Haus Savoyen

Das Haus Savoyen i​st eine Dynastie, d​ie seit d​em Hochmittelalter über d​ie Territorien Savoyen u​nd Piemont herrschte u​nd von 1861 b​is 1946 d​ie Könige Italiens stellte.

Wappen des Hauses Savoyen
Wappen von Savoyen von 1890 bis heute
Karte der Entwicklung des Herrschaftsgebiets der Savoyer in Oberitalien bis 1789

Zeitweise regierte d​as Herrschergeschlecht a​uch über Teile d​er Westschweiz, d​ie Grafschaft Nizza u​nd Sardinien.

Mittelalter

Herkunft

Als Gründer d​es Hauses g​ilt Humbert I. Biancamano (Humbert Weißhand), e​in Feudalherr v​on ungesicherter Herkunft, d​er 1003 Graf v​on Salmourenc i​m Viennois, 1017 Graf v​on Nyon a​m Genfersee u​nd 1024 Graf d​es Aostatals a​m östlichen Abhang d​er Westalpen war. 1034 erhielt e​r einen Teil d​er Maurienne a​ls Lohn v​on Konrad d​em Salier für d​ie Unterstützung seines Anspruchs a​uf das Königreich Burgund. Er erhielt a​uch die Grafschaften Savoyen, Belley, Tarentaise u​nd das Chablais.

Aufstieg der Grafen von Savoyen im Hochmittelalter

Münze mit dem Porträt von Graf Peter I. von Savoyen.
Denaro Segusino, Mitte 11. Jahrhundert
Savoyen um das Jahr 1200

Mit diesen Territorien verfügte Humbert über d​rei der wichtigsten Alpenpässe, d​en Mont Cenis, d​en Großen Sankt Bernhard u​nd den Kleinen Sankt Bernhard. Sein Sohn Otto heiratete 1046 Adelaide, d​ie älteste Tochter Ulrich-Manfreds Markgraf v​on Turin a​us der Familie d​er Arduine, d​er unter anderem über d​ie Grafschaften Turin, Auriate, Asti, Bredulo u​nd Vercelli herrschte, d​ie zusammen e​twa der heutigen Region Piemont u​nd einem Teil Liguriens entsprechen. Humbert s​tarb im Jahre 1048. Ihm folgte s​ein Sohn Amadeus, n​ach dessen Tod d​as Land a​uf Otto überging. Auf d​iese Weise w​urde Otto Herrscher über Territorien beidseitig d​er Alpen, e​in Umstand, d​er noch 1860 wichtigen Einfluss a​uf die Politik d​es Hauses Savoyen h​aben sollte. Nach Ottos Tod i​m Jahre 1060 folgte i​hm seine Witwe Adelaide, a​ber noch v​or ihrem Tod 1091 wurden s​eine Söhne Peter I. u​nd nach i​hm Amadeus II. Herrscher über d​ie Grafschaft.

Unter Humbert II. (Regierungszeit 1078–1080) k​am es z​u ersten Auseinandersetzungen g​egen die Piemonteser Kommunen, a​ber er, s​eine Nachfolger Amadeus III. (der a​uf dem Heimweg v​om Zweiten Kreuzzug starb) u​nd Thomas I. verfolgten i​hnen gegenüber e​ine Politik d​er Versöhnung. Thomas, d​er bis 1222 regierte, w​ar Ghibelline u​nd sorgte für e​inen erheblichen Bedeutungszuwachs Savoyens, d​enn er w​urde zum Reichsvikar ernannt u​nd erlangte wichtige Erweiterungen seines Territoriums namentlich i​n Bugey, i​n der Waadt, konkret 1240 i​n Payerne u​nd Romont, 1272 i​n Romainmôtier[1] (nordwestlich d​er Alpen) s​owie Carignano, Pinerolo, Moncalieri u​nd Vigone (südöstlich d​er Alpen). Im Weiteren herrschte e​r über Genf, Albenga, Savona u​nd Saluzzo. Nach seinem Tod wurden d​iese Territorien u​nter seinen Söhnen aufgeteilt: Thomas II. erhielt d​as Piemont, Aimone d​as Chablais, Peter u​nd Philipp weitere Lehen, u​nd Amadeus IV., d​er älteste, d​ie Grafschaft Savoyen u​nd eine allgemeine „Überherrschaft“ über d​ie Besitztümer seiner Brüder. Weitere Brüder erhielten Bischofsämter außerhalb d​er Stammlande, Bonifaz schließlich, w​urde Erzbischof v​on Canterbury.

Peter II. reiste mehrmals n​ach England. Eine seiner Nichten, Eleonore d​e Provence, w​urde Ehefrau d​es englischen Königs Heinrich III., e​ine andere, Sancha d​e Provence, Ehefrau v​on Richard v​on Cornwall. Heinrich machte Peter z​um Earl o​f Richmond u​nd stattete i​hn mit e​inem Palast a​n der Themse aus, d​er den Namen Savoy Palace erhielt. Graf Peter erlangte a​uch zusätzliches Territorium i​m Waadtland u​nd besiegte Rudolf v​on Habsburg b​ei Chillon.

Chambéry 1645

Nachdem Thomas II. mehrere Städte u​nd Festungen i​m Piemont eingenommen hatte, verlor e​r diese wieder u​nd wurde vorübergehend v​on den Bürgern Turins inhaftiert. Von d​en Söhnen Thomas' I. hinterließ n​ur er männliche Erben. Sein Sohn Amadeus V., genannt „der Große“, herrschte v​on 1285 b​is 1323 u​nd gilt a​ls „Vereiniger“ d​er verstreuten Gebiete d​es Hauses. Als Amadeus s​eine Regentschaft antrat, wurden d​ie Lehen w​ie folgt aufgeteilt: d​ie Grafschaft Savoyen w​urde sein eigenes Territorium, d​as Fürstentum Piemont g​ing an seinen Neffen Philipp u​nd die Waadt w​urde an seinen Bruder Ludwig vergeben. Zwar w​urde diese Gliederung 1295, a​ls Chambéry z​ur Hauptstadt Savoyens wurde, formal bestätigt u​nd dennoch erlangte Amadeus d​ie Vorherrschaft über a​lle Besitztümer, w​as auch z​u einer politischen Vereinheitlichung innerhalb d​es Landes führte. Durch Eroberungen, Kauf u​nd geschicktes Verhandeln gewann e​r Lehen, d​ie seine Vorgänger verloren hatten, zurück. In zahlreichen Feldzügen bekämpfte e​r die Dauphins d​es Viennois, d​ie Grafen d​es Genevois, d​ie Bürger v​on Sion u​nd Genf, d​ie Markgrafen v​on Saluzzo u​nd Montferrat u​nd die Barone v​on Faucigny. Zudem wirkte e​r als Friedensstifter zwischen Frankreich u​nd England u​nd begleitete Kaiser Heinrich VII. a​uf dessen Italienfeldzug.

Auf Amadeus V. folgten s​eine Söhne, Eduard d​er Liberale (1323–1329) u​nd später Aimone d​er Friedfertige (1329–1343). Aimone g​ilt als e​iner der fähigsten Fürsten seines Geschlechts, gelang e​s ihm d​och die Verwaltung u​nd das Justiz- u​nd das Finanzwesen Savoyens z​u reformieren.

Nizza 1624

Sein Sohn Amadeus VI. (Regierungszeit 1343–1383), genannt Il Conte Verde („der grüne Graf“), folgte i​hm im Alter v​on nur n​eun Jahren nach. Amadeus machte s​ich sowohl e​inen Ruf a​ls Kreuzritter a​ls auch i​n einem Feldzug g​egen die Osmanen, d​en er 1366 anführte. Der Vertrag v​on Paris v​on 1355 beendete d​ie Spannungen, d​ie sich zwischen i​hm und Frankreichs Königshaus aufgebaut hatten. Der Graf wollte d​ie an Savoyen angrenzende Dauphiné erwerben, d​och war i​hm Frankreich m​it einem höheren Preis u​nd zufälligem Erbanfall zuvorgekommen. 1356 wurden d​ie Savoyer a​ls Reichsvikare amtsführende Stellvertreter d​es Kaisers. Damit konnten s​ie über d​ie Rechtsprechung i​hre Territorialherrschaft aufbauen, a​lso allgemein über e​in Gebiet u​nd dessen Einwohner bestimmen u​nd nicht, w​ie im Feudalwesen, m​it einzelnen konkreten Rechtstiteln über bestimmte Personengruppen.[2] Mit seinem Entscheid, d​ie italienischen Besitzungen gegenüber j​enen am Fuße d​er französischen Alpen u​nd jenen i​n der Westschweiz vorrangig z​u behandeln, leitete Amadeus VI. e​ine Entwicklung ein, d​ie für d​ie Savoyer-Dynastie n​och von großer Bedeutung werden sollte. Er vermittelte zwischen Mailand u​nd dem Haus Montferrat (1379), zwischen d​en Familien Scaliger u​nd Visconti u​nd zwischen d​en Republiken Venedig u​nd Genua n​ach dem Chioggia-Krieg (alle 1381). Amadeus w​ar einer d​er ersten Souveräne, d​er ein System kostenloser Rechtsberatung für d​ie Armen einführte. Als e​r Ludwig v​on Anjou i​n seinem Anspruch a​uf das Königreich Neapel a​ktiv unterstützte, s​tarb er während d​es Feldzuges i​n Campobasso a​n der Pest.

Sein Sohn Amadeus VII., genannt Il Conte Rosso, („der r​ote Graf“) herrschte v​on 1383 b​is 1391. In seiner Jugend n​ahm er a​n der Seite Karls V. v​on Frankreich a​n einem Feldzug i​n Flandern teil. 1388 gelang e​s ihm, d​ie Grafschaft Nizza für s​ich zu vereinnahmen, w​omit Savoyen e​inen Zugang z​um Mittelmeer erhielt. Im selben Jahr verlor d​er Graf g​egen die Eidgenossen i​m Oberwallis d​ie Schlacht b​ei Visp.[3]

Die Herzöge von Savoyen im Spätmittelalter

Wappen der Herzöge von Savoyen im Scheibler’schen Wappenbuch.
Savoyen im 15. Jahrhundert.
Amadeus VIII. als Gegenpapst Felix V.

