Ägyptische Staatsbahnen
Die Ägyptischen Staatsbahnen (englisch Egyptian National Railways,[2] ENR; arabisch سكك حديد مصر, DMG sikak ḥadīd Miṣr) sind die staatlichen Eisenbahnen Ägyptens. Sie werden von der halbstaatlichen ägyptischen Eisenbahnbehörde betrieben.
Egyptian National Railways ENR | |
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Rechtsform | Öffentliches Unternehmen |
Gründung | 1854 |
Sitz | Kairo, Ägypten |
Leitung | Ashraf Raslan (Chairman) |
Umsatz | circa 2,2 Mrd. EGP (2018)[1] |
Branche | Verkehr/Logistik |
Website | enr.gov.eg |
Geschichte
Bereits 1833 stellte Muhammad Ali Pascha mit Thomas Gallway Überlegungen über den Bau einer Eisenbahn an, um den Transit zwischen Europa und Indien zu erleichtern. Die Schienen waren bereits gekauft, als das Projekt nach französischem Druck gestoppt wurde, da Frankreich kein Interesse an einem Konkurrenzprojekt zum Sueskanal hatte.
Nach Muhammad Alis Tod schloss Abbas I. einen Vertrag mit Robert Stephenson ab, um Alexandria und Kairo auf dem Schienenweg zu verbinden. Der erste Teil dieser Strecke zwischen Alexandria und Kafr az-Zayyat wurde 1854 eröffnet, die komplette Strecke zwei Jahre später. Es war die erste Bahnstrecke in Afrika und dem Nahen Osten.
Ismail Pascha, der 1863 auf den Thron kam, veranlasste den Bau der Bahn von Kairo zunächst nach Asyut, die später nach Assuan verlängert wurde. 1891 wurde die Imbaba-Brücke bei Kairo über den Nil fertiggestellt. Dies stellte einen wichtigen Schritt dar, um Unter- und Oberägypten miteinander zu verbinden. Die heutige Imbaba-Brücke stammt von 1924. Es handelt sich um die einzige Eisenbahnbrücke über den Nil im Bereich von Kairo.
Bis zur Gründung Israels waren die Bahnnetze Ägyptens und des britischen Mandatsgebietes Palästina durch die Sinai-Bahn verbunden. Zwischen 1942 und 1948 bestand über die Palestine Railways und die Bahnstrecke Haifa–Beirut–Tripoli eine normalspurige Netzverbindung in den Libanon sowie weiter über Syrien (Bagdadbahn) und die Türkei bis nach Istanbul. Durchgehenden Bahnverkehr gab es aber nie. Eine Verbindung zum israelischen Bahnnetz und zum europäischen besteht seit dem Palästinakrieg nicht mehr.
Die im Jahr 2001 wieder errichtete El-Ferdan-Brücke über den Sueskanal ist die weltweit größte Drehbrücke. Nachdem in den Jahren 2014/2015 der neue Suez-Kanal etwas östlich der Brücke eröffnet wurde und sich dort keine Brücke befindet, ist die Bahn über die El-Ferdan-Brücke stillgelegt, die Brücke ist dauerhaft für den Schiffsverkehr geöffnet.
Betrieb
Schienennetz
2005 betrieb die ENR insgesamt 5063 km Schienenstrecken in europäischer Normalspur. Der Großteil des Netzes verbindet den dicht besiedelten Bereich des Nildeltas mit den Zentren Kairo und Alexandria. Eine weitere Hauptstrecke verläuft von Kairo aus am linken Nilufer bis Nag Hammadi und ab dort weiter am rechten Nilufer nach Assuan in Oberägypten. Endpunkt der Strecke ist Sadd el Ali (High Dam).
Zudem existiert eine Bahnstrecke entlang der Mittelmeerküste nach Westen in Richtung libyscher Grenze (nach Sallum). Während des Zweiten Weltkriegs führte sie bis nach Libyen hinein. Nach dem Neubau der libyschen Abschnitte entlang der Mittelmeerküste sollten ab 2015 Verbindungen in Richtung Tripolis, Tunis und in den Maghreb möglich werden. Der Bürgerkrieg in Libyen ließ diese Pläne obsolet werden.
