Mobilmachung
Mobilmachung bedeutet die Vorbereitung der Streitkräfte eines Staates auf den Einsatz, meist für einen Angriffs- oder Verteidigungskrieg. Die bestehenden aktiven und teilaktiven Truppenteile werden mobilisiert (also „beweglich“ gemacht): Sie werden in die Lage versetzt, ihre Friedensstandorte zu verlassen, um Kampfhandlungen ausführen zu können. Bisher nichtaktive Truppenteile (vgl. Reserve) werden neu aufgestellt.
Die Rücknahme der Mobilmachung ist die Demobilisierung.
Arten der Mobilmachung
Bei einer Generalmobilmachung oder allgemeinen Mobilmachung werden alle Streitkräfte mobilisiert, bei einer Teilmobilmachung nur ein Teil der Streitkräfte.
Bei einer Mobilmachung werden die aktiven Truppen oft personell und materiell verstärkt. Bei der Bundeswehr wurde die Mobilisierung der Reservisten als „personelle Mobilmachung“ bezeichnet und die Requisition ziviler Ausrüstungsgegenstände (vor allem Kraftfahrzeuge und Sondermaschinen) als „materielle Mob-Ergänzung“.
Die Mobilmachung kann offen oder verdeckt erfolgen.
Bei der Schweizer Armee werden die militärdienstpflichtigen Bürger von den zivilen Behörden zum Aktivdienst aufgeboten. Da die Schweizer Milizarmee – außer den gerade in Ausbildung befindlichen – keine stehenden Truppen unterhält, haben die Militärdienstpflichtigen ihre persönliche Ausrüstung und Waffe zu Hause aufzubewahren, um eine schnellere Mobilmachung zu ermöglichen.
Historische Beispiele
Mobilmachungen wirkten zum Beispiel während der Julikrise 1914 verschärfend: Keine der beteiligten Mächte glaubte auf eine frühe Mobilmachung verzichten zu können; die Mobilisierung trug zu einer Eskalation der Krise bei.
Die DDR als das am westlichsten gelegene Land und als ein Frontstaat des Warschauer Paktes hatte eine aufwändige Infrastruktur für schnelle Mobilmachung: Betriebskampfgruppen, Wehrsport im Rahmen der Wehrerziehung und vieles andere mehr, siehe auch Mobilmachungsdivisionen (NVA). 1977 erprobte die DDR ein neues Mobilmachungssystem und die paramilitärischen Kampfgruppen wurden aufgerüstet, um die Kampfbereitschaft der NVA zu erhöhen.[1]
Mobilmachung Bundeswehr und Verbündete (1980er Jahre)
Aus einer Spannungssituation zwischen den beiden Supermächten USA und UdSSR, beziehungsweise ihrer Militärbündnisse NATO und Warschauer Pakt, hätte der Verteidigungsfall für die Bundesrepublik Deutschland ausgelöst werden können. Bei einem eventuellen Krieg zwischen den beiden Kontrahenten wäre die Vorwarnzeit[2] von entscheidender Bedeutung gewesen, weil diese einen entscheidenden Einfluss auf die Alarmierung und Mobilisierung gehabt hätte.[3]
Auf der politischen Ebene würde der Bundestag feststellen, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder dass ein solcher Angriff unmittelbar droht und ruft unter Zustimmung des Bundesrates den Verteidigungsfall aus. Die Bundesregierung war in diesem Fall dazu ermächtigt, den Verteidigungsfall (Landesverteidigung) gemäß Artikel 115 im Grundgesetz auszurufen. Daraufhin konnten Notstandsgesetze verhängt werden. Bei unmittelbarer Bedrohung hätte die Bundesregierung die Möglichkeit gehabt, für die Absicherung der Regierungsarbeit in die unterirdische Dienststelle Marienthal als Ausweichsitz der Verfassungsorgane zu verlegen.
Im Vorfeld ließ der SACEUR für Westeuropa den NATO-Alarm auslösen. Der NATO-Alarm unter der Deckbezeichnung ACTIVE EDGE[4][5] war eine jährliche/halbjährige[6] Alarmierungs- und Mobilisierungsübung der NATO-Streitkräfte nach den Eskalationsstufen SIMPLE ALERT, REINFORCED ALERT und GENERAL ALERT. Im Vorfeld ergaben sich häufig Vorwarnungen durch Militäraufklärung[7] über feindliche Truppenaufmärsche in Richtung innerdeutscher Grenze etc. Im Ernstfall wäre vom SACEUR je nach aktuellem Lagebild und Vorwarnzeit der GDP (General Defense Plan), bzw. der verkürzte EDP (Emergency Defense Plan[8]),[9] freigegeben und an die europäischen Kommandos CINCNORTH (Oberbefehlshaber Allied Forces Northern Europe), CINCENT (Oberbefehlshaber Allied Forces Central Europe) und CINCSOUTH (Oberbefehlshaber Allied Forces South Europe) weitergegeben worden.
