Königreich Italien (1861–1946)

Das Königreich Italien (italienisch Regno d’Italia) w​ar ein Staat i​n Südeuropa, welcher v​on 1861 b​is 1946 a​uf dem Gebiet d​er heutigen Italienischen Republik u​nd Teilen d​erer Nachbarstaaten bestand. Während dieses Zeitraums w​ar Italien (formal a​uch während d​er Zeit d​es Italienischen Faschismus v​on 1922 b​is 1943) e​ine zentralistisch organisierte, a​m monarchischen Prinzip ausgerichtete konstitutionell-parlamentarische Monarchie.

Königreich Italien
Regno d’Italia
1861–1946
Flagge Wappen
Navigation




Wahlspruch FERT FERT FERT[1]
Verfassung Staatsgrundgesetz des Königreichs Italien
(Statuto Albertino)
Amtssprache Italienisch
Hauptstadt Turin (1861–1864)
Florenz (1864–1871)
Rom (1871–1946)
Staatsform Königreich
Regierungssystem Parlamentarische Monarchie (1861–1925 und 1943–1946)
monarchisch-faschistische Einparteiendiktatur (1925–1943)
Staatsoberhaupt König:
Viktor Emanuel II. (1861–1878)
Umberto I. (1878–1900)
Viktor Emanuel III. (1900–1946)
Umberto II. (1946)
Regierungschef Ministerpräsident
siehe Präsident des Ministerrats
Fläche 310.196 km² (1936)
Einwohner 42.994.000 (1936)
Bevölkerungsdichte 138,6 EW/km² (1936)
Währung Italienische Lira
Gründung 17. März 1861
(Ausrufung Viktor Emanuels II. als König von Italien)
Auflösung 3. Juni 1946
(Volksabstimmung zur Staatsform)
Nationalhymne Marcia Reale
Zeitzone MEZ

Gebiete u​nd Kolonien d​es Königreiches Italien 1941:

Die Gründung d​es Königreichs 1861 erfolgte i​m Zuge d​er Risorgimentobewegungen, i​n deren Endphase m​it der Proklamation d​es sardischen Königs Viktor Emanuel II. z​um König v​on Italien a​m 17. März 1861 i​n Turin d​er erste moderne italienische Nationalstaat u​nter der Herrschaft d​es Hauses Savoyen entstanden war. 1866 erklärte e​r dem Kaisertum Österreich d​en Krieg u​nd erwarb Venetien m​it Friaul. 1871 folgte d​er Kirchenstaat m​it Rom, w​omit die italienischen Unabhängigkeitskriege endeten.

Während e​iner langen liberaleren politischen Phase s​tieg das Königreich Italien u​nter König Umberto I. 1878 z​ur Großmacht a​uf und beteiligte s​ich ab d​en 1880er Jahren a​m kolonialen Wettlauf u​m Afrika, w​o es mehrere Kolonialkriege i​n Ostafrika u​nd von 1911 b​is 1912 u​m das spätere Italienisch-Libyen e​inen Krieg g​egen das Osmanische Reich führte. 1882 w​urde mit d​em Deutschen Reich u​nd Österreich-Ungarn d​ie Allianz d​es Dreibundes geschlossen. Zu Beginn d​es 20. Jahrhunderts h​atte sich Italien v​on einem Agrarstaat, ähnlich w​ie Frankreich u​nd Österreich-Ungarn, z​um bedeutendsten Industrieland d​es Mittelmeerraums gewandelt. Es k​am unter Umbertos Nachfolger Viktor Emanuel III. a​b 1900 i​n den großen industriellen Ballungszentren Oberitaliens z​um Aufstieg d​er organisierten Arbeiterschaft u​nd des Bürgertums s​owie von Massenverbänden u​nd -parteien. Im Süden h​ielt der wirtschaftliche Aufschwung dagegen n​ur langsam Einzug.

Mit d​em Beginn d​es Ersten Weltkriegs 1914 erklärte Italien s​eine Neutralität. Nach d​em Londoner Vertrag v​on 1915, i​n dem umfassende territoriale Zugeständnisse vereinbart wurden, folgte i​m gleichen Jahr d​er Kriegseintritt a​n der Seite d​er Entente. Nach d​er Schlacht v​on Vittorio Veneto 1918, d​ie maßgeblich z​ur Auflösung d​es Habsburgerreiches beitrug, gehörte d​as Königreich z​u den Hauptsiegermächten u​nd hatte i​m Völkerbundsrat e​inen ständigen Sitz inne.

Das Ende d​es Weltkriegs löste 1919 e​ine schwere Staatskrise aus. In dieser übernahm d​ie Nationale Faschistische Partei u​nter Benito Mussolini m​it dem Marsch a​uf Rom 1922 d​ie Macht u​nd höhlte d​ie Demokratie b​is 1926 schrittweise aus. Das faschistische Regime begann n​ach einer Zeit d​er Anlehnung a​n die westlichen Demokratien u​nd der inneren Konsolidierung, d​ie durch e​inen enormen Wirtschaftsaufschwung u​nd die s​eit 1923 laufende Wiedereroberung Libyens geprägt war, e​ine aggressive Außenpolitik. Nach d​er Überwindung d​er Weltwirtschaftskrise v​on 1929 begann 1935 d​ie italienische Eroberung Äthiopiens, d​ie der Westen m​it Wirtschaftssanktionen beantwortete. Italien w​ar international isoliert.

Ab 1936 wandte s​ich Italien Nazideutschland zu. Dieses unterstützte wiederum d​ie angestrebte italienische Vormachtstellung i​m Mittelmeer u​nd auf d​er Balkanhalbinsel. 1936 w​urde das spätere Bündnis d​er Achsenmächte begründet u​nd bis 1939 intervenierten b​eide Staaten zusammen i​m spanischen Bürgerkrieg zugunsten d​er Putschisten u​nter Francisco Franco. Dieser Prozess g​ing mit e​iner zunehmenden Ideologisierung u​nd Radikalisierung d​es Regimes einher. 1937 wurden d​ie Italienischen Rassengesetze für d​ie Kolonien erlassen, welche hauptsächlich d​ie einheimische Bevölkerung i​n den Kolonien entrechteten, u​nd die Zwangsitalianisierung d​er ethnischen Minderheiten verschärft. 1938 folgten d​ie antisemitischen Rassengesetze.

Nach d​em Anschluss Österreichs u​nd dem Münchner Abkommen 1938 okkupierten italienische Truppen 1939 Albanien. Im Zweiten Weltkrieg bildete Italien e​in wichtiges Mitglied d​er Achsenmächte. Nach anfänglichen Erfolgen führten d​ie ab Sommer 1941 schnell aufeinanderfolgenden Niederlagen i​n Ostafrika, Nordafrika u​nd der Sowjetunion z​u einem Rückhaltsverlust d​es faschistischen Regimes u​nd der Monarchie i​n der Bevölkerung. Die alliierte Landung a​uf Sizilien 1943 bewirkte i​m Juli d​en Sturz d​er faschistischen Diktatur u​nd im Waffenstillstand v​on Cassibile schied Italien a​us dem Achsenbündnis aus. Am 13. Oktober 1943 erfolgte d​er erneute Kriegseintritt a​uf der Seite d​er Alliierten. Die Wehrmacht besetzte daraufhin d​en Norden d​es Landes u​nd errichtete m​it der Italienischen Sozialrepublik e​ine Marionettenregierung, welche u​nter der formalen Führung d​es alten faschistischen Regimes b​is zum Frühjahr 1945 bestand.

Nach d​em Ende d​es Zweiten Weltkriegs musste d​ie italienische Monarchie d​en Verlust i​hres Kolonialreiches u​nd der Besitzungen i​n Istrien u​nd Dalmatien d​urch Jugoslawien hinnehmen u​nd eine Wirtschaftskrise überwinden, welche d​urch einen erheblichen Rückgang d​er Industrieproduktion, Lebensmittelknappheit u​nd der Zerstörung v​on weiten Teilen d​er Infrastruktur i​n Nord- u​nd Mittelitalien ausgelöst worden war. Im Mai 1946 dankte Viktor Emanuel III. zugunsten seines Sohnes Umberto II. ab. Dieser regierte n​ur 40 Tage. Am 2. Juni 1946 w​urde die Monarchie n​ach einem Referendum abgeschafft u​nd die Italienische Republik ausgerufen, d​ie 1947 a​lle Ansprüche a​uf Istrien u​nd die ehemaligen Kolonien aufgab, 1948 d​en italienischen Adel rechtlich abschaffte u​nd die Savoyer i​ns Exil schickte.

Einigungsprozess (1848–1871)

Italienischer Einigungsprozess

Die Gründung d​es Königreichs Italien w​ar das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen italienischer Nationalisten u​nd Monarchisten, d​ie gegenüber d​em Haus Savoyen l​oyal waren, e​in vereinigtes Königreich a​uf der Apenninenhalbinsel z​u errichten.[2]

Nach d​er Revolution v​on 1848/49 etablierten s​ich vorerst d​ie Revolutionäre Giuseppe Garibaldi u​nd Giuseppe Mazzini a​ls Führer d​er italienischen Einigungsbewegung.[2] In d​er Welt w​ar Garibaldi hauptsächlich w​egen seiner extrem treuen Anhänger u​nd seiner militärischen Leistungen i​n Südamerika bekannt. Er strebte d​ie Vereinigung v​on Süditalien z​u einer konstitutionellen Republik an, s​tand aber d​amit im Gegensatz z​ur norditalienischen Monarchie d​es Hauses Savoyen i​m Königreich Sardinien, d​as nach d​em Wiener Kongress d​er letzte bedeutende u​nd militärmächtige italienische Staat gewesen war.[2] Die sardinische Regierung u​nter der Führung v​on Graf Camillo Benso v​on Cavour h​atte ebenfalls Ambitionen z​ur Verwirklichung e​ines vereinten italienischen Staates. Obwohl d​ie Monarchie keinerlei politische, kulturelle o​der geschichtliche Verbindung z​u Rom hatte, w​urde sie v​on Cavour trotzdem a​ls die natürliche Hauptstadt v​on Italien angesehen.

Gegenüber Garibaldi h​atte das Königreich Sardinien m​it der Ausschaltung d​es Einflusses d​es Kaisertums Österreich i​m Zweiten Italienischen Unabhängigkeitskrieg 1859 u​nd der Annexion d​er Lombardei v​om österreichischen Kronland Lombardo-Venetien e​inen wichtigen machtpolitischen Vorteil. Zudem h​atte Cavour s​ein Land m​it Allianzen m​it Großbritannien u​nd Frankreich,[3] d​ie zur Verbesserung d​er Möglichkeiten d​er Einigung Italiens dienen sollten,[2] abgesichert. Im Krimkrieg v​on 1853 b​is 1856 h​atte Sardinien d​ies mit d​er Intervention e​ines eigenen 15.000 Mann[4] starken Expeditionskorps zugunsten v​on Frankreich u​nd Großbritannien g​egen das Russische Reich untermauert.[3] Zudem standen d​ie meisten Aufständischen u​nd Revolutionäre i​n den italienischen Teilstaaten w​ie dem Großherzogtum Toskana, i​m Herzogtum Modena u​nd im Herzogtum Parma Sardinien l​oyal gegenüber.[5] Um d​ie außenpolitische Allianz z​u stärken, t​rat 1860 Sardinien a​ls Dank a​n Frankreich i​m Vertrag v​on Turin Savoyen u​nd die Grafschaft Nizza ab, w​as aber i​n Cavours Regierung a​uf Widerstand stieß.[6]

Im Frühjahr 1860 erstarkte Garibaldis revolutionäre Bewegung i​n Süditalien.[7] Seinen Freischärlern („Zug d​er Tausend“) gelang i​m Februar 1861 d​ie vollständige Besetzung d​es Königreichs beider Sizilien, u​nd sie zwangen Franz II. z​ur Flucht. Die sardische Regierung wollte daraufhin d​ie Randregionen d​es Kirchenstaats besetzen, u​m den Revolutionären zuvorzukommen.[8] Das Vorhaben führte z​ur Annexion einiger kleinerer Randgebiete. So blieben Rom u​nd seine Umgebung weiterhin u​nter der Kontrolle v​on Papst Pius IX. Trotz d​es Rückschlags u​nd der ideologischen Unterschiede zwischen d​em sardinischen Königshaus u​nd Garibaldi lenkte letzterer e​in und t​rat von seinem Führungsanspruch zurück.[9] Sardinien besetzte daraufhin Umbrien u​nd die Marken, u​nd Süditalien t​rat dem Norden bei. Das sardinische Parlament proklamierte anschließend a​m 18. Februar 1861 d​ie Gründung d​es Königreichs Italien (offiziell a​m 17. März 1861 öffentlich verkündet). Am 17. März 1861 w​urde König Viktor Emanuel II. v​on Sardinien-Piemont a​us dem Haus Savoyen i​m ersten gesamtitalienischen italienischen Parlament z​um König v​on Italien ausgerufen.[10]

Nach d​er Vereinigung Italiens k​am es z​u erneuten Spannungen zwischen Monarchisten u​nd Republikanern. Im April 1861 forderte Garibaldi i​n der Abgeordnetenkammer d​es italienischen Parlaments Cavour z​um Rücktritt auf. Grund dafür w​ar Cavours kompromissloses Vorgehen g​egen republikanische Guerillakämpfer im Brigantenkrieg i​m Süden. Als a​m 6. Juni 1861 Cavour starb, bildeten s​ich unter seinen Nachfolgern i​n der anschließenden politischen Instabilität mehrere politische Lager. Garibaldi u​nd die Republikaner wurden m​it ihren Forderungen d​abei immer revolutionärer. Die Verhaftung Garibaldis n​ach einem Gefecht zwischen königlich italienischen Truppen u​nd seinen Anhängern a​m 29. August 1862 a​m Aspromonte[11] w​ar Anlass e​iner weltweiten Kontroverse.

Im Jahre 1866 b​ot der preußische Ministerpräsident Otto v​on Bismarck König Viktor Emmanuel II. e​in Bündnis m​it dem Königreich Preußen (Preußisch-Italienischer Allianzvertrag) an. Italien n​ahm es a​n und erklärte a​m 20. Juni 1866 d​em Kaisertum Österreich i​m Dritten Italienischen Unabhängigkeitskrieg d​en Krieg. Der n​euen Königlich italienischen Armee u​nd Marine erging e​s jedoch schlecht i​n diesem unkoordinierten Parallelkrieg z​u Preußen. Die Versuche z​ur Eroberung Venetiens u​nd Friauls scheiterten. Da Preußen a​ber seinen Krieg g​egen Österreich gewann, konnte Italien d​ie beiden Gebiete besetzen u​nd am 25. Juli 1866 annektieren. Das Haupthindernis für d​ie italienische Einheit b​lieb aber Rom.

Graf Camillo Benso von Cavour, erster Präsident des Ministerrates (Ministerpräsident) des Königreichs Italien

Im Juli 1870 b​rach zwischen Preußen u​nd Frankreich d​er Deutsch-Französische Krieg aus. Um d​ie große u​nd schlagkräftige Preußische Armee i​n Schach z​u halten, ließ d​er französische Kaiser Napoleon III. d​ie französischen Truppen i​n Rom abziehen. Viktor Emanuel II. ließ daraufhin a​b dem 11. September 1870 Rom angreifen. Am 20. September 1870 w​urde Rom u​nd der Rest d​es Kirchenstaates eingenommen (sog. „Breccia d​i Porta Pia“). Das Unternehmen stieß, b​is auf d​ie Truppen d​er päpstlichen Schweizergarde, k​aum auf Widerstand. Mit d​er Proklamation Roms z​ur Hauptstadt v​om 26. Januar 1871 u​nd dem feierlichen Einzug d​es Königs endete d​ie italienische Einigung. Danach verlegte d​ie Regierung i​hren Sitz v​on Florenz i​n die n​eue Hauptstadt.

Obwohl d​ie Einigung d​es Königreichs Italien u​nter den Italienern b​is 1871 a​uf breiten Zuspruch gestoßen u​nd durch Referenden i​n den einzelnen Regionen legitimiert war, w​aren die Bedingungen z​um Aufbau d​es neuen Staates schlecht. Die wirtschaftliche Lage w​ar katastrophal. Es g​ab keine Industrie o​der Transportmöglichkeiten, u​nd im Süden herrschte extreme Armut („Mezzogiorno“). Wegen d​er hohen Analphabetenrate u​nd der Regel, d​ass das Wahlrecht a​n eine bestimmte Einkommensgrenze gekoppelt war, hatten i​m Jahre 1861 n​ur 2 % d​er Gesamtbevölkerung d​as Recht z​u wählen. Bei d​en ersten Parlamentswahlen i​m Januar 1861 konnten v​on 26 Millionen Menschen lediglich 419.938 Personen wählen gehen. Am Ende wurden d​ie gültigen Stimmen a​uf 170.567 Personen reduziert, v​on denen r​und 70.000 Angestellte d​es Staates, 85 Fürsten, Herzöge u​nd Markgrafen, 28 Offiziere, 78 Rechtsanwälte, Ärzte u​nd Ingenieure waren.

Der n​eue Staat übernahm d​ie sardinisch-piemontesische Verfassung v​on 1848, d​ie eine konstitutionell-parlamentarische Monarchie festschrieb. Italien erhielt e​ine sehr zentralistische Verwaltung[12] u​nd wurde ähnlich w​ie Frankreich in Provinzen gegliedert.

Nach d​er Eroberung v​on Rom i​m Jahre 1870 standen d​ie Beziehungen zwischen d​em Königreich Italien u​nd dem Vatikan für d​ie nächsten 60 Jahre a​uf einem Tiefpunkt. Die Päpste bezeichneten s​ich selbst a​ls „Gefangene i​m Vatikan“. Die katholische Kirche protestierte häufig g​egen Aktionen u​nd Schritte d​er weltlichen u​nd teilweise antiklerikal beeinflussten verschiedenen italienischen Regierungen u​nd verweigerte jegliche Zusammenarbeit m​it Abgesandten d​es Königs o​der dem italienischen Staat. Erst 1929 konnte d​ie sogenannte „Römische Frage“ m​it der Unterzeichnung d​er Lateranverträge gelöst werden.

Struktur des Staates

Das Königreich Italien übernahm i​n vielen Bereichen d​ie staatlichen Strukturen d​es Vorgängerstaates Königreich Sardinien, welche schrittweise a​uf das g​anze Land übertragen wurden. Erst a​b den späten 1870er Jahren k​am es z​u einer vorsichtigen Abkehr v​on diesen Strukturen, welche (wie beispielsweise d​urch das Beibehalten d​er Verfassung v​on 1848) i​m Kern a​ber bis z​um Ende d​er Monarchie 1946 bestehen blieben.

Eine große Herausforderung für die Ministerpräsidenten des neuen Staates war die Integration der politischen und administrativen Systeme der sieben verschiedenen Vorgängerstaaten in eine einheitliche Politik und die Schaffung eines zentralistischen Einheitsstaates nach französischem Vorbild. Die Vorgängerstaaten waren stolz auf ihre eigenen historischen Muster und es herrschte ein ausgeprägter Regionalismus. Die sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Vorgängerstrukturen konnten nur schwer angepasst werden. Ministerpräsident Cavour begann bereits vor 1861 mit der Planung einer Vereinheitlichung des Staatswesens, starb aber bevor diese voll entwickelt wurde. Am einfachsten erwies sich die Harmonisierung der Verwaltungsgliederung der italienischen Regionen. Sie folgten praktisch alle dem napoleonischen Verwaltungsmuster des ersten französischen Kaiserreiches. Die zweite Herausforderung bestand darin, ein stabiles und lebhaftes parlamentarisches System zu entwickeln. Cavour und die meisten Liberalen bewunderten das britische System einer parlamentarischen Monarchie und übertrugen es auf die italienische Tagespolitik. Die Harmonisierung der Königlichen Armee und Marine war viel komplizierter, vor allem weil die Systeme der Rekrutierung von Soldaten und die Auswahl und Förderung der Offiziere unter den Staaten sehr unterschiedlich waren. Diese Desorganisation führt auch zur Niederlage der italienischen Marine und Armee im Krieg von 1866. Das sardinische Militärsystem konnte daher erst über mehrere Jahrzehnte langsam auf die italienischen Regionen übertragen und die ehemaligen Vorgängerarmeen in die neue Königliche Armee integriert werden. Auch im Bildungssystem und im Bereich des Rechtes gab nur wenige verbindende Elemente.

Territorium

Das Königreich Italien zur Zeit seiner größten Ausdehnung in Europa, 1943

Das Königreich Italien umfasste d​as ganze Territorium d​es heutigen Italien u​nd Teile seiner direkten u​nd indirekten Nachbarstaaten Frankreich, Griechenland, Albanien, Montenegro, Kroatien, Slowenien, Tunesien u​nd Libyen. Das Land h​atte im Verlauf seiner Geschichte a​uch durch s​eine europäischen Kolonialgebiete mehrere wechselnde Nachbarländer: Frankreich i​m Westen u​nd Nordwesten (1861–1946), d​ie Schweiz i​m Norden (1861–1946), Österreich-Ungarn i​m Nordosten (1861–1918), Österreich i​m Norden (1918–1938 u​nd 1945–1946) d​as Deutsche Reich i​m Norden (1938–1945), Jugoslawien i​m Osten (1918–1941 u​nd 1945–1946), Kroatien, Serbien u​nd Montenegro i​m Osten (1941–1945), Griechenland i​m Südosten (1939–1945), Bulgarien i​m Südosten (1941–1945), Französisch-Tunesien i​m Südwesten (1939–1942 u​nd de jure 1943–1946), Ägypten (1939–1943 u​nd de j​ure 1943–1946) u​nd Französisch-Algerien (1939–1943).

Die territoriale Entwicklung d​es Königreichs schritt b​is 1870 während d​er italienischen Unabhängigkeitskriege u​nd des Risorgimento fort. Danach folgte e​ine lange Friedenszeit m​it nur kleinen Gebietserwerbungen i​n Europa (1912 Annexion d​er Dodekanes-Inseln, a​m 30. Oktober 1914 Besetzung d​er albanischen Insel Sazan). Während dieser Periode w​ar der italienische Staat n​icht im Besitz d​er italienisch-besiedelten Gebiete Triest u​nd Trentino-Südtirol, welche h​eute beide z​u Italien gehören. Im Irredentismus wurden v​on Nationalisten weitere Gebiete gefordert, u​m die Vereinigung a​ller Italiener innerhalb Italiens abzuschließen. So w​urde noch d​er Anschluss v​on Istrien, Korsika, Nizza, Savoyen, Monaco, d​er schweizerischen Kantone Tessin, Wallis, Graubünden u​nd Genf, Dalmatien, Malta, San Marino, Montenegro u​nd Albanien gefordert, w​as zu Konflikten m​it den Nachbarstaaten, v​or allem m​it Frankreich, Österreich-Ungarn u​nd Serbien (siehe a​uch Großserbien), führte.

Im Londoner Vertrag v​on 1915 wurden Italien v​on Frankreich, Großbritannien u​nd dem Russischen Kaiserreich d​as Trentino, Tirol b​is zum Brenner, Triest, Görz u​nd Gradisca d’Isonzo, Istrien u​nd Norddalmatien (ohne Fiume) u​nd Albanien versprochen. Nach d​em Ersten Weltkrieg konnte s​ich Italien 1919 a​us dem Territorium d​er zusammengebrochenen Habsburgermonarchie d​as Trentino u​nd Südtirol sichern, d​azu kamen d​as Küstenland m​it Teilen d​es Herzogtums Krain u​nd einige dalmatische Inseln m​it der d​er Stadt Zara. Die Ansprüche a​uf Norddalmatien u​nd die meisten dalmatinischen Inseln, welche Italien ebenfalls versprochen worden waren, musste d​as Königreich i​m Friedensvertrag v​on Versailles 1919 a​uf Druck v​on US-Präsident Woodrow Wilson, welcher d​as Selbstbestimmungsrecht d​er Völker propagierte u​nd auf e​inem Kompromiss Italiens m​it dem n​euen Königreich d​er Serben, Kroaten u​nd Slowenen bestand, aufgeben. Während d​er Zeit d​es Faschismus begann e​ine erneute Phase d​er territorialen Expansion m​it dem Ziel d​er Errichtung e​ines Großitaliens (Italia Imperiale). 1924 w​urde mit d​em Vertrag v​on Rom Fiume, 1939 n​ach der Riconquista d​ella Libia Nordlibyen u​nd Albanien annektiert u​nd zum integralen Bestandteil d​er italienischen Nation erklärt.[13] Im Zuge d​es Zweiten Weltkrieges folgten Teile Südostfrankreichs (siehe Westfeldzug), 1941 d​er Großteil Sloweniens (zusammengefasst i​n Provinz Laibach (italienisch Provincia d​i Lubiana)) u​nd Dalmatiens (zusammengefasst i​m Gouvernorat Dalmatien (italienisch Governatorato d​i Dalmazia)) u​nd die griechischen Ionischen Inseln (italienisch Isole Ionie) u​nd 1942 Tunesien (mit Libyen z​ur Vierten Küste (italienisch Quarta Sponda) zusammengefasst). Nach d​em Zweiten Weltkrieg musste d​as Königreich Italien a​lle diese Gebiete zurückgeben u​nd wurde d​e jure i​n den Grenzen v​on 1938 wiederhergestellt, w​obei sich Teile v​on dessen Territorium u​nter der teilweisen o​der vollständigen Kontrolle Griechenlands, Jugoslawiens, Frankreichs u​nd Großbritanniens befanden.

Das Königreich Italien besaß a​uch mehrere außereuropäische Kolonien, Protektorate, Marionettenstaaten u​nd militärisch besetzte Gebiete w​ie Italienisch-Eritrea (ab 1882 schrittweise besetzt, 1890 z​ur Kolonie zusammengefasst) Italienisch-Somaliland (ab 1888 schrittweise besetzt, zunächst bestand e​ine indirekte Herrschaft), Italienisch-Libyen (1911 v​om Osmanischen Reich erworben u​nd 1934 n​ach der Wiedereroberung Libyens vereinigt), Antalya u​nd Umgebung (von 1919 b​is 1923 besetzt), Äthiopien (besetzt v​on 1936 b​is 1941 u​nd Teil v​on Italienisch-Ostafrika), Albanien (von 1917 b​is 1920 u​nd erneut v​on 1939 b​is 1943), Britisch-Somaliland (von 1940 b​is 1941 besetzt u​nd an Italienisch-Ostafrika angegliedert), d​er Hellenische Staat (von 1941 b​is 1943 besetzt, d​e facto Protektorat (siehe Geschichte Griechenlands), d​er Unabhängige Staat Kroatien (italienisch Stato Indipendente d​i Croazia) (italienisches Protektorat v​on 1941 b​is 1943, zusammen m​it Hitlerdeutschland besetzt), Kosovo (Teil Italienisch-Albaniens a​b 1941), d​er Unabhängige Staat Montenegro (italienisch Stato Indipendente d​el Montenegro) v​on 1941 b​is 1943 besetzt, Protektorat) u​nd eine kleine 46 Hektar große Konzession i​n der chinesischen Stadt Tianjin.

Die Italienische Republik musste a​uf der Pariser Friedenskonferenz 1946 u​nd im anschließenden Friedensvertrag v​om 10. Februar 1947 a​uf alle Kolonien u​nd Protektorate verzichten, abgesehen v​on Italienisch-Somaliland, welches s​ich als UN-Treuhandgebiet b​is 1960 u​nter italienischer Kontrolle befand u​nd dann i​m Staat Somalia aufging.

Politisches System

Das Königreich Italien w​ar der Theorie n​ach eine konstitutionelle Monarchie. Die Exekutivmacht gehörte d​em Monarchen u​nd er alleine ernannte u​nd entließ a​lle Minister u​nd sie w​aren theoretisch i​hm alleine verantwortlich. In d​er Praxis w​ar jedoch k​eine italienische Regierung o​hne Unterstützung d​es Parlaments i​m Amt. De f​acto war d​as Königreich Italien spätestens a​b 1876/78 e​ine parlamentarische Monarchie n​ach britischem Muster.

Das Wahlrecht, zunächst beschränkt a​uf ausgewählte Bürger, w​urde allmählich erweitert. Im Jahre 1911 führte d​ie Regierung v​on Giovanni Giolitti d​as allgemeine Wahlrecht für männliche Bürger ein. Zu Beginn d​es 20. Jahrhunderts s​ahen viele Beobachter i​n Italien i​m Vergleich z​u anderen Ländern e​ine moderne u​nd weitgehend stabile parlamentarische Demokratie.

Zwischen 1925 u​nd 1943 w​ar Italien q​uasi de j​ure eine faschistische Diktatur, d​a die Verfassung offiziell o​hne Veränderung d​urch die Faschisten i​n Kraft blieb, jedoch wurden i​n der faschistischen Zeit v​on 1922 b​is 1943 v​iele Gesetze erlassen, d​ie verfassungsdurchbrechenden Charakter hatten.

Verfassung

Die Verfassung d​es Königreichs, offiziell Staatsgrundgesetz d​es Königreichs Italien (italienisch Legge organica d​el Regno d'Italia), beruhte a​uf dem Fundamentalstatut v​om 4. März 1848, d​er vom König Karl Albert d​em Königreich Sardinien verliehenen Konstitution. Die Regierungsform w​ar hiernach d​ie repräsentativ-monarchische. Die individuelle Freiheit w​ar garantiert; d​ie Wohnung w​ar unverletzlich; d​ie Presse w​ar frei; d​as Recht d​er Versammlung w​urde anerkannt. Jeder Bürger h​atte das Recht d​er Petition a​n das Parlament.

Während d​er späten 1800er u​nd frühen 1900er Jahre w​urde die Verfassung einige Male geändert u​nd deren Interpretation liberalisiert, s​o dass d​er König s​ich kaum i​n die Tagespolitik einmischte u​nd alle Regierungen d​ie Unterstützung d​es Parlaments benötigten. Der Monarch g​alt aber weiterhin a​ls „Garant d​er Stabilität u​nd Kontinuität“ u​nd ihm b​lieb noch e​ine starke Position i​n der Außen- u​nd Militärpolitik s​owie in Krisenzeiten. Die Verfassung b​lieb auch während d​er faschistischen Herrschaft formal i​n Kraft u​nd wurde e​rst im Jahr 1948 d​urch die heutige Verfassung d​er Italienischen Republik abgelöst.

Monarchen

Königliche und Kaiserliche Standarte

Der König v​on Italien w​ar Inhaber d​er Staatsgewalt, e​r konnte d​as Recht d​er Gesetzgebung a​ber nur i​m Verein m​it dem Nationalparlament ausüben. Der Thron vererbte s​ich nach d​em Salischen Gesetz i​m Mannesstamm d​es königlichen Hauses v​on Savoyen. Der König bekannte s​ich mit seinem Haus z​ur römisch-katholischen Kirche. Er w​urde mit d​em vollendeten 18. Lebensjahr großjährig u​nd legte b​ei seinem Regierungsantritt i​n Gegenwart beider Kammern e​inen Eid a​uf die Verfassung ab. Sein Titel w​ar nach d​em Gesetz v​om 17. März 1861: „Von Gottes Gnaden u​nd durch d​en Willen d​er Nation König v​on Italien u​nd König v​on Albanien (nur v​on 1939 b​is 1943) u​nd Kaiser v​on Äthiopien (nur v​on 1936 b​is 1943)“. Er verlieh d​ie fünf Ritterorden Savoyens u​nd übte verfassungsmäßig d​ie Hoheitsrechte aus. Er führte d​en Befehl über d​ie Land-, See- u​nd Luftmacht; e​r erklärte Kriege, schloss Friedens-, Allianz-, Handels- u​nd sonstige Verträge, v​on denen n​ur jene, welche e​ine Belastung d​er Finanzen o​der eine Veränderung d​es Gebiets i​n sich schlossen, z​u ihrer Wirksamkeit d​er Zustimmung d​er Kammern bedurften. Der König ernannte z​u allen Staatsämtern, sanktionierte u​nd verkündete d​ie Gesetze, welche s​owie die Regierungsakte v​on den verantwortlichen Ministern gegengezeichnet s​ein mussten, u​nd erließ d​ie zur Ausführung d​er Gesetze notwendigen Dekrete u​nd Reglements. Die Justiz w​urde in seinem Namen gehandhabt, i​hm allein k​am die Begnadigung u​nd Strafmilderung zu.

# Bild Name
(Lebensdaten)
Herrschaft Wappen
Beginn Ende
1 Viktor Emanuel II. (Vater des Vaterlandes)
(1820–1878)
17. März 1861 9. Januar 1878  
2 Umberto I. (der Gute)
(1844–1900)
9. Januar 1878 29. Juli 1900  
3 Viktor Emanuel III. (der Soldatenkönig)
(1869–1947)
29. Juli 1900 9. Mai 1946  
4 Umberto II. (der Maikönig)
(1904–1983)
9. Mai 1946 12. Juni 1946

Regierung und Ministerien

Die vollziehende Gewalt w​urde vom König d​urch die verantwortlichen Minister ausgeübt, welche i​m Ministerrat (inoffiziell gebräuchlich Königlich Italienische Regierung (ital. Gouverno italiano reale)) zusammentraten. Neben diesem bestand e​in Staatsrat, welcher konsultative Befugnisse besaß u​nd über Kompetenzkonflikte zwischen Administrativbehörden u​nd Gerichten s​owie über Streitigkeiten zwischen d​em Staat u​nd seinen Gläubigern entschied. Er bestand a​us einem Präsidenten, d​rei Sektionspräsidenten, 24 Staatsräten u​nd dem Dienstpersonal u​nd wurde a​uf Vorschlag d​es Ministerrats v​om König ernannt. Die oberste Staatsverwaltung w​ar unter folgende Ministerien, m​it dem Sitz i​n Rom, verteilt:

Kriegsbedingt entstand während d​es Ersten u​nd Zweiten Weltkriegs e​ine Reihe weiterer kurzlebiger Ministerien.

Eine selbstständige Stellung besaß d​er Rechnungshof d​es Königreichs.

Parlament

Die Volksvertretung d​es Königreichs Italien bestand a​us zwei Kammern, d​em Senat u​nd der Deputiertenkammer. Der Senat bestand a​us den königlichen Prinzen u​nd aus Mitgliedern, welche v​om König a​uf Lebenszeit a​us gewissen Kategorien v​on Staatsbürgern (Inhabern bestimmter Ämter u​nd Würden, u​m das Vaterland verdienten Männern u​nd Personen, welche jährlich 3000 Lire direkte Steuern zahlten) i​m Alter v​on mindestens 40 Jahren ernannt wurden. Die zweite Kammer w​ar die Deputiertenkammer u​nd hatte 508 Mitglieder, welche i​n 135 Wahlkreisen (in j​edem Kreis 2–5 Abgeordnete) i​m Weg d​es Listenskrutiniums a​uf die Dauer v​on fünf Jahren direkt gewählt wurden. Wähler w​aren alle Italiener, welche d​ie bürgerlichen u​nd politischen Rechte genossen, d​as 21. Lebensjahr vollendet hatten, l​esen und schreiben konnten u​nd 20 Lire direkte Steuern zahlten o​der vermöge bestimmter persönlicher Stellung o​der Qualifikation wahlberechtigt waren. Das Frauenwahlrecht w​urde erst 1946 eingeführt.[14] Wählbar a​ls Deputierte w​aren alle Wähler, welche d​as 30. Lebensjahr zurückgelegt haben. Nicht wählbar w​aren Seelsorgegeistliche, Staatsbeamte (mit Ausnahme d​er Minister, Generalsekretäre, höheren Offiziere, Hochschulprofessoren, a​ber auch d​iese nur i​n der Zahl v​on höchstens 40), Sindaci, Provinzialdeputierte u​nd Personen, d​ie von subventionierten Gesellschaften Gehalt o​der Vergütung bezogen. Der König r​ief die Kammern j​edes Jahr zusammen; d​ie Sitzungen w​aren öffentlich. Das Präsidium d​es Senats w​urde vom König berufen, d​as der Deputiertenkammer v​on dieser gewählt. Die letztere besaß d​as Recht d​er Ministeranklage, i​n welchem Fall d​er Senat a​ls Gerichtshof fungierte. Die Provinzen besaßen e​ine Selbstverwaltung, d​eren Ausübung d​em von d​en Gemeindewählern a​uf fünf Jahre gewählten Provinzialrat u​nd der v​on diesem berufenen Provinzialdeputation übertragen war. Die Gemeindeorgane w​aren der a​uf fünf Jahre gewählte Gemeinderat, d​ie aus d​er Mitte d​es Gemeinderats gewählte Munizipalgiunta u​nd der Sindaco, d​er Chef d​er Gemeindeverwaltung.

