Münchner Abkommen
Das Münchner Abkommen (offizielle Bezeichnung: Abkommen zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien, getroffen in München, am 29. September 1938) wurde in der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 von den Regierungschefs Adolf Hitler, Neville Chamberlain, Édouard Daladier und Benito Mussolini im Führerbau in München unterzeichnet. Die Tschechoslowakei und die mit ihr verbündete Sowjetunion waren zu der Konferenz nicht eingeladen. Das Abkommen bestimmte, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland an das Deutsche Reich abtreten und binnen zehn Tagen räumen musste. Der Einmarsch der Wehrmacht begann am 1. Oktober 1938. Ein internationaler Ausschuss sollte die künftigen Grenzen festlegen und Volksabstimmungen in weiteren Gebieten überwachen. Ähnliches war für die polnischen und ungarischen Minderheiten in der Tschechoslowakei vorgesehen. Polen besetzte infolge des Abkommens am 2. Oktober 1938 das Teschener Gebiet. Nach bilateralen Gesprächen erhielt Ungarn im Ersten Wiener Schiedsspruch am 2. November 1938 Gebiete in der Südslowakei und der Karpato-Ukraine.
Mit dem Münchner Abkommen wurde die Sudetenkrise beendet. Hitler hatte den Konflikt um die Autonomie der Sudetendeutschen gezielt zu einem internationalen Konflikt eskaliert, bei dem es ihm gemäß seinem in der Hoßbach-Niederschrift entfalteten Plan um die Isolierung und letztlich Zerschlagung der Tschechoslowakei ging. Das Münchner Abkommen gilt als Höhepunkt der britisch-französischen Appeasement-Politik. Der Krieg in Europa, den Hitler hatte provozieren wollen, wurde verhindert. Großbritannien und Frankreich hatten der tschechoslowakischen Regierung unter Ministerpräsident Syrový bereits am 21. September 1938 klargemacht, dass sie im Falle einer Ablehnung der deutschen Forderungen keinen Beistand zu erwarten hätte. Um einen Krieg zu vermeiden, in welchem sie allein gegen Deutschland gestanden hätte, akzeptierte die Tschechoslowakei die Bedingungen des Abkommens. Aufgrund der Umstände wird das Abkommen auch als Diktat von München bezeichnet.
Obwohl das Münchner Abkommen als großer außenpolitischer Erfolg des nationalsozialistischen Deutschlands erschien, war Hitler unzufrieden, weil er eigentlich die ganze Tschechoslowakei hatte erobern wollen. Er forcierte in der Folge die militärisch-strategischen und operativen Planungen und ließ am 15./16. März 1939 unter Bruch des Münchner Abkommens die sogenannte „Rest-Tschechei“ besetzen.
Inhalt
Das Münchener Abkommen verfügte, dass die Tschechoslowakei ihre überwiegend von Deutschen bewohnten Grenzgebiete, die sudetendeutschen Gebiete, sofort an das Deutsche Reich abzutreten habe. Es war nach den Beratungen der Regierungschefs der vier Großmächte Chamberlain, Daladier, Hitler und Mussolini im Führerbau in München zustande gekommen und wurde von ihnen dort am 30. September 1938 um 1:30 Uhr unterzeichnet. In zusätzlichen Erklärungen legten sie weitere Modalitäten fest. Im Gegenzug zur Abtretung stellten Großbritannien und Frankreich der Tschechoslowakei den Schutz einer internationalen Garantie in Aussicht. Auch Deutschland und Italien sagten eine Garantie zu, vorbehaltlich einer Regelung der Frage der polnischen und ungarischen Minderheiten in der Tschechoslowakei. Eine internationale Garantie kam allerdings nie zustande.[1]
Das Abkommen bestimmte lediglich die Prinzipien der Räumung, Grenzbestimmung und Staatsangehörigkeitsregelung. Die Durchführung des Abkommens über die Abtretung des Sudetengebietes, die Festlegung der Grenzen und die Modalitäten der Räumung sollte ein Ausschuss der Unterzeichnerstaaten regeln.[2] Er sollte auch bestimmen, in welchen Gebieten Volksabstimmungen durchgeführt werden sollten, nach dem Muster der Saarabstimmung 1935. Ein Optionsrecht für die Bevölkerung wurde vorgesehen.