Bis zum Jahr 2025 soll eine Hochgeschwindigkeitsstrecke Alexandria, Kairo, Luxor und Assuan verbinden. Die Kosten des Projekts werden mit 10 Mrd. Euro veranschlagt.[3]
Es besteht ein erheblicher Nachholbedarf im Unterhalt der Eisenbahninfrastruktur.[4]
Im Januar 2021 unterzeichneten in Kairo Vertreter des deutschen Siemens-Konzerns und der ägyptischen Regierung eine Absichtserklärung zum Bau einer 460 km langen Schnellfahrstrecke zwischen Mittelmeer und Rotem Meer mit einer möglichen Fahrgeschwindigkeit von 250 km/h[5].
Im September 2021, gab Siemens Mobility bekannt mit seinem Konsortium einen Vertrag mit einem Auftragsvolumen von 3,8 Milliarden Euro gewonnen zu haben. Gemeinsam mit seinen Konsortialpartnern Arab Contractors und Orascom Construction wird Siemens den ersten 660 km langen Teilabschnitt des neuen Bahnnetzes errichten, das insgesamt 1800 km erreichen soll.[6] Das Konsortium liefert ein schlüsselfertiges Bahnsystem, inklusive Signaltechnik, Kommunikation, elektrischen Kontrollsystemen und Steuerung. Siemens liefert darüber hinaus 34 Personenzüge und 10 Elektrolokomotiven für Gütertransporte.[7][8]
Neben Siemens hatten sich für den Bau der Strecke die chinesische CCECC, der französische Konzern Alstom, sowie die ägyptischen Unternehmen Arab Organization for Industrialization und Samcrete beworben.[9][10] Insgesamt fünfzehn Bahnhöfe werden zwischen El-Alamein am Mittelmeer und Ain Suchna am Roten Meer bedient werden, darunter Borg El Arab, Alexandria, Madinat as-Sadis min Uktubar und die neue Hauptstadt Ägyptens.[11]
Organisation
Die ENR ist in drei Geschäftsbereiche aufgeteilt: Personenfernverkehr, Personennahverkehr und Güterverkehr.
Personenverkehr
Die Ägyptischen Staatsbahnen stellen das Rückgrat des Personenverkehrs in Ägypten dar und befördern etwa 800 Millionen Fahrgäste jährlich. Klimatisierte Züge bieten meist erste und zweite Klasse an. In nicht klimatisierten Zügen sind zweite und dritte Klasse üblich. Die Fahrpreise in den Pendlerzügen und in der dritten Klasse werden vom Staat als Sozialleistung subventioniert.
Die Verbindung Alexandria–Kairo–Luxor–Assuan wird täglich mit klimatisierten Schlafwagenzügen unter der Marke Abela betrieben. Diese Züge sind besonders für Touristen gedacht. Ein komfortabler Schnellzug verbindet zudem den Ramses-Bahnhof in Kairo mit Marsa Matruh (nahe der libyschen Grenze).
Die ENR betreibt auch Buslinien und Fährverbindungen, u. a. nach Abu Simbel (Bus/Fähre), nach Scharm El-Scheich, zur Oase Siwa sowie nach Hurghada.
Güterverkehr
Das von der ENR beförderte Frachtvolumen liegt bei etwa vier bis fünf Millionen Jahrestonnen. Der Sektor beschäftigt etwa 2.000 Personen, hat 270 Lokomotiven (von denen 90 einsatzfähig sind) und 5.400 einsatzfähige Güterwagen. Es ist geplant, dieses Geschäftsfeld in mehreren Stufen zu privatisieren.[12]
Traktion
Meistenteils werden Diesellokomotiven eingesetzt. Nur 63 km des Schienennetzes sind elektrifiziert, es handelt sich dabei um die S-Bahnlinien Kairo – Helwan und Kairo – Heliopolis.