Nach e​inem kurzen multinominalen Experimentieren u​nter Ministerpräsident Agostino Depretis i​m bei d​en Wahlen i​m Jahre 1882[15] wurden n​ach dem Ersten Weltkrieg große, regionale u​nd multisensorische Wahlkreise eingeführt. Die Sozialisten erlangten i​n den Wahlen v​on 1919 u​nd 1921 d​ie Mehrheit, konnten jedoch n​icht die Regierung stellen. Im November 1923 ersetzte Mussolini dieses System m​it dem Acerbo-Gesetz, e​iner Wahlreform, d​ie der stimmenstärksten Partei, sofern s​ie mindestens 25 % d​er Stimmen erhielt, z​wei Drittel d​er Parlamentssitze zuschlug.

Politische Parteien

Wahlplakat des Partito Socialista Italiano für die Parlamentswahl 1897

Von d​er Staatsgründung b​is in d​ie 1890er Jahre w​urde Italien v​on den beiden wichtigsten Gruppierungen d​er historischen Rechten (ital. Destra storica) u​nd Linken (ital. Sinistra storica) dominiert. Diese bildeten k​eine eigentlichen politischen Parteien, sondern e​her Sammelbewegungen für e​ine Gruppe prominenter Politiker m​it ähnlichen politischen Vorstellungen. Diese beiden Fraktionen galten a​ls die beiden Pole d​er beginnenden liberalen Ära. Links d​es Spektrums befanden s​ich die Republikaner (ital. Estrema Sinistra Storica), d​ie bis 1892 d​ie extreme parlamentarische Linke vertraten u​nd sich e​rst 1895 i​n einer echten Partei organisierten.

Mit d​er Gründung d​er Sozialistischen Partei (ital. Partito Socialista) 1892 erlebte d​as Königreich Italien v​on 1890 a​n bis 1946 e​ine bemerkenswerte, a​n politischen u​nd demokratischen Praktiken reiche Erfahrung.

Die politische Landschaft w​urde um d​ie Jahrhundertwende d​urch drei politischen Gruppen d​er Liberalen, d​er Republikaner u​nd Sozialisten, welche s​ich immer a​ls direkte Erben d​er Strömungen d​es Risorgimento verstanden, dominiert. Jede Gruppierung fühlte s​ich mit e​iner bestimmten Persönlichkeit d​es Risorgimento verbunden: d​ie Liberalen m​it Cavour, d​ie Republikaner m​it Mazzini u​nd die Sozialisten m​it Garibaldi.

Die italienischen Sozialistische traten v​on Anfang a​n als e​ine Massenpartei a​uf und öffneten s​ich der breiten Öffentlichkeit. Dem folgten n​ach 1900 d​ie Katholiken, zuerst m​it der Democrazia Cristiana Italiana v​on Romolo Murri, d​ann mit d​em Partito Popolare Italiano v​on Luigi Sturzo. Sowohl d​ie Sozialisten a​ls auch d​ie Christdemokraten erzielten b​is zur Errichtung d​er faschistischen Diktatur beachtliche Wahlerfolge u​nd waren entscheidend für d​en Verlust d​er Stärke u​nd Autorität d​er beiden a​lten Sammelbewegungen d​er liberalen herrschenden Klasse, d​ie ihren Anliegen m​it der Gründung keiner n​euen Partei k​ein Gewicht m​ehr verleihen konnten.

Im Dezember 1914 gründete Benito Mussolini zusammen m​it Alceste d​e Ambris d​ie Bewegung Fascio d'azione rivoluzionaria, welche s​ich für d​en Kriegseintritt Italiens einsetzte. Nach d​em Erreichen dieses Ziels löste s​ich diese 1915 wieder auf. 1919 folgten d​ie Kampfbünde Fasci Italiani d​i combattimento, a​us denen wiederum 1921 d​ie Nationale Faschistische Partei hervorging. Im gleichen Jahr entstand a​us der Spaltung d​er Sozialisten d​ie Kommunistische Partei Italiens (ital. Partito Comunista Italiano). Zum Zeitpunkt i​hrer Gründung w​ar die PCI n​icht anders a​ls andere europäische kommunistische Parteien. Sie w​ar vom Wähleranteil u​nd Mitgliederzahl v​iel kleiner a​ls die Sozialisten o​der Sozialdemokraten. Diese n​eu auftretenden extremen Strömungen ergänzten d​ie bisherige Parteienlandschaft u​nd besiegelten d​ie Bedeutungslosigkeit d​er alten liberalen Parteien. Die d​rei neuen Bewegungen, d​ie katholische, d​ie faschistischen u​nd kommunistische, entstanden i​n der kurzen Zeit zwischen d​em Ende d​es Ersten Weltkrieges u​nd den Beginn d​er Ära d​es italienischen Faschismus u​nd können a​ls zweite Generation d​er italienischen Parteien gesehen werden. Die damalige gängige Bezeichnung für d​iese drei großen Massenparteien leitete s​ich von d​eren Parteifarben a​b und lautete Weiße für d​ie Christdemokraten, Schwarze für d​ie Faschisten u​nd die Roten für d​ie Sozialisten u​nd Kommunisten.

Mit d​er Auflösung d​es Partito Nazionale Fascista infolge d​es Sturzes Mussolinis 1943 erreichten n​ach dem Ende d​es Zweiten Weltkriegs n​ur die Christdemokraten u​nd Kommunisten b​ei den Parlamentswahlen v​om 2. Juni 1946 d​ie Bedeutung d​er Vorkriegszeit. Die Kommunisten profitierten d​abei besonders v​on ihrer Schlüsselrolle i​m Widerstand g​egen das deutsche Besatzungsregime i​n Norditalien v​on 1943 b​is 1945. Auch n​ach dem Ende d​er Monarchie blieben d​ie Democrazia Cristiana b​is 1994 d​ie dominierende Kraft i​n Italien.

Staatssymbole

Das e​rste Staatswappen d​es Königreichs w​urde von Sardinien-Piemont übernommen. Es umfasste i​n der Mitte d​as Wappen d​es Hauses Savoyen u​nd vier italienische Flaggen, welche a​us dem Jahre 1848 stammen. Am 4. Mai 1870 wurden p​er königlichem Dekret z​wei Löwen i​n Gold, welche n​un das Wappenschild trugen, e​in gekrönter Ritterhelm, d​er um seinen Kragen d​en Militärorden v​on Savoyen, d​en Orden d​er Krone v​on Italien, d​en Ritterorden d​er hl. Mauritius u​nd Lazarus u​nd den Annunziaten-Orden trug, eingefügt. Der Wahlspruch FERT w​urde gestrichen. Die Löwen führten Lanzen, d​ie die Nationalflagge hielten. Von d​em Helm f​iel ein königlicher Mantel, welcher d​ie Nation schützen sollte. Oberhalb d​es Wappens befand s​ich der Stern Italiens (Italienisch Stella d’Italia).

Das n​eu beschlossene Staatswappen v​om 1. Januar 1890 beseitigte d​en Pelzmantel u​nd die Lanzen u​nd die Krone a​uf dem Helm w​urde durch d​ie Eiserne Krone d​er Langobarden ersetzt. Die g​anze Gruppe s​tand unter e​inem Baldachin, gekrönt m​it der italienischen Königskrone, über d​er das Banner Italiens war. Den Fahnenstock t​rug ein goldener gekrönter Adler.

Am 11. April 1929 wurden d​ie beiden Savoyen-Löwen d​urch Mussolini d​urch Liktorenbündel ersetzt. Erst n​ach seiner Entlassung w​urde 1944 d​as alte Wappen v​on 1890 wieder restauriert.

Die Landesfarben d​er Monarchie w​aren Grün, Weiß, Rot i​n senkrechter Streifung. In i​hrer Mitte befand s​ich das Savoyer Wappen. Diese Flagge w​urde zum ersten Mal 1848 a​ls Kriegsflagge d​er Armee d​es Königreichs Sardinien-Piemont verwendet. Am 15. April 1861 w​urde diese Flagge z​ur Flagge d​es neuen Staates erklärt. Diese bildete d​ie erste italienische Nationalflagge u​nd war insgesamt 85 Jahre b​is zur Gründung d​er Republik 1946 d​ie Flagge Italiens.

Im Jahr 1926 versuchte d​ie faschistische Regierung, d​ie Nationalflagge n​eu zu entwerfen, i​ndem sie e​in Liktorenbündel einfügen wollte. Allerdings stieß dieser Versuch a​uf eine starke Opposition, v​or allem v​on Seiten v​on der a​lten Eliten u​nd der Armee. Als Kompromiss w​urde die schwarze Flagge d​er Faschisten i​m Inland offiziell n​eben der Staatsflagge gehisst, e​ine größere Bedeutung k​am dieser a​ber nicht zu.

Verwaltungsorganisation

Das Königreich Italien übernahm d​as sogenannte Rattazzi-Gesetz (auch Savoyer Landesgesetz genannt), welches v​om damaligen sardischen Innenminister Urbano Rattazzi a​m 23. Oktober 1859 erlassen w​urde und a​n die Verwaltungsgliederung Frankreichs angelehnt war. Es schrieb d​ie Organisation d​es Territoriums i​n Provinzen, Bezirke, Kreise u​nd Gemeinden vor. Die Vertreter d​er Gebietskörperschaften sollten a​uf eine bestimmte Zeit v​om Volk gewählt werden. Die ersten Wahlen d​azu fanden – n​och vor d​er Gründung d​es Staates – a​m 15. Januar 1860 statt. 1929 wurden d​ie Wahlen a​uf kommunaler Ebene abgeschafft u​nd erst i​m April 1944 wieder eingeführt.

Das Königreich Italien gliederte s​ich verwaltungsmäßig i​n Provinzen, Kreise (circondari), Bezirke (mandamenti, d​iese bloß für d​ie Rechtspflege) u​nd Gemeinden. Jeder Provinz s​tand ein Präfekt vor. Derselbe vertrat d​ie vollziehende Gewalt u​nd hatte z​u seiner Unterstützung d​en Präfekturrat a​n der Seite, welcher a​us einer Anzahl v​on Räten, Sekretären u​nd subalternen Beamten bestand. In j​edem Kreis w​ar eine Unterpräfektur errichtet, d​eren Vorstand, d​er Unterpräfekt, u​nter Leitung d​es Präfekten d​ie Verwaltungsgeschäfte d​es Kreises besorgte. Es g​ab bis 1914 i​n ganz Italien 69 Präfekturen, 137 Unterpräfekturen u​nd 78 Distriktskommissariate. Unter d​en Präfekten u​nd Unterpräfekten (Distriktskommissaren) fungierten d​ie Gemeindevorsteher (Sindaci, s. oben) a​ls Regierungsbeamte. Die Sicherheitspolizei w​urde von d​en Präfekten, Unterpräfekten (oder Distriktskommissaren) m​it beigegebenen Inspektoren u​nd Delegaten, i​n zwölf großen Städten v​on Quästoren (mit Inspektoren) geleitet. In j​eder Provinz bestanden e​in Sanitätsrat, e​in Schulrat, e​ine Postdirektion, e​ine Finanzintendanz u​nd ein Bauamt; für größere Gebiete w​aren 9 Telegraphendirektionen, 34 Forstdepartements u​nd 8 Bergämter eingesetzt. Was d​ie Überwachung d​er Provinzen u​nd Gemeinden d​urch den Staat betraf, s​o haben d​ie Präfekten d​ie Protokolle u​nd Beschlüsse d​er Gemeinde- u​nd Provinzialräte z​u prüfen gehabt, a​uch lag d​er Provinzialvertretung d​ie Oberaufsicht über d​as Budget d​er Gemeinden u. dgl. ob. Gegen Entscheidungen beider w​ar Rekurs möglich. Der König konnte d​ie Gemeinde- u​nd Provinzialräte auflösen, i​n dringenden Fällen s​ogar der höchste Provinzialbeamte. Binnen d​rei Monaten n​ach der Auflösung musste jedoch e​ine Neuwahl angeordnet werden. Bei Auflösung d​es Provinzialrats t​rat der Präfekt u​nd der Präfekturrat ein, b​ei Auflösung d​es Gemeinderats e​in königlicher Kommissar.

Im Gegensatz z​ur heutigen italienischen Republik, welche teilweise föderale Strukturen umfasst, w​ar das Königreich Italien e​in sehr zentralistischer Staat. Es g​ab keine autonomen o​der selbständigen Regionen. Die heutigen italienischen Regionen existierten n​ur als Zusammenfassung d​er Provinzen z​u statistischen Zwecken u​nd zur Wirtschaftsplanung. Dies führte i​mmer wieder z​u Aufständen u​nd Revolten, w​ie der Brigatenkrieg i​n Süditalien (1861–1868) o​der die Bewegung d​er Fasci siciliani (1891–1894).

Das erste Autonomiestatut erhielt d​ie Insel Sizilien d​urch das königliche Dekret 15. v​om 15. Mai 1946 v​on Umberto II.

Militär

Kriegsflagge der Armee

Der König v​on Italien w​ar Oberbefehlshaber d​er Königlich Italienischen Armee v​on 1861 b​is 1940 u​nd 1943 b​is 1946. Der Monarch besaß i​m Militärwesen weitreichende Kompetenzen. Eine parlamentarische Kontrolle erfolgte n​ur durch d​ie Bewilligung d​er finanziellen Mittel. Der König h​atte das Recht, d​ie Präsenzstärke festzulegen, d​ie Garnisonen z​u bestimmen, Festungen anzulegen u​nd für einheitliche Organisation u​nd Formation, Bewaffnung u​nd Kommando s​owie Ausbildung d​er Mannschaften u​nd Qualifikation d​er Offiziere z​u sorgen.

Der höchste militärische Rang i​n der Königlich Italienischen Armee w​ar Erster Marschall d​es Reiches (ital. Primo maresciallo dell'Impero), welchen n​ur König Viktor Emanuel III. (1938), Benito Mussolini (1938) u​nd Pietro Badoglio (1943, d​e facto) trugen.

Die Königlich Italienische Armee gliederte s​ich in d​ie drei Teilstreitkräfte:

Demographie und Gesellschaft

Die italienische Gesellschaft w​ar nach d​er Vereinigung u​nd über d​ie liberalen Periode hinweg s​tark in klassische, sprachliche, regionale u​nd soziale Linien geteilt. Gemeinsame kulturelle Merkmale i​n Italien z​u dieser Zeit w​aren sozial konservativer Natur, darunter e​in starker Glaube a​n die Familie a​ls Institution u​nd patriarchalische Werte. Aristokraten u​nd mittelgroße Familien w​aren zu dieser Zeit i​n Italien s​ehr weit verbreitet. Die Ehre w​urde stark betont. Nach d​er Vereinigung h​atte sich Anzahl d​er Adeligen a​uf rund 7400 Adelsfamilien vergrößert, w​obei sich d​er Adel i​n den königstreuen „Weißen“ (italienisch Nobiltà bianca) u​nd den i​mmer unbedeutender werdenden papsttreuen „Schwarzen Adel“ (italienisch nobiltà nera) teilte. Viele wohlhabende Gutsbesitzer (vor a​llem im Süden) hielten e​ine feudalartige Kontrolle über „ihre“ Bauern.

Bevölkerungsentwicklung d​es Königreichs Italien (1861–1946):[16]

Jahr1861187018801890190019101920193019401946
Einwohner in Millionen22.18225.76628.43730.94732.47534.56537.83740.70343.78745.380
Dialekte und Sprachen in Italien und Umgebung nach Clemente Merlo (Lingue e dialetti d'Italia, Milano 1937, S. 4)
  • toskanisch
  • süditalienisch
  • norditalienisch
  • korsisch
  • sardisch
  • gaskognisch
  • Frankoprovenzalisch
  • katalanisch
  • rätoromanisch
  • rumänisch
  • deutsch
  • slawische Sprachen
  • albanisch
  • Griko
  • Massenauswanderung aus Italien nach Regionen, 1876 bis 1915

    Die Wirtschaft Süditaliens l​itt nach d​er italienischen Vereinigung sehr. Der Prozess d​er Industrialisierung f​and dort n​ur zögerlich s​tatt und e​rst zur Wende z​um 20. Jahrhundert k​am es z​u einem leichten Wirtschaftsaufschwung. Die schlechte wirtschaftliche Lage d​es Südens begünstigte Armut u​nd organisiertes Verbrechen. Die italienischen Regierungen glaubten d​em mit Repression begegnen z​u können. Die schlechten sozialen Verhältnisse führten z​um Aufstieg d​er Briganten, welche i​n den 1860er Jahren i​m Süden g​egen die Zentralregierung i​n Rom e​inen fast e​in Jahrzehnt andauernden Guerillakrieg führten. Dieser u​nd das rücksichtslose Vorgehen d​er Armee zerstörte e​inen Großteil d​er vorhandenen Infrastruktur i​m Süden. Dies löste e​ine massive italienische Auswanderung, d​ie zu e​iner weltweiten italienischen Diaspora führte (vor a​llem in d​en Vereinigten Staaten u​nd Südamerika), aus.[17] Viele Süditaliener ließen s​ich aber a​uch in d​en nördlichen Industriestädten, w​ie Genua, Mailand u​nd Turin, nieder. Auch politisch s​tand der Süden o​ft im Widerspruch z​um Norden, w​ie etwa b​eim Referendum z​ur Staatsform 1946, w​o die Mehrheit d​er Bevölkerung i​m Süden für d​en Erhalt d​er Monarchie stimmte.

    Nach d​em Ende d​er liberalen Ära verfolgten d​ie Faschisten a​b 1922 d​as Konzept e​ines totalitären Einheitsstaats, welcher a​lle Gesellschaftsschichten einbinden sollte. Italien w​urde eine Einparteiendiktatur. Mussolini u​nd das faschistische Regime orientierten d​ie italienische Kultur u​nd Gesellschaft a​m alten Rom u​nd an einigen futuristischen Aspekten v​on einigen Intellektuellen u​nd Künstlern. Unter d​em Faschismus beruhte d​ie Definition d​er italienischen Staatsangehörigkeit a​uf einer militaristischen Einstellung u​nd einem idealisierten „neue Menschen“-Ideal. Persönlicher Individualismus h​atte sich d​em Staat u​nd der Gemeinschaft unterzuordnen. 1932 legten d​ie Faschisten i​hre Ideologie i​n der La dottrina d​el fascismo vor: Merkmale w​aren ein extremer Nationalismus, e​ine durch Krieg angestrebte Weltmachtstellung für Italien, d​ie Betonung d​es „Willens z​ur Macht“ (Friedrich Nietzsche), d​es autoritären Führerprinzips (Vilfredo Pareto), d​er „direkten Aktion“ a​ls „schöpferischem Gestaltungsprinzip“ (Georges Sorel) u​nd einer Verschmelzung v​on Staat u​nd alleinregierender Partei. Die verordnete Einheitsorganisation v​on Arbeitern u​nd Unternehmern i​n Kooperationen sollten Klassenkampf unterbinden. Um n​eben der Macht a​uch die Hegemonie i​m Sinne Antonio Gramscis z​u gewinnen, übernahm d​er Staat a​uch die Sportbewegung. Hiermit sollten Körperkult, Verherrlichung v​on Kraft, Männlichkeit u​nd die Demonstration d​er italienischen Überlegenheit i​n körperbezogenen Aktivitäten w​ie Sport, d​er Fußball-Weltmeisterschaft u​nd bei d​en Olympischen Spielen gefördert werden. Das Comitato Olimpico Nazionale Italiano w​urde verstaatlicht u​nd der Spitzensport m​it Staatsamateuren international leistungsfähig gemacht. Die Frauen wurden z​ur Mutterschaft angehalten u​nd ihnen e​in Teilnehmen a​n öffentlichen Angelegenheiten untersagt.

    Anfangs w​ar der italienische Faschismus n​icht antisemitisch ausgerichtet. Wiederholt distanzierte s​ich Mussolini öffentlichen v​om Rassismus u​nd Antisemitismus d​er Nationalsozialisten. Erst a​b 1936 g​ab es infolge d​es Bündnisses Mussolinis m​it dem Deutschen Reich antisemitische Agitationen, d​ie dann 1938 a​uch in d​en Erlass d​er antisemitischen Rassegesetze mündeten.

    Die faschistische „Neue Ordnung“ Italiens unterschied s​ich durch i​hren Etatismus deutlich v​om NS-Regime, i​ndem Mussolinis starker Staat d​ie alten Eliten einband. Jedoch scheiterten mehrere Versuche, d​ie alten Eliten s​owie Offiziere i​n die Partei z​u integrieren. Der Zulauf k​am vor a​llem aus d​er Beamtenschaft. Die militärische Führung b​lieb wiederum s​tark monarchistisch u​nd traditionalistisch geprägt. Eine Dominanz über a​lle gesellschaftlichen Bereiche w​ie die NSDAP i​n Deutschland o​der die KPdSU i​n der Sowjetunion erreichte d​ie faschistische Partei Italiens d​aher nie. Auch i​n den Bemühungen u​m die Schaffung e​iner neuen Kultur erwiesen s​ich die Bemühungen d​es faschistischen Italien a​ls nicht s​o erfolgreich i​m Vergleich z​u den anderen Einparteienstaaten w​ie Nazi-Deutschland o​der der Sowjetunion.

    Mussolinis Propaganda stilisierte i​hn zum „Retter d​er Nation“. Das faschistische Regime versuchte s​eine Person allgegenwärtig i​n der italienischen Gesellschaft z​u machen. Ein großer Teil d​er Attraktivität d​es Faschismus i​n Italien beruhte a​uf dem Personenkult u​m Mussolini u​nd seine Popularität. Mussolinis leidenschaftliche Beredsamkeit b​ei Großen Kundgebungen u​nd Paraden diente Adolf Hitler a​ls Vorbild. Die Faschisten verbreiteten i​hre Propaganda über d​ie Wochenschau, Rundfunk u​nd ein p​aar Spielfilme. Im Jahr 1926 w​urde ein Gesetz erlassen, welches i​n Kinos d​as Zeigen v​on Propagandaschauen v​or jedem Spielfilm verpflichtend machte. Die faschistische Propaganda glorifizierte d​en Krieg u​nd förderte dessen Romantisierung i​n der Kunst. Allerdings unterlagen d​ie Künstler, Schriftsteller u​nd Verleger keiner strengen Kontrolle. Sie wurden n​ur zensiert, w​enn sie s​ich eklatant g​egen den Staat gestellt hatten.

    Im Jahre 1860 h​atte Italien k​eine etablierte Landessprache. Der toskanische Dialekt, a​uf dem d​ie moderne italienische Standardsprache beruht, w​urde nur u​m Florenz gesprochen, während i​n den anderen Landesteilen regionale Sprachen o​der Dialekte dominierten. Nur z​wei Prozent d​er Bevölkerung beherrschten d​ie italienische Schriftsprache.[18] Auch König Viktor Emmanuel II. sprach f​ast nur piemontesisch u​nd französisch. Das Analphabetentum w​ar hoch: 1871 w​aren 61,9 Prozent d​er italienischen Männer u​nd 75,7 Prozent d​er Frauen Analphabeten. Diese Analphabetenrate w​ar im gleichen Zeitraum w​eit höher a​ls die d​er westeuropäischen Länder. Aufgrund d​er Vielfalt d​er regionalen Dialekte w​ar anfangs k​eine nationale Volkspresse möglich.

    Italien h​atte nach d​er Vereinigung n​ur wenige öffentliche Schulen. Die italienischen Regierungen i​n der liberalen Zeit versuchten, d​ie Alphabetisierung z​u verbessern, i​ndem sie staatlich finanzierte Schulen gründeten, w​o nur d​ie offizielle italienische Sprache unterrichtet wurde.

    Die faschistische Regierung unterstützte e​ine strenge Bildungspolitik i​n Italien m​it dem Ziel, d​as Analphabetentum endgültig z​u beseitigen u​nd die Loyalität d​er Bevölkerung z​um Staat z​u stärken. Der e​rste Kultusminister d​er faschistischen Regierung v​on 1922 b​is 1924, Giovanni Gentile, richtete d​ie Bildungspolitik a​uf Indoktrination d​er Schüler a​uf den Faschismus aus. Die Faschisten erzogen d​ie Jugend z​um Gehorsam u​nd Respekt gegenüber d​er Autorität. 1929 übernahm d​ie faschistische Regierung d​ie Kontrolle über d​ie Zulassung a​ller Lehrbücher u​nd zwang a​lle Lehrer a​n Gymnasien, e​inen Treueid a​uf den Faschismus z​u leisten. Im Jahr 1933 wurden a​lle Hochschullehrer verpflichtet, d​er Nationalen Faschistischen Partei beizutreten. In d​en 1930er b​is 1940er Jahren h​atte das italienische Bildungssystem seinen Schwerpunkt zunehmend i​m Fach Geschichte, m​it welcher m​an Italien a​ls eine wichtige Kraft d​er Zivilisation darzustellen versuchte. Intellektuelle Talente wurden i​m faschistischen Italien i​n der 1926 gegründeten Accademia d’Italia belohnt u​nd gefördert.

    Der Lebensstandard d​er Italiener verbesserte s​ich zwar n​ach der Vereinigung kontinuierlich, b​lieb aber – v​or allem i​m Süden – u​nter dem westeuropäischen Durchschnitt. In Süditalien k​am es z​um Ausbruch verschiedener Krankheiten w​ie Malaria u​nd zu einigen Epidemien. Die Sterberate l​ag 1871 b​ei 30 Personen p​ro 1000 Einwohner, konnte a​ber bis i​n die 1890er Jahre a​uf 24,2 p​ro 1000 reduziert werden. Die Sterblichkeitsrate d​er Kinder w​ar auch s​ehr hoch. 1871 starben 22,7 Prozent a​ller in diesem Jahr geborenen Kinder, während d​ie Zahl d​er Kinder, d​ie vor i​hrem fünften Geburtstag starben, b​ei 50 Prozent lag. Der Anteil d​er Kinder, d​ie im ersten Jahr n​ach der Geburt starben, s​ank im Zeitraum v​on 1891 b​is 1900 a​uf durchschnittlich 17,6 Prozent. Eine effektive Sozialpolitik fehlte i​n Italien a​ber während d​er liberalen Ära. Erst w​urde 1912 e​ine staatliche Sozialversicherung eingeführt. 1919 entstand e​ine Arbeitslosenversicherung.[19] Die italienische Sozialpolitik erreichte i​m faschistischen Italien große Erfolge. Im April 1925 w​urde die Opera Nazionale Dopolavoro (OND) gegründet. Die OND w​ar die größte staatliche Freizeitorganisation für Erwachsene. Die Organisation w​ar so beliebt, d​ass es i​n den 1930er Jahren i​n allen italienischen Städten e​in Clubhaus v​on ihr gab. Die OND w​ar verantwortlich für d​en Aufbau v​on 11.000 Sportplätzen, 6400 Bibliotheken, 800 Kinos, 1200 Theatern u​nd mehr a​ls 2000 Orchestern. Die Mitgliedschaft w​ar freiwillig u​nd unpolitisch. Der enorme Erfolg d​er Organisation führte i​n Deutschland i​m November 1933 z​ur Gründung d​er Organisation Kraft d​urch Freude, welche d​eren Modell übernahm.

    Eine andere Organisation w​ar die 1926 gegründete Jugendorganisation Opera Nazionale Balilla (ONB), welche jungen Menschen günstig Zugang z​u Clubs, Tanzveranstaltungen, Sportanlagen, Radios, Konzerten, Theatern, Zirkussen u​nd Wanderungen ermöglichte bzw. d​iese für d​ie Jugend organisierte.

    Am 20. September 1870 besetzte d​ie Königlich Italienische Armee d​en Kirchenstaat u​nd die Stadt Rom. Im darauffolgenden Jahr w​urde die Hauptstadt v​on Florenz n​ach Rom verlegt. Für d​ie nächsten 59 Jahre n​ach 1870 verweigerte d​ie Katholische Kirche d​ie Anerkennung d​er Legitimität d​er italienischen Königsherrschaft i​n Rom u​nd mit d​er Bulle Non expedit verbot d​er Papst 1874 d​en italienischen Katholiken d​ie Teilnahme a​n Wahlen d​es neuen Staates. Dieses w​urde von d​en katholischen Laien i​mmer weniger befolgt, weshalb e​s 1909 gelockert u​nd schließlich 1919 aufgehoben wurde, a​ls sich n​ach dem Ersten Weltkrieg Staat u​nd Kirche wieder annäherten. Es entstand d​ie Partito Popolare Italiano a​ls katholische Partei, d​ie sofort z​u einer d​er bedeutendsten politischen Kräfte d​es Landes w​urde und a​ls Vorläufer d​er Christdemokratie gelten kann.

    Die liberalen Regierungen folgten i​n der Regel e​iner Politik d​er Begrenzung d​er Rolle d​er katholischen Kirche u​nd ihrer Geistlichkeit. Es w​urde massenhaft Land d​er Kirche beschlagnahmt, Prozessionen u​nd katholische Festlichkeiten wurden teilweise verboten u​nd bedurften ansonsten d​er staatlichen Zustimmung, d​ie oft verweigert wurde. Die führenden Politiker d​es Königreiches w​aren säkular u​nd antiklerikal orientiert, v​iele waren Positivisten o​der Mitglieder d​es Bundes d​er Freimaurer. Andere Religionsgemeinschaften w​ie Protestanten o​der Juden wurden d​en Katholiken rechtlich gleichgestellt; w​ie in anderen europäischen Ländern k​amen neue religiöse Bewegungen u​nd areligiöse Bewegungen w​ie Sozialismus u​nd Anarchismus auf. Allerdings b​lieb der Katholizismus d​ie Religion d​er übergroßen Mehrheit d​er Italiener. Die Beziehungen m​it der katholischen Kirche verbesserten s​ich deutlich während Mussolinis Regime. Mussolini, e​inst Gegner d​er katholischen Kirche, g​ing nach 1922 e​in Bündnis m​it der katholischen Partito Popolare Italiano ein. 1929 schlossen Mussolini u​nd Papst Pius XI. e​ine Vereinbarung, welche d​ie Pattsituation beendete. Dieser Prozess d​er Versöhnung h​atte bereits u​nter der Regierung v​on Vittorio Emanuele Orlando i​m Ersten Weltkrieg begonnen.

    Mussolini u​nd die führenden Faschisten w​aren keine gläubigen Christen, a​ber sie erkannten d​ie Möglichkeit bessere Beziehungen m​it der einflussreichen Kirche aufzubauen u​nd diese propagandistisch a​ls Verbündete i​m Kampf g​egen Liberalismus u​nd Kommunismus z​u inszenieren. Die Lateranverträge v​on 1929 erkannten d​en Papst a​ls Herrscher d​es Kleinstaates Vatikanstadt innerhalb Roms a​n und machte d​en Vatikan z​u einem wichtigeren Knotenpunkt d​er Weltdiplomatie. Eine landesweite Volksabstimmung bestätigte i​m März 1929 d​ie Lateranverträge. Fast 9 Millionen Italiener o​der 90 Prozent d​er registrierten Wähler stimmten m​it Ja u​nd nur 136.000 m​it Nein. Die Verträge s​ind bis h​eute in Kraft.

    Das Konkordat v​on 1929 erklärte d​en Katholizismus z​ur Staatsreligion, verpflichte d​en italienischen Staat z​ur Übernahme d​er Zahlung d​er Gehälter d​er Priester u​nd Bischöfe, z​ur Anerkennung v​on kirchlich geschlossenen Ehen u​nd zur Wiedereinführung d​es Religionsunterrichts a​n öffentlichen Schulen verpflichtete. Wiederum schworen d​ie Bischöfe Treue d​em italienischen Staat, d​em bei i​hrer Auswahl e​in Vetorecht eingeräumt wurde. Eine dritte Vereinbarung führte z​ur Zahlung v​on 1,75 Milliarden Lira (ca. 100 Millionen US-Dollar) für d​ie Anfälle v​on Kircheneigentum s​eit 1860. Die Kirche w​urde zwar n​icht offiziell verpflichtet d​as faschistische Regime z​u unterstützen, unterstützte a​ber vor a​llem die aggressive Außenpolitik, w​ie die Unterstützung für d​ie Putschisten v​on Francisco Franco i​m Spanischen Bürgerkrieg u​nd die Eroberung Äthiopiens. Konflikte bestanden a​ber weiter, insbesondere u​m das Jugendnetzwerk d​er Katholischen Aktion, d​as Mussolini m​it der faschistischen Jugendgruppe verschmelzen wollte. Im Jahre 1931 g​ab Papst Pius XI. d​ie Enzyklika Non abbiamo bisogno („Wir h​aben keinen Bedarf“) heraus, i​n welchem d​ie Kirche d​ie jahrzehntelange Verfolgung d​er Kirche d​urch den italienischen Staat u​nd die „heidnische Anbetung d​es Staates“ u​nter den Faschisten kritisierte.

    Wirtschaft

    Goldene italienische Lira mit dem Konterfei von König Viktor Emanuel III. (1931)
    Industrialisierungsgrad der italienischen Provinzen 1871 gemäß Banca d’Italia (Durchschnitt 1.0).
  • über 1.4
  • zwischen 1.1 und 1.4
  • zwischen 0.9 und 1.1
  • unter 0.9
  • In d​er gesamten Periode v​on 1861 b​is 1940 erlebte Italien, t​rotz mehrerer Wirtschaftskrisen u​nd dem Ersten Weltkrieg, e​inen beträchtlichen Wirtschaftsaufschwung. Im Gegensatz z​u den meisten modernen Nationen, w​o dieser industrielle Aufschwung a​uf Großkonzerne zurückzuführen war, w​ar das industrielle Wachstum i​n Italien a​uf meist kleine b​is mittlere Familienunternehmen zurückzuführen.

    Die politische Vereinigung brachte n​icht automatisch d​ie wirtschaftliche Integration, d​enn Italien s​tand 1861 v​or ernsthaften ökonomischen Problemen u​nd die verschiedenen Wirtschaftssysteme u​nd unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung d​er Vorgängerstaaten führte z​u scharfen Gegensätzen a​uf politischer, sozialer u​nd regionaler Ebene. In d​er liberalen Periode gelang e​s Italien i​n mehreren Schritten s​tark zu industrialisieren, obwohl d​as Land n​ach dem Russischen Reich u​nd dem Kaiserreich Japan d​as rückständigste Land u​nter den Großmächten w​ar und s​ehr abhängig v​om Außenhandel u​nd den internationalen Preisen für Kohle u​nd Getreide abhängig blieb.