Die tschechoslowakische Regierung sollte einen Vertreter in diesen internationalen Ausschuss entsenden. Ein deutsch-tschechoslowakischer Ausschuss sollte Regelungen für Optanten treffen, um ihnen einen Gebietswechsel in die abgetretenen Gebiete oder aus ihnen heraus zu ermöglichen. An der Konferenz selbst war die Tschechoslowakei nicht beteiligt.
Bedeutung
Das Münchner Abkommen bedeutete faktisch das Ende der 1918 entstandenen multinationalen Tschechoslowakei, da auch die Nachbarstaaten Polen und Ungarn die Gunst der Stunde zu Gebietsbesetzungen nutzten, im Gegensatz zu Deutschland jedoch ohne Zustimmung der Signatarmächte Großbritannien und Frankreich. Letztere zeigten erst spät Verständnis für den seit 1919 ignorierten Wunsch der sudetendeutschen Bevölkerung und sahen diesen Beschluss daher auch als Teilrevision des Vertrags von St. Germain an beziehungsweise als nachgereichte Erfüllung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. In erster Linie wollten sie damit einen Krieg verhindern. Sie hofften, durch eine Appeasement-Politik den Fortbestand des tschechoslowakischen Staates zu gewährleisten und insofern das Beistandsabkommen zu erfüllen.
Im Ergebnis hatten außer Frankreich alle übrigen Großmächte das Münchner Abkommen bis 1942[Anm 1] als gültig zustande gekommen betrachtet und behandelt; lediglich Frankreich präzisierte im Nachhinein seine Haltung, das Abkommen als nichtig ab initio ansehen zu wollen; „demgegenüber vertritt die britische Regierung den seit jeher eingenommenen Rechtsstandpunkt mit großer Festigkeit, daß das Münchener Abkommen seinerzeit gültig zustande gekommen ist, eine Zeit lang rechtlich bindend war, inzwischen jedoch mit Wirkung ex nunc durch das Verhalten des Deutschen Reiches hinfällig geworden ist“.[3]
Folgen des Abkommens
Vertreter der Tschechoslowakei hatten nicht nur nicht an der Konferenz von München teilgenommen, sondern waren über deren Verlauf auch nur unvollständig informiert worden. Am Morgen des 30. September 1938 wurden der tschechoslowakischen Regierung von deutscher Seite die Ergebnisse mitgeteilt. Die tschechoslowakische Regierung sah sich isoliert und fürchtete, dass im Falle einer Ablehnung Deutschland mit Unterstützung Ungarns und wahrscheinlich auch Polens sofort angreifen werde, während mit Hilfe aus dem Westen nicht mehr zu rechnen sei. Ihre Hoffnung bestand deshalb darin, durch die Annahme der Vereinbarung als Ganzes mit der nächsten internationalen Kommission weitere Forderungen abzuwenden. Präsident Edvard Beneš kam zu dem Schluss, dass es im Falle einer Ablehnung zwar einen ehrenhaften Krieg geben werde, „bei dem wir aber nicht nur unsere Selbstbestimmung verlieren, sondern das Volk ermordet wird“. Die Entscheidung lief deshalb darauf hinaus, zumindest den Kern des tschechoslowakischen Staates zu retten.[4] Der tschechoslowakische Außenminister Kamil Krofta erklärte am 30. September gegenüber dem britischen, dem französischen und dem italienischen Gesandten:
„Im Namen des Präsidenten der Republik sowie meiner Regierung erkläre ich, daß wir uns den in München ohne uns und gegen uns getroffenen Entscheidungen unterwerfen. […] Ich will nicht kritisieren, aber das ist für uns eine Katastrophe, die wir nicht verdient haben. Wir unterwerfen uns und werden uns bemühen, unserem Volk ein ruhiges Leben zu sichern. Ich weiß nicht, ob von dieser in München getroffenen Entscheidung Ihre Länder Vorteil haben werden. Allein, wir sind nicht die letzten, nach uns werden andere betroffen werden.“
Tschechoslowakische Politiker – allen voran der damalige Staatspräsident Beneš – fühlten sich von den Schutzmächten verraten. Deswegen wurde das Abkommen von der Bevölkerung als „Münchner Verrat“ bezeichnet oder pointiert „Über uns, ohne uns.“
Infolge der friedlichen Lösung der Sudetenkrise verlief die gegen Hitler gerichtete Septemberverschwörung um Hans Oster, die als der aussichtsreichste Staatsstreichplan während der gesamten NS-Herrschaft gilt, im Sande.