Unfälle
2016 wurden 1.249 Eisenbahnunfälle verzeichnet.[13] Die schwersten Eisenbahnunfälle in Ägypten in den letzten beiden Jahrzehnten waren:
- Eisenbahnunfall von Ayyat, 2002, 383 Tote
- Eisenbahnunfall von Qaliub, 2006, 58 Tote
- Eisenbahnunfall von Manfalut, 2012, mindestens 50 Tote
- Eisenbahnunfall von Chorschid, 2017, 41 Tote
- Eisenbahnunfall in Al-Buhaira, 2018, mehr als 10 Tote[14]
- Eisenbahnunfall südlich von Kairo, 2018, 55 Verletzte[14]
- Eisenbahnunfall im Hauptbahnhof von Kairo und anschließender Brand, 2019, mindestens 25 Tote und über 47 Verletzte[14]
- Eisenbahnunfall von Tahta, 2021, 19 Tote, mindestens 185 Verletzte
Eisenbahnmuseum
Das Ägyptische Eisenbahnmuseum wurde 1933 gegründet und dokumentiert die Geschichte und Entwicklung der ENR. Es ist in einem Anbau des Kairoer Hauptbahnhofs untergebracht.
Große Bahnhöfe
Viele Linien gehen vom Ramses-Bahnhof (Kairo) oder dem Bahnhof Misr (Alexandria) aus.
Siehe auch
Literatur
- Dirk v. Harlem: Henschel-Lok, Fabriknummer 32 000, für Ägypten. In: Lok Magazin. Nr. 80. Franckh’sche Verlagshandlung, W. Keller & Co., 1976, ISSN 0458-1822, S. 391.
- Matthias Hille: Ägypten, Eisenbahn-Kurier, Heft 8/2007, Seiten 72 bis 76
Weblinks
- Offizielle Website der Ägyptischen Staatsbahnen
- Eisenbahnmuseum Kairo
- Website von haRakevet, Quartalszeitschrift über Eisenbahnen im Nahen Osten, herausgegeben von Rabbiner Walter Rothschild
- Risszeichnungen von Güterwagen der Ägyptischen Staatsbahn, 1906
- Risszeichnungen von Personenwagen der Ägyptischen Staatsbahn, um 1940
Quellenangaben
- Abdellatif El-Menawy: Cairo train horror and the scandal of neglect. In: Arab News. 1. März 2019, abgerufen am 16. Januar 2021 (englisch).
- Internationale Bezeichnung auf den Seiten der UIC (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive)
- NN: Egypt. In: HaRakevet 116 (März 2017). ISSN 0964-8763, S. 11.
- Fatma Lotfi: Deadly crash sparks calls for railway reform in Egypt (Memento vom 22. Dezember 2017 im Internet Archive). In: Al-Monitor vom 24. August 2017. Wiedergegeben in: HaRakevet 119 (2017), S. 16f.
- Egypt and Siemens finalise details for high-speed line contract. Abgerufen am 2. September 2021 (englisch).
- Großauftrag für Bahnsystem: Siemens baut in Ägypten einen „Suez-Kanal auf Schienen“. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 2. September 2021]).
- Rüdiger Köhn: Siemens liefert Pharaonen-Züge. In: faz.net. 14. Januar 2021, abgerufen am 16. Januar 2021.
- Ein Hochgeschwindigkeitszug für Ägypten In: faz.net, 21. Mai 2021, abgerufen am 29. Mai 2021.
- Kevin Smith: Egypt signs MoU with Siemens for new 250km/h rail network. In: International Railway Journal. 15. Januar 2021, abgerufen am 29. Januar 2021 (englisch).
- Großauftrag für Bahnsystem: Siemens baut in Ägypten einen „Suez-Kanal auf Schienen“. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 2. September 2021]).
- Egypt signs express electric train MoU with Siemens at cost of LE360M. In: Egypt Today. 14. Januar 2021, abgerufen am 16. Januar 2021 (englisch).
- NN: E.N.R. plans independent freight business. In: HaRakevet 118 (September 2017). ISSN 0964-8763, S. 15.
- NN: 41 Killed, 179 Injured in Egypt’s Alexandria Train Collision. In: Egyptian Streets vom 12. August 2017, abgerufen am 12. August 2017.
- tagesschau.de: Viele Tote nach Brand am Kairoer Hauptbahnhof. Abgerufen am 27. Februar 2019.