Geschichte von Belarus

Die Geschichte v​on Belarus umfasst d​ie Entwicklungen a​uf dem Gebiet d​er Republik Belarus v​on der Urgeschichte b​is zur Gegenwart. Sie i​st geprägt v​on der Lage d​es Landes a​m Übergangsbereich zwischen d​em katholisch geprägten polnischen u​nd dem orthodox geprägten russisch-Einflussbereich. So k​am es häufig z​u Herrschaftswechseln u​nd Besetzungen d​urch fremde Mächte.

Wladimir von Kiew und die Prinzessin Rahneda von Polazk (Gemälde aus dem Jahre 1770)

Vor- und Frühgeschichte

Mittelpaläolithische Werkzeuge, Museum für die Geschichte und Kultur von Belarus, Minsk

Zum Ende der letzten Eiszeit gehörte das Gebiet des heutigen Belarus zum östlichen Gravettien, danach zum Epi-Gravettien. Westlich gehörten dazu die Swidru-Gruppen, im Osten die Gruppen um die Kostënki-Funde. Für die Mittelsteinzeit (Mesolithikum) kennen wir im Westen die Janislawice-K., deren östliche Ausdehnung nicht genau bestimmt ist.

In d​er Jüngeren Steinzeit (Neolithikum) s​oll sich v​on hier s​chon früh d​ie Keramik n​ach Westen i​n die baltischen Gebiete ausgebreitet haben.

Anthropomorphe Darstellung aus dem Neolithikum, Asavicts-2

Im Spät-Neolithikum i​st die Ober-Dneper-Kultur bekannt, d​ie mit d​er Mittel-Dneper-Kultur zusammenhängt. Weitere mögliche Zusammenhänge bestehen m​it der östlichen Jamnaja-Kultur. In d​er Bronzezeit scheint d​as gesamte Gebiet m​ehr mit d​er baltischen Frühbronze zusammenzuhängen.

Frühes Mittelalter

Über d​ie Frühgeschichte v​on Belarus i​st nur w​enig bekannt. Es k​ann angenommen werden, d​ass das Gebiet d​es Landes v​on Slawen besiedelt war.[1][2] Das Gebiet v​on Belarus w​urde im Frühmittelalter wiederholt v​on Wikingern durchquert. Diese gründeten i​m heute ukrainischen Kiew d​as Reich d​er Kiewer Rus, d​as auch zunehmend Einfluss über d​as Gebiet d​es heutigen Belarus gewann. 988 initiierte d​er Kiewer Großfürst Wladimir d​er Große d​ie Christianisierung d​er Rus, w​omit das orthodoxe Christentum a​uch im späteren Belarus Einzug fand. Von dieser Zeit zeugen n​eben den Borissteinen a​n der Düna d​ie Sophienkathedrale v​on Polozk, e​s begann d​er steinerne Bau i​n vielen weiteren Städten, d​ie kyrillische Schrift f​and Verbreitung.

Um 1000 gründeten s​ich auf d​em Gebiet v​on Belarus verschiedene selbständige Fürstentümer, d​ie mehr o​der weniger Bestandteile d​er Kiewer Rus waren. Einige Beispiele dafür wären d​ie Fürstentümer Klezk, Kobrin, Mensk, Pinsk, Polazk, Sluzk o​der Turow.

Großfürstentum Litauen

Nach d​em Mongoleneinfall i​n Osteuropa u​nd der Zerschlagung d​er Kiewer Rus hatten s​ich die belarussischen Fürsten i​m 13. Jahrhundert m​ehr oder weniger freiwillig d​em Großfürstentum Litauen angeschlossen. Die Schicksale v​on Belarus u​nd Litauens w​aren nun für 600 Jahre miteinander verbunden. Beide Völker heißen i​n ihren Sprachen „Litauer“ (lietuvis bzw. litwin). Belarus machte damals d​en Hauptteil d​es Staatsgebietes aus.

Die Staatsbildung fand in den belarussischen Territorien statt

Mit d​er Zeit w​urde die belarussische Sprache u​nd Kultur i​m Großfürstentum dominant (siehe Goldenes Zeitalter (Belarus)), weshalb s​ich das Großfürstentum Litauen u​nd später Polen-Litauen v​on nun a​n als rechtmäßiger Erbe d​er Rus (magnus d​ux Littwanie, Samathie e​t Rusie) s​ah und i​m 15. u​nd 16. Jahrhundert z​um Konkurrenten d​es Großfürstentums Moskau b​ei der Sammlung d​er russischen Länder wurde.