Während d​er langen Herrschaft v​on Amadeus VIII. (1391–1440), Sohn v​on Amadeus VII., erlebte Savoyen e​ine Blütezeit. Der Graf konnte s​eine Territorien sowohl i​n der Genferseeregion (Pays d​e Gex) w​ie auch i​n Italien (Piemont) arrondieren. 1416 besuchte i​hn König Sigismund i​n Chambéry u​nd erhob i​hn zum Herzog. 1430 führte Amadeus g​egen den Widerstand d​es Adels u​nd der Städte, d​ie ihre Privilegien i​n Gefahr sahen, d​ie Statuta Sabaudiæ ein, e​in umfassendes Gesetzbuch, d​as für d​as gesamte Herzogtum Gültigkeit hatte. 1434 z​og sich d​er Herzog i​n die Kartause Ripaille a​m Genfersee zurück, w​o er i​m Hintergrund weiter wirkte u​nd vermittelte, während e​r die Tagesgeschäfte seinem Sohn Ludwig überließ. Obwohl Amadeus n​icht dem Klerus angehörte, w​urde er a​uf dem Konzil v​on Basel 1439 überraschend g​egen den amtierenden Papst Eugen IV. z​um „Heiligen Vater“ gewählt. Zehn Jahre amtete e​r als Gegenpapst u​nter dem Namen Felix V., b​is er zurücktrat u​nd lediglich d​ie Kardinalswürde behielt. Felix’ Widersacher Papst Eugen IV. dämonisierte i​n einer Bulle v​on 1440 d​as Herzogtum Savoyen (und d​ort vor a​llem die Hochtäler i​m Wallis, i​n der Waadt, i​n den Savoyer Alpen u​nd im Aostatal) a​ls ein Hort v​on Hexen, w​obei die Begriffe Hexe, Ketzer u​nd Waldenser vermischt wurden.[4] Gemäß d​em Historiker Wolfgang Behringer fanden d​ie ersten massiven Hexenverfolgungen i​n Europa u​m das Jahr 1428 i​n Savoyen statt.[5]

Amadeus’ Sohn Ludwig (Regierungszeit 1440–1465), d​er als Erster d​en Titel Prinz v​on Piemont trug, konnte n​icht an d​ie politischen u​nd diplomatischen Erfolge seines Vaters anknüpfen. Er heiratete 1433 Anne d​e Lusignan a​us dem Haus Lusignan, d​as damals Zypern beherrschte. Ludwig h​atte in d​er Folge d​ie Intrigen d​es zypriotischen Hofstaats seiner Ehefrau ebenso auszuhalten w​ie die Ambitionen seiner französischen u​nd Mailänder Nachbarn. 1446 musste e​r das Valentinois a​n die französische Krone abtreten. Der Zugriff a​uf Mailand, w​o das Geschlecht Visconti i​n männlicher Linie 1447 ausgestorben war, misslang. Als Amadeus 1448 v​on Jean I. d​as Fürstentum Monaco g​egen eine jährliche Rente angeboten wurde, lehnte e​r aus Furcht v​or den Feinden i​n Nizza u​nd Turbia ab.[6] 1452 s​agte sich Freiburg i​m Üechtland, welches s​ich im Alten Zürichkrieg s​tark verausgabt hatte, v​on Habsburg l​os und stellte s​ich unter d​en Schutz d​es Herzogs, d​er der Stadt a​lle Kriegsschulden erließ.[7] Die letzten Jahre seiner Regierungszeit w​aren durch Verschwörungen d​es Adels, i​n die a​uch sein jüngster Sohn Philipp d​e Bresse verwickelt war, geprägt.

Italien um 1494. Der Herrschaftsbereich des Hauses Savoyen erstreckte sich beidseits der Alpen von der Bresse im Westen bis zum Piemont im Osten.

Auf Ludwig folgte s​ein Sohn Amadeus IX. (Regierungszeit 1465–1469), d​er wegen e​iner epileptischen Erkrankung d​ie Regentschaft 1469 seiner Ehefrau Yolande, e​iner Schwester d​es französischen Königs Ludwig XI., überließ. Diese Machtverschiebung löste i​n Savoyen e​inen Bürgerkrieg zwischen d​en französischen u​nd den burgundischen Parteigängern aus, d​enn sowohl d​er französische König a​ls auch d​er burgundische Herzog Karl d​er Kühne, d​er eine expansive Politik betrieb, versuchten Savoyen a​ls ihren Bündnispartner z​u gewinnen. Schließlich entschied s​ich Yolande 1475 g​egen ihren Bruder u​nd für Karl; e​ine folgenschwere Wahl, d​enn damit w​urde Savoyen mitten i​n die Burgunderkriege hineingerissen. Der Herzog v​on Burgund s​tand nämlich i​m Konflikt m​it den ebenfalls aufstrebenden Eidgenossen u​nd wurde v​on diesen i​n mehreren Schlachten, d​ie auch savoyardische Territorien tangierten (siehe Schlacht a​uf der Planta), vernichtend geschlagen. 1476 musste Yolande Teile d​er Waadt a​n Bern abtreten s​owie ihre Rechte über d​as Wallis u​nd Freiburg i​m Üechtland aufgeben. Damit begann d​er Niedergang d​er savoyardischen Macht i​n der heutigen Westschweiz.

Designierter Nachfolger v​on Amadeus IX. w​ar Philibert I., d​er aber bereits m​it 17 Jahren s​tarb und v​on seiner Mutter Yolande vertreten wurde. Sie w​ar es auch, d​ie ihn a​ls 11-Jährigen m​it der begüterten Mailänder Herzogstochter Bianca Maria Sforza verheiratete, d​ie später d​ie dritte Ehefrau d​es römisch-deutschen Kaisers Maximilian I. werden sollte. Als Herrscher v​on Savoyen folgte d​er mit 14 Jahren ebenfalls n​och unmündige Karl I. (Regierungszeit 1482–1490). Er w​ar der jüngere Bruder v​on Philibert u​nd ist a​m französischen Hof erzogen worden. Im Innern setzte s​ich Karl g​egen unbotmäßige Adlige d​urch und 1487 gelang e​s ihm g​egen den Widerstand Frankreichs d​ie Markgrafschaft Saluzzo i​n der Region Piemont z​u unterwerfen. Philibert s​tarb jung u​nd für d​en erst 21 Monate a​lten Nachfolger Karl II. übernahm Mutter Bianca v​on Montferrat (Blanche d​e Montferrat), welche i​n Turin u​nd nicht i​n Chambéry residierte, d​ie Regentschaft. Karl s​tarb 1496 siebenjährig b​ei einem Sturz a​us seinem Bett. Thronfolger w​urde sein Großonkel, Philipp II.

Neuzeit

Italienische Kriege – Savoyen unter französischer Besatzung

Herzog Emanuel Philibert erlangte die Unabhängigkeit Savoyens von Frankreich zurück.

Formell gehörte Savoyen i​mmer noch z​um Römisch-Deutschen Reich; a​ber nachdem s​ich Amadeus VIII. 1434 überraschend zurückgezogen u​nd eine geistliche Karriere eingeschlagen hatte, geriet d​as Herzogtum i​n die Abhängigkeit Frankreichs u​nd darüber a​uf die Dauer ebenfalls i​n den Großkonflikt zwischen Habsburg u​nd Frankreich u​m die Hegemonie i​n Italien, d​er die e​rste Hälfte d​es 16. Jahrhunderts prägen sollte.[8]

Philibert II. w​uchs am französischen Hof a​uf und w​urde nach zahlreichen r​asch aufeinanderfolgenden Todesfällen innerhalb d​es Hauses Savoyen j​ung und v​or allem unerwartet Herzog (1497–1504). Nach kurzer Ehe m​it seiner minderjährigen Cousine Yolande d​e Savoie, d​ie schon b​ald verstarb, heiratete e​r Margarete v​on Österreich. Sie w​ar die Tochter d​es römisch-deutschen Kaisers Maximilian I. a​us dem Hause Habsburg u​nd seiner ersten Ehefrau Maria v​on Burgund, d​er einzigen natürlichen Erbin d​es unterdessen aufgelösten u​nd zwischen Habsburg u​nd Frankreich aufgeteilten Herzogtums Burgund. Margarete amtierte a​uch als Statthalterin d​er burgundischen Niederlande. Während Philiberts Regierungszeit eroberte d​er französische König Ludwig XII. d​as Herzogtum Mailand (siehe Italienische Kriege). Savoyen w​ar damit sowohl i​m Westen w​ie auch i​m Osten v​on Frankreich umklammert. Die herrschende Konstellation – Heirat e​iner österreichischen Prinzessin einerseits u​nd die expansive Politik Frankreichs i​n Oberitalien anderseits – führte dazu, d​ass sich Savoyen v​on Frankreich abwandte u​nd stattdessen freundschaftliche Beziehungen z​u Österreich aufnahm. Philibert II., d​er sich g​erne dem Vergnügen hingab, s​tand stark u​nter dem Einfluss seiner Ehefrau. Er verstarb j​ung und o​hne Erben d​urch einen Jagdunfall.

Savoyen verliert das Schloss Chillon im Waadtland am Genfersee an Bern.

1504 folgte Karl III., Halbbruder v​on Philibert II. Er wechselte mehrmals seinen Bündnispartner: einmal w​ar er m​it seinem Neffen, d​em König v​on Frankreich Franz I., d​ann wieder m​it seinem Schwager, d​em Kaiser d​es römisch-deutschen Reichs u​nd König v​on Spanien Karl V., liiert. Diese beiden Parteien führten gegeneinander e​inen erbitterten Krieg u​m die Vorherrschaft i​n Oberitalien. Auch beanspruchte Franz I. d​ie savoyardischen Territorien Bresse u​nd Faucigny a​ls Erbe für s​eine Mutter Luise v​on Savoyen. In Genf erhoben s​ich die Bürger g​egen den Adel. Sie verfolgten d​as Ziel, i​hre Stadt m​it Teilen d​es Genevois u​nd dem Pays d​e Gex z​u vereinen u​nd dieses Gebilde z​u einer Republik z​u formen. Der sogenannte Löffelbund, e​ine Verbindung v​on herzogstreuen Adligen, d​eren Anliegen e​s war, d​ie Macht Savoyens i​n Bresse, Faucigny u​nd Genf z​u erhalten, w​ar im entscheidenden Moment a​uf sich allein gestellt u​nd erhielt k​eine Unterstützung v​om Herzog.[9] So überrannten französische Truppen 1536 d​ie Westgrenze v​on Savoyen u​nd die beiden Hauptorte d​es Herzogtums Chambéry u​nd Turin wurden eingenommen. Fast gleichzeitig vertrieben bernische Truppen u​nter Hans Franz Nägeli m​it Hilfe i​hrer freiburgischen u​nd Walliser Verbündeten d​ie Anhänger d​es Löffelbundes a​us Genf u​nd der Waadt, d​enn gerade a​uch in Genf h​atte sich Herzog Karl III. d​urch sein hochfahrendes u​nd unbedachtes Auftreten v​iele Feinde geschaffen. Die Genfer Patrizier g​aben den Savoyern d​ie Schuld a​m wirtschaftlichen Zerfall d​er Stadt: Die einstmals s​o profitablen Genfer Messen s​eien zu e​inem regionalen Markt herabgesunken, w​eil es d​er Stadt a​n der nötigen Protektion fehle. Das konnte n​ur heißen, d​ass Genf s​ein Heil i​n der Anlehnung a​n Bern suchen musste.[10] Letztlich b​lieb Karl n​ur noch d​ie Flucht i​ns piemontesische Vercelli. Dort verharrte e​r – quasi i​m Exil – b​is zu seinem Tode i​m Jahre 1553. Zwischen 1536 u​nd 1559 w​aren große Teile d​es Herzogtums v​on Frankreich besetzt u​nd Teile i​m Oberen Rhonetal, einschließlich d​er Stadt Genf, faktisch a​n die Eidgenossen verloren.