Am 1. Oktober 1938 wurde der „Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der sudetendeutschen Gebiete“ (RGBl. 1938 Teil I, Nr. 157, S. 1331 f.) publiziert. Die militärische Besetzung des Sudetenlandes erfolgte vom 1. bis 10. Oktober nach einem in München festgelegten Zeitplan in fünf[6] Zonen. Das Sudetenland wurde ein Teil des Deutschen Reiches. Die neuen Grenzen der Tschechoslowakei wurden in der deutsch-tschechoslowakischen Vereinbarung vom 20. Oktober 1938 niedergelegt. Diese Vereinbarung wurde am 1. November 1938 durch eine tschechoslowakische Note an die polnische Regierung bekräftigt. Die Wahlmöglichkeit der Staatsbürgerschaft und des Aufenthaltsortes wurde den Betroffenen durch den „Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakischen Republik über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen“ eingeräumt.[7]
Staatspräsident Beneš trat zurück und gründete 1940 eine Exilregierung. Auf Anweisung Churchills unterbreitete der britische Außenminister Eden Josef Stalin Mitte Dezember 1941 eine gemeinsame „Vereinbarung“, welche die Atlantik-Charta und Ausrichtung an den Vereinigten Staaten von Amerika komplementieren sollte. Stalins Vorschlag für eine Nachkriegsordnung lehnte er jedoch ab.[8] In Wirklichkeit verfolgte Eden eine Strategie der Vertagung und war zu keinen Detailabsprachen bereit, woraufhin die Moskauer Verhandlungen ergebnislos endeten. Stattdessen einigten sich Großbritannien und die Sowjetunion derweil in sowjetisch-britisch-iranischen Verhandlungen auf einen gemeinsamen Vertrag vom 30. Januar 1942, der militärische Hilfslieferungen durch den Iran sicherte und dem die USA später beitraten.[9]
Am 15. August 1942 erklärte Anthony Eden, ein Gegner der Appeasement-Politik Chamberlains, Deutschland habe das Abkommen „mit Vorbedacht zerstört“, weshalb das Vereinigte Königreich sich an seine Versprechungen nicht mehr gebunden fühle und die Regierung Seiner Majestät sich bei der künftigen Grenzregelung freie Hand lasse. Einige Wochen später schloss die französische Exilregierung sich dem an.[10]
Die von Stalin auf der Potsdamer Konferenz am 18. Juli 1945 verbreitete Behauptung, nach dem Münchner Abkommen seien Tschechen in großem Stil aus den sudetendeutschen Grenzgebieten ins Landesinnere vertrieben worden,[11] gilt inzwischen in der wissenschaftlichen Forschung als widerlegt.[12][13] In Moskau erreichte Beneš bereits während des Krieges die Zustimmung zu einem großen „Bevölkerungstransfer“ 1943 in einem persönlichen Gespräch mit Stalin.[14]
Für die weiteren Kriegspläne des nationalsozialistischen Deutschland ergaben sich durch das Abkommen eine Reihe von Vorteilen (nach Winston Churchills Der zweite Weltkrieg: Memoiren): Die tschechoslowakischen Grenzbefestigungen mussten nicht überwunden werden. Diese Befestigungsanlagen befanden sich zum größten Teil im Sudetenland. Generalstabschef Franz Halder behauptete nach dem Krieg sogar, das tschechoslowakische Befestigungssystem sei „uneinnehmbar und unüberwindlich“ gewesen.[15] Eine militärische Lösung hätte eventuell den weiteren Ablauf der Geschichte entscheidend verändert. Im Jahr 1938 war die Wehrmacht noch im Aufbau und hätte (nach Churchill) empfindliche Verluste hinnehmen müssen. Die tschechoslowakische Armee war zu dieser Zeit eine der stärksten und bestausgerüsteten Armeen Mitteleuropas. Die Befestigungen wurden zur Verstärkung des Westwalls genutzt sowie zur Vorbereitung auf die Einnahme der belgischen Befestigungsanlagen 1940.