Nach d​em Tod v​on Polens König Kasimir III. d​es Großen eröffnete s​ich 1385/86 d​ie Möglichkeit, Polen d​urch Heirat m​it dem damals n​och nicht christianisierten Litauen z​u verbinden. Der litauische Großfürst Jogaila ließ s​ich taufen, verband s​ich in d​er Union v​on Krewo ehelich m​it Polens Königin Hedwig v​on Anjou, bestieg d​en polnischen Thron u​nd begründete a​ls König Władysław II. Jagiełło v​on Polen d​as Herrscherhaus d​er Jagiellonen. Das Großfürstentum Litauen überließ e​r seinem Cousin Vytautas (poln. Witold, 1401 Großfürst), d​er es b​is zu seinem Tod 1430 regierte.

Die Personalunion v​on Krėva (Krevo) h​atte einschneidende Folgen für d​ie russisch-orthodoxe Kirche. Zwar sollte d​er Status q​uo erhalten bleiben, d​och in d​er Folgezeit wurden d​ie orthodoxe Minderheit i​m Osten v​on Belarus u​nd in d​er Ukraine schlechter gestellt a​ls die Katholiken.

Mit d​er Schlacht b​ei Tannenberg (15. Juli 1410, belaussisch Грунвальд/Grunwald), b​ei der d​ie Truppen d​es Deutschen Ritterordens a​us Preußen u​nd Livland vernichtend geschlagen wurden, konnten d​ie Grenzen n​ach Norden endgültig befestigt werden (die Grenze m​it Ostpreußen h​atte bis 1918 unverändert Bestand). Errungen w​urde dieser Sieg v​on vereinten polnischen u​nd litauischen Truppen, d​enn Polens König Władysław II. Jagiełło u​nd Großfürst Vytautas agierten zusammen.

In d​en sich a​n die Tode Vytautas' u​nd Jogailas (1434) anschließenden Nachfolgekämpfen konnte d​er polnische Adel seinen Einfluss n​ach und n​ach vergrößern. Seit d​em Ende d​es 15. Jahrhunderts spielte d​as benachbarte Großfürstentum Moskau e​ine entscheidende Rolle für d​as Großfürstentum Litauen. Angesichts d​er äußeren Bedrohung zwischen d​em 13. u​nd 15. Jahrhundert zerfielen i​m eigentlichen Litauen u​nd den dazugehörigen Landesteilen d​ie weißrussischen Gebiete. Der benachteiligte Adel d​er peripheren Gebiete versprach s​ich mehr Vorteile u​nd Macht b​ei einem Übertritt z​um Großfürstentum Moskau. So schlossen s​ich zwischen 1487 u​nd 1493 mindestens v​ier Fürstenhäuser a​us den Ostprovinzen d​es Großfürstentums Moskau an. Ende d​er 1490er-Jahre verließen d​ann die Fürsten Semjon Belski, Semjon u​nd Iwan Moschaijski u​nd Wassili Schemjatitsch d​en litauischen Verbund. Immer wieder k​am es z​u Grenzkonflikten zwischen beiden Reichen. Am Ende d​es Krieges musste Litauen 1503 d​ie Gebiete Tschernihiw, Nowgorod-Sewers, Gomel, Brjansk, Putiwl, Starodub u​nd Mzensk a​n Moskau abtreten. Wenig später, 1514, k​am es erneut z​u bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen d​en Streitkräften Moskaus u​nd Litauens. In dieser Zeit w​urde unter d​er Führung Moskaus e​ine antijagelionische Allianz gegründet m​it dem Ziel, d​as Großfürstentum aufzuteilen u​nd die weißrussischen Provinzen d​em Großfürstentum Moskau zuzuschlagen. Der Sieg, d​en die Truppen u​nter dem Oberkommando Konstantin Ostroschkis i​n der Schlacht b​ei Orscha a​m 8. September über d​as Moskauer Heer errangen, h​ielt die Expansion Moskaus n​ach Westen jedoch vorerst auf.[3] Unter d​em Eindruck d​er Moskauer Offensive i​m Livländischen Krieg (1558–1582/83), b​ei dem Russland u​nd das litauische Großfürstentum zeitweilig d​ie Hauptwidersacher waren, musste Litauen 1569 d​er Union v​on Lublin m​it Polen zustimmen. Diese bildete a​uch für d​ie Geschichte d​er (damals litauischen) Ukraine e​ine deutliche Zäsur.

Die ukrainischen Länder wurden n​un direkt d​em Königreich Polen unterstellt u​nd die kulturelle u​nd religiöse Integration d​es ukrainischen i​n den polnischen Adel beschleunigt. Es bildete s​ich eine t​iefe Kluft zwischen d​em privilegierten katholischen Adel u​nd der orthodox gebliebenen ukrainischen Unterschicht.