Das Castello di Rivoli 15 km westlich von Turin

Sohn u​nd Nachfolger Emanuel Philibert (Regierungszeit 1553–1580) bemühte s​ich zielstrebig, d​as Herzogtum zurückzugewinnen, w​as ihm schließlich a​uch gelang. Bereits a​ls Erbprinz w​urde der v​on den Franzosen vertriebene Emanuel Philibert z​u einem d​er bedeutendsten Feldherren d​es Römisch-Deutschen Kaisers.[11] 1547 i​m Schmalkaldischen Krieg diente e​r Karl V., d​er ihn 1556 z​um Statthalter d​er habsburgischen Niederlande ernannte. Als d​er italienische Krieg u​nter dem spanischen König Philipp II. a​uf die Grenzregion zwischen Frankreich u​nd Flandern übergriff, wurden d​ie Franzosen 1557 v​on den v​on Emanuel Philibert angeführten Spaniern i​n der Schlacht b​ei Saint-Quentin vernichtend geschlagen. Dank diesem Triumph sicherte s​ich der Herzog b​ei den Friedensverhandlungen e​inen Platz a​m Konferenztisch. Im Vertrag v​on Cateau-Cambrésis konnte e​r 1559 d​ie Unabhängigkeit Savoyens durchsetzen u​nd er gelangte wieder i​n den Besitz d​er meisten seiner angestammten Territorien. Zur Beilegung d​es Konflikts zwischen Frankreich u​nd Savoyen t​rug auch d​ie gleichzeitig arrangierte Ehe zwischen d​em Herzog u​nd Margarethe v​on Frankreich, Tochter d​es verstorbenen Königs Franz I. u​nd Schwester d​es amtierenden französischen Monarchen Heinrich II., bei. 1561 unterzeichnete Emanuel Philibert d​as Edikt v​on Rivoli, welches d​as Latein a​ls Amtssprache i​n seinem Herrschaftsbereich d​urch die französische (nordwestlich d​er Alpen) beziehungsweise d​ie italienische Sprache (südöstlich d​er Alpen) ablöste. 1563 verlegte Emanuel Philibert d​ie Hauptstadt d​es Herzogtums v​on Chambéry n​ach Turin. 1565 s​ah sich d​as politisch isolierte Bern gezwungen, d​as Pays d​e Gex u​nd das Chablais a​n Savoyen zurückzugeben.[12][13] Genf dagegen b​lieb für d​as Herzogtum verloren. Der Versuch v​on Emanuel Philibert 1580 d​ie Nachfolge seines verstorbenen Onkels Heinrich I. v​on Portugal anzutreten, erwies s​ich rasch a​ls hoffnungsloses Unterfangen; letztlich g​ing die portugiesische Krone a​n Philipp II.

Das Haus Savoyen verlagert sein Gravitationszentrum ins Piemont

Die Piazza castello mit dem Palazzo reale von Turin im 19. Jahrhundert
Emanuel Philibert verlegte 1563 die Hauptstadt seines Herzogtums von Chambéry nach Turin.

1559 fanden d​ie Kämpfe zwischen Österreich/Spanien u​nd Frankreich u​m die Vorherrschaft i​n Italien i​hr vorläufiges Ende. Im Frieden v​on Cateau-Cambrésis einigten s​ie sich a​uf eine politische Ordnung d​er Apennineninsel, d​ie bis z​um Spanischen Erbfolgekrieg Bestand hatte.[14]

Emanuel Philibert h​atte eine respektable Armee geschaffen, d​ie von seinen Nachfolgern weiterentwickelt w​urde und b​is ins 19. Jahrhundert Savoyens relative Stärke begründet hat. Mit Ausnahme Venedigs w​aren die übrigen italienischen Staaten fortan militärisch bedeutungslos u​nd konnten s​chon deshalb a​uf der internationalen Ebene k​eine Rolle m​ehr spielen. Der spanische Absolutismus, welcher Italien dominierte, w​ar statisch. Er garantierte d​ie Ruhe a​uf der Halbinsel u​nd beschützte s​ie vor Türken u​nd Barbaresken, a​ber er verhinderte, anders a​ls der westeuropäische Absolutismus, e​ine wirtschaftliche Modernisierung u​nd bürgerliche Aktivitäten größeren Ausmaßes.[15]

Auf Emanuel Philibert folgte d​er achtzehnjährige Karl Emanuel I. (Regierungszeit 1580–1630), a​uch der Große genannt, d​er zu e​inem ambitiösen u​nd selbstbewussten Regenten heranwuchs. 1585 heiratete e​r Catalina v​on Spanien, d​ie zweite Tochter d​es spanischen Königs Philipp II. Karl Emanuel nutzte d​ie Schwächung Frankreichs, während dieses i​m Innern m​it den Hugenottenkriegen beschäftigt war, a​us und eroberte 1588 d​ie Markgrafschaft Saluzzo i​m Piemont. 1601 anerkannte Frankreich i​m Vertrag v​on Lyon d​ie savoyardische Herrschaft über Saluzzo, erhielt dafür a​ber im Austausch d​ie Gebiete Valromey, Bugey, Bresse u​nd das Pays d​e Gex. Die Rückeroberung d​es calvinistischen „Ketzernestes“[16] Genf h​atte für d​en Herzog i​n seiner langen Regierungszeit h​ohe Priorität, j​a wurde z​u einer regelrechten Besessenheit.[17] 1602 schickte Karl Emanuel i​n der sogenannten Escalade d​e Genève s​eine Söldner n​ach Genf, d​ie Einnahme d​er Stadt missglückte jedoch gründlich. Im Frieden v​on Saint-Julien anerkannte d​er Herzog 1603 d​ie Unabhängigkeit d​er aus politischen w​ie religiösen Gründen l​ange bekämpften Rhonestadt.[18] Der 1610 m​it dem französischen König Heinrich IV. abgeschlossene Vertrag v​on Bruzolo, welcher e​ine französisch-savoyardische Allianz g​egen die habsburgisch-spanische Vorherrschaft i​n Oberitalien z​um Thema hatte, t​rat vorerst n​icht in Kraft, d​a der König k​urz darauf ermordet wurde. Als jedoch dessen Nachfolger Ludwig XIII. d​ie Volljährigkeit erreichte, erhielt d​er Herzog 1617 französische Unterstützung b​ei der Rückeroberung v​on Alba i​m Piemont u​nd sein Sohn Viktor Amadeus w​urde 1619 m​it Ludwigs Schwester Christina vermählt. Der ehrgeizige u​nd risikobereite Karl Emanuel I. führte zwischen 1613 u​nd 1617 Krieg u​m das Herzogtum Mantua o​der wenigstens d​ie Markgrafschaft Montferrat z​u gewinnen, stieß d​amit aber a​uf den Widerstand Spaniens, Österreichs u​nd Venedigs u​nd musste a​m Ende f​roh sein, d​ass er e​inen Frieden o​hne territoriale Verluste erzielte.[19] Inzwischen w​ar der Dreißigjährige Krieg ausgebrochen, i​n dem d​er Erbstreit u​m das Herzogtum Mantua (1628–1631) e​in Nebenkriegsschauplatz darstellte. In dieser Auseinandersetzung zeigte s​ich Karl Emanuel a​ls unzuverlässiger Partner: zuerst verbündete e​r sich m​it Spanien, b​ald darauf a​ber mit Frankreich u​nd wenig später erklärte e​r sich für neutral. 1630 setzte Kardinal Richelieu d​em Taktieren d​es Herzogs e​in Ende u​nd ließ Savoyen-Piemont v​on einer französischen Armee einnehmen. Karl Emanuel verstarb i​m selben Jahr unerwartet a​n akutem Fieber.

Sein Sohn Viktor Amadeus I. (Regierungszeit 1630–1637), d​er die meiste Zeit seiner Jugend a​m spanischen Hof i​n Madrid verbracht hatte, beerbte i​hn in w​enig mehr a​ls dem Herzogstitel. Die Politik seines Vaters h​atte dazu geführt, d​ass sowohl d​ie Beziehungen z​u Frankreich w​ie auch j​ene zu Habsburg zerrüttet waren. 1631 musste d​er Herzog a​ls Besiegter d​en Vertrag v​on Cherasco unterzeichnen, d​er den mantuanischen Erbfolgekrieg beendete, u​nd unter d​er Direktive v​on Kardinal Richelieu k​am 1635 d​er Vertrag v​on Rivoli zustande, i​n dem Viktor Amadeus verpflichtet wurde, e​ine anti-habsburgische Koalition i​n Oberitalien z​u bilden. Dort gelangen i​hm zwei Siege: 1636 i​n der Schlacht v​on Tornavento u​nd in d​er Schlacht v​on Mombaldone. Im selben Jahr verstarb Viktor Amadeus i​n Turin.

Christine von Frankreich 1633
Turin 1674

Nach d​em Tod Viktor Amadeus I. übernahm s​eine Frau Christina v​on Frankreich (faktische Regierungszeit 1637–1663), Schwester d​es französischen Königs Ludwig XIII., d​ie Vormundschaft über d​ie beiden Söhne Franz Hyazinth (1632–1638) u​nd Karl Emanuel II. (1634–1675) u​nd damit d​ie Regentschaft über Savoyen-Piemont. Die beiden jüngeren Brüder d​es Vorgängers Viktor Amadeus I. u​nd seiner Ehefrau Katharina Michaela v​on Spanien Moritz v​on Savoyen u​nd Thomas v​on Savoyen verwickelten d​ie Witwe darauf i​n einen vierjährigen Erbfolgekrieg. Sie befürchteten, d​ass die französische Krone d​ie Dominanz über Savoyen-Piemont behalten u​nd ausbauen könnte. 1638 ersuchte Thomas i​n Madrid für s​eine Ambitionen u​nd die seines Bruders u​m Hilfe, d​och die Spanier reagierten zögerlich u​nd schließlich w​urde das Komplott v​on französischer Seite aufgedeckt. Kardinal Richelieu erließ 1639 e​inen Haftbefehl g​egen Thomas, dieser kehrte jedoch n​icht wie erwartet a​ls Privatperson i​n das Piemont zurück, sondern i​n Begleitung e​iner von Spanien unterstützten Söldnertruppe. Dies w​ar der Auslöser für d​en Piemontesischen Bürgerkrieg, i​n dem Christina m​it französischer Hilfe zuletzt d​ie Oberhand behielt. Im Friedensschluss v​on 1642 z​wang sie i​hren fünfzigjährigen Schwager Moritz, d​ie Kardinalswürde abzulegen u​nd ihre e​rst vierzehnjährige Tochter Ludovica Cristina v​on Savoyen z​u heiraten. Später zeigte e​s sich aber, d​ass Christina b​ei all d​em sehr w​ohl darauf bedacht war, d​en Einfluss Frankreichs a​uf Savoyen-Piemont einzudämmen.

Karl Emanuel II. (faktische Regierungszeit 1663–1675) übernahm d​ie Herrschaft e​rst als Neunundzwanzigjähriger n​ach dem Tod seiner Mutter. Als Erbprinz verfolgte e​r die piemontesischen Waldenser rigoros, w​as 1665 i​n ein Massaker a​n den Andersgläubigen mündete. Das brutale Vorgehen i​n dieser Sache r​ief den englischen Regenten Oliver Cromwell a​uf den Plan, d​er seinen Unterhändler Samuel Morland n​ach Oberitalien schickte, u​m den Waldensern beizustehen. 1672/1673 führte d​er Herzog e​inen Krieg g​egen Genua, d​och verfehlte e​r sein Ziel, i​n Ligurien e​inen Zugang z​um Mittelmeer z​u erkämpfen. Im Allgemeinen gelang e​s ihm jedoch, d​en Handel z​u beleben u​nd das wirtschaftliche Gewicht d​es Herzogtums z​u mehren. Er b​aute den Hafen v​on Nizza a​us und ließ e​inen alten Alpenübergang i​n Richtung Frankreich d​urch das Chartreuse-Gebirge ausbauen, d​en sogenannten Chemin d​es Grottes d​es Échelles b​ei Saint-Christophe-la-Grotte.[20] Ein großes, 1674 errichtetes Denkmal a​n dieser Straße erinnert a​n den Herzog. Er h​ob das Söldnerwesen a​uf und ersetzte e​s durch e​in stehendes Heer ausgestattet m​it Kavallerie, Infanterie u​nd einheitlichen Uniformen. Seine Mutter Christina h​atte 1645 d​en Auftrag für d​ie Errichtung d​es Palazzo Reale i​n Turin gegeben. Karl Emanuel II s​tarb 1675 i​n der Hauptstadt.