Nach der Besetzung der sudetendeutschen Gebiete profitierte Deutschland von Rohstoffhandelsverträgen und Deviseneinkünften der früheren Tschechoslowakei, für die im Gegensatz zu Deutschland die Meistbegünstigungsklausel galt.[16]
Die Tschechen, die das Sudetenland 1945 wieder in Besitz nahmen, betrachteten nach der Wiedererrichtung der ČSR die ansässige Bevölkerung deutscher Nationalität – ebenso wie die Slowaken die Bevölkerung ungarischer Nationalität – als Feinde; auch Menschen, die sich gegen die Nationalsozialisten betätigt hatten. Die Rückerstattung von Privateigentum nach Ende der kommunistischen Ära 1989 erfolgte nur an tschechische Staatsbürger, Vertriebene wurden nur von der Bundesrepublik Deutschland entschädigt.
Annexionen und Invasion in die „Rest-Tschechei“ 1939
Am 1. Oktober 1938 hatte Polen ein Ultimatum an die Tschechoslowakei gestellt und nach Annahme des Ultimatums ab 2. Oktober tschechische Gebiete im geteilten Teschener Olsagebiet okkupiert.[17] Ungarn besetzte anschließend Grenzgebiete mit einem Anteil von 86,5 % ungarischsprachiger Bevölkerung[18] und 1939 die geringfügig ungarisch besiedelte Karpatoukraine.
Am 15. März 1939 wurde die „Rest-Tschechei“, so die Bezeichnung in der Zeit des Nationalsozialismus, völkerrechtswidrig durch die deutsche Wehrmacht besetzt, was ein Bruch des Münchner Abkommens war. Nach dieser faktischen Annexion der Tschechoslowakei wurde das unter deutscher Gebietshoheit stehende Protektorat Böhmen und Mähren errichtet. Die Slowakei, als Slowakische Republik ein klerikal-faschistisch ausgerichteter „Schutzstaat“, wurde vom Deutschen Reich am 14. März 1939 anerkannt; der begründende „Schutzvertrag“ wurde einige Tage später am 23. März geschlossen. Die komplette Kontrolle über die frühere Tschechoslowakei war Hitler aus strategischen Gründen wichtig, zumal dieser lange Landstreifen bis in die Mitte des Großdeutschen Reiches hineinreichte.[19] Hitlers relativ leichter Erfolg bei der Landnahme und die eher abwartende Haltung der westlichen Demokratien motivierten auch andere Nachbarn der ČSR zur Landnahme.
Mit dem Einmarsch in die „Tschecho-Slowakische Republik“ kamen bedeutende Vorräte an Waffen, Munition, Rohstoffen und nicht zuletzt Devisenbeständen[16] sowie mit den Škoda-Werken einer der größten europäischen Maschinenbauer und Waffenschmieden der damaligen Zeit unter deutsche Kontrolle. Die Waffen der tschechoslowakischen Armee waren für die Wehrmacht eine signifikante Beute (z. B. waren im Frankreichfeldzug 1940 mehrere Panzerdivisionen mit den tschechischen Panzerkampfwagen 35 und 38 ausgestattet).
Die Rolle der Sowjetunion
Die Sowjetunion wollte an der Münchner Konferenz beteiligt werden und bot der Tschechoslowakei und Frankreich militärische Hilfe an, um den bestehenden tschechoslowakisch-französischen Beistandspakt[20] durchzusetzen, was aber von Frankreich abgelehnt wurde. Ob dieses Hilfsangebot ernst gemeint war, ist umstritten.[21] Richard Overy wies nach, dass die Rote Armee teilmobilisiert wurde, das heißt, sie machte ihr Angebot wahr, aber das könnte auch nur im Zusammenhang mit der allgemeinen Kriegsgefahr gestanden haben. Die UdSSR war faktisch nur beschränkt in der Lage, der Tschechoslowakei zu helfen, denn sie besaß weder eine gemeinsame Grenze mit ihr noch Durchmarsch- oder Überflugrechte über polnisches Gebiet.