Der SACEUR (Supreme Allied Commander Europe/Oberkommandierende des strategischen NATO-Kommandos Europa) alarmiert sämtliche NATO-Kommandostäbe und bereitete die Kommandostellen AFNORTH und AFCENT auf die Kriegssituation vor. Die Befehlskette verlief von AFNORTH und AFCENT (NORTHAG u. CENTAG) hinunter bis auf die NATO-Korps LANDJUT (AFNORTH), I. NL-Korps, I. DE-Korps, I. BR-Korps, I. BE-Korps, III. DE-Korps, V. US-Korps, VII. US-Korps und II. DE-Korps (alle AFCENT zugehörig). Besondere Maßnahmen ergingen an das NAEW (NATO Airborne Early Warning & Control Force Command), das Allied Air Command (AIRCOM) und andere Stellen. Außerdem gehörte dazu die Umsetzung der AirLandBattle-Doktrin unter besonderer Berücksichtigung der Luftverteidigung und die Vorbereitung von FOFA-Schlägen gegen den Truppenaufmarsch der 2. Staffel feindlicher WP-Kräfte in der Tiefe des feindlichen Raumes.
Alarmierung der Luftstreitkräfte
Das Erringen der Luftüberlegenheit war in den ersten Stunden eines scharfen Konfliktes zwischen den beiden Supermächten von entscheidender Bedeutung. Die Alarmierung der Luftstreitkräfte bedeutete zunächst eine erhöhte Alarmbereitschaft aller Abfangjägerrotten (z. B. Taktisches Luftwaffengeschwader 71 „Richthofen“ mit Phantom-Abfangjäger), das Aufsteigen in die Luft und der scharfe Einsatzbefehl (gem. Rules of Engagement), bei Verletzung des Luftraumes nicht mehr durch Abdrängen feindlicher Jagdflugzeuge (z. B. MiG-31) zu reagieren, sondern gezielt den Feuerkampf aufzunehmen.
Alarmierung der Luftverteidigung
Die Luftraumüberwachung der Luftverteidigungskräfte wurden maßgeblich durch die Tieffliegermelde- und Leitdienstabteilungen (TMLD) der Luftwaffe in Zusammenarbeit mit den AWACS gesteuert. Von den TMLD aus[10] wurden die HAWK- und Nike-Flugabwehrbatterien aktiviert. Die Flugabwehrbatterien, deren Feuerleitsysteme und Radarstellungen waren in einem Verteidigungsgürtel in der Nähe der innerdeutschen Grenze nach bestimmten geographischen Gesichtspunkten angeordnet, wobei berücksichtigt werden musste, dass die Luftstreitkräfte des WP in der Lage waren, den Radarhorizont der NATO-Großstellungen zu unterfliegen.[11]
Alarmierung der REFORGER-Kräfte
In Phase II konnte eine REFORGER-Verlegung (Return of Forces to Germany) von kanadischen und US-Streitkräften mittels Geleitzügen über den Nordatlantik in Häfen der Benelux-Länder oder der BRD befohlen werden. Nach Betreten des Kriegsschauplatzes Westeuropa sollten die neu eingetroffenen REFORGER-Kräfte aus POMCUS-Depots (Prepositioning Of Materiel Configured in Unit Sets) Ausrüstung und Gerät übernehmen und unverzüglich in die GDP-Räume verlegen. Für dieses Manöver gab es mit/ohne Seetransport eine Zeitvorgabe von zwei, drei bis vier Wochen.
Alarmierung der Reserven und Schneller Eingreifkräfte
Da das Eintreffen der REFORGER-Truppen eine Vorlaufzeit in Anspruch nahm, spielte die unmittelbare Verlegung des UKMF (UK Mobile Force) aus Großbritannien[12] in die Kriegszone Westdeutschland, in erster Linie im Gefechtsstreifen des I. BR-Korps eine wichtige Rolle. Hier war es lange Zeit lang die 1st UK-Infantry Brigade, die für diese Verwendung herangezogen wurde.