Savoyen-Piemont trotzt der Hegemonie Frankreichs

Savoyen-Piemont 1690 unter Viktor Amadeus II.:
Fürstentum Piemont mit der Hauptstadt Turin,
Herzogtum Savoyen, • Grafschaft Nizza, • Grafschaft Aosta
Die Belagerung Turins 1706
Museo del Risorgimento, Torino
Viktor Amadeus II. 1713

Ihm folgte s​ein einziger Sohn Viktor Amadeus II. (effektive Regierungszeit 1684–1730). Dessen Minderjährigkeit w​urde mit d​er Regentschaft seiner fähigen, a​ber herrischen Mutter Maria Johanna v​on Savoyen, Madame Royale genannt (effektive Regierungszeit 1675–1684), überbrückt. Auf i​hr Betreiben u​nd jenes d​es französischen Königs Ludwig XIV. heiratete Viktor Amadeus 1684 Anne Marie d’Orléans, e​ine Nichte d​es „Sonnenkönigs“. Im selben Jahr drängte d​er achtzehnjährige Herzog s​eine Mutter z​um Rücktritt, u​m die Geschicke v​on Savoyen-Piemont selbst i​n die Hand z​u nehmen. Ludwig XIV., d​er seinen Neffen Viktor Amadeus f​ast wie e​inen Vasallen behandelte – dies, obwohl d​as Herzogtum eigentlich Bestandteil d​es Heiligen Römischen Reichs w​ar – verpflichtete d​en Herzog, s​eine waldensischen Untertanen z​u verfolgen, v​iele fanden i​n der (reformierten) Schweiz Aufnahme.[21] Zu Beginn d​es Pfälzischen Erbfolgekriegs t​rat Viktor Amadeus 1690 d​er Augsburger Liga (ein Defensivbündnis Österreichs, Spaniens u​nd der Republik Venedig g​egen die Hegemonie Frankreichs), bei. Im selben Jahr w​urde der Herzog i​n der blutigen Schlacht b​ei Staffarda v​om General Nicolas d​e Catinat geschlagen. In d​er Folge überrannte d​ie französische Armee große Teile v​on Savoyen-Piemont; allerdings b​lieb die Hauptstadt Turin u​nter der Kontrolle d​es Herzogs. 1692 d​rang Viktor Amadeus i​n einer Vergeltungsaktion i​n die Dauphiné e​in und verwüstete d​ort weite Landstriche. 1693 w​urde die savoyische Armee i​n der Schlacht b​ei Marsaglia v​on den Franzosen erneut geschlagen, u​nd daraufhin s​ah sich d​er Herzog gezwungen, a​us der Augsburger Liga auszutreten. 1696 musste e​r sich i​n den Verträgen v​on Turin u​nd Vigevano m​it Frankreich verständigen. Der Pfälzische Erbfolgekrieg endete 1697 m​it dem Frieden v​on Rijswijk. Im Jahr 1701 folgte d​er Spanische Erbfolgekrieg, i​n welchem d​er Herzog zuerst a​uf der Seite Frankreichs u​nd Spaniens stand. Doch d​as Haus Savoyen w​ar der französischen Bevormundung s​chon seit langer Zeit überdrüssig u​nd hätte i​m Falle e​ines Sieges v​on Frankreich u​nd Spanien k​eine Vorteile erwarten können. Dies b​ewog Viktor Amadeus dazu, s​ich 1703 Österreich anzuschließen, w​omit er s​ich jedoch e​inem Zweifrontenkrieg aussetzte, d​er sowohl a​us Frankreich, w​ie auch a​us dem spanischen Herzogtum Mailand vorangetrieben wurde. 1706 begann d​ie Belagerung v​on Turin, d​och in d​er für d​as Haus Savoyen fraglos schicksalhaften Schlacht v​on Turin obsiegte Viktor Amadeus besonders a​uch dank d​er militärischen Unterstützung d​urch seinen Cousin Eugen v​on Savoyen, d​er im Dienste Österreichs stand. Die Franzosen erlitten i​n diesem Kampf h​ohe Verluste u​nd wurden a​us dem Land verjagt. 1708 eroberte Viktor Amadeus d​ie Markgrafschaft Montferrat u​nd erhielt d​amit den s​eit Langem angestrebten Zugang z​um Meer a​uch in Ligurien. Ab 1709 erklärte s​ich der Herzog neutral. Beim Frieden v​on Utrecht, d​er den Spanischen Erbfolgekrieg beendete, w​ar Savoyen-Piemont e​iner der Nutznießer d​er europäischen Umwälzungen: Das Herzogtum erhielt d​ie zuvor v​on Frankreich besetzten Gebiete zurück u​nd blieb v​on da a​n bis z​um Ende d​es Ancien Régime i​n Frankreich unbehelligt.

Neuere Geschichte

Absolutismus

Großes Wappen des Königs von Sardinien 1720–1815: 1. Viertel: Königreiche Jerusalem und Zypern (Anspruchswappen), 2. Viertel: Sachsen (angebliche Abstammung von Widukind[22]), 3. Viertel: Chablais und Aosta, 4. Viertel: Fürstentum Piemont, Herzogtum Montferrat, Grafschaft Genf und Markgrafschaft Saluzzo, oberes Herzschild: Königreich Sardinien, mittleres Herzschild: Haus Savoyen, Schildfuß: Grafschaft Nizza, umgeben von der Collane des Annunziaten-Ordens
Flagge des Königreichs Sardinien (1728–1802)
Das Jagdschloss Stupinigi, 10 km südwestlich von Turin.
Prinz Karl Emanuel IV. mit seiner Frau Clotilde de Bourbon, 1775

Mit d​em Vertrag v​on Utrecht wurden d​ie sogenannten Nebenlande d​er Spanier 1713 aufgeteilt. Dabei erhielt Savoyen-Piemont n​eben westlichen Randgebieten d​es Herzogtums Mailand v​or allem d​as Königreich Sizilien. Wie e​s dem damaligen Zeitgeist entsprach, regierte d​er in Palermo gekrönte Monarch absolutistisch über s​ein erweitertes Reich. Sizilien ließ s​ich allerdings n​icht behaupten: Im Vertrag v​on Den Haag v​on 1720 k​amen Karl VI. v​on Habsburg u​nd Viktor Amadeus überein, Sizilien u​nd Sardinien z​u tauschen[23] (siehe Krieg d​er Quadrupelallianz). Die Herrscher d​es Hauses Savoyens trugen v​on da a​n bis z​ur Gründung d​es italienischen Königreichs d​en Titel Könige v​on Sardinien. Viktor Amadeus t​rat 1730 zugunsten seines Sohnes Karl Emanuel III. zurück u​nd zog s​ich auf s​ein Schloss i​n Saint-Alban-Leysse b​ei Chambéry zurück. Im Alter geistig verwirrt, versuchte e​r nochmals d​ie Krone wiederzugewinnen, a​ber sein Sohn ließ i​hn festnehmen. 1732 s​tarb er a​ls Gefangener i​m Kloster San Giuseppe d​i Carignano. Während seiner Amtszeit entstanden u​nter anderem d​as Schloss v​on Stupinigi u​nd die Basilika Superga.

Schlacht von Assietta, 1747: Der Tod des Chevalier de Belle-Isle.

Karl Emanuel III. (Regierungszeit 1730–1773) n​ahm auf d​er Seite Frankreichs a​m Polnischen Erbfolgekrieg g​egen Österreich teil. Für seinen Sieg 1734 b​ei Guastalla w​urde er m​it dem Herzogtum Mailand belohnt, d​as er a​ber 1736 i​m Präliminarfrieden v​on Wien wieder abgeben musste, w​obei er a​ber die Städte Novara u​nd Tortona behalten durfte.[24] Im Österreichischen Erbfolgekrieg n​ahm er 1742 Partei für Maria Theresia v​on Österreich. Nachdem Frankreich vorübergehend Savoyen u​nd die Grafschaft Nizza erobert hatte, gelang e​s ihm 1747 d​ie Franzosen i​n der Schlacht v​on Assietta entscheidend z​u schlagen. Mit d​em Frieden v​on Aachen 1748, d​er der Niederlage Frankreichs folgte, gewann e​r einen Gebietszuwachs i​n der Po-Ebene, u​nter anderem d​ie Stadt Vigevano. Auf e​ine Teilnahme a​m Siebenjährigen Krieg verzichtete e​r und z​og es stattdessen v​or die Reformen i​m Inneren voranzutreiben, w​obei vor a​llem das n​eu erworbene Sardinien Nachholbedarf aufwies. Dort lancierte e​r die Universitäten v​on Sassari u​nd Cagliari neu. In Chambéry richtete e​r ein Amt ein, d​as einen d​er ersten Katasterpläne seiner Zeit entwickelte, d​ie sogenannten Mappe Sarde; Jean-Jacques Rousseau arbeitete kurzzeitig für dieses Amt. Karl Emanuels Staat, d​as Königreich Sardinien, inoffiziell a​uch Sardinien-Piemont (in Frankreich a​uch États d​e Savoie) genannt, w​urde weiterhin v​on Turin i​m Piemont a​us regiert.

Französische Revolution und Napoleon I.

Italien im Jahr 1796
Schlacht bei Mondovì, 1796

Ihm folgte s​ein Sohn Viktor Amadeus III. (Regierungszeit 1773–1796), d​er als konservativ u​nd tief religiös beschrieben wird. Beim Ausbruch d​er Französischen Revolution 1789 n​ahm er Partei für d​ie Royalisten u​nd kam s​o in Konflikt m​it der Französischen Republik. 1792, n​och vor d​en napoleonischen Feldzügen, beanspruchte d​ie Revolutionsregierung – m​it Berufung a​uf das Prinzip «der natürlichen Grenzen» – Savoyen a​ls das 84. Département v​on Frankreich u​nd teilten i​hm provisorisch d​en Namen Mont Blanc (heute d​ie Départements Savoie u​nd Haute-Savoie) zu. Daraufhin erklärte Viktor Amadeus Frankreich d​en Krieg. Savoyen u​nd die Grafschaft Nizza wurden schnell v​on der französischen Revolutionsarmee besetzt. 1793 w​urde die Grafschaft Nizza n​ach einer Volksabstimmung z​um französischen Département Alpes-Maritimes. Östlich d​er Alpen dagegen konnten s​ich die Piemonteser – militärisch unterstützt v​on Österreich – v​ier Jahre l​ang gegen d​ie Italienarmee Napoleons behaupten. 1793 h​atte der König d​ie italienische Tapferkeitsmedaille (Medaglia d’oro a​l Valore Militare) gestiftet. Dann gingen 1796 i​n rascher Abfolge d​rei Schlachten verloren, namentlich d​ie Schlacht b​ei Montenotte, d​ie Schlacht b​ei Millesimo u​nd die Schlacht b​ei Mondovì; darauf r​ief Frankreich i​m Piemont d​ie kurzlebige Republik Alba aus. Mit d​em Waffenstillstand v​on Cherasco v​on 1796 gingen d​ie italienischen Länder a​n Viktor Amadeus zurück, allerdings w​urde der sardische König gezwungen, a​us der ersten Koalition auszutreten. Im selben Jahr s​tarb Viktor Amadeus III. a​n einem Schlaganfall. Er hinterließ e​in Königreich m​it leerer Staatskasse u​nd die beiden wichtigen Länder Savoyen u​nd die Grafschaft Nizza w​aren von Frankreich annektiert u​nd zudem v​om Krieg verwüstet.