In der sowjetischen und apologetischen Geschichtsschreibung des ehemaligen Ostblocks wie beispielsweise der DDR wird das Münchner Abkommen als Komplott der westlichen Demokratien mit den Nationalsozialisten dargestellt.[22][23] Im Kalten Krieg benutzte die Sowjetunion diese These, um propagandistisch Stimmung gegen den Westen zu machen.[24]
Klaus Hildebrand schreibt, dass aus sowjetischer Sicht die westlichen Demokratien mit der Konferenz bewiesen hätten, dass ihnen sogar die Zusammenarbeit mit Hitler recht sei, um die Sowjetunion außenpolitisch zu isolieren. Stalin fühlte sich damit aus dem Konzert der europäischen Großmächte ausgegrenzt. Ihm schien es deshalb unmöglich, weiterhin mit den Westmächten zu kooperieren. In der Folge stellte er deshalb seine Außenpolitik um und suchte nun ebenfalls die Annäherung an Deutschland. Damit gehört das Münchner Abkommen zur Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes.[25]
Hitlers Kriegspläne und das Münchner Abkommen
Hitler stand dem Münchner Abkommen zwiespältig gegenüber. Zum einen konnte er seinen Krieg nicht führen. Auf der anderen Seite erhielt er einen Popularitätsschub, da die deutsche Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt gegen einen Krieg war und Hitler in den Zeitungen als Friedensbewahrer dargestellt wurde.[26]
Schon im September 1938 hatte Hitler Krieg gewollt, und noch in den Bormanndiktaten vom Februar 1945 hat er bedauert, dass er ihn damals nicht begonnen hatte: „Vom militärischen Standpunkt aus waren wir daran interessiert, ihn ein Jahr früher zu beginnen […]. Aber ich konnte nichts machen, da die Engländer und Franzosen in München alle meine Forderungen akzeptierten.“[27]
In der Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit wurde das Münchner Abkommen als Münchener Frieden oder „Friede von München“ bezeichnet.[28]
Nachwirkung
Das Münchner Abkommen wurde durch den 1974 ratifizierten Prager Vertrag von 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik vom 11. Dezember 1973 „im Hinblick auf ihre gegenseitigen Beziehungen nach Maßgabe dieses Vertrages als nichtig“ betrachtet.[29] Die juristische Frage zwischen der Bundesregierung, die das Abkommen erst mit Abschluss des Prager Vertrags (mit Wirkung ex nunc) als ungültig ansah, und der tschechoslowakischen Regierung, die es ex tunc – also von Beginn an – als nichtig auffasste, da es unrechtmäßig unter Drohungen abgeschlossen beziehungsweise nach allgemeinem Völkerrecht unzulässig zu Lasten eines Dritten, nämlich der ČSR, gewesen sei,[30] ließ der Prager Vertrag offen.[31] Im Jahr 1992 bestätigte der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit den Prager Vertrag von 1973 auch hinsichtlich einer Nichtigkeit des Münchner Abkommens.[32]
Siehe auch
- Deutsche in der Ersten Tschechoslowakischen Republik (Überblick über das politische Geschehen rund um die Deutschen in den Ländern der Böhmischen Krone und deren Nachfolgestaaten 1848–1938)
- Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges in Europa
- Beneš-Dekrete
- Reichsgau Sudetenland
- Zweite Tschechoslowakische Republik
- Deutsch-Tschechische Erklärung
Literatur
- Detlef Brandes: Die Sudetendeutschen im Krisenjahr 1938 (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, Band 107). Oldenbourg, München 2008, ISBN 978-3-486-58742-5.
- Boris Čelovský: Das Münchener Abkommen 1938. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1958.
- Richard J. Evans: Das Dritte Reich. Band 2: Diktatur. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-7632-5767-6, S. 805 ff. („Die Zerschlagung der Tschechoslowakei“).
- David Faber: Munich, 1938: Appeasement and World War II. Simon & Schuster, 2010, ISBN 1-439-13234-8 (Google Books).
- Ralf Gebel: „Heim ins Reich!“ Konrad Henlein und der Reichsgau Sudetenland (1938–1945) (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, Band 83). 2. Auflage, Oldenbourg, München 2000, ISBN 3-486-56468-4 (zugleich: Diss., Univ. Bonn, 1997).