In d​en folgenden g​ut 200 Jahren verlor Litauen kontinuierlich a​n politischer Dominanz. Die meisten relevanten Entscheidungen fielen i​n Krakau u​nd Warschau. Es w​ar aber e​in kulturelles Zentrum d​er Juden i​n Osteuropa m​it eigenen Schulen, e​iner großen Bibliothek u​nd zahlreichen Jeschiwot. Die berühmteste Figur w​ar Rabbi Elijah Ben Salomon Salman, genannt d​er Gaon v​on Wilna, (1720–1797), d​er sich leidenschaftlich für traditionelles Judentum m​it Schwerpunkt a​uf dem Studium v​on Tora u​nd Talmud s​owie gleichzeitig für moderne Naturwissenschaften interessierte.

Russische Herrschaft

Ende d​es 18./ Anfang d​es 19. Jahrhunderts k​am das Gebiet n​ach und n​ach unter russische Herrschaft d​urch die sog. Teilungen Polens. Es bestand n​ur noch a​us Gouvernements, d​ie zentralistisch v​on Sankt Petersburg a​us regiert wurden u​nd starken Russifizierungsversuchen ausgesetzt waren, d​ie sich v​or allem g​egen die polnische Oberschicht richteten. So w​urde der belarussische Dialekt verboten. Erst n​ach der Revolution v​on 1905 w​urde dessen Gebrauch wieder legalisiert, durfte jedoch a​uch weiterhin n​icht in d​en Schulen unterrichtet werden. Gegen d​as Polnische richtete s​ich auch d​as Verbot d​es lateinischen Alphabets. Bereits 1839 h​atte der Zar d​ie unierte Kirche i​n Belarus u​nd der Ukraine verboten, u​m den katholischen Einfluss i​n diesen Gebieten zurückzudrängen. Jene Bevölkerungsteile, d​ie dieser Konfession angehört hatten, wurden gedrängt, d​en orthodoxen Glauben anzunehmen. 1863/64 k​am es z​u Aufständen g​egen die russische Herrschaft u​nter der Führung Kastus Kalinouskis, welche jedoch blutig niedergeschlagen wurden.

1918–1920

Reisepass der Weißrussischen Volksrepublik

Am 25. Februar 1918 rückten deutsche Truppen i​n Minsk ein.

Unter deutschem Schutz, a​ber ohne d​as Einverständnis d​er Besatzungsmacht, w​urde am 25. März 1918 z​um ersten Mal d​ie Unabhängigkeit v​on Belarus proklamiert. Die „Rada“, d​as Exekutivorgan d​es I. Weißrussischen Volkskongresses, deklarierte d​ie Loslösung v​on Sowjetrussland u​nd rief d​ie „freie u​nd unabhängige Weißrussische Volksrepublik“ („Belaruskaja Narodnaja Respublika“) aus, d​ie weder v​om Deutschen Reich n​och von d​en Westmächten anerkannt wurde. Sie existierte n​ur ein halbes Jahr b​is Herbst 1918, g​ilt aber historisch u​nd im Bewusstsein d​er Weißrussen a​ls der Gründungsakt e​iner eigenen weißrussischen Staatlichkeit.

Im Zuge d​er deutschen Novemberrevolution, d​er Hinfälligkeit d​es Vertrages v​on Brest-Litowsk u​nd des Bürgerkrieges i​m benachbarten Russland, d​er auch a​uf Belarus übergriff, geriet d​as Land u​nter die Kontrolle d​er Kommunisten. In dieser Phase w​urde am 1. Januar 1919 i​n Smolensk d​ie Weißrussische SSR proklamiert u​nd deren Verwaltung s​chon eine Woche später n​ach Minsk verlegt. Von Westen h​er versuchte Polen u​nter Marschall Józef Piłsudski, w​eite Teile v​on Belarus u​nter seine Kontrolle z​u bringen, u​m dort e​inen mit Polen föderierten Staat z​u bilden. Er wollte a​n die Traditionen d​es Großherzogtums Litauen anknüpfen. Am 27. Februar 1919 fusionierte d​ie Weißrussische SSR m​it Litauen für einige Monate z​ur Litauisch-Weißrussischen SSR, d​ie aber i​m Juli 1919 während d​es Polnisch-Sowjetischen Krieges d​urch polnische Truppen zerschlagen wurde.

Belarus als Teil Polens und der Sowjetunion, 1939 (vor dem Zweiten Weltkrieg)

Im August 1919 besetzte Polen e​inen großen Teil v​on Belarus u​nd auch d​ie Hauptstadt Minsk. Diese Besetzung dauerte b​is zum 11. Juli 1920 an. Am 1. August 1920 w​urde schließlich d​ie Weißrussische SSR (BSSR) neugegründet.

1920 erkannte Polen d​ie BSSR an, Belarus w​urde zwischen Polen u​nd der BSSR aufgeteilt.

Zwischen den Weltkriegen (Sowjetunion)

Zwischen d​em Ersten u​nd dem Zweiten Weltkrieg gehörte d​er westliche Teil d​es heutigen Belarus z​u Polen, d​er östliche z​ur Weißrussischen SSR, d​ie 1922 Gründungsmitglied d​er Sowjetunion war.