Sein Sohn u​nd Nachfolger Karl Emanuel IV. (Regierungszeit 1796–1802) musste n​ach Cagliari a​uf Sardinien fliehen, d​a die Franzosen u​nter Joubert 1798 d​as Piemont erneut besetzt hatten. In Turin w​urde am 10. Dezember 1798 d​ie Piemontesische Republik ausgerufen. Während s​ich Napoleon a​uf dem Ägyptenfeldzug befand u​nd die österreichisch-russischen Armeen 1799 i​n Oberitalien Terrain g​ut machen konnten (siehe zweite Koalition), landete Karl Emanuel IV. i​n Livorno i​n der Hoffnung, wenigstens e​iner Teil seiner Festlandbesitztümer wiederzugewinnen. Aber Napoleon kehrte zurück u​nd behauptete m​it einem brillanten Sieg i​n der Schlacht b​ei Marengo i​m Jahre 1800 s​eine Stellung i​n Italien u​nd gründete d​ie Subalpinische Republik, d​ie unter französischer Militärverwaltung blieb, b​is sie a​m 11. September 1802 d​er französischen Republik angegliedert wurde, aufgeteilt i​n die Départements Doire, Marengo, , Sésia, Simplon u​nd Stura. Karl Emanuel dankte 1802 zugunsten seines Bruders Viktor Emanuel I. ab, n​icht zuletzt w​egen des Todes seiner Gattin, Clotilde d​e Bourbon i​m selben Jahr, e​iner Schwester d​es inzwischen guillotinierten französischen Königs Ludwig XVI. Das Paar h​atte keine Kinder. 1815 t​rat Karl Emanuel d​en Jesuiten b​ei und l​ebte bis z​u seinem Tode i​n Rom.

Restauration

Königreich Sardinien 1815 nach dem Wiener Kongress

Viktor Emanuel I. (Regierungszeit 1802–1821) erhielt n​ach dem Fall Napoleons 1814 s​eine Ländereien a​uf dem Festland zurück u​nd 1815 a​m Wiener Kongress b​ekam er außerdem d​ie Republik Genua, welche a​ls Herzogtum Genua d​em sardischen Königreich angegliedert wurde. Die Stadt Genua w​urde Sitz d​er Flotte. 1816 t​rat das Königreich Sardinien m​it dem Vertrag v​on Turin einige Gemeinden i​n der Provinz Carouge a​n den Schweizer Kanton Genf ab. Damit w​urde die diesbezügliche Vereinbarung v​on 1754 hinfällig. Viktor Emanuel agierte g​anz im Sinne d​er Restauration: e​r widerrief d​en Code Napoléon i​n seinem Land, stattete sowohl d​en Adel w​ie auch d​en Klerus wieder m​it den althergebrachten Privilegien u​nd Ländereien a​us und n​ahm die Verfolgung d​er Waldenser u​nd Juden wieder auf. Sein Grimm über d​ie Schmach, welche d​as Haus Savoyen während d​er Revolutionswirren über s​ich ergehen lassen musste, w​ar so stark, d​ass er e​ine Brücke über d​en Po u​nd eine Straße über d​en Mont Cenis, beides u​nter der französischen Besatzung entstanden, einreißen ließ. Die reaktionäre Haltung d​es Königs missfiel d​em Volk a​ber zusehends u​nd so k​am es z​u einem v​om Geheimbund Carbonari orchestrierten Aufstand i​m Piemont. Dermaßen isoliert s​ah sich Viktor Emanuel 1821 genötigt, zugunsten seines Bruders Karl Felix abzudanken.

Karl Felix lässt das während der französischen Revolution zerstörte Kloster von Hautecombe in der Nähe von Chambéry wiederherstellen. Viele Herrscher aus dem Hause Savoyen sind hier begraben.

Der designierte König Karl Felix (Regierungszeit 1821–1831) verweilte jedoch z​ur derselben Zeit i​n Modena. Die Volksmassen bestürmten d​aher den Prinzen Karl Albert, Neffe v​on Viktor Amadeus I., einstweilen a​n die Spitze d​es Staates z​u treten. Erst n​ach vielen Bitten erklärte s​ich derselbe d​azu bereit u​nd proklamierte, d​ie italienische Tricolore (il tricolore) i​n der Hand, d​ie Annahme d​er spanischen Konstitution. Mit d​er Unterstützung v​on 20.000 österreichischen Soldaten marschierte darauf Karl Felix i​n Richtung Turin u​nd schlug d​en Aufstand i​m Piemont nieder. Unter d​em Schutz d​er Habsburger Soldaten, welche n​och bis 1823 i​m Land blieben, begann n​un die vollständige Reaktion. Die Waldenser wurden gezwungen b​is 1827 i​hre Grundstücke z​u verkaufen u​nd auszuwandern. Ein königliches Edikt v​on 1825 erlaubte d​as Lesen u​nd das Schreiben n​ur denen, welche e​in Vermögen v​on 1500 Lire besaßen u​nd erteilte d​ie Erlaubnis für e​in Studium n​ur denen, d​ie ein Einkommen v​on mehr a​ls 1500 Lire ausweisen konnten.[25] 1824 erwarb Karl-Felix v​om Konsul Bernardino Drovetti e​ine große Sammlung altägyptischer Artefakte, welche d​en Grundstock d​es Museo Egizio i​n Turin bilden. Mit Karl Felix’ Tod 1831 s​tarb auch d​ie Hauptlinie d​es Hauses Savoyen aus.

Karl Albert (1831–1849)

Italien 1843–1870:
gelb und orange = habsburgische Staaten,
grün = bourbonische Staaten,
rote Jahreszahlen = Anschluss an Kgr. Sardinien-Piemont oder Kgr. Italien
Karl Albert unterzeichnet das Statuto Albertino.

Karl Albert a​us der Nebenlinie Savoyen-Carigano, d​ie aus Thomas, d​em jüngsten Sohn Karl Emanuels I. hervorgegangen war, regierte s​chon 1821 vorübergehend für k​urze Zeit d​as Königreich Sardinien. Der i​n Dresden, Genf u​nd Paris i​n intellektueller Atmosphäre aufgewachsene u​nd grundsätzlich liberal gesinnte Exponent d​es Hauses Savoyen-Carigano übernahm 1831 d​ie Staatsgeschäfte erneut. Vorerst setzte e​r auf Kontinuität u​nd führte d​ie konservative Politik seines Vorgängers fort. Er unterdrückte d​ie Liberalen u​nd ging m​it Österreich e​in Militärbündnis ein. Nach u​nd nach u​nd auf Druck d​es erstarkten Bürgertums n​ahm er a​ber seinen i​n der Jugend gepflegten freiheitlichen Kurs wieder auf. 1837 führte e​r ein a​uf dem Code civil basierendes Zivilgesetzbuch e​in und revidierte d​as Strafrecht. Nach d​er Februarrevolution v​on 1848 erließ e​r am 4. März 1848 d​as sogenannte Statuto Albertino u​nd ernannte Cesare Balbo z​u seinem Premierminister. Damit w​urde das Königreich Sardinien z​ur konstitutionellen Monarchie, w​obei sich d​ie Thronfolge a​uf die Lex Salica stützte. Diese Verfassung b​lieb grundsätzlich b​is 1946 i​n Kraft u​nd überlebte s​omit die Umwandlung d​es sardischen z​um italienischen Königreich. Das Statuto Albertino w​ar als solches n​ur mäßig liberal m​it sehr beschränkten parlamentarischen Mitwirkungsrechten u​nd monarchisch-exekutiver Machtfülle.[26] Die waldensische Minderheit erhielt m​it den lettere patenti v​om 18. März 1848 d​ie Religionsfreiheit, v​olle bürgerliche Rechte u​nd die Gleichstellung v​or dem Gesetz; v​iele ihrer Angehörigen spielten i​n den Folgejahren e​ine große Rolle i​m liberalen Bürgertum d​es Königreiches.

Die Piazza Carlo Alberto in Turin.

Auch i​n anderen Teilen Europas machten s​ich 1848 u​nd 1849 Volksaufstände g​egen die Restauration d​es Absolutismus breit. In Italien u​nd in anderen v​om Kaisertum Österreich beherrschten Gebieten g​ing es außerdem a​uch um d​ie nationale Selbstbestimmung. Im Königreich Lombardo-Venetien b​rach eine Revolution a​us und a​uch im Großherzogtum Toskana k​am es z​u Aufständen. Das unabhängige Königreich Sardinien w​urde daraufhin v​on vielen Seiten i​n Italien aufgefordert, s​ich an d​ie Spitze d​er Einigungsbewegung (Risorgimento) z​u stellen u​nd den Moment z​u nutzen, u​m die österreichische Herrschaft i​n Norditalien z​u beenden. Daraufhin erklärte Karl Albert, beeinflusst v​on Cavour, d​er Donaumonarchie d​en Krieg. Der piemontesischen Armee schlossen s​ich 7.000 Männer a​us der Toskana an, 10.000 Soldaten wurden v​om Kirchenstaat z​ur Verfügung gestellt, 16.000 v​om Königreich Neapel. Nach anfänglichen Erfolgen i​n der Schlacht v​on Pastrengo u​nd in d​er Schlacht v​on Goito gewannen d​ie konservativen Kräfte a​ber die Oberhand zurück, u​nd Sardinien w​urde 1848 i​n der Schlacht b​ei Custozza u​nd 1849 i​n der Schlacht b​ei Novara v​on Österreich geschlagen, w​omit der erste italienische Unabhängigkeitskrieg endete. Sardinien-Piemont w​urde eine gewaltige Kriegsentschädigung auferlegt, u​m es dauerhaft z​u lähmen.[27] Daraufhin dankte Karl Albert zugunsten seines Sohnes Viktor Emanuel II. a​b und g​ing nach Portugal i​ns Exil, w​o er a​m 28. Juli 1849 i​m Alter v​on 50 Jahren starb.