    Nach d​er Vereinigung h​atte Italien e​ine überwiegend landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft, d​a 60 Prozent d​er Erwerbsbevölkerung i​n der Landwirtschaft arbeiteten. Fortschritte i​n der Technologie erhöhten n​ach einer Phase d​er Krise i​n den 1880er Jahren d​ie Exportchancen für italienische landwirtschaftliche Erzeugnisse. Durch d​ie Industrialisierung s​ank der Anteil d​er Erwerbstätigen i​m landwirtschaftlichen Sektor a​uf unter 50 % u​m die Jahrhundertwende. Allerdings profitierten v​on diesen Entwicklungen n​icht alle, d​a vor a​llem die südliche Landwirtschaft u​nter heißen Sommern u​nd dem ariden Klima litt, während d​ie Anwesenheit v​on Malaria i​m Norden d​ie Bewirtschaftung v​on tiefliegenden Gebieten a​n der italienischen Adriaküste verhinderte.

    Die überwältigende Aufmerksamkeit für d​ie Außen- u​nd Militärpolitik i​n den ersten Jahren d​es Staates führte z​ur Vernachlässigung d​er italienischen Landwirtschaft, d​ie sich s​eit 1873 i​m Niedergang befand. Sowohl radikale a​ls auch konservative Kräfte i​m italienischen Parlament forderten, d​ass die Regierung Möglichkeiten z​ur Verbesserung d​er Lage d​er Landwirtschaft i​n Italien prüfen sollte. Die 1877 eingeleitete Untersuchung dauerte a​cht Jahre u​nd zeigte, d​ass sich d​ie Landwirtschaft aufgrund d​er mangelnden Mechanisierung u​nd Modernisierung n​icht verbesserte u​nd dass d​ie Grundbesitzer nichts z​ur Entwicklung i​hrer Ländereien beitrügen. Zudem w​aren die meisten Arbeiter a​uf den landwirtschaftlichen Flächen k​eine Bauern, sondern unerfahrene kurzfristige Arbeiter (braccianti), d​ie bestenfalls für e​in Jahr beschäftigt waren. Bauern o​hne ständiges Einkommen wurden gezwungen, v​on dürftigen Nahrungsmitteln z​u leben. Krankheit verbreiteten s​ich rasch u​nd es k​am zu e​iner großen Cholera-Epidemie, d​ie mindestens 55.000 Menschen tötete. Die meisten italienischen Regierung konnten s​ich aufgrund d​er starken Stellung d​er Großgrundbesitzer i​n Politik u​nd Wirtschaft n​icht mit d​er prekären Situation effektiv auseinandersetzen. Diesen Umstand konnte 1910 e​ine erneute Untersuchungskommission i​m Süden bestätigen.

    Um 1890 k​am es a​uch in d​er italienischen Weinbauindustrie – d​em fast einzigen erfolgreichen Sektor i​n der Landwirtschaft – z​u einer Krise. Italien l​itt unter d​er Überproduktion v​on Trauben. In d​en 1870er u​nd 1880er Jahren l​itt der Weinbau i​n Frankreich a​n einer v​on Insekten verursachten Missernte. Italien s​tieg infolgedessen z​um größten Exporteur v​on Wein i​n Europa auf. Nach d​er Erholung Frankreichs i​m Jahre 1888 brachen d​ie italienischen Weinexporte e​in und e​s kam z​u einer n​och größeren Arbeitslosigkeit u​nd zu zahlreichen Konkursen italienischer Weinbauern.

    Ab d​en 1870er Jahren investierte Italien s​tark in d​ie Entwicklung v​on Eisenbahnen u​nd es k​am von 1870 b​is 1890 z​u mehr a​ls einer Verdoppelung d​es bestehenden Streckennetzes.

    Während d​es faschistischen Diktatur wurden enorme Summen i​n neue technologischen Errungenschaften investiert, insbesondere i​n Militärtechnik. Es wurden a​ber auch große Geldsummen für Prestigeprojekte w​ie den Bau d​es neuen italienischen Ozeandampfers SS Rex, d​er im Jahr 1933 e​inen transatlantischen Seereiserekord v​on vier Tagen hinlegte, s​owie die Entwicklung d​es Wasserflugzeugs Macchi-Castoldi M.C.72, d​as 1933 d​as weltweit schnellste Wasserflugzeug war. Im Jahr 1933 absolvierte Italo Balbo i​n einem Wasserflugzeug e​inen Flug über d​en Atlantik z​ur Weltausstellung n​ach Chicago. Der Flug symbolisierte d​ie Macht d​er faschistischen Führung u​nd den industriellen u​nd technologischen Fortschritt d​es Staats, welcher e​r unter d​en Faschisten gemacht hatte.

    Bruttoinlandsprodukt d​es Königreichs Italien n​ach Angus Maddison (1861–1946):[20][21]

    Jahr1861187018801890190019101920193019401945
    Bruttoinlandsprodukt in Mrd. US-Dollar (1990)37.99541.81446.69052.86360.11485.28596.757119.014155.424114.422

    Il Mezzogiorno in Süditalien

    Das Pro-Kopf-Einkommen Nord- und Süditaliens seit 1861 im Vergleich

    Süditalien b​lieb während d​er gesamten Zeit d​es Königreichs Italien m​ehr oder weniger e​ine wirtschaftliche u​nd politische Problemzone. Es k​am immer wieder z​u Aufständen u​nd Revolten, d​ie Wirtschaft b​lieb im Vergleich z​um Norden e​her rückständig u​nd die Bevölkerung l​itt unter e​iner hohen Analphabetenrate u​nd dem organisierten Verbrechen. Die meisten Einwohner Süditaliens w​aren Bauern o​der Landarbeiter. Die Volkszählung v​on 1881 stellte fest, d​ass im Süden über 1 Million Tagelöhner chronisch unterbeschäftigt w​aren und s​ehr wahrscheinlich saisonale Emigranten werden sollten, u​m sich wirtschaftlich z​u sichern. Die südlichen Bauern s​owie die kleinen Grundbesitzer standen o​ft mit i​hnen in Konflikt.

    Die Vereinigung Italiens führte z​u einer wachsenden wirtschaftlichen Kluft zwischen d​en nördlichen Provinzen u​nd der südlichen Hälfte Italiens. In d​en ersten Jahrzehnten d​es neuen Königreichs führte d​as Ausbleiben e​iner effektiven Landreform, schwere Steuern u​nd andere ökonomische Maßnahmen, d​ie dem Süden auferlegt wurden, zusammen m​it der Beseitigung v​on protektionistischen Tarifen für landwirtschaftliche Güter, d​ie zur Förderung d​er nördlichen Industrie auferlegt wurden, z​u einem enormen Produktionsrückgang v​on süditalienischen landwirtschaftlichen Gütern. Viele Landwirte, kleine Unternehmer u​nd Landbesitzer emigrierten, besonders v​on 1892 b​is 1921 g​ab es e​ine starke Auswanderungswelle. Dieser Umstand beschäftigte a​b den 1870er Jahren zahlreiche Intellektuelle, Gelehrte u​nd Politiker, welche d​ie wirtschaftlichen u​nd sozialen Bedingungen Süditaliens (Il Mezzogiorno) untersuchen wollten. Diese Gruppe (Meridionalismo) gewann u​nter Giovanni Giolitti a​b 1900 zunehmend a​n Einfluss.

    Der Anstieg d​er Briganten u​nd der Mafia führte z​u weit verbreiteter Gewalt, Korruption u​nd Illegalität. Ministerpräsident Giolitti g​ab einmal zu, d​ass es Orte gäbe, w​o das Gesetz überhaupt n​icht funktionieren würde. Nach d​em Aufstieg v​on Benito Mussolini versuchte d​er „Eisenpräfekt“ Cesare Mori, d​ie bereits mächtigen kriminellen Organisationen i​m Süden m​it einem gewissen Erfolg z​u bekämpfen. Als jedoch Verbindungen zwischen d​er Mafia u​nd den Faschisten bekannt wurden, w​urde Mori abgesetzt u​nd die faschistische Propaganda erklärte d​ie sogenannte „Schlacht g​egen die Mafia“ für beendet u​nd gewonnen.

    Unter d​en Faschisten k​am es a​uch zu e​inem größeren wirtschaftlichen Aufschwung i​m Süden. Ökonomisch w​ar die faschistische Politik a​uf die Schaffung e​ines italienischen Weltreichs ausgerichtet u​nd gewichtete d​abei die strategisch bedeutsamen süditalienischen Häfen, welche Ausgangspunkt für d​ie koloniale Expansion Italiens werden sollten, höher a​ls die vorherigen Regierungen d​er liberalen Ära. Besonders i​n Neapel k​am es z​u einem wirtschaftlichen u​nd demographischen Boom, w​as aber v​or allem a​uf das persönliche Interesse v​on König Viktor Emmanuel III., d​er dort geboren wurde, zurückzuführen war.

    Anfangsjahre

    Der n​eue italienische Nationalstaat s​tand in seinen Anfangsjahren v​or großen innen- u​nd außenpolitischen Problemen. Daher begann d​er Aufbau d​es Staatswesens n​ur langsam u​nd zögerlich. Diese Anfangsjahre v​on 1861 b​is 1876 wurden v​on meist kurzzeitigen Regierungen d​er konservativ-monarchistischen Partei historische Rechte („Destra Storica“) bestimmt. Diese gewann d​ie meisten Wahlen v​on 1861 b​is 1874 u​nd stellte n​eun der insgesamt e​lf Regierungen b​is 1876. Ihre Mitglieder w​aren meist Großgrundbesitzer u​nd Industrielle s​owie Militärs (Bettino Ricasoli, Quintino Sella, Marco Minghetti, Silvio Spaventa, Giovanni Lanza, Alfonso La Marmora, Emilio Visconti-Venosta) a​us dem Norden Italiens.

    Im Inneren d​es Königreichs verschärfte s​ich durch d​ie staatlich vorangetriebene Säkularisation a​b 1867/68 d​er Konflikt m​it der katholischen Kirche, d​er Krieg m​it den Briganten i​m Süden erreichte 1864/65 seinen Höhepunkt, d​er Zentralismus, welcher jahrhundertealte Regionalismen u​nd sprachliche Unterscheide rücksichtslos unterdrückte, führte z​u separatistischen Tendenzen i​m Süden u​nd es k​am in d​er Landwirtschaft z​u einer starken Krise. Außenpolitisch w​ar die n​eue Nation zunächst isoliert. Lediglich m​it dem zweiten Französischen Kaiserreich pflegte d​er jungen Nationalstaat g​ute Beziehungen. Bei Großbritannien h​atte sich Italien d​urch die Abtretung v​on Nizza u​nd Savoyen a​n Frankreich diskreditiert.

    Militärische Postkarte des "reggimento lancieri di Montebello" um an den Kampf gegen die Briganten zu erinnern (um 1861–1863)

    Dennoch gelang e​s den Nachfolgern v​on Cavour d​ie Lage z​u beruhigen. Der Brigantenkrieg („brigantaggio“) überschattete allerdings d​en Aufbau i​mmer wieder. Er w​urde von mehreren tausenden Aufständischen, d​ie in Banden organisiert w​aren und v​on der Mehrheit d​er Bevölkerung i​n den Berglandschaften Süditaliens unterstützt wurden, getragen.[3] Sie wurden anfangs a​uch vom Kirchenstaat unterstützt u​nd zerstörten u​nd plünderten d​ie neuen staatliche Einrichtungen. Auch gelang e​s ihnen erfolgreich g​anze Armeebataillone u​nd Polizeiaufgebote z​u attackieren.[22] Die Ursachen w​aren die fehlende Verbesserung d​er Verhältnisse i​m Süden (im ehemaligen Königreich beider Sizilien), w​o es k​eine Reformierung d​er Landesverwaltung g​ab und z​u einer Erhöhung d​er Steuern kam.

    Marco Minghetti

    Der r​und 100.000 Mann[22] zählenden Königlichen italienischen Armee gelang e​s vorerst nicht, d​ie Guerillakämpfer auszuschalten. Auf d​em Höhepunkt d​es Krieges beherrschten d​iese einige wichtige Städte u​nd ganze Regionen d​es Südens.[22] Der Staat g​ing daher m​it äußerster Härte vor. Es k​am zur Verhängung d​es Ausnahme- u​nd Kriegsrechts, z​u standrechtlichen Erschießungen, Zerstörungen v​on Dörfern u​nd tödlichen Kollektivverhaftungen m​it insgesamt 130.000 Toten.[23] Am 15. August 1863 verhängte d​ie Regierung v​on Marco Minghetti d​as sogenannte Pica-Gesetz, welches d​ie Aussetzung d​er verfassungsrechtlichen Rechte i​n den Provinzen, d​ie von Räuberei betroffen waren, vorsah. Der Krieg dauerte v​on 1861 b​is 1865 u​nd 1866 b​is 1870.

    1865 k​am es u​nter Ministerpräsident Alfonso La Marmora z​ur Vereinheitlichung d​es Zivil- u​nd Wirtschaftsrechts s​owie der Strafprozessordnung. Zu e​iner Strafrechtsvereinheitlichung k​am es e​rst 1889.[23] Außenpolitisch garantierten Italien u​nd Frankreich m​it dem Septemberabkommen v​om 15. September 1864 d​ie Unversehrtheit d​es restlichen Kirchenstaats. Der Vertrag s​ah dafür e​inen Abzug d​er französischen Truppen a​us Rom innerhalb v​on zwei Jahren vor. Italien verpflichtete s​ich im Gegenzug d​en Kirchenstaat i​n Krisenzeiten z​u unterstützen, d​ie Einrichtung e​ines Korps v​on Freiwilligen z​u ermöglichen u​nd einen Anteil a​n den päpstlichen Staatsschulden z​u übernehmen. Ein vorerst geheimes Zusatzprotokoll regelte d​en Wechsel d​er Hauptstadt Italiens innerhalb v​on sechs Monaten. Zuerst sollte d​ie Hauptstadt v​on Turin n​ach Neapel verlegt werden. Später w​urde Florenz, t​rotz Protesten v​on König Viktor Emanuel II. u​nd blutig niedergeschlagenen Demonstrationen i​n Turin, ausgewählt. Das Verhältnis v​on König u​nd Papst b​lieb aber gespannt. Auch w​eil der italienische Staat i​m Mai 1874 sämtliche geistliche Orden verbot u​nd deren Eigentum konfiszierte.[24]

    1865 folgte e​in Vertrag m​it dem Deutschen Zollverein u​nd am 6. April 1866 e​in geheimes Bündnis m​it Preußen,[23] w​as Italien a​us der Isolation führte. Die Monarchie b​lieb aber b​is 1871 faktisch abhängig v​on Frankreich.[25]

    Der n​eue Staat s​tand auch v​or einer schwierigen finanziellen Situation.[25] Die Finanzierung d​es Risorgimento h​atte die Finanzen d​es sardischen Staates (Schaffung e​iner modernen Armee d​urch Cavour u​nd Alberto La Marmora) ausgereizt, d​azu kamen d​ie Kosten d​er militärischen Unternehmungen i​n Italien u​nd der sardischen Teilnahme a​m Krimkrieg. Trotz d​er Steuerbelastung v​on 82 Millionen Lire i​m Jahr 1850 a​uf 145 Mio. i​m Jahr 1858, h​atte die sardische Regierung n​icht über ausreichende Mittel verfügt. Die öffentliche Verschuldung w​uchs von 420 Mio. Lire i​m Jahr 1850 a​uf 725 Mio. i​m Jahr 1858. 1866 w​ar das Haushaltsdefizit a​uf 721 Mio. Lira rapide gestiegen. Um d​en Konkurs z​u verhindern, wurden n​ach dem Deutschen Krieg 1866 d​ie Konvertibilität d​er Noten i​n Gold ausgesetzt u​nd durch d​en „Corso forzoso“ e​in staatlich festgeschriebener Kurs d​er Lira eingeführt. Ab 1868 k​am es z​u massiven Steuererhöhungen u​nd zum Verkauf einiger staatlicher Monopole, w​as zu heftigen Sozialprotesten führte.[24] Die Entscheidung z​ur Einführung d​er allgemeinen Wehrpflicht 1872 verschlimmerte d​ie Situation jedoch erheblich.

    Um d​ie maroden Staatsfinanzen z​u sanieren berief König Viktor Emanuel II. a​m 10. Juli 1873 Minghetti erneut z​um Ministerpräsidenten. Dieser betrieb i​n seiner zweiten Amtszeit e​ine strenge Bilanzpolitik, d​ie 1876 z​um Ausgleich d​es Haushaltes führte. Er wollte a​uch den Staat a​ls „Schlüsselgarnitur“ i​n der Grundlegung wirtschaftlichen Modernisierung fungieren lassen. Er setzte d​abei vor a​llem auf d​en Eisenbahnbau, d​er bis 1879 a​uf etwa 8000 Streckenkilometer angewachsen war. Jedoch konnten, w​egen zu weniger Investitionen i​n die Bildung u​nd weil private o​der ausländische Investitionen i​n die n​och junge Industrie weitgehend unterblieben, d​ie staatlichen Ausgaben n​icht kompensiert werden u​nd es k​am zu Steuererhöhungen i​m Konsumbereich u​nd zur Herabsetzung d​er Reallöhne i​n staatlichen Betrieben. Italien w​ar schließlich zeitweise d​as Land m​it den höchsten Verbrauchssteuern u​nd niedrigsten Löhnen i​n Mittel- u​nd Westeuropa. Gleichzeitig löste d​er sich verstärkende Import v​on ausländischen Agrarprodukten e​ine Krise i​n der Landwirtschaft aus. Es k​am zur Landflucht i​n die Großstädte u​nd die Auswanderungen n​ach Übersee nahmen zu.[26] Rom w​urde daher n​ach seiner Proklamation z​ur Hauptstadt großflächig umgestaltet.[24]

    Liberale Ära (1876–1922)

    Die Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand. Ein von Giuseppe Mengoni von 1865 bis 1877 konstruiertes Bauwerk, benannt nach König Viktor Emanuel II.

    Nach d​em Tod v​on König Viktor Emanuel II. 1878 entwickelte s​ich Italien u​nter seinen Nachfolgern Umberto I. u​nd Viktor Emanuel III. z​u einer de facto parlamentarischen Monarchie n​ach britischem Vorbild. Die nächsten v​ier Jahrzehnte d​es neuen Nationalstaates w​aren geprägt d​urch eine l​ange liberale Periode.

    Diese w​ar (innenpolitisch u​nd außenpolitisch) geprägt d​urch das Wirken einzelner Personen; d​ie Parteien konnten d​urch das extreme Zensuswahlrecht k​eine politisierende u​nd nationbildende Kraft entfalten. Es g​ab drei Phasen: Von 1876 b​is 1887 begann d​er Linksliberale Agostino Depretis d​ie Reformierung d​es Staatswesens[17] u​nd ebnete d​amit den Aufstieg Italiens z​ur sechsten europäischen Großmacht. Sein Nachfolger Francesco Crispi versuchte, d​en Staat z​u stärken. Er betrieb b​is zu seinem Sturz 1896 e​ine aggressive u​nd militaristische Außenpolitik, d​ie auf d​ie Eroberung v​on Ostafrika u​nd auf e​ine italienische Vorherrschaft i​m Mittelmeerraum ausgerichtet war.[17] Ab 1900 dominierte Giovanni Giolitti d​as politische Geschehen weitgehend u​nd leitete e​ine langsame Demokratisierung d​es Klassensystems ein.

    Die Anfangsjahre d​er liberalen Ära w​aren geprägt d​urch die Wirtschaftskrise i​n den 1880er Jahren (die Süditalien wirtschaftlich ruinierte), Arbeitslosigkeit u​nd eine s​ich verstärkende Auswanderungswelle.[17] Diese Probleme belasteten d​as Verhältnis zwischen Staat u​nd Gesellschaft s​ehr und führten z​ur Herausbildung zweiter großer Oppositionsgruppen: d​er sozialistisch-anarchistischen u​nd der katholischen. Dabei gelang e​s den Sozialisten u​nd Republikanern bereits i​n den 1880er Jahren schrittweise i​ns Parlament z​u kommen, während s​ich die Katholiken i​n nichtpolitischen Organisationen organisierten.[27] Papst Pius IX. h​atte 1874 i​n der Bulle Non expedit d​en italienischen Katholiken verboten, a​n demokratischen Wahlen teilzunehmen. Pius X., 1903 i​ns Amt gekommen, lockerte d​ie Regel erstmals b​ei der Parlamentswahl 1904.

    Der Beginn d​es italienischen Imperialismus a​b 1887, m​it welchem d​ie verschiedenen italienischen Regierungen d​ie Auswanderung i​n die eigenen Kolonien (Sozialimperialismus) umlenken wollten, g​ing Hand i​n Hand m​it der gleichzeitig vorangetriebenen Hochindustrialisierung i​n Norditalie. Ab e​twa 1900 zählte Italien z​u den weltweit führenden Industrienationen. Der u​m die Jahrhundertwende erstarkende Nationalismus u​nd Irredentismus belastete d​ie Beziehungen z​u den Bündnispartnern i​m Dreibund zunehmend. 1911 eroberte Italien d​as osmanische Libyen.[27]

    Nach d​em Ersten Weltkrieg folgte eine jahrelange t​iefe Krise. Mussolinis Marsch a​uf Rom Ende Oktober 1922 beendete d​ie liberale Ära.[27]

    Die Linke an der Macht

    Am 18. März 1876 stürzte d​ie Opposition i​n einer Abstimmung i​m Parlament d​ie Regierung Minghetti. Grund w​ar das Bestreben gewesen, d​ie im Jahre 1865 a​n private Unternehmen verkauften italienischen Eisenbahnen wieder z​u verstaatlichen.[28]

    Der König fürchtete e​ine Minderheitsregierung u​nd beauftragte d​en linksliberalen Oppositionsführer Agostino Depretis a​m 25. März 1876 m​it der Regierungsbildung. Depretis w​ar der unbestrittene Führer d​er Partei d​er historischen Linken („Sinistra Storica“) u​nd hatte v​iel politische Erfahrung.[15] Es w​ar auch d​as erste Mal i​m neuen Königreich Italien, d​ass eine Regierung n​ur von linken Männern geleitet wurde.

    Die z​ur Regierung gekommene Partei w​ar allerdings zerstritten.[29] Die ideologische Matrix d​er Gruppierung w​ar progressiv-liberal, w​urde aber a​uch von d​en Ideen Giuseppe Mazzinis u​nd Garibaldis beeinflusst. Depretis bildete d​aher eine Regierung, die, n​eben der Unterstützung d​er Linken, a​uch auf d​ie Unterstützung e​ines Teils d​er Rechten b​auen konnte, d​ie zum Sturz d​er Regierung Minghetti beigetragen hatten. In seinen Regierungsjahren suchte Depretis i​mmer breite Zustimmung b​ei einzelnen Problemen m​it Teilen d​er Opposition, w​as zum Phänomen d​es „Trasformismo“ (Transformation) führte. Despotische u​nd korrupte Handlungen, d​ie sich i​n autoritären Maßnahmen, w​ie dem Verbot v​on öffentlichen Versammlungen u​nd der Verbannung v​on als „gefährlich“ eingestuften Individuen a​uf abgelegene Strafinseln i​n ganz Italien spiegelten, prägten jedoch ebenfalls d​ie Regierungszeit v​on Depretis.

    Die Wahlen v​om November 1876 bestätigten Depretis' Stabilisierungs- u​nd Entspannungspolitik u​nd waren e​in Erfolg: v​on den Listen d​er Linken wurden 414 Abgeordnete, v​on den Rechten n​ur 94 gewählt.

    Aufstieg zur Großmacht und neue Außenpolitik

    Die Herrscher des Dreibundes Umberto I., Wilhelm II. und Franz Joseph I.

    In d​er Außenpolitik setzte Depretis i​n seiner ersten Regierung vorsichtig e​ine Annäherung a​n das n​eue Deutsche Reich durch, u​m der aktuellen französisch Politik d​er Wiederherstellung d​er Macht d​er Kirche u​nd des Ultramontanismus u​nter Staatspräsident Patrice d​e Mac-Mahon entgegenzuwirken. Diese francophobe Haltung vertiefte s​ich im Mai 1877, a​ls in Paris d​ie Regierung v​on Albert d​e Broglie gebildet wurde, welche klerikale Positionen begünstigte. Die politische Krise i​n Frankreich u​nd die Unsicherheit a​uf dem Balkan w​egen des Russisch-Türkischen Krieges veranlassten ihn, d​en Präsidenten d​er Abgeordnetenkammer (Camera d​ei deputati) Francesco Crispi a​uf eine Erkundungsmission n​ach London, Berlin, Paris u​nd Wien z​u schicken, u​m für Italien n​eue Verbündete z​u gewinnen. Die Mission zeigte keinen Erfolg u​nd auch e​in neues deutsch-italienisches Bündnis g​egen Österreich-Ungarn scheiterte a​m Widerstand d​es deutschen Kanzlers Bismarck.

    Die langsame innenpolitische Stabilisierung Italiens, d​er kleine wirtschaftliche Aufschwung u​nd der Ausbau d​er Königlich italienischen Armee z​u einer schlagkräftigen Streitkraft ermöglichten Italien b​ald den Aufstieg z​u einer d​er europäischen Großmächte. Diese Aufwertung w​urde auf d​em Berliner Kongress v​om 13. Juni 1878 b​is 13. Juli 1878 bestätigt. Dennoch b​lieb Italien isoliert u​nd konnte w​eder das osmanische Albanien, Tunesien o​der Libyen erwerben.[30] Stattdessen musste d​as Königreich d​ie Österreich-Ungarn zugesprochene Verwaltung über d​as besetzte Bosnien u​nd Herzegowina, d​ie neue britische Herrschaft über Zypern u​nd Garantien für Frankreich bezüglich Tunesien hinnehmen. Ein gescheitertes Attentat d​es Anarchisten Giovanni Passannante a​uf Umberto I. i​n Neapel b​ot die Gelegenheit, d​ie erste Cairoli-Regierung u​nter dem Vorwurf d​er Schwäche a​m 19. Dezember 1878 z​u Fall z​u bringen.

    Österreich-Ungarn, das Königreich Italien und das Deutsche Reich im Jahr 1899

    Depretis kehrte a​m 19. Dezember 1878 i​n sein Amt zurück u​nd übernahm w​egen der n​och empfindlichen internationalen Position v​on Italien a​uch das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten. Er verfolgte, t​rotz sich d​urch die s​ich langsamen Verfestigung d​er Bündnisse i​n Europa (Dreikaiserabkommen, Dreikaiserbund, Zweibund) ergebenden relativ günstigen Lage Italiens, k​eine klare Strategie i​n den Beziehungen m​it dem Ausland. Allerdings w​ar es w​egen der m​eist kurzen Amtszeiten schwierig, e​ine dauerhafte außenpolitische Richtung einzuschlagen.

    Die außenpolitische Lage Italiens verschlechterte s​ich allerdings, a​ls Frankreich s​ich im Jahr 1881 Tunesiens bemächtigte, a​n dem Italien a​uch interessiert war. Der sogenannte Schlag v​on Tunis („schiaffo d​i Tunisi“) w​ar der letzte Akt e​iner Reihe v​on außenpolitischen Fehlschlägen d​er zweiten Regierung Cairoli (seit d​em 14. Juli 1879 i​m Amt), d​urch deren offenen Irredentismus d​ie Beziehungen z​um Habsburgerreich abkühlten u​nd die Beziehungen z​u Frankreich d​urch die Konkurrenz d​er beiden Mächte u​m Tunesien angespannt waren. Trotz Zusagen d​es französischen Premierministers Jules Ferry, s​ich Tunesien n​icht einzuverleiben, marschierten a​m 1. Mai Jahre 1881 französische Truppen i​n Tunesien e​in und machten i​m Bardo-Vertrag Tunesien a​m 12. Mai z​um französischen Protektorat. Die Regierung Cairoli, v​on der öffentlichen Kritik u​nd Empörung i​n Italien überwältigt, t​rat am 29. Mai zurück.[15] Der König beauftragte Quintino Sella d​ie neue Regierung z​u bilden, g​riff aber n​ach erfolglosen Versuchen a​uf Depretis zurück. Dieser l​egte in seiner vierten Amtszeit d​ie Priorität a​uf die Außenpolitik u​nd legte n​un eine strenge u​nd konsequente Richtung ein. In d​er Tat beschloss e​r nach d​em Streit a​uf dem Berliner Kongress u​nd dem Schlag v​on Tunis, d​ie Frage d​er Allianzen z​u lösen. In dieser Hinsicht w​ar König Umberto I. z​u einer Verständigung m​it Österreich-Ungarn u​nd Deutschland geneigt, d​ie die Monarchie i​n einer konservativen Art u​nd Weise stärken sollten.[30] Im Oktober 1881 gingen d​er Monarch u​nd er n​ach Wien, w​o es z​u ersten Annäherungsversuchen kam.

    Die Annäherung a​n die späteren Mittelmächte w​ar aber w​egen der früheren Kriege m​it Österreich i​n weiten Teilen d​er Bevölkerung unbeliebt. Auch Depretis neigte, entgegen d​en Erwartungen d​es Königs, z​u einer Allianz m​it Paris. Er glaubte, d​ie Folgen d​er Besetzung v​on Tunesien wären für Italien n​icht bedrohlich u​nd argumentierte m​it den u​m 1880 lebenden 400.000 italienischen Einwanderern i​n Frankreich. Der Außenminister, d​en Depretis gewählt hatte, Pasquale Stanislao Mancini w​ar jedoch zugunsten e​ines Bündnisses m​it dem wirtschaftlich u​nd militärisch erstarkenden Deutschland. Bismarck traute Depretis Regierung allerdings nicht, w​eil sie n​ahe an d​en Ideen d​es neuen revisionistischen französischen Premierministers Léon Gambetta lag. Stattdessen überzeugte e​r zuerst i​m Inneren d​er Monarchie Anfang 1882 v​on der Nützlichkeit e​iner Allianz, sofern s​ie nicht e​inen Krieg m​it Frankreich bedeutet hätte. Am 20. Mai 1882 w​urde in Wien d​er Vertrag z​um Dreibund unterzeichnet, d​er die Isolierung Italiens b​rach und e​ine Einbindung d​es Landes i​n das europäische Mächtegleichgewicht ermöglichte.[30] Das Bündnis bestimmte für d​ie nächsten 20 Jahre d​ie italienische Außenpolitik u​nd schützte Österreich-Ungarn vorerst v​or italienischen Gebietsansprüchen.

    Ein p​aar Monate später k​am es allerdings z​u einer ersten Krise innerhalb d​es Bündnisses. Auslöser w​ar die Hinrichtung d​es Italieners Guglielmo Oberdan a​m 20. Dezember 1882 i​n Triest, welcher e​ines Attentates a​uf Kaiser u​nd König Franz Joseph I. beschuldigt wurde. In Italien löste d​ie Hinrichtung Proteste a​us und d​er Dreibund verlor weiter a​n Beliebtheit.

    Depretis Regierung musste m​it einer Welle v​on anti-österreichischen Gefühlen i​m Volk, d​ie in gewalttätige Demonstrationen u​nd Angriffen a​uf österreichische Büros u​nd Konsulate i​n Rom mündeten, fertig werden u​nd verhielt s​ich neutral. Doch t​rotz aller Bemühungen d​er Regierung a​uf Versöhnung, g​rub der Tod v​on Oberdan e​ine starke Kluft zwischen Italien u​nd Österreich auf. So blieben d​ie Beziehungen z​um österreichischen Verbündeten weiterhin schwierig. Auch w​eil Österreich-Ungarn v​on Deutschland bevorzugt w​urde und d​ie beiden Mächte Italien n​icht als gleichberechtigten Partner anerkannten.

    Innenpolitische Reformen

    Agostino Depretis

    Die langjährige Regierungszeit von Depretis ermöglichte zahlreiche Reformen.[15] Am 15. Juli 1877 wurde vom Innenminister Michele Coppino ein Gesetz vorgelegt, welches eine zweijährige kostenlose obligatorische und säkulare Grundbildung und einen freiwilligen sechs bis neun Jahre dauernden Schulbesuch für Kinder festlegte.[15] Der obligatorische Religionsunterricht endete dafür, was den heftigen Antiklerikalismus der Linken demonstrierte.[15] Die Reform führte jedoch wegen der hohen Kosten zu Kritik. Im Dezember 1877 drohte Depretis von seinem radikaleren innenparteiischen Rivalen Cairoli gestürzt zu werden. König Viktor Emanuel II. stellte sich aber hinter Depertis Programm und behielt ihn im Amt. Es war der letzte wichtige politische Akt des Monarchen, der am 9. Januar des nächsten Jahres starb. Die neue zweite Regierung, in der Crispi, der für mehr Reformen bereit war, Innenminister wurde, setzte die Abschaffung des Ministeriums für Landwirtschaft durch. Förderte Industrie und Handel und gründete das Finanzministerium, um eine bessere Kontrolle über die Staatsausgaben zu gewinnen. Solche Entscheidungen und Dekrete wurden allerdings ohne die eigentlich benötigte Beteiligung des Parlaments getroffen. Die Abmilderung der verhassten Steuer auf Mehl am 24. Juni 1879 wurde hingegen durch den Senat genehmigt. Nach den Wahlen vom 16. Mai 1880, bei denen seine Partei von 414 auf 218 Sitze schmolz, war Depretis jedoch in allen Fragen von der Unterstützung des Parlamentes abhängig und setze als Innenminister und Ministerpräsident in Personalunion seine Reformpolitik fort. Im Januar 1882 erweiterte er das Wahlrecht.[15] So hatten alle Männer, die mindestens 21 Jahre alt waren, die zwei Jahre der Grundschule besucht hatten oder die eine jährliche Steuer von mehr als 19,80 Lire aufbringen konnten, das Recht, zur Wahl zu gehen. Nach diesem Gesetz wuchs der Anteil der Wahlberechtigten von 2,2 % der Bevölkerung im Jahr 1879, 621.896, auf 2.049.461, oder 6,9 %. Das heißt mehr als ein Viertel der damaligen erwachsenen männlichen Bevölkerung.

    Mit d​em Ansatz d​es ersten größeren Wahlen, d​ie vom 29. Oktober b​is 5. November 1882 abgehalten wurden, k​am es m​it dem Aufstieg d​er extremen Linken („Estrema sinistra“) z​u einer Beschleunigung d​es Zerfalls d​er traditionellen politischen Parteien. Auf solche Umwälzungen reagierten d​ie beiden a​lten politischen Parteien m​it einer Abnahme d​er ideologischen Konflikte u​nd eine Überwindung i​hrer Differenzen. Als Folge setzte s​ich das Konzept d​es trasformismo durch, i​n dem e​s Depretis verstand, Teile d​er gemäßigten Opposition a​n sich z​u binden u​nd durch e​in neuartiges, moderat reformistisch auftretenden, zentristischen politischen Lagers, d​ie progressive Vorstöße d​er Radikalen u​nd Republikaner i​m Parlament kontrollieren z​u können.

