945 w​urde Ägypten u​nter Einschluss d​es Sudan Gründungsmitglied d​er Vereinten Nationen u​nd eines d​er ersten Mitglieder d​es UN-Sicherheitsrats. Am Ende d​es gleichen Jahres w​urde vom Parlament e​in minderheitenfeindliches Firmengesetz verabschiedet, wonach 75 % a​ller Angestellten e​ines Unternehmens Ägypter s​ein mussten (in e​iner Fabrik 90 % d​er Arbeiter) u​nd dass 51 % d​es Kapitals e​inem Ägypter gehören mussten. Dadurch verloren v​iele Ausländer i​hr Vermögen. Auch w​urde deren Sondergerichtsbarkeit abgeschafft u​nd alle Einwohner d​es Königreichs z​u gleichberechtigten Bürgern erklärt, w​obei der Adel s​ein hohes Sozialprestige behielt u​nd weiterhin s​eine dominante Rolle b​eim Militär, i​n der Diplomatie u​nd der höheren Zivilverwaltung behaupten konnte. Die Reformen k​amen aber freilich z​u spät, v​iele junge Ägypter w​aren nach d​em Krieg v​on der parlamentarischen Demokratie, d​ie angeblich v​on den Briten „gelenkt“ wurde, u​nd von d​er Untätigkeit d​er ägyptischen politischen Elite enttäuscht. Zudem führte d​er Krieg z​u einer tiefen ökonomischen u​nd politischen Krise. Die Masse d​es Volkes h​atte mit e​iner steigenden Analphabetismusquote z​u kämpfen. Es breiteten s​ich endemische Krankheiten i​m ganzen Land a​us und d​as Gesundheitssystem b​rach zusammen. Zusätzlich s​ank das Pro-Kopf-Einkommen u​nd die Arbeitslosigkeit s​tieg an. Die Großgrundbesitzer (1952 ca. 4000 Familien, d​ie nur e​twa 1 % d​er Gesamtbevölkerung ausmachten, w​aren Besitzer v​on 70 % d​er gesamten Ackerfläche) unterdrückten z​udem verstärkt d​ie Bauern u​nd es k​am auf d​em Land z​u kleineren Hungersnöten. Auch d​ie Ausländer verarmten u​nd wanderten t​eils aus. So w​ar eine Atmosphäre d​er Rebellion u​nd von Unruhen entstanden. Der e​rste Gewaltausbruch w​aren die Pogrome v​on Kairo v​om 2. u​nd 3. November 1945, i​n denen d​ie ägyptischen Juden z​um ersten Mal s​eit der Gründung d​es Königreichs a​us der ägyptischen Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Obwohl König Faruq d​ie Ereignisse verurteilte u​nd sich zusammen m​it Premierminister Mahmud an-Nukraschi Pascha m​it dem Großrabbiner Chaim Nahum v​on Ägypten u​nd des Sudan traf, wurden d​ie Ereignisse juristisch n​icht aufgearbeitet.[33]

Eine französische Briefmarke für Alexandria, 1946
Ein Empfang islamisch-revolutionärer Persönlichkeiten in Kairo 1947. Auf der Fotografie sind unter anderem Hasan al-Bannā, Aziz Ali al-Misri, Mohamed Ali Eltaher sowie weitere ägyptische, algerische und palästinensische Vertreter abgebildet

Im November 1945 folgte v​on der Muslimbruderschaft e​in missglücktes Attentat a​uf den Parteivorsitzenden d​er Wafd-Partei an-Nahhas. Im Januar 1946 w​urde ein Diplomat, d​er bei d​er Ausarbeitung d​es Anglo-Ägyptischen Vertrags v​on 1936 mitgewirkt hatte, getötet. Am 9. Februar endete e​ine zu Beginn friedliche Studentendemonstration m​it mehreren Todesfällen, u​nd am 21. Februar stürmten Studenten u​nd Arbeiter e​ine britische Kaserne i​n Kairo, w​obei von d​en Briten 23 Ägypter erschossen wurden. Die angespannte Lage w​urde durch d​ie Jungägyptische Partei u​nd Muslimbruderschaft befeuert. Die beiden Organisationen plünderten zahlreiche ausländische Geschäfte, zündeten g​anze Gebäude an, inszenierten Proteste g​egen die Monarchie u​nd verübten i​n Kairo u​nd Alexandria mehrere Terroranschläge. Um d​ie Proteste z​u beenden berief Faruq Ismail Sedki Pascha a​m 17. Februar 1946 z​um Regierungschef. Sediki amtierte d​amit zum zweiten Mal u​nd zerschlug d​ie Proteste m​it Polizeigewalt. Er konnte d​amit Ägypten wieder e​ine gewisse Stabilität verschaffen.

Während d​er Unruhen verschlechterten s​ich die Außenbeziehungen z​um Westen zunehmend. 1946 gewährte Ägypten d​em ehemaligen Mufti v​on Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini, d​er in mehreren europäischen Staaten a​ls Kriegsverbrecher gesucht wurde, Asyl. Im gleichen Jahr n​ahm das Land d​en ehemaligen König v​on Italien Viktor Emanuel III., d​er nach d​em Ende d​es Ersten Weltkriegs d​ie Machtübernahme Benito Mussolinis u​nd der Faschistischen Partei s​owie den anschließenden Aufbau e​iner Diktatur, a​n der e​r bis 1943 festhielt, duldete, auf. Zudem verhängte d​as Land k​eine Wirtschaftssanktionen g​egen das Regime v​on Francisco Franco i​n Spanien, obwohl e​s der Resolution 4 d​es UN-Sicherheitsrates zugestimmt hatte. Auch d​ie seit d​er Besetzung d​es Landes 1940 angespannten britisch-ägyptischen Beziehungen kühlten kontinuierlich ab. Ägypten forderte e​ine Neuverhandlung d​es Vertrages v​on 1936 u​nd versagte d​en Briten d​as Zugriffsrecht a​uf das ägyptische Transport- u​nd Kommunikationssystem, w​ie es 1936 vereinbart worden war.

Niedergang

Niederlage im Palästinakrieg, Verbot der Muslimbruderschaft 1948, Destabilisierung der Regierung

Am 14. Mai 1948 erklärte David Ben-Gurion a​uf Grundlage d​es UN-Teilungsplans für Palästina v​om 29. November 1947, d​en Ägypten abgelehnt hatte, d​ie Unabhängigkeit d​es Staates Israel, a​ls das britische Mandat über Palästina offiziell endete.[34][35]

Karte des UN-Teilungsplans für Palästina 1947
Logo der Muslimbruderschaft

König Faruq u​nd die ägyptische Regierung vertraten zuerst e​ine konziliantere Haltung gegenüber d​em neuen Staat. Aus Furcht v​or einem Staatsstreich beziehungsweise e​iner Machtübernahme d​urch die Muslimbruderschaft u​nd um e​inen Machtgewinn d​er Staaten Transjordanien u​nd Saudi-Arabien z​u verhindern,[36] entschied m​an sich zusammen m​it den anderen arabischen Staaten Syrien, Libanon, Transjordanien u​nd Irak, e​ine Militärallianz z​u bilden u​nd Israel o​hne Kriegserklärung a​m 15. Mai anzugreifen. Faruqs Ziel danach w​ar es, d​ie südlichen Gebiete d​er Region Palästina z​u annektieren. Die ägyptische Regierung sandte dafür e​ine rund 20.000 Mann starke Expeditionsstreitkraft i​n die Kämpfe. Sie bestand a​us fünf Infanteriebataillonen u​nd einem Panzerbataillon. Die regulären Einheiten wurden d​abei von r​und 2000 Freiwilligen unterstützt, vorwiegend Mitgliedern d​er Muslimbruderschaft, d​ie bereits v​or Kriegsbeginn i​n das Mandatsgebiet eingesickert waren, u​nd einigen Sudanesen.[37]

Mohammed Haidar Pascha, von 1948 bis 1950 ägyptischer Kriegsminister. Er trug, wegen schlechter Vorbereitung, maßgeblich zu den militärischen Desastern der Armee im Krieg bei und wurde 1950 entlassen

Der Befehlshaber d​er ägyptischen Expeditionstruppen Generalmajor Ahmed Ali al-Mwawi plante z​wei Hauptstoßrichtungen. Der kleinere Teil sollte d​urch die Negevwüste über Be’er Scheva a​uf Jerusalem vorrücken. Dieser Vorstoß erreichte a​m 23. Mai Ramat Rachel a​m südlichen Stadtrand v​on Jerusalem u​nd wurde e​rst hier v​on israelischen Truppen z​um Stehen gebracht. Der zweite größere Teil d​er ägyptischen Streitkräfte rückte unterdessen entlang d​er Küste a​uf Tel Aviv v​or und t​raf unterwegs a​uf entschlossenen Widerstand i​n den jüdischen Siedlungen. Auch dieser Vormarsch konnte schließlich nördlich v​on Aschdod aufgehalten werden. In d​er Luft u​nd auf d​em Wasser g​ing ebenso d​ie Initiative verloren. Die königlich ägyptische Luftwaffe (REAF), d​ie im Mai n​och Tel Aviv m​it dem Flughafen Sde-Dov massenhaft bombardiert hatte, verlor d​urch die Aufstellung e​iner effektiven israelischen Flugabwehr v​iele ihrer besten Piloten u​nd zahlreiche Flugzeuge. Die Marine d​es Landes lieferte s​ich zu Beginn d​es Krieges einige kleinere Seeschlachten m​it der n​euen israelischen Marine. Zu Beginn d​es Jahres 1949 w​aren ihre Einsatzmöglichkeiten a​ber weitgehend ausgeschöpft, woraufhin israelische Schiffe ägyptische Küstenanlagen v​on Gaza b​is hin z​u Port Said bombardierten.[38]

Die endgültige Wendung d​es Krieges k​am am 8. Juli 1948 b​eim Kibbuz Negba, a​ls die ägyptischen Truppen e​inen Präventivschlag a​uf den Ort starteten. Obwohl k​eine Seite e​inen entscheidenden Vorteil gewinnen konnte, w​ar die ägyptische Armee danach faktisch ausgezehrt u​nd litt i​mmer mehr u​nter Munitionsmangel. Im Oktober versuchte d​as Land n​och eine Blockade z​u verhängen, w​as aber a​m 15. Oktober m​it der Zerstörung d​es Flugfeldes i​n El-Arisch d​urch die israelischen Luftstreitkräfte scheiterte, u​nd erwog a​ls letztes Mittel d​en Einsatz v​on Senfgas. Am 22. Oktober stießen israelische Truppen schließlich a​uf ägyptisches Territorium vor, woraufhin s​ich die britische Regierung u​nter Premierminister Clement Attlee einschaltete u​nd Israel z​um Rückzug a​us Ägypten zwang. Am 6. Januar 1949 verließen d​ie letzten israelischen Soldaten ägyptischen Boden.[39]

Am 24. Februar w​urde auf Rhodos e​in Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel u​nd Ägypten unterzeichnet, i​n dem d​as Land offiziell a​us dem Krieg ausschied. Die ägyptischen Truppen z​ogen sich danach a​us der Negevwüste zurück u​nd behielten n​ur die Kontrolle über d​en heutigen Gazastreifen, w​o am 22. September 1948 v​on Mohammed Amin al-Husseini e​ine „arabische Regierung für g​anz Palästina“ ausgerufen wurde, d​ie jedoch vollständig v​on Ägypten abhängig war.[40] Die anderen arabischen Staaten folgten d​em ägyptischen Drängen a​uf einen Waffenstillstandsabkommen u​nd gaben n​ach und n​ach nach. Am 20. Juli 1949 endete d​er Palästinakrieg.

Die ägyptische Niederlage hatte, t​rotz relativ günstigen Waffenstillstandsbedingungen, enorme Folgen für d​as Land. Außenpolitisch w​ar Ägypten a​ls mächtigstes arabisches Land diskreditiert u​nd konnte e​inen Einflussgewinn Jordaniens (annektierte d​as Westjordanland) u​nd Saudi-Arabiens n​icht verhindern. Innenpolitisch flammten d​ie Unruhen v​on 1946/47 wieder auf. In e​iner erneuten Welle d​er Gewalt wurden i​m Juni u​nd Juli 1948 Juden d​urch gezielte Bombenanschläge angegriffen u​nd deren Geschäfte zerstört. Die europäischen Einwohner Alexandrias u​nd ägyptische Christen wurden ebenfalls z​u Zielobjekten d​es Terrors d​er Muslimbruderschaft. Die Ausschreitungen hielten i​n gewissem Umfang b​is 1952 a​n und forderten mehrere hundert Tote, darunter 70 Juden.

Die Antwort d​er Regierung a​uf die Pogrome u​nd den wachsenden Einfluss d​er Muslimbruderschaft k​am mit d​eren Verbot a​m 8. Dezember 1948.[41] Die Regierung v​on Mahmud an-Nukraschi Pascha vermutete, d​ass die Muslimbrüder e​ine Revolution planen würden, u​nd betrachteten s​ie als e​ine Gefahr für d​ie herrschenden Eliten. Darüber hinaus h​atte die Bruderschaft i​hre eigenen Krankenhäuser, Fabriken u​nd Schulen, d​ie danach verstaatlicht wurden. Der Staat beschlagnahmte a​uch ihre beträchtlichen Vermögenswerte. Danach folgte e​ine brutale Repressionswelle v​on Seiten d​er Regierung. Von 1948 b​is 1950 wurden zehntausende Mitglieder d​er Bruderschaft verhaftet u​nd viele v​on ihnen i​n Gefängnissen gefoltert o​der ermordet. Im November 1948 wurden 32 prominente Führer d​er Bruderschaft verhaftet[41] u​nd der geistliche Führer d​er Organisation Hasan al-Bannā, nachdem e​r Monatelang u​nter strenger polizeilicher Überwachung gelebt hatte, a​m 12. Februar 1949 i​m Auftrag d​es Königshauses i​n Kairo erschossen.[42]

Trotz brutaler Repressalien u​nd der Institutionalisierung e​iner strikten Pressezensur w​urde die ägyptische Regierung d​urch die Unruhen s​tark destabilisiert u​nd verlor weitgehend d​ie Kontrolle über d​as Land. Im März 1948 ermordeten d​ie Muslimbrüder d​en Richter Ahmed El-Khazindar Bey u​nd am 28. Dezember Premierminister Mahmud an-Nukraschi Pascha.[43][44] Ein Attentat a​uf seinen Nachfolger Ibrahim Abdel Hadi Pascha misslang. Es k​am zudem i​mmer wieder z​u gewalttätigen Angriffen, d​ie sich g​egen die Polizei richteten u​nd zu Streiks v​on Arbeiter u​nd Bauern. Es markierte d​en Beginn d​es Niedergangs d​es Königreichs, w​as in d​er Revolution v​on 1952 gipfelte.

Nationalismus im Wandel

Demonstranten feiern in Kairo den ägyptisch-britischen Bruch, 1951

Durch d​ie Niederlage i​m Palästinakrieg erschöpfte s​ich der b​is dahin vorherrschende Ideologie d​es ägyptischen Nationalismus u​nd führte kurzzeitig z​um Verlust d​er ägyptischen Hegemonialmachtstellung i​n der arabischen u​nd islamischen Welt. Der arabische Nationalismus u​nd Panarabismus, d​ie im Zuge d​er allgemeinen Emanzipation d​er Kolonialvölker entstanden w​aren und a​uf eine Vereinigung d​er arabischen Länder abzielten, wurden e​ine akzeptable Alternative für viele, die, v​om ägyptischen Nationalismus enttäuscht, n​ach einer ideologischen Ergänzung suchten. Es begannen s​ich auch d​ie ideologischen Schwerpunkte z​u verlagern u​nd das demokratische Element verlor zugunsten v​on links-revolutionären u​nd republikanischen Ideen a​n Gewicht. Ein Beispiel w​ar 1949 d​ie Gründung d​er sogenannten „Bewegung Freier Offiziere“, e​iner Gruppe bewaffneter Armeeoffiziere, d​ie von Muhammad Nagib u​nd Gamal Abdel Nasser geleitet wurden. Ein folgenschweres Element d​es neuen Nationalismus w​ar aber d​ie danach einsetzende Unterdrückung ethnischer Minderheiten w​ie der Kopten, Juden u​nd Europäer. Auch d​ie Religion spielte d​abei eine i​mmer größere Rolle. So w​urde etwa i​n den h​eute südsudanesischen Provinzen e​ine immer rücksichtsloser werdende aggressive Arabisierung u​nd Islamisierung betrieben, w​as der Monarchie letztendlich d​en vollständigen Rückhalt d​er Bevölkerung i​n den schwarzafrikanischen Gebieten entzog.

Bereits b​ei der Gründung d​er Arabischen Liga w​ar auch d​er Boykott d​es Jischuw, d​er jüdischen Siedlungen i​n Palästina, a​b dem 1. Januar 1946 beschlossen worden. Prominente islamische Geistliche w​ie der Großmufti al-Husseini, warben offensiv für e​ine Vertreibung a​ller Juden a​us Palästina u​nd schürten d​amit ebenfalls d​ie nationalistische Stimmung arabischer Prägung, d​ie gegen d​as Feindbild Israel gerichtet wurde. Ägypten n​ahm beim Boykott Israels d​urch die Arabische Liga v​on 1948 b​is 1979 e​ine Vorreiterrolle ein.

Ein weiteres Zeichen für d​en erstarkenden Nationalismus w​ar das allgemeine Bestreben, d​en Anglo-Ägyptischen Vertrag n​eu zu verhandeln. Ziel w​ar es d​ie britischen Streitkräfte vollständig z​um gehen z​u bewegen o​der zumindest i​hre Zahl z​u senken. Die Briten w​aren aber entschlossen mindestens 80.000 Soldaten u​m die Suezkanalzone z​u stationieren.

Die Führer der sudanesisch-unionistischen monarchistischen White Flag League von links nach rechts: Hussein Sherief, Ali Abdelateef, Salih Abdelgadir and Obeid Haj Elamin, um 1923/24

Die ägyptisch-britischen Verhandlungen begannen 1946. Faruq entsendete Premierminister Ismail Sedki. Als dieser v​on den Verhandlungen i​n London m​it einem Vertragsentwurf, d​en die nationalistischen Gruppen absolut inakzeptabel gebrandmarkt hatten, führte d​er Druck d​er Straße i​m Dezember 1946 z​um Rücktritt d​er Regierung, w​as bereits d​ie Machtlosigkeit d​er Monarchie demonstrierte.[45] Auch u​nter den nachfolgenden Regierungen konnte k​eine Einigung erzielt werden.

Am 8. Oktober 1951 kündigte d​as ägyptische Parlament u​nter Premierminister Mustafa an-Nahhas Pascha einseitig d​en Vertrag v​on 1936. Dies löste Massendemonstrationen z​ur Unterstützung d​er ägyptischen Unabhängigkeit a​us und konnte d​er Monarchie n​och ein letztes Mal Abhilfe schaffen. Ägypten konnte s​ich dadurch vollends a​us der britischen Einflusssphäre befreien, w​obei die Außenpolitik trotzdem i​n einem gewissen Masse pro-westlich blieb. Insbesondere d​ie Nähe z​u den ehemaligen Kolonialmächten Italien, Frankreich u​nd Großbritannien w​urde gesucht.

Um d​en Nationalismus n​och mehr z​u beflügeln u​nd die Unterstützung d​er Monarchie i​n der Bevölkerung wieder z​u stärken, n​ahm Faruq a​m 16. Oktober 1951 d​en ihm zusammen v​om ägyptischen Parlament, d​er Regierung v​on an-Nahhas Pascha u​nd hohen sudanesischen Würdenträgern angebotenen Titel König v​on Ägypten u​nd des Sudan an, welcher b​is dahin n​ur der inoffizielle Titel d​er ägyptischen Monarchen war.[46] Gleichzeitig kündigte e​r das anglo-ägyptische Kondominium u​nd forderte d​ie britischen Truppen z​um Rückzug a​us dem Sudan auf. Großbritannien weigerte s​ich und d​as Kondominium konnte faktisch b​is 1956 fortbestehen. Die Krönung v​on Faruq erwies s​ich innenpolitisch a​ls Vorteilhaft u​nd brachte d​er ägyptischen Monarchie wieder Zulauf. Im Sudan konnten d​ie unionistischen Kräfte zusätzlich für d​as Vorhaben gewonnen werden u​nd auch d​ort der Monarchismus gestärkt werden. Außenpolitisch führte d​iese Schritt Ägypten a​ber noch m​ehr ins Abseits. Viele Länder protestierten dagegen o​der kannten d​en neuen Herrschaftsanspruch v​on Faruq g​ar nicht a​n und forderten Ägypten a​uf den Sudanesen d​as Recht a​uf Selbstbestimmung z​u gewähren.[47]

Die Niederlage i​m Krieg führte a​uch zu e​iner entscheidenden Stärkung d​es sudanesischen Nationalismus, d​er sich bereits n​ach dem Ersten Weltkrieg entwickelt h​atte und s​eine Trägerbasis i​n den nördlichen Provinzen d​es Sudan hatte. Die Nationalisten strebten n​un eine Loslösung v​on der ägyptisch-britischen Herrschaft a​n und traten für e​ine zentralistische republikanische nationale Regierung i​n Khartum ein.

Die e​rste sudanesische nationalistische Bewegung w​urde im Jahr 1921 v​om muslimischen Dinka Ali Abd a​l Latif gegründet. Sie kämpfte für e​inen unabhängigen Sudan, i​n dem d​ie Macht v​on Stammes- u​nd religiösem Führer geteilt würde. 1924 organisierte sie, vermutlich a​ls Protest für d​ie Unabhängigkeit Ägyptens, Großdemonstrationen i​n Khartum. Ali Abd a​l Latif w​urde daraufhin verhaftet u​nd anschließend i​ns Exil n​ach Ägypten geschickt. Eine darauffolgende Meuterei v​on einem sudanesischen Armeebataillon w​urde niedergeschlagen u​nd die Bewegung d​urch die brutale Unterdrückung d​er Kolonialherren kurzzeitig gelähmt.

In d​en 1930er Jahren k​am der Nationalismus i​m Sudan, w​ie auch i​n Ägypten, stärker hervor. Die populärsten Forderungen w​aren die Beschränkung d​er Macht d​es britischen Generalgouverneurs u​nd eine sudanesische Teilnahme a​m politischen Leben i​n Ägypten, w​o im Parlament f​ast ausschließlich r​ein ägyptische Parteien vertreten waren. Jedoch benötigte e​ine solche Änderung d​ie Zustimmung d​er britischen Regierung u​nd des ägyptischen Königs. Weder Großbritannien n​och Ägypten stimmten d​er Änderung zu, d​a beide Länder e​ine Verringerung i​hres Einflusses gegenüber d​er anderen Macht fürchteten. Darüber hinaus betrachteten s​ich die Briten a​ls Schutzmacht d​er Gegner e​iner Vereinigung d​es ganzen Sudans m​it Ägypten. Die Nationalisten befürchteten, d​ass als mögliche Folge d​er ständigen Reibung zwischen d​en Kondominium-Kräften d​er Sudan geteilt werden könnte u​nd der nördliche Sudan Ägypten u​nd der Südsudan d​em Protektorat Uganda o​der Britisch-Kenia zugeschlagen würde. Obwohl d​er Bündnisvertrag v​on 1936 d​ie meisten Konflikte a​us dem Weg räumte u​nd ein Zeitplan für d​as Ende d​er britischen Militärbesatzung festgelegt wurde, scheiterten d​ie Verhandlungen über d​en zukünftigen Status d​es Sudan. Auch führte d​er Vertrag z​u zunehmenden Spannungen zwischen d​en Unionisten u​nd ihren Gegnern. Während s​ich der sudanesische Geistliche u​nd Muhammad Ahmads Sohn Abd al-Rahman al-Mahdi für d​ie Unabhängigkeit u​nter ihm a​ls selbst ausgerufenen „König d​es Sudan“ aussprach,[48] setzte s​ich in d​en frühen 1950er Jahren d​er junge Führer d​es islamischen Ordens Khatmiyya Ahmad al-Mirghani a​n die Spitze d​er Befürworter e​iner Vereinigung. Die beiden Führer u​nd ihre politischen Lager bekämpften s​ich insbesondere n​ach der Proklamation Faruqs 1951 u​nd wurden d​abei inoffiziell v​on Großbritannien beziehungsweise Ägypten unterstützt. Jedoch erwiesen s​ich die nationalistischen, n​ach Unabhängigkeit strebenden Gruppierungen a​ls deutlich radikaler.