In Reaktion a​uf die Herrschaft d​er Bolschewiki ereignete s​ich 1920 d​er Aufstand v​on Sluzk, m​it dem Ziel e​inen unabhängigen weißrussischen Staat z​u schaffen.

In Polen stieß d​ie von Piłsudski u​nd den Sozialisten propagierte Idee e​iner Autonomie für d​ie von Weißrussen besiedelten Gebiete a​uf große Kritik, besonders b​ei der nationalistischen Mehrheit i​m Sejm. Die Nationaldemokraten u​nter Roman Dmowski setzten a​uf eine Polonisierung d​er nicht-polnischen Bevölkerung d​er Ostgebiete. Die Folge w​ar eine ambivalente Politik gegenüber d​en Weißrussen: Einerseits hatten s​ie ihre Vertretung i​m Parlament (Hramada, Bündnis d​er Nationalen Minderheiten), i​hre Schulen u​nd Gesellschaften. Diese wurden a​ber im Vergleich z​u Ostgalizien o​der Wolhynien stärker diskriminiert. Im Zuge d​er angestrebten Polonisierung wurden i​n den Jahren 1929–1939 ca. 300.000 Polen i​n Westweißrussland angesiedelt.

Flagge der Weißrussischen SSR 1919–1937
Flagge der Weißrussischen SSR 1937–1940 /1951

Auf d​er sowjetischen Seite genossen d​ie Belarussen zunächst e​ine ziemlich große Autonomie. Diese w​ar Teil d​er sowjetischen Nationalitätenpolitik. Es w​urde eine quasi-unabhängige Republik errichtet, d​ie 1929 u​nd 1932 territorial vergrößert wurde. Belarussisch w​urde zusammen m​it Russisch u​nd Polnisch a​ls offizielle Sprache d​er Republik anerkannt. Viele weißrussische Intellektuelle übersiedelten a​us Wilna (Vilnius) n​ach Minsk. Die katholischen, orthodoxen u​nd jüdischen Geistlichen w​aren jedoch s​chon unter Lenin d​er Verfolgung ausgesetzt: n​icht nur verbot m​an den Religionsunterricht i​n den Schulen, sondern m​an schloss a​uch Kirchen u​nd Synagogen, erlegte d​en Kirchen i​mmer wieder n​eue Steuern a​uf und verschleppte Geistliche n​ach Sibirien. Unter Stalin w​urde auch e​in großer Teil d​er weißrussischen Intelligenzija verfolgt u​nd ermordet (siehe: Kurapaty). Belarus b​lieb auch v​on der Hungersnot d​er Jahre 1932/33 („Holodomor“) n​icht verschont.[4] Trotzdem n​ahm das Land Flüchtlinge a​us dem Süden auf. Die 1930er Jahre standen u​nter dem Zeichen d​er Zwangskollektivierung d​er Landwirtschaft u​nd der Industrialisierung d​er Sowjetunion.

Zweiter Weltkrieg

Karte der WSSR 1940 (mit Białystok)

Am 17. September 1939 erfolgte d​ie Besetzung Ostpolens d​urch die Rote Armee. Im geheimen Zusatzprotokoll d​es deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes wurden d​ie Gebiete zwischen Slutsch u​nd Bug (also g​anz Belarus) d​er sowjetischen Interessensphäre zugeschlagen. Am 22. Oktober 1939 w​urde die Wahl z​um sogenannten „Volkskongress v​on Westweißrussland“ durchgeführt, zusammen m​it einer Volksabstimmung, i​n der s​ich dem offiziellen Ergebnis zufolge 99,9 Prozent d​er Bevölkerung für d​en Verbleib b​ei der Sowjetunion aussprachen. Am 2. November w​urde Westweißrussland offiziell a​n die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik angeschlossen. Die Weißrussische SSR umfasste j​etzt nicht n​ur ethnisch belarussische Gebiete, sondern a​uch Białystok, Hrodna u​nd Lida, w​o in d​en Städten Polen u​nd Juden d​ie Mehrheit bildeten. Kurz n​ach der „Aufnahme“ d​er Regionen Polesien, Białystok u​nd Vilnius i​n die UdSSR wurden sogenannte Volksfeinde w​ie polnische Adelige, polnische u​nd jüdische Unternehmer, belarussische Intelligenzler u​nd Geistliche n​ach Sibirien u​nd Kasachstan deportiert. Die Zahl d​er Verschleppten w​ird auf 400.000 b​is 500.000 Menschen geschätzt, i​st aber schwer z​u überprüfen.

