Politische Säuberung
Politische Säuberung, auch nur "Säuberung", bezeichnet die zwangsweise Ausgrenzung von Personen oder Personengruppen aus politischen Organisationen und Institutionen, insbesondere aus Parteien, Regierungen und öffentlicher Verwaltung.[1] Diese Form der „Säuberung“ kann von der Exklusion oder dem Parteiausschluss bis hin zur Tötung (Exekution, Ermordung) reichen.
In Parteien, insbesondere in undemokratischen Gesellschaftsformen, wird häufig eine aufkommende innerparteiliche Opposition mittels einer „Säuberung“ ausgegrenzt oder entfernt. Ziel ist meist der Machterhalt einer dominierenden Gruppierung. Innerhalb von autoritären und diktatorischen Regimen, insbesondere bei einer Einparteienherrschaft, kann sich diese Entfernung missliebiger Personen auch auf nachgeordnete Positionen in Staat und Gesellschaft ausdehnen und bis zum Staatsterror reichen. Eine große Rolle spielt der Begriff der „Säuberung“ innerhalb der Geschichte kommunistischer Parteien und Organisationen im 20. Jahrhundert.
Die Verwendung des Wortes Säuberung wird für die Benennung derartiger Zusammenhänge mitunter als euphemistisch empfunden, und oft als „Säuberung“ innerhalb von Anführungszeichen verwendet. Das zugrunde liegende Adjektiv „sauber“ wurde im Deutschen jedoch ursprünglich in der Bedeutung einer „sittlichen Reinheit“ gebraucht und erst später auf eine äußere Reinlichkeit übertragen.
Die folgende Aufzählung kann nur eine kleine Auswahl von historischen "Säuberungen" darstellen.
Französische Revolution
„La Terreur“ (die Schrecken[szeit]) war eine Periode der Französischen Revolution innerhalb der Jahre 1793 bis 1794, die durch die brutale Unterdrückung aller als Konterrevolutionäre Verdächtigten gekennzeichnet war. Die „Säuberungen“ wurden von einem Komitee von zwölf Männern, dem Wohlfahrtsausschuss um dessen Führer Robespierre, angeführt. Dieser fiel später selbst seiner eigenen Kampagne zum Opfer. Dies ist laut Brockhaus die erste beobachtbare Säuberung in diesem Sinne.[2]
Zeit des Nationalsozialismus
In der Zeit des Nationalsozialismus kam es in vielerlei Hinsicht zu "Säuberungen" in Partei und Staat. Mit der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar 1933 wurde die Verfolgung von politischen Gegnern legalisiert. Unmittelbar darauf wurden das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zur Ausgrenzung jüdischer und politisch missliebiger Beamter und Rechtsanwälte erlassen.
Ein weiteres Beispiel ist der sogenannte Röhm-Putsch vom 30. Juni bis 2. Juli 1934. Siehe dazu Liste der im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches getöteten Personen.
Innerhalb kommunistischer Parteien
Innerhalb kommunistischer Parteien waren „Säuberungen“ im 20. Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil zur Durchsetzung der Parteilinie, zur Integration nach innen und der Abgrenzung nach außen.[3] Diese „Säuberungen“ markieren die totalitäre/autoritäre und diktatorische Organisationsform marxistisch-leninistischer Parteien, die als eine Richtung aus dem im 19. Jahrhundert entwickelten Marxismus hervorgingen.
1920er Jahre
Die ab 1919 innerhalb der Kommunistischen Internationale (Komintern) zusammengeschlossenen Parteien definierten sich von Anfang an sehr stark als eine revolutionäre Elite, und damit als Gegenpol zu anderen Strömungen innerhalb der politischen Linken. Vermittelt über die Prinzipien des sogenannten Demokratischen Zentralismus kam es in diesen kommunistischen Parteien immer wieder zu Ausschlüssen von Personen oder Gruppen, die vermeintlich oder tatsächlich die Einheit und Reinheit der Partei in Frage stellten. Die Form der ideologischen Abweichung konnte unterschiedlich sein; der Verdacht, der Sozialdemokratie zu nahezustehen, gehörte genauso dazu wie der Vorwurf des „Zentrismus“ oder der des „Luxemburgismus“. Aber auch „Trotzkismus“, „Rechtsabweichlertum“, „Sektierertum“ und „Fraktionsbildung“ konnte angekreidet werden. Je nach Zeitumständen und Ausrichtung der Parteiführung konnten bestimmte Vorwürfe gehäuft auftreten und sich einzelne Parteiausschlüsse zu einer „Säuberungswelle“ verdichten.
Bereits auf ihrem II. Weltkongress, 1920, hatten die in der Komintern zusammengeschlossenen Parteien Lenins 21 Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale angenommen. Die Parteien waren darin verpflichtet worden, ihre Reihen regelmäßig „von den sich in sie einschleichenden kleinbürgerlichen Elementen systematisch zu säubern“. In den folgenden Jahren spielte unter der Losung der Bolschewisierung der kommunistischen Parteien vor allem der Ausschluss sozialdemokratischen Gedankengutes eine Rolle.