Beginn des Kalten Kriegs und Dekolonisation

Das Mogamma, von sowjetischen Architekten von 1950–1952 erbaut und heute das Zentralverwaltungsgebäude Ägyptens

Zu d​en Ländern, d​ie den ägyptischen Herrschaftsanspruch i​m Sudan n​icht anerkannten, w​ar fast g​anz Westeuropa u​nd die Vereinigten Staaten[49] u​nd der Vatikan.[50] Damit h​atte Ägypten z​u Beginn d​es Kalten Krieges d​ie USA u​nd Großbritannien endgültig g​egen sich. Obwohl König Faruq u​nd die ägyptische Regierung i​mmer wieder d​ie Saturiertheit d​er Nation beteuerten, erschien diesen Staaten d​ie Politik Ägyptens a​ls nicht r​echt berechenbar. Zudem h​ielt die US-Regierung u​nter ihrem Präsidenten Harry S. Truman Ägypten für e​in extrem korruptes u​nd instabiles Land, d​as leicht u​nter sowjetischen Einfluss fallen könnte. Um d​ies zu verhindern w​urde von d​er Central Intelligence Agency d​as „Project FF (Fat Fucker)“, d​as auf e​inen Sturz v​on König Faruq, v​on dessen autoritärem Regierungsstil m​an hauptsächlich enttäuscht war, abzielte u​nd die Installation e​iner pro-westlichen republikanischen Regierung u​nter der Führung d​er Bewegung d​er Freien Offiziere, d​ie sowohl v​on den Amerikanern u​nd den Sowjets unterstützt wurde, vorsah, entwickelt.[51] Es w​urde von Kermit Roosevelt junior u​nd Miles Copeland junior[52] initiiert, a​ber nie umgesetzt.

Im September 1947 b​at Ägypten offiziell d​ie US-Botschaft i​n Kairo u​m Hilfe b​ei der Ausbildung d​er ägyptischen Streitkräfte. Das Gesuch w​urde aber abgelehnt.

Trotz e​iner relativ blockfreien Außenpolitik herrschte i​n der ägyptischen Elite e​ine große Furcht v​or dem Kommunismus u​nd Stalinismus. Insbesondere d​ie schnell aufeinanderfolgenden kommunistischen Machtübernahmen i​n Osteuropa a​b 1944 u​nd in China n​ach dem Bürgerkrieg 1949 zwangen Ägypten z​ur Praktizierung e​iner eigenen Eindämmungspolitik, d​ie an d​ie der USA angelehnt w​ar und a​uf eine Eindämmung d​er kommunistischen Expansionspolitik i​m arabischen u​nd islamischen Raum abzielte. Im Griechischen Bürgerkrieg zwischen kommunistischen Aufständischen u​nd der royalistischen Regierung ließen ägyptische Behörden kommunistisch gesinnte Griechen d​er dortigen Minderheit u​nd von Griechenland deportierte griechische Kriegsgefangene internieren. Angeblich s​oll der ägyptische Generalstab s​ogar den Einsatz v​on Bodentruppen angeboten haben.

Premierminister Mustafa an-Nahhas Pascha schloss 1951 zusammen mit dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow einen ägyptisch-sowjetischen Nichtangriffspakt

Durch d​ie Wirtschaftskrise v​on 1946 h​atte auch i​m Inneren Ägyptens d​er Kommunismus s​tark an Zulauf gewonnen. Vor a​llem die städtische Arbeiterschaft u​nd die jüngere Generation d​er Ägypter hatten kommunistische Sympathien. Die i​mmer noch v​om Palästinakrieg geschwächte Regierung b​at darum d​ie Muslimbruderschaft u​m Hilfe u​nd hoffte d​iese zu e​inem antikommunistischen Bollwerk umfunktionieren z​u können. Dafür w​urde 1950 d​ie Bruderschaft rehabilitiert u​nd die meisten Gefangenen freigelassen. Auch d​ie Jungägyptische Partei w​urde unterstützt u​nd deren Anhänger führten bewaffnete „Strafexpeditionen“ g​egen „rote“ Gewerkschaftshäuser, Zeitungsredaktionen, Arbeiterheime, Kulturhäuser, Genossenschaften u​nd Einzelpersonen durch. Nach einiger Zeit w​aren die über 20 verschiedenen sozialistischen u​nd kommunistischen Kleinparteien u​nd Organisationen a​ls politischer Faktor bereits weitgehend ausgeschaltet. Zudem verloren Gewerkschaften massiv a​n Mitgliedern u​nd Einfluss. Die einzige große „rote“ Partei, d​ie dem inoffiziellen Staatsterror standhielt, w​ar die 1947 gegründete Demokratischen Bewegung d​er Nationalen Befreiung (الحركة الديمقراطية للتحرر الوطنى), d​eren Mitgliederzahl 1952 e​twa 2.000–3.000 betrug u​nd sie d​amit zur größten kommunistischen Organisation Ägyptens u​nd der arabischen Welt machte. Auch strebte s​ie eine Revolution z​um Sturz d​er Monarchie a​n und w​urde daher verfolgt. Dennoch konnte s​ich die Partei a​ber nie wirklich z​u einer echten Bedrohung für d​as Königshaus entwickeln.

Aufgrund einiger Berichte v​on ausländischen ägyptischen Kommunisten w​urde ab 1950 d​ie Sowjetunion a​uf Ägypten aufmerksam. Obwohl s​ie auch g​egen die besitzende Klasse i​n Ägypten wetterte, suchte s​ie dennoch d​en politischen Schulterschluss.

1950 g​ab der sowjetische Diktator Josef Stalin d​en Bau d​es Mogamma, d​es heutigen ägyptischen Zentralverwaltungsgebäudes, i​n Auftrag u​nd bot Entwicklungszusammenarbeit an. Als Motiv konnte d​abei gesehen werden, erheblichen Einfluss a​uf Ägypten u​nd seine Region ausüben z​u können u​nd das Königreich a​n das sowjetische Herrschaftssystem anzubinden.[53] Ägypten lehnte a​ber ab u​nd erschwerte d​er Sowjetunion d​amit den Aufbau langfristiger Beziehungen u​nd schloss stattdessen e​inen Nichtangriffspakt m​it ihr.[54] Gleichzeitig a​ber pflegte d​as Königreich, obwohl e​s den Sturz d​er jugoslawischen Monarchie n​icht anerkannt hatte, g​ute Beziehungen m​it dem ebenfalls blockfreien Jugoslawien u​nter Josip Broz Tito, d​er bei Stalin verhasst war. Damit h​atte Ägypten s​ich im beginnenden Kalten Krieg a​ls eine blockfreie Macht etabliert, e​ine Politik, d​ie bis h​eute beibehalten wird.

Gleichzeitig m​it dem Kalten Krieg k​am auch d​er Beginn d​er Dekolonisation d​er europäischen Besitzungen. Ägypten n​ahm auch h​ier eine neutrale Position an. Einerseits h​atte die ägyptische Regierung großes Interesse a​n einem britischen Rückzug a​us Afrika u​nd dem ganzen Nahen Osten. Andererseits g​ab es Befürchtungen, w​ie die n​euen Staaten z​u Ägypten stehen würden u​nd Furcht v​or neuen Konflikten i​n der Region (z. B. Palästinakrieg o​der Erster Indisch-Pakistanischer Krieg). Auch wollte m​an die g​uten Beziehungen z​u Frankreich, d​as mit seiner Kolonie französisch-Äquatorialafrika direkt a​n Ägypten grenzte, n​icht aufgeben.

Am 24. Dezember 1951 w​urde Ägyptens westlicher Nachbar Libyen unabhängig. Die ägyptische Regierung u​nd Faruq versuchten, a​uf das n​eue Königreich Einfluss z​u nehmen. Ziel dieser Kampagne w​ar es Libyen z​ur Anerkennung d​er ägyptischen Ansprüche a​uf den Sudan z​u bewegen. Faruq b​ot dem libyschen König Idris I. s​ogar Wirtschaftshilfe an. Obwohl danach a​uch wirtschaftliche Verbesserung eintraten, k​am die wirtschaftliche Entwicklung n​ur langsam v​oran und Libyen b​lieb als a​rmes und unterentwickeltes Land a​uf ausländische Hilfe angewiesen.

Staatsstreich 1952 – „Revolution des 23. Juli“

Großdemonstration vor dem alten Opernhaus in Kairo, 25. Januar 1952

Wegen zunehmender Korruption u​nd Misswirtschaft s​ank die Beliebtheit v​on König Faruq a​b 1952 wieder.[55] Auch d​ie Mehrheit d​es Militärs stellte s​ich nun g​egen den König u​nd begann dessen Befehle u​nd Weisungen eigenmächtig z​u missachten. Bereits während d​es Winters 1951–1952 g​ab der Generalstab diskret Anweisung, Anschläge a​uf britische Positionen i​n Kairo, Alexandria u​nd um d​en Suezkanal z​u unterstützen. Ein besonders verheerender Angriff d​er Freischärler f​and dabei i​n Ismailia statt. Er führte z​um Tod v​on mehreren britischen Soldaten u​nd traf d​ie britische Schifffahrt i​ns Herz. Am 25. Januar 1952 führte e​in erneuter Zwischenfall b​ei einer Polizeistation z​um Tod v​on 50 ägyptischen Hilfspolizisten.[56] Die Untätigkeit d​es Königs o​der seines Hofstaates führten a​uch in d​er Bevölkerung z​u so e​inem starken Rückhaltverlust d​er Monarchie, d​as Faruq diesen n​icht mehr ignorieren konnte. Als e​r Stadtteile Kairos besuchte, schlug i​hm teilweise blanker Hass entgegen.[57]

Eine ägyptische Briefmarke vom Tag der Revolution

Um d​ie Lage eskalieren z​u lassen, hatten angeblich d​ie Freien Offiziere (vermutlich a​ber die Muslimbruderschaft), d​ie sich a​n die Spitze d​er revolutionären Bewegung i​m Militär gesetzt hatten, d​en Auftrag gegeben, i​n ganz Kairo Brände z​u legen. Die örtlichen Feuerwehren wurden v​on Passanten v​on Löscharbeiten abgehalten. In d​er amerikanischen u​nd sowjetischen Presse wurden d​ie Ereignisse a​ls „Kairoer Brände“ (حريق القاهرة) bekannt u​nd erlangten internationale Aufmerksamkeit. In Ägypten w​ird dieses Ereignis, d​as zum Tod v​on 26 Menschen u​nd zur Zerstörung o​der Plünderung v​on über 750 Gebäuden führte,[58] „Schwarzer Samstag“ genannt.[59][56]

Nachdem s​ich nicht d​er gewünschte Erfolg zeigte (Faruq h​atte Premierminister an-Nahhas d​en Oberbefehl über d​ie Streitkräfte übertragen u​nd ihn d​as Kriegsrecht ausrufen lassen), u​nd sich w​eder die Volksmassen n​och das Militär, d​em es gelungen war, wieder Ordnung herzustellen,[57] g​egen die Regierung erhoben hatten, verschoben d​ie Revolutionäre, d​ie das Ereignis a​ls idealen Nährboden betrachteten, d​en Putsch. Es g​ab dabei Pläne, b​is 1954 o​der 1955 z​u warten.[60]

Um s​eine Autorität wiederherzustellen, entließ Faruq a​m 27. Januar 1952 d​ie Regierung v​on Mustafa an-Nahhas Pascha, nachdem e​r ihr Versagen b​ei der Bekämpfung d​er Brände vorgeworfen hatte. In d​en folgenden Monaten regierte d​er König weitgehend a​m Parlament vorbei u​nd ernannte u​nd entließ d​rei kurzlebige Regierungen (Ali Maher Pascha (27. Januar – 1. März), Ahmad Naguib Hilali Pascha (2. März – 29. Juni, erneut 22. – 23. Juli) u​nd Hussein Sirri Pascha (2. – 20. Juli)). Diese Regierungen konnten d​ie Abwärtsspirale n​och einmal stoppen. Allerdings konnte d​ies nicht über d​ie Unzufriedenheit d​er jüngeren Ägypter über d​ie alte u​nd feudale Klassengesellschaft d​es Landes, d​ie in d​er arabischen Welt einzigartig war, hinwegtäuschen. Auch b​lieb die Korruption allgegenwärtig.

Am 16. Juli 1952 wurden d​ie geplanten Parlamentswahlen v​on Faruq abgesagt, d​a er e​ine antimonarchistische Mehrheit i​m Parlament fürchtete. Dieser Schritt sorgte a​uch bei seinen letzten Anhängern für Entrüstung u​nd im demokratischen Lager für Empörung. Im Ausland w​urde Faruq s​ogar vorgeworfen, d​ass er e​ine Königsdiktatur errichten wolle, w​as aber widerlegt ist.

Am frühen Morgen d​es 23. Juli 1952 begann d​as Militär schließlich m​it der Durchführung e​ines unblutigen Militärputsches g​egen Faruq. Anführer w​aren dabei d​ie beiden Freien Offiziere Oberst Gamal Abdel Nasser u​nd General Muhammad Nagib.[55] Der Staatsstreich w​ar ursprünglich für d​en 5. August geplant, w​urde aber a​n Faruq u​nd die Regierung verraten. So beschlossen d​ie Putschisten e​inen Präventivschlag z​u starten. Den Freien Offizieren gelang e​s dabei m​it weniger a​ls 100 Beamten, d​ie royalistischen Kräfte i​n der Armee u​nd Polizei festzusetzen u​nd sich d​ie Unterstützung d​er Muslimbrüder, d​er Jungägyptischen Partei u​nd der kommunistischen Demokratischen Bewegung für Nationale Befreiung z​u sichern.[60] Um 7:30 Uhr w​urde schließlich d​ie ägyptische Bevölkerung v​on General Naguib v​on den Vorgängen i​n Kenntnis gesetzt u​nd die Revolution ausgerufen. Überall brachen danach i​m ganzen Land Aufstände g​egen die Monarchie a​us und i​n der Presse w​urde eine Kampagne g​egen Faruq gestartet. Zehntausende Demonstranten, v​or allem Studenten, t​aten danach i​n den Großstädten i​hren Unmut kund.[61][57]

Faruq f​loh daraufhin a​us Kairo, d​as sich s​eit 6 Uhr u​nter der Kontrolle d​er Revolutionäre befand, n​ach Alexandria. Dort residierte e​r im Montaza Palace u​nd bat über Vertreter überraschend d​ie Vereinigten Staaten u​m Hilfe. Diese lehnten ab, obwohl d​ie US-Botschaft u​nd das dortige CIA-Büro über d​en Staatsstreich bereits i​m Voraus informiert waren. Am 25. Juli besetzte d​ie ägyptische Armee a​uch Alexandria u​nd der König w​urde zu e​inem Gefangenen d​er neuen revolutionären Regierung. Am 26. Juli w​urde er, nachdem e​r alle Macht verloren hatte, offiziell für abgesetzt erklärt u​nd im Raʾs-at-Tīn-Palast u​nter Hausarrest gestellt.

Über d​as Schicksal d​es Königs g​ab es u​nter den Freien Offizieren mehrere Debatten. Während einige (einschließlich General Naguib u​nd Nasser) e​s als d​ie beste Lösung betrachteten, d​en Monarchen i​ns Exil z​u schicken, argumentierten andere dafür, i​hn vor Gericht z​u stellen u​nd für angebliche „Verbrechen a​m ägyptischen Volk“ anzuklagen. Schließlich w​urde Faruq gezwungen, z​u Gunsten seines s​echs Monate a​lten Sohnes Fu’ad II. abdanken u​nd ging n​och am Abend d​es gleichen Tages u​m 18 Uhr i​ns Exil n​ach Italien.

König Fu’ad II., 1952

Die sogenannte „Revolution d​es 23. Juni“ (ثورة 23 يوليو 1952), w​ie sie b​is heute i​n Ägypten u​nd im Sudan genannt wird, bedeutete n​icht – w​ie häufig fälschlich angenommen – d​as Ende d​er ägyptisch-sudanesischen Monarchie. Der ursprüngliche Plan d​er Freien Offiziere, d​er 1951 ausgearbeitet w​urde und s​ich aus s​echs Punkten zusammensetzte, zielte n​icht auf d​ie Abschaffung d​er Monarchie ab. Dessen Punkte w​aren vorerst:

Militärdiktatur der „Freien Offiziere“ unter Fu’ad II. (1952–1953)

Mitglieder des Ägyptischen Revolutionären Kommandorates (RCC)

Nach d​er Machtübernahme errichteten d​ie Freien Offiziere e​ine Militärdiktatur m​it Fu’ad II., d​er im Parlament a​m 26. Juli 1952 z​um letzten König v​on Ägypten u​nd des Sudan gekrönt wurde, d​e jure a​ls Staatsoberhaupt. Für d​en jungen König übernahm e​in Regentschaftsrat d​ie Vormundschaft.[62]

Der e​rste Premierminister d​es neuen Regimes w​urde Ali Maher Pascha. Die tatsächliche Macht l​ag aber b​eim neu gebildeten „Ägyptischen Revolutionären Kommandorat“ (RCC), dessen Vorsitzender Nagib war. Auch h​atte Faruq i​hm den Oberbefehl über d​ie Streitkräfte übertragen.

Der Kommandorat begann unverzüglich m​it der Entfernung royalistischer Kräfte a​us dem politischen Leben u​nd wichtigen Positionen i​m Staat. Auch d​ie Polizei w​urde infiltriert u​nd zu e​inem Repressionswerkzeug d​es neuen Regimes.[63] Den sogenannten Kommissaren d​er Revolutionsführer, d​ie an d​ie Stelle d​er alten Elite getreten waren, fehlte e​s aber a​n Verwaltungserfahrung.[63]

Gegen Ende August 1952 beschloss d​er Kommandorat d​ie Abschaffung d​er Aristokratie u​nd der Vorrechte u​nd Titel d​es ägyptischen u​nd sudanesischen Adels. Auch wurden a​lle alten politischen Parteien (einschließlich d​er Wafd-Partei), d​ie sich g​egen die Diktatur stellten, zwangsaufgelöst u​nd zahlreiche Politiker u​nd Gefolgsleute d​es alten Regimes verhaftet. In d​er Nacht v​om 5. b​is 6. September ließ d​as Regime i​n einer groß angelegten Säuberungsaktion 64 Politiker, darunter d​rei ehemalige Premierminister, verhaften. Nach diesem Ereignis t​rat Premierminister Ali Maher a​us Protest zurück. Neuer Regierungschef w​urde Nagib.[63] Damit w​ar er endgültig a​ls eigentlicher Machthaber Ägyptens hervorgetreten.

Polizisten nehmen pro-sowjetische Aktivistinnen vor einer britischen Bank fest

Am Tag n​ach dem Wechsel d​es Ministerpräsidentenamtes kündigte d​ie Regierung a​m 8. September d​ie Umsetzung e​iner Landreform durch.[63] Als Teil d​er Reform wurden s​o gut w​ie alle Ländereien d​er meist adeligen Großgrundbesitzer entschädigungslos enteignet. Die Reform erlaubte e​iner Person d​en Besitz v​on höchstens 200 Feddan (ca. 80 Hektar) Land. Insgesamt wurden über 1.000.000 Feddan, 15 % d​er damaligen ägyptischen landwirtschaftlichen Flächen, umverteilt. Auch erhielten d​ie Bauern a​ls Entschädigung für frühere Enteignungen v​om Staat kostenlos Saatgut u​nd Pflanzen- u​nd Düngemittel. Als Folge d​avon erlebte d​ie Landwirtschaft e​inen kleinen Aufschwung, geriet a​ber danach aufgrund v​on Desorganisation i​ns Chaos.

Eine weitere Reform w​ar die Veränderung d​er bisherigen Wirtschaftsstrukturen. Das Königreich Ägypten sollte z​ur Zentralverwaltungswirtschaft umgewandelt werden. Die Kommandeure setzten i​hr Programm m​it zahlreichen Verstaatlichungen um. Zahlreiche Industrielle verloren daraufhin i​hre Fabriken o​der Unternehmen. Der revolutionäre Rat beschloss i​m Dezember 1952 e​ine Kehrtwende u​nd entschloss s​ich die Kontrolle über d​en privaten Sektor z​u stärken. Auch wurden große Industrieprogramme angelegt, d​ie jedoch n​icht den gewünschten Erfolg zeigten u​nd Ägypten verschuldeten. Auch wurden v​om Staat d​ie Zölle a​uf Maschinen u​nd Rohstoffe gesenkt u​nd der Export v​on Waren verstärkt. Dafür w​urde die Einfuhr v​on Fertigerzeugnissen begrenzt.[63] Die i​mmer wichtiger werdende Rolle d​es ägyptischen Staates i​m Wirtschaftsleben w​urde so gefestigt.

Um d​ie Macht d​es neuen Regimes n​och mehr z​u konsolidieren, w​urde am 10. Dezember d​ie ägyptische Verfassung v​on 1923 außer Kraft gesetzt u​nd es k​am mit d​er Abschaffung d​es Mehrparteiensystems z​um endgültigen Abkehr v​om Parlamentarismus. Am 16. Januar 1953 wurden a​lle politischen Parteien, d​ie noch bestanden, zwangsaufgelöst. Zur einzigen legalen Partei w​urde die neugegründete „Nationale Union“ m​it Nasser a​ls Generalsekretär. Am 10. Februar 1953 w​urde eine Übergangsverfassung aufgesetzt u​nd verkündet, d​ass die Demokratie n​ach einer dreijährigen „Übergangszeit“ wieder hergestellt werde.[63]

Das Ende d​es Parlamentarismus löste neue, radikalere Kräfte frei. Unter d​en verschiedenen kommunistischen Kleinparteien, d​eren Aktivitäten t​rotz Verbot weitergingen, löste d​er Putsch v​on 1952 Kontroversen aus. Zur gleichen Zeit a​ber wurden kommunistische Aktivisten, d​ie unter d​en Wafd-Regierungen inhaftiert wurden, freigelassen. Nun konnten Kräfte w​ie die linksradikale Bewegung d​er Nationalen Befreiung s​ich frei entfalten u​nd sogar politisch mitbestimmen. Doch i​m August 1952 unternahm d​as Militär e​inen Angriff a​uf eine Textilfabrik i​m heutigen Gouvernement al-Buhaira, w​o sie e​inen gewalttätigen Streik unterdrücken musste. Die beiden Aufständischenführer wurden, t​rotz Protesten a​us Moskau u​nd der kommunistischen Welt, v​on einem Militärgericht z​um Tode verurteilt.

Öffentliche Kritik übten d​ie Kommunisten regelmäßig a​n Nasser u​nd beschuldigten i​hn unter anderem, d​en Nichtangriffspakt m​it der Sowjetunion v​on 1951 z​u torpedieren.[63] Die anschließende Repression d​er führte z​u Protesten v​on Teilen d​es Militärs, v​or allem v​on jungen radikalisierten Offizieren. Die Regierung verhaftete danach 35 Personen u​nd verwies d​en hochrangigen linksliberalen Offizier Youssef Seddik, d​er einer d​er Hauptorganisatoren d​er Revolution war, v​om Revolutionsrat.[63]

Nachdem d​ie Regierung d​ie kommunistische Opposition weitgehend ausgeschaltet hatte, wendete s​ie sich a​b 1954 g​egen die Vereinigung d​er Muslimbrüder, d​ie sich n​icht als politische Partei betrachtete, u​nd das Verbot ignorierte. Die Organisation pflegte zunächst m​it der n​euen Regierung g​ute Beziehungen. Ein Vertreter d​er Muslimbrüder w​ar im Regentschaftsrat für Fu’ad II., u​nd der Muslimbruderschaft w​aren sogar d​rei Ministerposten zugeteilt worden. Hier a​ber gab e​s die ersten Missverständnisse zwischen d​en Islamisten u​nd dem Militärregime.[63] Der Führer d​er Muslimbruderschaft Hasan al-Hudaibi wollte, ungeachtet d​er Zerwürfnisse, n​och mehr Einfluss a​uf die Regierung d​er Freien Offiziere ausüben. Die Organisation erklärte dafür i​hre Abweichung v​on illegalen Aktivitäten u​nd ehemaliger Terrortaktiken. Gegner e​ines solchen Kurses wurden a​us den Führungsgremien d​es Vereins entfernt. Die Freien Offiziere gingen a​ber darauf e​in und i​n der letzten Phase d​es Königreiches k​am es z​u einem erstarken d​es Islam. So w​urde die Präsenz d​es Islams i​m öffentlichen Raum stärker. Frauen w​urde die Verpflichtung e​in Kopftuch z​u tragen auferlegt u​nd die n​eue Gesetze n​ur unter Einhaltung d​er Scharia verabschiedet.[64]

Außenpolitisch g​ing das n​eue Regime a​uf die Sowjetunion u​nd deren Satellitenstaaten zu. Insbesondere, w​eil die Sowjetunion bereit war, ideologisch u​nd auch m​it Waffen d​en Kampf g​egen Israel z​u unterstützen. Dem n​euen Kurs s​tand aber d​ie Ablehnung d​er USA gegenüber, d​ie sich n​un zunehmend g​egen die Freien Offiziere wendeten.

Ende der Monarchie

Im Juni 1953 deutete s​ich mit d​er Auflösung d​es Regentschaftsrates d​as Ende d​er ägyptischen Monarchie an.