- Peter Glotz, Karl-Heinz Pollok, Karl Schwarzenberg, John van Nes Ziegler (Hrsg.): München 1938. Das Ende des alten Europa. Reimar Hobbing, Essen 1990, ISBN 3-920460-55-3.
- Oskar Krejčí: Geopolitics of the Central European Region. The view from Prague and Bratislava. Veda, Publishing House of the Slovak Academy of Sciences, Bratislava 2005 (Paperback-Ausgabe bei United Irishman, 2007).
- Jürgen Zarusky, Martin Zückert (Hrsg.): Das Münchener Abkommen von 1938 in europäischer Perspektive. Eine Gemeinschaftspublikation des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin und des Collegium Carolinum, Oldenbourg, München 2013, ISBN 978-3-486-70417-4.
- Wortlaut des Münchener Abkommens (PDF; 2,4 MB). In: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR (Hrsg.): Dokumente und Materialien: Aus der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges. Bd. 1: November 1937–1938. Aus dem Archiv des Deutschen Auswärtigen Amtes. Moskau 1948, S. 261, Nr. 35.
Weblinks
- Münchner Abkommen im Wortlaut auf glasnost.de, Fotokopien mit Zusatzerklärungen
- Das Münchner Abkommen beim Deutschen Historischen Museum
- Sven Felix Kellerhoff: Wie Großbritannien die Tschechoslowakei verriet, in: Die Welt – Geschichte, 29. September 2013
- Hintergrundbericht zur Stellung der Sudetendeutschen zum Münchner Abkommen von Radio Prag
Anmerkungen
- Großbritannien hatte es am 5. August 1942, das Frankreich de Gaulles am 29. September 1942 und Italien durch die Regierung Badoglio am 26. September 1944 für ungültig bzw. „null und nichtig“ erklärt, aber jeweils nicht mit allen seinen Konsequenzen ausdrücklich „von Anfang an“.
Einzelnachweise
- Gordon A. Craig: Deutsche Geschichte 1866–1945. Vom Norddeutschen Bund bis zum Ende des Dritten Reiches. C.H. Beck, München 1999, ISBN 3-406-42106-7, S. 769.
- Heiner Timmermann: Das Münchener Abkommen. In: Heiner Timmermann et al. (Hrsg.): Die Beneš-Dekrete: Nachkriegsordnung oder ethnische Säuberung: Kann Europa eine Antwort geben?, Lit Verlag, Münster 2005, S. 149.
- Siehe AAPD 1972, III, Dok. 314, S. 1457; vgl. dazu Dok. 101. Vgl. dazu ferner AAPD 1970, III, Dok. 581, S. 2169, Anm. 9.
- Jindřich Dejmek: Das Münchner Abkommen. In: Heiner Timmermann et al. (Hrsg.): Die Beneš-Dekrete: Nachkriegsordnung oder ethnische Säuberung: Kann Europa eine Antwort geben?, Lit Verlag, Münster 2005, S. 143.
- Boris Celovsky: Das Münchener Abkommen 1938. DVA, Stuttgart 1958, S. 465.
- Claudia Prinz: Die Besetzung des Sudetengebietes 1938, Deutsches Historisches Museum (DHM), 16. Oktober 2015.
- RGBl. 1938 II S. 896 ff.
- Vgl. Jochen Laufer: Pax Sovietica. Stalin, die Westmächte und die deutsche Frage 1941–1945, Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 93–95; Frank Costigliola: Roosevelt's Lost Alliances. How Personal Politics helped start the Cold War. Princeton University Press, Princeton 2012, S. 146.
- Jochen Laufer: Pax Sovietica. Stalin, die Westmächte und die deutsche Frage 1941–1945, Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 103.
- Hans Lemberg: „München 1938“ und die langfristigen Folgen für das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen. In: Jörg K. Hoensch, Hans Lemberg (Hrsg.): Begegnung und Konflikt. Schlaglichter auf das Verhältnis von Tschechen, Slowaken und Deutschen 1815–1989 (= Veröffentlichungen der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission 12), Klartext, Essen 2001, ISBN 3-89861-002-0, S. 103–118, hier S. 115.