1930er Jahre: Stalinsche „Säuberungen“
Im Verlauf der Herrschaft Stalins erreichten diese später „Stalinsche Säuberungen“ genannten Aktivitäten einen bisher nie dagewesenen Umfang. Waren dessen „Säuberungen“ in den 1920er Jahren noch meist nur mit einem Parteiausschluss verbunden, mussten die Betroffenen im Verlauf der 1930er Jahre immer häufiger mit Verhaftung und Zwangsarbeit oder Hinrichtung rechnen. Betroffen war der Parteiapparat der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) genauso wie nahezu alle Bereiche des Staatswesens der Sowjetunion. Für deren Höhepunkt, die Jahre von 1935/1936 bis 1938, wird innerhalb der deutschsprachigen Politik- und Geschichtswissenschaft der Terminus „Große Säuberung“ (russ.: Tschistka) neben dem Begriff „Großer Terror“ verwendet. Die genaue Zahl der Opfer ist unter Historikern umstritten, die Bandbreite der Schätzungen reicht von minimal rund einer Million bis zu über 20 Millionen Toten durch Exekutionen, Lagerhaft und Verhungern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach der Befreiung Frankreichs durch die Alliierten (1944) wurden mehr als 10.000 Menschen wegen erwiesener oder vermuteter Kollaboration in wilden, außergerichtlichen „Säuberungen“ (Épuration sauvage) ermordet, teils nach Schnellprozessen (Lynchjustiz), teils nach (auch willkürlichen) Verhaftungen.
Kommissionen zur Épuration/Reinigung/Säuberung versuchten, den Polizeidienst auf sein Handeln in der Zeit des Vichy-Regimes zu überprüfen.
Nach 1945 kam es zu „Säuberungen“ im Partei- und Staatsapparat der osteuropäischen Länder, die in der Folge des Zweiten Weltkrieges von der Roten Armee besetzt wurden und damit ebenfalls Stalins Machtbereich zufielen, beispielsweise durch den Februarumsturz 1948 in der Tschechoslowakei. War diesen Staaten unter dem Begriff der Volksdemokratien zunächst ein eigenständiger Dritter Weg zum Sozialismus zugebilligt worden, so wurden diese Ende der 1940er Jahre eng den Interessen und Vorstellungen Stalins unterstellt. Hintergrund war hier auch das Ausbrechen Jugoslawiens unter Tito aus dem sowjetischen Lager, ein für den sowjetischen Diktator gefährlicher Präzedenzfall. Die Führung der moskautreuen deutschen SED erließ in diesem Zusammenhang am 29. Juli 1948 einen Beschluss über die „organisatorische Festigung der Partei und ihre Säuberung von entarteten und feindlichen Elementen“.
Türkei
Im Dezember 2013 betrieb Recep Erdoğan, von 2003 bis 2014 Ministerpräsident der Türkei, die Entlassung zahlreicher Staatsdiener, die in einer großen Korruptionsaffäre unter anderem gegen ihn ermittelten. Mehr als 3000 Polizisten wurden ohne rechtliche Grundlage entlassen, 115 Richter und Staatsanwälte wurden abgesetzt, mehrere Hundert Beamte aus dem Dienst entlassen. Summarisch hieß es, sie seien als Anhänger Fethullah Gülens (siehe auch Gülen-Bewegung) „Staatsfeinde“ und „Terroristen“. Seither begründet Erdoğan sein Vorgehen gegen Dissidenten meist mit dem Kampf gegen den „tiefen Staat“. Entlassen wurden damals (und auch später) vor allem jene, die sich nicht Erdoğans Willen beugten.[4]
Im August 2014 wurde Erdoğan zum Präsidenten der Türkei gewählt; Ahmet Davutoğlu wurde Ministerpräsident. Bei der Parlamentswahl am 1. November 2015 erhielt die AKP die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Im November 2015 leitete der „Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte“ Ermittlungen gegen 5000 Richter und Staatsanwälte ein, die angeblich Teil von Gülens „parallelem Staat“ sein sollen. Im März 2016 wurden 680 Richter und Staatsanwälte in den einstweiligen Ruhestand versetzt.[4]
2016 äußerte Davutoğlu sich kritisch zu einer Verfassungsänderung in Richtung Präsidialsystem.[5] Am 5. Mai gab Davutoğlu seinen Rückzug bekannt.
Am 16. Juli 2016, direkt nach dem Scheitern eines Putschversuchs türkischer Soldaten, kündigte Erdoğan „Säuberungen“ an.[6][7][8] Die Suspendierung von 2745 Richtern und Staatsanwälten (darunter fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte[9]) war offenbar von langer Hand geplant.[4]
Siehe auch
Literatur
- Klaus-Georg Riegel: Die innerparteilichen Säuberungskonzeptionen von Hitler und Stalin. Ein Vergleich. In: Rainer Zitelmann, Uwe Backes und Eckhard Jesse (Hrsg.): Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus. Ullstein, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-549-07407-7, S. 136–168.
Einzelnachweise
- Brockhaus-Enzyklopädie. 19. Auflage. Band 19. F. A. Brockhaus, Mannheim 1993, ISBN 3-7653-1119-7, S. 218.
- Brockhaus-Enzyklopädie. 19. Auflage. Band 19. F. A. Brockhaus, Mannheim 1993, ISBN 3-7653-1119-7, S. 218.
- Brockhaus-Enzyklopädie. 19. Auflage. Band 19. F. A. Brockhaus, Mannheim 1993, ISBN 3-7653-1119-7, S. 218.
- FAZ.net / Rainer Hermann: Wollten Putschisten Erdoğans Säuberungswelle verhindern?
- Ahmet Davutoğlu: Türkische Medien spekulieren über Davutoğlu-Rücktritt. In: Zeit Online. 4. Mai 2016, abgerufen am 25. Juni 2016.
- Nach Putschversuch: Erdogan kündigt „Säuberung“ an. (Memento vom 16. Juli 2016 im Internet Archive)
- Nach Putschversuch: Erdogan kündigt „Säuberung“ an (Memento vom 16. Juli 2016 im Internet Archive)
- In der Türkei bereits 6000 Festnahmen. Tagesspiegel.de, 17. Juli 2016
- https://www.volksstimme.de/amp/panorama/zehn-mitglieder-am-hohen-gericht-in-ankara-festgenommen-760278