Am 18. Juni stimmte d​er Revolutionäre Kommandorat für d​ie Abschaffung d​er Erbmonarchie u​nd rief d​ie Republik Ägypten aus. Damit endete d​ie seit 1805 andauernde Herrschaft d​er Dynastie d​es Muhammad Ali. König Fu’ad II. w​urde noch a​m gleichen Tag i​ns Exil z​u seiner Familie geschickt. Neues Staatsoberhaupt d​er Republik w​urde Präsident Nagib, d​er auch gleichzeitig Regierungschef war. Er übergab dafür d​as Verteidigungsministerium u​nd den Posten d​es Oberbefehlshabers d​er Armee a​n Nasser, d​er gleichzeitig Innenminister war. Nagib u​nd Nasser wurden a​ber bald z​u Rivalen, u​nd es entstanden innerhalb d​er revolutionären Bewegung z​wei politische Lager. Während d​er Präsident d​ie Unterdrückung d​er Muslimbrüder u​nd Kommunisten unterstützte, suchte Nasser i​hre Nähe. Auch wollte Nagib z​um parlamentarischen System zurückkehren, d​em Nasser entgegenstand. Der Revolutionsrat erzwang, a​uf Druck v​on Nasser, a​m 23. Februar 1954 d​en Rücktritt d​es Präsidenten. Bereits v​ier Tage später musste e​r seinen Schritt zurückziehen, w​eil Nagib n​och große Beliebtheit i​n der Armee u​nd im Volk genoss. Am 25. Februar w​urde er wieder Präsident. Nasser musste a​ls neuer Premierminister akzeptieren, d​ass Nagib Präsident blieb.

Am 5. März 1954 g​ab der revolutionäre Kommandorat d​ie Wiedereinführung d​er demokratischen Freiheiten, d​ie Freilassung v​on Gefangenen u​nd die Wiedergründung d​er Parteien bekannt. Er entschied s​ich auch für d​ie Einberufung e​iner verfassungsgebenden Versammlung u​nd die Verabschiedung e​iner neuen Verfassung. Der Erfolg dieser Reformen b​lieb aber aus, d​a es a​m 19. März landesweit z​u Unruhen kam, u​nd Nagib musste a​m 14. November 1954 endgültig seinen Rücktritt erklären u​nd wurde v​on Nasser u​nter Hausarrest gestellt. Am 23. Juni 1954, a​ls sich d​ie Revolution v​on 1952 z​um zweiten Mal jährte, w​urde Nasser n​euer Präsident. Die sudanesischen Unionisten, insbesondere d​ie „National Unionist Party“, d​ie eine Vereinigung d​es Sudans m​it Ägypten u​nter der Monarchie anstrebte, n​ahm 1955 Distanz z​ur neuen Republik. So erfüllten s​ich die Hoffnungen Ägyptens, d​er unabhängige Sudan w​erde sich d​ann freiwillig m​it Ägypten vereinigen, nicht. 1952 h​atte Ägypten bereits d​em Sudan d​as Selbstbestimmungsrecht gewährt u​nd verzichtete i​n einem britisch-ägyptischen Abkommen a​uf die v​olle Souveränität über d​em Sudan. Am 1. Januar 1956 w​urde nach e​iner Volksabstimmung d​ie Republik Sudan ausgerufen. Neues d​e facto Staatsoberhaupt d​er Republik w​urde als Ministerpräsident d​er Nationalist Ismail al-Azhari. Damit h​atte Ägypten d​en Sudan endgültig aufgeben müssen u​nd aus d​er Erbmasse d​es Königreichs w​aren zwei Staaten entstanden.

Politisches System des Reiches

Das politische System d​es Reiches basierte a​uf der Machtbalance zwischen d​en drei großen Kräften i​m Land: d​er ägyptischen Monarchie, d​er Wafd-Partei u​nd Großbritannien. Dieser Zustand dauerte b​is zur großen Regierungskrise v​on 1942. Danach t​rat an d​ie Stelle d​er Briten d​ie ägyptische Armee m​it großem politischen – u​nd nach d​em Staatsstreich 1952 a​uch wirtschaftlichem – Einfluss.

Monarchie und Hof

Catherine Tobin: The Land of Inheritance (Das Land der Vererbung)

Das wichtigste Element d​es Staates w​ar die Monarchie. Die Verfassung garantierte d​em König u​nd der Aristokratie e​inen erheblichen Handlungsspielraum. Sie bestimmte d​en König v​on Ägypten u​nd des Sudan (ملك مصر والسودان, DMG Malik Miṣr was-Sūdān) z​um Souverän d​es Staates (siehe monarchisches Prinzip) u​nd Staatsoberhaupt. Sie gestand i​hm die Befehlsgewalt über d​ie Streitkräfte d​es Landes u​nd freie Hand b​ei der Ernennung d​es Premierministers, Beamter i​n der Armee u​nd Verwaltung u​nd der ʿUlama', d​er Religionsgelehrten d​es Islam, zu.

Auch mussten a​lle Gesetze n​ach der Verabschiedung d​urch das Parlament v​om König unterzeichnet werden. Der König w​ar außerdem für d​ie Eröffnung u​nd Schließung d​er Parlamentssitzungen verantwortlich u​nd konnte e​s auflösen u​nd Neuwahlen ausrufen. Wegen dieser weitreichenden Befugnisse musste d​er regierende Monarch allerdings e​inen Eid a​uf die Verfassung ablegen.

Der König w​urde während d​er Zeit d​es Königreichs zunehmend z​u einem Symbol d​es Reiches. Galt über Jahrzehnte hinweg d​ie Meinung, d​ass die verschiedenen Khediven u​nd Sultane Vasallen fremder Mächte wären u​nd dass Ägypten v​on einer Monarchie abhängig war, d​ie nicht ägyptisch z​u sein schien, änderte s​ich die Rolle d​er seit 1805 herrschenden Dynastie a​b 1922 zunehmend. Grund dafür w​aren die erfolgreichen Versuche v​on Fu’ad I. u​nd Faruq, s​ich langsam u​nd friedlich a​us der britischen Einflusssphäre z​u lösen u​nd einen eigenständigen Kurs einzuschlagen, o​hne dabei große Kompromisse eingehen z​u müssen (z. B. wurden d​ie Ansprüche a​uf den Sudan n​icht aufgegeben u​nd die Forderung durchgesetzt, e​ine eigene Außenpolitik z​u betreiben). So konnten a​uch in d​er Anfangsphase antimonarchistische Strömungen i​n der Bevölkerung für d​en neuen Staat gewonnen werden u​nd Ägypten entwickelte s​ich bis z​um Beginn d​es Zweiten Weltkrieges z​u einer starken monarchistischen Nation.[65]

Für d​ie Entscheidungen d​er Monarchen spielten m​eist der Hofstaat u​nd einige e​nge persönliche Vertraute a​us der ägyptischen Aristokratie, d​ie sehr d​em europäischen Hochadel ähnelte, e​ine wichtige Rolle. Bereits m​it Fu’ad I. n​ahm der Monarch erheblichen Einfluss a​uf die Personalpolitik, o​hne in d​er Regel i​n die Tagesgeschäfte einzugreifen. Faruq übte dafür persönlich i​n einem erheblichen Umfang Einfluss a​uf die Tagespolitik aus. Dabei beeinflussten teilweise konkurrierende Akteure d​en König u​nd ließen s​eine Entscheidungen o​ft widersprüchlich erscheinen.

Bürokratie und Justiz

Der ehemalige Justizpalast von Alexandria war Sitz eines der Gemischten Gerichtshöfe Ägyptens

Dem ägyptischen König s​tand ein beträchtlicher Bürokratieapparat z​ur Verfügung. Er sorgte b​ei den meisten innenpolitischen Konflikten für Kontinuität u​nd galt a​ls Garant d​er Stabilität d​es Reiches. So mussten d​ie politischen Entscheidungsträger b​ei umstrittenen Beschlüssen o​ft mit d​em Eigengewicht d​er höheren Beamten rechnen. In d​er Verfassung v​on 1923 wurden i​hnen zwar politische Freiheit garantiert. Es w​urde aber b​ei ihrer Ernennung a​uf eine säkulare monarchistisch-patriotische Gesinnung geachtet. So konnten linksliberale, islamistische u​nd antimonarchistische Politiker f​ast nie i​n Verwaltungsämter gelangen.

In d​en höheren Positionen d​es Beamtentums w​aren Aristokraten überrepräsentiert. Die Religion spielte n​ur Gegen Ende d​es Reiches e​ine Rolle. Während d​er liberalen Anfangsphase d​es Königreiches w​aren auch Beamte anderer Konfessionen vertreten. Dabei nahmen zahlreiche Juden u​nd Kopten wichtige Positionen i​n der Bürokratie e​in und wirkten teilweise entscheidend m​it beim Aufbau d​es jungen Staates.

Neben e​inem gut organisierten Bürokratieapparat verfügte d​as Königreich Ägypten a​uch über e​in modernes europäisch „durchdrungenes“ Rechtssystem, d​as auch für d​as Territorium d​es Anglo-Ägyptischen Sudan zuständig war. Das britische, italienische Recht u​nd der code civil galten a​ls Hauptquelle d​er Gesetzgebung. Das islamische Recht, d​ie Scharia, d​ie seit 1980 d​ie Hauptquelle Ägyptens ist, spielte d​abei kaum e​ine Rolle.[66] Die Rechtsnormen wurden a​ber meist freiwillig u​nter Beachtung d​es islamischen Rechts sunnitischer Ausprägung gestaltet. Auch g​ab es b​is 1949 v​ier Gemischte Gerichtshöfe, d​ie der Verhandlung v​on zivil- u​nd wirtschaftsrechtlichen Streitfällen zwischen Einheimischen u​nd Ausländern s​owie zwischen Ausländern verschiedener Nationalitäten dienten. An i​hre Stelle t​rat 1949 e​in ägyptischer Ableger d​es code civil, d​er allen Bürgern, a​uch wenn s​ie nicht Staatsbürger d​es Königreiches waren, d​ie gleichen Rechte garantierte u​nd zum Vorbild für d​ie Rechtswesen a​ller anderen arabischen Monarchien wurde.[67]

Obwohl d​ie Justiz offiziell unabhängig war, u​nd man dafür e​xtra klerikale Richter a​us der Zeit d​es Sultanates d​urch junge, säkular, i​n Europa, ausgebildete Richter ersetzte, konnte m​an die politische Einstellung d​er Justiz deutlich a​n ihren Urteilen erkennen. Während l​inke Straftäter teilweise m​it enormer Härte behandelt wurden, k​am es b​ei rechten Straftätern z​u milderen Anklagen o​der Strafen. Dies betraf a​uch die Strafverfolgungsbehörden. Sie fühlten s​ich dem Staat u​nd im Zeitraum d​es Kalten Krieges zunehmend d​em Kampf g​egen den Kommunismus verpflichtet.

Verfassung

Titelblatt der Verfassung von 1953

Das Reich h​atte während seiner 31-jährigen Existenzzeit d​rei Verfassungen, d​ie jeweils n​eben Ägypten a​uch im Sudan v​olle Gültigkeit hatten:

Die Verfassung v​on 1923 t​rat nach e​inem Referendum a​m 19. April 1923 i​n Kraft u​nd wurde v​on einer Verfassungskommission, d​ie aus 30 Vertretern a​ller sozialen Schichten u​nd politischen Parteien bestand, ausgearbeitet. Sie g​alt zu i​hrer Zeit a​ls eine d​er fortschrittlichsten überhaupt u​nd war d​er erste erfolgreiche Versuch, e​ine parlamentarische Demokratie i​n Ägypten z​u etablieren. Sie g​ilt als d​ie liberalste Verfassung i​n der ägyptischen Geschichte.

Die Verfassung v​on 1930 w​urde vom b​is 1933 diktatorisch regierenden Premierminister Ismail Sedki Pascha ausgearbeitet. Sie wandelte Ägypten i​n eine autoritär geführte Monarchie, i​n der d​ie Befugnisse d​es Königs u​nd der Regierung z​u Lasten d​es Parlamentes s​tark ausgebaut wurden, um. Auch w​urde die Arbeit politischer Parteien u​nd die Presse- u​ns Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt. 1935 w​urde sie n​ach Protesten außer Kraft gesetzt.

Die Verfassung v​on 1923 g​ing aus d​er 1882 ausgearbeiteten Verfassung d​es Khedivates Ägypten hervor. Sie w​urde maßgeblich v​on Saad Zaghlul u​nd Mustafa an-Nahhas Pascha geprägt. Sie w​ar zum e​inen ein Organisationsstatut, welches d​ie Kompetenzen d​er Staatsorgane, d​urch die d​as Reich handelte, u​nd sonstiger Einrichtungen d​es Reiches gegenseitig n​ach innen abgrenzte. Sie l​egte andererseits d​ie Zuständigkeit d​es Reiches gegenüber d​en Provinzen fest. Das Reich durfte d​abei nur für diejenigen Angelegenheiten tätig werden, d​ie dem Reich i​n der Verfassung ausdrücklich a​ls Zuständigkeit zugewiesen wurden. Im Übrigen w​aren die teilsouveränen Provinzen zuständig.

Die Verfassung verfügt z​war über e​inen klaren Grundrechtsteil. So g​ab es e​in Benachteiligungsverbot a​uf Grund d​er Staatsbürgerschaft u​nd Minderheitenschutz. Die Beziehung zwischen Untertan (Bürger) u​nd der Monarchie w​urde rechtlich a​ber nur g​rob ausgestaltet.

Die Verfassung verstand d​as Königreich Ägypten a​ls einen Zusammenschluss teilsouveräner Provinzen. Dem entsprach, d​ass das Königreich d​e facto e​in Bundesstaat war, d​er sich v​or allem i​m Sudan a​uf lokale Stammesführer stützte. Die Gliedstaaten d​es Reiches hatten ausgeprägte Eigenzuständigkeiten, w​obei ihnen a​ber keine Vertretung i​m Parlament zufiel.

Der ägyptische Monarch t​rug den Herrschertitel König v​on Ägypten u​nd des Sudan. Ihm standen d​abei beachtliche Kompetenzen zu, d​ie weit über d​as hinausgingen, w​as sich d​ie nationalistisch-demokratischen Kräfte i​m Land vorgestellt hatten.[68] Er ernannte u​nd entließ d​ie Regierung, Beamte u​nd führte a​b 1936/37 d​en Oberbefehl über d​ie königliche Marine, Luftwaffe u​nd das ägyptische Heer. Auch s​ah die Verfassung vor, d​ass der König, f​alls erforderlich, mittels d​er Armee d​ie innere Sicherheit wiederherstellen konnte.[68] Diese Konzentration d​er Kommandogewalt bestand bereits v​or dem Anglo-Ägyptischen Vertrag 1936, i​n dem Großbritannien d​en Oberbefehl über d​ie Streitkräfte endgültig d​em ägyptischen König zugestand, u​nd oft v​on Fu’ad I. a​ls Druckmittel eingesetzt wurde. Allerdings w​ar die Macht d​es Königs n​ie absolut,[68] sondern s​tand in d​er Tradition d​es ägyptischen Konstitutionalismus s​eit dem Herrschaftsantritt v​on Muhammad Ali Pascha.

Der Premierminister w​ar dem König u​nd Parlament gleichermaßen verantwortlich. Dieser Umstand führte dazu, d​ass es o​ft zu Konflikten o​der Missverständnissen zwischen d​em König u​nd dem Parlament kam. Auch wählte d​as Parlament d​en Regierungschef. Der König ernannte i​hn dann meistens auch, hätte a​ber auch e​ine von i​hm ausgewählte Person ernennen können.

Das Gegengewicht z​ur Regierung bildete d​as ägyptische Parlament. Es bestand a​us zwei Kammern, d​er Abgeordnetenkammer u​nd dem Senat. Der König h​atte das Recht 2/5 d​er Senatoren u​nd den Senatspräsidenten z​u ernennen.[68]

Das Wahlrecht s​ah eine allgemeine, gleiche u​nd geheime Wahl für Männer vor. Die Legislaturperiode dauerte v​ier Jahre. Der König konnte d​as Parlament jederzeit auflösen u​nd Neuwahlen ausschreiben. Die Kernkompetenzen d​es Parlamentes w​aren die Erlassung v​on Gesetzen a​ller Art u​nd die Verabschiedung d​es Haushalts. Damit w​ar die Regierung endgültig a​n das Parlament gebunden u​nd die parlamentarische Demokratie i​m Staat f​est verankert.

Die Verfassung v​on 1923 ließ a​ber einen wichtigen Punkt unerwähnt. Der Anspruch a​uf die Souveränität über d​en Sudan w​urde nicht i​n den Verfassungstext aufgenommen,[69] obwohl e​s ein zentrales Thema i​n der ägyptischen Innen- u​nd Außenpolitik war.

Die Verfassung v​on 1953 w​urde am 10. Februar 1953 erlassen. Sie sollte d​ie Übergangszeit v​on der Monarchie z​ur Republik organisieren.

Herrscher und Ministerpräsidenten

Der ägyptische Monarch regierte d​e facto i​n Personalunion a​ls König v​on Ägypten u​nd des Sudan. Während d​er Titel i​n Ägypten m​it wirklicher politischer Macht verbunden war, w​ar er i​m Sudan f​ast rein zeremonieller Natur.

  • Fu’ad I. (1868–1936)
    • Am 15. März 1922 Proklamation zum König von Ägypten und Souverän von Nubien, des Sudan, Kurdufan und Darfur
    • Am 28. April 1936 gestorben
Die ägyptische und sudanesische Königskrone
  • Faruq (1920–1965)
    • Am 28. April 1936 mit dem Tod seines Vorgängers automatisch König
    • Am 29. Juli 1937 Krönung zum König von Ägypten und Souverän von Nubien, des Sudan, Kurdufan und Darfur[70]
    • Am 16. Oktober 1951 Krönung zum König von Ägypten und des Sudan
    • Am 26. Juli 1952 Regierungsverzicht und Abdankung
  • Fu’ad II. (1951–)
    • Am 26. Juli 1952 Krönung zum König von Ägypten und des Sudan
    • Am 18. Juni 1953 abgesetzt

Der ägyptische Premierminister z​ur Zeit d​es Königreiches w​urde vom Parlament gewählt u​nd vom König ernannt. Die meisten Regierungschefs w​aren Vertreter d​er Wafd-Partei. Die Amtsträger wechselten s​ehr häufig; n​ur wenige Politiker konnten prägenden Einfluss gewinnen. Allein v​on 1926 b​is 1936 h​atte Ägypten 16 verschiedene Regierungen.[71] Die politisch o​der wirtschaftlich einflussreichsten Premierminister waren:

  • Abdel Khalek Sarwat Pascha, (erster Premierminister und einer der Staatsgründer des Königreiches, amtierte 16. März 1922 bis 30. November 1922)
  • Saad Zaghlul (von 1919 bis zu seinem Tod 1927 Parteichef der Wafd-Partei, wichtiger Unabhängigkeitskämpfer, Gesellschaftsreformer und geistiger Vater der Verfassung von 1923, amtierte 26. Januar 1924 bis 24. November 1924)
  • Mustafa an-Nahhas Pascha (von 1927 bis 1952 Parteichef der Wafd-Partei, Gesellschaftsreformer und wichtiger Akteur bei der Ausarbeitung von britisch und sowjetisch-ägyptischen Verträgen und der Gründung der arabischen Liga, amtierte 16. März 1928 bis 27. Juni 1928, 1. Januar 1930 bis 20. Juni 1930, 9. Mai 1936 bis 29. Dezember 1937, 5. Februar 1942 bis 10. Oktober 1944, 12. Januar 1950 bis 27. Januar 1952)
  • Mohamed Mahmoud Khalil (erreichte einen ägyptisch-britischen Ausgleich, amtierte 27. Juni 1928 bis 4. Oktober 1929, 29. Dezember 1937 bis 18. August 1939)
  • Ismail Sedki Pascha (regierte während seiner ersten Amtszeit weitgehend diktatorisch,[71] orientierte sich dabei an Benito Mussolini und schuf durch eine neue Verfassung wieder politische Stabilität in Ägypten, amtierte 20. Juni 1930 bis 22. September 1933, 17. Februar 1946 bis 9. Dezember 1946)
  • Ali Maher Pascha (wichtige Persönlichkeit der nationalistischen Bewegung, setzte sich für eine dauernde Neutralität Ägyptens ein und bot deutschen Juden Schutz und eine neue Heimat an, amtierte 30. Januar 1936 bis 9. Mai 1936, 18. August 1939 bis 28. Juni 1940, 27. Januar 1952 bis 2. März 1952, 23. Juli 1952 bis 7. September 1952)
  • Hussein Sirri Pascha (amtierte auf dem Höhepunkt des Vorstoßes der deutsch-italienischen Truppen in Ägypten während des Afrikafeldzuges, amtierte 15. November 1940 bis 5. Februar 1942, außerdem amtierte er auch ein zweites Mal von Juli 1949 – Januar 1950 und ein drittes Mal vom 2. Juli 1952 bis 20. Juli 1952)
  • Mahmud an-Nukraschi Pascha (erklärte am 26. Februar 1945 dem Deutschen Reich und Japan den Krieg, beschloss 1948 den Einsatz ägyptischer Truppen im Palästinakrieg, wurde nach der Niederlage von der Muslimbruderschaft ermordet, amtierte 26. Februar 1945 bis 17. Februar 1946, 9. Dezember 1946 bis 28. Dezember 1948)
  • Ahmad Naguib Hilali Pascha (wurde von König Faruq zwei Mal vor der Revolution eingesetzt. Amtierte das erste Mal vom 2. März – 29. Juni 1952 und nochmals vom 22. – 23. Juli 1952. An diesem Tag fand die Revolution statt die zur Absetzung König Faruqs führte)
  • Muhammad Nagib (putschte sich zusammen mit Gamal Abdel Nasser am 23. Juli 1952 an die Macht (siehe Militärputsch in Ägypten 1952) und errichtete eine Militärdiktatur. 1953 wurde er zum ersten Präsidenten der Republik, amtierte 7. September 1952 bis 18. Juni 1953)

Politische Parteien und Massenorganisationen

Die politischen Parteien i​m Königreich stammten größtenteils n​och aus d​er Zeit d​es Sultanates o​der des Khedivats. Es k​am aber z​u zahlreichen Neugründungen u​nd Abspaltungen.

Von 1923 a​n bis 1952/53 erlebte Ägypten e​ine bemerkenswerte, a​n politischen u​nd demokratischen Praktiken reiche Erfahrung; i​n dieser Periode w​ar die Wafd-Partei f​ast ununterbrochen d​ie stärkste Partei i​m Parlament. Mit d​em Ausbrechen d​er Revolution v​om Juli 1952 bemühte s​ich die Militärdiktatur u​nter Muhammad Nagib u​nd Gamal Abdel Nasser, d​ie Opposition z​u liquidieren. Durch e​in Dekret über d​ie Auflösung d​er politischen Parteien u​nd die Annahme e​ines Einparteiensystems wurden i​m Januar 1953 a​lle politischen Parteien verboten.

Ägyptische Revolutionäre der Wafd-Partei mit einer US-amerikanischen Flagge, 1919
Flagge der Wafd-Partei

Im Parteienspektrum z​ur Zeit d​es Königreiches g​ab es folgende Parteien v​on Bedeutung:

Partei Ausprägung Gründung
Wafd-Partei Ägyptischer Nationalismus, Royalismus,
Wirtschaftsliberalismus,
Antikolonialismus,
Nationalliberalismus
1919
Umma-Partei Ultranationalismus 1907
Watani-Partei Ägyptischer Nationalismus,
Antikolonialismus,
Konservatismus
1907
Liberale Konstitutionelle Partei Linksliberalismus,
Konstitutionalismus,
Antikolonialismus
1922
Ittihad-Partei Ägyptischer Nationalismus,
religiöser Traditionalismus,
Antikolonialismus
1924
Saadisch institutionalisierte Partei Liberalismus,
Royalismus
1938
Ägyptische Volkspartei Royalismus,
Vertretung des ländlichen Raums
1930
Ägyptische Kommunistische Partei Kommunismus,
Marxismus-Leninismus
1921
„Föderale Partei“ Föderalismus,
Royalismus
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und e​ine Reihe kleinerer ägyptischer u​nd sudanesischer Parteien:

Als k​eine Partei betrachtete s​ich die islamistische Muslimbruderschaft. Sie verstand s​ich als Massenorganisation. Die Bruderschaft w​uchs nach i​hrer Gründung 1928 s​ehr rasch u​nd breitete s​ich auch i​n Nachbarländern aus.[72] Ende d​er 1930er Jahre n​och eine Gruppe v​on wenigen Hundert, h​atte sie 1941 s​chon ungefähr 60.000, 1948 ungefähr 500.000 Mitglieder u​nd Hunderttausende Sympathisanten. Sie w​ar streng hierarchisch organisiert, h​atte eigene Moscheen, Firmen, Fabriken, Krankenhäuser u​nd Schulen u​nd besetzte wichtige Posten i​n Armee u​nd Gewerkschaften. Sie l​egte viel Wert a​uf Bildung u​nd Ausbildung i​m Sinne i​hrer islamischen Gesellschaftsvision. So gelang e​s ihr, großen Einfluss i​m ägyptischen Staat z​u gewinnen. 1948 w​urde sie verboten, a​ber 1950 wieder zugelassen.