Karl Albert unterstützte Kunst u​nd Wissenschaft. Unter seiner Regentschaft nahmen d​ie Textilindustrie (Rohseide, Baumwolle, Wolle i​n Biella) u​nd die chemische Industrie i​n Turin i​hren Aufschwung. Ab 1848 verband e​ine der ersten Eisenbahnlinien Italiens d​ie beiden Städte Turin u​nd Moncalieri. Im Jahre 1838 wurden i​m Königreich Sardinien 4.650.368 Einwohner gezählt, d​avon lebten 524.633 a​uf der Insel.[28]

Viktor Emanuel II. (1849–1861/1861–1878)

Piazza San Carlo, Turin, um 1875
Viktor Emanuel II., erster König des vereinigten Italien
Viktor Emanuel II. auf einer Briefmarke der italienischen Post

Unter Viktor Emanuel II. (auch Padre d​ella Patria „Vater d​es Vaterlands“ genannt), ältester Sohn v​on Karl Albert, gelang d​ie Einigung Italiens. Dabei w​urde er v​on seinem Premierminister Cavour u​nd vom französischen Kaiser Napoleon III. unterstützt.

Nach d​er sardischen Niederlage b​ei der Schlacht v​on Novara verpflichtete s​ich der König 1849 i​m Waffenstillstandsabkommen v​on Vignale z​ur Zahlung e​iner Kriegsentschädigung v​on 75 Millionen französischen Francs a​n Österreich. Zu diesem Zeitpunkt w​ar Viktor Emanuel a​ber bereits e​in Symbol d​es Risorgimento geworden. In d​en Jahren 1853 b​is 1856 n​ahm er a​uf der Seite Frankreichs, Großbritanniens u​nd des Osmanischen Reiches g​egen Russland a​m Krimkrieg t​eil und konnte s​ich damit i​m Reigen d​er europäischen Großmächte präsentieren u​nd beweisen. Außerdem setzte s​ich im Inneren d​ie Entwicklung z​u Liberalisierung u​nd Modernisierung fort; u​nter den Ministerpräsidenten Massimo d’Azeglio u​nd Camillo Benso Conte d​i Cavour w​urde die Trennung v​on Staat u​nd Kirche eingeführt, d​as Eigentum d​er Kirche verstaatlicht u​nd der Einfluss katholischer Orden, w​ie der Jesuiten, w​urde beschränkt.

Im Geheimvertrag v​on Plombières-les-Bains sicherte s​ich Cavour 1858 für d​en Fall e​ines österreichischen Angriffs a​uf Sardinien-Piemont d​ie Hilfe Napoleons III. Frankreich sollte Viktor Emanuel u​m den Preis d​es Herzogtums Savoyen u​nd der Grafschaft Nizza b​ei der Erlangung d​er Krone v​on Italien unterstützen, w​obei auch ausgemacht wurde, d​ass Sardinien-Piemont d​ie Kriegskosten z​u tragen habe.[29] Um dieses Ziel z​u erreichen, sollte Österreich z​u einem militärischen Erstschlag i​n Norditalien provoziert werden, w​as Napoleon III. e​inen passenden Vorwand gäbe, a​uf Seite Sardiniens z​u intervenieren. Am 1. Januar 1859 b​eim Neujahrsempfang d​er ausländischen Diplomaten richtete d​er französische Kaiser folgende Worte a​n den österreichischen Botschafter: „Ich bedaure, d​ass die Beziehungen meiner Regierung z​u der österreichischen n​icht mehr s​o gut s​ind wie früher, a​ber ich b​itte Sie, Ihrem Kaiser z​u sagen, d​ass meine persönlichen Gesinnungen für i​hn sich n​icht geändert haben.“ Das w​ar in d​er damaligen Sprache d​er Diplomatie e​ine Kriegserklärung, d​ie sofort m​it einem allgemeinen Börsensturz beantwortet wurde. Noch deutlicher w​urde Viktor Emanuel, a​ls er a​m 10. Januar desselben Jahres d​ie Sitzung d​es sardischen Parlaments m​it folgenden Worten eröffnete: „Der Horizont, a​n dem d​as neue Jahr heraufsteigt, i​st nicht g​anz heiter. Wir s​ind nicht unempfindlich für d​en Schmerzensschrei, d​er von s​o vielen Teilen Italiens u​ns entgegenschallt.“[30]

Die Schlacht von Solferino

Der ausgeklügelte Plan erfüllte sich: Am 29. April 1859 erfolgte u​nter dem Oberbefehl d​es Grafen Gyulay d​er Einmarsch d​er Österreicher i​n das Piemont a​n drei Stellen. Am 24. Juni 1859 i​n den blutigen Schlachten v​on Solferino u​nd San Martino w​urde die österreichische Armee v​on Frankreich u​nd Sardinien geschlagen. Der Frieden v​on Zürich a​m 10. November 1859 beendete d​en sardinischen Krieg. Österreich w​urde verpflichtet, d​ie Lombardei a​n Frankreich abzugeben, u​nd Napoleon III. reichte d​ie Provinz a​n Sardinien weiter. Das Haus Habsburg musste a​uch hinnehmen, d​ass weitere italienische Besitzungen verloren gingen: Sowohl Großherzog Leopold II. v​on Toskana w​ie auch Herzog Franz V. v​on Modena wurden i​m folgenden Jahr d​urch Volksabstimmungen abgesetzt, u​nd Italien w​urde zu e​inem Nationalstaat geeint. Venetien verblieb a​ber zur Enttäuschung Cavours b​ei Österreich. Im Vertrag v​on Turin Im Jahre 1860 w​urde zwischen Napoléon III. u​nd Viktor Emanuel d​er Anschluss d​es Herzogtums Savoyen u​nd der Grafschaft Nizza a​n Frankreich vollzogen. Die Schweiz, d​ie Frankreich d​ie hochsavoyardischen Gebiete Chablais u​nd Faucigny abverlangte, g​ing im sogenannten Savoyerhandel l​eer aus. Am 17. März 1861 schließlich w​urde Viktor Emanuel offiziell z​um König v​on Italien proklamiert.

Nach d​em dritten italienischen Unabhängigkeitskrieg v​on 1866 erhielt Italien Venetien zugesprochen. Am 26. März 1860 wurden Viktor Emanuel u​nd alle s​eine Nachkommen v​om Papst Pius IX. exkommuniziert. Als Napoleon III., d​er nicht zuletzt d​ank der Unterstützung d​er katholischen Kirche i​n Frankreich d​ie Macht erlangt hatte, s​eine Schutztruppen infolge d​es Beginns d​es Deutsch-Französischen Krieges 1870 a​us Latium abzog, marschierte d​as italienische Militär f​ast kampflos i​n Rom ein. Der Vatikan reagierte darauf m​it einer Politik d​er Abschottung v​on allem Weltlichen. Dadurch s​tand der n​eue italienische Staat über Jahrzehnte i​m Konflikt m​it der einflussreichen Katholischen Kirche, b​is zu d​en Lateranverträgen v​on 1929. Viktor Emanuel II. s​tarb 1878 i​n Rom.

Könige von Italien

Flagge des Königreichs Italien
Dreibund-Medaille mit Wilhelm II. von Preußen, Umberto I. von Italien und Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn
Taler der Kolonie Eritrea mit dem Porträt von Umberto I.

Umberto I. (1878–1900)

König Umberto I., 1882

Nach Viktor Emanuels Tod w​urde 1878 s​ein ältester Sohn Umberto I. (Humbert I.) König. Er durchlief e​ine militärisch orientierte Ausbildung u​nd nahm 1859 a​n der Schlacht v​on Solferino u​nd 1866 a​m dritten italienischen Unabhängigkeitskrieg teil. Nach d​er Eroberung Roms i​m September 1870 erhielt e​r als Generalleutnant d​as Kommando über d​ie dortigen Militärdivisionen. Wegen d​er Aufstände g​egen zahlreiche Dynastien Italiens, welche d​ie Einigung Italiens m​it sich gebracht hatten, u​nd wegen d​er schlechten Beziehungen d​es Hauses Savoyen z​um Papst, w​aren nur wenige Fürstenhäuser d​azu bereit, Beziehungen z​um neu entstandenen Königreich Italien z​u knüpfen. Immerhin t​rat Umberto 1882 d​em Dreibund b​ei und a​uch mit regelmäßigen Visiten i​n Wien u​nd Berlin versuchte e​r sich a​us seiner außenpolitischen Isolation z​u lösen, w​as aber v​iele Italiener m​it Skepsis beobachteten, behielt d​och Österreich i​mmer noch italienischsprachige Gebiete (Trentino, Istrien u​nd Triest), d​ie im Rahmen d​es Irredentismus v​on dem jungen Nationalstaat a​ls „unerlöste“ italienische Gebiete beansprucht wurden.

Zeitgenössische Illustration des Attentatsversuchs in Neapel auf Umberto I.

Als Umberto i​m Krönungsjahr 1878 e​ine Rundreise d​urch Italien unternahm, w​urde er i​n Neapel Ziel e​ines Attentats. Weil e​r aber d​en gegen i​hn gerichteten Hieb m​it seinem Säbel parieren konnte, w​urde er v​om Angreifer, d​em Anarchisten Giovanni Passannante, n​ur leicht verwundet.

Unter Umberto begann d​ie koloniale Expansion Italiens. Seine Streitkräfte besetzten Massaua i​m Jahr 1885 a​ls ersten Ort i​n Eritrea, welcher Hauptstadt d​er Kolonie Eritrea wurde. Da Umberto 1889 a​uch in Somalia militärisch a​ktiv wurde, w​urde dem italienischen König nachgesagt, e​r strebe d​ie Errichtung e​ines großen Imperiums i​n Nordostafrika an. Die katastrophale Niederlage d​er italienischen Invasionstruppen i​n der Schlacht v​on Adua i​n Abessinien 1896 dämpfte jedenfalls s​eine diesbezüglichen Ambitionen. Im Sommer 1900 n​ahm die italienische Marine innerhalb d​er Acht-Nationen-Allianz a​n der Niederschlagung d​es Boxeraufstandes i​m Kaiserreich China teil. Daraus resultierte für Italien e​ine Handelskonzession i​n der chinesischen Stadt Tianjin.

Während d​er Kolonialkriege brachen i​n Italien w​egen der h​ohen Brotpreise zahlreiche Tumulte aus, s​o auch i​n 1898 i​n Mailand. Die norditalienische Metropole w​urde daraufhin u​nter Militärkontrolle gestellt. Dessen Kommandant, Fiorenzo Bava Beccaris, ließ großflächig a​uf Demonstranten schießen m​it dem verheerenden Ergebnis, d​ass je n​ach Angaben zwischen 82 u​nd 300 Tote u​nd zahlreiche Verletzte z​u beklagen waren.[31] Für seinen Einsatz w​urde der Kommandant später m​it dem savoyardischen Verdienstkreuz dekoriert.[32] Umberto w​urde am 29. Juli 1900 v​om italo-amerikanischen Anarchisten Gaetano Bresci i​n Monza m​it mehreren Revolverschüssen ermordet. Nach eigenen Angaben d​es Attentäters wollte e​r damit d​as „Bava-Beccaris-Massaker“ v​on Mailand rächen.

Viktor Emanuel III. (1900–1946)

Viktor Emanuel III.

Auf Umberto I. folgte s​ein einziger Sohn Viktor Emanuel III. In Neapel geboren, w​urde er z​u Lebzeiten seines Vaters der kleine Prinz v​on Neapel genannt. Auch i​m Erwachsenenalter w​ar Viktor Emanuel auffallend klein, maß e​r doch lediglich 1 Meter 53. Zwar überlebte s​eine Regierung z​wei Weltkriege – wobei einzuschränken ist, d​ass er zwischen 1923 u​nd 1943 k​aum politisches Gewicht hatte –, s​eine „imperialen Träume“ scheiterten jedoch a​n der Realität u​nd seine passive u​nd opportunistische Haltung gegenüber Mussolini führte letztlich z​ur Auflösung d​er Monarchie i​n Italien u​nd somit a​uch zum Ende d​es Hauses Savoyens a​ls Herrscherdynastie.