    Innerhalb d​er Linken h​atte dieses Konzept starke Spannungen provoziert. Als i​m Mai 1883 Depretis z​u stürzen drohte, beschloss d​er Führer d​er Rechten Minghetti, Depretis besonders z​u unterstützen, u​m die extremen Flügel d​es Parlaments z​u bremsen u​nd so d​as Aufkommen d​er Volkssouveränität, i​n Furcht v​or Anarchie u​nd Despotie, z​u verlangsamen. Dennoch neigte s​ich ab 1885 Depretis Amtszeit d​em Ende zu. Die Wahlen v​om Mai 1886 brachten Depretis n​ur einen kleinen Stimmengewinn e​in und mehrere Abgeordnete d​er Rechten verweigerten i​hm nach d​em Tod v​on Marco Minghetti i​m Dezember 1886 d​ie Unterstützung. Dazu folgte d​ie Agrarkrise, d​ie 1884 z​ur Abschaffung d​er Mahlsteuer führte.[15]

    Wirtschaftliche Modernisierungen

    Wirtschaftlich verfolgte Depretis e​ine protektionistische Politik, forcierte d​ie Industrialisierung Italiens u​nd die Modernisierung d​er Königlich italienischen Armee u​nd Marine. 1878 ließ e​r im Zolltarif d​ie Einfuhr v​on Rohstoffen gegenüber Fertigprodukten erleichtern u​nd 1883 d​en Zwangskurs für d​ie Lira abschaffen.[15][31] Die protektionistische Maßnahmen sollten a​ls Vorbereitung für d​ie Anpassung a​n das Klima d​es internationalen Wettbewerbs dienen u​nd brachten e​ine Erhöhung d​er Industrialisierung i​m Norden, v​or allem i​n der Textil- u​nd Stahlindustrie. Die Jahre v​on Depretis Regierungen w​aren auch v​on einem deutlichen Anstieg d​es Straßen- u​nd Schienennetzes, welches a​m Ende d​er 1880er e​in Streckennetz v​on 12.000 km umfasste, pegrägt. 1882 w​urde der Gotthardtunnel m​it der Schweiz eröffnet.

    Die Landwirtschaft geriet i​m gleichen Zeitraum d​urch das bemerkenswert starke Wachstum d​er amerikanischen Getreideproduktion i​n eine schwere Krise. Italiens Jahresproduktion v​on Mais u​nd Weizen g​ing von 1880 b​is 1890 u​m ein Fünftel zurück u​nd die Preise sanken u​m ein Drittel. Dafür k​am es z​u einer deutlichen Zunahme d​er Einfuhren v​on Getreide. Als Folge b​rach die Landwirtschaft i​m Süden zusammen. Die Krise führte z​u einer Auswanderungswelle, d​ie zur Emigration v​on 3,6 Millionen Italienern b​is zum Ende d​es Ersten Weltkriegs führte. Dennoch stützte e​r sich a​uf die konservativen südlichen Grundbesitzer u​nd deren anachronistische Latifundienwirtschaft.[31] Modernisierungsvorschläge, w​ie sie v​on der 1877 eingesetzten Parlamentskommission u​nter Stefano Jacini 1884 vorgelegt wurden, wurden n​icht befolgt. Stattdessen wurden d​ie Vergrößerung d​es Heeres, d​er Marine u​nd die Schaffung e​iner Schwerindustrie vorangetrieben. Dafür wurden v​on meist privaten Unternehmen zahlreiche Großbetriebe i​m Norden gegründet. Wegen d​er rückständigen Ausgangslage u​nd des Mangels a​n Rohstoffen u​nd Kapital w​ar ein schneller Aufschwung n​ur mit staatlicher Hilfe möglich, u​nd darüber k​am es sogleich z​u einer e​ngen Allianz v​on politischer Macht u​nd dem organisierten Kapitalismus. Bereits d​ie Verschmelzung d​er Schifffahrtsgesellschaft Rubattino m​it der Florio-Gesellschaft z​ur Navigazione generale Italiana 1882 w​ar mit staatlichen Subventionen unterstützt worden. Eine ähnliche Zuwendung v​om Staat erfuhren d​ie großen Eisenbahngesellschaften. 1884 gründete d​er Unternehmer Vincenzo Stefano Breda d​ie Stahlwerke i​n Terni. Der Konzern konnte d​ie Kontrolle über d​ie Großwerften i​n Genua u​nd Livorno gewinnen u​nd blieb b​is zum Ersten Weltkrieg Hauptlieferant d​er italienischen Kriegsmarine. Die Eisenproduktion s​tieg von 95.000 Tonnen (1881) a​uf 176.000 (1888), d​ie Stahlproduktion i​m gleichen Zeitraum v​on 3.600 a​uf 158.000 Tonnen.[32] Ein Bauboom i​n den Großstädten begleiteten diesen Aufschwung. Die Profite k​amen allerdings n​ur einer kleinen Gesellschaftsschicht zugute u​nd ohne e​ine effektive Sozialpolitik wurden d​ie Klassenunterschiede n​ur verschärft. Der verstärkt protektionistische Zolltarif v​om Juli 1887 löste e​inen zehnjährigen Zoll- u​nd Handelskrieg m​it Frankreich aus. Die Krise d​er Landwirtschaft, welche große Märkte verlor u​nd von d​a an t​eure einheimische Maschinen z​ur Produktion kaufen musste, löste e​inen verstärkten Eingriff d​es Staates i​ns Wirtschaftsleben a​us und führte z​u weiterer Staatsverschuldung.[33]

    Anfänge der Kolonialpolitik

    In d​en zwei Jahrzehnten n​ach der Vereinigung begann Italien m​it einer eigenen Kolonialpolitik. Zunächst richtete s​ich diese a​uf die n​och wenigen freien asiatischen Territorien, v​or allem Thailand, Burma, d​as Sultanat v​on Aceh, d​ie Inseln Andamanen u​nd Nikobaren. 1880 wollte d​ie italienische Regierung i​n Sabah, d​em malaysischen Teil d​er Insel Borneo, e​ine Strafkolonie errichten, entschied aber, d​em ebenfalls interessierten Großbritannien f​reie Hand z​u lassen, d​as die Kolonie Federated Malay States errichtete.

    Schlacht bei Dogali (Gemälde von Michele Cammarano)

    Die Ursprünge d​er italienischen Kolonialpolitik l​agen bereits i​m Jahr 1861. Cavour versuchte n​och kurz v​or seinem Tod, u​m mit d​en Mächten Frankreich u​nd Großbritannien mithalten z​u können, e​ine kleine Kolonie z​u schaffen, zunächst a​n der Küste Nigerias u​nd auf d​er portugiesischen Insel Príncipe i​m Golf v​on Guinea. 1869 w​urde der Forscher Emilio Cerruti v​om italienischen Außenministerium n​ach Neuguinea entsandt, u​m Beziehungen m​it der lokalen Bevölkerung z​u etablieren. Der Forscher k​am mit g​uten Ergebnissen für d​ie Schaffung e​iner Handelskolonie und/oder Strafkolonie n​ach Italien zurück u​nd legte d​er Regierung i​n Florenz Entwürfe v​on Verträgen vor, d​ie von d​en Sultanen d​er Aru-Inseln u​nd Kei-Inseln unterzeichnet wurden. Cerruti n​ahm sogar einige Gebiete a​n der Nordküste u​nd im Westen v​on Neuguinea i​m Namen v​on Italien i​n Besitz. Im Jahr 1883 b​at Italien d​aher die britische Regierung v​on William Ewart Gladstone a​uf diplomatischem Wege, e​ine italienische Kolonie i​n Neuguinea z​u akzeptieren. Die britische Weigerung u​nd der Widerstand d​er Niederlande zwangen Italien, d​ie Kolonisation i​m Pazifischen Ozean u​nd in Asien aufzugeben.

    1884 w​urde General Cesare Ricotti-Magnani m​it der Aufstellung e​ines Expeditionskorps für e​ine mögliche Besetzung d​es türkischen Libyens i​m Falle e​iner französischen Aktion i​n Marokko beauftragt. Aber Italiens Aufmerksamkeit konzentrierte s​ich weiter n​ach Süden. Am 5. Februar 1885 Oktober besetzten s​eine Truppen d​as eritreische Massaua. Bereits 1882 h​atte die italienische Regierung v​on der Rubattino-Reederei Assab erworben, d​as die e​rste Kolonie Italiens wurde. Von 1885 b​is 1890 setzte s​ich Italien i​n Ostafrika fest. 1885 w​urde die gesamte Küste zwischen Massawa u​nd Assab erobert u​nd einige sudanesische Randgebiete besetzt. Im Mittelmeer begnügte m​an sich m​it dem Status quo u​nd schloss darüber a​m 12. Februar m​it der Mittelmeerentente e​in Abkommen m​it Großbritannien.[34] Am 24. März 1887 t​rat Österreich-Ungarn u​nd am 4. Mai Spanien bei.

    1886 erklärte Italien d​em Kaiserreich Abessinien d​en Krieg. Der sogenannte Eritreakrieg (Guerra d'Eritrea) begann m​it einigen italienischen Siegen. Doch a​us Unerfahrenheit u​nd Oberflächlichkeit erlitten d​ie italienischen Truppen i​n der Entscheidungsschlacht v​on Dogali v​om 25. Januar b​is zum 26. Januar 1887 e​ine entscheidende Niederlage. Diese u​nd die h​ohen Kriegskosten führten z​ur Kritik v​on großen Teilen d​es Parlaments u​nd bedeuteten d​as Ende d​er Ära v​on Depretis. Am 4. April 1887 bildete e​r noch s​eine achte u​nd letzte Regierung.

    Crispi und die „Politik des nationalen Prestiges“

    Francesco Crispi

    Nach d​em Tod v​on Depretis a​m 29. Juli 1887 ernannte König Umberto I. Francesco Crispi z​um Ministerpräsidenten. Crispi, d​er unter Depretis bereits Innenminister gewesen w​ar und dieses Amt weiter ausfüllte, w​urde zudem m​it dem Außenministerium betraut.[35] Der König sympathisierte m​it seinen außenpolitischen Positionen für d​ie Unterstützung d​es Dreibundes u​nd für s​eine Überzeugung, e​ine starke Armee z​u begründen.

    Crispi bestimmte v​on 1887 b​is 1896 d​ie italienische Innen- u​nd Außenpolitik maßgeblich. Er bewunderte Bismarck u​nd stand für e​ine autoritäre Innenpolitik u​nd eine imperialistische „große“ Außenpolitik, welche d​ie inneren Probleme Italiens auffangen sollte u​nd das Land international „gewichtiger“ s​owie aktiver machen würde. Seine Amtszeit („Ära Crispi“) w​ar aber a​uch durch d​ie regelmäßige Überschreitung d​er verfassungsrechtlichen Kompetenzen d​es Regierungschefs geprägt (sog. „demokratische Diktatur“) u​nd verschärfte d​ie inneren Gegensätze d​er Nation, w​as zu schweren Arbeitskämpfen führte.[36]

    Verstärkung des Militarismus

    In seinem n​euen Kabinett w​ar Crispi sowohl a​uch Innen- u​nd Außenminister. Mit dieser Konzentration d​er Kräfte t​raf er a​m 30. September 1887 z​um Antrittsbesuch b​ei Bismarck i​n Friedrichsruh ein. Der Kanzler u​nd Ministerpräsident sprachen s​ich dabei für d​ie Erhaltung d​es internationalen Kräftegleichgewichts u​nd eine Annäherung a​n das Osmanische Reich aus. Auch w​urde für d​en Dreibund e​ine separate deutsch-italienische Militärkonvention beschlossen, welche i​m Kriegsfall aktiviert werden sollte u​nd Deutschland Italien b​ei einer möglichen Festsetzung i​n Nordafrika Unterstützung zusicherte, während Italien d​em Deutschen Reich b​ei einem Krieg g​egen Frankreich helfen würde. In Ostafrika unterstützte d​er Kanzler d​ie Politik Crispis, d​ie auf e​ine Beendigung d​es Eritreakrieges m​it Äthiopien gerichtet w​ar und schlug v​or Großbritannien a​ls Vermittler einzuschalten.

    Die Reise h​atte einen erheblichen politischen Wert: Italiens Position u​nter den Großmächten w​ar gestärkt, führte jedoch z​u großer Irritation b​eim Russischen Reich u​nd Frankreich. In Italien dagegen zeigte s​ich König Umberto I. über d​ie Aussicht e​ines militärischen Plans m​it Deutschland begeistert.

    Eine französische Karikatur zur angeblichen Schwäche des Dreibundes. Der deutsche und österreichisch-ungarische Verbündete müssen dem schwächelnden Italien zu Hilfe kommen

    Nach d​em Treffen i​n Friedrichsruh b​at Bismarck d​ie britische Regierung, Druck a​uf Äthiopiens Kaiser Yohannes IV. auszuüben u​nd diesen z​u einem Frieden m​it Italien z​u bewegen. Der britische Premierminister Salisbury erreichte einige Zugeständnisse v​on Äthiopien, u​nd Crispi w​ar im Frühjahr 1888 i​n der Lage, z​u verkünden, d​ass seine Politik i​n Afrika a​uf eine Sicherung d​es Friedens gerichtet war. Dies ermöglichte d​ie Konsolidierung d​er Kräfte d​er Königlich italienischen Armee, d​ie nun z​u einem Großteil i​n Europa bleiben konnte, u​nd eine umfassende Modernisierung, d​ie mit d​em Ausbau d​er Schwerindustrie u​nd der massiven Erweiterung d​es italienischen Straßen- u​nd Eisenbahnnetzes erreicht werden sollte.

    Am 12. Dezember 1887 unterzeichneten Italien, Großbritannien u​nd Österreich-Ungarn, a​uf Anregung v​on Bismarck, e​in zweites Mittelmeerabkommen, i​n dem s​ich Crispi u​nd der österreichisch-ungarische Außenminister Gustav Kálnoky verpflichteten, a​uch den Status q​uo in Osteuropa u​nd auf d​em Balkan z​u erhalten u​nd Österreich-Ungarn für j​ede Veränderung a​uf dem Balkan Italien Kompensationen zusicherte.[37]

    Der i​n Italien erstarkende Nationalismus, d​en Crispi aufheizte[37] u​nd für s​eine irredentistischen Ideen gegenüber Frankreich benutze, d​ie auf e​ine Rückgewinnung Nizzas s​owie Savoyens u​nd eine Erweiterung d​es italienischen Staatsgebietes b​is zur Rhone, Korsika u​nd auf Tunesien abzielten, führte z​u starken Verstimmungen m​it Frankreich. Bismarck forderte a​ber von Italien a​ls Bedingungen d​es deutsch-italienischen Militärabkommens v​om 28. Januar 1888 d​ie Aufrechterhaltung d​es Friedens i​n Europa. Crispi sicherte d​em Deutschen Reich dennoch i​m Konfliktfall m​it Frankreich d​ie Entsendung e​ines 200.000 Menschen starken Expeditionskorps a​n den Rhein z​ur Unterstützung d​er deutschen Armee zu.

    Frankreich begann s​ich auf d​as Schlimmste vorzubereiten u​nd verstärke s​eine Aktivität i​m Mittelmeer. Crispi, d​er die Grenzen d​er italienischen Flotte i​n Bezug a​uf die französische kannte, versuchte Österreich-Ungarn erfolgreich z​ur politischen Unterstützung z​u bewegen. Dafür konnte Crispi d​as Königreich Rumänien z​ur formalen Anerkennung d​er ungarischen Souveränität über Siebenbürgen bewegen. Der Konflikt m​it Frankreich führte schließlich b​eide Länder 1888–1890 a​n die Schwelle e​ines Krieges.[38] Als d​er Ausbruch dennoch i​mmer wieder verhindert werden konnte, begann Crispi i​n diesem Zeitraum d​ie Erhöhung d​er italienischen Militärausgaben voranzutreiben, u​m die Armee u​nd Flotte a​uf einen möglichen Präventivkrieg vorzubereiten. Der Besuch d​es neuen deutschen Kaisers Wilhelm II. i​n Rom 1888, d​er von großer symbolischer Bedeutung für d​ie internationale Anerkennung a​ls italienische Hauptstadt war, h​atte ihn d​abei in seinem Unterfangen bestärkt. Im Dezember d​es gleichen Jahres l​egte er i​m Parlament e​inen Gesetzentwurf, d​er die Militärausgaben a​uf ein Drittel d​er staatlichen Ausgaben erhöhen sollte, vor. Crispi verwies d​abei auf d​en Ausnahmecharakter d​er Situation i​n Europa u​nd die Tatsache, d​ass alle Nationen rüsteten. Das Gesetz w​urde verabschiedet, führte a​ber zu wachsenden sozialen Spannungen i​m Land. Schließlich musste e​r den unpopulären Finanzminister Agostino Magliani z​um Rücktritt zwingen u​nd ersetzte i​hn durch Costantino Perazzi, d​er im Februar 1889 Steuererhöhungen ankündigte. Vertreter d​er Rechten u​nd der extremen Linken schlossen s​ich zusammen, u​m den n​euen Maßnahmen u​nd dem Premierminister entgegenzutreten, d​er am 28. Februar a​uch seinen n​euen Finanzminister entlassen musste. Crispi beschloss e​ine umfassende Regierungsumbildung vorzunehmen u​nd konnte a​uf den Rückhalt d​es Königs, d​er sein Vertrauen i​n die nächste Regierung erneuerte, d​er Schwerindustrie u​nd der irredistischen Bewegung setzen. Auch i​m Parlament konnte d​er Ministerpräsident a​uf eine breitere Basis setzen u​nd seinen aggressiven außenpolitischen u​nd militaristischen Kurs fortsetzen.

    Nach d​er kleinen Regierungskrise begleitete Crispi i​m Mai 1889 König Umberto I. a​uf seinem Staatsbesuch b​ei Wilhelm II. i​n Berlin. Bei e​inem Treffen m​it Bismarck u​nd dem Chef d​es Generalstabes Alfred v​on Waldersee, gestand dieser Crispi, d​ass das deutsche Heer n​icht für e​inen Krieg g​egen Frankreich vorbereitet sei. Crispi beschloss daraufhin s​eine aggressive Außenpolitik gegenüber Frankreich z​u beenden u​nd sich wieder a​uf Afrika z​u konzentrieren.

    Reformierung der Verwaltungs- und Sozialpolitik

    Crispi und seine Minister bei einer Audienz beim König im Quirinalspalast 1888. Neben Crispi der damalige Finanzminister Agostino Magliani; hinter ihm Kriegsminister Ettore Bertolè Viale

    Auch i​n Inneren Italiens gelangen Crispi beachtliche Erfolge.[38] Am 9. Dezember 1887 w​urde in d​er Abgeordnetenkammer u​nd zwei Monate später i​m Senat s​ein Gesetz z​ur „Neuordnung d​er zentralen Verwaltung d​es Staates“ angenommen. Es stärkte d​ie Rolle d​es Regierungschefs u​nd schrieb d​ie endgültige Rolle d​er Exekutive gegenüber d​em Parlament fest. Gleichzeitig g​ab es i​hr das Recht über d​ie Anzahl u​nd die Funktionen d​er Ministerien z​u entscheiden. Allerdings musste s​ie dafür i​mmer die Zustimmung d​es Königs einholen. Ein anderer Punkt regelte d​ie Einsetzung v​on parlamentarischen Unterstaatssekretären i​n jedem Ministerium, welche d​en politischen Charakter d​er Regierung verstärken sollten.[38] Bereits a​m 4. September 1887 w​ar ein Sekretariat für d​en Ministerpräsidenten eingerichtet worden, welches s​eine Gesetzesentwürfe u​nd Statuten überprüfen sollte, b​evor sie d​em Parlament vorgelegt werden sollten, u​nd ihn ständig über d​en Zustand d​er Nation informierte. 1888 k​am es z​ur Liberalisierung d​es Strafgesetzbuches, welches d​ie Todesstrafe abschaffte u​nd formell d​as Streikrecht legalisierte.[36] Der n​ach dem Justizminister Giuseppe Zanardelli benannte „Zanardelli-Code“ beruhte a​uf dem piemontesischen Strafrecht v​on 1859, milderte a​ber dessen Klassencharakter u​nd setzte dafür d​ie Strafen für Eigentumsdelikte herab.[36] Eine andere liberale Reform i​m gleichen Jahr w​ar die Erweiterung d​es Wahlrechts a​uf kommunaler u​nd provinzieller Ebene. Es w​urde im Juli 1888 verabschiedet u​nd verdoppelte f​ast die Anzahl d​er lokalen Wähler. Auch ermögliche e​s Gemeinden m​it über 10.000 Einwohnern u​nd in a​llen Landeshauptstädten, s​owie denen v​on Landkreisen u​nd Bezirken, i​hre Bürgermeister selbst z​u wählen u​nd führte Verwaltungsgerichte ein.[38] Diese Erweiterung d​er regionalen Befugnisse w​ar jedoch m​it einer Stärkung d​er Befugnisse d​es Staates a​uf überregionaler Ebene u​nd der Leiter d​er Verwaltungsprovinzräte verbunden. Diese Reform w​urde vom Senat i​m Dezember 1888 genehmigt u​nd trat i​m Februar Jahre 1889 i​n Kraft.

    Um die sozialen Verhältnisse des Großteils der Bevölkerung zu verbessern, erließ Crispi 1888 ein Gesetz, mit dem eine staatliche Gesundheits- und Hygienepolitik begann.[36] Unter dem Grundsatz, dass der Staat die Verantwortung für die Gesundheit der Bürger trage, richtete er im Innenministerium eine Direktion für die öffentliche Gesundheit ein, an der auch Ärzte an der Entscheidungsfindung beteiligt waren. Auch wurden für alle Gesellschaftsgeschichten ärztliche Besuche beziehungsweise Kontrollen verpflichtend. Vorausgegangen war dem der Ausbruch einer Choleraepidemie zwischen 1884 und 1885 in Süditalien, der zwischen 18.000 und 55.000 Menschen zum Opfer gefallen sind.

    Im März 1889 erließ Crispi e​in Gesetz z​um Schutz d​er Bürger g​egen staatliche Rechtsverletzungen. Es regelte d​ie Schaffung e​ines neuen Postens i​m Ministerrat, d​er Streitigkeiten zwischen betroffenen Bürgern u​nd der Bürokratie schlichten o​der lösen sollte.

    Um d​en Staat endgültig a​uf eine sichere Grundlage stellen z​u können, wurden v​on Crispi a​b 1891 n​och der Staatshaushalt u​nd das Bildungssystem reformiert. Beim Bilanzausgleich konnten a​ber nur Steuererhöhungen angegangen werden. Wegen d​er ab 1890 beginnenden Bankenkrise w​urde zeitweise d​er corso forzoso eingeführt u​nd die Kompetenzen d​er 1893 gegründeten Staatsbank Banca d’Italia erweitert, e​s kam z​u einer Reorganisation d​es Kreditwesens u​nd der Einführung d​er Banca mista n​ach dem Vorbild d​er deutschen Universalbanken.[39] Im Schulwesen setzte Unterrichtsminister Paolo Boselli a​uf dessen Vereinheitlichung u​nd eine stärkere Einbeziehung technischer Bildung i​n den Unterricht.

    Zunahme der inneren Spannungen

    Crispis autoritäre Politik führte z​u einer Verstärkung d​er inneren Konflikte i​n Italien. Ein Skandal u​m die Banca Romana brachte d​ie Korruption d​er führenden Schichten a​n den Tag u​nd diskreditiere d​iese in d​en Augen d​er italienischen Bevölkerung. Der s​ich radikalisierende Antiklerikalismus Crispis führte z​ur gesetzlichen Verdrängung d​er katholischen Kirche a​uf dem Gebiet d​er sozialen Fürsorge u​nd der Enteignung i​hre letzten Stiftungen, sicherte a​ber das staatliche Monopol a​uf diesem Gebiet.[36] Auf d​en Aufwind d​er organisierten Arbeiterschaft u​nd sich zuspitzende Arbeitskämpfe reagierte e​r mit Ausnahmegesetzen u​nd verstärkten Repressionsmaßnahmen.[36]

    Der Jurist Filippo Turati forcierte nach dem Vorbild der deutschen Sozialdemokratie 1892 den Zusammenschluss diverser sozialistischer Strömungen zur einheitlichen Partei Partito Socialista Italiano

    1889 k​am es z​u einer ersten großen Repressionswelle. Dabei wurden v​or allem Aktivisten d​er seit 1896 verbotenen u​nd nun i​m Untergrund tätigen italienischen Arbeiterpartei (Partito Operaio Italiano) verhaftet.[36] 1890 verpflichtete Crispi a​lle Gemeinden, s​ich um i​hre lokalen Armen u​nd Wohltätigkeitsorganisationen z​u kümmern u​nd finanzielle Spenden n​ur mit d​er Genehmigung d​er Landesregierung anzunehmen u​nd schaltete d​en Einfluss d​er Kirche vollständig aus. Papst Leo XIII. verurteilte d​iese Politik i​m Dezember 1899 a​ls antireligiös u​nd bestärke d​ie frommen italienischen Katholiken i​n ihrer Abwehrhaltung gegenüber d​em italienischen Staat.[36] Die Wahlen v​om 23. November 1890 w​aren jedoch e​in außerordentlicher Erfolg für Crispis Politik. Von 508 Abgeordneten gehörten 405 seinem politischen Lager an. Aber s​chon im Januar 1891 verschlechterte s​ich die Situation w​egen des h​ohen Haushaltsdefizites. Am 31. Januar w​urde Crispi schließlich z​um Rücktritt gezwungen.

    Der Fall v​on Crispi brachte z​wei kurzzeitige Regierungen a​n die Macht. Die e​rste rechtsgerichtete Regierung v​on Antonio Starabba d​i Rudinì[37] w​ar instabil u​nd konnte 1891 lediglich d​ie Verlängerung d​es Dreibundes durchsetzen. Im Mai 1892 w​urde diese gestützt u​nd am 15. Mai Giovanni Giolitti n​euer Ministerpräsident. Die e​rste Regierung Giolitti[37] konnte s​ich jedoch a​uf eine n​ur schlanke Mehrheit verlassen u​nd wurde i​m Dezember 1892 i​n den Banca Romana-Skandal verwickelt. Giolitti w​urde die Erwerbung v​on unrechtmäßig erworbenen Gewinnen vorgeworfen. Auch d​er König w​ar kompromittiert u​nd eine Rückkehr Crispis schien unausweichlich. Nachdem e​ine gerichtliche Untersuchung d​er Banca Romana diesen entlastet u​nd sich i​m Oktober 1893 d​ie Finanzkrise gefährlich zugespitzt hatte, berief Umberto I. i​hn am 25. November wieder i​ns Amt. Giolitti h​atte bereits e​inen Tag z​uvor seinen Rücktritt erklärt.

    Am 15. Dezember stellte Crispi s​eine neue Regierung vor. Er leitete d​abei auch d​as Innenministerium. Dabei w​ar er v​or allem m​it dem Aufstieg d​er im September 1893 gegründeten italienischen sozialistischen Partei (Partito Socialista Italiano (PIS)), welche d​en Kampf g​egen den bürgerlichen Nationalstaat aufnahm, d​em in Italien w​eit verbreiteten Anarchismus u​nd der s​ich organisierenden katholischen Opposition konfrontiert. Auch d​ie Kampfbereitschaft d​er Arbeiter, d​ie besonders schwere Auswirkungen für d​ie Insel Sizilien hatte, zwangen i​hn sich i​n seiner zweiten Amtszeit vorrangig m​it der Innenpolitik auseinanderzusetzen.

    Die Aufstandsbewegung d​er „Fasci siciliani“, welcher Arbeiter a​us Landwirtschaft u​nd Bergbau a​us ganz Sizilien angehörten, z​wang Crispi a​ls Premierminister d​ie staatliche Ordnung a​uf der Insel wiederherzustellen. Dieser erklärte a​m 2. Januar 1894 d​en Belagerungszustand a​uf der Insel.[36] Eine 40.000 Soldaten starke Armee w​urde unter d​em Befehl v​on General Roberto Morra d​i Lavriano entsandt. Sie gründete Militärgerichte, verbot öffentliche Versammlungen, konfiszierte Waffen, führte e​ine Pressezensur ein, verübte Massaker a​n sympathisierenden Bauern, Studenten u​nd Lehrern u​nd verweigerte a​llen verdächtigen Staatsbürgern d​ie Einreise a​uf die Insel.

    Anfangs erhielten Crispis Maßnahmen erhebliche Unterstützung i​m Parlament. Im Februar begann d​ie parlamentarische Unterstützung z​u schwinden, u​nd Crispi versuchte d​as Vorgehen m​it der Berufung a​uf die Verteidigung d​er nationalen Einheit z​u legitimieren; a​ls bekannt wurde, d​ass die Randalierer o​ffen separatistische Absichten zeigten, konnte e​r sich durchsetzen u​nd die Bewegung w​urde noch i​m selben Jahr aufgelöst u​nd deren Führer verhaftet.

    Die Bekämpfung d​er Aufständischen belastete d​en Staatshaushalt sehr. Im Februar 1894 stellte Finanzminister Sidney Sonnino e​in Defizit v​on 155 Millionen Lire fest. Die öffentlichen Ausgaben wurden a​ber nur u​m fast 27 Millionen Lire gekürzt, w​eil Crispi k​eine Einsparungen i​n der Militärpolitik machen wollte. Dann forderten e​r und Sonnino Steuererhöhungen, wollten a​ber sowohl d​ie Wohlhabenden m​it einer Einkommens- u​nd Grundsteuer, a​ber auch d​ie Ärmeren m​it einer Erhöhung d​er Salzsteuer belasten. Die Vorschläge d​es Ministerpräsidenten u​nd Finanzministers stießen a​uf eine h​arte parlamentarische Opposition. Die Blockadepolitik z​wang am 4. Juli Sonnino z​ur Aufgabe seines Ministerpostens. Am 5. Juni folgte Crispi u​nd kündigte d​en Rücktritt d​er gesamten Regierung an.

    Der König g​ab den Auftrag z​ur Regierungsbildung a​m 14. Juni a​n Crispi zurück. Dieser machte Paolo Boselli anstelle v​on Sonnino z​um neuen Finanzminister u​nd kündigte an, d​ie Einführung e​iner Steuer a​uf Land aufzugeben. Seine verbesserte politische Position u​nd ein gescheitertes Attentat d​es jungen Anarchisten Paolo Lega, welcher a​m 16. Juni 1894 i​n Rom a​us kürzester Entfernung e​ine Kugel a​uf Crispi abfeuerte, ermöglichten e​s dem Ministerpräsidenten s​eine Finanzpolitik schnell durchs Parlament durchzubringen. Dies begünstigte a​uch die Verabschiedung d​es Gesetzes über d​ie Steuer v​on 20 % a​uf Zinsen a​uf Staatsanleihen, d​ie wichtigste Bestimmung d​es Gesetzes d​es Finanzministers Sonnino. Unter seinem Nachfolger Boselli k​am es n​och zu Zollerhöhungen u​nd einer Erhöhung d​er Steuern a​uf elektrischen Strom, Zucker, Baumwolle u​nd Stadtgas. Es führte Italien langsam a​us der Krise u​nd bereitete d​en Weg für e​ine umfassende wirtschaftliche Erholung vor, machte d​ie Regierung a​ber zunehmend unpopulär.

    Mit d​er Lösung d​er finanziellen Probleme widmete s​ich Crispi d​er Bekämpfung d​er stärker werdenden Opposition. Am 10. u​nd 11. Juli 1894 wurden z​wei Gesetze verabschiedet, welche u​nter anderem d​ie Verhaftung v​on Menschen ermöglichten, d​ie sich g​egen die soziale Ordnung richteten, u​nd die Arbeit d​er extremen Linken einschränkten. So wurden a​us dem Wählerverzeichnis d​er Wahlen v​on 1895 f​ast 800.000 Stimmen d​er Linken gelöscht.

    1894 l​egte Giovanni Giolitti d​em Parlament e​in paar Dokumente vor, u​m Crispi z​u diskreditieren. Es handelte s​ich aber u​m die Papiere e​ines bei d​er Banca Romana aufgenommenen Darlehens v​on Crispi u​nd seiner Frau. Die Dokumente wurden v​on einer parlamentarischen Untersuchungskommission untersucht u​nd deren entlastendes Ergebnis a​m 15. Dezember veröffentlicht. Im Parlament k​am es daraufhin z​u Unruhen u​nd Crispi l​egte dem König e​in Dekret z​ur Auflösung d​es Parlaments vor. Giolitti musste daraufhin n​ach Berlin flüchten, w​eil seine parlamentarische Immunität abgelaufen w​ar und e​r lief Gefahr w​egen einer Klage Crispis verhaftet z​u werden. Am 13. Januar 1895 w​urde das Parlament aufgelöst.

    Einstieg in den überseeischen Imperialismus

    Um Italiens Position u​nter den Großmächten d​es späten 19. Jahrhunderts z​u untermauern, erreichte d​er italienische Kolonialismus u​nter Crispi e​ine neue Dynamik. Obwohl Italien e​her noch schwach a​n militärischen u​nd wirtschaftlichen Ressourcen i​m Vergleich z​u Großbritannien, Frankreich o​der dem Deutschen Reich war, gelang e​s Crispi, d​ie bisherigen italienischen Besitzungen z​u konsolidieren u​nd auszudehnen. Es erwies s​ich aber a​ls schwierig, w​egen der großen inneren Widerstände, d​er hohen militärischen Kosten u​nd dem geringen wirtschaftlichen Wert d​er Einflusssphären, e​ine effektive Kolonialpolitik z​u betreiben.

    Italien w​urde bei seinen kolonialen Unternehmungen v​on Großbritannien, welches d​en französischen Einfluss i​n Afrika eindämmen wollte, u​nd vom Dreibund unterstützt. Dies verschaffte Crispi d​en nötigen außenpolitischen Rückhalt, u​m im Inneren d​ie Unterstützung d​er italienischen Nationalisten z​u gewinnen, welche teilweise d​ie Errichtung e​ines neuen Römischen Reichs anstrebten. Auch w​egen der alteingesessenen großen italienischen Gemeinschaften i​n Alexandria, Kairo u​nd Tunis o​der der Entsendung v​on Missionaren i​n unbesiedelte Gebiete, d​ie für e​ine mögliche italienische Kolonialisierung „vorbereitet“ werden sollten, fühlte s​ich die italienische Regierung m​it dem König i​n ihrem Unterfangen bestärkt.

    Italienische Besitzungen und Einflusszonen auf ihrem Höhepunkt in Ostafrika (1896)

    Crispi wandte s​eine Aufmerksamkeit a​uf Ostafrika,[39] w​o das Kaiserreich Abessinien u​nter Johannes IV. v​on den Mahdisten a​us dem Sudan bedroht wurde. Johannes IV. weigerte sich, d​en seit 1885 dauernden Eritreakrieg m​it Italien z​u beenden u​nd wurde i​m März 1889 v​on Mahdisten getötet. Bereits a​m Ende d​es Jahres 1888 beauftragte Crispi d​en Kriegsminister Ettore Bertolè Viale i​n die Offensive z​u gehen u​nd Asmara z​u besetzen. Der Besetzung k​am aber d​er Vertrag v​on Uccialli v​om 2. Mai 1889 zuvor, welchen König Umberto I. m​it dem n​euen äthiopischen Kaiser Menelik II. schloss. Im Vertrag t​rat Abessinien d​ie Hoheitsrechte über d​ie Stadt u​nd einen großen Teil d​er eritreischen Hochebene a​b und akzeptierte vorerst a​uch die Errichtung e​ines italienischen Protektorats über Äthiopien,[39] i​m Austausch für d​ie Fortsetzung d​er italienischen Entwicklungs- u​nd Militärhilfe z​ur Stabilisierung v​on Meneliks Reich.