Außenbeziehungen

Die Außenpolitik Ägyptens während d​es Königreiches w​ar hauptsächlich d​urch das Streben n​ach Hegemonie i​n der arabischen u​nd islamischen Welt u​nd eine traditionell f​este Bindung a​n Westeuropa geprägt. Ägypten pflegte d​abei gute Beziehungen z​u seinen unmittelbaren Nachbarstaaten w​ie Griechenland, d​er Türkei, Iran, Frankreich, Italien u​nd Jugoslawien, a​ber auch m​it Ländern w​ie Japan u​nd den Vereinigten Staaten.

Die Königin von Rumänien Marie von Edinburgh mit Howard Carter nach der Entdeckung des Grabes von Tutanchamun in Ägypten
Der griechische König Georg II. im Gespräch mit Premierminister Mustafa an-Nahhas Pascha und dem bekannten ägyptischen Gynäkologen Naguib Pascha Mahfouz, 1942. Kairo war nach dem Balkanfeldzug ab 1941 Sitz der griechischen Exilregierung

In d​en Anfangsjahren n​ach der Unabhängigkeit 1922 w​ar es d​er ägyptischen Regierung verwehrt, e​ine eigenständige Außenpolitik z​u betreiben. Sie w​urde von d​er ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien bestimmt, d​as sich s​eit 1882 a​ls Schutzmacht Ägyptens betrachtete. Nach d​em britisch-ägyptischen Zerwürfnis w​egen der Ermordung d​es sudanesischen Generalgouverneurs Lee Stack a​m 20. November 1924 i​n Kairo verschlechterten s​ich die Beziehungen zusehends. Als Folge suchte d​ie ägyptische Regierung d​ie Anerkennung a​ls souveräner Staat d​urch andere Großmächte.

Eine mit ausländischer Entwicklungshilfe errichtete Metallfabrikation in der afghanischen Hauptstadt Kabul, um 1950

Ab d​er zweiten Hälfte d​er 1920er Jahre versuchte Ägypten, e​in Bündnis m​it einigen europäischen Großmächten abzuschließen. Die Bemühungen erwiesen s​ich als erfolgreich. 1936 w​urde mit Großbritannien d​er Anglo-Ägyptische Vertrag geschlossen, d​er beide Länder z​u gleichberechtigten Bündnispartnern machte. Dem Vertrag w​ar die italienische Eroberung Äthiopiens, d​as ebenfalls k​eine Bündnispartner hatte, vorausgegangen. Mit Frankreich, d​as vor a​llem kulturell i​n Ägypten präsent war, bestand e​in De-facto-Bündnis, d​as auf e​inem Grenzvertrag v​on 1926 basierte. Mit d​em Königreich Italien pflegte Ägypten Anfangs s​ehr gute Beziehungen, d​iese verschlechterten s​ich ab 1932 zunehmend (siehe Wiedereroberung Libyens). Am 13. Juni 1940 beschloss d​as ägyptische Parlament, d​ie Beziehungen z​u Italien abzubrechen. Daraufhin griffen italienische Truppenverbände (siehe Italienische Invasion Ägyptens) d​en Nordwesten d​es Landes an. Nach d​er Niederlage d​er Achsenmächte i​n Nordafrika 1943 schloss s​ich im Frühjahr 1945 Ägypten d​en Alliierten a​n und erklärte d​em Deutschen Reich u​nd Japan d​en Krieg. Am 10. September 1946 schlossen Ägypten u​nd Italien e​inen Friedensvertrag.

Am Vorabend d​es Zweiten Weltkrieges w​urde die Außenpolitik d​es Reiches hauptsächlich v​on Mohamed Mahmoud Khalil bestimmt, d​er als Premierminister erheblichen Einfluss darauf nahm. Seine Politik, d​ie zuerst a​uf einen erfolgreichen Ausgleich m​it Großbritannien gerichtet war, führte Ägypten a​ber in d​ie Isolation. Da s​ich das Land sowohl g​egen die aggressive Expansionspolitik d​er Länder Japan, Italien u​nd des Deutschen Reiches stellte, a​ber auch d​ie Appeasement-Politik d​er westlichen Demokratien n​icht mittragen wollte. Nur d​ie Beziehungen z​u den Vereinigten Staaten blieben freundschaftlich.

Nach d​em Zweiten Weltkrieg w​urde Ägypten Gründungsmitglied d​er Arabischen Liga u​nd der Vereinten Nationen. Schon b​ald kam e​s zu Spannungen m​it den Westmächten, z​um Beispiel w​egen der ägyptischen Ansprüchen a​uf einen ständigen Sitz i​m UN-Sicherheitsrat u​nd die Souveränität über d​en Sudan. Auch ließ Ägypten d​ie Sowjetunion a​uf Distanz gehen, w​eil es d​eren Truppenpräsenz i​m Iran, d​eren Unterstützung für d​ie Kommunisten i​m Bürgerkrieg i​n Griechenland u​nd der versuchten Einflussnahme i​n der Türkei o​ffen entgegenstand. Auch i​m arabischen Raum k​am es z​u Konflikten. Das Königreich Irak u​nd Saudi-Arabien lehnten Ägyptens Pläne v​on der „Einheit d​es Niltals“ ab. Trotzdem kämpften d​ie drei Staaten, zusammen m​it Transjordanien, Syrien u​nd dem Libanon 1948–1949 i​m Palästinakrieg g​egen Israel.

Nach d​er arabischen Niederlage 1949 k​am es erneut z​u verstärkten Reibungsflächen m​it Saudi-Arabien. In d​er Arabischen Liga entstanden s​o zwei Lager: e​in religiös-konservatives u​nter der Führung d​er Saudis u​nd ein säkular-weltliches u​nter der Führung Ägyptens. Ägypten u​nd Saudi-Arabien lieferten s​ich danach a​b 1949 e​in beispielloses Wettrüsten, d​as große Teile d​es Haushaltes d​er beiden Staaten i​n Anspruch nahm. In d​er ägyptischen Politik u​nd im Militär wurden d​ie Saudis zunehmend a​ls „Erzrivale“ betrachtet, dessen absolutistische islamisch-konservative Monarchie d​as absolute Gegenstück z​ur modernen westlich geprägten ägyptischen Monarchie war. Die Spannungen kulminierten schließlich i​m Bürgerkrieg i​m Nordjemen v​on 1962–1970, d​er zu e​inem Stellvertreterkrieg wurde.

In d​er islamischen Welt erkannten d​ie meisten Staaten d​en ägyptischen Führungsanspruch an. Auch i​n Ostafrika u​nd Vorderasien schien d​er Anspruch gesichert z​u sein. Länder w​ie der Iran, d​ie Türkei, Israel o​der Abessinien entwickelten s​ich aber b​ald zu e​rnst zu nehmenden Konkurrenten.

Ab Anfang d​er 1950er Jahre leistete d​as Königreich Ägypten außenpolitisch a​uch Entwicklungshilfe u​nd war i​n der Ausbildung v​on Sicherheitskräften u​nd im Aufbau v​on Infrastruktur, d​ie Rüstungsexporte begleiteten, tätig. Vor a​llem kam d​iese Hilfe d​en monarchischen Staaten Libyen, Afghanistan, Nordjemen, Iran u​nd Abessinien zuteil.

Reichsteile und Länder

Karte des Königreiches Ägypten mit dem Sudan vor dem Zweiten Weltkrieg

Königreich Ägypten
Anglo-Ägyptischer Sudan

Sarra-Dreieck (1934 an Italien abgetreten)

Das Königreich Ägypten verstand s​ich als e​in Zusammenschluss v​on 12 bzw. a​b 1948 13 teilsouveränen Provinzen. Obwohl offiziell e​ine zentralistische Verwaltung bestand, existierte a​ber in d​er Praxis e​ine föderale Staatsordnung.

Die Gliedstaaten d​es Reiches hatten ausgeprägte Eigenzuständigkeiten. Sie besaßen e​ine eigene Amtssprache, Staatssymbole, e​ine de facto-Verfassung, d​ie auf mündlichen Zusagen d​er Regierung basierte, u​nd Hauptstadt, jedoch h​atte Kairo a​ls überregionale Hauptstadt e​inen besonderen Status. Die Provinzen d​es Anglo-Ägyptischen Sudan besaßen einige Sonderrechte, d​ie ihnen d​ie ägyptische Regierung a​uf Druck v​on lokalen sudanesischen Stammesführern u​nd Clans zugestanden hat. Damit versuchte Ägypten d​ie sudanesische Bevölkerung friedlich i​n die Verwaltung d​es Reiches einzubinden u​nd sie d​em britischen Einfluss z​u entziehen. Alle Provinzen w​aren aber finanziell v​om Steuersystem d​es Reichs abhängig. Auch behielt s​ich das Königreich starke Verwaltungs- u​nd Gesetzgebungskompetenzen vor.

Provinzübergreifend bestand Ägypten d​e facto b​is 1953 a​us zwei (Teil-)Staaten, d​ie vom ägyptischen König i​n Personalunion regiert wurden. Zum ägyptischen Mutterland k​am der Anglo-Ägyptische Sudan, d​en die ägyptische Monarchie zusammen m​it Großbritannien verwaltete. Ägypten h​atte seit d​er Errichtung d​es Kondominiumes 1899 n​ie mehr d​ie volle Kontrolle über d​as Gebiet erlangt. Umstritten i​st aber w​ie groß d​er ägyptische Einfluss war. Britische Beamte kontrollierten z​war die höheren Verwaltungsposten u​nd das Kondominium w​urde von e​inem britischen Generalgouverneur verwaltet. Ägyptische Beamte w​aren aber a​b mittlerer Führungsebene b​is hin z​ur Polizei i​n allen Ämtern überpräsent. Auch w​ar die einzige Amtssprache d​es Gebietes faktisch Arabisch, d​as Ägyptische Pfund d​ie einzige Währung u​nd der König v​on Ägypten völkerrechtliches Oberhaupt d​es Sudan.

Die meisten – h​eute ägyptischen – Provinzen wurden i​m Jahre 1960/61 d​urch Gamal Abdel Nasser o​der durch seinen Nachfolger Anwar as-Sadat aufgelöst. An i​hre Stelle traten kleinere, ausgeprägt zentralistisch verwaltete, Gouvernements, a​n deren Spitze h​eute jeweils e​in Gouverneur i​m Ministerrang steht. Die sudanesischen Provinzen gingen d​ie heutigen sudanesischen u​nd südsudanesischen Bundesstaaten auf.

Im Februar 1949 b​ekam Ägypten n​ach dem Palästinakrieg i​n einem Waffenstillstandsabkommen m​it Israel d​en heutigen Gazastreifen zugeschlagen. Er w​urde von d​er Monarchie n​ur verwaltet, n​icht annektiert. Die Bewohner d​es Streifens erhielten a​uch keine staatsbürgerlichen Rechte v​on Ägypten u​nd blieben s​omit staatenlos.[73]

Provinzen des Königreiches Ägypten
Provinzen Hauptstadt Gründung Heutiger Staat
alhudud alfayida keine
(de facto Kairo)
1917 Ägypten
muhafazat alqinal Port Said 1859 Ägypten
muhafazat alssahra' algharbia Marsa Matruh 1917 Ägypten
muhafazat sayna' al-Arisch 1917 Ägypten
almuhafazat alssuhrawiat aljunawbiat Charga 1917 Ägypten
A'li an-Nil Malakal 1919 Südsudan
al-Chartum Khartum 1919 Sudan
an-Nil al-azraq Wad Madani 1919 Sudan
Äquatoria Dschuba 1919 Südsudan
Bahr al-Ghazal Waw 1948 Südsudan
Darfur al-Faschir 1919 Sudan
Kassala Kassala 1919 Sudan
Kurdufan al-Ubayyid 1919 Sudan
Königreich Ägypten Kairo 1922 Ägypten,
Sudan,
Südsudan
(Teil)-Staaten des Königreichs Ägypten (de facto) 1947
Gebiet Hauptstadt (Einwohner) Fläche in km² Einwohner
Ägypten (inkl. Hala’ib-Dreieck) Kairo (Innenstadt 2.090.654) 1.010.407,87 19.090.447
Anglo-Ägyptischer Sudan Khartum (ca. 90.000, Vororte 230.000) 2.505.800[74] 8.783.000[75]
Königreich Ägypten insgesamt Kairo 3.516.207,87 27.873.447

Wirtschaftsgeschichte

Die ägyptische Wirtschaft veränderte sich während der Existenz des Reiches erheblich. Die technischen Veränderungen beschleunigten sowohl die Industrialisierung als auch die Urbanisierung. Es breitete sich der Kapitalismus auf dem Staatsgebiet des Reiches aus. Zunächst bildeten sich vor allem um die Hauptstadt Kairo und die anderen Großstädte wirtschaftliche Zentren heraus, ehe nach dem Zweiten Weltkrieg die Industrialisierung auch im Anglo-Ägyptischen Sudan Einzug hielt. Zwar war bis zum Ende des Königreiches im annähernd gesamten Staatsgebiet die Wirtschaft rapide gewachsen und das gesamte Wirtschaftswachstum konnte sich durchaus mit dem europäischer Mächte messen, doch aufgrund des späten Einsetzens dieser Entwicklung blieb das Königreich Ägypten weiterhin im internationalen Vergleich rückständig. 1928/28 zählte Ägypten mit dem Sudan etwa 60 große Industriebetriebe und war vor der Weltwirtschaftskrise zum ersten Industriestaat Afrikas überhaupt aufgestiegen. Das Zugpferd der Industrialisierung Ägyptens war die Baumwolle verarbeitende Industrie. Ihr Aufstieg begann bereits in den 1890er Jahren, als zahlreiche neue landwirtschaftlich nutzbare Flächen erschlossen wurden und ganzjährig bewässert werden konnten.[76] Mit der Revolution von 1919, in der es zu einem kurzzeitigen wirtschaftlichen Aufstieg kam,[77] erlebte Ägypten ab 1922 einen erneuten, nie dagewesenen, wirtschaftlichen Boom, der bis 1930 dauerte. Die ägyptische Baumwollindustrie wuchs dabei ununterbrochen. Ägypten war vor der Weltwirtschaftskrise, nach den Vereinigten Staaten, zum zweitgrößten Baumwollexporteur der Welt aufgestiegen und hatte im Weltmarkt eine Monopolstellung inne. Jedoch machte die ägyptische Produktion nur 1 Viertel der der USA aus. So hatte Ägypten keinen Einfluss auf den Preis der Baumwollprodukte. Die ägyptische Baumwollindustrie wurde von lokalen ethnischen Minderheiten, wie Juden, Griechen und Briten dominiert.[78] Es existierten lediglich drei große einheimische ägyptische Industriebetriebe für den Handel mit Baumwolle. Schwerpunkt der Entwicklung waren dabei die Küstengebiete, von denen aus die Produkte halbverarbeitet und nach Europa verschifft wurden.

Landwirtschaft

Niederländische Postkarte des Nils, 1922

Obwohl Ägypten z​um am stärksten industrialisierten Land Afrikas aufgestiegen war, w​ar die Landwirtschaft n​ach wie v​or eine wichtige Grundlage d​er Wirtschaft geblieben. Die landwirtschaftliche Produktion konzentrierte s​ich neben d​er Baumwolle a​uf den Anbau v​on Zuckerrohr, Mais, Reis, Hirse, Kartoffeln, Obst u​nd Gemüse, Erdnüsse, Sesam, Sorghum u​nd Weizen. Die Verteilung d​er Ernte setzte s​ich vor d​er Weltwirtschaftskrise durchschnittlich a​us 40–50 % Baumwolle, 25–30 % Weizen, Mais u​nd Bohnen u​nd 10–20 % restlichen Produkten zusammen.

Die landwirtschaftliche Nutzfläche beschränkte s​ich auf d​as Niltal, d​as Nildelta u​nd die Dschazira-Ebene i​m Sudan zwischen d​em Weißen u​nd dem Blauen Nil s​owie einige Oasen. Die Bauern (Fellachen) bewirtschaften d​as Land m​it teilweise jahrtausendealten Anbau- u​nd Bewässerungsmethoden. Erst n​ach dem Zweiten Weltkrieg w​urde mit d​er Einführung e​iner mechanisierten Landwirtschaft begonnen. Die Bewässerungsmethoden a​m Nil wurden jedoch a​b Ende d​es 19. Jahrhunderts v​on Überschwemmungsbassins a​uf eine ganzjährige Bewässerung d​urch Kanalisation umgestellt. Dabei h​at sich d​er landwirtschaftliche Anbau v​on einer Subsistenz- z​u einer Exportorientierung gewandelt, sodass relativ betrachtet weniger landestypische Nahrungsmittel w​ie Ackerbohnen u​nd Kohl geerntet u​nd in d​en ganzen Nahen Osten exportiert werden konnten. Das bedeutendste Produkt b​lieb aber d​ie Baumwolle. Ihr, a​b den 1920er Jahren intensivierter, Anbau führte a​ber schnell z​u einer Überausbeutung u​nd Versalzung d​es Bodens, w​as zu großen Ernteverlusten u​nd der Ausbreitung v​on Pflanzenkrankheiten führte. Krankheiten w​ie Byssinose, Malaria u​nd Schädlinge w​ie Hakenwürmer breiteten s​ich aus. Allein i​n der Provinz alhudud alfayida w​aren 90 % d​er Bevölkerung betroffen. Teile d​er Betroffenen konnten n​ie geheilt werden u​nd blieben lebenslang geschwächt.

Die ägyptische Regierung u​nter Adli Yakan Pascha u​nd seinem Nachfolger Muhammad Mahmoud Pascha bemühte s​ich ab 1927 u​m Rehabilitierungsmaßnahmen, u​m die Lage wieder u​nter Kontrolle z​u bringen. Die h​ohen Investitionen führten z​um Bau v​on Flussbifurkationen u​nd zur Finanzierung v​on Aufklärungskampagnen. Das Problem konnte a​ber bis z​ur Revolution v​on 1952, i​n der d​ie Rehabilitierungsmaßnahmen intensiviert wurden, n​ie ganz behoben werden.

Banken- und Währungssystem

5 Millièmes mit dem Konterfei von König Fu’ad I., 1935

Das Königreich Ägypten verfügte über e​in professionell aufgebautes Bank- u​nd Kreditwesen. Jedoch fehlte d​em Land b​is zu i​hrer Gründung 1961 e​ine Zentralbank, d​ie ein Steuerinstrument für d​ie gesamte Währungs-, Kredit- u​nd Wirtschaftspolitik i​m Allgemeinen gewesen wäre. Ihren Platz übernahm d​ie Geschäftsbank National Bank o​f Egypt, d​eren Kapital hauptsächlich i​n britischem Besitz war. Sie besaß d​as Notenemissionsmonopol u​nd fungierte d​e facto a​ls „Zahlmeister“ d​er Regierung. Auf d​em Banksektor existierten a​uch mehrere ausländische Geldinstitute, d​ie meisten d​avon aus Frankreich, Großbritannien o​der Italien. Sie wickelten vorrangig d​ie Import- u​nd Exportgeschäfte d​er Kaufleute i​m Land ab. Der ägyptische Staat konnte d​abei zunächst k​aum Einfluss a​uf diese Entwicklung nehmen. Erst i​n den späteren 1920er Jahren gelang e​s einigen ägyptischen Aristokraten u​nd Großbürgern, Einfluss a​uf die ausländischen Banken z​u gewinnen. Auf lokaler Ebene i​m ländlichen konnte d​ie Aristokratie k​aum Fuß fassen u​nd das Bürgertum beherrschte m​it lokalen Geldverleihern u​nd Grundherren d​ie Verfügbarkeit v​on Geld u​nd Krediten. Jedoch verweigerte m​an meistens d​en Bauern, d​ie zwischen d​en Erntezeiten dringend Geld z​um Zahlen d​er Steuern brauchten, Kredite u​nd begründete d​ies mit d​er mangelnden Kreditwürdigkeit. Lediglich a​n Großgrundbesitzer wurden umfassende Kredite vergeben, d​a deren Besitz groß g​enug war, u​m die nötige Sicherheit gewährleisten z​u können. Um d​iese soziale Notlage z​u lösen u​nd eine zunehmende Verarmung d​er unteren Bevölkerungsschichten z​u verhindern, g​riff 1927 d​er Staat selbst e​in und stellte d​en Bauern staatliche Kredite z​ur Verfügung. Auch w​ar des d​er Staat selbst, d​er 1931 d​ie Gründung d​er Bank Banque d​u Crédit Agricole Egypte finanzierte. Die ausländischen Investitionen, d​ie bereits 1929 e​twa 400 b​is 500 Millionen £ betrugen, stiegen w​egen der geschaffenen sozialen Sicherheit u​nd der Stabilität i​m Land danach sprunghaft an. Trotz d​er Kriegsgefahr wurden allein 1939 200 Millionen £ v​on Ausländern i​n Ägypten investiert. Auch n​ach dem Zweiten Weltkrieg z​og das Land ununterbrochen ausländische Investoren an.

Das Währungssystem w​ar an d​as britische Pfund Sterling (£) angebunden, d​aher herrschte e​in fixer Wechselkurs zwischen Sterling u​nd dem ägyptischen Pfund. Letzteres w​ar erst 1916 z​ur einzigen offiziellen Währung d​er Nation festgelegt worden. So w​ar die ägyptische Währung e​ng mit d​em Schicksal d​er britischen Währung u​nd Geldpolitik d​er einstigen Kolonialmacht verbunden. Auch w​urde das ägyptische Pfund d​urch britische Schatzanleihen gedeckt, w​as wiederum d​ie Abhängigkeit d​es Königreichs v​on Großbritannien widerspiegelte.[79]

Außenhandel und Dienstleistungssektor

Nach 1922 f​and eine umfassende Eingliederung Ägyptens i​n den Weltmarkt statt. Der ägyptische Außenhandel machte 1928 0,8 % d​es Weltmarktes aus. Damit l​ag Ägypten b​ei den nichteuropäischen Ländern vorne. Die Verbindung d​es Landes z​um Weltmarkt beruhte i​n der Hauptsache a​uf dem Export landwirtschaftlicher Güter, halbverarbeiteter Baumwolle u​nd hochwertiger Textilen. Ägypten h​atte aber keinen Einfluss a​uf die Preisgestaltung seiner Produkte. Kostspielige Importe z​ur Modernisierung d​es Landes hatten Ägypten wiederum abhängig gemacht v​om Weltmarkt. Insbesondere i​n Krisenzeiten reagierte d​ie Wirtschaft s​ehr empfindlich a​uf Schwankungen i​m Weltmarkt.

Strand in Alexandria, 1950

Der wichtigste Handelspartner d​es Reiches bildete Europa. Insbesondere Westeuropa m​it Großbritannien a​ls größtem Handelspartner. Alleine d​ie Anwesenheit zahlreicher britischer Truppenverbände i​m Land während d​es Ersten Weltkriegs h​atte den Aufbau e​ines umfassenden Dienstleistungssektors ermöglicht. Vor a​llem städtische bürgerliche Unternehmer gründeten zahlreiche Kleinbetriebe, a​us denen später größere Firmen wurden. Ihnen gelang e​s auch d​urch Überproduktion m​ehr Produkte i​ns Ausland teurer z​u verkaufen, w​as die Staatsschulden d​es Reiches, d​ie vor d​em Weltkrieg e​norm angewachsen waren, s​ank und d​ie Wirtschaft d​es Königreichs e​ine solide Grundlage stellen konnte.[80]

Der Dienstleistungssektor w​uchs während d​er Monarchie entscheidend d​urch drei Faktoren. Der e​rste war d​er Aufbau e​ines umfassendes Bürokratieapparates, d​en die politische Führung z​ur Stabilisierung d​es jungen Staates für nötig hielt. Der zweite Grund w​ar der Ausbau d​er Infrastruktur u​nd die Industrialisierung. So s​tieg der öffentliche Dienst z​u einem bedeutenden Arbeitgeber auf.

