Rafah
Rafah (arabisch رفح, DMG Rafaḥ) ist eine palästinensische Stadt am Südrand des vormals israelisch besetzten, seit dem 12. September 2005 vollständig geräumten Gazastreifens. Teile der Stadt liegen in Ägypten, die Demarkationslinie (Philadelphi-Passage) verläuft also quer durch die Stadt. In Rafah befindet sich der einzige Grenzübergang zwischen Ägypten und dem Gazastreifen. Die Stadt ist Verwaltungssitz des gleichnamigen Gouvernements. Rafah-Stadt hatte 2014 laut dem Palästinensischen Zentralamt für Statistik 152.950 Einwohner. Zur Stadt gehört außerdem ein aus festen Häusern bestehendes Flüchtlingslager, in dem 43.405 (2014) Menschen leben. Für den palästinensischen Teil der Stadt und das Flüchtlingslager Tall as-Sultan ergibt sich so eine Bevölkerungsanzahl von 196.355.[1]
Rafah رفح רפיח | |||
Verwaltung: | Palästinensische Autonomiegebiete | ||
Gebiet: | Gazastreifen | ||
Gouvernement: | Rafah | ||
Koordinaten: | 31° 17′ N, 34° 15′ O | ||
Einwohner: | 196.000 (2014) | ||
Zeitzone: | UTC+2 | ||
Gemeindeart: | Großstadt | ||
|
Geschichte
Die erste Erwähnung Rafahs findet sich in einer Inschrift von Pharao Sethos I., die auf das Jahr 1303 v. Chr. datiert wird. Beim Kriegszug des Scheschonq I. in die Levante 925 v. Chr. war Rafah die erste Station. Gut 200 Jahre später, im Jahr 720 v. Chr., siegte hier Šarrum-ken II. über Ägypten. Außerdem war Rafah Schauplatz der Schlacht von Raphia zwischen Ptolemaios IV. und Antiochos III. 217 v. Chr.[2]
Unter Alexander Jannäus kam Rafah im letzten vorchristlichen Jahrhundert zum Hasmonäerreich. In der Folge stieg seine Bedeutung und die Stadt war bis in die frühe arabische Periode eine wichtige Handelsstadt nahe der Grenze der Provinz Syria zu Ägypten. Jüdische und samaritanische Gemeinden lebten in der Stadt; während der byzantinischen Ära war Rafah eine Diözese. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts gab es einen Einbruch, weswegen die jüdischen Gemeinschaften vorübergehend nach Aschkelon auswanderten, aber im 12. Jahrhundert wieder zurückkehrten. Im 13. Jahrhundert kam es jedoch zu einem dauerhaften Niedergang, die Stadt wurde weitgehend aufgegeben und verfiel. Osmanische Aufzeichnungen aus dem 16. Jahrhundert verzeichnen nur noch 16 Steuerzahler in Rafah.
1917 wurde Rafah von den Briten erobert und war die Ausgangsbasis für den Angriff auf Gaza. Die Anwesenheit des britischen Militärs sorgte in den folgenden Jahren für einen wirtschaftlichen Aufschwung. 1922 war die Einwohnerzahl der Stadt wieder auf 600 angewachsen, bis zum Ende des britischen Mandats stieg sie auf 2500. In den 1940er Jahren wurde in Rafah ein Internierungslager betrieben. Dieses Lager erhielt im Rahmen der Operation Agatha besondere Bedeutung und wurde deshalb als Deckname des Hagana-Schiffs Athena gewählt.
Stadt
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Rafah durch eine Militäraktion der israelischen Armee im Mai 2004 bekannt. Der Ort wurde wegen seiner Nähe zur ägyptischen Grenze von palästinensischen Kämpfern für den Waffenschmuggel genutzt. Aufgrund der Isolierung des Gazastreifens durch Israel bestand unter anderem eine Reihe von Tunneln unter der Grenze, welche neben dem besagten Waffenschmuggel auch für andere Güter benutzt wurden. Im Rahmen der vom israelischen Militär durchgeführten Operation Regenbogen wurde eine große Zahl Wohnhäuser zerstört, was mit der Tunnelsuche begründet wurde. Auf Seiten der Palästinenser kam es zu Verlusten. Tausende palästinensische Familien waren ohne Unterkunft. Der UN-Sicherheitsrat missbilligte die Aktion, wobei sich die Vereinigten Staaten ihrer Stimme enthielten.