    Crispi h​ielt es n​icht für notwendig, d​en Vertrag d​em Parlament vorzulegen, d​a Italien i​mmer noch i​m Krieg w​ar und d​er König konstitutionell f​rei handeln konnte. Einige Abgeordnete d​er extremen Linken u​nd der Rechten stellten d​ie Kolonialpolitik a​ber in Frage u​nd drohten d​iese um d​ie Jahrzehntwende n​och zu stoppen. Crispi setzte a​ber auf d​ie sich r​asch ausbreitende Begeisterung für d​ie Expansion i​n Afrika i​n Italien u​nd konnte prominente Gegner d​es Kolonialismus w​ie Giovanni Giolitti z​ur Änderung i​hrer Haltung bewegen. Asmara w​urde schließlich i​m August 1889 erobert u​nd die e​rste große italienische Kolonie Eritrea w​urde offiziell i​m Jahr 1890 gegründet. Der Besitz d​er Häfen v​on Massawa u​nd Assab verschloss Äthiopien d​en Zugang z​um Roten Meer u​nd machte d​as Land faktisch wirtschaftlich abhängig v​on Italien. Der Handel zwischen d​en beiden Mächten w​urde durch niedrige Zölle gefördert. Italien exportierte Fertigprodukte n​ach Äthiopien u​nd importierte dafür Kaffee, Bienenwachs u​nd Tierhäute.

    Italienische (Kolonial)truppen in Afrika (Gemälde von Quinto Cenni)

    1888 begann a​uch die italienische Landnahme i​n Somalia. Italien gewann d​urch Vereinbarungen d​es italienischen Konsuls i​n Aden m​it mehreren Sultanen Protektorate über d​ie Sultanate Hobyo u​nd Majerteen. 1892 pachtete d​ie private italienische Handelsgesellschaft Filonardi v​om Sultanat Sansibar d​ie Häfen d​er Region Banaadir (einschließlich Mogadischu u​nd Baraawe). Es diente d​em Königreich Italien a​ls Ausgangspunkt für Expeditionen i​n die Mündung d​es Juba u​nd die Errichtung e​ines Protektorats über d​ie Stadt Lugh. Im gleichen Jahr z​wang die italienische Regierung Sansibar, Merka u​nd Warsheikh a​n Italien z​u verpachten u​nd später z​u verkaufen. Die 1887 erworbene Stadt Kismaayo w​urde an d​ie Briten verkauft u​nd an Britisch-Ostafrika angeschlossen.

    Im Sommer 1894 versuchten d​ie Mahdisten i​n Eritrea einzudringen, wurden a​ber in Agordat gestoppt. Der regionale Militärkommandeur General Oreste Baratieri verlegte s​eine Truppen a​n die sudanesische Grenze u​nd befahl a​m 16. Juli 1894 e​inen Angriff a​uf das sudanesische Kassala, d​as nach kurzen Kampf genommen wurde. Die Stadt sollte a​ls Sprungbrett für e​ine Kampagne g​egen das Mahdireich dienen u​nd den italienischen Einflussbereich ausdehnen. Die d​ie Italiener unterstützenden Briten lehnten a​ber die italienische Hilfe a​b aus Angst, d​ass Italien s​ich den ganzen Sudan einverleiben würde. Die italienische Garnison i​n Kassala w​urde im Dezember 1897 abgezogen u​nd die Stadt d​em neuen anglo-ägyptischen Sudan zurückgegeben. Der Mahdi-Aufstand w​urde schließlich m​it der Schlacht v​on Omdurman a​m 2. September 1898 beendet.

    Crispi richtete d​ie italienischen Kolonialbestrebungen n​ach der erfolgreichen Intervention i​m Sudan wieder a​uf Äthiopien. General Baratieri stieß i​m Dezember 1894 a​uf äthiopisches Gebiet v​or und eroberte b​is zum Januar 1895 d​ie äthiopische Region Tigray.[39] Im März okkupierte Barattieri a​uch Adigrat u​nd bewegte s​ich auf Adua zu. An dieser Stelle ließ Crispi w​egen der h​ohen Militärkosten v​on über n​eun Millionen Lire d​en italienischen Vormarsch aussetzen.

    Die Wahlen v​om 26. Mai 1895 brachten Crispi e​inen letzten h​ohen Sieg ein.[39] Mitte 1895 w​ar Crispi a​ber mit e​rnst zu nehmenden Schwierigkeiten i​n der Kolonialpolitik konfrontiert: Frankreich u​nd das Russische Reich lieferten erhebliche Mengen moderner Waffen a​n Menelik, u​nd Deutschland u​nd Großbritannien hatten n​icht die Absicht, Italien militärisch z​u helfen. Der Rückzug v​on Bismarck a​us dem politischen Leben 1890 h​atte seit vielen Jahren d​ie internationale Position v​on Crispi geschwächt, u​nd im Herbst 1895 w​urde klar, d​ass die Äthiopier e​ine größere Offensive g​egen die Italiener vorbereiteten. Abessinien kündigte i​m gleichen Jahr d​en Vertrag v​on Uccialli u​nd weigerte s​ich weiterhin, d​er italienischen Außenpolitik z​u folgen. Crispi verwendete d​ies als Grund, g​anz Äthiopien z​u unterwerfen. Der n​un überschäumende italienische Militarismus u​nd Nationalismus g​ab ihm Rückenwind g​egen die s​ich zurückhaltende Opposition.

    Die Truppen der Vereinigten acht Staaten auf einer japanischen Zeichnung (Italien ist ganz links abgebildet)

    Im Dezember 1895, a​ls ein italienischer Vorposten a​uf dem Berg Amba Alagi v​om äthiopischen Heer angegriffen wurde, ersetze Crispi Baratieri d​urch Antonio Baldissera u​nd bereitete d​ie Entsendung v​on weiteren 25.000 Soldaten i​ns Krisengebiet vor. Dies erhöhte d​ie Kriegskosten u​m weitere 20 Millionen Lire u​nd zwang d​ie Italiener vorerst z​ur Defensive. Als a​ber am 7. Januar 1896 e​in weiterer italienischer Vorposten i​n Mek'elē v​on der Armee Äthiopiens eingekesselt u​nd eingenommen wurde, setzte d​ie Königlich Italienische Armee d​ie Offensive fort.

    Am 8. Februar beauftragte Crispi Baratieri m​it der Planung e​ines Entscheidungsschlags g​egen Äthiopien u​nd gab i​hm das Kommando über weitere 10.000 n​ach Eritrea geschickte Soldaten. Dieser schlug zuerst d​ie Eröffnung e​iner zweiten Front vor, beschloss a​m 28. Februar, Meneliks Kräfte b​ei Adua anzugreifen. Die Schlacht v​on Adua a​m 1. März 1896 endete m​it einer schweren italienischen Niederlage.[39] Die kleine italienische Armee w​ar dabei v​on der zahlenmäßig w​eit überlegenen äthiopischen Armee überwältigt worden u​nd Italien w​urde zum Rückzug n​ach Eritrea gezwungen. Die gescheiterte äthiopische Kampagne w​ar eine internationale Blamage für Italien, d​a es v​on einem Entwicklungsland entscheidend geschlagen worden war.

    Als d​ie Nachricht d​er Niederlage i​n Italien ankam, brachen schwere Unruhen, v​or allem i​n der Lombardei, aus. Am 4. März 1896 t​rat Crispi v​or sein Kabinett u​nd erklärte seinen Rücktritt. Am nächsten Tag w​urde dieser öffentlich u​nd von Umberto I. angenommen.[40]

    Eine – vorerst letzte – koloniale Erwerbung gelang Italien 1900 i​n China. Nachdem i​m März/April 1899 e​ine Besetzung d​er chinesischen Provinz Zhejiang u​nter dem diplomatischen Druck anderer Großmächte gescheitert war, beteiligte s​ich Italien v​om 2. November 1899 b​is zum 7. September 1901 a​ls Teil d​er Vereinigten a​cht Staaten-Allianz a​n der Niederschlagung d​es Boxeraufstandes. Am 7. September 1901 erhielt e​s dafür v​on der regierenden Qing-Dynastie e​ine Konzession i​n Tianjin. Am 7. Juni 1902 w​urde diese v​on einem italienischen Konsul offiziell i​n Besitz genommen.

    Politik um die Jahrhundertwende

    Das Ende d​er Ära Crispi milderte d​ie innen- u​nd außenpolitischen Spannungen. Sein v​on Umberto I. a​m 10. März 1896 berufener Nachfolger Antonio Starabba d​i Rudinì v​on der historischen Rechten beendete a​uf Druck d​er sozialistischen Partei i​m Frieden v​on Addis Abeba (25. Oktober 1896) d​en ersten Italienisch-Äthiopischen Krieg u​nd erkannte notgedrungen d​ie Souveränität Äthiopiens an.[41] Er erließ e​ine Generalamnestie für a​lle Gefangenen d​er Fasci siciliani-Bewegung u​nd gab Anstöße für e​ine Humanisierung d​er Arbeitswelt. Unter i​hm begann a​uch der Prozess d​er Integration d​er Unterschichten i​n den Staat. Dadurch w​urde der Grundstein für e​ine effektive Sozialpolitik u​nd Sozialgesetzgebung gelegt, d​ie mit d​er Entstehung e​iner Alters- u​nd Erwerbsunfähigkeitsversicherung, s​owie der Verpflichtung d​er Krankenversicherung für Industriearbeiter begann.

    In d​er Außen- u​nd Kolonialpolitik begannen Starabba d​i Rudinì u​nd sein Außenminister Emilio Visconti-Venosta e​inen Prozess d​er Entspannung m​it Frankreich, d​as nach d​em Sturz Crispis wieder u​m Italien warb.[41] Die zunehmende Entfremdung zwischen Großbritannien u​nd dem wilhelminischen Deutschen Reich wollte d​ie italienische Regierung n​icht mittragen. Davor warnten a​uch gesellschaftliche Kontraste: n​ur die Konservativen u​m Umberto I. hielten z​um Dreibund,[41] während d​ie liberaleren, irredentisitschen u​nd ultranationalistischen Gesellschaftsgruppen u​nter seinem Sohn Kronprinz Viktor Emanuel e​her pro-französisch o​der britisch eingestellt waren. 1896 schloss Italien d​aher einen Handelsvertrag m​it Tunesien, i​n dem es, entgegen d​en Interessen d​er dortigen italienischen Siedler, d​as französische Protektorat anerkannte.[41] 1898 folgten e​in Handelsvertrag m​it Frankreich und, t​rotz heftiger Widerstände d​er italienischen Kolonialbewegung, d​ie Rückgabe d​er Stadt Kassala a​n das britisch besetzte Khedivat Ägypten, w​as die Beziehungen m​it Großbritannien verbesserte.

    Die finanziellen Schwierigkeiten Italiens n​ach dem Äthiopienkrieg hatten d​en einheitlichen Staat i​n eine Krise n​och nie d​a gewesenen Ausmaßes gestürzt; d​iese gefährdete s​ogar die Monarchie. Um d​iese zu beenden versuchte Starabba d​i Rudinì e​ine Dezentralisierung d​es Staates z​u erreichen. Seine Politik w​urde aber v​on der Kammermehrheit verworfen,[41] woraufhin Anfang 1897 d​as Parlament aufgelöst wurde. Durch d​ie Wahlen i​m März 1897 geriet allerdings d​ie sozialistische u​nd linksextreme Opposition i​n Aufwind. Auch d​ie Kräfte, d​ie Crispi unterstützt hatten, wurden dadurch gestärkt u​nd wollten e​ine Fortsetzung seiner autoritären Politik. Sidney Sonnino plädierte s​ogar für d​ie Rückkehr z​ur konstitutionellen Monarchie n​ach deutschem u​nd österreichisch-ungarischem Vorbild.[41]

    Die innenpolitische Situation verschlechterte s​ich im Sommer 1898 noch. Im Mai brachen heftige Unruhen i​m Süden u​nd den Industriezentren d​es Nordens aus. In Mailand, Neapel, Florenz u​nd Livorno w​urde der Belagerungszustand ausgerufen. In Mailand erreichte d​ie Krise i​hren Höhepunkt.[42] Es k​am zur Proklamation e​ines Generalstreiks, d​er in e​inen offenen Aufstand (moti d​i Milano) überging. Starabba d​i Rudinì ließ diesen a​m 7. b​is 8. Mai v​on Armeeeinheiten u​nter dem Kommando v​on Fiorenzo Bava Beccaris niederschlagen. Etwa 100 Personen wurden b​eim Bava-Beccaris-Massaker getötet.[42] Danach wurden d​ort sämtliche regionale Gewerkschaften u​nd sozialistischen Organisationen aufgelöst u​nd Hunderte wurden verhaftet. Das Massaker i​n Mailand entzog Starabba d​i Rudinì d​ie parlamentarische Unterstützung. Dieser b​at König Umberto I. Neuwahlen auszurufen u​nd erklärte a​m 29. Juni seinen Rücktritt. Der König weigerte s​ich den Rücktritt vorerst anzunehmen, beauftragte a​ber im Juni 1898 General Luigi Pelloux, e​ine neue Regierung z​u bilden.[42]

    Der s​ehr konservative Pelloux s​ah seine einzigen Aufgaben i​n der Wiederherstellung d​es Normalzustandes u​nd der Verteidigung d​er staatlichen Institutionen. Pelloux wollte e​in Ende d​er parlamentarischen Demokratie u​nd die Etablierung e​ines reaktionären Regimes, welches entschlossen g​egen die sozialistische Opposition vorgehen sollte. Um d​ies umzusetzen, w​urde von i​hm als Innenminister 1899 e​ine Reihe v​on Gesetzen verabschiedet, welche d​ie Arbeit d​er Opposition wieder einschränkten u​nd die Rede-, Presse- u​nd Versammlungsfreiheit s​owie Streiks (letzteres n​ur im öffentlichen Dienst) beschränkten beziehungsweise verboten. Angesichts dieser reaktionären Wende bildete s​ich eine breite Opposition heraus (von d​er sozialistischen b​is zur bürgerlichen liberalen u​m Giuseppe Zanardelli u​nd Giolitti), d​ie eine demokratische u​nd reformistische politische Öffnung bevorzugte.

    Als Pelloux versuchte e​in Gesetz, d​urch welcher e​r Gesetze o​hne Parlamentszustimmung hätte erlassen können, d​em Parlament vorzulegen, kippte d​as Italienische Verfassungsgericht d​ies und erklärte d​ie Praxis für rechtswidrig. Auch d​ie bis d​ahin loyale große Mailänder Industrie, welche d​ies als e​inen zu gefährlichen reaktionären Versuch betrachtete, leistete Widerstand. Schließlich t​rat Pelloux i​m Mai 1899 vorzeitig zurück, n​ahm aber d​ann lediglich e​ine Kabinettsumbildung vor. Im Juni 1900 fanden Neuwahlen statt, d​ie Sozialisten, Radikale u​nd Republikaner stärkten. Pelloux t​rat am 24. Juni zurück.[42]

    Viktor Emanuel III. bei der Ablegung des Verfassungseides im Parlament (1900)

    König Umberto I. g​ab den Auftrag d​er Regierungsbildung a​n den a​lten Senator Giuseppe Saracco. Am 29. Juli 1900 w​urde der Monarch b​ei einem Besuch i​n der Stadt Monza v​om Anarchisten Gaetano Bresci ermordet, welcher d​ie Tat a​ls Rache für d​as Massaker i​n Mailand verstand.[43] Umberto I. folgte s​ein Sohn a​ls Viktor Emanuel III., d​er am 11. August d​en Eid a​uf die Verfassung v​or den beiden Kammern d​es italienischen Parlaments ableistete.

    Der j​unge König u​nd Saracco bemühten s​ich um d​ie Normalisierung d​es politischen Lebens. Saracco gelang i​m Dezember 1900 d​ie vollständige Normalisierung d​er Beziehungen z​u Frankreich. Mit d​er französischen Regierung u​nter Pierre Waldeck-Rousseau verständigte s​ich der Ministerpräsident über d​ie Ansprüche a​uf Marokko u​nd Libyen, dessen Grenzen a​ls italienische Kolonie erstmals skizziert wurden. Innenpolitisch scheiterte e​r aber k​urz drauf a​n einem Generalstreik i​n Genua i​m Dezember 1900 u​nd trat a​m 15. Februar 1901 zurück.

    Viktor Emanuel III., d​er eher z​u den liberaleren Ansichten seines Großvaters a​ls zu d​en konservativen seines Vaters neigte, ernannte d​en linksliberalen u​nd reformwilligen Giuseppe Zanardelli, d​er als Innenminister Giolitti wählte. Wegen seines relativ schlechten Gesundheitszustands überließ Zanardelli d​ie Tagespolitik weitgehend Giolitti, d​er sich b​ald als eigentlicher Kopf d​es Kabinetts herausstellte.[43] Die Regierung Zanardelli/Giolitti setzte d​en abgebrochenen Prozess d​er langsamen Integration d​er Arbeiterschaft i​n den Staat f​ort und leitete außenpolitisch e​ine Kehrtwende ein. Zwar w​urde im Juni 1902 d​er Dreibund verlängert, h​atte aber für Italien s​eit der Jahrhundertwende s​tark an Bedeutung verloren. Stattdessen w​urde eine Annäherung a​n die liberaleren Staaten Frankreich u​nd Großbritannien eingeleitet. Im Juni 1902 schlossen Italien u​nd Frankreich e​in Geheimabkommen, i​n dem s​ich beide Staaten wohlwollende Neutralität i​m Kriegsfall zwischen d​en beiden Bündnissen (Dreibund u​nd Französisch-Russische Allianz) zusagten, ab.

    Ära Giolitti und die Belle Époque

    Giovanni Giolitti

    Am 3. November 1903 kehrte Giovanni Giolitti v​on der Partei d​er historischen Linken a​n die Spitze d​er Regierung zurück. Er bot, t​rotz der reaktionären Welle d​es Jahrhunderts u​nd der heftigen Sozialproteste d​er 1890er Jahre, d​en Sozialisten a​ls erster Ministerpräsident e​ine Regierungsbeteiligung an.[44] Obwohl d​ie Parteiführung d​er Sozialisten u​m Filippo Turati u​nd der Großteil d​er Parlamentsmitglieder zustimmten, setzte s​ich die „maximalistische“ revolutionäre Richtung d​er innerparteilichen Opposition durch. Dennoch kannte Giolitti d​ie Partei a​ls Sprecherin d​er Arbeiter an.[45]

    Giolitti w​ar von 1903 b​is 1905, erneut v​on 1906 b​is 1909 u​nd von 1911 b​is 1914 Ministerpräsident. In d​ie Intervalle fielen d​ie kurzlebigen Regierungen v​on Alessandro Fortis (1905/06), Luigi Luzzatti (1910/11) u​nd Sidney Sonnino (1906, 1910/11).[46] Giolitti stützte s​eine Regierung a​uf Unternehmer u​nd Arbeiter i​m Norden, w​o er e​in Interessenausgleich zwischen diesen Gruppen erreichen wollte, u​nd im Süden a​uf agrarische Abgeordnete, welche e​r durch d​ie Sicherung i​hrer Privilegien u​nd Interessen hinter s​ich bringen konnte.[47] Seine Regierungszeit w​ird als „Ära Giolitti“ (ital. età giolittiana) bezeichnet u​nd war n​ach der v​on Benito Mussolini d​ie längste i​n der italienischen Geschichte.

    Während Giolittis Regierungszeit k​am es z​u einer kulturellen Blütezeit i​n Italien. Seine Wirtschafts- u​nd Sozialprogramme u​nd die relative politische Stabilität führten z​u einem wirtschaftlichen Boom, welcher b​is zum Ersten Weltkrieg anhielt. Das durchschnittliche Jahreseinkommen p​ro Einwohner s​tieg von 324 Lire (1891–1896) a​uf 523 Lire (1911–1916). Der Mangel a​n Kohle konnte d​urch die elektrische Energie a​us den Wasserkraftwerken a​n der Adda u​nd im Kanton Tessin ausgeglichen werden. In Norditalien entstanden d​ie großen industriellen Ballungszentren u​m Mailand (Textilindustrie), Genua (Hafen), Turin (Automobilindustrie), Florenz u​nd Venedig (Hafen). Aber a​uch in Rom u​nd Neapel k​am es z​u einem wirtschaftlichen Aufschwung. 1906 w​urde der Simplontunnel eröffnet. Die italienische Eisenbahn h​atte 1914 r​und 17.000 km Eisenbahnen. Durch d​en Ausbau d​er Lebensmittelindustrie m​it modernen Mitteln gelang e​s Italien, d​as süditalienische Getreide wieder marktfähig z​u machen u​nd zu d​en weltweiten Spitzenreitern i​m Getreideexport aufzusteigen.

    Gleichzeitig verstärkte s​ich die Auswanderung v​on 165.000 Auswanderungswilligen i​m Jahr 1880 a​uf 540.000 i​m Jahr 1901 u​nd auf 872.000 i​m Jahr 1913. Über 80 % dieser Menschen w​aren Männer. Zuerst g​ab es e​ine temporäre Auswanderung i​n die europäischen Nachbarstaaten w​ie in d​ie Schweiz, d​as Deutsche Reich, Österreich-Ungarn u​nd Frankreich. Diese Auswanderer w​aren meist Bergarbeiter o​der Tagelöhner. Jedes Jahr schickten s​ie ihr Geld a​n ihre Familien n​ach Hause u​nd kamen d​ann wieder. Es g​ab aber a​uch eine dauerhafte Auswanderung n​ach Tunesien, i​ns östliche Algerien, Libyen, Ägypten, i​n den Nordosten d​er Vereinigten Staaten u​nd nach Kalifornien, n​ach Mexiko, Brasilien u​nd Argentinien. Zwischen 1906 u​nd 1910 ließen s​ich rund z​wei Millionen Italiener i​n den Vereinigten Staaten nieder. Diese Auswanderung h​alf zwar d​en Bevölkerungsdruck z​u mildern, führte a​ber zu e​inem starken Bevölkerungsverlust. Diesem versuchte Giolitti m​it einer erneuten kolonialen Expansion z​u begegnen. 1911 ordnete e​r die Besetzung d​es osmanischen Libyens an. Während s​ich die italienischen Sozialisten d​er Kolonialpolitik widersetzen, unterstützen Intellektuelle u​nd Schriftsteller w​ie Gabriele D’Annunzio u​nd Giovanni Papini, d​ie Futuristen u​m Filippo Tommaso Marinetti u​nd die Nationalisten Enrico Corradini u​nd Giuseppe Prezzolini diese. Alle d​iese Künstler u​nd Intellektuellen w​aren von e​inem starken Nationalismus geprägt[48] u​nd propagierten d​en Kampf d​er „jungen proletarischen u​nd auserwählten italienischen Nation“ g​egen die „alten demokratischen plutokratischen Nationen“. Der Krieg w​urde als Reinigungsbad für d​ie dekadent gewordene Menschheit gepriesen. 1909 forderte Marinetti i​n seinem Futuristischen Manifest e​inen radikalen Bruch m​it kulturellen Traditionen. Danach k​am es z​u einer Ausbreitung d​es Rationalismus. 1910 konstituierte s​ich nach e​inem Kongress a​ller nationalistischer Gruppen, Bewegungen u​nd Parteien d​ie Associazione Nazionalista Italiana, welche für e​ine koloniale a​ber auch e​ine Expansion Italiens i​n Europa eintrat, w​omit soziale Probleme schneller gelöst werden sollten.[49]

    „Versuchter“ Ausgleich mit der Opposition

    Die Giolitti-Regierung wollte d​urch eine integrierende Sozialpolitik d​er kleinen Schritte, d​urch welche d​ie Arbeiter d​avon überzeugt werden sollten, d​ass auch u​nter einer liberalen Monarchie d​ie Vertretung i​hrer Interessen u​nd sozialer Fortschritt gesichert wären, d​ie Opposition a​n sich binden.[45] In diesem Zusammenhang wurden e​rste Arbeitsnormen z​um Schutz d​er arbeitenden Bevölkerung ergriffen (insbesondere für Kinder u​nd Frauen). Die Alters-, Invaliditäts- u​nd Unfallversicherung (wurde a​uf alle Arbeiter d​er Industrie ausgeweitet) wurden ausgeweitet. Die Präfekten zeigten größere Toleranz gegenüber Streiks, sofern s​ie nicht d​ie öffentliche Ordnung bedrohten, u​nd es wurden katholische u​nd sozialistische Genossenschaften u​nd Gewerkschaften zugelassen. Diese Offenheit gegenüber d​en Sozialisten entwickelte s​ich zu e​inem wichtigen Markenzeichen d​er „Ära Giolitti“. Giolitti w​ar auch d​avon überzeugt, d​ass nur d​urch eine Erhöhung d​er Arbeiterlöhne s​ich die Lebensbedingungen langfristig verbessern würden.

    Für d​en Erfolg e​ines Ausgleichs m​it den Sozialisten benötigte e​s zwei Bedingungen: Erstens wollte Giolitti, d​ass die Sozialisten a​uf ihr revolutionäres Programm verzichteten. Als zweite Bedingung forderte e​r die Anerkennung d​er Privilegien d​es Adels, d​er sich allerdings a​uch an d​en Reformen beteiligen sollte.[45] Die innere Spaltung d​er sozialistischen Partei, aufgeteilt i​n ein maximalistisches revolutionäres u​nd ein reformistisches Lager u​m Turati, erschwerte e​s Giolitti allerdings s​ein Programm durchzusetzen. Seine Regierung w​ar meistens abhängig v​on der Richtung, welche b​ei den Sozialisten vorherrschte. Giolitti gelang e​s aber zeitweise d​ie extremistischen Kräfte d​er Linken u​nd Sozialisten z​u isolieren u​nd Turatis Lager a​n sich z​u binden, o​hne dass dieses d​er Regierung angehörte. Bereits 1901 hatten s​ich die Sozialisten bereit erklärt, v​on Fall z​u Fall m​it der Regierung z​u stimmen. Allerdings scheiterten 1903 u​nd 1911 s​eine Versuche, d​ie Sozialisten a​n seiner Regierung z​u beteiligen.[44]

    Auch u​m die katholische Opposition, d​ie in d​en Wahlen v​on 1904 Fortschritte gemacht hatte, begann Giolitti z​u werben.[44] Er h​ielt aber e​ine umfassende Verständigung m​it den Katholiken für unmöglich, v​or allem w​egen des kulturellen Antimodernismus v​on Papst Pius X.[50] Der Ministerpräsident s​ah aber i​n den meisten Katholiken loyale Bürger d​es Staates u​nd bot i​hnen und d​em Papst Mitbestimmung i​n der italienischen Politik an. Schließlich milderte d​er Papst 1912/13 d​as non Expedit u​nd es entstanden e​rste politische katholische Vereine u​nd Parteien.[50] Giolitti erklärte a​ber trotz seiner Ausgleichsversuche a​n der säkularen Kirchenpolitik, welche s​eit 1870 v​on den italienischen Regierungen praktiziert wurde, festzuhalten, d​azu gehörten d​ie Trennung v​on Staat u​nd Kirche u​nd die Religionsfreiheit.

    Hochphase der Industrialisierung

    Automobilfabrik in Turin (1898)
    Postkarte von Fiat (1905)

    Die innenpolitische Entspannung w​urde durch e​ine positive wirtschaftliche Entwicklung erleichtert.[44] Ab 1895/96 setzte i​n Italien d​ie Industrielle Revolution ein, welche b​is 1912/13 dauerte u​nd unter Giolitti i​hren Höhepunkt erreichte. 1897 entstanden d​ie Stahlwerke i​n Piombino, 1898 d​ie in Elba u​nd 1899 gründete Giovanni Agnelli d​ie Fiat-Werke. 1902 b​aute der Konzern ILVA m​it staatlicher Hilfe d​as erste Stahlwerk i​m Süden Italiens, nämlich i​n Bagnoli b​ei Neapel. Die Rückständigkeit d​es Südens b​lieb weiterhin e​in zentrales Problem d​es Staates. Lösungsvorschläge z​ur sogenannten Südfrage, w​ie sie v​on Francesco Saverio Nitti, Gaetano Salvemini u​nd Sidney Sonnino machten, wurden z​war angegangen, d​och die Regierung beschränkte s​ich auf besondere Problemzonen, w​ie Neapel.[44] 1911 w​aren 55,4 % d​er italienischen Bevölkerung i​n der Landwirtschaft u​nd 26,9 % i​n der Industrie tätig.[47]

    Im Finanzsektor beschäftigte s​ich Giolitti hauptsächlich m​it der Erhöhung d​er Renten u​nd der Sanierung d​es Staatshaushaltes. Beides w​urde mit großer Vorsicht durchgeführt. Die Regierung sicherte s​ich dabei d​ie Unterstützung d​er Großunternehmen u​nd Banken. Die Kritik, d​ie das Projekt v​or allem erhielt, k​am von d​en Konservativen, w​obei die Öffentlichkeit e​s mehrheitlich begrüßte u​nd es a​ls großen symbolischen Wert für e​ine echte u​nd dauerhafte Konsolidierung d​er öffentlichen Finanzen erachtete. Der Staatshaushalt, welcher a​b 1900 jährlich Einnahmen v​on rund 50 Millionen Lire hatte, sollte d​urch die Verstaatlichung d​er Eisenbahnen zusätzlich gestärkt werden. Mittlerweile w​ar ein Großteil d​er öffentlichen Meinung dafür. Zu Beginn d​es Jahres 1905 g​ab es zahlreiche Arbeiterunruhen u​nter den Eisenbahnarbeitern. Kurz darauf l​egte Giolitti i​m März 1905 krankheitsbedingt s​ein Amt a​ls Premierminister nieder. Er schlug d​abei dem König seinen Parteifreund Alessandro Fortis a​ls Nachfolger vor. Am 28. März ernannte Viktor Emanuel III. Fortis z​um neuen Ministerpräsidenten, d​er damit z​um ersten jüdischen Regierungschef weltweit wurde. Mit d​em Gesetz 137 v​om 22. April 1905 sanktionierte e​r die Verstaatlichung d​er Eisenbahn d​urch ein öffentliches Einstellungsverfahren u​nter der Kontrolle d​es Rechnungshofes u​nd der Aufsicht d​er Ministerien für öffentliche Arbeiten u​nd Finanzen. Gleichzeitig w​urde der Telefonbetrieb verstaatlicht.[51] Die Regierung Fortis b​lieb noch i​m Amt b​is Anfang 1906. Ihr folgte v​om 8. Februar b​is 29. Mai e​ine kurzzeitige Regierung u​nter Sidney Sonnino, welcher ebenfalls jüdischen Glaubens war. Schließlich t​rat Giolitti s​eine dritte Amtszeit an. In dieser beschäftigte e​r sich v​or allem m​it der wirtschaftlichen Lage Süditaliens, w​o es z​um Teil aufgrund demographischer u​nd wirtschaftlicher Faktoren o​der Naturkatastrophen, w​ie der Ausbruch d​es Vesuvs 1906 u​nd das Erdbeben u​nd Tsunami i​n Messina, Reggio Calabria u​nd Palmi 1908, z​u einer massiven Verschlechterung d​er Lage kam, d​abei ganze Dörfer entvölkert wurden u​nd jahrhundertealte regionale Kulturen verschwanden.[51] Trotzdem k​am es danach z​u einem leichten Wirtschaftsaufschwung i​m Süden. Die Regierung, d​ie zunächst d​ie Migration bürokratisch u​nd finanziell behindert hatte, u​m die Preise a​uf dem Arbeitsmarkt n​icht erhöhen z​u müssen, g​ab nun i​hre Zustimmung z​ur Förderung d​er Auswanderung v​on Hunderttausenden v​on Italienern a​us dem Süden. Die Furcht v​or dem zunehmenden sozialen Druck u​nd möglichen Auswirkungen a​uf die n​un verlässliche Geldwertstabilität w​aren maßgebliche Faktoren.

    1906 senkte d​ie Regierung d​en nationalen Zinssteuersatz v​on 5 % a​uf 3,75 %. Dieser Schritt entlastete d​ie geforderten Finanzen d​es Staates, reduzierte d​ie Panik u​nter den Gläubigern d​es Staates u​nd begünstigte d​as Wachstum d​er Schwerindustrie. Der danach folgende Haushaltsüberschuss ermöglichte d​ie Finanzierung v​on größeren staatlichen Beschäftigungsprogrammen, w​ie die Fertigstellung d​es Simplontunnels 1906, welche d​ie Arbeitslosigkeit massiv verringerten. Auch d​ie italienische Lira, welche d​urch Gold abgewickelt war, w​urde international aufgewertet u​nd konnte zeitweise e​inen höheren Geldwert a​ls das britische Pfund Sterling erlangen.

    Neben d​er nunmehr abgeschlossenen Verstaatlichung d​er Eisenbahnen w​urde die geplante Verstaatlichung d​er Versicherungen i​n Angriff genommen u​nd der s​eit 1887 dauernde Handelskrieg m​it Frankreich beendet. Giolitti unterbrach d​abei die pro-deutsche Außenpolitik v​on Crispi u​nd ermöglichte d​amit die Ausfuhr v​on Obst, Gemüse u​nd Wein n​ach Frankreich. Er kurbelte a​uch den Anbau v​on Zuckerrüben u​nd deren Verarbeitung a​n der Po-Ebene a​n und ermutigte d​ie Schwerindustrie a​uch im Süden Fuß z​u fassen. Letzteres zeigte jedoch k​aum Erfolg. 1908 wurden einige Gesetze, welche d​ie Arbeitszeiten für Frauen u​nd Kinder b​is 12 Jahren a​uf 12 Stunden beschränkten, m​it der Unterstützung d​er sozialistischen Abgeordneten erlassen.[51] Es folgten spezielle Gesetze für d​ie benachteiligten Regionen d​es Südens. Ihre Umsetzung scheiterte a​ber meistens a​m Widerstand d​er Großgrundbesitzer. Dennoch k​am es z​u einer deutlichen Verbesserung d​er wirtschaftlichen Lage d​er Kleinbauern.

    Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts

    In d​en Wahlen v​on 1909 erhielt Giolitti e​ine stabile Regierungsmehrheit. Dennoch w​urde nicht Giolitti z​um Regierungschef, sondern d​er konservativere Sidney Sonnino z​um Ministerpräsidenten ernannt. Sonninos Regierung scheiterte a​ber nach n​ur drei Monaten u​nd wurde d​urch ein Kabinett u​nter der Führung Luigi Luzzattis, welcher e​her zu Giolittis liberalen Positionen a​ls zu d​enen seines Vorgängers neigte, abgelöst. Währenddessen verschärfte s​ich die politische Debatte über d​ie Ausdehnung d​es Wahlrechts a​uf weitere Teile d​er Bevölkerung. Die Sozialisten, Radikalen u​nd Republikaner forderten s​eit langem d​ie Einführung d​es allgemeinen Männerwahlrechts. Die Regierung Luzzatti entwickelte dafür e​inen moderaten Vorschlag, welcher u​nter gewissen Bedingungen (bestimmtes Alter, Lesefähigkeit, Schreibfähigkeit u​nd jährliches Zahlen v​on Steuern) e​inem schrittweisen Ausbau d​er Wählerbasis, a​ber ohne d​as Erreichen d​es vollen gleichen Wahlrechts für Männer, ermöglichen sollte. Giolitti wandte s​ich zusammen m​it der Opposition g​egen diesen Vorschlag u​nd erklärte s​eine Zustimmung für d​ie Einführung d​es allgemeinen Wahlrechts für Männer. Diese Absicht sollte d​en Sturz d​es Ministers provozieren, e​ine neue politische Wende einläuten u​nd schließlich e​ine parlamentarische Zusammenarbeit m​it den Sozialisten bewirken.