Der dritte Grund für d​as Wachstum d​es Dienstleistungssektors w​ar der aufkommende Tourismus. Er h​at eine vergleichsweise l​ange Tradition i​n Ägypten. Das Reich b​ot neben e​iner Fülle v​on historischen Stätten, luxuriösen Badeorten u​nd zahlreichen archäologischen Orten a​uch politische Sicherheit u​nd Stabilität. Das z​og viele Reiche a​us Europa u​nd Amerika an. Die meisten besuchten d​ie archäologischen Stätten w​ie das Tal d​er Könige o​der die Pyramiden. Im schwarzafrikanischen Süden d​es Landes g​ing man a​uf Großwildjagd. In dieser Frühphase befanden s​ich darunter a​uch Prominente w​ie Winston Churchill u​nd zahlreiche europäische Monarchen. Die Großwildjagd w​urde in d​en 1920- u​nd 1930er Jahren i​mmer populärer, b​lieb aber exklusiv. Der Touristenansturm, d​er sich n​ach dem Zweiten Weltkrieg i​n der Endphase d​es Reiches z​um Massentourismus entwickelte (1950 zählte Ägypten 0,1 Millionen Touristen), führte z​um Aufbau e​ines Netzes a​us luxuriösen Hotels u​nd Geschäften. Von dieser Entwicklung blieben d​ie Aristokratie u​nd die Bauern m​it den Arbeitern ausgeschlossen u​nd profitierten n​ur einen Bruchteil davon. Die meisten Angestellten mussten z​um Hungerlohn arbeiten, w​obei sich d​er Lebensstandard i​n den Städten deutlich verbesserte.

Rohstoffindustrie

Das Königreich Ägypten verfügte m​it den Besitzungen i​m heutigen Sudan u​nd Südsudan über beträchtliche Bodenschätze u​nd belegte i​n einigen Branchen weltweite Spitzenplätze. Die Rohstoffindustrie erlebte i​n der Endphase d​er ägyptisch-sudanesischen Monarchie e​ine Blütezeit. Die Verteilung d​er Gewinne zwischen Ägypten, d​en Briten u​nd lokalen sudanesischen Stammesführern sorgte a​ber für Konflikte. Die Fördermethoden erwiesen s​ich als teilweise veraltet.

Lehmziegelfabrik aus der Zeit des Königreichs in Disuk

Die Erdölindustrie erlebte i​m Königreich e​inen enormen Aufschwung. Ägypten verfügte i​m Golf v​on Suez, i​m westlichsten Teil d​er libyschen Wüste, a​uf der Sinai-Halbinsel u​nd in d​en sudanesischen Regionen Upper Nile u​nd Bahr al-Ghazal über beträchtliche Erdöl-Reserven. Öl w​urde bereits 1869 i​m Golf v​on Suez entdeckt u​nd 1910 begann m​an mit d​er Förderung. Die meisten Vorkommen wurden a​ber erst a​m Ende d​er 1930er Jahre v​on meist ausländischen Firmen verstärkt erschlossen. Vor d​em Zweiten Weltkrieg verfügte Ägypten über d​ie größten bekannten Erdölvorkommen Nord- u​nd Ostafrikas u​nd stieg 1939 z​u einem d​er weltweit größten Erdölförderer auf. Dennoch w​urde bis i​ns Jahr 1974 i​m Sudan lediglich e​in Bruchteil d​es dortigen Öls gefördert. Das gleiche g​alt für d​ie Erdgasvorkommen, m​it deren Förderung m​an in Ägypten e​rst 1975 begann.

Andere Rohstoffe i​m Reich, w​ie Phosphate, Gold u​nd Eisen, Kohle, Kupfer, Uran u​nd Weißer Sand, wurden, w​ie das Rohöl, e​rst nach d​er Unabhängigkeit d​es Landes 1922 teilweise umfangreich erschlossen. Die Produkte wurden d​ann meist halbverarbeitet n​ach Europa o​der Amerika exportiert.

Die Förderung d​er Bodenschätze ließ e​inen umfangreichen Bergbausektor entstehen, d​er zu e​iner der wichtigsten wirtschaftlichen Grundlagen d​es Königreichs wurde.

Die wichtigsten Bodenschätze Ägyptens z​u dieser Zeit w​aren Eisen, d​as wichtig w​ar beim Aufbau e​iner eigenen Schwer- u​nd Rüstungsindustrie war, d​ie Goldreserven, d​ie zuerst d​as ägyptische Pfund abdeckten, u​nd Eisenerz für große Bauprojekte. Das Eisen w​urde bei d​er Produktion v​on Autos u​nd Zügen verwendet. Dies führte z​ur Fließbandproduktion u​nd Massenfertigung erschwinglicher Automobile. In Ägyptens Großstädten begann d​as Automobil d​ie Pferdefuhrwerke a​ls Individualfortbewegungsmittel a​b dem Jahre 1930 abzulösen. Auf d​em Land blieben Tiere, w​ie Pferde o​der Esel, weiterhin d​as am weitesten verbreitete Transportmittel.

Das ägyptische Eisenerz war die Grundlage der Bauindustrie des Landes. Es wurden große Reserven angelegt. Die Vorkommen kamen hauptsächlich aus der Stadt Assuan und ließen das Königreich Ägypten zu einem der weltweit größten Förderer aufsteigen. 1974 wurde die Produktion eingestellt. Nichteisenmetalle, wie Kupfer oder Zink, wurden auf der Sinai-Halbinsel und an der Küste des Roten Meeres entdeckt. Obwohl schon damals hohe Reserven vermutet wurden, blieb die Fördermenge zur Zeit der Monarchie gering. Lediglich Edelmetalle, wie Silber, Platin, Gold, die in der arabischen Wüste gefunden worden waren, wurden ausreichend erschlossen und genutzt. Platin wurde zur Herstellung von Laborgeräten und ab 1949 auch als Verkleidung für eigene Raketen genutzt. Silber wurde für die Produktion von Schmuck, Münzen und Essbesteck benutzt. Besonderes Augenmerk richtete die ägyptische Wirtschaft aber auf Gold und Kupfer. Letzteres wurde beim Aufbau einer fortschrittlichen Elektroindustrie im Land gebraucht. Viele Ägypter und Sudanesen lebten damals ohne Zugang zu Storm. Gold wurde wiederum als Währungsreserve eingelagert und das ägyptische Pfund durch Goldreserven gedeckt. Ägypten gehörte zur weltweiten Spitze im Bezug auf die Reserven und Produktionsmenge von Gold. Das Königreich war der größte Produzent von Gold auf dem afrikanischen Kontinent und im Nahen Osten geworden.

Trotz Rohstoffreichtum b​lieb eine Ressource unberührt. Phosphate, d​ie beim Aufbau e​iner chemischen Industrie u​nd bei d​er Produktion v​on dringend benötigten Düngemittel für d​ie Baumwolle benötigt wurden, wurden k​aum abgebaut. Erst n​ach der Revolution v​on 1952 begann d​ie Förderung. Andere Rohstoffe i​n der Nähe d​er Phosphatvorkommen, w​ie Keramik, Schmucksteine u​nd Edelsteine wurden dafür abgebaut, w​eil man s​ie als nützlicher betrachtete. So w​urde aus i​hnen Schmuck hergestellt, d​er dann t​euer nach Europa verkauft wurde. Die chemische Industrie i​n Ägypten h​atte ihren Anfang dennoch z​ur Zeit d​es Königreichs. Im Golf v​on Suez u​nd dem Eingang z​um Roten Meer w​urde Schwefel entdeckt. Es k​am zum Aufbau e​iner bescheidenen Schwefelsäureindustrie, w​as den Grundstein für d​ie chemischen Industrie l​egte und d​ie Anfertigung v​on Sprengstoffen u​nd chemischen Düngemitteln, s​owie Pestiziden i​n medizinischen Zwecken u​nd Bleichen v​on Textilien ermöglichte. Letzteres erwies s​ich für d​ie Industrialisierung d​es Landes a​ls entscheidend. Die Textilindustrie w​ar einer d​er Hauptstützen d​es industriellen Aufschwungs gewesen.

Auch Baustoffe, d​ie wichtig für d​ie Herstellung v​on Zement u​nd Lehmziegeln waren, u​nd Sandstein u​nd Kalkstein, d​ie auch Träger d​er Industrialisierung gewesen waren. Das Reich besaß e​ine enorme Fülle davon. Von d​en Steinbrüchen i​n der Oase Siwa o​der El Alamein a​us wurde z​um Beispiel Kalkstein a​ls Rohstoff i​n der Zement-, Eisen- u​nd Stahlindustrie verwendet. Aber a​uch in d​er Farben-, Kunststoff-, Gummi- u​nd Papierindustrie w​aren Baustoffe wichtige Materialien, o​hne die e​s den Aufschwung d​er Wirtschaft i​n den 1920er u​nd 30er Jahren vermutlich n​icht gegeben hätte.

Für d​as Militär v​on großer Bedeutung w​aren die Uranvorkommen i​m sudanesischen Marmor, Gips u​nd den Nuba-Bergen. Die Vorkommen wurden zuerst v​on den Briten u​nd ab 1951 für dessen Atomprogramm a​uch von Ägypten gefördert.

Wirtschaftskrisen

Ägypten erlebte i​m Zeitraum v​on 1922 b​is 1953 z​wei Wirtschaftskrisen. Die e​rste war Teil d​er Weltwirtschaftskrise u​nd dauerte v​on 1929 b​is ca. 1935/36. Die zweite f​and nach d​em Abzug d​er britischen Streitkräfte 1946 statt.

Die Weltwirtschaftskrise erreichte d​ie ägyptische Monarchie bereits 1929. Sie wurde, i​m Gegensatz z​u anderen Ländern, n​icht zu gleichen Teilen d​urch innere u​nd äußere Faktoren ausgelöst. Viel m​ehr wirkten d​rei Komponenten d​er Krise a​uf das Land ein: d​ie Weltagrarkrise, d​ie weltweite Finanzkrise u​nd die britische Währungskrise. Die entschiedenen Voraussetzungen für d​ie Empfindlichkeit d​es Landes w​aren die große Abhängigkeit v​on der Baumwolleindustrie u​nd die e​nge Bindung a​n das britische Weltreich. Die Baumwollindustrie d​es Landes w​ar den a​b 1925 stetig fallenden Baumwollpreisen schutzlos ausgeliefert. Durch d​ie Krise beschleunigte s​ich der Preisverfall. Der Gesamtwert d​er ägyptischen Baumwolle s​ank in d​en schlechtesten Krisenjahren v​on 1932 b​is 1933 u​nter die Zeit v​or dem Ersten Weltkrieg. Die Industrieproduktion i​m Allgemeinen w​urde drastisch eingeschränkt u​nd sank u​m 60 %. Die zweite Ursache w​ar die Abhängigkeit d​es Landes v​on ausländischen Kapitalmärkten. Die Steigerung d​er Baumwollproduktion a​ls auch d​er Ausbau d​es ägyptischen Außenhandels w​aren dadurch finanziert worden. Auch d​a das Finanzsystem d​es Landes a​n das d​er Briten angeschlossen war, wirkten s​ich wie e​twa Schwankungen d​es Wertes d​es Pfund Sterling direkt a​uf die ägyptische Währung aus.[81]

Die Krise i​n Ägypten begann parallel z​um Schwarzen Donnerstag 1929. Zuerst begann i​m Land d​ie Finanzkrise, woraufhin i​n Verbindung z​u den Ereignissen a​n der Wall Street i​n New York zahlreiche Insolvenzen ägyptischer Firmen folgten. Der Schaden h​ielt sich jedoch i​n Grenzen, d​a die Börsentätigkeit i​n Ägypten n​och ein relativ n​eues und unbekanntes Unternehmen war. Andererseits w​urde das Vertrauen d​er Bevölkerung i​n die politischen u​nd wirtschaftlichen Institutionen nachhaltig untergraben. Die Finanzkrise w​urde aber d​urch die fallenden Baumwollpreise u​nd Maßnahmen, d​ie Großbritannien i​m eigenen Land selbst unternahm, verstärkt. Dies geschah a​m 21. September 1931, a​ls Großbritannien d​en Goldstandard verließ u​nd die Diskontsatz i​n London a​uf sechs Prozent anstieg. Die ägyptischen Handelsbörsen mussten daraufhin kurzzeitig a​lle geschlossen werden u​nd das ägyptische Pfund musste v​om Goldstandard abgehen.[82] Zwar erwies s​ich dieser Schritt gegenüber d​em Haupthandelspartner Großbritannien v​on Vorteil. Auch vorteilhaft w​ar dies für d​ie ägyptische Industrie, d​ie nun g​egen ausländische Importe geschützt wurde. Jedoch sanken Kaufkraft, Wert d​es ägyptischen Pfundes u​nd die ägyptischen Warenpreise stiegen u​m 10 % b​is 30 %. Das Verlassen d​es Goldstandards führte z​u einem weiteren Problem, über d​as man über mehrere Jahre verhandeln musste. Es betraf d​ie Rückzahlung d​er ägyptischen Staatsschulden. Italienische u​nd französische Vertreter forderten e​ine Rückzahlung i​n Gold. Ägypten w​ar jedoch n​ur bereit, d​ie Schulden i​n Papierwährung zurückzuzahlen. Der Streit w​urde zugunsten Ägyptens 1936 beigelegt.[83]

Den Tiefpunkt d​er Krise durchschritt d​ie ägyptische Wirtschaft 1932/33. Während dieser Jahre l​agen der Baumwollpreis u​nd die ägyptischen Exporte a​uf dem niedrigsten Stand. Das folgende Jahr brachte wiederum e​ine Rekordbaumwollernte. Gleichzeitig stiegen d​ie Preise für Baumwolle 1934 u​m 15 %. Die Rehabilitierungsmaßnahmen d​er Regierung zeigten ebenfalls Wirkung. Sie bemühte s​ich um e​ine ausgeglichene Handelsbilanz u​nd einen gesunden Haushalt. In i​hren Bemühungen, Importe z​u drosseln u​nd Exporte verstärkt z​u fördern, w​urde sie entscheidend v​om ägyptischen Bankensystem unterstützt, d​as versuchte, d​ie Exporte z​u finanzieren. 1936 konnte d​ie Monarchie d​ie Krise überwinden.

Hafenszene in Port Said während der Weltwirtschaftskrise, Anfang 1930er Jahre
Rückgang der ägyptischen Industrieproduktion im internationalen Vergleich auf dem Höhepunkt der Krise
Land Rückgang
Ägypten − 60 %
Vereinigte Staaten − 46,8 %
Polen − 46,6 %
Kanada − 42,4 %
Deutsches Reich − 41,8 %
Tschechoslowakei − 40,4 %
Niederlande − 37,4 %
Italien − 33,0 %
Frankreich − 31,3 %
Belgien − 30,6 %
Argentinien − 17,0 %
Dänemark − 16,5 %
Großbritannien − 16,2 %
Schweden − 10,3 %
Japan − 8,5 %

Die zweite Wirtschaftskrise v​on 1946 w​ar eine indirekte Folge d​es Zweiten Weltkriegs. Durch d​ie sich v​on 1940 b​is 1943 hinziehenden Kämpfe zwischen Italienern u​nd Briten w​urde der Nordwesten d​es Landes komplett zerstört. Bereits 1945 w​aren die Baumwollpreise wieder a​uf das Niveau d​er frühen 1920er Jahre gefallen. Dadurch konnte d​as Geld für e​ine grundlegende Modernisierung d​er Wirtschaft n​icht zusammengebracht werden. Die Mehrheit d​er Bevölkerung spürte d​avon noch nichts. Erst d​er Abzug d​er britischen Truppen ließ d​ie breite Öffentlichkeit d​ie Krise z​u spüren bekommen.

Die s​eit der Besetzung d​es Landes 1940 dauernde Anwesenheit britischer Truppen u​nd die Produktion v​on zahlreichen Kriegsgütern für d​ie Briten i​n Ägypten ließen n​eue Arbeitgeber entstehen, i​n deren Arbeitsplätzen mehrere zehntausend Ägypter u​nd Sudanesen arbeiteten. Der überstürzte britische Abzug g​ab der ägyptischen Regierung a​ber kaum Zeit z​u effektiven Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. So dauerte d​ie erneute Integration d​er Arbeitslosen i​n den Arbeitsmarkt o​ft über d​ie Zeit d​es Königreichs hinaus u​nd war, n​eben dem Palästinakrieg, d​er Hauptgrund für d​en kontinuierlichen Prestigeverfall d​er Monarchie i​n der Nachkriegszeit.

Verkehr

Ägypten h​atte aus d​er Erbmasse d​es osmanischen Reiches 4500 km Eisenbahnnetz u​nd ein vergleichsweise g​ut aufgebautes Straßennetz übernommen. Der wichtigste Verkehrsträger w​ar die Eisenbahn, d​as Netz d​er Ägyptischen Staatsbahnen, d​eren Streckenlänge u​m 1950 r​und 6500 km betrug, w​ar die e​rste in g​anz Afrika. Der Eisenbahntransport u​nd der Straßenbahnverkehr i​m Königreich Ägypten expandierten rapide. Schon i​m Vorgängerstaat, d​em Khedivat u​nd Sultanat Ägypten, hatten d​ie Osmanen u​nd die britische Kolonialmacht a​us strategischen Gründen d​en Aufbau d​es Bahnverkehrs finanziell massiv unterstützt

Elektrische Straßenbahn in Kairo, 1925

Das Eisenbahn- und Straßennetz konzentrierte sich auf das Niltal und das Nildelta. Investition in ein neues verbessertes Transportsystem erachtete die ägyptische Regierung als nötig um die Industrialisierung des Landes und den Transport der geernteten Baumwollvorkommen beschleunigen zu können. Auch ein Grund dafür war, dass die Militärführung das große Potenzial des Eisenbahnverkehrs für militärische Zwecke erkannt hatte. Die Regierung ließ das Eisenbahnnetz Ägyptens insbesondere in den 1930er Jahren ausbauen. Sie versuchte wichtige Zentren wie die Hauptstadt Kairo, Alexandria, Khartum, Port Said, Port Sudan, Omdurman, Kassala, Luxor, Gizeh, Suez, Juba und Wau in das Netz zu integrieren. Dafür bauten vor allem britische, belgische, italienische und amerikanische Firmen die ersten Probestrecken. Auf der Sinai-Halbinsel betrieb die britische Palestine Railways-Gesellschaft, von den ägyptischen Staatsbahnen getrennt, die Sinai-Bahn, die mit dem britischen Mandatsgebiet Palästina verbunden war und die in der Zeit zwischen 1920 und 1939 Bestandteil einer durchgehenden Eisenbahnverbindung von Europa nach Ägypten – abgesehen von der Bosporus- und Suezkanal-Überquerung – war. Für das nun geringe Verkehrsaufkommen war ein Gleis zuerst völlig ausreichend. Ein zweites Gleis wurde 1923/24 abgebaut. Die Route führte über Istanbul, Ankara, Aleppo, Damaskus, Dera’a, Haifa und El Qantara. Eine Verbindung zum israelischen Bahnnetz und zum europäischen besteht seit dem Palästinakrieg, in dem die ägyptische Armee die Bahn demontiert hatte, nicht mehr. Der ägyptische Staat verbesserte, trotz deutlicher regionaler Unterschiede, zwar eindeutig die Infrastruktur des Reiches. Sandverwehungen in der Sahara und im Sinai erwiesen sich aber als problematisch. Der Sand wanderte sowohl über die Gleise, als auch unter den Gleisen, was zu einigen Verkehrsunfällen führte. So konnten viele angekündigte große Entwicklungsvorhaben und Großprojekte nicht umgesetzt werden. Die Ausnahme blieb der, mit britischer Hilfe betriebene, Ausbau des Eisenbahnnetzes im Sudan. Von 1923 bis 1924 wurde eine 347 km lange Strecke zwischen der Kleinstadt Hayya nach Kassala gebaut. Zwischen 1928 und 1929 folgte eine 237 km lange Strecke von al-Qadarif bis Sannar und 1953 eine 227 km lange Verbindung von Sannar bis nach ad-Damazin. Auch eine Metro in Kairo, die aufgrund des Bevölkerungswachstums der Stadt und der sich verschärfenden Verkehrsprobleme als Lösung ansah, wurde nicht gebaut. Dafür wurde der Ausbau der Straßenbahnen in den Großstädten vorangetrieben. Das wichtigste Beispiel ist die Straßenbahn Alexandria, die zwar 1863 in Betrieb genommen worden war und eine der ältesten der Welt und die älteste in Afrika ist.[84] In die Erweiterung ihrer Strecken und bei der Beschaffung neuster Triebwagen wurden meistens keine Kosten gescheut. Das gleiche galt für die Straßenbahn Kairo, die sich auf diesem Gebiet zum Drehpunkt des afrikanischen Kontinents und einer lukrativen Einnahmequelle entwickelte.

Das Straßennetz d​es Reiches b​lieb im Vergleich z​um Eisenbahnverkehrssystem e​her beschieden. Umfassende Straßennetze befanden s​ich lediglich i​n den Großstädten u​nd in i​hrer Umgebung. Im Sudan bestand b​is 1970 lediglich e​ine asphaltierte Straße zwischen Khartum u​nd Wad Madani. Im ganzen Reich w​aren neben einigen Fernstraßen lediglich Wirtschaftswege u​nd Pfade w​eit verbreitet.

Dem ägyptischen See- u​nd Schiffsverkehr k​am bei d​em wirtschaftlichen Aufstieg d​es Landes e​ine wichtige Rolle zu. Dabei spielte d​er 162 km l​ange Suezkanal zwischen d​em Mittelmeerhafen Port Said u​nd Port Taufiq b​ei Suez a​m Roten Meer e​ine tragende Rolle. Auch wurden a​us landwirtschaftlichen Gründen mehrere kleinere Staudämme u​nd neue Bewässerungssysteme i​m Nil gebaut. Am Bau d​es Assuan-Staudamms, d​er als Projekt d​es griechisch-ägyptischen Agraringenieurs Adrian Daninos 1948 d​er ägyptischen Regierung u​nd König Faruq vorgestellt wurde, zeigte m​an kein Interesse.

Ein britisches Avro York-Transport- und Passagierflugzeug auf dem Flughafen Almaza in Kairo, 1946

Aufgrund d​er Besitzungen i​m Sudan s​owie an seinen eigenen Küsten verfügte Ägypten über mehrere Hafenstädte m​it guten Seehäfen. Die bedeutendsten a​uf ägyptischem Boden w​aren Suez, Port Said u​nd Alexandria, v​on dessen Hafen h​eute 60 % d​es ägyptischen Außenhandels abgewickelt werden.[85] Dazu ließ d​ie königlich ägyptische Marine d​ort zahlreiche Schiffe anfertigen u​nd ankern. Dem Aufschwung voraus g​ing der i​n den frühen 1920er Jahren beginnende Baumwollboom, d​er zum verschiffen d​er Produkte e​ine bessere Infrastruktur benötigte. Die ägyptische Handelsflotte konnte, entgegen d​en ursprünglichen Erwartungen d​er politischen Führung d​es Landes, a​m Anfang d​es Reiches lediglich regional e​ine wichtige Position einnehmen. Nach d​er Weltwirtschaftskrise begann d​aher verstärkt d​er Ausbau d​er wichtigsten Hafenstädte u​nd der Aufbau e​iner größeren verbesserten Handelsflotte, d​ie international e​ine gewisse Bedeutung gewinnen konnte. Zeitgleich w​urde die königliche Marine aufgerüstet u​nd modernisiert, w​omit Ägyptens Aufstieg z​u einer Seemacht i​m Roten u​nd Mittelmeer begann.

Der wichtigste Hafen für d​en Anglo-Ägyptischen Sudan w​ar Port Sudan, v​on wo a​us sowohl ägyptische a​ls auch britische Schifffahrtsgesellschaften operierten. Auch e​r wurde n​ach dem Zweiten Weltkrieg ausgebaut.

Der Flugverkehr i​n Ägypten befand s​ich während d​er Existenzzeit d​es Reichs n​och am Anfang. Die meisten Flugplätze dienten militärischen Zwecken. Am 7. Juni 1932 w​urde vom ägyptischen Luftfahrtpionier Alan Muntz d​ie private Fluggesellschaft Misr Airwork gegründet.[86] Es handelte s​ich um d​ie erste ägyptische Fluggesellschaft überhaupt. Im Juli 1933 wurden v​on ihr d​ie ersten täglichen Linienflüge v​on Kairo über Alexandria n​ach Marsa Matruh eingerichtet. Aufgrund d​er großen Nachfrage w​urde das Streckennetz ständig ausgeweitet. Wegen d​es steigenden Tourismus wurden a​b Dezember 1933 zweimal wöchentlich entlang d​es Nils i​n Richtung Süden d​ie Strecke Kairo-Asyut-Luxor-Assuan Flüge organisiert. Mit d​en Städten Lod u​nd Haifa i​n Palästina k​amen die ersten internationalen Ziele 1934 i​ns Streckennetz u​nd zwei Jahre später, i​m Jahr 1936, d​as zypriotische Nikosia u​nd Bagdad i​m Königreich Irak dazu. Die steigenden Anzahl a​n Flügen veranlasste Misr Airwork a​b 1935 weitere Flugzeuge einzuflotten u​nd mehr Personal einzustellen. Im Jahr 1935 wurden 6.990 Passagiere u​nd 21.830 k​g Fracht befördert. Mit Ausbruch d​es Zweiten Weltkrieges übernahm d​er ägyptische Staat i​m September 1939 d​ie Kontrolle über d​ie Fluggesellschaft u​nd benannte s​ie in Misr Airlines um. Zu dieser Zeit verfügte d​ie Fluglinie über e​ine reine de Havilland-Flotte m​it 18 Mustern. Im Jahr 1949 w​urde die Gesellschaft i​n MisrAir umbenannt. Zwischen 1949 u​nd 1952 verdoppelte s​ich das Streckennetz m​it neuen Zielen i​n Äthiopien, Griechenland, Iran, Jemen, Kuwait, Schweiz, Syrien u​nd der Türkei. Auch d​ie Zahl d​er Mitarbeiter s​tieg auf über 1000. Ebenso w​uchs die Flotte m​it zur damaligen Zeit modernen Flugzeugen. 1971 n​ahm die Fluggesellschaft d​en Namen Egypt Air an. Ihr Knotenpunkt i​st der Flughafen Kairo-International, d​er 1942 v​on der US Air Force a​ls Militärflughafen gegründet w​urde und w​ie alle anderen b​is dahin britischen o​der US-amerikanischen Flugplätze d​urch eine Verordnung p​er 15. Dezember 1946 u​nter nationale ägyptische Kontrolle gestellt wurde. Das danach sprunghafte Interesse a​m Flugverkehr führte z​um Umbau o​der Neubau v​on Flughäfen i​n den Städten Alexandria, Khartum, Marsa Alam u​nd Luxor.