Alarmierung des Heeres
Als Ausgangslage vieler Alarmierungsübungen entwickelte sich aus politischen Spannungen eine militärische Eskalation. Daraus ergab sich nach kurzer bzw. mittelfristiger Vorwarnzeit ein Hochsetzen der einzelnen Stufen der Verteidigungsbereitschaft (Defense Conditions) von DEFCON-5 bis DEFCON-1 (GENERAL ALERT, COCKED PISTOL, Farbe Weiß).
An die Divisionen des Feldheeres erging in diesem Fall der Korpsbefehl, dass der für ihren Sektor gültige GDP in Kraft tritt. Daraufhin befahlen die Divisionen ihren Panzer- oder Panzergrenadierbrigaden und diese ihren Bataillonen, eine Verteidigung entlang des VRV (Vorderer Rand der Verteidigung) aufzubauen, bzw. das grenznahe Verzögerungsgefecht aufzunehmen.
Mob-Planung der Bundeswehr
Ein Großteil des Feldheeres wurde über den Aufwuchs der Mob-Reserve, von Friedens- auf Kriegsstärke, gestellt.[13] Dazu gehörte die Einberufung der Territorialreserve. Dies galt auch für Urlauber. Nach Durchgabe bestimmter Code-Wörter (z. B. „BLAUER AFFE“) über die Medien wie Fernsehen und Rundfunk erging der Aufruf an die Mob-Reservisten, unverzüglich die auf dem Mob-Bescheid angegebene Kaserne aufzusuchen. Die jeweiligen Kreiswehrersatzämter (KWE) berufen nach vorhandenen Mob-Stellen (V-StAN Dienstposten) und Gesamtbestand an Reservisten die Mob-Reserve ein. Parallel dazu trat der Mob-Ergänzungsplan an Kraftfahrzeugen in Kraft. Der Wortlaut eines Mob-Einberufungsbescheides konnte z. B. wie folgt lauten:
„Nach Verkündigung des Verteidigungsfalles bzw. nach dessen Eintritt haben Sie sich, ohne weitere Aufforderungen abzuwarten unverzüglich beim Truppenteil JgBtl 811 zum unbefristeten Wehrdienst gemäß §4 Abs.1 Nr. 4 des Wehrpflichtgesetz zum Diensteintritt zustellen. Das gilt auch, wenn die Bundesregierung durch öffentlichen Aufruf (Fernsehen, Hörfunk, Presse) für die Alarmreserve geschlossen (ohne Rücksicht auf das Kennwort) oder einen Teil der Alarmreserve mit demselben Kennwort eine als Bereitschaftsdienst abzuleistende Wehrübung von unbestimmter Dauer anordnet.“
Ablauf NATO-Alarm auf Bataillons- und Kompanieebene (PzGrenBtl)
Ein NATO-Alarm untergliederte sich in folgende Einzelphasen: Alarmierung – Mobilmachung/Mobilisierung – Aufmarsch vom Verfügungsraum in den GDP-Stellungsraum und dort Herstellung der Abwehrbereitschaft.
Bei NATO-Alarm wird die Alarmierung gemäß Alarmkalender[14] vorgenommen. Im ersten Schritt (hier idealisiert dargestellt) alarmierte der S3-Stabsoffizier[15] des Panzergrenadierbataillons den Unteroffizier vom Dienst (UvD). Der Zweite in dieser Kette war der Zugführer vom Dienst und dieser alarmierte den Kompaniechef, den Kompanietruppführer und den Kompaniefeldwebel. Der Zugführer vom Dienst alarmierte daraufhin die drei Züge der Kampfkompanie. In diesem Schritt wurde den Panzerbesatzungen und Schützentrupps befohlen, private Gegenstände zu verstauen, die Kampfausrüstung anzulegen und an der Waffenkammer die StAN-Waffe mit Munition zu empfangen. Hinzu kam das Aushändigen bestimmter Ausrüstungsgegenstände für den Ernstfall, wie z. B. der Atropin-Selbstinjektor.[16] Die Panzerbesatzungen (Richtschütze und MKF – Militärkraftfahrer) bereiteten die Schützenpanzer Marder im T-Bereich der Kaserne marsch- und gefechtsfertig vor, bis die feldmarschmäßigen Schützentrupps nach Antreten vor Kompaniechef und Zugführern, Lagedarstellung und Befehlsausgabe, auf den Gefechtsfahrzeugen aufsitzen. Anschließend marschiert die Panzergrenadierkompanie nach bestimmter Marschordnung aus der Kaserne heraus und wartet im Verfügungsraum (üblicherweise der Standortübungsplatz) auf weitere Befehle, wie z. B. durch den Bataillonsstab das Einfließen in den grenznahen GDP-Raum.