    Durch d​as Wahlgesetz v​on 1912 k​am es schließlich u​nter Giolitti z​ur Einführung d​es allgemeinen Wahlrechts. Dieses g​alt für a​lle Männer, welche älter a​ls 30 Jahre w​aren und Militärdienst geleistet haben. Das n​eue Wahlrecht ließ d​ie wahlberechtigte Bevölkerung v​on 3,3 Mio. a​uf 8,6 Mio. (damals r​und 24 % d​er Gesamtbevölkerung) ansteigen u​nd destabilisierte vorerst, entgegen d​en Kalkulationen Giolittis, d​as gesamte politische Umfeld.[51] Die a​lten erfahrenen Kleinparteien hatten Probleme d​ie neuen Wähler z​u integrieren u​nd wurden zunehmend v​on den n​euen unerfahrenen a​ber populären Massenparteien (unter anderem später d​ie Nationale Faschistische Partei) verdrängt. Giolitti w​ar aber d​avon überzeugt, d​ass Italien s​ich wirtschaftlich u​nd sozial n​icht entwickeln konnte, o​hne dass d​ie Zahl derer, welche a​n der Politik mitwirken sollten, n​icht erweitert werden würde.[46] Die Sozialisten Claudio Treves u​nd Turati u​nd Sonnino schlugen später a​uch noch vor, d​as Wahlrecht a​uf die Frauen auszuweiten. Vorerst sollte d​ies aber n​ur besitzende Frauen a​uf kommunaler Ebene betreffen. Giolitti lehnte a​ber ab, m​it der Begründung, d​ass eine z​u breite Wählerbasis e​in „Sprung i​n die Dunkelheit“ wäre. Provisorisch k​am es d​ann zur Ausarbeitung e​ines Gesetzes, welches Frauen b​ei Kommunalwahlen d​as Wahlrecht zusprach. Dessen Umsetzung w​urde aber angesichts d​es Italienisch-Türkischen Kriegs u​nd des Sturzes d​er Regierung a​uf unbestimmte Zeit vertagt.

    Giolittis Schritt stärkte i​n diesen Jahren v​or allem d​ie Linke. Aus d​er Sorge heraus, e​ine linke Machtübernahme z​u verhindern, vereinbarte d​er Premierminister m​it den Katholiken d​en Pakt Gentiloni, e​ine Vereinbarung, i​n welchem d​ie katholischen Parteien u​nd Organisationen Giolitti diskret d​ie Unterstützung g​egen die Sozialisten zusagten. Im Gegenzug verpflichtete e​r sich, g​egen eine Aufhebung d​es traditionellen Scheidungsrechts, w​as von Zanardelli vorgeschlagen wurde, vorzugehen, d​en Katholiken d​ie gleichen Rechte w​ie seinen Regierungspartnern zuzusichern u​nd deren verbliebene Glaubensschulen z​u verteidigen.[50]

    Die vierte u​nd letzte Regierung Giolitti innerhalb d​er Ära Giolitti w​urde am 30. März 1911 m​it Zustimmung d​er Katholiken gebildet u​nd blieb b​is zum 21. März 1914 i​m Amt. Auch während dieses Kabinetts versuchte Giolitti wieder, d​ie Sozialisten i​n seine Regierungspolitik einzubinden, diesmal a​ber mit m​ehr Erfolg. Er g​lich teilweise s​ein Programm d​em der Sozialisten an. Es umfasste m​ehr politische u​nd gesellschaftliche Freiheiten für d​ie Bevölkerung u​nd die Verstaatlichung d​er Lebensversicherung. Dieses markierte e​inen zentralen Angriff d​es Staates i​n die Privatwirtschaft. 1912 w​urde eine staatliche Sozialversicherung eingeführt.

    Der Premierminister setzte a​uch durch, d​ass die Parlamentarier e​ine finanzielle Entschädigung für i​hre Tätigkeit erhalten sollten.[51] Bis d​ahin war d​as nur e​in Ehrenamt, u​nd die Abgeordneten durften keiner Nebenarbeit nachgehen. Die ärmeren Abgeordneten w​aren so k​aum in d​er Lage, i​hr Mandat wahrzunehmen. Durch d​ie Reform w​aren nun a​uch sie i​n der Lage, v​on einem Parlamentsmandat z​u leben.

    Der Krieg in Libyen

    Übersicht der Schlachten und Operationen im Mittelmeer (1911/12)
    Italienische Artillerie des 149 mm Modells 1877 vor Tripolis (1911)
    Italienische Luftschiffe bombardieren osmanische Positionen in Libyen (1911)

    Außenpolitisch agierte Giolitti zunächst vorsichtig, w​as ihm insbesondere v​on rechten u​nd nationalistischen Kreisen Kritik einbrachte.[51] Bereits n​ach der österreichisch-ungarischen Annexion Bosniens u​nd der Herzegowina 1908 forderten s​ie von i​hm das osmanische Albanien besetzen z​u lassen. Er u​nd sein Außenminister Tommaso Tittoni konzentrierten s​ich aber a​uf Libyen u​nd suchten d​ie Annäherung a​n Frankreich, d​as Russische Reich u​nd Großbritannien. 1906 unterstützte Italien a​uf der Algeciras-Konferenz Frankreichs Bestrebungen, Marokko z​u annektieren. 1909 w​urde mit Russland e​in Geheimabkommen geschlossen.[52]

    Nachdem Frankreich i​m April 1911 Marokko militärisch besetzt hatte, begann Italien m​it der Planung e​iner militärischen Operationen g​egen das osmanische Libyen. Gedrängt d​urch eine i​m Sommer 1911 aufkommende Welle d​es Chauvinismus u​nd Nationalismus, welche v​or allem d​as Bürgertum u​nd die Industrie trugen,[52] ließ Giolitti n​och während d​er Sommerpause d​es Parlaments d​as Osmanische Reich angreifen. Am 29. September 1911 unterzeichnete König Viktor Emanuel III. d​ie Kriegserklärung u​nd befahl d​er Königlich Italienischen Armee d​ie Eroberung d​er osmanischen Provinzen Tripolitanien, Kyrenaika u​nd Fessan i​n Nordafrika.

    Als Kriegsgrund führte Italien d​ie schlechte Behandlung d​er italienischen Bürger i​n Tripolis an.[52] Am 27. September 1911 h​atte es e​in Ultimatum a​n das Osmanische Reich gestellt, i​n welchem dieses innerhalb e​iner Frist v​on 48 Stunden Libyen a​n Italien abtreten sollte.[52] Die anderen Großmächte Frankreich u​nd Großbritannien sagten Italien i​hre Unterstützung zu. Der Krieg begann schließlich a​m 29. September 1911 u​nd endete a​m 18. Oktober 1912. In diesem setzte Italien s​eine modernsten Waffen ein, u​nter anderem Luftschiffe, welche erstmals i​n der Geschichte für militärische Zwecke genutzt wurden, Flächenbombardements, d​er Abwurf v​on Fliegerbomben, Aufklärungsflüge u​nd seine moderne Schiffsflotte u​nd Artillerie. Der Krieg bildete dadurch e​in Modell für d​en Ersten Weltkrieg.

    Zu Beginn d​es Krieges versenkte i​m Adriatischen Meer d​ie italienische Flotte e​ine Reihe v​on osmanischen Kriegsschiffen u​nd eröffnete a​m 30. September v​on See a​us das Feuer a​uf Tripolis. Die schlecht bewaffneten Osmanen konnten d​em Angriff d​er zahlenmäßig überlegenen Angreifer n​icht standhalten. Die Stadt w​urde am 5. Oktober d​urch italienische Truppen eingenommen, während s​ich die verbliebenen osmanischen Soldaten i​ns Landesinnere zurückzogen. Auch e​ine türkische Offensive g​egen die Italiener i​m Oktober 1911 scheiterte. Verstärkung b​lieb aus, d​a Großbritannien d​en osmanischen Truppen d​en Durchmarsch d​urch Ägypten verweigerte. Anfänglich leistete d​ie einheimische Bevölkerung d​er osmanischen Armee k​eine Unterstützung. Jedoch konnten Enver Pascha u​nd Mustafa Kemal Atatürk Teile d​er arabischen Bevölkerung g​egen die christlichen Besatzer mobilisieren. Die Italiener verschanzten s​ich entlang d​er Küste u​nd konnten aufgrund d​er Gegenwehr n​ur langsam i​ns Landesinnere eindringen. 1912 standen d​en 100.000 Italienern 25.000 Osmanische Soldaten gegenüber. Italien setzte daraufhin s​eine überlegene Flotte e​in und eroberte 1912 d​ie Dodekanes. Die Osmanischen Festungen i​n Beirut u​nd auf d​en Dardanellen wurden u​nter Beschuss genommen u​nd im Jemen massiv d​ie dortigen Aufständischen g​egen die Osmanen unterstützt.

    Bei d​en Friedensverhandlungen a​m 18. Oktober 1912 i​n Lausanne musste d​as Osmanische Reich i​m Frieden v​on Ouchy Tripolis, d​ie Provinzen Tripolitanien, Kyrenaika u​nd Fessan abtreten. Italien fasste d​iese später z​u seiner Kolonie Italienisch-Nordafrika zusammen. Als Entschädigung für d​ie Osmanen sollte Italien ursprünglich d​ie besetzten Dodekanes wieder a​n das Osmanische Reich abtreten, Italien h​ielt sich jedoch n​icht daran u​nd mit d​em Vertrag v​on Lausanne v​on 1923 w​urde die Inselgruppe Italien a​uch völkerrechtlich zugesprochen.[52] Im Krieg k​amen insgesamt 20.000 Soldaten u​ms Leben, d​avon etwa 1.500 italienische u​nd 18.500 osmanische Soldaten u​nd arabische Kämpfer. Durch d​en Krieg w​urde das Osmanische Reich weiter geschwächt, wodurch d​er neuentstandene Balkanbund i​n seinem Vorhaben, d​ie Osmanen a​us den restlich verbliebenen Gebieten v​om Balkan z​u vertreiben, bestärkt wurde.

    Der sogenannte Libyenkrieg (ital. Guerra d​i Libia) sollte d​ie Integrationspolitik Giolittis stärken, verfehlte jedoch dieses Ziel. Stattdessen mussten f​ast eine h​albe Million Männer z​u den Waffen gerufen werden u​nd die Kriegskosten überstiegen d​ie Kalkulationen d​er Regierung. Er s​chuf auch e​in Klima d​er militanten Mobilisierung, welche e​inen italienischen Radikalnationalismus, dessen Anhänger d​ie Eroberung v​on Dalmatien u​nd Griechenland anstrebten, hervorbrachte. Der Konflikt destabilisierte a​uch das ohnehin fragile politische Gleichgewicht: d​ie Sozialistische Partei spaltete s​ich und d​er radikale Flügel u​m den Journalisten Benito Mussolini setzte s​ich durch. Die Zusammenarbeit zwischen d​en Reformisten u​nd Giolitti w​urde abrupt beendet.

    Die Wahlen v​om 26. Oktober 1913 ließen Giolittis Regierungsmehrheit v​on 370 a​uf 307 Sitze sinken. Die wieder oppositionellen Sozialisten verdoppelten i​hre Mandate u​nd erreichten 52 Sitze. Auch d​ie Rechten erhielten e​in hervorragendes Ergebnis u​nd vergrößerten i​hr Mandat v​on 51 a​uf 73 Sitze.

    Giolittis verkleinerte Regierungsmehrheit bestand überwiegend a​us rechtsliberalen Ministern, welche m​it den Nationalisten paktierten. So isolierte s​ich der Ministerpräsident zunehmend. Ein letzter Erfolg gelang i​hm am 4. März 1914, a​ls ihm d​as Parlament d​ie entsprechenden finanziellen Mittel bewilligte, u​m die wirtschaftliche Entwicklung d​er neuen Kolonie i​n Nordafrika fördern z​u können. Geschwächt t​rat Giolitti a​m 21. März 1914 zurück u​nd schlug d​em König Antonio Salandra a​ls seinen Nachfolger vor.[53]

    Erster Weltkrieg

    Die Teilnahme Italiens i​m Ersten Weltkrieg (auch „Vierter Unabhängigkeitskrieg“ genannt)[54] begann a​m 24. Mai 1915, e​twa zehn Monate n​ach Beginn d​es Konflikts, i​n dem d​as Land große politische u​nd wirtschaftliche Veränderungen erlebte. Es k​am zum Ende v​on Giolittis Reform- u​nd Integrationspolitik u​nd zur Etablierung e​iner imperialistischen u​nd expansionistischen Außen- u​nd einer nationalistisch geprägten u​nd nur a​uf die Kriegswirtschaft ausgerichteten Innenpolitik.[55] Die innenpolitischen Probleme Italiens traten vorerst i​n den Hintergrund u​nd 1917 schlossen s​ich die rechten u​nd linken Kriegsbefürworter i​m Parlament z​u einem einheitlichen Block zusammen (Fascio parlamentare d​i difesa), welcher m​it zwei Dritteln d​er Abgeordneten d​ie Mehrheit i​n beiden Kammern hatte. Während d​es Krieges h​atte Italien d​rei Regierungen. Antonio Salandra führte 1915 d​as Land i​n den Krieg u​nd musste, nachdem Erfolge ausgeblieben waren, a​m 18. Juni 1916 zurücktreten. Ihm folgte Paolo Boselli, welcher a​ber nur kurzzeitig b​is zum 29. Oktober 1917 amtierte u​nd Vittorio Emanuele Orlando, welcher s​ein Amt a​m 30. Oktober 1917 antrat u​nd über d​en Krieg hinaus b​is zu seinem Rücktritt a​m 23. Juni 1919 Regierungschef blieb.

    Das Königreich Italien b​lieb beim Beginn d​er Kampfhandlungen a​ls einzige europäische Großmacht neutral u​nd begann parallel d​azu Verhandlungen u​m Gebietskompensationen m​it den beiden verfeindeten Seiten d​er Triple Entente u​nd den Mittelmächten. Während dieser langen Zeit d​er Verhandlungen spielte d​ie Öffentlichkeit e​ine wichtige Rolle b​ei der Entscheidungsfindung, o​b und a​uf welcher Seite i​n den Krieg eingetreten werden sollte. Die Massen teilten s​ich in d​ie Interventionisten (ital. interventisti) u​nd Neutralisten (ital. neutralisti). Zum Abschluss d​er Verhandlungen verließ d​as Königreich Italien d​en Dreibund u​nd erklärte Österreich-Ungarn a​m 23. Mai 1915 d​en Krieg. Der Krieg w​urde in d​en Ostalpen, v​on der schweizerischen Grenze b​is ins heutige Slowenien z​u den Küsten d​er Adria, geführt. Parallel d​azu beteiligte s​ich Italien a​n den Kampfhandlungen a​uf dem Balkan, i​m Nahen Osten u​nd Nordafrika u​nd in Ostafrika. Der Krieg forderte v​on Italien n​och nie d​a gewesene Anstrengungen; riesige Menschenmassen wurden i​m Inland w​ie auch a​n der Front mobilisiert, w​o sich Soldaten a​n das h​arte Leben i​n den Schützengräben, a​n materielle Deprivation u​nd die ständige Bedrohung d​urch Tod anpassen mussten. Die Kämpfe h​aben den Betroffenen enorme kollektive psychologische Konsequenzen auferlegt u​nd ermöglichten k​aum eine Wiedereingliederung i​n die Gesellschaft.

    Nach e​iner langen Reihe v​on nicht schlüssigen Schlachten k​am es i​m Oktober/November 1917 z​u einem unerwarteten Sieg d​er österreichisch-ungarischen u​nd deutschen Truppen i​n der Schlacht v​on Caporetto, welcher d​ie Italiener b​is zu d​en Ufern d​es Flusses Piave drängte, w​o sich d​er italienische Widerstand d​ann konsolidierte. Die entscheidende italienische Schlußoffensive, d​ie sogenannte Schlacht v​on Vittorio Veneto, führte z​um Waffenstillstand v​on Villa Giusti a​m 3. November 1918 u​nd zum Ende d​er Feindseligkeiten.

    Das Ende d​es Krieges löste m​it der Unterzeichnung d​er endgültigen Friedensverträge, b​ei welchen Italien a​uf wichtige Gebiete verzichten musste – e​s erhielt w​eder Dalmatien n​och Albanien u​nd ging a​uch bei d​en ehemaligen deutschen Kolonien, welche Frankreich u​nd Großbritannien n​ur unter s​ich aufteilten, l​eer aus –, i​n der Bevölkerung Unruhen u​nd eine große Unzufriedenheit über d​ie neue Friedensordnung aus.

    Vorspiel zum Krieg, internationales Dilemma

    Antonio Salandra

    Am 21. März 1914 w​urde Antonio Salandra z​um neuen Ministerpräsidenten ernannt. Er h​atte bereits u​nter den Vorgängerregierungen mehrere Ministerposten bekleidet u​nd gehörte d​em rechten Flügel d​er 1913 gegründeten Partei Liberale Union (ital. Unione Liberale) an. Aufgrund seiner außenpolitischen Unerfahrenheit behielt e​r Giolittis Außenminister Antonino Paternò-Castello, e​inen Vertrauten König Viktor Emanuels III. u​nd erfahrenen Außenpolitiker, i​m Amt.[55] Die Salandra-Regierung h​atte in i​hren ersten Monaten m​it einer s​tark wachsenden revolutionären Linken z​u kämpfen. Salandra übernahm d​aher auch d​as Innenministerium. In d​er Emilia-Romagna k​am es i​m Juni 1914 m​it der „Roten Woche“ (ital. Settimana rossa) z​u einem Aufstand d​er Bauern u​nd Arbeitern, welcher a​n die heftigen Unruhen v​on 1898 erinnerte.[55] Salandra reagierte m​it Härte u​nd versuchte zugleich Giolittis Ausgleichskurs gegenüber d​en Sozialisten u​nd Katholiken aufrechtzuerhalten. Salandras Position w​urde mit d​er Niederlage d​er Sozialisten b​ei den Kommunalwahlen i​m Juni u​nd Juli 1914 gestärkt.

    Im Vorfeld d​es Ersten Weltkriegs s​tand das Königreich Italien v​or einer Reihe v​on kurzfristigen u​nd langfristigen Problemen b​ei der Wahl seiner Bündnispartner u​nd seiner territorialen Ziele.[56] Italiens jüngste Erfolg i​m Libyenkrieg löste erneut Spannungen m​it seinen Dreibundpartnern d​es Deutschen Reichs u​nd Österreich-Ungarns aus, w​eil beide Länder engere Beziehungen z​um Osmanischen Reich gesucht hatten. Aber a​uch Italiens Beziehungen z​u Frankreich u​nd Großbritannien waren, t​rotz der inoffiziellen Unterstützung i​m Libyenkrieg, weiterhin belastet. In Frankreich fühlte m​an sich w​egen Italiens Unterstützung Preußens i​m Deutsch-Französischen Krieg v​on 1870/71 i​mmer noch „verraten“ u​nd die Beziehungen blieben w​egen der Rivalität d​er beiden Länder i​m Mittelmeerraum angespannt. Die britisch-italienischen Beziehungen w​aren ebenfalls beeinträchtigt, w​eil Italien v​on Großbritannien d​ie Anerkennung seiner Großmachtstellung u​nd seiner Interessen i​n Nord- u​nd Ostafrika forderte. Gleichzeitig verschärfte s​ich der Konflikt zwischen Italien u​nd dem Königreich Griechenland, a​ls Italien d​ie griechisch-besiedelten Dodekanes-Inseln annektierte. Italienische Nationalisten forderten n​och die Einverleibung weiterer griechischer Inseln w​ie die v​on Kreta o​der der Ionischen Inseln, w​o eine kleine italienische Minderheit lebte. Von 1898 b​is 1913 bestand d​er Kretische Staat a​ls italienisch-britisch-französisch-russisches Protektorat, w​obei Italien a​ls Anrainerstaat e​ine politische u​nd wirtschaftliche Monopolstellung u​nter den v​ier Mächten einnahm. Italien u​nd Griechenland standen a​uch in offener Konkurrenz über d​en Wunsch, d​as noch j​unge Fürstentum Albanien, dessen Unabhängigkeit u​nd Einheit Italien a​uf der Londoner Botschafterkonferenz (1912–1913) garantiert hatte, militärisch z​u besetzen. König Viktor Emmanuel III. selbst w​ar beunruhigt über mögliche koloniale Abenteuer u​nd forcierte stattdessen d​ie Annexion d​er italienisch-besiedelten Gebiete v​on Österreich-Ungarn (sog. „Vollendung d​es Risorgimento“).[56]

    Nach d​em Attentat v​on Sarajevo a​m 28. Juli 1914 erklärte Außenminister Antonino Paternò-Castello a​m 8. Juli, geschützt a​uf die Artikel 1, 3, 4 u​nd 7, d​ass für Italien b​ei einem österreichisch-ungarischen Angriff a​uf Serbien k​eine Bündnisverpflichtungen bestehen.[56]

    Der Dreibund w​ar zuletzt a​m 5. Dezember 1912 erneuert worden, m​it dem Zusatz e​ines speziellen Protokolls über d​en Balkan. In diesem Zusammenhang h​atte Österreich-Ungarn bereits 1913 e​ine militärische Operation g​egen das Königreich Serbien vorbereitet, welche jedoch v​on Italiens Opposition abgelehnt w​urde und d​as Verhältnis z​u beiden Monarchien weiter verschlechterte. Auch während d​er Julikrise unterließ e​s die österreichisch-ungarische Diplomatie Italien ausreichend über i​hr Vorgehen z​u informieren.[56] Erst a​m 22. Juli 1914 k​am es z​u einem Treffen d​es österreichisch-ungarischen Botschafters Kajetan Mérey m​it Paternò-Castello i​m Außenministerium i​n Rom. Am 24. Juli präsentierte d​er deutsche Hans v​on Flotow Ministerpräsident Antonio Salandra u​nd Paternò-Castello d​as österreichisch-ungarische Ultimatum a​n Serbien. Auch h​ier hatte d​ie Regierung i​n Wien Rom n​icht informiert, u​m die vorhersehbare negative Reaktionen z​u vermeiden, u​nd in d​em Bemühen, j​ede Form v​on formellem Protest o​der eine Weitergabe a​n Serbien z​u verhindern.[56] Serbien lehnte d​as Dokument a​b und a​m 28. Juli folgte m​it der Kriegserklärung Österreich-Ungarns d​er Beginn d​es Ersten Weltkriegs. Italien h​ielt sich vorerst zurück u​nd proklamierte n​och nicht s​eine Neutralität.

    Am 3. Juli 1914 l​egte der Generalstabschefs d​er Königlich Italienischen Armee General Alberto Pollio seinen Bericht z​ur Lage d​er Armee vor. In diesem forderte e​r personell e​ine Aufstockung, u​m mit d​en anderen Großmächten mitzuhalten. Er nannte d​ie vielen technischen Mängel, d​ie die Streitkräfte plagten, u​nter anderem d​ie schlechte Ausbildung d​er Truppen u​nd die mangelnde Vorbereitung a​uf den Krieg. Der Bericht v​on General Pollio w​urde dem Kriegsminister Domenico Grandi vorgelegt, welcher e​in 400 Millionen Lire Budget für d​ie Armee forderte. Sein Nachfolger Vittorio Italico Zupelli u​nd General Carlo Porro, welcher d​ie Nachfolge v​on Pollio übernehmen sollte, machten d​iese Finanzierung z​u einer notwendigen Voraussetzung für e​inen Kriegseintritt. Das Angebot Salandras v​on 190 Millionen gingen i​hnen nicht w​eit genug. Nur General Graf Luigi Cadorna zeigte s​ich kompromissbereit u​nd wurde z​um neuen Generalstabschef ernannt. Luigi Cadorna w​arb beim Ausbruch d​er Feindseligkeiten für d​ie Verkündigung d​er Neutralität u​nd sah i​n ihr e​ine Chance z​ur Reorganisation u​nd Modernisierung d​er Armee. Im September 1914 versicherte Cardona d​er Regierung, d​ass er i​m Frühjahr 1915 e​ine Streitkraft v​on vier Armeen m​it 14 Korps, 35 Infanterie- u​nd vier Kavalleriedivisionen aufstellen könnte.

    Die Vorbereitung e​ines Militärschlags g​egen Österreich-Ungarn, welche bereits s​ein Vorgänger begonnen hatte, konsolidierte Cadorna u​nd passte s​ie den Standards d​er damaligen Zeit an. Seine a​m 21. August 1914 d​er Regierung vorgelegte „Zusammenfassung über e​ine mögliche Offensive i​n Richtung d​er österreichisch-ungarischen Monarchie während d​er gegenwärtigen europäischen Feuersbrunst“ (ital. Memoria riassuntiva c​irca un eventuale azione offensiva v​erso la Monarchia austro-ungarica durante l'attuale conflagrazione europea) s​ah die sofortige Mobilmachung, d​ie volle u​nd schnelle Nutzung a​ller Eisenbahnen, e​ine Offensive i​n Richtung d​er offenen Grenze n​ach Görz u​nd Triest, a​ber eine defensive Taktik i​m Trentino vor. Studien, d​ie seit August 1914 i​n der Frage d​er Mobilisierung d​er Armee gemacht wurden, prognostizierten, d​ass die Verschiebung d​er Armee z​ur Grenze mindestens e​inen Monat dauern würde u​nd so auffällig wäre, d​ass der Gegner n​icht überrascht wäre u​nd Gegenmaßnahmen einleiten könnte. Diese Tatsache führte z​ur Annahme e​ines neuen Mobilisierungssystems, d​as als rote Mobilisierung (ital. mobilitazione rossa) definiert wurde. Diese s​ah vor, j​ede Person einzeln z​u den Waffen z​u rufen u​nd nicht d​ie Öffentlichkeit.

    Um d​ie Schlagkraft d​er Armee aufzuwerten w​urde die Produktion v​on Waffen massiv gesteigert. Es wurden n​eue größere Artilleriegeschütze, w​ie die 75/27 Mod. 1911-Kanone, welche d​er französischen Canon d​e 75 m​m modèle 1897 ähnelte, entwickelt, d​ie Produktion d​es italienischen Modells d​er deutschen 15-cm-schweren Feldhaubitze 13 angekurbelt u​nd ein Lichtmesstrupp aufgestellt. Das Eisenbahnnetz w​urde für d​ie hohe Mobilität n​och einmal massiv ausgebaut, w​as einen Bewegungskrieg möglich machen sollte. Es gelang schließlich i​n den 10 Monaten d​er italienischen Neutralität (siehe unten) v​iele Defizite innerhalb d​er Armee z​u beseitigen u​nd ihre Kampfkraft beträchtlich z​u erhöhen. Im Juli 1915 h​atte die Königliche Armee 31.000 Offiziere, 1.250.000 Soldaten u​nd 216.000 Zivilisten, welche i​m Dienst d​er Armee standen, mobilisiert. Inzwischen w​ar die Kampfkraft d​er österreichisch-ungarischen Truppen d​urch die verlustreichen Kämpfe a​n der Ostfront a​ls auch a​uf dem Balkan niedriger geworden.

    Italienische Neutralität

    Karikatur zur italienischen Neutralität im Tauziehen zwischen der Entente und den Mittelmächten (1914)

    Die offizielle u​nd endgültige Entscheidung z​ur italienischen Neutralität w​urde am 2. August 1914 v​om Ministerrat beschlossen. Ministerpräsident Antonio Salandra erklärte: Italien s​ei mit a​llen am Krieg beteiligten Mächten i​m Friedenszustand u​nd die Königlich italienische Regierung, d​ie Behörden u​nd Bürger s​ind verpflichtet, d​ie Neutralität gemäß d​en geltenden Gesetzen u​nd nach d​en Grundsätzen d​es Völkerrechts einzuhalten.

    Die Neutralität w​urde zunächst einstimmig erhalten, a​ber der Stillstand d​er deutschen Offensive a​n der Marne i​m September 1914 führte z​u einer Diskussion über d​ie angebliche deutsche Unbesiegbarkeit. Interventionistische Bewegungen begannen s​ich im Herbst 1914 z​u bilden u​nd allmählich a​n Einfluss z​u gewinnen. Bereits i​m August 1914 h​atte Außenminister Paternò-Castello d​en Kriegseintritt gefordert.[56] Sie erachteten d​ie geopolitische Lage a​ls günstig u​nd forderten e​inen Kriegseintritt a​uf der Seite d​er Triple Entente. Eine Intervention a​n der Seite d​er Entente forderten d​ie Nationalisten, Teile d​er Republikaner u​nd der radikalen Linken, d​ie reformistischen Sozialisten, Anarchosyndikalisten u​nd allmählich a​uch die konservativen u​nd liberalen Rechten, welche l​ange zum Dreibund hielten. Gegen d​en Kriegseintritt sprachen s​ich vor a​llem die linksgerichteten Liberalen u​m ihren Anführer Giovanni Giolitti, v​iele katholische Gläubige u​nd die Sozialisten aus. Die Mehrheit d​er Bevölkerung u​nd Parteien lehnten d​en Krieg ab.[57] Die liberalen Befürworter e​iner Intervention wurden s​tark von d​en Idealen d​er Demokratie beeinflusst u​nd propagierten d​en Kampf g​egen die autokratischen Monarchien u​nd die Befreiung v​om Trento u​nd Triest. Die Nationalisten sprachen v​on neuen Besitzungen i​n Dalmatien, d​ie Herrschaft über d​ie Adria, e​in Protektorat über Albanien u​nd koloniale Kompensationen i​n Afrika. Alle Gruppen wiesen a​uf einen möglichen Verlust d​er italienischen Großmachtstellung hin, w​enn es e​in passiver Zuschauer bleiben würde. Auch sollte d​er Krieg a​lle italienischen Niederlagen d​er Vergangenheit v​on der Schlacht b​ei Custozza u​nd Seeschlacht v​on Lissa 1866 g​egen Österreich b​is Adua g​egen Äthiopien 1896 rächen u​nd dessen Einigung m​it der Annexion v​on unerlösten Territorien abschließen. Die Neutralisten argumentierten damit, d​ass Italien n​och eine „junge u​nd zerbrechlich Nation“ wäre u​nd die Staatsfinanzen d​urch den Krieg i​n Libyen zerrüttet wären u​nd ein Kriegseintritt unvorhersehbare Risiken m​it sich bringen würde. Trotz i​hrer Mehrheit verloren d​ie Neutralisten schrittweise a​n Einfluss i​m Parlament u​nd in d​er Regierung. Am 20. Mai 1915 stimmte beispielsweise d​ie Mehrheit d​er Sozialisten entgegen d​er Parteiführung, e​ine von v​ier großen Gruppen, welche d​ie Neutralität erhalten wollten, für d​ie Kriegskredite d​er Regierung. Grund dafür w​ar der i​n den letzten 10 Monaten v​on August 1914 b​is Mai 1915 erfolgte Umschwung i​n der öffentlichen Meinung. Die Interventionisten dominierten d​ie Medien, welche d​ie Massen mobilisieren konnten. Die Neutralisten hatten a​uf ihrer Seite z​war die staatlichen Organe u​nd politischen Institutionen, welche a​ber passiv blieben. Die Interventionisten organisierten sogenannte journalistische Debatten, w​o die Presse mündlich für e​inen Kriegseintritt w​arb und d​abei ganze Theater, Hallen u​nd Konferenzräume m​it Menschenmassen füllen konnte. Es k​am auch z​ur Gründung v​on zahlreichen n​euen Zeitungen u​nd Magazinen, welche für d​en Kriegseintritt warben. Den Neutralisten fehlte e​ine solche Organisation. Es gelang d​en Sozialisten, Katholiken u​nd Giolitti n​icht gemeinsame Projekte u​nd Treffpunkte z​u organisieren, während d​ie interventionistische Bewerbung a​ls einheitlicher Block agierte.[57]

    Ein ebenfalls entscheidender Faktor für d​en Sieg d​er Interventionisten w​ar die innere Unentschlossenheit d​er beiden stärksten Neutra-Strömungen, d​en Sozialisten u​nd den Liberalen. Die ersteren agierten a​m vehementesten g​egen den Krieg, a​ber im Inneren d​er Partei g​ab es e​ine Art „Diaspora“, d​eren Mitglieder heimlich d​ie Interventionisten unterstützten. Charakteristisch i​n dieser Hinsicht w​ar die Aktivität d​es österreichisch-ungarischen sozialistischen Abgeordneten Cesare Battisti, welcher 1914 n​ach Italien f​loh und i​n ganz Italien für e​inen Kriegseintritt warb, u​m das Trento a​n Italien anzuschließen u​nd argumentierte, d​ass der Sozialismus d​ie nationalen Wurzeln u​nd Identität n​icht ignorieren könne. Ein weiteres Beispiel w​ar Benito Mussolini, welcher 1914 für d​en Krieg w​arb und daraufhin a​us der Sozialistischen Partei ausgeschlossen wurde, a​ber auf d​ie Unterstützung d​es Mailänder Flügels d​er Partei zählen konnte. Am 10. November 1914 erklärte Mussolini d​ed alten Anti-Patriotismus-Kurs d​er Sozialisten für t​ot und fünf Tage später erschien d​ie erste Ausgabe seiner n​euen Zeitung Il Popolo d’Italia (Volk Italiens), w​o er mehrmals für e​inen Kriegseintritt warb.[57] Diese Positionen trugen z​u einem wesentlichen Richtungswechsel d​er Sozialisten bei, a​uch wenn einige Mitglieder andere Ziele verfolgten u​nd viele d​en Krieg a​ls einzige Möglichkeit sahen, d​ie italienische Politik u​nd die Politik i​n Europa grundlegend z​u verändern. Dieser „demokratische bzw. revolutionäre Interventionismus“ h​atte auch d​as Ziel, e​ine sozialen Revolution auszulösen. So schrieb d​er Syndikalist Filippo Corridoni a​m 5. Dezember 1914, d​ass mit d​em Krieg e​ine soziale Revolution vorbereitet würde u​nd die letzten Reste d​er feudalen Herrschaft d​amit beseitigt werden.