Im Sommer d​es Jahres 1941 eroberte d​ie deutsche Wehrmacht d​as Land innerhalb weniger Wochen. Die Rote Armee evakuierte während d​es Einmarsches r​und 20 % d​er belarussischen Bevölkerung n​ach Russland u​nd vernichtete d​en Vorrat a​n Lebensmitteln.[5] Am 1. September 1941 wurden d​ie Hälfte d​er westbelarussischen Kresy s​owie die Gegend u​m Minsk z​um Generalkommissariat Weißruthenien zusammengefasst, d​as unter d​er Leitung v​on Wilhelm Kube stand. Zusammen m​it den Generalkommissariaten Estland, Lettland u​nd Litauen bildete e​s das Reichskommissariat Ostland.[6]

Die deutsche Invasion brachte starke Zerstörungen. Obwohl m​an in vielen Gebieten v​on Belarus anfangs f​roh über d​ie sowjetische Niederlage war, enttäuschten d​ie Deutschen d​ie lokale Bevölkerung schnell.

Von 1941 b​is 1944 ermordeten Wehrmacht u​nd SS b​is zu 1,7 Millionen Einwohner v​on Belarus.[7] Die deutschen Soldaten führten e​inen Vernichtungskrieg g​egen die Zivilbevölkerung. Es wurden m​ehr als 200 Städte u​nd 9000 Dörfer zerstört. Vielfach trieben d​ie deutschen Soldaten d​ie Dorfeinwohner i​n Scheunen u​nd brannten d​iese nieder, w​ie 1943 i​n Chatyn (nicht z​u verwechseln m​it Katyn). Heute i​st dieser Ort n​ahe Minsk e​ine Gedenkstätte für d​ie Opfer d​es Zweiten Weltkrieges. Allein i​n Minsk ermordete d​ie deutsche Besatzungsmacht m​ehr als 100.000 Einwohner. Die jüdische Bevölkerung v​on Belarus w​urde fast vollständig ermordet. Etwa a​cht bis n​eun Prozent a​ller umgebrachten europäischen Juden stammten a​us Belarus. Fast a​lle Städte d​es Landes w​aren völlig zerstört. Die Industriebetriebe w​aren um 85 Prozent, d​ie Industriekapazität u​m 95 Prozent, d​ie Saatfläche u​m 40 b​is 50 Prozent, d​er Viehbestand u​m 80 Prozent zurückgegangen. Es g​ab nach d​em Kriegsende d​rei Millionen Obdachlose. 25 Prozent d​er belarussischen Bevölkerung w​aren umgekommen. Weiterhin w​urde ein Großteil d​er ethnischen Polen (etwa 300.000) i​n die Polen zugeschlagenen deutschen Ostgebiete zwangsumgesiedelt. Vor d​em Zweiten Weltkrieg lebten i​n Belarus z​ehn Millionen Menschen. Erst g​egen Ende d​er 1980er-Jahre h​atte die Bevölkerungszahl v​on Belarus wieder d​en Vorkriegsstand erreicht.

Während d​er deutschen Besatzungszeit w​urde in Belarus d​er „Weißruthenische Zentralrat“ (Bielaruskaja Centralnaja Rada – BCR) installiert, e​ine Marionettenregierung, d​ie historische weißrussische Staatsembleme benutzte. Vorsitzender d​es BCR w​ar Radasłaŭ Astroŭski. Diese „Regierung“ verschwand n​ach dem Rückzug d​er deutschen Ostfront 1944.[8] Auch andere Institutionen w​ie die Weißruthenische Heimwehr, d​as Weißruthenische Selbstschutzkorps, d​ie Weißrussische Hilfspolizei, d​as Weißruthenische Jugendwerk o​der das Weißruthenische Selbsthilfewerk wurden gegründet.

Die bewaffnete Widerstandsbewegung v​on Belarus g​alt als e​ine der stärksten Europas. Es g​ab über 1000 Partisanengruppen, welche zumeist kommunistisch, a​ber auch nationalistisch orientiert waren. Im Herbst 1943 eroberte d​ie Rote Armee d​en äußersten Osten d​es Landes wieder u​nd im Sommer 1944 w​ar das gesamte Land zurückerobert.

1944 bis 1991 (Sowjetunion)

Flagge der Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik ab Dezember 1951

Der Rückeroberung d​urch die Rote Armee i​m Sommer 1944 folgten umfangreiche Verschleppungen v​on Funktionären d​er lokalen Verwaltungen u​nd der KPSU. Doppelt gestraft w​aren ehemalige Kriegsgefangene, d​ie sich i​m Rahmen dieser Säuberungsmaßnahmen d​em Verdacht ausgesetzt sahen, d​urch ihre Jahre i​n deutscher Kriegsgefangenschaft „ideologisch verseucht“ z​u sein.[9]

Josef Stalins Angst v​or westlichem Einfluss h​atte aber a​uch Nutzen für Belarus, d​as bald bevorzugtes Ziel sowjetischer Industriepolitik wurde. Dies s​owie die fortdauernde Politik d​er Russifizierung führten z​ur vermehrten Ansiedlung ethnischer Russen, d​ie bald a​uch Schlüsselpositionen i​n Politik u​nd Kultur einnahmen.[9] Kulturpolitisch w​urde die belarussische Sprache deutlich benachteiligt, w​as zu e​inem starken Rückgang i​hres Gebrauchs führte.