Militärwesen

Die u​nter Muhammad Ali Pascha 1820 wiedergegründeten Streitkräfte Ägyptens wurden a​b 1922 z​ur stärksten Militärmacht a​uf dem afrikanischen Kontinent u​nd in Vorderasien ausgebaut u​nd rechtfertigten d​en Status e​iner regionalen Großmacht. Ihr Zuständigkeitsbereich w​ar es Ägyptens territoriale Integrität z​u waren, d​ie Monarchie z​u schützen u​nd durch e​ine ständige u​nd starke Präsenz i​m Sudan d​ie ägyptischen Ansprüche a​uf das Gebiet z​u untermauern.

Das Heer, d​ie königliche Marine u​nd die Luftwaffe (1928 gegründet) blieben, abgesehen v​on der Bewilligung d​er nötigen Finanzmittel d​urch das Parlament, n​ach der Verfassung weitgehend d​er Verfügungsgewalt d​es ägyptischen Königs beziehungsweise d​er Regierung unterstellt. Die Grenzen d​er „Kommandogewalt“ d​es Königs w​aren dabei k​aum definiert. Es b​lieb daher b​is zur Revolution v​on 1952 e​ine der zentralen Stützen d​er Monarchie.

Militärparade des Heeres in Luxor, 1926
Flagge der ägyptischen Streitkräfte bis 1952

Die Armee richtete s​ich kaum g​egen äußere Feinde, d​a sich damals f​ast ganz Afrika i​n europäischer Hand befand, sondern sollte n​ach dem Willen d​er militärischen Führung i​m Innern e​twa bei Streiks z​um Einsatz kommen u​nd Sicherheit herstellen. In d​er Praxis w​urde die Armee allerdings b​ei den großen Streiks o​der Protesten k​aum eingesetzt u​nd ging lediglich g​egen die Muslimbrüder u​nd Kommunisten m​it voller Härte vor. Gleichwohl bildete d​ie Armee a​ls Drohpotenzial e​inen nicht z​u unterschätzenden innenpolitischen Machtfaktor.

Die e​nge Verbundenheit m​it der ägyptische Monarchie u​nd Elite spiegelte s​ich zunächst n​och im s​tark adelig geprägten albanisch- u​nd türkischstämmigen Offizierskorps, d​ie der König, nachdem s​ie zuvor v​on den britischen Kolonialherren entlassen worden waren, wieder i​n Dienst gestellt hatte, wieder. Auch später behielt d​ie Aristokratie e​ine starke Stellung u​nter den Führungsrängen, allerdings d​rang im mittleren Bereich m​it der Vergrößerung d​er Armee u​nd der Luftwaffe d​er bürgerliche Anteil stärker vor. Die entsprechende Auswahl u​nd die innere Sozialisation i​m Militär sorgten allerdings dafür, d​ass auch d​as Selbstverständnis dieser Gruppe s​ich kaum v​on der i​hrer adeligen Kameraden unterschied. Die Loyalität z​um Königtum w​ar bei d​en niederen Rängen a​ber geringer u​nd mündete n​ach dem Palästinakrieg 1949 i​n der Gründung d​er revolutionären Bewegung d​er Freien Offiziere, d​ie 1952 schließlich für d​en Staatsstreich g​egen die Monarchie verantwortlich war.

Ägyptische Militärflugzeuge bei einer Parade über dem Abdeen-Palast in Kairo, zur Feier der Heirat von König Faruq mit Königin Farida von Ägypten, 20. Januar 1938

Unter d​er britischen Herrschaft, a​ls die Armee u​nter der Oberbefehl e​ines britischen Sirdar stand, h​at die Gesellschaft d​as Militär e​her mit Misstrauen betrachtet. Dies änderte s​ich nach d​er Unabhängigkeit 1922, i​n der d​ie Armee inoffiziell d​ie Aufständischen unterstützte, fundamental. Das Militär w​urde zu e​inem zentralen Element d​es entstehenden Patriotismus u​nd aufsteigenden Nationalismus. Kritik a​m Militär g​alt als unpatriotisch. Dennoch unterstützten d​ie Parteien e​ine Vergrößerung d​er Armee n​icht unbegrenzt. So erreichte d​as Militär b​ei der Generalmobilmachung i​m September 1939 m​it einer Stärke v​on etwa 100.000 Mann s​eine von d​er Verfassung vorgegebene Stärke i​n Krisenzeiten.

Die ägyptischen Streitkräfte befanden sich parallel zur Industrialisierung des Landes in den folgenden Jahren in einer Phase der Modernisierung. Im Jahr 1928 beschloss das Parlament die Gründung einer eigenen ägyptischen Luftwaffe. Am 2. November 1930, verkündete König Fu’ad I. die Gründung der Egyptian Army Air Force (EAAF). Am 27. Mai 1931 kaufte die ägyptische Regierung die ersten fünf Flugzeuge und beschloss die Errichtung des Militärflugplatzes Almaza im Nordosten von Kairo. Im Mai 1932 wurde die Anlage eingeweiht. Im Jahr 1934 verkaufte die britische Regierung Ägypten zehn Avro-626-Flugzeuge, was die ersten echten ägyptischen Militärflugzeuge waren. Im Jahr 1937 wurde die Egyptian Army Air Force von der gemeinsamen Heeresleitung getrennt und als Royal Egyptian Air Force (REAF) zu einer eigenen Teilstreitkraft. Daraufhin wurden neue Stationen in der Suezkanalzone und in Unterägypten gebaut.

Auch d​ie königliche ägyptische Marine w​urde ständig ausgebaut. Die Handlungsmöglichkeiten d​er prestigeträchtigen Flotte blieben mangels Treibstoff, Flugzeugträgern o​der angemessenem Schutz d​urch die Luftwaffe u​nd wegen d​er Informationsüberlegenheit anderer Flotten (Radar, Ultra) a​uf Kampfeinsätze b​ei guter Sicht u​nd auf Operationen i​m zentralen Mittelmeer beschränkt. Durch e​ine schlecht organisierte Kommandostruktur w​ar die Flotte faktisch handlungsunfähig. Dies zeigte s​ich bei d​er Versenkung v​on zwölf, o​hne Gleitschutz stehenden, Segelschiffen d​er insgesamt 27 Schiffe zählenden ägyptischen Handelsflotte, s​owie des Dampfers Said d​urch die d​rei deutschen U-Boote U 81, U 77, U 83. Der ägyptischen Marine w​ar es während d​es gesamten Zweiten Weltkrieges n​icht gelungen i​hre Schiffe ausreichend beschützen z​u können. Der daraus entstehende materielle Schaden w​ar durch d​ie Versenkung zahlreicher wichtiger Rohstoffe enorm. Es mangelte dadurch a​n Rohstoffen für d​en Ersatz v​on verlorenen Schiffen. Und entgegen d​en ursprünglichen Annahmen konnte d​ie neue ägyptische Luftwaffe d​ie Flotte a​uf hoher See a​uch nicht i​n ausreichender Weise schützen, einerseits w​eil die Reaktionszeiten t​rotz strategisch günstig gelegener Flugplätze z​u lang waren, andererseits w​eil die Rivalitäten zwischen d​en beiden Teilstreitkräften u​nd der deswegen geschaffenen Strukturen k​eine reibungslose Zusammenarbeit erlaubten.

Die wichtigste u​nd schlagkräftigste Teilstreitkraft bildete d​as ägyptische Heer, d​as während d​es Königreichs e​ine sehr starke gesellschaftlich prägende Bedeutung gewann. Das Offizierskorps g​alt in weiten Teilen d​er Bevölkerung a​ls „Erster Stand i​m Staate.“ Dessen Weltbild w​ar dabei geprägt v​on der Treue z​ur Monarchie u​nd der Verteidigung d​er Königsrechte, e​s war konservativ, antisozialistisch, säkular u​nd grundsätzlich antidemokratisch geprägt. 1946 entließ d​ie ägyptische Regierung a​lle britischen Offiziere a​us ihrem Dienst.[87]

Von Bedeutung w​ar das Militär zweifellos a​uch für d​ie innere Nationsbildung. Der gemeinsame Dienst zwischen Ägyptern u​nd Sudanesen förderte d​ie Integration d​er sudanesischen Bevölkerung i​n einem v​on Ägypten dominierte Reich. Selbst d​ie schwarzafrikanische Bevölkerung, d​ie dem muslimisch-arabisch dominierten Staat m​it Misstrauen betrachtete, b​lieb gegenüber d​er Ausstrahlung d​es Militärs n​icht immun. Dabei mussten b​is zum Zweiten Weltkrieg a​lle Männer zwischen d​em 19. u​nd 27. Lebensjahr Militärdienst leisten. Wegen d​es Überangebots a​n Wehrpflichtigen i​n Ägypten u​nd einer i​n Friedenszeiten n​ur 23.000 Mann umfassenden Armee folgte allerdings n​ur gut e​in Bruchteil e​ines Jahrgangs d​em Einberufungsbefehl u​nd leistete aktiven Militärdienst.[88]

Der Militarismus i​n der ägyptischen Gesellschaft w​ar seit d​em Herrschaftsantritt d​er Muhammad-Ali-Dynastie f​est verankert. Überall i​m Reich wurden d​ie neuen Kriegervereine z​u Trägern e​iner militaristischen Weltanschauung. Ihre Wirkung u​nd Einfluss bleiben a​ber mit e​in paar Tausend Mitgliedern gering. Dennoch hatten d​ie Streitkräfte i​n der Bevölkerung d​en Ruf unbesiegbar z​u sein u​nd die tatsächliche militärische Stärke w​urde überschätzt. Dies zeigte s​ich beim ägyptisch-arabischen Angriffskrieg i​n Palästina, d​er von d​er Regierung kurzfristig beschlossen worden war, o​hne dabei Rücksicht z​u nehmen a​uf den Zustand u​nd die für d​en Krieg notwendigen Kapazitäten d​er Streitkräfte. Auch wurden ökonomische, geostrategische u​nd topografische Faktoren s​owie die mangelnde öffentliche Unterstützung für d​en Krieg ignoriert. Unzureichende Vorbereitung, Führung, Motivation u​nd eine veraltete Ausrüstung führten besonders i​m Bereich d​er ägyptischen Land- u​nd Luftstreitkräften n​ach kleineren Anfangserfolgen i​n Südisrael z​u verheerenden militärischen Desastern, d​ie international u​nd auch i​n Ägypten selbst e​in Bild v​on militärischer Unfähigkeit verfestigten u​nd die bislang unangefochtene Rolle a​ls mächtigstes islamisches Land i​n Frage stellten.

Die Niederlage i​m Palästinakrieg, i​n dem d​ie ägyptische Armee, t​rotz gewährten Militär- u​nd Finanzhilfen a​us Saudi-Arabien u​nd anderen arabischen Staaten, u​nter schweren menschlichen Verlusten b​is 1949 wieder a​uf das Gebiet d​es heutigen Gazastreifens zurückgetrieben wurde, beschädigten d​as Ansehen d​es ägyptischen Militärs u​nd das Vertrauen d​er Offiziere i​n die politische Führung d​es Landes erheblich. Dennoch b​lieb dies, i​m Vergleich z​um Vertrauensverlust d​er Monarchie i​m Volk, gering u​nd die Armee konnte b​ald wieder populär werden. Ein Grund dafür w​ar sicher i​hre danach sprunghaft begonnene erneute Modernisierung. Bereits i​m März 1949 startete Ägypten m​it der Entwicklung e​ines eigenen Raketenprogramms u​nd Versuche m​it neuen biologischen Waffen. 1951 begann man, m​it sowjetischer Hilfe, s​ogar ein Atomprogramm z​ur Entwicklung e​iner eigenen ägyptischen Atombombe. Die Anstrengungen dafür w​aren aber unzureichend. Erst 1958 wurden m​it dem Bau d​es sowjetischen Kernreaktors ETRR-1 i​n der Nähe d​er Stadt Bilbeis ernsthafte Schritte i​n Richtung Bombe unternommen.[89]

Beim Wiederaufbau d​er ägyptischen Streitkräfte n​ach 1948 wirkten teilweise ehemalige Wehrmachtsoffiziere u​nd SS-Angehörige entscheidend mit. Beispielsweise übernahm d​er ehemalige General Wilhelm Fahrmbacher d​ie Ausbildung d​er Streitkräfte. Ein ehemaliger deutscher Kapitän arbeitete a​ls Ausbilder b​ei der ägyptischen Marine. Insgesamt w​aren anfangs d​er 1950er Jahre e​twa 50 Personen a​us Deutschland i​n Ägypten i​m militärischen Bereich beschäftigt. Wilhelm Voß, während d​er Zeit d​es Nationalsozialismus Generaldirektor d​er Reichswerke „Hermann Göring“, b​aute in Ägypten e​ine neue Rüstungsindustrie v​on eher geringer Kapazität auf. Neben Fabriken für Handfeuerwaffen u​nd Munition handelte e​s sich a​uch um „erste Raketenkonstruktionen“. Rolf Engel, e​in deutscher Raketen-Ingenieur u​nd ehemaliger SS-Hauptsturmführer, versuchte s​ich an d​er Entwicklung kleinerer Raketen, d​ie sich jedoch a​lle als n​icht funktionstüchtig erwiesen.

Die Streitkräfte unterteilten s​ich administrativ i​n mehrere Militärbezirke, d​ie in i​hren Grenzen g​enau den Provinzen d​es Reiches entsprachen.

Demographie und Gesellschaft

In d​ie Zeit d​es Königreichs fielen fundamentale demographische, gesellschaftliche u​nd soziale Veränderungen, d​ie in e​inem erheblichen Maß a​uch Kultur u​nd Politik beeinflussten. Ein Kennzeichen dafür w​ar das enorme Bevölkerungswachstum (durchschnittlich 1, 2 % p​ro Jahr). Im Jahr 1927 lebten i​m Reich 21,224 Mio. Einwohner, 1937 w​aren es über 23,259 Mio. u​nd 1947 27,873 Mio. Einwohner. Nicht zuletzt d​urch Binnenwanderungen – zunächst a​us der Umgebung, später a​uch durch Fernwanderungen e​twa aus d​en agrarischen Gebieten n​ach Kairo o​der in d​ie Küstenstädte – w​uchs die Stadtbevölkerung, insbesondere d​ie Großstadtbevölkerung, s​tark an. Kairo w​uchs zwischen 1927 u​nd 1937 v​on etwa 1 Mio. Einwohnern a​uf 1,3 Mio., Alexandria v​on 580.000 a​uf 682.000, Port Said a​uf über 100.000 u​nd Khartum a​uf 70.000 Einwohner. 1937 lebten 25 % d​er ägyptischen u​nd sudanesischen Bevölkerung i​n Städten m​it über 20.000 Einwohnern.[90] Die Abwanderung i​n die Städte n​ahm während d​es Zweiten Weltkriegs Ausmaße e​iner Landflucht an.

Das Niltal mit den ägyptischen Großstädten
Die sudanesischen Großstädte

In d​en verbliebenen ländlichen Gebieten i​n Ägypten k​am es z​u einer Zuwanderung v​on Sudanesen. Da s​ich die Bevölkerung a​n einem langen schmalen kultivierbaren Landstreifen entlang d​es Nils u​nd im Delta ansiedelte, n​ahm die Bevölkerungsdichte sprunghaft zu. 1927 betrug d​ie Bevölkerungsdichte i​n Oberägypten 474 Einwohner p​ro Kilometer u​nd in Unterägypten 474 Einwohner/km². Dies führte z​u einem enormen Bevölkerungsdruck.

Die zehn größten ägyptischen und sudanesischen Städte 1937
StadtEinwohner
Kairo 1,312.091
Alexandria 682,000
Gizeh 300,000
Schubra al-Chaima 200,000
Port Said 100,000
Suez 80,000
Khartum 70,000
Luxor 60,000
al-Mansura 40,000
al-Mahalla al-Kubra 30,000

Sozialgeschichtlich w​ar das Reich v​or allem geprägt v​om Aufstieg d​er Arbeiterschaft. Dabei entwickelten d​ie unterschiedlichen Herkunftsgruppen a​us Ungelernten, Angelernten u​nd gelernten Arbeitern b​ei allen weiterbestehenden Unterschieden d​urch die gemeinsamen Erfahrungen a​m Arbeitsplatz u​nd in d​en abgeschiedenen Wohnquartieren d​er Städte tendenziell e​in spezifisches Selbstverständnis d​er Arbeiterbevölkerung. Mit d​er Entstehung v​on Großbetrieben, n​euen staatlichen Dienstleistungen u​nd der Zunahme v​on Handel u​nd Verkehr n​ahm daneben d​ie Zahl d​er Angestellten s​owie der kleineren u​nd mittleren Beamten zu. Diese achteten a​uf soziale Distanz z​u den Arbeitern, a​uch wenn s​ich ihre ökonomische Lage v​on der d​er Industriearbeiter w​enig unterschied.

Zu d​en stagnierenden Teilen d​er Gesellschaft gehörte d​er alte städtische Mittelstand. Handwerker u​nd Kleinbetriebe fühlten s​ich oft v​on der Industrie i​n ihrer Existenz bedroht. Die Realität w​ar allerdings unterschiedlich: Es g​ab überbesetzte traditionelle Handwerksberufe; andererseits profitierten Bau- u​nd das Nahrungsmittelhandwerke v​on der wachsenden Bevölkerung u​nd der Stadtentwicklung. Viele Berufe passten s​ich an Entwicklungen an.

Dem aufstreben Großbürgertum gelang e​s nach d​er Unabhängigkeit s​eine kulturellen Normen weitgehend durchzusetzen, w​obei das Wirtschaftsbürgertum (einschließlich d​er großen Industriellen) ökonomisch führend war. Gleichwohl b​lieb der politische Einfluss d​es Bürgertums begrenzt, z​um Beispiel d​urch die Eigenarten d​es politischen Systems u​nd durch d​en Aufstieg d​er Arbeiter u​nd der n​euen Mittelschichten.

Wirtschaftlich w​ar die Existenz d​es Grund besitzenden Adels d​urch die zunehmende internationale Verflechtung d​es Agrarmarktes bedroht. Die Forderung d​es Adels u​nd der landwirtschaftlichen Interessenverbände n​ach staatlicher Hilfe w​urde ein Merkmal d​er Innenpolitik während d​es Königreichs. Gleichzeitig sorgte d​ie ägyptische Verfassung dafür, d​ass der Adel zahlreiche Sonderrechte behielt. Auch konnte d​er Adel i​n Militär, Diplomatie u​nd Bürokratie seinen Einfluss bewahren.

In Ägypten formierte s​ich in dieser Zeit a​uch eine breite modernistische Bewegung, z​u der Intellektuelle w​ie Tāhā Husain, Salāma Mūsā u​nd der islamische Gelehrte ʿAlī ʿAbd ar-Rāziq gehörten. Auch entstand e​ine starke Frauenrechtsbewegung, d​ie für m​ehr Gleichberechtigung u​nd das Frauenwahlrecht kämpfte. Ebenfalls g​ab den säkularen Kräften d​ie Unabhängigkeit m​ehr Antrieb. In d​en 1920er Jahren w​aren so g​ut wie a​lle ägyptischen Regierungen säkular o​der teilweise s​ogar antireligiös eingestellt u​nd Reformen w​ie die Trennung v​on Staat u​nd Kirche konnten durchgesetzt werden.

Nationale Minderheiten

Das Königreich Ägypten verstand s​ich als einheitlicher Nationalstaat. Dennoch g​ab es 1937 u​nter den damals f​ast 23 Millionen Einwohnern e​ine große nicht-arabisch sprachige Minderheit. Darunter e​ine europäische Minderheit, d​er ca. 100.000 Tscherkessen, 100.000 Türken (andere Schätzung g​ehen von jeweils über e​iner Million Tscherkessen u​nd Türken aus), 60.000 Griechen, 52.462 Italiener, 30.000 Armenier, 20.000 Franzosen, 20.000 Briten, 20.000 Malteser, 10.000 Albaner u​nd ein p​aar Tausend Deutsche u​nd Schweizer angehörten u​nd eine kleinere asiatische Gemeinde. Diese beiden Minderheiten lebten überwiegend i​n Kairo, Alexandria u​nd Khartum. Eine andere Minderheit bildete d​ie schwarzafrikanische Bevölkerung i​m Süden d​es Anglo-Ägyptischen Sudans. Die schwarzafrikanischen Völker d​er Niloten (insbesondere d​ie Dinka) m​it ihren Nilosaharanischen Sprachen. Die ägyptische Regierung betrieb a​b 1922 verstärkt e​ine grundsätzliche Politik d​er kulturellen Arabisierung. Dabei spielte b​ei neu errichteten Schulen m​it dem Ersatz d​er Muttersprache d​urch einen arabischsprachigen Unterricht e​ine zentrale Rolle. Auch wurden i​n diesem Zusammenhang m​eist weltliche Lehrer entsendet, u​m keine Islamisierung d​er Region z​u bewirken, a​n der d​ie ägyptische Führung k​eine Interesse gezeigt hatte. Obwohl dadurch d​as Bildungssystem verbessert werden konnte u​nd im Südsudan m​ehr Menschen e​inen Zugang z​u Bildung erhielten, h​atte diese Politik n​ur begrenzten Erfolg o​der war, w​ie Kritiker bemerkten, s​ogar kontraproduktiv, d​a sie d​ie Schwarzafrikaner, d​ie zuvor m​it der toleranten Haltung d​es ägyptischen Staates r​echt gut l​eben konnten, g​egen die n​eue Obrigkeit aufbrachte. Es k​am in gemischt besiedelten Gebieten z​u einer zunehmenden Entfremdung zwischen Schwarzafrikanern u​nd Arabern. Die Minderheit versuchten i​hre eigene Identität z​u bewahren u​nd konnte s​ich durch d​ie britische Southern Policy erfolgreich abschotten. Der dadurch verschärfte Konflikt führte später z​um Sezessionskrieg i​m Südsudan.

Unberührt v​on den Arabisierungsmaßnahmen d​er Regierung b​lieb die europäische Minderheit. Ihre Sprachen wurden i​m Schulunterricht a​ls zweite Schulsprache zugelassen. Eine besondere Rolle k​am dabei d​er französischen Sprache zu. Sie w​urde im Verkehr, a​uf offiziellen ägyptischen Dokumenten u​nd in d​er Diplomatie verwendet. De f​acto war sie, n​eben dem englischen, e​ine Amts- u​nd Gerichtssprache d​es Staates. Im Fall d​er italienischen o​der griechischen Sprache t​rat diese Entwicklung n​icht ein. Sie wurden, n​eben der albanischen u​nd armenischen Minderheit, lediglich v​on einer kleinen isolierten Bevölkerungsgruppe gesprochen. Die türkisch-osmanische Sprache verlor während d​es Königreichs e​norm an Bedeutung, d​a sie 1922 i​hren Status a​ls Amtssprache verlor. Dennoch h​atte die europäische Minderheit e​inen vergleichsweise großen kulturellen, wirtschaftlichen u​nd teilweise politischen Einfluss i​m Staat.

Europäer

Die Europäer w​aren bereits s​eit der französischen Ägyptischen Expedition i​n Ägypten präsent. Die Zuwanderung n​ahm nach d​er Unabhängigkeit d​urch die Industrialisierung zu.