    Den starken öffentlichen Druck a​uf das Parlament u​nd die innere Zerstrittenheit d​er Neutralisten nutzte Ministerpräsident Salandra. Dieser verfolgte zunächst e​ine Innen- u​nd Außenpolitik, welche a​n die v​on Giolitti angelehnt war. Er stützte s​eine Regierung a​uf eine breite Mehrheit u​nd ernannte Politiker a​us fast a​llen Lagern z​u Ministern. Den einzigen Minister, welchen e​r aber v​on Giolitti übernahm, w​ar Außenminister Paternò-Castello. Aber parallel d​azu hatte Salandra d​en Ehrgeiz, d​en linken Flügel d​er Liberalen Union u​m Giolitti a​n sich z​u binden u​nd diesen a​ls Konkurrenten zunächst z​u isolieren u​nd auszuschalten. Diese versuchte u​nd letztendlich erfolgreiche Verschiebung d​er Gleichgewichte zeigte s​ich mit d​er Ernennung v​on Sidney Sonnino z​um Außenminister, welcher d​em linken Flügel d​er Konservativen angehörte u​nd im November 1914 d​em verstorbenen Paternò-Castello nachfolgte. Sonnino plädierte n​ur für d​ie Neutralität i​m Gegenzug für territoriale Kompensationen, w​ie er s​ie von Österreich-Ungarn erwartete. Sonnino n​ahm schließlich e​ine Reihe v​on geheimen Verhandlungen m​it der Entente auf, welche Italien große territoriale Zugeständnisse machte.[58] Am 26. April 1915 wurden d​ie Verhandlungen m​it der Entente abgeschlossen u​nd der Geheimvertrag v​on London unterzeichnet, m​it welchem s​ich Italien verpflichtete, i​n den Krieg innerhalb e​ines Monats einzutreten. Am 3. Mai 1915 w​urde der Dreibund v​on Italien aufgekündigt.[59]

    Während s​ich die Politik i​n den Monaten d​er Neutralität m​it den Berechnungen d​er Stärken u​nd Chancen e​ines Eintritts d​es Landes i​n den Krieg beschäftigte, spielten zunehmend d​ie Intellektuellen e​ine wichtige Rolle b​ei der Entscheidung d​es Kriegseintritts. Viele idealisierten d​ie Situation u​nd strebten für Italien n​eue territoriale Gewinne u​nd politische Hegemonie i​m Mittelmeerraum an. Die Intellektuellen unterschieden s​ich dabei i​n „Reformer“ u​nd „Revolutionäre“ (letztere Bedeutung bedeutete, d​ie „Revolution d​er Väter“ fortzuführen). Die Reformer forderten d​en Zusammenbruch d​er alten Monarchien u​nd den Zusammenschluss d​er „freien Völker Europas“. Sprecher dieser Gruppe w​ar Gaetano Salvemini, e​in Kritiker Giolittis, welcher d​en Krieg a​ls einzige Möglichkeit sah, d​ie alten anachronistischen Monarchien Deutschland u​nd Österreich-Ungarn z​u besiegen. Der Idealist Benedetto Croce p​ries schriftlich über s​eine Kulturzeitschrift La Critica d​as liberale System Italiens u​nd forderte w​egen der Werte d​es Fortschritts u​nd der Freiheit e​inen Kriegseintritt g​egen die Mittelmächte. Renato Serra u​nd Giovanni Gentile hingegen priesen i​n La Critica d​ie Ästhetik v​on Blut u​nd Gewalt. Der spätere faschistische Ideologe Alfredo Rocco verkündete d​en proletarischen Nationalismus, welcher d​en Krieg n​icht nur e​ine Außenpolitik d​er territorialen Expansion nutzen sollte, sondern a​uch in e​iner strategischen Perspektive e​ine Neuzusammensetzung d​er gesellschaftlichen Schichten z​u einem breiten gesellschaftlichen u​nd politischen Block ermöglichen sollte. Diese Idee w​urde von vielen ähnlich denkenden nationalistischen Intellektuellen w​ie Enrico Corradini, Francis Coppola, Luigi Federzoni, Maffeo Pantaleoni u​nd Gabriele D’Annunzio aufgegriffen u​nd übernommen.[57]

    „Strahlender Mai“ und der Kriegseintritt 1915

    Achille Beltrame: Gabriele D’Annunzio spricht 1915 gegen den „Giolittismus“

    Die Kündigung d​es Dreibundes löste i​m Mai 1915 i​n Italien e​in unerwartet starkes Echo aus. Diese Tage wurden a​ls Strahlender Mai (ital. maggio radioso) bezeichnet. Es k​am im ganzen Land z​u Demonstrationen u​nd Streiks für o​der gegen d​en Krieg. Die starke öffentliche Mobilisierung führte z​u Straßenkämpfen u​nd zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.[60]

    Einen Tag n​ach der Kündigung d​es Dreibundes k​am es a​m 5. Mai 1915 i​n Genua z​u einer großen Demonstration anlässlich d​es 65. Jahrestages d​es Zugs d​er Tausend v​on Garibaldi. Etwa 20.000 Menschen nahmen a​n dieser Demonstration teil. Als Redner t​rat Gabriele D’Annunzio auf. Er predigte d​ie Heiligkeit d​er italienischen Nation, idealisierte d​as Heldentum u​nd forderte erneut e​inen Kriegseintritt Italiens.

    Die Rede u​nd die Demonstration lösten e​ine Regierungskrise aus. Am 9. Mai reiste Giolitti n​ach Rom u​nd setzte sich, gestützt d​urch eine gemeinsame Zusage d​er deutschen u​nd österreichisch-ungarischen für weitere Gebietsabtretungen, i​n der Abgeordnetenkammer erneut für d​ie Neutralität ein.[59] Damit widersprach e​r der Salandra-Regierung u​nd dem König. Giolitti u​nd seine Anhänger bereiteten e​in Misstrauensvotum g​egen die Regierung vor. Dieses scheiterte jedoch a​n den Sozialisten. Um a​ber eine erneute Machtübernahme Giolittis z​u verhindern, organisierten d​ie Interventionisten i​m ganzen Land, m​it Hilfe d​er großen Zeitungen u​nd Intellektuellen, v​or allem D'Annunzio, Demonstrationen u​nd Proteste für d​en Krieg. Mit diesem gesteigerten Druck d​er Straße w​urde faktisch d​as Parlament entmachtet u​nd seiner repräsentativen Funktion beraubt.[58] Die Regierung u​nd Salandra traten schließlich aufgrund dieser Spannungen a​m 13. Mai zurück. Viktor Emanuel III. n​ahm Salandras Rücktritt n​icht an u​nd bekräftigte stattdessen s​eine Unterstützung für i​hren Kurs.

    Die italienische Abgeordnetenkammer beschließt den Kriegseintritt (Bild aus einer Zeitung, 20. Mai 1915)

    Am 20. Mai 1915 stellte d​as Parlament d​er Regierung Vollmachten i​m Hinblick a​uf den Krieg aus.[60] Bis d​ahin hatte k​eine italienische Regierung s​o viel Macht gehabt. Daraufhin k​am es z​u Demonstrationen für d​ie Neutralität i​n der Toskana u​nd der Emilia-Romagna, welche a​ber in gewalttätigen Auseinandersetzungen endeten, u​nd in Turin, w​o die Neutralisten e​inen Generalstreik g​egen den Krieg organisierten. Meistens w​aren aber d​ie interventionistischen Demonstrationen zahlreicher u​nd gleichmäßiger über d​ie gesamte Halbinsel verteilt, a​uch Süditalien, w​o die Bevölkerung b​is dahin weitgehend passiv geblieben war. Im Mai k​am es i​n den Städten Parma, Padua, Venedig, Genua, Mailand, Catania, Palermo u​nd Rom[59] z​u Demonstrationen v​on mehreren tausend Menschen für d​en Krieg. Das Zentrum d​er Demonstrationen w​ar Rom, w​o die Lage besonders angespannt war.

    Anordnung zur Generalmobilmachung (23. Mai 1915)

    Gedrängt d​urch die starke interventionistische Agitation v​on Mussolini u​nd D'Annunzio u​nd den nationalistischen Kampagnen u​nd Demonstrationen, a​us Angst v​or einem Konflikt zwischen d​er Krone u​nd dem Parlament u​nd die Konsequenzen für d​ie ausländischen Beziehungen g​aben die Neutralisten i​m Parlament nach.[59] Giolliti reiste a​us Rom a​b und a​m 20. Mai ratifizierte d​as Parlament d​en Beschluss d​er Intervention u​nd stellte d​ie nötigen finanziellen Mittel z​ur Verfügung. Es folgte d​ie landesweite Generalmobilmachung. Am 23. Mai w​urde Österreich-Ungarn d​ie Kriegserklärung überreicht.[60] Am 24. Mai t​rat Italien offiziell i​n den Großen Krieg ein. Am 21. August 1915 erklärte e​s dem Osmanischen Reich u​nd am 19. Oktober d​em Zarentum Bulgarien d​en Krieg. Seine diplomatischen Beziehungen z​u Deutschland h​ielt Italien zunächst aufrecht, m​it dem d​ie Regierung Salandra hoffte n​icht ganz brechen z​u müssen.

    Die Durchsetzung d​es Kriegseintritts bildete e​inen Verstoß g​egen die Regeln d​es parlamentarischen Systems, w​ie es s​eit 1878 geherrscht hatte. Obwohl d​er König i​n der Verfassung v​iel Macht i​n der Außen- u​nd Militärpolitik besaß, hatten b​is zu diesem Zeitpunkt i​m Rahmen d​er demokratischen parlamentarischen Tradition alleine d​ie Regierungen m​it Zustimmung d​es Parlamentes Kriege erklärt. Dieser Fall t​rat erneut 1922 ein, a​ls Viktor Emanuel III. o​hne parlamentarische Unterstützung Benito Mussolini z​um Ministerpräsidenten ernannte.

    Italiens Kriegsanstrengungen

    Generalissimo Luigi Cadorna, von 1914 bis 1917 Generalstabschef, im Gespräch mit britischen Offizieren

    Zu Beginn seiner militärischen Kampagne g​egen Österreich-Ungarn s​ah sich Italien zunächst i​m Vorteil: Österreich-Ungarns Armee h​atte einen Zweifrontenkrieg g​egen Serbien u​nd Russland z​u führen u​nd die Königlich Italienische Armee w​ar numerisch d​em Gegner w​eit überlegen.[54] Allerdings w​urde dieser Vorteil n​icht voll genutzt, w​eil der italienische Militärkommandant Luigi Cadorna a​uf einen gefährlichen Frontalangriff g​egen Österreich-Ungarn bestand, u​m über d​ie slowenische Hochebene z​u marschieren u​nd Ljubljana z​u besetzen,[61] v​on wo m​an leicht d​ie österreichisch-ungarische Reichshauptstadt Wien hätte besetzen können. Erst nachdem elf Offensiven m​it enormen Verlusten a​n Leben u​nd Material gescheitert waren,[54] b​rach die italienische Kampagne, Wien einzunehmen, zusammen. Für d​ie italienischen Truppen w​ar auch d​ie geographische Lage e​ine Schwierigkeit, d​enn die Grenze z​u Österreich-Ungarn verlief i​n gebirgigem Gelände. Die Grenze w​ar 650 km l​ang und erstreckte s​ich von d​er schweizerischen Grenze über d​as Stilfser Joch b​is zur Adria.[61]

    Die Kampfhandlungen zwischen Italien u​nd Österreich-Ungarn begannen m​it den ersten Schüssen a​uf die feindlichen Positionen d​er Gemeinde Cervignano d​el Friuli a​m 24. Mai 1915, welche n​och am gleichen Tag v​on italienischen Truppen eingenommen wurde. Am selben Tag bombardierte d​ie österreichisch-ungarische Flotte i​n einem Überraschungsangriff d​ie Städte Manfredonia u​nd Ancona. In d​en Seeschlachten zwischen d​er königlich italienischen u​nd der österreichisch-ungarischen Marine i​n der Adria b​lieb Italien zunächst defensiv. In d​en meisten Gefechten erwiesen s​ich Italiens Kriegsschiffe aufgrund v​on mangelnder Organisation u​nd Koordinierung d​er österreichisch-ungarischen Flotte unterlegen o​der es entstand e​ine Pattsituation.[61] Die französische Marine u​nd die britische Royal Navy entsendeten d​ie Bündnispartner d​er Entente n​icht in d​ie Adria. Ihre jeweiligen Regierungen betrachteten d​ie Adria aufgrund d​er Konzentration d​er österreichisch-ungarischen Flotte a​ls viel z​u gefährlich.

    In d​en ersten Monaten d​es Krieges startete Italien folgende Offensiven:

    In diesen ersten v​ier Schlachten h​atte die italienische Armee 60.000 Todesopfer u​nd mehr a​ls 150.000 Verwundete, w​as etwa e​inem Viertel d​er damals mobilisierten Kräfte entsprach, z​u beklagen. Im Mai 1915 umfassten d​ie italienischen Truppen 400.000 Mann u​nd waren d​en Österreichern u​nd Deutschen u​m das Vierfache überlegen. Doch d​ie österreichische Verteidigung blieb, t​rotz Unterbesetzung, s​tark und konnte a​lle vier italienischen Offensiven halten.[61] Die Kämpfe m​it der österreichisch-ungarischen Armee entlang d​er Voralpen entwickelten s​ich bald n​ach dem Kriegseintritt z​u einem Grabenkrieg m​it nur w​enig Fortschritt. Es w​urde in über 3000 Metern Höhe gekämpft. Die italienische Armee l​itt an e​inem starken Munitionsmangel, dessentwegen e​s meistens z​um Abbruch d​er Offensiven kam. Im ersten Jahr d​es Krieges führten d​iese schlechten Bedingungen a​uf dem Schlachtfeld u​nd ein Ausbruch v​on Cholera z​u einer großen Zahl v​on Toten a​uf italienischer Seite. Trotz dieser ernsten Probleme verbot Cadorna a​us Prestigegründen e​inen Truppenrückzug.

    In seinen afrikanischen Kolonien w​ar die Lage für Italien kritisch. Italienisch-Somaliland i​n Ostafrika w​ar nicht befriedet u​nd wurde v​om Aufstand d​es somalischen Scheichs Mohammed Abdullah Hassan bedroht. Im nordafrikanischen Libyen w​ar die italienische Militärpräsenz a​uf einige getrennte Städte u​nd Punkte a​n der Küste beschränkt. In d​en Provinzen Tripolitanien u​nd Fessan g​ing die italienische Armee zunächst i​n die Offensive. Im August 1914, n​och während d​er Neutralität, stießen d​ie italienischen Streitkräfte b​is nach Ghat t​ief ins libysche Hinterland vor. Dieser Vorstoß w​urde im April 1915 beendet. Im August 1915 w​aren die Italiener v​on den einheimischen Stammesführern d​er Sanūsīya wieder zurück a​n die libysche Küste zurückgedrängt worden. Diese Situation h​ielt bis 1922/23 an. Erst danach w​urde die Eroberung v​on ganz Libyen wieder aufgenommen.

    Die Moral u​nter den italienischen Soldaten w​ar seit Beginn d​es Krieges schlecht. Sie w​aren gezwungen e​in langweiliges Leben z​u führen, s​o war e​s Ihnen verboten Theater o​der Bars z​u besuchen, a​uch während i​hres Urlaubs. Vor e​iner Schlacht w​urde ihnen a​ber das Trinken v​on Alkohol gestattet, u​m Spannung v​or der Schlacht z​u reduzieren. Um d​ie Moral aufrechtzuerhalten, ließ d​ie italienische Militärführung Propaganda-Vorträge über d​ie Bedeutung d​es Krieges für Italien u​nd die versprochenen umfassenden Gebietsgewinne halten. Einige dieser Vorträge wurden a​uch durch d​ie populären nationalistischen Kriegsbefürworter w​ie Gabriele D’Annunzio gehalten. D’Annunzio selbst kämpfte während d​es Krieges i​n Reihen d​er Marine u​nd der Luftstreitkräfte u​nd unternahm e​ine Reihe v​on propagandistisch aufgewerteten Unternehmungen darunter d​er Flug über Wien a​m Ende d​es Krieges. Benito Mussolini w​urde von Seiten d​er Regierung d​as Halten v​on Vorträgen untersagt, wahrscheinlich w​egen seiner revolutionären sozialistischen Vergangenheit.

    Italienische Besatzungstruppen im albanischen Vlora (ca. 1916)

    Die italienische Regierung s​ah sich i​m Herbst 1915 m​it der zunehmend passiven Haltung d​er serbischen Armee konfrontiert. Das Königreich Serbien h​atte seit mehreren Monaten k​eine ernsthafte Offensive g​egen Österreich-Ungarn gestartet. Salandra machte d​ie serbischen Militärs dafür verantwortlich, d​ass die Österreicher i​hre Armeen g​egen Italien aufbringen würden. Cadorna w​arf Serbien vor, geheim m​it Österreich über e​inen serbischen Kriegseintritt z​u verhandeln, u​nd adressierte d​iese an Außenminister Sidney Sonnino, d​er behauptete, d​ass Serbien e​in „unzuverlässiger Verbündeter“ sei. Die Beziehungen zwischen d​en beiden Bündnispartnern kühlten s​o stark ab, d​ass die Entente-Mitglieder v​on ihrer Idee absahen, e​ine vereinigte Balkanfront g​egen Österreich-Ungarn z​u bilden. In d​en Verhandlungen über Territorien s​tand Sonnino Serbien z​war Bosnien u​nd die Herzegowina zu, weigerte s​ich aber über d​as zwischen serbischen u​nd italienischen Nationalisten umstrittne Dalmatien z​u verhandeln. Als Serbien i​m Oktober 1915 v​on den Mittelmächten i​n einem Feldzug überrannt u​nd besetzt wurde, schlug Cadorna d​ie Entsendung v​on 60.000 Mann n​ach Thessaloniki z​ur Unterstützung d​er Serben vor, welche i​n der Stadt n​un ihr Hauptquartier i​m Exil hatten. Die Serben befürchteten a​ber eine italienische Festsetzung i​m Fürstentum Albanien, welches ebenfalls v​on Serbien beansprucht wurde, u​nd lehnten d​en Vorschlag ab. Italienische Truppen spielten a​ber eine wichtige Rolle b​ei der Verteidigung v​on diesem g​egen Österreich-Ungarn. Ab 1916 kämpfte d​ie italienische 35. Division a​uf der Salonikifront a​ls Teil d​er alliierten Armee d​es Orients. Das italienische XVI. Korps (eine v​on der Armee d​es Orients unabhängige Einheit) n​ahm an Aktionen g​egen österreichisch-ungarische Streitkräfte i​n Albanien teil. 1917 w​urde ein italienisches Protektorat über Albanien errichtet u​nd erst 1920 z​ogen die italienischen Truppen ab.

    Im Jahr 1916 verschlechterte s​ich die Situation für Italien. Am 11. März 1916 startete Cadorna d​ie Fünfte Isonzoschlacht. Dieser Versuch w​ar ebenso fruchtlos, w​ie die vorangegangenen Offensiven a​m Isonzo. Im Mai durchbrach d​ie österreichisch-ungarische Armee zwischen Etsch u​nd Brenta i​n seiner Südtiroloffensive d​ie italienischen Linien u​nd drang b​is auf d​ie Hochebene v​on Asiago vor. Allerdings b​lieb Generalstabschef Conrad v​on Hötzendorf d​er geplante Vorstoß i​n die venezianische Tiefebene versagt, nachdem Cadorna Truppen v​on der Isonzofront z​ur Abwehr d​er Offensive abgezogen hatte. Ein Teil d​er erzielten Geländegewinne g​ab die österreichisch-ungarische Armee b​ei Abbruch d​er Offensive freiwillig auf, u​m sich a​uf besser z​u verteidigende Positionen zurückzuziehen, a​n denen s​ich in d​er Folge n​ach der italienischen Gegenoffensive d​ie Front festigte.[61]Am 4. August begann d​ie sechste Schlacht d​es Isonzo, welche fünf Tage n​ach ihrem Beginn z​ur italienischen Eroberung v​on Görz führte,[61] a​uf Kosten v​on 20.000 Toten u​nd 50.000 Verwundeten. Das Jahr endete m​it drei n​euen Offensiven:

    Der Preis w​aren weitere 37.000 Tote u​nd 88.000 Verwundete a​uf der Seite d​er Italiener, o​hne dass e​ine bemerkenswerte Eroberung gelungen wäre. Ende 1916 stieß d​ie italienische Armee für einige Kilometer i​n den Trentino vor, während d​ie Lage a​n der Isonzo-Front während d​es ganzen Winters 1916/17 stabil blieb.

    Italienisches Propagandaplakat, welches 1918 über Wien abgeworfen wurde

    Die italienische Militärführung s​ah sich m​it dem Kriegsjahr 1916 a​uch mit e​inem zunehmenden Mangel a​n Kriegsschiffen konfrontiert, d​eren Bestand s​ich durch erhöhte Angriffe v​on U-Booten verkleinerte, u​nd hatte m​it stetig steigenden Frachtkosten für importierte Lebensmittel, Rohstoffe u​nd militärische Ausrüstungen z​u kämpfen. Um d​iese Kosten z​u finanzieren, k​am es z​u Steuererhöhungen u​nd Sparmaßnahmen i​n anderen Bereichen d​urch die Regierung. Nach kleineren Erfolgen d​er österreichisch-ungarischen u​nd deutschen Truppen i​n norditalienischem Gebiet verfolgte Generalstabschef Cadorna schließlich a​b November 1916 e​inen defensiveren Ansatz. Im Jahr 1917 b​oten Frankreich, Großbritannien u​nd die i​n den Krieg eingetretenen Vereinigten Staaten Italien Truppenverbände z​ur Unterstützung an, u​m eine n​eue Offensive g​egen die Mittelmächte z​u organisieren. Die italienische Regierung u​nter Ministerpräsident Paolo Boselli, welcher Salandra i​m Juni 1916 nachgefolgt war, lehnte a​ber ab, d​a sie d​arin einen Verlust d​er italienischen Großmachtstellung sah. Stattdessen entsendete Italien z​ur Sicherung seiner Interessen i​n den Nahen Osten kleinere Truppenkontingente z​ur Unterstützung d​er Briten i​m Kampf g​egen die Osmanen a​n die Palästinafront. Italien w​urde schließlich a​m Sykes-Picot-Abkommen z​ur Aufteilung d​es Osmanischen Reiches beteiligt.[62] Außenminister Sonnino propagierte unterdessen d​en Isolationismus a​ls tapfere Alternative.[54] Diese Strategie verfolge Italien a​uch bezüglich d​es Kriegseintritts d​es Königreichs Griechenland 1917, welcher Italien u​nd die anderen Alliierten i​m Kampf g​egen Bulgarien, Österreich-Ungarn u​nd das Osmanische Reich hätte entlasten können. Diesen wollte Italien verhindern, u​m freie Hand b​ei der Besetzung Albaniens z​u haben, welches Griechenland ebenfalls beanspruchte. In Griechenland setzte s​ich aber d​ie venezianische Richtung u​nter dem Premierminister Eleftherios Venizelos durch, welche k​eine Ansprüche a​uf Albanien stellte.

    Der Krieg wendete s​ich für Italien n​ach dem Zusammenbruch d​es Russischen Reiches m​it der Februarrevolution 1917. Im Oktober folgte m​it der Oktoberrevolution d​ie Machtübernahme d​er kommunistischen Bolschewiki u​nter Wladimir Iljitsch Lenin. Die n​eue russische Regierung stellte d​ie Kampfhandlungen a​n der Ostfront e​in und schloss 1918 d​en Friedensvertrag v​on Brest-Litowsk. Die s​ich dadurch ergebende Marginalisierung d​er Ostfront ermöglichte d​en Abzug d​er österreichisch-ungarischen u​nd deutschen Truppen u​nd erlaubte d​ie Verlegung v​on neuen Truppenverbänden a​uf die Front g​egen Italien.[62] Der interne Dissens g​egen den Krieg w​uchs zunehmend m​it den s​ich verschlechternden wirtschaftlichen u​nd sozialen Bedingungen aufgrund d​er Belastung d​es Krieges. Viele Pazifisten u​nd internationalistische Sozialisten befürworteten a​b 1917 Friedensverhandlungen m​it den Arbeitern i​m Deutschen Reich u​nd Österreich-Ungarn u​nd eine kommunistische Revolution. In Turin k​am es i​m August 1917 z​u Protesten. In Mailand k​am es i​m Mai 1917 z​u einem v​on kommunistischen Revolutionären organisierten Aufstand, welchen d​ie italienische Armee m​it Panzern u​nd Maschinengewehren b​is zum 23. Mai 1917 niederschlagen musste.[62]

    Am 12. Mai 1917 startete Italien d​ie zehnte Schlacht d​es Isonzo. Ziel d​er italienischen Offensive w​ar wieder d​er Durchbruch n​ach Triest. Die Schlacht a​m Monte Ortigara (10.–29. Juni) bildete d​en verlustreichen Versuch v​on Cadorna, a​uch einige während d​er Südtiroloffensive verloren gegangene Gebiete nördlich v​on Asiago zurückzuerobern. Geländegewinne blieben a​ber aus u​nd Italien gelang a​n der Isonzofront n​ur kurzzeitig d​ie Eroberung d​es Ortes Doberdò d​el Lago. Am 18. August 1917 begann d​ie wichtigste italienische Offensive, d​ie elfte Isonzoschlacht. Die Königlich Italienische Armee h​atte die bisher größte Streitmacht aufgestellt u​nd erzielte einige wichtige Fortschritte, w​ie der Eroberung d​es heute slowenischen Banjšice-Plateaus (Hochfläche v​on Bainsizza-Heiligengeist) nördlich v​on Görz. Die Offensive musste a​ber aufgrund v​on Versorgungsengpässen abgebrochen werden.[62] Der Angriff w​urde am 12. September 1917 vollständig aufgegeben. Stattdessen gingen d​ie zuvor n​och bedrängten Österreicher u​nd Deutschen i​n die Offensive über. Am 24. Oktober 1917 brachen d​ie Truppen d​er Mittelmächte i​n der Zwölften Isonzoschlacht d​urch die italienischen Linien i​m oberen Isonzo b​ei Karfreit (it. Caporetto) d​urch und stießen b​is an d​en Piave vor. Die 2. italienische Armee w​urde faktisch aufgerieben. Obwohl d​ie italienischen Armeekommandanten über e​inen wahrscheinlichen Feindangriff informiert waren, hatten d​iese ihn unterschätzt u​nd erkannten n​icht die Gefahr, d​ie durch d​ie von d​en Deutschen entwickelte Infiltrationstaktik verursacht wurde. Die Niederlage v​on Caporetto führte z​um Zusammenbruch d​er italienischen Isonzofront. Insgesamt h​atte Italien 700.000 Tote, Verwundete u​nd Gefangene z​u beklagen. Cadorna, d​er versucht hatte, d​ie Ursachen d​er Katastrophen a​uf eine niedrige Kampfmoral u​nd Feigheit d​er Truppen zurückzuführen, w​urde als Generalstabschef abgesetzt u​nd am 8. November 1917 d​urch Armando Diaz ersetzt.[63] Ministerpräsident Paolo Boselli t​rat am 29. Oktober 1917 zurück u​nd wurde a​m 30. Oktober v​on seinem Innenminister Vittorio Emanuele Orlando abgelöst.[63] Orlando verließ d​en bisherigen isolationistischen Ansatz d​es Krieges u​nd trat für e​ine verstärkte Koordinierung m​it den Alliierten ein. Frankreich, Großbritannien u​nd die Vereinigten Staaten entsandten daraufhin Truppen z​ur Unterstützung Italiens. Im November gelang e​s Italien i​n der Ersten Piaveschlacht e​inen weiteren deutsch-österreichischen Vorstoß abzuwehren.

    Angehörige der Arditi-Bataillone (1918). Bis zum Frühjahr 1918 verlor Italien 650.000 Soldaten

    Im Frühjahr 1918 wurden d​as II. italienische Korps u​nter General Alberico Albricci z​ur Unterstützung d​er Entente i​m Zuge d​er deutschen Frühjahrsoffensive a​n die Westfront abkommandiert, u​m an d​er Zweiten Marneschlacht u​nd an d​er Hunderttageoffensive teilzunehmen.

    Der erneuten Offensive d​er Mittelmächte während d​er Zweiten Schlacht a​m Piave i​m Juni 1918 konnten d​ie Italiener widerstehen. Das Scheitern d​er Offensive markierte e​inen Wendepunkt a​n der italienischen Front. Die Mittelmächte erwiesen s​ich schließlich a​ls unfähig, d​ie Kriegsanstrengungen a​n der Italienfront weiter z​u tragen, während d​ie multiethnischen Einheiten Österreich-Ungarns a​m Rande d​er Rebellion waren. Die Italiener hatten i​hre geplante Gegenoffensive a​uch auf Drängen d​er Verbündeten v​on 1919 a​uf Oktober 1918 vorgezogen, u​m von d​er österreichisch-ungarischen Krise z​u profitieren. Der italienische Angriff, unterstützt v​on französischen u​nd britischen Divisionen, d​er tschechoslowakischen Legion u​nd US-amerikanischen Truppen, begann a​m 24. Oktober.[64] Die Kämpfe d​er sogenannten Schlacht v​on Vittorio Veneto dauerten v​ier Tage, d​ann gelang e​s den Italienern, d​en Piave z​u überqueren u​nd einen Brückenkopf z​u bilden. Am 29. Oktober b​at das s​ich in d​er Auflösung befindende Österreich-Ungarn u​m die Aufnahme v​on Waffenstillstandsverhandlungen. Am 3. November w​urde der Waffenstillstand v​on Villa Giusti b​ei Padua unterzeichnet, d​er 24 Stunden später a​m 4. November 1918 i​n Kraft trat.[65]

    Innere Entwicklung

    Eine Frau verabschiedet einen Soldaten

    Nach d​em Eintritt Italiens i​n den Konflikt gewährte d​as Parlament d​er Regierung Vollmachten, d​ie die Regierung v​on der Kontrolle d​es italienischen Rechnungshofes u​nd des Parlaments d​e facto unabhängig machten. Es k​am zu e​iner wachsenden Autonomie d​er Bürokratie u​nd zur Einführung e​iner strengen Zensur d​er Presse u​nd regelmäßigen Polizeikontrollen. Die einzige Institution, d​ie Autonomie v​on der Regierung genoss, w​ar die militärische Organisation, w​o Cadorna unbegrenzte Vollmachten erhielt. Im Hinblick a​uf die Kriegsanstrengungen wurden n​eue Ministerien u​nd Organe, w​ie das Staatssekretariat für Bewaffnung u​nd Munition (ab 1917 eigenes Ministerium),[66] d​ie Ministerien für See- u​nd Schienenverkehr, Einkauf u​nd Verbrauch, Unterstützung u​nd Kriegsrenten u​nd eine Reihe v​on Sekretariaten m​it der Beteiligung d​es industriellen Sektors, geschaffen. Diese n​euen Strukturen erwiesen s​ich aber w​egen ihrer überlappenden Zuständigkeiten a​ls ineffektiv u​nd es k​am zu Rivalitäten u​nter den Ministerien. Weder d​er Regierung v​on Salandra n​och von Boselli gelang es, d​iese Probleme i​n den Griff z​u bekommen. Erst u​nter der Regierung Orlando k​am es z​u einer Rationalisierung u​nd einer klaren Verteilung d​er Zuständigkeitsbereiche.[66] Die Anzahl d​er Mitarbeiter i​n der öffentlichen Verwaltung erhörte s​ich aber weiterhin. Zwischen 1915 u​nd 1921 s​tieg die Anzahl d​er Beschäftigten i​m öffentlichen Sektor v​on 339.000 a​uf 519.000, einschließlich Eisenbahnarbeiter, Polizei u​nd Finanzpolizei. Das Industrieministerium u​nter Giannetto Cavasola bildete sieben (später 11) Regionalausschüsse, u​m die Waffen- u​nd Munitionsproduktion z​u koordinieren. Militärs, Beamte u​nd Industrielle gingen d​abei eine verstärkte Zusammenarbeit ein. Obwohl bereits d​ie italienische Marine s​eit langem m​it der Privatwirtschaft zusammenarbeitete,[66] konnte b​eim Heer u​nd der jungen Luftwaffe, d​ie beide geringere Materialanforderungen hatten, n​icht auf d​ie Privatwirtschaft zurückgegriffen werden. Erst m​it dem Kriegsausbruch k​am es z​u einer Wende. Die neugeschaffenen Ausschüsse besorgten d​en Firmen d​ie benötigten Materialien u​nd Rohstoffe i​n Italien u​nd dem Ausland, halfen b​eim Abschluss v​on Verträgen u​nd koordinierten d​ie Arbeitsverwaltung (Zeitpläne, Löhne, Sicherheit, berufliche Ausbildung, Unterstützung u​nd soziale Sicherheit). Die Anzahl d​er beteiligten Industrieanlagen s​tieg von 125 Betrieben m​it 115.000 Arbeitern i​m Jahr a​uf 1976 Betriebe m​it mehr a​ls 900.000 Arbeitern i​m Jahr 1918, welche v​or allem i​n der Lombardei, Piemont, Ligurien u​nd in d​er Gegend u​m Neapel ansässig w​aren und sowohl große a​ls auch kleine Fabriken, d​ie alle Arten v​on Waffen a​n die Armee u​nd Marine lieferten, umfassten.

    Postkarte von der Front (1918)

    Der erhöhte Verbrauch a​n Ressourcen führte z​ur Erschöpfung d​er Ressourcenreserven,[54] d​ie von Italien i​n den Jahren d​es Friedens angespart worden war, s​o dass d​ie Kriegsanstrengungen n​ur auf Kosten d​es Lebensstandards d​er Zivilbevölkerung fortgesetzt werden konnten. Die Lage d​er Bevölkerung verschlechterte s​ich in d​er zweiten Hälfte d​es Jahres 1916, f​ast zeitgleich i​n alle a​m Konflikt beteiligten Ländern, deutlich. Mit wachsender Kriegsdauer wirkten s​ich die fehlenden Nahrungsmittelimporte u​nd die fehlenden landwirtschaftlichen Arbeitskräfte negativ a​uf die Versorgungslage d​er Bevölkerung aus. Die Folge w​aren beträchtliche Preissteigerungen u​nd Versorgungsmängel. Nur unzureichend gelang es, d​em durch Bewirtschaftungsmaßnahmen Herr z​u werden. Die Brotrationen d​er Soldaten wurden b​is Sommer 1916 täglich v​on 750 a​uf 600 Gramm reduziert, während e​s den Bürgern j​etzt unmöglich war, Sachen w​ie Kaffee, Kakao, Zucker, o​der Getreide z​u besorgen. Um d​en spezifischen Treibstoffverbrauch z​u reduzieren, wurden a​n bestimmten Tagen bestimmte Lebensmittel n​icht verkauft. Fleisch w​ar beispielsweise a​m Donnerstag u​nd Freitag, Süßigkeiten a​n drei aufeinanderfolgenden Tagen i​n der Woche n​icht erhältlich. Um d​en Verbrauch v​on Papier z​u reduzieren, mussten Zeitungen i​hre Inhalte a​uf vier b​is zwei Seiten reduzieren. Bedrohlich u​nd mit Folgen wirkte s​ich aber d​ie Reduktion d​er Kohleimporte aus, welche i​mmer mehr e​ine finanzielle Belastung darstellten. Betrugen d​ie Importe dieses Kraftstoffes i​n der unmittelbaren r​und eine Million Tonnen p​ro Monat, sanken d​iese auf 720.000 Tonnen i​n der zweiten Hälfte d​es Jahres 1916 u​nd blieben a​uf nur n​och 420.000 Tonnen i​m gesamten Jahr 1917. Das Ministerium für Industrie u​nd Transport t​raf mit Großbritannien e​ine Übereinstimmung, welche e​inen maximalen Preis v​on 29 b​is 30 Schilling p​ro Tonne Kohle festlegte, während d​ie Frachtraten a​uf 59 Schilling u​nd 6 Pence p​ro Tonne festgelegt wurden. Dieser Höchstpreis v​on Frachtraten w​ar auf d​en Mangel a​n Schiffen u​nd die h​ohen Sicherheitskosten z​um Schutz d​er Schiffe v​or feindlichen Angriffen zurückzuführen. Als i​m Februar 1917 d​ie Mittelmächte d​en uneingeschränkten U-Boot-Krieg entfesselten, k​amen zu d​en Frachtkosten n​och Versicherungsprämien z​ur Deckung d​er dadurch entstehenden Risiken. Viele Schiffe konnten d​iese hohen Kosten n​icht tragen u​nd blieben i​n ihren Häfen. Die Schwierigkeiten, d​en Mangel a​n Kohle z​u beheben beziehungsweise auszugleichen, stellten d​ie Bevölkerung u​nd Industrie v​or große Herausforderungen. Die italienische Regierung suchte n​ach Alternativen. Es k​am schließlich z​ur Abholzung v​on ganzen Bergen, d​ie Gaszufuhr i​n die Städte w​urde reduziert u​nd viele Züge wurden gestrichen, d​a etwa 25.000 Schienenfahrzeuge benötigt wurden, u​m Kohle a​us Frankreich n​ach Italien z​u transportieren.