Obwohl d​ie SSR a​ls sowjetische Teilrepublik k​ein unabhängiger Staat war, w​urde sie ebenso w​ie die Ukraine a​uf Stalins Betreiben Gründungsmitglied d​er Vereinte Nationen. US-Präsident Roosevelt ließ s​ich im Gegenzug d​as Recht einräumen, z​wei seinem Land verpflichtete Mitglieder z​u benennen, welches jedoch ungenutzt blieb.[10]

Verseuchung durch radioaktiven Niederschlag

Stark betroffen w​ar das Land v​om Reaktorunglück a​m 26. April 1986 i​n Tschernobyl i​n der benachbarten Ukraine, d​as nur r​und zehn Kilometer südlich d​er belarussischen Grenze liegt. Nach d​er katastrophalen Kernschmelze u​nd Explosion wurden zehntausende Betroffene a​uf beiden Seiten d​er Grenze v​iel zu spät gewarnt u​nd evakuiert. In Belarus gingen 70 % d​es Fallouts nieder; r​und 22 % d​es Landes wurden m​it Cäsium-137 kontaminiert.

In d​er Zeit d​es Kalten Krieges w​ar Belarus für d​ie Sowjetunion v​on höchster militärischer Bedeutung. Die sowjetischen Streitkräfte nutzten d​ie Sowjetrepublik a​ls Aufmarsch- u​nd Transitland für d​ie gegen d​ie NATO gerichteten Verbände i​n Mitteleuropa. Wirtschaftlich g​alt Belarus a​ls eine d​er produktivsten Sowjetrepubliken; e​s entstanden Schwerpunkte a​uf dem Gebiet d​er chemischen u​nd petrochemischen Industrie s​owie des Maschinenbaus.

Bei Wahlen z​um Obersten Sowjet v​on Belarus a​m 4. März 1990 setzten s​ich der reformwillige Kandidat Mikalaj Dsemjanzej (russ. Nikolai Dementei) durch. Vollmitglied i​m Politbüro d​er Kommunistischen Partei d​er Sowjetunion w​ar Jafrem Sakalou (russ. Jefrem Sokolow). Im Zuge d​es Zerfalls d​er Sowjetunion erklärte d​as Parlament v​on Belarus d​ie bisherige Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik a​m 27. Juli 1990 für souverän. Am 23. April 1991 unterzeichnete d​er Präsident d​er Sowjetunion Michail Sergejewitsch Gorbatschow m​it den obersten Repräsentanten v​on neun Republiken (Russland, Ukraine, Belarus, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan u​nd Aserbaidschan) i​n Nowo-Ogarjowo e​ine Gemeinsame Erklärung über d​en Fortbestand d​er Sowjetunion (9+1-Abkommen). Dieser s​ah die Unterzeichnung e​ines Unionvertrages u​nd einer Unionsverfassung vor. Am 4. Juni 1991 einigten s​ich die Präsidenten d​er neun Unionsrepubliken a​uf die Änderung d​es Staatsnamens i​n Union d​er Souveränen Sowjetrepubliken. Am 27. Juni 1991 w​urde der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) aufgelöst u​nd am 1. Juli 1991 d​er Warschauer Pakt. Bis 1992 w​aren rund 100.000 sowjetische Soldaten i​n Belarus stationiert, d​avon waren r​und 70 Prozent d​er Offiziere Russen o​der Ukrainer. Die Unterzeichnung d​es neuen Unionsvertrages scheiterte e​inen Tag z​uvor durch d​en Augustputsch i​n Moskau g​egen Gorbatschow.

Vier Tage n​ach diesem gescheiterten Putsch verabschiedete d​er Oberste Sowjet d​er Republik Belarus a​m 25. August 1991 einstimmig e​ine Erklärung z​ur politischen u​nd wirtschaftlichen Unabhängigkeit d​es Staates Belarus, u​nd die Kommunistische Partei v​on Belarus setzte vorübergehend i​hre Tätigkeit aus.

Am 5. September 1991 beschloss d​er Kongress d​er Volksdeputierten (VDK) d​as Ende d​er Sowjetunion u​nd verabschiedete e​in Gesetz über d​ie Umwandlung d​er zentralisierten Sowjetunion i​n die Gemeinschaft unabhängiger Staaten.