Phasen der Mobilisierung an der innerdeutschen Grenze
Hier gab es unterschiedliche Szenarien bzgl. der Verlege-/Verschiebemanövern zwischen Bundeswehr und Bundesgrenzschutz. Je nach Konfliktlage sollten Bundeswehrverbände die Grenzschutzkommandos (GSK) des BGS an der Zonengrenze ablösen und sie durch das jeweilige Korpsgebiet geleiten, um mit Verzögerungskräften und aufmarschierenden Deckungstruppen die grenznahe Verteidigung zu übernehmen. Grundsätzlich untergliederte sich die Mobilisierung in:
- Aufmarschphase durch Dislozierung der Heeresdivisionen
- Aufmarschphase der NATO-Truppen in die vorgesehenen GDP-Räume
Die Deckungskräfte, überwiegend verstärkte Panzeraufklärungsverbände spielten in der Planung eine entscheidende Rolle dabei, wie lange und wie wirkungsvoll eine Bodenoffensive des Warschauer Paktes in der Verzögerungszone von ca. zehn Kilometern Tiefe hätte verzögert und wie stark die angreifenden Panzerverbände hätte abgenutzt werden können.
Literatur
- Hermann Rahne: Mobilmachung. Militärische Mobilmachungsplanung und -technik in Preußen und im Deutschen Reich von Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Militärverlag der DDR, Berlin (Ost) 1983.
- Geheime Vorschrift H.Dv.g. 151, Mobilmachungsplan für das Heer, 1938.
Weblinks
- Hervé de Weck: Mobilmachung. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- NATO Mobilization and Reinforcement: Can we get there from here? A Monograph by Lieutenant Colonel Dennis G. Heapy. Fort Leavenworth, Kansas, 1990 (PDF, englisch)
- Warsaw Pact Mobilization and Reinforcement. CIA-Dokumentation, Februar 1971 (PDF, englisch)
- Jeffrey Simon: NATO – Warsaw Pact Forces Mobilization. The National Defense University Press, Washington, D.C. 1988 (PDF, englisch)
Anmerkungen
- Aktion M. In: Der Spiegel. Nr. 11, 1977 (online).
- englisch Advance Warning
- es wurde häufiger diskutiert, ob der Warschauer Pakt mit den in der DDR stationierten GSSD-Truppen für einen Angriff aus dem Stand in der Lage gewesen wäre
- NATO-Alarmübung „ACTIVE EDGE“
- Die NATO-Alarmübungen ACTIVE EDGE hatten normalerweise eine Dauer von 36 Stunden, bzw. mit Vor- und Nachlauf drei Tagen.
- Z. B. ACTIVE EDGE I/86 u. ACTIVE EDGE II/86.
- i. d. Regel Satellitenaufklärung
- Beispiel SACEUR’s Emergency Defense Plan – 1958 (PDF)
- Bruno Thoß: NATO-Strategie und nationale Verteidigungsplanung. Planung und Aufbau der Bundeswehr unter den Bedingungen einer massiven atomaren Vergeltungsstrategie 1952 bis 1960 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1). Oldenbourg, München 2006, ISBN 978-3-486-57904-8, S. 499.
- Ehemalige Einsatzstellungen der TMLD-Fernmeldestellen an der Zonengrenze
- Der NATO-Luftverteidigungsgürtel in Niedersachsen – Radarführung
- David Miller: The Cold War: A Military History. St Martins Press, 1999, ISBN 978-0-312-24183-4, S. 243–244.
- Zur Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr im Kalten Krieg, in der Nachwendezeit und nach Aussetzung der Wehrpflicht. Deutscher Bundestag. WD 2 – 3000 – 032/18. 2018
- unter Verschluss gehaltenes Dokument. Der Alarmkalender listete die zeitliche Reihenfolge der Einzelaufträge gem. Alarmmaßnahme auf und schrieb die Verfahren vor
- Stellvertretender Bataillonskommandeur, Stabschef und neben dem Bataillonskommandeur Planung und Leitung der laufenden Operationen
- für Selbst- und Kameradenhilfe b. C-Angriffen