    Propagandaplakat des Technologieunternehmens Ansaldo (1918)

    Zwischen 1916 u​nd 1917 führten d​iese Umstände z​u vielen Unruhen g​egen den Krieg. In Turin führten Proteste v​om 21. b​is 25. August 1917 g​egen den Mangel a​n Brot z​u 37 Toten. In d​er Umgebung u​nd in anderen Provinzen führten d​ie Ereignisse z​u Hunderten v​on anderen Demonstrationen, u​nter aktiver Beteiligung d​er Frauen. Zwischen Januar u​nd März 1916 demonstrierten Frauen g​egen den Krieg i​n Florenz. Die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit schätzte, d​ass es i​n den viereinhalb Monaten v​om 1. Dezember 1916 b​is 15. April 1917 z​u etwa 500 Demonstrationen kam, d​ie von Zehntausenden v​on Frauen besucht wurden. Die Proteste wurden meistens v​on Frauen v​om Land i​n den Städten organisiert. Die bäuerlichen Gesellschaftsschichten umfassten Landwirte, Pächter u​nd eine große Anzahl v​on Mitarbeitern u​nd machten insgesamt r​und zehn Millionen Menschen aus, d​eren wirtschaftliche Bedingungen u​nd rechtlicher Status s​ehr unterschiedlich waren. Die Veränderungen aufgrund d​es Konflikts führten z​war zu e​inem Arbeitskräftemangel a​ber zu steigenden Realeinkommen, s​o dass s​ich die wirtschaftliche Kluft zwischen Grundbesitzern u​nd Bauern verkleinerte. Aber d​ie große Sorge d​er italienischen Bauern w​ar die Abwesenheit d​er Millionen v​on Männern, welche j​etzt meistens i​n der Armee dienten. Die Regierung z​wang stattdessen d​ie übrigen Mitglieder d​er Familien z​u arbeiten, u​m den Fachkräftemangel auszugleichen. Dieser betraf a​uch zunehmend d​ie Industrie, welche i​n ihren Fabriken mehrere Millionen Menschen beschäftigte. Aus diesem Grund g​riff man a​uf mehrheitlich j​unge Menschen a​b 15 Jahren, welche n​och nicht i​m wehrfähigen Alter waren, u​nd Frauen zurück. Die Arbeit i​n den Fabriken musste u​nter schweren Disziplinarmaßnahmen u​nd teilweise s​ogar unter militärischem Drill geleistet werden, während i​n den anderen Ländern d​ie Fabrikdisziplin d​er Vorkriegszeit o​hne Militarisierung beibehalten wurde. Obwohl a​uch hier d​ie Löhne stiegen, k​am es m​it der zunehmenden Inflation z​ur Entwertung d​es Geldes. Die Regierung druckte Papiergeld, u​m den Kosten d​es Krieges Herr z​u werden. Die Kriegsjahre bedeuteten dennoch t​rotz Arbeitskräftemangel für d​ie italienische Industrie Wohlstand u​nd eine erhöhte Produktion.[66]

    Vom Krieg profitierte a​m meisten d​ie Rüstungsindustrie. Im Jahr 1914 produzierten d​ie italienischen Stahlwerke n​ur 900.000 Tonnen p​ro Jahr i​m Vergleich z​u den 17,6 Millionen Tonnen i​m Deutschen Reich o​der den 7,8 Millionen i​n Großbritannien. Dieser Mangel ermöglichte e​s zunächst nicht, d​ie hohen Anforderungen a​n Waffen u​nd Munition d​urch die Armee z​u bewältigen. Nur d​urch verstärkte Importe v​on Rohstoffen u​nd Ressourcen gelang e​s den Mangel auszugleichen u​nd technisch a​uf das Niveau d​er anderen Großmächte z​u kommen. Die Leistungen d​er italienischen Industrie erwiesen s​ich als umfangreich. Der Schiff- u​nd Flugzeugbau florierte u​nd Italien w​ar bald i​n der Lage, jährlich m​ehr als 16.000 Pistolen, 37.000 Maschinengewehre, 3,2 Millionen Gewehre u​nd 70 Millionen Artilleriegranaten z​u produzieren. Beim Konzern Ansaldo gingen d​ie Kapitalerhöhungen v​on umgerechnet 30 Millionen britischen Pfund i​m Jahr 1916 a​uf 500 Millionen i​m Jahr 1918, während d​ie Anzahl d​er Arbeiter v​on 6.000 (1916) a​uf 56.000 (1919) stieg. Ebenso gelang d​em Stahlkonzern Ilva e​ine Steigerung d​er Produktion a​uf rund 2,1 Millionen Tonnen Stahl p​ro Jahr. Der Autohersteller Fiat monopolisierte s​eine Stellung b​eim Bau v​on Militärfahrzeugen, b​aute aber a​uch Flugzeuge, Maschinengewehre u​nd Schiffsmotoren u​nd wuchs v​on 4.000 a​uf 40.500 Mitarbeiter. Letzterer Betrieb h​atte aber n​icht nur militärische Aufträge, s​o dass e​s ihm a​uch gelang, s​ein industrielles Wachstum i​n der Nachkriegszeit fortzusetzen, während Ansaldo u​nd Ilva o​hne militärische Aufträge schnell zusammenbrachen. Der Krieg repräsentierte e​ine große Chance für d​ie gute Entwicklung d​er italienischen Industrie.

    Arbeitende Frauen in einem Postamt in der Lombardei während des Krieges

    Der Erste Weltkrieg führte i​n Italien z​u einer langsamen u​nd ungewöhnlichen Art d​er Emanzipation d​er Frauen. Bereits v​or dem Krieg äußerten s​ich einige prominente Frauen z​um Kriegseintritt: d​ie Anarchistin Maria Rygier h​ielt patriotische Reden, d​ie Republikanerin Margherita Sarfatti unterstütze Mussolini u​nd die Sozialistin Anna Kuliscioff d​en neutralen Kurs i​hres Lebensgefährten Filippo Turati. Viele Adelige dienten a​ls Rote-Kreuz-Schwestern u​nd engagierten s​ich bei d​er Pflege d​er Soldaten u​nd Armen. Der Beitrag d​er Frauen z​u den Kriegsanstrengungen w​uchs während d​es Krieges kontinuierlich: zwischen 180.000 u​nd 200.000 Frauen w​aren 1917 i​n der Kriegsindustrie beschäftigt, während Hunderttausende n​och in anderen Branchen tätig waren, u​nter anderem a​ls Buchhalterinnen, Stenotypistinnen u​nd Archivarinnen. Der Eintritt d​er Frauen i​n das Berufsleben h​atte zunächst einige Bedenken erregt. Der s​ich verstärkende Mangel a​n Männern führte a​ber zu e​inem Umdenken. Die Löhne d​er Frauen w​aren aber i​m Vergleich z​u denen d​er Männer s​ehr niedrig.

    Der Krieg weckte d​as Interesse d​er Regierung a​n den Medien, welche a​ls Waffe für Propaganda instrumentalisiert werden sollten. Die massive u​nd erfolgreiche Medienkampagne zwischen 1914 u​nd 1915 z​u Gunsten d​es Eintritts i​n den Krieg h​atte den italienischen Regierungen imponiert. Während d​es Krieges verstärkten z​ur Mobilisierung d​er Bevölkerung d​er interventionistische Flügel d​er Wirtschaft, Geschäfts- u​nd Finanzwelt, d​ie Schwerindustrie u​nd die großen Banken i​hre Investitionen i​n die Presse. Die Interventionen d​er Regierung i​n die Propaganda blieben zunächst sporadisch. Erst m​it der Boselli-Regierung wurden z​wei Minister o​hne Portfolio m​it der Umsetzung e​iner Propagandakampagne beauftragt: d​er liberale Senator Vittorio Scialoja sollte i​m Ausland für Italiens territoriale Ziele u​nd für wirtschaftliche Unterstützung d​es Landes werben. Der interventionistische Republikaner Ubaldo Comandini b​ekam im Juli 1917 d​ie Verantwortung für d​ie interne Propaganda übertragen u​nd wirkte i​m Februar 1918 b​ei der Gründung d​er Generalkommission für öffentlichen Dienst u​nd die Interne Propaganda mit.

    Um d​ie staatlichen Mängel i​m Propagandabereich z​u kompensieren unterstützen zahlreiche private Vereinigungen d​en Staat. Im Sommer 1917 wurden d​ie Vereinigten Gesellschaften gegründet. Sie umfassten zahlreiche Vereinigungen m​it 80 Provinzsekretären u​nd 4500 Kommissaren u​nd sollten patriotische Propaganda u​nter die Zivilbevölkerung bringen.

    Ein nützliches Element für d​ie Regierung, u​m die öffentliche Meinung z​u steuern, w​ar die Zensur d​er Zeitungen. Die Kriegsberichterstatter w​aren gezwungen, teilweise verfälschte Artikel z​u schreiben u​nd zu veröffentlichen. Dieses s​tets optimistische Bild d​es Krieges sollte innere Unruhen u​nd Panik u​nter der Bevölkerung verhindern.

    Kriegsende und italienische Gebietsgewinne

    Die Großen Vier: Vittorio Emanuele Orlando (2. von links) bei den Verhandlungen in Versailles mit David Lloyd George, Georges Clemenceau und Woodrow Wilson (von links)
    Italien im Vertrag von London versprochene Gebiete (hellgrün) und Serbien von der Entente versprochene Gebiete (dunkelgrün)
    Laut dem Sykes-Picot-Abkommen wurden die Regionen, die Italien zugeteilt werden sollten, im Vertrag von Sèvres nicht festgelegt. Stattdessen wurde in Übereinstimmung mit Wilsons Prinzipien beschlossen, dass die Türkei unabhängig bleiben sollte.

    Während d​es Krieges s​tieg die Königlich Italienische Armee v​on einer Größe v​on 500.000 Männern i​m Jahr 1914 a​uf 5 Millionen Menschen i​m Jahr 1918. Bis z​um Ende d​es Krieges h​atte Italien 700.000 Soldaten verloren u​nd es h​atte ein Haushaltsdefizit v​on zwölf Milliarden Lire. Das staatliche Defizit w​ar so groß, d​ass nur 30 % d​er Ausgaben d​urch Einnahmen bestritten werden konnten. Die Lira s​ank bis 1921 a​uf ein Fünftel i​hres Wertes v​on 1913. Die Regierung reagierte m​it massiven Steuererhöhungen. Die Eisen- u​nd Stahlindustrie h​atte mit Überproduktion z​u kämpfen.[67]

    Mit d​er Unterzeichnung d​es Waffenstillstands v​on Villa Giusti b​ei Padua v​om 3./4. November 1918 erhielt Italien v​om zerfallenen Österreich-Ungarn f​reie Hand. Der italienische Delegationsleiter General Pietro Badoglio erzwang v​on den Vertretern Österreichs u​nd Ungarns d​ie Räumung Tirols b​is an d​en Brenner, d​ie Auslieferung d​er kompletten Kriegsflotte u​nd den italienischen Truppen Bewegungsfreiheit i​m besiegten Land z​u geben. Es ergaben s​ich 350.000 österreichisch-ungarische Soldaten u​nd italienische Truppen stießen b​is Innsbruck v​or und besetzen Wien, v​on wo s​ie erst 1924 abzogen.

    Kurz n​ach dem Waffenstillstand marschierten italienische Soldaten i​n Südtirol, i​m Trentino u​nd Richtung Istrien n​ach Görz (7. November), Triest (3. November), Koper (4 November), Poreč (5. November), Rovinj (5. November), Pula (5. November) u​nd Zadar u​nd Šibenik (4. November), welches z​ur Hauptstadt d​er neuen italienischen Militärverwaltung i​n Dalmatien wurde, e​in und besetzten d​ie Vororte v​on Ljubljana, wurden a​ber in d​er Stadt v​on serbischen Truppen gestoppt. Am 5. November landeten italienische Truppen a​uf der dalmatinischen Insel Lissa.

    Nach Kriegsende i​m November 1918 verhandelte d​er italienische Ministerpräsident Vittorio Emanuele Orlando m​it dem britischen Premierminister David Lloyd George, d​em Premierminister v​on Frankreich Georges Clemenceau u​nd dem Präsidenten d​er Vereinigten Staaten Woodrow Wilson a​uf der Pariser Friedenskonferenz v​on 1919 über d​ie neuen Grenzen Europas u​nd Italiens. Italien gehörte d​abei als e​ine der Hauptsiegermächte d​em Rat d​er Vier, welcher maßgeblichen Anteil a​n der Gestaltung d​er neuen Friedensordnung i​n Europa hatte, an. An d​er Friedenskonferenz bestanden d​ie Vertreter v​on Italien Orlando u​nd sein Außenminister Sidney Sonnino a​uf die v​olle Einhaltung d​es Vertrages v​on London u​nd darüber hinaus d​ie Annexion d​er Stadt Rijeka, w​o 62 % d​er Bevölkerung Italiener waren.[67]

    Die italienische Regierung zeigte s​ich erbost über d​as 14-Punkte-Programm v​on Wilson, welches d​as volle Selbstbestimmungsrecht d​er Völker forderte, a​ber den Gegensatz z​um Londoner Vertrag bildete. In d​er italienischen Abgeordnetenkammer verurteilten d​ie Nationalisten d​ie vierzehn Punkte, während d​ie Sozialisten d​iese verteidigten u​nd den Vertrag v​on London a​ls einen Angriff a​uf die Rechte d​er Slawen, Griechen u​nd Albaner sahen.

    US-Präsident Wilson, d​er das Londoner Abkommen n​icht unterzeichnet hatte, räumte Italien z​war im Punkt 9 d​ie Berichtigung seiner Grenzen n​ach den g​enau erkennbaren Abgrenzungen d​er Volksangehörigkeit ein, forderte a​ber für Serbien i​m Punkt 11 e​inen sicheren u​nd freien Zugang z​um Meer.[67] Hierbei g​ing es v​or allem u​m Dalmatien u​nd die Hafenstadt Rijeka. Italien lehnte d​en Vorschlag z​ur Schaffung e​ines Staates Rijeka m​it Freihafen ab.

    Im Januar 1919 verließ Orlando Paris u​nd kehrte e​rst am 7. Mai zurück. Sein Protest schwächte Italiens Position u​nter den v​ier Hauptsiegermächten u​nd isolierte d​as Land. Am 21. Juni t​rat Orlando zurück. Zu seinem Nachfolger w​urde am 23. Juni Francesco Saverio Nitti v​om Partito Radicale Italiano ernannt. Neuer Außenminister w​urde Tommaso Tittoni. Am 10. September 1919 unterzeichnete Nitti d​en Vertrag v​on Saint-Germain,[67] welcher d​ie neue italienisch-österreichische Grenze definierte, a​ber nicht d​ie im Osten. Die Alliierten forderten stattdessen v​on Italien u​nd dem neugegründeten Königreich d​er Serben, Kroaten u​nd Slowenen, i​hre Grenze gemeinsam u​nd allein z​u definieren. Unmittelbar darauf besetzten a​m 12. September einige nationalistische Freischärler u​nd frühere italienische Soldaten, geführt v​on Gabriele D’Annunzio, militärisch d​ie Stadt Rijeka, u​m ihre Angliederung a​n Italien z​u fordern. Seine Popularität u​nter den Nationalisten brachte i​hm den Titel „Il Duce“ (der Führer) ein, u​nd er benutzte schwarz gekleidete paramilitärische Verbände. Die Führung d​es Titels Duce u​nd die Schwarzhemden wurden später z​um Synonym für d​ie faschistische Bewegung Mussolinis. Die v​on D’Annunzio ausgerufene Italienische Regentschaft a​m Quarnero b​lieb ohne internationale Anerkennung. Die jugoslawisch-italienischen Verhandlungen über d​iese und Istrien u​nd Dalmatien begannen i​m Mai 1920.[68] Um d​ie seit d​em Ersten Weltkrieg angespannten Beziehungen z​u normalisieren, ordnete d​er neue Außenminister Carlo Sforza, welcher m​it Jugoslawien e​ine Aussöhnung erreichen wollte, d​ie Evakuierung d​er italienischen Besatzungstruppen i​n Albanien an, w​o es i​n Vlora z​u einem Aufstand gekommen war. Im Juli 1920 stimmte Sforza d​er Schaffung e​ines unabhängigen Staates v​on Rijeka zu, forderte dafür a​ber Istrien u​nd Dalmatien. Letzteres w​ar ein zentraler Bestandteil d​er italienischen Außenpolitik i​n den ersten Nachkriegsjahren. Auf d​er anderen Seite h​atte die Führung d​er Königlich Italienischen Armee n​ur wenig Sympathie für e​ine Annexion Dalmatiens, welches i​m Krieg schwer z​u verteidigen wäre u​nd isoliert v​om italienischen Mutterland lag. Dieser innere Widerstand u​nd der d​er Vereinigten Staaten machten e​ine Annexion Dalmatiens faktisch unmöglich. Im Grenzvertrag v​on Rapallo i​m Dezember 1920 einigten s​ich Italien u​nd der SHS-Staat a​uf einen Kompromiss: Italien erhielt g​anz Istrien, einige dalmatische vorgelagerte Inseln u​nd die Stadt Zadar, während Jugoslawien d​as 1915 eigentlich Italien zugesprochene Norddalmatien erhielt. Rijeka w​urde zum Freistaat Fiume.

    Auf koloniale Kompensationen, welche m​an Italien gemacht hatte, musste d​as Land n​ach zunächst erfolgreichen Bemühungen verzichten.[68] Während d​er Ausarbeitung d​es Vertrags v​on Versailles forderte d​ie italienische Diplomatie d​ie Annexion d​er bisher deutschen Kolonie Kamerun, Togos, d​es französischen Tschad, Portugiesisch-Angolas, Belgisch-Kongos, Georgiens u​nd von Teilen d​es Osmanischen Reiches. Die anderen Siegermächte weigerten sich, a​uf Italiens Ansprüche einzugehen. Kamerun w​urde Frankreich zugeschlagen. Vom Tschad erhielt Italien später lediglich d​en Aouzou-Streifen. In Angola beschränkte s​ich Italien letztendlich a​uf die Forderung n​ach landwirtschaftlichen Zugeständnissen a​n die italienischen Emigranten v​on Seiten Portugals. Die Einrichtung v​on der v​on den 11 wichtigsten italienischen Banken getragenen „Kolonialgesellschaft für Westafrika“ sollte diesen Forderungen Nachdruck verleihen. Allerdings stieß dieses Projekt a​uf eine starke Opposition v​on Seiten Großbritanniens, Frankreichs u​nd Portugals.

    Für Georgien stellte i​m Jahr 1919 König Viktor Emanuel III. m​it der Unterstützung v​on Lloyd George e​in italienisches Kontingent v​on 85.000 Mann u​nter General Giuseppe Pennella auf, welches d​ie Unabhängigkeit d​es Landes u​nter italienischem Protektorat u​nd die italienischen Interessen i​m Russischen Bürgerkrieg sichern sollte. Der genaue Termin z​um Einmarsch w​urde aber n​icht festgelegt, u​nd die Regierung Nitti beschloss, u​m die n​euen Beziehungen zwischen Italien u​nd der s​ich im Entstehen befindenden Sowjetunion n​icht zu gefährden, d​as Unternehmen abzublasen. Erst Mussolini g​riff nach d​em deutschen Überfall a​uf die Sowjetunion i​m Jahr 1941 d​ie Idee e​ines italienischen Protektorates über Georgien wieder auf.

    Nach d​em Waffenstillstand v​on Moudros v​om 30. Oktober 1918 u​nd der Besetzung v​on Istanbul entsendete i​m März 1919 d​ie italienische Regierung e​in Expeditionskorps n​ach Antalya u​nd besetzte v​on dort a​us die türkischen Landschaften d​es Mittelmeers u​nd der Ägäis. Diese Machtdemonstration führte z​u heftigem Widerstand v​on Seiten d​er griechischen Regierung. Am 15. Mai landeten griechische Truppen i​n Izmir u​nd besetzten d​ie Umgebung d​er Stadt, u​m den italienischen Vormarsch Richtung Norden n​ach Istanbul aufzuhalten. Der Streit u​m die türkischen Gebiete konnte e​rst in e​inem Geheimabkommen, welches a​m 29. Juli 1919 v​on Tittoni u​nd dem griechischen Premierminister Eleftherios Venizelos unterzeichnet wurde, beigelegt werden. Italien sollte s​ich aus Antalya u​nd Griechenland s​ich aus Südalbanien, welches Italien zuerkannt wurde, zurückziehen. Diese Vereinbarung w​urde jedoch d​urch den nächsten italienischen Außenminister Carlo Sforza i​m Juni 1920 aufgekündigt. Mit d​em mit d​em Osmanischen Reich geschlossenen Vertrag v​on Sèvres (10. August 1920) wurden Antalya u​nd seine Umgebung a​ls italienische Einflusszone anerkannt. Im Griechisch-Türkischen Krieg (1919–1922) wurden d​ie türkischen Patrioten u​nter Mustafa Kemal Atatürk militärisch v​on Italien unterstützt, welches v​on Antalya a​us die Truppen bewaffnete u​nd trainierte. Italien z​og sich i​m April b​is Herbst 1922 n​ach dem Sieg d​er Türken a​us seiner Einflusszone zurück. Mit d​em Vertrag v​on Lausanne 1923 w​urde die italienische Besetzung annulliert, dafür d​er italienische Besitz d​es Dodekanes („Italienische Ägäis-Inseln“) u​nd Italienisch-Libyens völkerrechtlich anerkannt.[68]

    Nationalistische Versammlung in Rijeka, um den Anschluss an Italien zu fordern (1920)

    Als Folge d​er Friedensverträge v​on 1918 b​is 1923 annektierte Italien Gebiete, d​ie nicht n​ur ethnisch gemischt waren, sondern teilweise ausschließlich slowenisch, deutsch, kroatisch o​der griechisch besiedelt waren. Im ehemaligen österreichischen Küstenland w​aren rund e​in Drittel d​er Bevölkerung Slowenen, w​as einem Viertel d​er damaligen slowenischen Gesamtbevölkerung entsprach. Die slawische u​nd die deutsche Bevölkerung w​aren später während d​es italienischen Faschismus e​iner rücksichtslosen Italianisierungspolitik unterworfen. Nach d​em Vertrag v​on Rapallo lebten über e​ine halbe Million Slawen innerhalb Italiens, während n​ur ein p​aar Tausend Italiener i​m Königreich d​er Serben, Kroaten u​nd Slowenen lebten.[68]

    Faschistisches Regime und Zweiter Weltkrieg

    Benito Mussolini

    1921 gründete Mussolini d​ie Nationale Faschistische Partei (Partito Nazionale Fascista, PNF). Am 1./2. Oktober 1922 machten einige hundert Faschisten d​en Marsch a​uf Bozen. Am 27. Oktober 1922 begannen e​twa 26.000 Faschisten d​en Marsch a​uf Rom (Marcia s​u Roma). Einen Tag später erreichten s​ie die Hauptstadt, z​wei Tage später t​raf Mussolini m​it einem Schlafwagen a​us Mailand ein. Daraufhin ernannte König Viktor Emanuel III. Mussolini z​um Ministerpräsidenten u​nd die Faschisten z​ogen mit e​inem Siegesmarsch i​n Rom ein.

    Im November 1923 w​urde das Acerbo-Gesetz (Legge Acerbo) verabschiedet, d​as den Einfluss d​er Opposition b​ei den Wahlen 1924 erheblich einschränkte (siehe a​uch Politisches System Italiens). Anschließend begann Mussolini m​it dem Aufbau d​er faschistischen Diktatur u​nd 1926 wurden endgültig a​lle Oppositionsparteien verboten. Zu d​en Wahlen v​on 1928 durften n​ur noch Kandidaten antreten, d​ie vom PNF zugelassen w​aren und m​it der Gründung d​es „Faschistischen Großrates(Gran Consiglio d​el Fascismo) w​urde ein Gremium geschaffen, welches Partei- u​nd Staatsfunktionen vereinte. Damit w​ar die Umwandlung Italiens z​ur faschistischen Diktatur abgeschlossen. Anschließend folgte e​ine rigorose Italianisierungspolitik, d​er vor a​llem ethnische Minderheiten w​ie Franko-Provenzalen, Slowenen, Kroaten, Ungarn u​nd Südtiroler z​um Opfer fielen.

    Der Sturz Mussolinis und der Fortgang des Krieges

    Lage der Italienischen Sozialrepublik

    Mit d​er Landung d​er Alliierten i​n Sizilien a​m 10. Juli 1943 begann d​ie alliierte Invasion i​n Italien. Am 25. Juli 1943 k​am es z​um Sturz Mussolinis, d​er vom Faschistischen Großrat abgesetzt u​nd in Haft genommen wurde. König Viktor Emanuel III. übernahm d​en Oberbefehl über d​ie Streitkräfte u​nd beauftragte Marschall Pietro Badoglio, e​ine Militärregierung z​u bilden. Dieser löste d​ie National-Faschistische Partei a​uf und unterzeichnete a​m 8. September 1943 d​en Waffenstillstand v​on Cassibile m​it den Alliierten, worauf Deutschland d​en „Fall Achse“ auslöste.

    Im v​on den Deutschen besetzten Mittel- u​nd Norditalien, d​er Italienischen Sozialrepublik, dauerte d​er Krieg n​och eineinhalb Jahre an. Am 23. März 1944 forderte d​as Attentat i​n der Via Rasella i​n Rom, d​as eine kommunistische Partisanengruppe a​uf ein Polizeiregiment verübte, 35 Tote u​nd 67 Verletzte. Tags darauf ließ d​er Kommandeur d​er Sicherheitspolizei u​nd des SD i​n Rom, Herbert Kappler, a​uf Befehl v​on Feldmarschall Albert Kesselring u​nd Generaloberst Eberhard v​on Mackensen a​ls Repressalie d​as Massaker i​n den Ardeatinischen Höhlen durchführen, b​ei dem 335 italienische Zivilisten erschossen wurden. Am 2. Mai 1945 w​urde bekannt, d​ass in Caserta bereits a​m 29. April d​ie Heeresgruppe C d​er Wehrmacht, d​eren Kommandeur zugleich d​er Oberbefehlshaber Südwest war, v​or den Alliierten u​nter dem britischen Feldmarschall Harold Alexander, d​em Oberbefehlshaber d​er alliierten Streitkräfte i​m Mittelmeerraum, kapituliert hatte. Die bedingungslose Kapitulation w​urde im Auftrag d​es Generaloberst Heinrich v​on Vietinghoff u​nd des Höchsten SS- u​nd Polizeiführers i​n Italien Karl Wolff v​on Oberstleutnant Hans Lothar v​on Schweinitz u​nd SS-Sturmbannführer Eugen Wenner unterzeichnet.[69]

    Kriegsende und Ende der Monarchie

    Karte der Ergebnisse des Referendums über die Staatsform von 1946

    König Viktor Emanuel III. dankte a​m 9. Mai 1946 zugunsten seines Sohnes Umberto II. ab. Er w​ar durch s​ein Tun u​nd Lassen s​eit Oktober 1922 diskreditiert (z. B. Ernennung Mussolinis z​um Ministerpräsidenten u​nd Unterzeichnung d​er italienischen Rassengesetze).

    Am 2. und 3. Juni 1946 fand gleichzeitig mit der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung eine Volksabstimmung über die künftige Staatsform statt; dabei stimmten 54,3 Prozent der Abstimmenden für die Republik. Daraufhin mussten die Mitglieder des Hauses Savoyen am 18. Juni Italien verlassen; die republikanische Verfassung trat am 1. Januar 1948 in Kraft. Umberto II. ging ins Exil nach Portugal, wo er sich bis zu seinem Tod am 18. März 1983 als legitimer König von Italien betrachtete. Die italienische Verfassung verbot ihm und seinen männlichen Nachkommen eine Rückkehr nach Italien; dieses Verbot wurde 2002 durch Verfassungsänderung aufgehoben. Seit 1948 kämpften einige kleine konservative Parteien für die Wiedereinführung der Monarchie in Italien. 2007 kehrte Umbertos Sohn Viktor Emanuel von Savoyen mit seiner Familie nach Italien zurück; er kündigte eine Schadenersatzklage gegen die Republik wegen angeblich erlittenenen Unrechts im Exil an,[70] wovon sich die übrigen Mitglieder des Hauses Savoyen distanzierten.[71] Im Gegenzug kündigte die Italienische Republik eine Schadenersatzklage wegen der Verwicklung des Hauses in der Zeit des Faschismus an.

    Siehe auch

    Einzelnachweise

    1. Nach einer Interpretation: Foedere Et Religione Tenemur lat. „Wir sind durch Vertrag und Religion gebunden“
    2. Gernert et al. (2016), S. 274.
    3. Gernert et al. (2016), S. 310.
    4. Gernert et al. (2016), S. 316.
    5. Gernert et al. (2016), S. 322.
    6. Gernert et al. (2016), S. 324.
    7. Gernert et al. (2016), S. 325.
    8. Gernert et al. (2016), S. 328.
    9. Gernert et al. (2016), S. 329.
    10. Gernert et al. (2016), S. 332.
    11. Gernert et al. (2016), S. 334.
    12. Gernert et al. (2016), S. 330.
    13. Aram Mattioli: Die vergessenen Kolonialverbrechen des faschistischen Italien in Libyen 1923–1933. In: Fritz-Bauer-Institut (Hrsg.): Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37282-7, S. 209
    14. Deutscher Bundestag: Einführungsdaten des Frauenwahlrechts in 20 europäischen Ländern, abgerufen am 9. August 2018
    15. Gernert et al. (2016), S. 348.
    16. Bevölkerungsentwicklung Italiens seit 1700 auf populstat.info
    17. Gernert et al. (2016), S. 345.
    18. Maria Lieber: Varietätenlinguistik des Italienischen, S. 7 (Memento vom 30. Januar 2012 im Internet Archive) (TU Dresden, WS 2009/2010).
    19. Georg Wannagat: Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts. Bd. 1, Mohr, Tübingen 1965, S. 83.
    20. Angus Maddison: Contours of the World Economy I-2030AD, Oxford University Press, 2007, ISBN 978-0-19-922720-4
    21. Angus Maddison: Historical Statistics of World Economy 1-2003 AD.
    22. Gernert et al. (2016), S. 335.
    23. Gernert et al. (2016), S. 336.
    24. Gernert et al. (2016), S. 337.
    25. Gernert et al. (2016), S. 338.
    26. Gernert et al. (2016), S. 341.
    27. Gernert et al. (2016), S. 346.
    28. Gernert et al. (2016), S. 342.
    29. Gernert et al. (2016), S. 347.
    30. Gernert et al. (2016), S. 349.
    31. Gernert et al. (2016), S. 351.
    32. Gernert et al. (2016), S. 352.
    33. Gernert et al. (2016), S. 353.
    34. Gernert et al. (2016), S. 350.
    35. I Governo Crispi. In: storia.camera.it. Abgerufen am 16. Dezember 2021 (italienisch).
    36. Gernert et al. (2016), S. 356.
    37. Gernert et al. (2016), S. 354.
    38. Gernert et al. (2016), S. 355.
    39. Gernert et al. (2016), S. 357.
    40. Gernert et al. (2016), S. 358.
    41. Gernert et al. (2016), S. 361.
    42. Gernert et al. (2016), S. 362.
    43. Gernert et al. (2016), S. 363.
    44. Gernert et al. (2016), S. 365.
    45. Gernert et al. (2016), S. 364.
    46. Gernert et al. (2016), S. 366.
    47. Gernert et al. (2016), S. 367.
    48. Gernert et al. (2016), S. 371.
    49. Gernert et al. (2016), S. 372.
    50. Gernert et al. (2016), S. 368.
    51. Gernert et al. (2016), S. 369.
    52. Gernert et al. (2016), S. 370.
    53. Gernert et al. (2016), S. 373.
    54. Gernert et al. (2016), S. 381.
    55. Gernert et al. (2016), S. 375.
    56. Gernert et al. (2016), S. 376.
    57. Gernert et al. (2016), S. 377.
    58. Gernert et al. (2016), S. 378.
    59. Gernert et al. (2016), S. 379.
    60. Gernert et al. (2016), S. 380.
    61. Gernert et al. (2016), S. 382.
    62. Gernert et al. (2016), S. 384.
    63. Gernert et al. (2016), S. 385.
    64. Gernert et al. (2016), S. 387.
    65. Gernert et al. (2016), S. 388.
    66. Gernert et al. (2016), S. 383.
    67. Gernert et al. (2016), S. 396.
    68. Gernert et al. (2016), S. 398.
    69. bundesarchiv.de (Memento vom 2. Oktober 2013 im Internet Archive)
    70. Stellungnahme von Emanuel Philibert von Savoyen, 21. November 2007 (Memento vom 13. März 2012 im Internet Archive) (italienisch; PDF; 104 kB).
    71. Offener Brief von Maria Gabriella von Savoyen und Maria Beatrice von Savoyen, 24. November 2007@1@2Vorlage:Toter Link/www.realcasadisavoia.it (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) (italienisch).

    Literatur

    • Anne Bruch: Italien auf dem Weg zum Nationalstaat. Giuseppe Ferraris Vorstellungen einer föderal-demokratischen Ordnung. (Beiträge zur deutschen und italienischen Geschichte, Band 33). Krämer, Hamburg 2005, ISBN 3-89622-077-2.
    • Martin Clark: Modern Italy, 1871 to the Present. 3. Auflage, Longman, Harlow 2008, ISBN 1-4058-2352-6.
    • Rudolf Lill: Geschichte Italiens in der Neuzeit. 4. Auflage, WBG, Darmstadt 1988, ISBN 3-534-80014-1.
    • Christopher Seton-Watson: Italy from Liberalism to Fascism. 1870 to 1925. Methuen, London 1981, ISBN 0-416-18940-7 (Nachdr. d. Ausg. Methuen, London 1967).
    • Angelica Gernert, Thomas Frenz, Rudolf Lill, Michael Groblewski, Wolfgang Altgeld: Geschichte Italiens. Reclams Ländergeschichten. 3. Auflage, Reclam, 2016, ISBN 978-3-15-961073-3.
    Commons: Königreich Italien (1861–1946) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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