- Bernd Rill: Böhmen und Mähren: Geschichte im Herzen Mitteleuropas, Band II: Von der Romantik bis zur Gegenwart. Casimir Katz, 2006, ISBN 3-938047-21-6, S. 895.
- Fritz Peter Habel: Eine politische Legende: die Massenvertreibung von Tschechen aus dem Sudetengebiet 1938/39. Langen Müller, 1996, ISBN 3-7844-2589-5, S. 96.
- Vgl. auch Fritz Gause: Deutsch-slavische Schicksalsgemeinschaft. Aus: Göttinger Arbeitskreis, Holzner, 3. Aufl., 1967, S. 304.
- Siegfried Kogelfranz: Das Erbe von Jalta. Die Opfer und die Davongekommenen. Spiegel-Buch, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1985, ISBN 3-499-33060-1, S. 132 f.
- Walther Hofer, Herbert R. Reginbogin: Hitler, der Westen und die Schweiz 1936–1945. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2001, ISBN 3-85823-882-1, S. 398.
- Hans-Erich Volkmann: Ökonomie und Expansion. Oldenbourg, München 2003, ISBN 3-486-56714-4.
- Stanisław Żerko: Polen, die Sudetenkrise und die Folgen des Münchener Abkommens. In: Jürgen Zarusky (Hrsg.): Das Münchener Abkommen von 1938 in europäischer Perspektive. Oldenbourg, München 2013, S. 349–382, hier S. 375.
- laut Zensus 1941
- Deutschland-Dokumente: Die wehrgeographische Lage Deutschlands zum Ende der Weimarer Republik (Memento vom 2. August 2007 im Internet Archive) (deutschland-dokumente.de).
- Piotr S. Wandycz: L’alliance franco-tchécoslovaque de 1924: un échange de lettres Poincaré-Benès, Revue d’Histoire diplomatique, Heft 3/4, 1984, S. 328–333.
- Gebhardt: Handbuch der deutschen Geschichte, S. 238 f.
- N. G. Andronikow, Pawel Andrejewitsch Schilin, Aleksandr Sergeevich Savin: Der zweite Weltkrieg, 1939–1945. Kurze Geschichte. Dietz, Berlin (DDR) 1985, S. 40.
- Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (Hrsg.): Einheit 7/8-71: Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus, veröffentlicht vom Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 1971, S. 1167.
- Vgl. Wadim S. Rogowin: Weltrevolution und Weltkrieg. (OT: Vadim Zakharovich Rogovin, Wadim S. Rogowin: Mirovaia revoliutsiia i mirovaia voĭna.) Aus dem Russischen übersetzt von Hannelore Georgi und Harald Schubärth. Arbeiterpresse Verlag, 2002, ISBN 3-88634-082-1, S. 171.
- Klaus Hildebrand: Das Dritte Reich. Oldenbourg Grundriss der Geschichte, München 1991, S. 36.
- Das Münchner Abkommen im LeMO.
- Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler, 26. Auflage, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2006 [zuerst München 1978], S. 51.
- Zur zeitgenössischen Verwendung Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst!“. Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945, Pantheon/Siedler, München 2009, ISBN 3-88680-843-2, S. 124 f.; vgl. Eduard Hemmerle, Deutsche Geschichte. Von Bismarcks Entlassung bis zum Ende Hitlers, Kösel, 1948, S. 431.
- Jochen A. Frowein: Konfliktbewältigung im Völkerrecht. In: Frank R. Pfetsch (Hrsg.): Konflikt, Springer, Berlin/Heidelberg/New York 2004, S. 150; Gregor Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 2004, S. 125 f.
- Libor Rouĉek, Die Tschechoslowakei und die Bundesrepublik Deutschland, 1949–1989: Bestimmungsfaktoren, Entwicklungen und Probleme ihrer Beziehungen, Tuduv, 1990, S. 170 u. ö.
- Gerhard Hopp: Machtfaktor auch ohne Machtbasis? Die Sudetendeutsche Landsmannschaft und die CSU. VS Verlag, Wiesbaden 2010, S. 230.
- Joachim Bentzien: Die völkerrechtlichen Schranken der nationalen Souveränität im 21. Jahrhundert, Peter Lang, Frankfurt am Main 2007, S. 70, Anm. 136.