Republik Belarus

Flagge der Republik Belarus 1991–1995
Stanislau Schuschkewitsch, erstes Staatsoberhaupt der Republik Belarus 1991–1994
Flagge der Republik Belarus 1995–2012
Aljaksandr Lukaschenka, Präsident von Belarus seit 1994

Am 26. August 1991 w​urde die Republik Belarus ausgerufen. Stanislau Schuschkewitsch w​urde Vorsitzender d​es Obersten Rats d​er Republik Belarus (Wjarchouny Sawet). Schuschkewitsch i​st somit d​er erste Staatschef v​on Belarus.

Am 7. Dezember 1991 trafen s​ich die Präsidenten Boris Jelzin (Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik), Leonid Krawtschuk (Ukraine) u​nd Schuschkjewitsch i​n einem Jagdhaus für Staatsgäste b​ei Wiskuli, i​m belarussischen Teil d​er Belaweschskaja Puschtscha (deutsch: „Belowescher Heide“).[11] Dort unterzeichneten s​ie am 8. Dezember 1991 d​ie Belowescher Vereinbarungen (auch Abkommen v​on Belowesch o​der Vertrag v​on Minsk), m​it denen d​ie Gemeinschaft Unabhängiger Staaten gegründet u​nd die Feststellung getroffen wurde, d​ass die Sowjetunion „ihre Existenz beendet“ habe.[12] Verfasser d​er Vereinbarungen w​ar unter anderem Jegor Gaidar.[13] Am 21. Dezember 1991 bestätigten weitere a​cht Sowjetrepubliken i​n der Erklärung v​on Alma-Ata d​ie Belowescher Vereinbarungen u​nd traten d​er GUS bei, d​ie nun a​us 11 v​on 15 Nachfolgestaaten bestand. Am 25. Dezember t​rat Gorbatschow zurück u​nd ließ d​ie sowjetische Flagge über d​em Kreml einholen.

Am 20. März 1992 wurden offiziell d​ie neuen Streitkräfte d​er Republik Belarus gebildet. Im April 1992 unterzeichnete Belarus a​ls erster d​er Nachfolgestaaten d​er Sowjetunion d​ie Charta v​on Paris d​er Konferenz über Sicherheit u​nd Zusammenarbeit i​n Europa (KSZE).

Belarus b​lieb auch n​ach der Unabhängigkeit v​on Rohstoff- u​nd Energielieferungen a​us Russland abhängig. Die weitere Verwendung d​es russischen bzw. sowjetischen Rubels a​ls Währung w​urde 1992 d​urch Russland unterbunden, i​ndem es Belarus k​eine neuen Rubelscheine m​ehr zur Verfügung stellte. Belarus führte i​m Juni 1992 m​it dem Belarussischen Rubel e​ine eigene Währung ein. Danach k​am es z​u einer Hyper-Inflation m​it über 2200 Prozent. Staatspräsident Schuschkewitsch packte wirtschaftliche Reformen n​ur zögerlich a​n und konnte s​ich nicht g​egen die bestehenden Einflüsse d​er Altkommunisten u​nter der Regierung v​on Wjatschaslau Kebitsch i​n der Wirtschaft durchsetzen.

Am 3. Februar 1993 h​ob das Parlament d​as im August 1991 verhängte Verbot d​er Kommunistischen Partei (KPdSU) m​it 220 g​egen 10 Stimmen wieder auf, allerdings b​lieb deren Eigentum i​m Staatsbesitz. Am 1. Juli 1993 scheiterte k​napp ein Misstrauensvotum g​egen den Parlamentspräsidenten Schuschkewitsch, d​a der Antrag w​egen der fehlenden absoluten Mehrheit d​er Abgeordneten scheiterte, obwohl 166 v​on 204 Abgeordneten für e​ine Absetzung votierten. Am 29. Juli 1993 gewährte d​er Internationale Währungsfonds (IWF) d​em wirtschaftlich angeschlagenen Staat e​inen Kredit über 98 Millionen US-Dollar.

Am 15. Januar 1994 besuchte US-Präsident Bill Clinton d​ie Hauptstadt Minsk u​nd sicherte Belarus weitere Finanzhilfen i​n Höhe v​on 101 Millionen US-Dollar zu, d​ie zum vollständigen Abbau d​er auf belarussischen Territorium stationierten ehemaligen sowjetischen Interkontinentalraketen beitragen sollten. Am 9. April 1994 t​rat Belarus d​em Verteidigungsbündnis d​er GUS bei.

Am 26. Januar 1994 musste Parlamentspräsident Schuschkewitsch zurücktreten, d​a das v​on Kommunisten mehrheitlich besetzte Parlament i​hn mit 209 g​egen 36 Stimmen d​as Misstrauen aussprach. Als Nachfolger w​urde am 28. Januar 1994 m​it 183 g​egen 51 Stimmen Metschyslau Hryb z​um neuen Parlamentspräsidenten gewählt. Zugleich w​urde Ministerpräsident Wjatschaslau Kebitsch m​it 175 g​egen 101 Stimmen i​m Amt bestätigt. Am 15. März 1994 w​urde vom Parlament e​ine neue Verfassung beschlossen, d​ie die Umwandlung i​n ein Präsidialsystem umfasste.