Flüchtlingslager
Das Rafah-Flüchtlingslager (arabisch مخيم رفح) ist eines von acht palästinensischen Flüchtlingslagern im Gazastreifen und liegt direkt an der ägyptischen Grenze. Bei seiner Gründung 1949 war es das größte Flüchtlingslager im Gazastreifen. Die Bewohner stammten aus arabischen Orten der Wüste Negev und der Küstenebene. Zwischen 1949 und 1967, als der Gazastreifen unter ägyptischer Verwaltung stand, wurde die Integration der Flüchtlinge in die Bevölkerung unterbunden. Als im Verlauf des Sechstagekriegs Rafah 1967 unter israelische Kontrolle kam, zählte das Flüchtlingslager rund 55.000 Einwohner, während die Stadt selbst nur 11.000 zählte.
1971 wurden unter dem Kommando von General Ariel Scharon, damals Befehlshaber des Südkommandos, für den Bau und die Verbreiterung von Patrouillenstraßen etwa 500 Häuser im Flüchtlingslager zerstört. Den rund 4000 betroffenen Bewohnern wurden südlich von Rafah Ersatzwohnungen zur Verfügung gestellt. Nach der Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten wurden diese Bewohner gemäß dem Camp-David-Abkommen in den Gazastreifen in das Tall as-Sultan Projekt nordwestlich von Rafah umgesiedelt. Durch die neue Grenzziehung wurde Rafah geteilt, der südliche Teil kam unter ägyptische Hoheit.
Das Flüchtlingslager grenzt inzwischen direkt an die Stadt. Durch den Bau des Tall as-Sultan-Flüchtlingslagers nahm die Zahl der Bewohner ab, was aber durch die Aufnahme von Umsiedlern aus dem Kanada-Flüchtlingslager ausgeglichen wurde. Laut Auskunft des UNRWA zählte das Flüchtlingslager im Jahr 2005 95.187 Bewohner.[3] Diese Zahl steht im Widerspruch zur Zahl des Palästinensischen Amts für Statistik, das für dasselbe Jahr eine durchschnittliche Zahl von 58.000 angibt.[4] Die UNRWA betreibt im Flüchtlingslager 31 Schulen (20 der Primar- und 11 der Sekundarstufe).[3]
Grenzübergang
In Rafah befindet sich der einzige Grenzübergang zwischen Ägypten und dem Gazastreifen. Er wurde 1979 nach der Unterzeichnung des israelisch-ägyptischen Friedensvertrags, der Israels Rückzug von der Sinai-Halbinsel vorsah, errichtet. Auf israelischer Seite war die Israel Airports Authority für den Grenzübergang verantwortlich.
Nach dem Rückzug der israelischen Armee aus den israelisch besetzten Gebieten im Rahmen des Scharon-Plans im September 2005 wurde die Verantwortung für die Grenzkontrollen an die Palästinensische Autonomiebehörde abgegeben.[5] Um israelische Sicherheitsinteressen zu wahren, wurde der ägyptische Sicherheitsposten in Rafah verstärkt, zusätzlich sicherte die Europäische Union mit einer Kontrollmission den Grenzübergang.