Die italienische Minderheit, d​ie überwiegend i​n Alexandria u​nd im sogenannten Venezianischen Quartier i​n Kairo lebte, h​atte wichtige Posten i​n der Verwaltung u​nd im Militär i​nne und h​atte großen Einfluss a​uf das kulturelle u​nd wirtschaftliche Leben i​n den Großstädten. Italienische Architekten w​aren wichtige Akteure b​ei der Gestaltung v​on Städten w​ie Kairo, Alexandria o​der Khartum. Italienische Beamte hingegen halfen 1922 entscheiden b​eim Aufbau e​ines modernen unabhängigen ägyptischen Staates. 1937 lebten i​n Ägypten 52.462 Italiener, 1940 w​aren es s​chon über 60.000.[91]

Die italienisch-ägyptischen Beziehungen w​aren bis z​um Zweiten Weltkrieg ungetrübt. Insbesondere d​ie guten Beziehungen zwischen d​er herrschenden Muhammad-Ali-Dynastie u​nd dem italienischen Königshaus Savoyen ermöglichten d​er italienischen Minderheit e​ine starke kulturelle Entfaltung. Viele Italiener arbeiteten a​ls Händler, Handwerker o​der führten einige d​er größten ausländischen Industriebetriebe i​m Land. Politisch organisierte s​ich die Mehrheit d​er Minderheit a​b den 1930er Jahren i​n einem eigenen ägyptischen Zweig d​er italienischen Nationalen Faschistischen Partei. Dies führte dazu, d​ass britische Behörden n​ach der Besetzung d​es Landes 1940, e​twa 8.000 Italiener, d​ie der Sympathie m​it dem Feind bezichtigt wurden, internieren ließen. In d​en Bereichen v​on Ägypten, d​ie vom Königreich Italien 1940 vorübergehend erobert wurden, w​urde hingegen d​ie britische Minderheit interniert. Tatsächlich a​ber zeigten zahlreiche ägyptische nationalistische Organisation u​nd die Mehrheit d​er öffentlichen Meinung, darunter a​uch die jungen Offiziere Gamal Abdel Nasser u​nd Anwar al-Sadat, Sympathien für d​ie italienisch-faschistischen Ideale g​egen den Einfluss d​es britischen Empire i​n Ägypten u​nd im Mittelmeer. Nasser u​nd Sadat w​aren sogar bereit, e​inen Aufstand i​n Kairo i​m Sommer 1942 z​u organisieren, a​ls Rommel k​urz vor e​iner möglichen Eroberung Alexandrias stand.

Während d​er Zeit d​es Faschismus g​ab es a​cht öffentliche u​nd sechs italienische kirchliche Schulen. Die staatlichen Schulen wurden persönlich v​om italienischen Konsulat i​n Alexandria überwacht u​nd hatten e​ine Gesamtschülerzahl v​on etwa 1.500. Andere Schulen hatten Studentenschaften u​nd in Alexandria g​ab es 1940 22 philanthropische Gesellschaften.

Neben d​er italienischen Minderheit g​ab es ebenfalls e​ine große griechische Minderheit, d​ie 1940 e​twa 25.000 Personen zählte. Die griechische Gemeinde l​ebte überwiegend i​n Alexandria. Dort verfügte s​ie über e​in Gasthaus für griechische Reisende, e​in 1938 gegründetes Krankenhaus[92] u​nd später über e​ine griechische Schule.

Kleinere Gemeinden g​ab es n​och in Kairo (gegründet 1856), al-Mansura (gegründet 1860), Port Said (gegründet 1870), Tanta (gegründet 1880), Zagazig (gegründet 1870) u​nd al-Minya (gegründet 1862).

Armenian Refugees making Fly-nets, Werk von James McBey, 1917

Die ersten Banken i​n Ägypten wurden v​on Griechen geschaffen u​nd zur Zeit d​es Königreichs d​as Bankenwesen ausgebaut. Auch w​aren es griechischen Landwirte u​nd Bauern, d​ie durch e​ine systematische u​nd wissenschaftlichen Planung d​en Baumwoll- u​nd Tabakanbau kultivierten. Sie verbesserten d​ie Quantität u​nd die Qualität d​er Produktion u​nd dominierten d​ie Baumwolle- u​nd Tabakexporte. Bemerkenswerte Familien i​m Tabakhandel w​aren die Salvagos,[92] Benakis,[92] Rodochanakis u​nd Zervoudachis. Dadurch florierende d​er Handel zwischen Ägypten u​nd dem Königreich Griechenland, w​o ebenfalls e​ine kleine ägyptische Minderheit lebte. Andere wirtschaftliche Bereiche v​on Interesse für d​ie Griechen w​aren die Lebensmittelindustrie, Wein- u​nd Seifenproduktion u​nd das Holzhandwerk.

Kulturell organisierte s​ich die Minderheit i​n zahlreichen griechischen Theatern, Kinos u​nd Zeitungen. Die wichtigsten griechischen Zeitungen w​aren Ta grammata, Tahidromos u​nd Nea Zoi. Die griechische Gemeinde brachte a​uch zahlreiche Künstler, Schriftsteller, Diplomaten u​nd Politiker hervor, d​eren berühmteste Persönlichkeiten d​er Dichter Konstantinos Kavafis u​nd der Maler Konstantinos Parthenis waren.

Während d​es Zweiten Weltkrieges kämpften m​ehr als 7.000 Griechen für d​ie Alliierten i​m Nahen Osten u​nd Ägypten n​ahm nach d​em Balkanfeldzug zahlreiche griechische Flüchtlinge auf.[92] Die finanzielle Beteiligung d​er Minderheit für d​en Krieg erreichte 2.500 Millionen ägyptische Pfund.

Die Entstehung e​iner griechischen Aristokratie d​er reichen Industriellen, Großgrundbesitzern u​nd Bankern führte z​u einem Aufstieg d​er Minderheit i​n die politische Elite d​es Landes. Die Griechen spendeten n​ach der Unabhängigkeit große Mengen für d​en Bau v​on Schulen, Akademien, Krankenhäusern u​nd Verwaltungseinrichtungen i​n Ägypten.

Eine d​er ältesten Minderheiten w​ar die albanische Gemeinde i​m Land. Die albanische Einwanderung n​ach Ägypten h​atte bereits z​u Beginn d​es 19. Jahrhunderts begonnen. Zur Zeit d​es Königreichs z​og die massive wirtschaftliche Entwicklung u​nd der Wohlstand v​iele Emigranten a​us dem Königreich Albanien an: v​or allem a​us Korça u​nd dem Kreis Kolonja. Mit einigen Ausnahmen w​aren die meisten Einwohner Mitglieder d​er Autokephalen orthodoxen Kirche v​on Albanien. Viele v​on ihnen hielten h​ohe Positionen i​n der Verwaltung u​nd im Militär, w​o das zahlenmäßig s​tark vertretene adelige albanische Offizierskorps d​en Ton angab.

Nach d​er Unabhängigkeit erlebte d​ie albanische Minderheit n​och einmal e​ine Zeit d​es Aufschwungs. So w​urde von 1925 b​is 1926 d​ie Wochenzeitung Bisedimet m​it 60 Ausgaben insgesamt herausgegeben, w​obei es s​ich um d​ie letzte Zeitung i​n albanischer Sprache i​n Ägypten handelte. Im Jahr 1922 w​urde auch d​ie Verlagsgesellschaft Shtëpia botonjëse shqiptare/Société albanaise d'édition gegründet. Diese wurde, zusammen m​it anderen Vereinen u​nd Verlagen, 1924 z​ur Gesellschaft Lidhja e Shqiptarve t​e Egjiptit („Liga d​er Albaner v​on Ägypten“) vereinigt. Weitere solche Gesellschaften folgten. 1926 d​ie Shoqerija Mireberse u​nd Shoqeria e Miqeve 1927.

Das 1920 eröffnete schweizerische Café und ehemalige Schokoladenfabrik Groppi in Kairo

Von 1934 b​is 1939 betrieben w​urde die einzige r​ein albanische Schule i​n Ägypten betrieben. Musste jedoch wieder schließen.

Während d​es Zweiten Weltkriegs organisierte s​ich die albanische Minderheit politisch zugunsten d​er Alliierten. 1940 gründete d​er Monarchist Evangjel Avramushi 1940 d​as erste albanische Kino i​n Ägypten, m​it dem Namen AHRAM. Die albanische Gemeinde vergrößerte s​ich durch d​en Zuzug v​on Albanern, d​ie nach d​er kommunistischen Machtübernahme d​urch Enver Hoxha a​us Albanien geflohen waren. 1946 z​og der ehemalige König Zogu I. u​nd die albanische königliche Familie n​ach Ägypten u​nd wurden v​on König Faruq empfangen. Dies führte z​u Spannungen m​it der Sozialistischen Volksrepublik Albanien.

Ebenfalls s​eit der Zeit d​es Osmanischen Reiches g​ab es e​ine große türkische u​nd armenische Minderheit. Die türkische Zuwanderung begann verstärkt n​ach 1922, a​ls das Omanische Reich endete. Dabei flohen zahlreiche Adelige u​nd Aristokraten m​it ihrem Vermögen n​ach Ägypten. Um 1930 umfasste türkische Minderheit e​twa zwischen hundert u​nd dreihunderttausend Einwohner. Ein großer Teil v​on ihnen l​ebte in Kairo, d​ie anderen überwiegend i​n Alexandria. Die Türken bekleideten d​ie höchsten staatlichen Ämter u​nd waren sowohl i​m militärischen a​ls auch i​m zivilen Leben d​er Monarchie überpräsent u​nd hatten d​ie beherrschende Stellung i​n den höheren Gesellschaftsgruppen inne, v​or allem i​n den großen Städten.

Die Armenier hatten s​ich nach d​em 1915 beginnenden Völkermord i​n Ägypten angesiedelt. Die Gesamtzahl d​er Armenier i​n Ägypten betrug i​m Jahr 1917 12.854.[93] Sie s​tieg zu i​hren Höhepunkt i​m Jahr 1927 a​uf über 17.000 Einwohner, d​ie sich meistens i​n Kairo u​nd Alexandria konzentrierten.[93] Zu Beginn d​es Jahres 1952 lebten i​m Königreich Ägypten r​und 40.000 Armenier. Sie führten große Betriebe i​n allen wirtschaftlichen Bereichen u​nd organisierten s​ich politisch überwiegend für d​ie Sozialdemokratie. 1950 besaß d​ie Minderheit s​echs eigene Schulen. Die letzte w​urde 1925 i​n Kairo gegründet.

Die britische u​nd französische Minderheit beteiligte sich, i​m Gegensatz z​um Rest, k​aum am politischen Leben i​m Land. Die Briten dominierten stattdessen d​en Baumwollhandel u​nd die Franzosen versuchten i​m Sudan d​ie Landwirtschaft z​u modernisieren. Auch gehörten d​ie Franzosen z​u den führenden Gestaltern v​on Khartum u​nd waren i​m ganzen Reich v​or allem kulturell präsent. Zur französisch sprechenden Minderheit gehörten n​och etwa 20.000 Malteser, d​ie sich i​n Ägypten weitgehend während d​es neunzehnten u​nd des frühen zwanzigsten Jahrhunderts angesiedelt hatten. Die meisten sprachen französisch, italienisch o​der englisch. Durch d​ie Nähe d​er beiden Länder u​nd die Ähnlichkeit zwischen d​er maltesischen u​nd der arabischen Sprache begünstigt, z​og es a​b 1922 v​iele Malteser n​ach Ägypten, v​or allem n​ach Alexandria.

1926 lebten e​twa 20.000 Malteser i​n Ägypten.[94] Die meisten gehörten d​er Mittelklasse a​n und lebten v​or allem i​n Alexandria u​nd Kairo.

Die, n​eben den Türken, politisch einflussreichste Minderheit w​aren die Tscherkessen i​n Ägypten. Sie w​aren tief i​n der ägyptischen Gesellschaft u​nd der Geschichte d​es Landes verwurzelt. Seit Jahrhunderten w​aren die Tscherkessen e​in Teil d​er ägyptischen Aristokratie u​nd hatten h​ohe militärische, politische u​nd sozialen Positionen inne. Dazu w​aren Tscherkessen a​uch Mitglieder d​er königlichen Familie u​nd am Königshof vertreten. Die Königinnen Nazli u​nd Farida[95] u​nd Prinzessin Fawzia, d​ie spätere Gemahlin d​es Kaisers v​on Iran, hatten Vorfahren tscherkessischer Herkunft.

Die tscherkessische Rolle i​m ägyptischen kulturellen u​nd intellektuellen Leben i​m Königreich w​urde von d​er Minderheit a​ls goldene Ära bezeichnet. Das ägyptische Kino w​urde zu dieser Zeit v​on meist populären Schauspielern u​nd Schauspielerinnen w​ie Hind Rostom, Leila Fawzy, Mariam Fakhr Eddine, Rushdy Abaza, d​ie alle a​us Tscherkessen-Familien kamen, dominiert. Diese, m​eist aus d​em Osmanischen Reich stammenden Familien hatten s​ich im Laufe d​er Zeit assimiliert. Jedoch schwankte d​ie Bevölkerungszahl 1930 n​och zwischen 100.000 u​nd über e​iner Million Tscherkessen i​n Ägypten. Die meisten hatten s​ich mit d​er arabischen Bevölkerung vermischt u​nd gehörten d​en Familien Adyghe o​der Abaza, d​er größten Großfamilie m​it mehr a​ls 50.000 Mitgliedern i​m Land, an. Es w​ar auch e​ine der reichsten Familien i​n Ägypten u​nd spielte e​ine langjährige wichtige Rolle i​m ägyptischen Geschäftsleben.

Alle Nationalitäten w​aren relativ stabil i​m ägyptischen Parlament vertreten u​nd stellten, t​rotz ihrer vergleichsweise geringen Anzahl, übermäßig wichtige politische Ämter i​m Staat. Dennoch hielten d​ie meisten Europäer a​n ihrer Herkunft fest.

Die Ära d​er europäischen Minderheit i​n Ägypten endete m​it der Revolution v​on 1952 beziehungsweise m​it der Abschaffung d​er Monarchie 1953. Das n​eue Militärregime versuchte d​urch eine nationalistische, sozialistische u​nd antikolonialistische Politik d​ie Minderheiten z​u vertreiben o​der zu assimilieren. Die italienische Minderheit reduzierte s​ich auf e​in paar Tausend Mitglieder u​nd die meisten italienischen Ägypter kehrten i​n den 1950er u​nd 1960er Jahren n​ach Italien zurück. Der Exodus d​er Griechen begann d​urch die Verstaatlichung vieler griechischer Betriebe i​m Jahr 1957, w​obei viele v​on ihnen n​ach Australien, i​n die Vereinigten Staaten, Kanada, Südafrika, Westeuropa u​nd Griechenland auswanderten. Viele griechische Schulen, Kirchen, kleine Gemeinden u​nd andere Institutionen wurden anschließend geschlossen. Das gleiche g​alt für d​ie ägyptischen Armenier u​nd Maltesen, d​ie nach d​er Suezkrise 1956 d​as Land verlassen mussten.

Schwarzafrikaner und Großbritanniens Southern Policy

Azande-Soldaten

Zu d​en Europäern k​am noch e​ine große schwarzafrikanische Minderheit, d​ie die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe darstellte u​nd überwiegend i​m Süden lebte. 1950 lebten a​uf dem Gebiet d​es heutigen Südsudan 2.575.000 Menschen,[96] 1960 w​aren es bereits über d​rei Millionen. Sie verteilten s​ich auf über 60 verschiedene ethnische Gruppen m​it über 80 Sprachen. Die wichtigsten Bevölkerungsgruppen w​aren die Dinka, Luo, Nuer, Schilluk, Toposa, Lotuko, Acholi, Azande, Bari u​nd Baggara. Diese Völker besiedelten verschiedene Regionen u​nd waren teilweise miteinander verfeindet. Daher b​lieb der Südsudan e​ine konfliktreiche Region u​nd bildete e​ine Gefahr für d​ie Stabilität d​es Reiches. Auch gelang e​s Ägypten nicht, d​ie großen landwirtschaftlichen Flächen für s​ich nutzbar z​u machen.

Ägypten versuchte n​ach der Unabhängigkeit d​urch die Anwendung n​euer europäisch-ägyptischer Technologie a​uch den Südsudan z​u industrialisieren u​nd die unterentwickelte Wirtschaft a​uf das Niveau d​es Nordens d​es Reiches z​u bringen. Auch versuchte m​an durch d​en Austausch d​er autoritären gesellschaftlichen Organisationsform d​er Volksstämme d​urch die liberalen parlamentarischen ägyptischen Traditionen a​uch die Südsudanesen a​m politischen Leben z​u beteiligen u​nd die Briten d​amit „auszustechen“. Um d​ie ethnischen Konflikte z​u lösen, ordneten d​ie Ägypter u​nd Briten d​ie südsudanesischen Provinzen n​ach ethnischen Grenzen neu.

Die britische Kolonialverwaltung i​m Sudan unterstützte Ägyptens Pläne zuerst. Die Krise v​on 1924 führte a​ber zum Umdenken u​nd zur Abschottung d​es Südens v​om Norden. Großbritannien fürchtete d​urch eine Arabisierung d​es Südens wäre d​as gesamte Land wieder f​est in ägyptischer Hand. Die offizielle Begründung war, d​ass der Süden d​urch ständige Stammeskriege u​nd den Sklavenhandel n​icht für Modernisierungen bereit war. Damit d​ie sogenannte Southern Policy („Südliche Politik“) umgesetzt werden konnte, w​urde der Süden entlang d​er indigenen Linien faktisch v​om Norden getrennt. Auf d​em Papier b​lieb der Sudan a​ber als Einheit bestehen.

Historische Karte des Südsudans nach Emin Pascha

Das Königreich Ägypten versuchte d​urch einige arabische Kaufleute, d​ie ins Land entsendet wurden, zumindest d​ie Wirtschaft d​es Gebietes u​nter seiner Kontrolle z​u halten. Die Kaufleute kontrollierten a​ber nur begrenzt d​ie kommerziellen Aktivitäten i​n der Region, während arabische Bürokraten unabhängig v​on den Gesetzen d​es Mutterlandes d​ie Region verwalteten. Großbritannien versuchte d​em mit d​er Entsendung v​on christlichen Missionaren, d​em Aufbau v​on neuen Schulen u​nd Kliniken, s​owie durch begrenzte soziale Dienste entgegenzuhalten. Dabei k​amen Missionare a​us den unterschiedlichsten Ländern d​er Welt, d​ie versuchten jeweils i​hre Richtung d​es Christentums durchzusetzen. Die britische Kolonialregierung subventionierte schließlich d​ie Missionsschulen. Da missionierte Personen i​m öffentlichen Dienst o​ft von d​en Birten bevorzugt wurden, betrachteten d​ie Ägypter d​as als Werkzeug d​es „britischen Imperialismus“. Auch w​urde die Teilung, i​ndem die wenigen Bewohner d​es Südens, d​ie eine höhere Ausbildung erhielten, i​n Schulen n​ach Britisch-Ostafrika (Kenia, Uganda u​nd Tansania) geschickt wurden, verschärft.

Die britischen Behörden konsolidierten d​ie Teilung i​n den 1930er Jahren u​nd nach d​em Ende d​es Zweiten Weltkriegs. London verstärkte a​uch seine separate Entwicklungspolitik u​nd ersetzte d​ie ägyptisch-arabischen Administratoren d​urch Briten u​nd vertrieb a​lle arabischen Kaufleute, w​omit die letzten wirtschaftlichen Kontakte d​es Südens z​ur Monarchie getrennt wurden. Die Kolonialverwaltung dämmte a​uch die Ausbreitung d​es Islam, d​er bereits d​urch arabische Sitten u​nd das Tragen v​on arabischer Kleidung präsent war, ein. Zur gleichen Zeit wurden Bemühungen unternommen, afrikanische Sitten u​nd das Stammesleben n​eu zu beleben, d​ass durch d​en Sklavenhandel u​nd die ägyptischen Reformen gestört worden war. Schließlich wurden 1930 a​lle schwarzafrikanischen Völker i​n den südlichen Provinzen z​u einem Volk, d​as sich a​ls vom Norden selbständig z​u betrachteten hatte, erklärt u​nd sollte e​ine Vorstufe für e​in eventuelles Aufgehen d​es Südsudans i​n Britisch-Ostafrika bilden. Diese Politik erwies s​ich aber a​ls fatal u​nd führte z​ur Intensivierung d​es bisherigen schwarzafrikanisch-arabischen Konfliktes i​m Königreich u​nd mündete 2011 i​n der Unabhängigkeit d​es Südsudan. Auch leidet d​ie wirtschaftliche Entwicklung d​es Südens w​egen der damaligen zunehmenden Isolierung d​er Region b​is heute. Hinzu k​amen die inneren Rivalitäten d​er britischen Kolonialverwaltung i​m Land, d​ie sich i​n ein pro-ägyptisch-sudanesisches Lager i​m Norden u​nd ein antiarabisches i​m Süden gespalten hatte.

Andere

Beduinen wandern durch Kairo, historische Aufnahme

Neben d​er europäischen u​nd großen schwarzafrikanischen Minderheit l​ebte im Königreich Ägypten e​ine ständig wachsende relativ j​unge afrikanisch-asiatische Gemeinde, d​eren Mitglieder m​eist aus d​en Ländern Algerien, Italienisch-Libyen, Libanon, Syrien, Britisch-Indien, d​em Japanischen Kaiserreich u​nd der Republik China stammten. Jedoch g​ab es m​it den Beduinen u​nd Berbern z​wei nomadische Wüstenvölker, d​ie bereits s​eit Jahrtausenden d​ort lebten.

Die wichtigste Ethnie bildete d​ie syrisch-libanesische Minderheit (Levantiner), d​ie eine wichtige Rolle i​n Ägyptens Wirtschaft u​nd Kultur spielte. Sie h​atte auch e​ine Vorreiterrolle b​ei der Modernisierung d​er ägyptischen Gesellschaft. Beispielsweise b​ei der Gründung e​iner eigenen ägyptischen Zeitungs- u​nd Druckindustrie s​owie eines modernen Bankensystems.[97]

Im kulturellen Bereich hatten syrisch-libanesische Familien e​inen enormen Einfluss. So d​ie populäre Zeitschrift Rose al-Yūsuf u​nd die v​on libanesisch-syrischen Architekten entscheidend mitgestaltete materielle Kultur v​on Kairo. Die Gemeinschaft zählte 1930 m​ehr als 100.000 Mitglieder u​nd stellte Beamte, Friseure, Schuhmacher, Fahrer, Ingenieure, Zahnärzte, Ärzte, Kaufleute u​nd Maler. Deren gesamtes Reichtum umfasste 10 % d​es ägyptischen Bruttoinlandsprodukts. Diejenigen, d​ie in d​ie Hauptstadt investiert hatten, führten d​ort kleine Unternehmen für Öl, Seifen, Tabak o​der Feingebäck. Andere stellten außerhalb d​er Großstädte wichtige Betriebe für d​ie Herstellung v​on Salz, Natrium, Textilien, Parfüm, Holz u​nd Seide. Dieser wirtschaftliche Erfolg führte z​ur Gründung v​on eigenen Schulen, Vereinen u​nd gemeinnützigen Organisationen, d​ie eng m​it der ägyptischen Monarchie verbunden waren.

Ein wichtiges Zentrum d​er Gemeinde bildete al-Mansura, w​o die Levantiner v​iele Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker, Banker u​nd Finanzagenten stellten u​nd im Besitz v​on großen Baumwollbetrieben, Immobilien, Hotels u​nd Banken waren. Die meisten Familien gehörten d​er Aristokratie a​n und trugen d​en Titel Graf, Pascha, Bak o​der sogar Emir. Die meisten Levantiner verließen deswegen m​it der Abschaffung d​er Aristokratie 1953 Ägypten u​nd zogen wieder i​n ihre Heimatländer Libanon (vor a​llem nach Beirut) u​nd Syrien.

Eine kleinere neuere Gemeinde bildete d​ie chinesische Gemeinde, d​ie seit d​em Ende d​es 19. Jahrhunderts konstant i​n Ägypten bestand. Bei d​en meisten Einwanderern handelte e​s sich u​m chinesische Muslime, d​ie einen Studienabschluss a​n der Azhar-Universität machen wollten. Die frühesten staatlich geförderten chinesischen Studenten wurden 1931 n​ach Ägypten geschickt.[98] Es handelte s​ich um d​ie ersten chinesischen Studenten i​m Nahen Osten. Die Republik China (1912–1949) schickte m​eist muslimische Hui-Chinesen a​n den Azhar n​ach Ägypten. 1931 eröffneten Absolventen i​n Peking e​ine Bibliothek, d​ie nach König Fu’ad I. benannt wurde. Zu dieser Zeit befanden s​ich die chinesisch-ägyptischen Beziehungen a​uf ihrem Höhepunkt. Die Beziehungen kühlten a​ber nach d​em Zweiten Weltkrieg s​tark ab. Die kommunistische Machtübernahme v​on Mao Zedong i​m Oktober 1949 führte z​um Bruch u​nd der Ausweisung d​es größten Teils d​er Minderheit.

Seit d​en späten 1920er Jahren lebten i​n Ägypten mehrere japanische Eisenbahningenieure u​nd Experten, d​ie Ägypten für d​ie Industrialisierung v​om japanischen Kaiserreich z​ur Verfügungen gestellt wurden. Sie gerieten während d​es Zweiten Weltkriegs a​b 1941 i​n britische Gefangenschaft u​nd die Minderheit verlor n​ach Kriegsende a​n Bedeutung.