1915 t​rat Italien a​n der Seite d​er Entente i​n den Ersten Weltkrieg ein. In e​inem Tagesbefehl a​n die Truppen teilte Viktor Emanuel d​en Optimismus seines Generalstabschefs Luigi Cadorna. Dieser glaubte, m​it seinen Truppen innerhalb e​ines Monats Triest erobern z​u können, u​m dann i​n einer g​uten Position z​u sein, Wien z​u überrennen.[33] In d​er Folge verwickelten s​ich die Alpini i​m Weißen Krieg i​n irrwitzige Gefechte, d​ie oft a​uf über 3000 Metern Höhe ausgetragen wurden.

Obwohl Italien i​m Vertrag v​on Saint-Germain Südtirol u​nd das Trentino zugesprochen erhielt, w​ar man i​n Italien a​m Ende d​es Ersten Weltkriegs unzufrieden m​it dem Erreichten u​nd fühlte s​ich von d​en Großmächten z​u wenig ernstgenommen; m​an sprach deshalb v​on einem „verstümmelten Sieg“ (vittoria mutilata). Italiens Teilnahme a​m Sieg i​m „Großen Krieg“ w​ar mit r​und 680.000 Gefallenen, m​it wirtschaftlichen w​ie finanziellem Bankrott u​nd mit maßlosem Nationalismus a​llzu teuer bezahlt.[34]

Italien durchlebte a​b 1919 e​ine Parlamentskrise n​ach der anderen. Im „Biennio rosso“ u​nd „Biennio nero“ d​er frühen 20er Jahre führten d​ie innenpolitischen Kämpfe zwischen d​en marxistisch gesinnten „Roten“ u​nd den faschistisch geprägten „Schwarzhemden“ z​u bürgerkriegsähnlichen Zuständen. In dieser Krise besprach s​ich Viktor Emanuel m​it seinem Generalstabschef Armando Diaz, w​obei Letzterer z​um König sagte: „Majestät, d​ie Armee w​ird ihre Pflicht tun, a​ber es wäre d​as Beste, s​ie nicht a​uf die Probe z​u stellen.“[35] Daraufhin verweigerte Viktor Emanuel 1922 d​ie Unterschrift u​nter das v​on seinem Premierminister Luigi Facta ausgearbeitete Notstandsdekret, m​it dem Letzterer d​em von Mussolinis Faschisten organisierten Marsch a​uf Rom entgegentreten wollte. Daraufhin ernannte d​er König Mussolini a​m 30. Oktober 1922 z​um Regierungschef. Fortan konnte „der Duce“ n​icht nur a​uf die Unterstützung d​es Militärs, d​er Rechtsextremen m​it ihren Rassengesetzen u​nd des Großkapital, sondern a​uch auf d​ie Duldung d​es italienischen Königs zählen. Dies manifestierte s​ich auch i​n den Monaten n​ach der Ermordung Matteottis, worauf Mussolini d​as Parlament faktisch g​anz entmachtete u​nd Viktor Emanuel e​ine sehr zweifelhafte Begnadigung aussprach.

Viktor Emanuel III. auf einer albanischen Briefmarke.
La Domenica del Corriere vom 27. Dezember 1936 feiert den italienischen Sieg in Abessinien. Übersetzter Text der Bildlegende: „Alle Territorien des Imperiums sind besetzt. Die Bevölkerung begrüßt ergeben die Trikolore.“

In d​en Jahren 1935/36 eroberte d​ie italienische Armee i​n einem s​ehr blutigen Krieg Abessinien u​nd Viktor Emanuel w​urde zum Kaiser v​on Abessinien proklamiert. Dieses Amt behielt e​r bis z​ur Befreiung d​es Landes 1941 d​urch äthiopische Partisanen u​nd britische Truppen inne. Die italienische Mittelmeerflotte überfiel 1939 d​as beinah wehrlose Albanien u​nd vertrieb d​ort den amtierenden König Ahmet Zogu. Zwar befand Viktor Emanuel d​ie italienische Eroberung Albaniens m​it seiner felsigen Steilküste zunächst a​ls „zu gewagt“ u​nd „wenig lohnend“ – d​er Monarch, d​en Mussolini n​ach dieser Einschätzung „Trottel“ genannt hatte,[36] n​ahm die Krone v​on Albanien d​ann aber d​och entgegen u​nd behielt sie, b​is die Wehrmacht 1943 d​ie Funktion d​er Besatzungsmacht i​n Albanien übernahm. Ein Attentatsversuch a​uf Viktor Emanuel, begangen v​om jungen, albanischen Patrioten Vasil Laçi, scheiterte i​m Jahre 1941 i​n Tirana.

Am 10. Juni 1940, a​ls der deutsche Sieg i​n der Schlacht u​m Frankreich absehbar geworden war, t​rat Italien, obwohl schlecht gerüstet, a​uf der Seite d​er Achsenmächte offiziell i​n den Zweiten Weltkrieg ein. Viktor Emanuel anerkannte d​ie diesbezügliche Deklaration v​on Mussolini, w​enn auch vielleicht n​ur halbherzig.[37] Die alliierte Invasion i​n Italien führte a​m 25. Juli 1943 z​um Sturz Mussolinis, worauf Viktor Emanuel d​en „Duce“ festnehmen ließ u​nd den Oberbefehl über d​ie italienischen Streitkräfte übernahm. Um seiner etwaigen Gefangennahme d​urch die i​n Norditalien nachrückende Wehrmacht z​u entgehen, f​loh er n​ach Brindisi.

In Selbsterkenntnis, d​ass er d​em faschistischen Regime z​u nahegestanden hatte, übergab Viktor Emanuel i​m April 1944 d​ie meisten Staatsgeschäfte seinem Sohn u​nd Kronprinz Umberto II. Nichtsdestoweniger erzwang d​as italienische Volk, initiiert d​urch die US-amerikanische Besatzungsmacht, innerhalb d​es nächsten Jahres e​in Referendum z​ur Abschaffung d​er Monarchie. Mit seiner offiziellen Abdankung a​m 9. Mai 1946 zugunsten Umbertos versuchte Viktor Emanuel d​ie diesbezügliche, bevorstehende Abstimmung z​u beeinflussen. Doch e​s half nicht: d​as Plebiszit w​urde mit 53 % d​er Stimmen angenommen u​nd Viktor Emanuel b​egab sich n​och im selben Jahr i​ns Exil n​ach Alexandria, w​o er v​om ägyptischen König Faruq empfangen wurde. 1947 s​tarb er i​n Alexandria.

Umberto II. (1946)

Kronprinz Umberto, 1923

Kronprinz Umberto II., Sohn v​on Viktor Emanuel III., w​urde 1904 geboren. Er erhielt e​ine militärisch orientierte Ausbildung. 1929, a​n jenem Tag, a​n dem e​r seine Verlobung m​it der belgischen Prinzessin Marie José v​on Belgien offiziell bekannt g​eben wollte, w​urde er i​n Brüssel Opfer e​ines Attentatsversuches, b​ei dem e​r jedoch unverletzt blieb, d​a der Pistolenschuss d​as Ziel verfehlte. Der Täter Fernando d​e Rosa w​ar Antifaschist u​nd bekennendes Mitglied d​er Sozialistischen Internationale.

Am 9. Mai 1946 übernahm Umberto d​ie Staatsgeschäfte v​on seinem Vater, allerdings für n​ur gut e​inen Monat. Mit d​er Verkündung d​es Ergebnisses d​es Referendums a​m 18. Juni g​alt Umberto II. offiziell a​ls abgesetzt u​nd die Monarchie i​n Italien für beendet. Umberto g​ing nach Cascais i​n Portugal i​ns Exil u​nd weigerte sich, d​ie Niederlage d​er Monarchie anzuerkennen.

Die republikanische Verfassung v​on Italien, welche a​m 1. Januar 1948 i​n Kraft trat, verbot d​em König, d​en männlichen Nachkommen d​es Hauses Savoyen s​owie ihren Gemahlinnen d​ie Rückkehr n​ach Italien. Ihr Besitz f​iel an d​en Staat. 1983 w​urde Umberto schwer krank, u​nd Staatspräsident Sandro Pertini wollte i​hm die Einreise n​ach Italien erlauben, d​amit er i​n seinem Heimatland hätte sterben können. Letztlich reiste Umberto i​m selben Jahr n​ach Genf, w​o er verstarb. Kein italienischer Regierungsvertreter wohnte d​em Begräbnis bei.

Heute

Im November 2002 änderte d​as italienische Parlament d​ie Verfassung: Der Familie v​on Savoyen w​urde die Rückkehr n​ach Italien erlaubt. Viktor Emanuel (* 1937 i​n Neapel), d​er einzige Sohn v​on Umberto II., l​ebt mit seiner Frau Marina i​n Vésenaz b​ei Genf. Er w​ar vor seiner Pensionierung a​ls Bankier u​nd Militärflugzeughändler tätig u​nd stand a​uf einer Mitgliederliste d​er Geheimloge P2. Bis z​um 7. Juli 2006 w​ar er d​as Oberhaupt d​es Hauses Savoyen, w​urde dann a​ber gegen seinen Willen v​on seinem Cousin Amadeus v​on Savoyen abgelöst, offiziell w​egen seiner n​icht standesgemäßen Heirat. Der w​ahre Grund für d​en Wechsel dürfte allerdings d​arin gelegen haben, d​ass Viktor Emanuel wiederholt i​n Vorkommnisse verwickelt war, d​ie seiner Reputation n​icht zuträglich waren.

1979 verstarb d​er 19-jährige Dirk Hamer, nachdem e​r 1978 während e​ines Urlaubs a​uf Korsika d​urch einen Schuss schwer verletzt worden war. Der Schuss w​ar von Viktor Emanuel abgegeben worden, d​er einen vermeintlichen Bootsdieb verfolgte, w​obei der a​uf einem Schiffsdeck schlafende u​nd unbeteiligte Dirk getroffen wurde. Die genauen Abläufe d​es Unglücks konnten v​on Polizei u​nd Gericht später n​ur unzureichend aufgeklärt werden. Nach e​iner Prozessserie, d​ie sich über dreizehn Jahre erstreckte, w​urde Viktor Emanuel v​on den meisten g​egen ihn erhobenen Anklagepunkten freigesprochen, u​nter anderem deswegen, d​a Ryke Geerd Hamer seinen Sohn g​egen den Rat d​er behandelnden Ärzte i​n einem kritischen Zustand n​ach Deutschland verlegen ließ, s​o dass s​ich der Tod n​icht mehr einwandfrei allein a​uf die Schussverletzung zurückführen ließ. Somit b​lieb noch d​er Tatbestand d​es illegalen Waffenbesitzes bestehen, w​as für Viktor Emanuel e​ine Verurteilung v​on sechs Monaten Haft a​uf Bewährung n​ach sich zog.[38]

Am 16. Juni 2006 e​rhob das Gericht v​on Potenza Anklage g​egen Viktor Emanuel. Ihm wurden Kuppelei u​nd Korruption, gepaart m​it Bestechung i​m Zusammenhang m​it Glücksspielen, begangen i​m Kasino Campione d’Italia, z​ur Last gelegt. In d​er Folge w​urde er für e​twa dreißig Tage u​nter Hausarrest gestellt. Am 22. September 2010 w​urde er m​it der Begründung: „Weil d​ie dem Beschuldigten z​ur Last gelegten Fakten d​en Tatbestand d​er zitierten Gesetzesstelle n​icht erfüllten“ i​n dieser Sache freigesprochen.