Infolge des innerpalästinensischen Konflikts um Gaza im Juni 2007 verfügte Ägypten noch vor der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen die permanente Schließung des Grenzübergangs. Rafah wurde fortan zum Brennpunkt palästinensischer Bemühungen, die Abschottung des Gazastreifens durch Israel und Ägypten zu umgehen. Am 23. Januar 2008 sprengten militante Palästinenser die Grenzbefestigungen in Rafah, in den folgenden Tagen nutzten Zehntausende die Möglichkeit des freien Übergangs nach Ägypten.[6]
Im Juni 2010 lockerte Ägypten die Abriegelung des Grenzüberganges als Reaktion auf den Ship-to-Gaza-Zwischenfall.[7] Die Öffnung des Übergangs ermöglichte die Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsgütern, allerdings blieb der Übergang streng bewacht. Personen konnten die Grenze nur mit Visa oder ausländischen Pässen passieren.[8]
Nach dem Sturz des ägyptischen Staatspräsidenten Husni Mubarak im Februar 2011 und der durch Ägypten vermittelten Annäherung zwischen Hamas und Fatah kündigte der damalige ägyptische Außenminister Nabil Elaraby die vollständige Öffnung des Grenzüberganges in Rafah an.[9] Am 28. Mai 2011 wurde schließlich der Übergang für den Personenverkehr geöffnet, allerdings können nur Frauen und Kinder ohne Sondergenehmigung aus dem Gazastreifen ausreisen.[10]
Abriss des ägyptischen Stadtteils
Ägypten plant seit Anfang 2015, seinen Stadtteil aus Sicherheitsgründen und zur Bekämpfung des für das Land wirtschaftlich schädlichen Schmuggels mit subventioniertem Benzin vollständig abzureißen, und eine fünf Kilometer breite Pufferzone an der Grenze zu errichten.
Infrastruktur
Eisenbahn
Rafah war bis 1916 die nördliche Endstation der Sinai-Bahn und lag dann an der über Lod verlängerten Eisenbahnstrecke (Ostbahn), die 1920 Haifa und dann 1942 Beirut und Tripoli erreichte. 1948–1967 war die Verbindung Richtung Israel gekappt, seither jene Richtung Kairo. Die Britischen Militärbahnen in Palästina errichteten ab 1917 von Rafah aus eine 59,5 km lange Militärbahn in den Negev, wobei sie im Zuge des Vortriebs ab südlich von Abu ʿIrqaiyiq die Strecke der osmanischen Militärbahn Maṣʿūdiyya–Sinai nutzten und auf Normalspur umspurten und so am 3. Mai 1918 Be’er Scheva erreichten.[11] Die Strecke wurde nach Ende der Kampfhandlungen auch für zivilen Fracht- und Passagierverkehr genutzt, mangels Wirtschaftlichkeit aber 1928 eingestellt.[12] Heute sind die Gleise der Eisenbahn im Gazastreifen größtenteils abgebaut.
Literatur
- Georg Beer: Raphia. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I A,1, Stuttgart 1914, Sp. 232 f.
Einzelnachweise
- Palästinensisches Zentralamt für Statistik
- Polybios Historien V.79–86; Raphia (Memento des Originals vom 21. Februar 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. bei Franciscan Cyberspot
- Rafah Camp UNRWA
- Palästinensisches Zentralbüro für Statistik: Projected Mid -Year Population for Rafah Governorate by Locality 2004–2006 (Memento vom 7. Februar 2012 im Internet Archive)
- Israeli flag lowered over Gaza, CNN, 12. September 2005.
- Palästinenser brechen aus dem Gazastreifen aus, neue Zürcher Zeitung, 24. Januar 2008.
- Reuters: Ägypten öffnet Grenze zum Gazastreifen, 1. Juni 2010.
- Hamas, EU hail Egypt plan to open Rafah border, The Daily News Egypt, 26. Mai 2011.
- Ägypten Außenpolitische Kehrtwenden in Kairo, Der Tagesspiegel, 4. Mai 2011.
- Ägypten öffnet Grenze zum Gazastreifen, Focus, 28. Mai 2011.
- Walter Rothschild, Arthur Kirby and the last years of Palestine Railways: 1945–1948, Berlin: Selbstverlag, 2009, zugl. King’s College London Diss., 2009, Fußnote 611, S. 146. OCLC 495751217
- Walter Rothschild, Arthur Kirby and the last years of Palestine Railways: 1945–1948, Berlin: Selbstverlag, 2009, zugl. King's College London Diss., 2009, Fußnote 78, S. 27. OCLC 495751217