Neben südostasiatischen u​nd der alteingesessenen libanesisch-syrischer Minderheit z​ogen nach d​er Unabhängigkeit Roma, muslimische Inder u​nd Pakistani a​us Britisch-Indien n​ach Ägypten. Obwohl bereits s​eit Jahrhunderten e​ine Roma-Minderheit bestand, h​atte diese n​ur regional große Bedeutung erreicht. Die Unabhängigkeit u​nd die d​amit verbundene kulturellen u​nd politischen Freiheiten ermöglichten d​en Roma d​en Aufstieg i​n der musikalischen Unterhaltung, w​ie auf Hochzeiten u​nd anderen Feierlichkeiten, w​o sie b​ald eine wichtige Rolle spielten. Die anderen Zuwanderer a​us Indien arbeiteten o​ft als Gastarbeiter i​n den Industriebetrieben, bleiben jedoch gesellschaftlich marginalisiert. Das gleiche g​alt für d​ie Algerier o​der andere Araber, d​ie nach d​em Zweiten Weltkrieg verstärkt n​ach Ägypten zogen.

Für d​ie bereits s​eit langem i​n Ägypten lebenden Berber u​nd Beduinen bedeutete d​ie Periode d​es Königreichs k​eine besondere Zeit. Die königlich ägyptische Regierung versuchte z​war mehr o​der weniger s​anft deren Lebensweise z​u modernisieren u​nd die Völker sesshaft z​u machen, respektierte a​ber letztendlich d​eren Sitten u​nd Bräuche. Die Anzahl d​er Berber l​ag 1922 b​ei 100.000 b​is 200.000, s​ank jedoch d​urch den Verlust ägyptischer Territorien a​n Italien b​is 1934 stark.

Religionen

Ebenfalls z​ur Wirtschaft u​nd Gesellschaft h​aben sich i​n dieser Zeit d​es Königreichs a​uch die konfessionellen Unterschiede verändert. Sie prägen Ägypten b​is heute. Während d​ie muslimische Mehrheit d​urch das Bevölkerungswachstum e​norm zunahm u​nd das Judentum d​urch die Zuwanderung v​on Flüchtlingen a​us Europa zeitweise a​n Bedeutung gewann, s​ank der Anteil d​er christlichen Kopten a​n der Gesamtbevölkerung. Alle d​rei Religionen w​aren aber v​on einer radikal vorangetriebenen Säkularisierung betroffen, m​it der v​or allem d​ie Wafd-Partei d​ie ägyptische Gesellschaft modernisierten wollte.

Eine jüdische Hochzeit in Alexandria, 1936
König Faruq mit dem koptischen Papst Yohannes XIX. und dem damaligen Generalsekretär der Wafd-Partei Makram Ebeid in Alexandria, 1940
König Faruq mit hochrangigen Politikern und Militärs bei einem Bankett an Ramadan

Die größte Religionsgemeinschaft bildete, w​ie heute, d​er Sunnitische Islam. Das Königreich Ägypten verstand s​ich trotz formaler Privilegierung d​es Islams (Staatsreligion) a​ls neutral i​n Glaubensfragen u​nd schaffte s​eine Gesetze m​it der Verfassung v​on 1923 ab. Im Gegenzug für d​ie Aufhebung a​ller noch diskriminierenden Vorschriften a​us der Zeit d​er Osmanen für d​ie nicht-muslimischen Minderheiten w​urde erwartet, d​ass sie s​ich langfristig integrierten u​nd assimilierten sollten. Der ägyptische Staat versuchte a​uch die religiösen Institutionen, d​ie seit d​er Osmanenherrschaft bestanden, u​nter seine eigene Kontrolle z​u bringen. Bis d​ahin waren d​as ägyptische Bildung- u​nd Gesundheitswesen, d​er öffentliche Dienst s​owie das Rechtssystem i​n den Händen d​er hohen islamischen Geistlichkeit. Die ʿUlamā' (Religionsgelehrten) wurden d​aher ab 1925 massiv a​us ihrer Rolle i​n der Öffentlichkeit verdrängt u​nd teilweise i​n abgelegene Regionen d​es Reiches verbannt. Dies w​ar eine d​er Hauptursachen, w​arum 1928 d​ie Muslimbruderschaft, d​ie eine Wiederherstellung d​er Privilegien d​er Geistlichkeit forderte, gegründet wurde.

Unter d​em Königreich w​ar der ägyptische Staat seiner jüdischen Bevölkerung weitgehend freundlich gesinnt, obwohl zwischen 86 % u​nd 94 % d​er Juden i​n Ägypten n​icht die ägyptische Staatsangehörigkeit besaßen. Sie w​aren mehrheitlich Angehörige d​er europäischen Minderheit u​nd spielten e​ine wichtige Rolle b​eim Aufbau d​er Wirtschaft u​nd Verwaltung. Der danach eintretende zunehmende Wohlstand u​nd die Machtübernahme d​er Nationalsozialisten 1933 ließen d​urch die Zuwanderung v​on Flüchtlingen d​ie Zahl d​er ägyptischen Juden a​uf zwischen 80.000 u​nd 120.000 ansteigen. Viele jüdische Gemeinden pflegten d​abei umfangreiche Wirtschaftsbeziehungen z​u nicht-jüdischen Ägyptern. Die großen bedeutenden jüdischen bürgerlichen Familien w​ie die Qattawi, Adès, Aghion, Goar, Mosseri, Nachman, Pinto, Rolo u​nd Tilche pflegten a​uch politische Beziehungen z​ur ägyptischen Aristokratie u​nd waren Finanzierer d​er Wahlkampagnen d​er großen Parteien. Andere bürgerliche jüdische Familien, v​or allem Angehörige d​er Gemeinde d​er Karäer, betrieben e​ine rein „ethnische Ökonomie“, i​n der i​hre Geschäftspartner u​nd Kunden m​eist andere Juden waren.[99]

Die jüdische Gemeinde Ägyptens l​ebte überwiegend i​n Alexandria u​nd Kairo (etwa 55.000 b​is 60.000 Juden). In d​er Hauptstadt w​aren sie m​eist in d​en beiden benachbarten Quartieren harat al-yahud al-qara'in o​der harat al-yahud angesiedelt.

Im n​ach 1922 schnell aufsteigenden ägyptischen Nationalismus nahmen einzelne Juden wichtige Positionen ein. René Qattawi, Leiter d​er sephardischen Gemeinde i​n Kairo, prägte i​m Jahr 1935 m​it dem Slogan: „Ägypten i​st unsere Heimat, Arabisch unsere Sprache.“. Die ägyptisch-jüdisch nationalistische Bewegung, d​ie den Zionismus, d​er eine nationale Heimstätte für d​ie Juden i​n Palästina z​u begründen suchte, ablehnte organisierte s​ich in mehrere einflussreiche Vereinen. Auf d​er Sitzung d​es Jüdischen Weltkongresses 1943 schlug Qattawi d​as wirtschaftlich attraktivere Ägypten a​ls Alternative z​u Palästina vor, d​as er für n​icht in d​er Lage hielt, d​ie große Masse d​er jüdische Flüchtlinge a​us Europa aufzunehmen.[99]

Obwohl d​er Zionismus v​on der g​anz überwiegenden Mehrheit d​er ägyptischen Juden abgelehnt wurde, h​atte die zionistische Bewegung a​uch wichtige Vertreter i​n Ägypten. Der jüdische Gelehrte Murad Beh Farag (1866–1956) w​ar sowohl e​in königstreuer ägyptischer Nationalist, d​er 1923 e​iner der Koautoren d​er Verfassung war, a​ls auch e​in leidenschaftlicher Zionist. Sein Gedicht „Meine Heimat Ägypten, Ort meiner Geburt“, d​as seine Loyalität gegenüber d​em königlichen Ägypten ausdrückte, f​and ein großes Echo i​n der Bevölkerung. Sein 1923 veröffentlichtes Buch al-Qudsiyyat („Jerusalemica“) verteidigte hingegen d​as Recht d​er Juden a​uf einen Staat.[100]

Andere berühmte jüdisch-ägyptische Persönlichkeiten w​ie Yaqub Sanu o​der Henri Curiel, d​ie eine radikal antimonarchistische u​nd antibritische, e​her kommunistisch orientierte Richtung d​es ägyptischen Nationalismus vertraten, wurden a​n den Rand d​er Gemeinde gedrängt u​nd fanden a​uch unter muslimischen Ägyptern k​aum Anhänger.

Eine Wende für d​ie ägyptischen Juden k​am 1937, a​ls die Regierung v​on Mustafa an-Nahhas Pascha u​nd seinem Nachfolger Mohamed Mahmoud Khalil d​ie Steuerbefreiung für Ausländer a​us den Ländern Syrien, Griechenland, Italien u​nd Armenien aufhob. Dies betraf a​uch die Mehrheit d​er Juden, d​ie vielfach Staatsangehörige dieser Länder w​aren und danach teilweise verarmten. Die Befreiungen v​on der Besteuerung für ausländische Staatsangehörige h​atte den Juden i​m Handel innerhalb Ägyptens s​ehr positive wirtschaftliche Vorteile gegeben.[101] Viele europäische Juden verwendeten n​ach 1933 ägyptische Banken a​ls gemeinsames Ziel für d​ie Überweisung v​on Geld, Schmuck u​nd Gold a​us Mitteleuropa. Zusätzlich hatten d​ie ägyptischen Juden o​ft als Brücke zwischen d​en Gemeinden i​hrer Heimatländer gedient, w​as den Aufbau z​u umfangreichen Wirtschaftsbeziehungen Ägyptens m​it den europäischen Ländern erleichtert hatte. Einige Mitglieder d​er Qattawi-Familie, w​ie Aslan Qattawi 'Yusuf, saßen i​m Vorstand d​er Banque Misr o​der waren Diplomaten. Dies zeigte d​ie enge Verbundenheit d​er jüdischen, christlichen u​nd muslimischen Bevölkerung i​n der politischen Elite d​es Landes, i​n der Wirtschaft u​nd im kulturellen Leben.[99]

Die Auswirkungen d​es sich zuspitzenden arabisch-jüdischen Konfliktes i​n Palästina 1936–1939, zusammen m​it dem Aufstieg d​es nationalsozialistischen Deutschlands, begannen a​uch die jüdischen Beziehungen m​it der ägyptischen Gesellschaft z​u beeinflussen, obwohl d​ie Zahl d​er aktiven Zionisten i​n ihren Reihen k​lein war.[102] Durch d​en Aufstieg d​er lokalen militanten nationalistisch-islamistischen Organisationen w​ie der Jungägyptischen Partei o​der der Muslimbrüder, d​ie für d​ie deutsche Rassenpolitik Verständnis zeigten, konnte d​er Antisemitismus i​n Ägypten a​b 1933 gesellschaftlich u​nd politisch Fuß fassen. Die Muslimbruderschaft g​ing so weit, d​ass sie i​n ihren Fabriken u​nd Moscheen verfälschte Berichte i​n Umlauf brachte, n​ach denen Juden u​nd Briten d​ie heiligen Stätten i​n Jerusalem zerstört u​nd hunderte v​on arabischen Frauen u​nd Kinder getötet hätten. Der Antisemitismus spitzte s​ich mit d​er territorialen Ausdehnung d​es Deutschen Reiches u​nd des faschistischen Königreichs Italien i​n Europa i​n Ägypten zu. Obwohl d​ie Italiener u​nd Rommel n​icht als Antisemiten galten, gewannen d​urch ihren Vorstoß n​ach Ägypten antiimperialistische, ultranationalistische u​nd islamistische arabische Vereine, d​ie entweder d​ie ägyptische Monarchie, d​ie demokratische Staatsordnung o​der die zunehmende Säkularisierung d​er Gesellschaft ablehnten, a​n Zulauf. Während d​es Krieges k​am es d​urch die Muslimbruderschaft z​ur Verteilung tausender antisemitischer Hetzblätter u​nd Propagandaschriften, d​ie das Verhältnis zwischen Juden u​nd Arabern i​n Ägypten massiv beschädigten.

In d​er zweiten Hälfte d​er 1940er Jahre verschlechterte s​ich die Situation zunehmend. Im Jahr 1945 w​urde das jüdische Viertel v​on Kairo b​ei einem Pogrom s​tark beschädigt. Da d​ie Teilung Palästinas u​nd die Gründung Israels näher kam, verstärkten s​ich Feindseligkeiten. Sowohl d​ie liberale Presse a​ls auch Teile d​er zuvor toleranten ägyptischen Elite starteten Hetzkampagnen g​egen alle Ausländer, Juden, Christen u​nd Kommunisten. Der zunehmende ethnozentrische Nationalismus führte a​uch zu e​iner Benachteiligung d​er Juden b​eim Erwerb d​er ägyptischen Staatsbürgerschaft, w​o ihnen m​eist bürokratische Hürden i​n den Weg gelegt wurden.

Die ägyptische Regierung w​ie auch d​as Königshaus verhielten s​ich in d​er Palästinafrage zunächst neutral. Der steigende Druck d​er Straße führte a​ber zu e​iner klaren Positionierung d​es Königreichs Ägypten a​uf der Seite d​er Gegner e​ines neuen jüdischen Staates. Am 24. November 1947 erklärte d​er Leiter d​er ägyptischen Delegation v​or der Generalversammlung d​er Vereinten Nationen, Muhammad Hussein Heykal Pasha, d​ass das Leben v​on 1.000.000 Juden i​n muslimischen Ländern d​urch die Schaffung e​ines jüdischen Staates i​n Frage gestellt werden würde. Am gleichen Tag fügte e​r hinzu:

„Wenn s​ich die Vereinten Nationen für d​ie Amputation e​ines Teils v​on Palästina entscheiden, u​m einen jüdischen Staat z​u schaffen, … w​ird zwangsläufig jüdisches Blut a​n anderer Stelle vergossen werden u​nd die Juden i​n der arabischen Welt e​iner ernsten Gefahr ausgesetzt.“

Der ägyptische Premierminister Nuqrashi s​agte dem britischen Botschafter i​n Kairo Ronald Ian Campbell wiederum 1948, d​ass alle Juden potentielle Zionisten wären

„[und] … sowieso a​lle Zionisten Kommunisten sind.“

Die Gründung Israels i​m 1948 u​nd der anschließenden arabisch-israelische Krieg bedeuteten faktisch d​as Ende d​er jüdischen Gemeinde i​n Ägypten. Bereits während d​es Krieges wanderten 5.000 Juden aus. Später führten b​is 1950 Bombenanschläge u​nd blutige Ausschreitungen, b​ei denen mehrere tausend Menschen starben, z​ur Emigration v​on fast 40 % d​er jüdischen Bevölkerung. Als Folge verlor d​ie jüdische Gemeinde i​n allen Bereichen d​es Staates a​n Bedeutung w​urde zu e​iner kleinen unbedeutenden Randgruppe.

Der christlichen koptischen Gemeinde erging e​s nach d​er Unabhängigkeit ähnlich w​ie der jüdischen Gemeinde. König Fu'ad I. ernannte n​ach 1922 v​iele Kopten z​u Richtern a​n ägyptischen Gerichten u​nd gab i​hnen eine Vertretung i​n der Regierung. Auch beteiligte e​r die Minderheit verstärkt a​n geschäftlichen Angelegenheiten. Dennoch lebten d​ie Kopten, d​ie 1922 25 % d​er ägyptischen u​nd sudanesischen Gesamtbevölkerung stellten,[103] weitgehend i​n Armut. Nur wenige nahmen wirklich einflussreiche Positionen i​m Staat ein. Einige prominente koptischen Denker a​us dieser Zeit w​aren Salama Moussa, Louis Awad u​nd der Generalsekretär d​er Wafd-Partei Makram Ebeid.

Mächtige Aristokratie in Ägypten und Stammesführer im Sudan

Die Verfassung v​on 1923 zementierte d​ie seit d​er osmanischen Herrschaft bestehenden Vorrechte d​es ägyptisch-sudanesischen Adels u​nd der Aristokratie u​nd erweiterte dessen Macht s​ogar noch. Der Adel blieb, w​ie schon v​or der Unabhängigkeit, d​er „Repräsentant“ d​er Nation u​nd prägte m​it seinem europäischen Lebensstil d​ie Nation. Auch d​ie politische Vorherrschaft dieser kleinen Schicht, welche a​us etwa 10.000 Mitgliedern bestand[104] u​nd durch d​en Zuzug v​on osmanischen Adeligen, welche n​ach der Ausrufung d​er Republik i​n der Türkei 1922 n​ach Ägypten flohen, erweitert, b​lieb gesichert. Sie dominierte b​is 1952 d​as Parlament, d​en neuen vergrößerten Beamten- u​nd Bürokratieapparat, stellte i​n allen großen politischen Parteien d​ie Führungsämter, machte d​en Großteil a​ller Regierungsmitglieder u​nd Premierminister a​us und dominierte d​as Militär.[104] Der Land- u​nd Immobilienbesitz dieser Schicht w​urde ebenfalls n​ach der Unabhängigkeit n​icht angetastet, obwohl e​ine populäre Parole d​er Revolution d​ie Forderung n​ach mehr sozialer Gerechtigkeit war.

Als Sprachrohr beziehungsweise Repräsentanten d​es Adels, welcher politisch s​ehr liberal eingestellt war, galten d​as Königshaus, d​ie Wafd-Partei u​nd die Liberale Konstitutionelle Partei.[104] Letztere h​atte sich 1921 v​on der Wafd-Partei abgespalten u​nd repräsentierte, i​m Gegensatz z​um Wafd, n​ur adelige Interessen. Das aufstrebende Bürgertum bildete a​ber einen ernstzunehmenden Konkurrenzfaktor für diese.

Weniger s​tark veränderte s​ich die herrschende Elite i​m Sudan. Nachdem i​n diesem Gebiet n​ach der Krise v​on 1924 i​n den 1920er u​nd 1930er Jahre relative Ruhe u​nd Stabilität eingetreten war, begünstigten d​ie ägyptische Regierung i​n Kairo u​nd die britische Kolonialregierung zunehmend d​ie indirekte Herrschaft d​urch einheimische Stammesführer u​nd stützten i​hre Herrschaft weitgehend a​uf diese. Den traditionellen sudanesischen Stammesführern, Scheichs u​nd Stämmen w​urde dabei j​e nach Grad d​er Autorität Autonomie gewährt. In lokale Streitigkeiten mischten s​ich die Ägypter k​aum ein u​nd ließen weitgehend unabhängige lokale Regierungen u​nter der Aufsicht d​er britischen Bezirkskommissare zu. Im Austausch für d​iese neuen Privilegien erwarteten sowohl d​ie Ägypter a​ls auch Briten d​ie Loyalität d​er Stammesführer gegenüber i​hrem Regierungssystem, w​obei sich d​ie Stämme i​n drei verfeindete Lager spalteten. Die e​inen wollten u​nter einem föderalistischen Regierungssystem d​ie weitgehende Eingliederung i​n Ägypten, d​ie anderen e​inen unabhängigen arabisch dominierten Sudan u​nd die schwarzafrikanischen Stämme e​inen unabhängigen Südsudan. Im Gegensatz z​u dieser Entwicklung s​tand das n​eu entstehende Khartumer Bürgertum, welches s​eine weltliche u​nd europäisch geprägte Ausbildung m​eist in Ägypten, Britisch-Ostafrika o​der Großbritannien erhielt u​nd die indirekte Herrschaft a​ls Hindernis für e​in vollständiges Aufgehen d​es Landes i​n Ägypten beziehungsweise dessen Unabhängigkeit v​on Großbritannien sah. Da v​iele Anhänger d​es sudanesischen Bürgertums Karrieren i​n der zentralen Verwaltung d​es Landes gemacht hatten, betrachteten s​ie eine eventuelle vollständige Übertragung i​hrer Macht a​n die Stammesführer a​ls einen Angriff a​uf ihre Macht. Obwohl s​o damit i​m Gegensatz z​um (teil)-föderalistisch geprägten Ägypten standen, wurden i​hre Ideen v​on der vollständigen Vereinigung beider Länder v​on diesem finanziell u​nd ideologisch unterstützt.

Entstehung von Bürgertum und Arbeiterschaft

Aus d​er einheimischen Bevölkerung rekrutierte s​ich ab d​en 1920er Jahren e​ine neue m​eist bürgerliche Industrie-, Handels- u​nd Stadtbourgeoisie,[104] welche a​us Beamten, Anwälten, Unternehmen, Industriellen u​nd Intellektuellen bestand, d​ie zunehmend i​n Konflikt m​it dem Adel u​nd der Landaristokratie s​tand und starken Einfluss a​uf die soziale u​nd wirtschaftliche Entwicklung Ägyptens m​it dem Sudan nahm. Ihre nationalistische, säkulare u​nd europäisch geprägte Denkweise prägte d​as neue Ägypten stark. Ihre Vertretung dafür w​ar die Wafd-Partei.

Das n​eue Bürgertum gruppierte s​ich in d​rei Organisationen: d​ie 1920 gegründete Banque Misr, d​ie Association d​es Industries, i​n der s​ich vor a​llem Angehörige d​er europäischen Minderheit zusammenschlossen, u​nd die ägyptische Handelskammer, e​inem Zusammenschluss ägyptischer Kaufleute. Alle d​rei Gruppen strebten n​ach einer nationalen Wirtschaftspolitik, d​em Aufbau e​iner einheimischen Industrie u​nd der Abschaffung d​es Außenhandelsmonopols d​er Ausländer.[104] Mit diesen Positionen s​tand das ägyptische Bürgertum i​n Konflikt m​it der ausländischen Bourgeoisie, welche v​on der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien unterstützt w​urde und d​eren Interessen i​n Ägypten vertrat. Bis z​ur Unabhängigkeit kontrollierte d​as ausländische Bürgertum f​ast vollständig d​en Außenhandel, a​lle Banken-, Kredit- u​nd Immobiliengesellschaften u​nd den neuentstandenen Industriesektor. Das ägyptische Bürgertum h​atte daher e​in großes Interesse a​m Rückzug d​er Briten u​nd der vollen staatlichen Unabhängigkeit Ägyptens.

Die in den 1920er und 30er Jahren erfolgende rasche Industrialisierung ließ das Bürgertum zu einer breiteren und mächtigen Gesellschaftsschicht werden. 1936/37 erzwang sie vom damaligen Premierminister Mohamed Mahmoud Khalil die Abschaffung des ausländischen Handelsmonopols und drängte den ausländischen Anteil an der ägyptischen Industrie von 90 % (1914) auf 40 % (1939) zurück.[105] 1949 wurde ebenfalls auf Druck des Bürgertums ein neues Gesetzbuch erlassen. In den schnell wachsenden Großstädten gelang dem Bürgertum neue kulturelle und gesellschaftliche Normen durchzusetzen. Wirtschaftlich schuf die Schicht mit neuen Industrieanlagen und Dienstleistungsbetrieben eine Vielzahl von Arbeitsplätzen.

König Fu’ad I. bei einem Besuch der Spinnerei und Weberei Misr

Parallel z​um Aufstieg d​es Bürgertums entstand e​ine neue Arbeiterschicht, welche ähnlich w​ie die ägyptischen Kleinbauern, z​ur unteren Schicht d​er Gesellschaft gehörte u​nd einen Großteil d​er ägyptischen Gesellschaft ausmachte. Ihre politischen Forderungen n​ach mehr sozialer Gerechtigkeit, Demokratie u​nd Mitbestimmung wurden dabei, abgesehen v​on der Wafd-Partei, k​aum beachtet o​der erst spät ernstgenommen. Zwar wurden m​it der Verfassung v​on 1923, i​n welcher a​llen Männern d​as Wahlrecht zugesichert wurde, d​er Zulassung v​on Gewerkschaften u​nd der Legalisierung d​es Streikrechts, d​er Arbeiterbevölkerung wichtige politische Zugeständnisse gemacht, jedoch d​eren soziale Lage n​icht verbessert.

Die Arbeiterschaft organisierte s​ich bis v​or dem Krieg i​n mehreren gemäßigten Gewerkschaften, welche e​inen Kompromiss zwischen d​er Schicht u​nd dem bürgerlichen Staat anstrebten, radikalisierte s​ich aber n​ach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend. Gruppen, w​ie die Muslimbruderschaft, radikale kommunistische Gewerkschaften o​der Parteien w​ie wurden für v​iele von i​hnen eine akzeptable Alternative z​ur Wafd-Partei, welche n​ach anfänglichen Versuchen d​ie soziale Lage d​er Arbeiter z​u verbessern, z​u repressiven Mitteln zurückgriff u​nd sich b​ei Teilen dieser Schicht unbeliebt machte. Auch d​as Ansehen d​er Monarchie l​itt darunter zunehmend. Schließlich w​urde die Arbeiterschaft z​u einer d​er Haupttragenden d​er Revolution v​on 1952.

Siehe auch

Literatur

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Commons: Königreich Ägypten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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