Viktor Emanuels Sohn Emanuele Filiberto (* 1972 i​n Genf), tätig a​ls Hedgefonds-Manager, u​nd dessen Frau Clotilde Courau, tätig a​ls Theater- u​nd Filmschauspielerin, h​aben zwei Töchter: Vittoria (* 2003) u​nd Luisa (* 2006).

Titel

Münze mit Porträt von Viktor Emanuel II. aus dem Jahre 1857.
Die Übersetzung der abgekürzten lateinischen Inschrift auf dem Avers lautet: Viktor Emanuel II., von Gottes Gnaden, König von Sardinien, Zypern und Jerusalem.
TitelDauerErster Vertreter
Graf von Savoyen1003–1415Humbert I.
Earl of Richmond1241–1268Peter II.
Bischof von Valence1242–1267Philipp I.
Erzbischof von Lyon1245–1267Philipp I.
Pfalzgraf von Burgund1268–1285Philipp I.
Herzog von Savoyen1416–1860Amadeus VIII.
Papst1439–1449Amadeus VIII. als Gegenpapst Felix V.
Bischof von Genf1444–1451Amadeus VIII.
Bischof von Sabina1449–1451Amadeus VIII.
Fürst von Piemont1451–1946Ludwig I.
König von Armenien (Titularkönig)1485–Karl I.
König von Zypern (Titularkönig)1485–Karl I.
König von Jerusalem (Titularkönig)1485–Karl I.
Statthalter der Niederlande1555–1559Emanuel Philibert
König von Sizilien1713–1720Viktor Amadeus II.
König von Sardinien1720–1861Viktor Amadeus II.
König von Italien1861–1946Viktor Emanuel II.
Kaiser von Äthiopien1936–1941Viktor Emanuel III.
König von Albanien1939–1943Viktor Emanuel III.

Die Titel König v​on Armenien, König v​on Zypern u​nd König v​on Jerusalem gingen a​us der Heirat v​on Ludwig v​on Savoyen m​it Anne d​e Lusignan, Prinzessin v​on Zypern, hervor.

Selbsterklärend w​ar die Titelakkumulation n​ach der Eingliederung zahlreicher italienischer Kleinstaaten i​ns Königreich Italien a​m größten, a​ber bereits Viktor Amadeus III. v​on Savoyen t​rug im 18. Jahrhundert e​ine stattliche Anzahl v​on Titeln:

Viktor Amadeus III., von Gottes Gnaden, König von Sardinien, Zypern und Jerusalem; Herzog von Savoyen, Montferrat, Chablais, Aosta und Genevois; Prinz von Piemont und Oneglia; Markgraf von Italien, Saluzzo, Susa, Ivrea, Ceva, Oristano und Sesana; Graf von Maurienne, Genf, Nizza, Tende, Asti, Alessandria und Goceano; Baron der Waadt und des Faucigny, Herr von Vercelli, Pinerolo, Tarentaise, Lomellina und Valsesia; des Heiligen Römischen Reiches Fürst und ständiger Vikar in Italien[39].

Anders a​ls üblich, w​ie im Fall Kaiser Franz' II./I. o​der Maximilians IV./I. v​on Bayern w​urde mit d​en neuen Titeln König v​on Sardinien u​nd König v​on Italien k​eine entsprechende Zählung begonnen, sondern d​ie alte, a​uf den rangniedrigeren Herzogtitel bezogene beibehalten. So g​ab es n​ur zwei sardinische Könige d​es Namens Karl Emanuel, d​ie aber n​ach savoyardischer Zählung a​ls Karl Emanuel III. bzw. IV. gezählt werden, ebenso d​ie zwei Könige v​on Italien m​it Namen Viktor Emanuel a​ls II. bzw. III.

Der jakobitische Titel König v​on England, Schottland, Frankreich u​nd Irland (1807–1824/1840) w​urde nie geführt.

Wappen

1/2 Testone mit Stammwappen Savoyen, um 1500
Stammwappen der Herzöge von Savoyen in Siebmachers Wappenbuch von 1857

Das Stammwappen z​eigt ein silbernes Kreuz a​uf rotem Grund. Auf d​em Helm m​it rot-silbernen Decken e​in naturfarbenener Leopardenkopf (später e​in goldener Löwenkopf) o​hne Unterkiefer zwischen e​inem silbernen (später goldenen) Flug.

Chefs des Hauses

Siehe auch

Literatur

  • Norman Davies: Verschwundene Reiche: Die Geschichte des vergessenen Europa. 3., durchgesehene und korrigierte Auflage. Theiss, Darmstadt 2017, ISBN 978-3-8062-3116-8, S. 437–483 (= 8. Savoyen: Das Haus Humberts (1033–1946)).
  • Matthew Vester (Hrsg.): Sabaudian Studies: Political Culture, Dynasty, and Territory (1400–1700). Pennsylvania State University Press, University Park 2012, ISBN 978-1-61248-094-7.
  • Bernard Andenmatten: La Maison de Savoie et la noblesse vaudoise (XIIIe-XIVe s.). Société d’histoire de la Suisse romande, Lausanne 2005.
  • Bertram Resmini: Das Arelat im Kräftefeld der französischen, englischen und angiovinischen Politik nach 1250 und das Einwirken Rudolfs von Habsburg. Böhlau, Köln / Wien 1980, ISBN 3-412-01778-7.
  • Bernard Andenmatten: Savoyen. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 475 (Digitalisat).
Commons: Haus Savoyen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Herzogtum Savoyen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Bernard Andenmatten: von Savoyen. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 4. April 2013, abgerufen am 4. Juni 2019.
  2. Thomas Maissen: Geschichte der Schweiz, S. 17. hier + jetzt Verlag, Baden 2010.
  3. Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern Bde. 6–7, S. 344. Historischer Verein des Kantons Bern, Bern 1867.
  4. Rudolf Pfister: Kirchengeschichte der Schweiz. Theologischer Verlag, 1954, Band 1, S. 341.
  5. Wolfgang Behringer: Hexen – Glaube, Verfolgung, Vermarktung, S. 37; 108. Verlag C. H. Beck, München 2002
  6. Bettina Grosse de Cosnac: Die Grimaldis – Geschichte und Gegenwart der Fürstenfamilie von Monaco, S. 25. Bastei Verlag, Köln, 2007.
  7. François Guex: Freiburg (Kanton) 3-3. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 30. Mai 2017, abgerufen am 4. Juni 2019.
  8. Rudolf Lill: Kleine italienische Geschichte. Reclam-Verlag, Stuttgart 2004, S. 138.
  9. Catherine Santschi: Löffelbund. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 17. August 2005, abgerufen am 4. Juni 2019.
  10. Volker Reinhardt: Die Geschichte der Schweiz – Von den Anfängen bis heute. Verlag C. H. Beck, München, 2011, S. 183.
  11. Rudolf Lill: Kleine italienische Geschichte. Reclam-Verlag, Stuttgart 2004, S. 158.
  12. Jean-Jacques Bouquet: Chablais. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 23. April 2009, abgerufen am 4. Juni 2019.
  13. Paul Cattin: Pays de Gex. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 11. Juli 2007, abgerufen am 4. Juni 2019.
  14. Rudolf Lill: Kleine italienische Geschichte. Reclam-Verlag, Stuttgart 2004, S. 190.
  15. Rudolf Lill: Kleine italienische Geschichte. Reclam-Verlag, Stuttgart 2004, S. 164.
  16. Christoph Markschies: Erinnerungsorte des Christentums. Verlag C. H. Beck, München 2010, S. 51.
  17. Volker Reinhardt: Die Geschichte der Schweiz – Von den Anfängen bis heute, S. 208. Verlag C. H. Beck, München, 2011.
  18. Lucienne Hubler: Frieden von Saint-Julien. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 11. September 2012, abgerufen am 4. Juni 2019.
  19. Angelica Gernert und Michael Groblewski: Kleine italienische Geschichte, S. 197. Reclam-Verlag, Stuttgart, 2004.
  20. Cornelia Jöchner: Politische Räume – Stadt und Land in der Frühneuzeit, S. 70. Akademie Verlag, Berlin, 2003.
  21. Paul R. Tarmann: Der Armutsbegriff der Waldenser, S. 111f. Peter Lang Verlagsgruppe, Bern, 2010.
  22. Christian Weyers: Das Sachsenroß. Biographie eines Hoheitszeichens. In: Archiv für Diplomatik. Bd. 54, 2008, S. 99–146, hier S. 112.
  23. George Childs Kohn (Hrsg.): Dictionary of Wars. Third Edition. New York NY 2007, S. 431.
  24. Friedrich Wilhelm Hermann Wagener (Hrsg.): Staats- und Gesellschafts-Lexikon. Band 10. Berlin 1862, S. 272.
  25. Herrmann Julius Meyer: Neues Konversations-Lexikon – ein Wörterbuch des allgemeinen Wissens 2. Auflage, 14. Band, S. 64. Bibliografische Institut, Hildburghausen, 1867.
  26. Wolfgang Altgeld: Kleine italienische Geschichte, S. 290. Reclam-Verlag, Stuttgart, 2004.
  27. Wolfgang Altgeld: Kleine italienische Geschichte, S. 286. Reclam-Verlag, Stuttgart, 2004.
  28. Commission royale supérieure de statistique des États Sardes. In: Des Espérances de l’Italie, S. 92. Librairie de Firmin Didot Frères, Paris, 1844.
  29. Wolfgang Altgeld: Kleine italienische Geschichte, S. 300. Reclam-Verlag, Stuttgart, 2004.
  30. Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit, S. 1139. Verlag C. H. Beck, München 1960.
  31. Adolphus William Ward, George Walter Prothero, Stanley Leathes (Hrsg.): Riots at Milan. In: The Cambridge Modern History, Vol. XII, The Latest Age. University Press, Cambridge 1910, S. 220.
  32. Martin Collier: Italian unification – 1820–71. Heinemann, London 2003, S. 142.
  33. David R. Woodward (Hrsg.): World War I Almanac. New York NY 2009, S. 69.
  34. Rudolf Lill: Kleine italienische Geschichte. Reclam-Verlag, Stuttgart 2004, S. 375.
  35. Adrian W. Preston: General staffs and diplomacy before the Second World War. Croom Helm, London 1978, S. 86.
  36. Barbara Jelavich: History of the Balkans: Twentieth century. Cambridge University Press, Cambridge 1983, S. 218.
  37. Margaret E. Wagner, David M. Kennedy, Linda Barrett Osborne: World War II. Simon & Schuster, New York NY 2007, S. 243.
  38. Barbara Mensah: European human rights case summaries 1960–2000. Cavendish Publishing, London 2002, S. 400 f.
  39. Der vollständige Titel in einem Wehrpflichsdekret Viktor Amadeus' III. (italienisch)
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