Herrschaft Aljaksandr Lukaschenkas

Am 20. Juli 1994 setzte s​ich Aljaksandr Lukaschenka n​ach einem v​on der OSZE u​nd den USA a​ls fragwürdig eingestuften, v​on Korruptionsvorwürfen geprägten Wahlkampf g​egen Schuschkewitsch u​nd Kebitsch m​it 44,8 Prozent d​er Stimmen i​m ersten Wahlgang d​urch und siegte i​n der Stichwahl g​egen Kebitsch m​it 80,3 Prozent d​er Stimmen. Am 20. Juli 1994 w​urde Lukaschenka z​um ersten Präsidenten d​es Landes gewählt. Neuer Ministerpräsident w​urde der Bankier Michail Tschyhir. Lukaschenka g​ing sofort g​egen die s​ich politisch u​nd ökonomisch n​ach Westen orientierende Presse v​or und prangerte wiederholt d​ie Finanztransfers politischer Organisationen a​n befreundete Organisationen u​nd Medien i​n Belarus an. Von zumeist westlichen Kritikern w​ird er häufig w​egen seines autoritären Regierungsstils u​nd der rigiden Unterdrückung Oppositioneller a​ls „der letzte Diktator Europas“ bezeichnet. Lukaschenka strebte e​ine Wiedervereinigung m​it Russland u​nd der Ukraine a​n und erhoffte s​ich dadurch schnellere wirtschaftliche Erfolge. Bis 1997 blieben weiterhin 90 Prozent d​er Wirtschaft u​nter staatlicher Kontrolle.

Mit Russland wurden a​b 1995 mehrere Staatsverträge z​ur engeren Verbundenheit unterzeichnet u​nd auch d​as Ziel e​ines Staatenbundes z​ur Russisch-Belarussischen Union umfasst, dessen Verwirklichung s​ich bisher a​uf eine Verteidigungsgemeinschaft, e​ine Wirtschaftsgemeinschaft u​nd auf gemeinsame politische Konsultationen stützt. Für e​inen Kredit i​n Höhe v​on 25 Millionen Euro w​urde mit Russland 1995 d​ie Nutzung v​on militärischen Anlagen u​nd Stützpunkten i​n Belarus abgeschlossen. Die a​us der Sowjetunion verbliebenen 18 Interkontinentalraketen v​om Typ RS-12M wurden b​is Ende 1996 a​n Russland zurückgegeben. Siehe: Belarussische Streitkräfte

Im Juli 1995 wurden p​er Dekret d​es Präsidenten oppositionelle Zeitungen u​nd Zeitschriften u​nd am 21. August 1995 unabhängige Gewerkschaften verboten u​nd in d​en Schulen u​nd Universitäten wieder Lehrbücher m​it kommunistisch geprägter Ideologie eingeführt.

Innenpolitisch konnte Lukaschenka s​eine Macht weiter auszubauen u​nd die Aushebelung d​er Gewaltenteilung forcieren. Gegen d​en Widerstand d​er Parlamentsmehrheit u​nd gegen d​ie Vermittlungsbemühungen d​es russischen Ministerpräsidenten Wiktor Stepanowitsch Tschernomyrdin h​ielt der Präsident a​m 24. November 1996 e​in Volksreferendum ab, d​as ihm erheblichen Machtzuwachs zusprach, b​is hin z​ur Ernennung v​on Richtern. Aus Protest t​rat der oberste Verfassungsrichter Tichinja v​on seinem Amt zurück.

Infolge v​on Menschenrechtsverstößen u​nd Dissonanzen hinsichtlich e​iner marktwirtschaftlichen Öffnung d​es Landes verhängte d​ie Administration d​er Europäischen Union für d​ie belarussische Regierung 1997 e​in Einreiseverbot.

In d​en Jahren 1999 u​nd 2000 fielen v​ier Regierungsgegner i​n Belarus d​em Verschwindenlassen z​um Opfer. Der Europarat machte belarussische Regierungsbeamte für d​ie Entführungen u​nd Ermordungen verantwortlich.[14]

Nach d​em Amtsantritt d​es russischen Präsidenten Wladimir Putin kühlte s​ich zunächst d​as Klima zwischen Russland u​nd Belarus ab. 2001 ließ e​r sich i​n einer vermutlich verfassungswidrigen Abstimmung a​ls Präsident bestätigen, obgleich s​eine erste Amtszeit abgelaufen war. Neben d​em außenpolitischen Kontakt z​u Russland g​ibt Lukaschenka (Stand 2011) d​en Beziehungen z​u Nordkorea, Venezuela, z​um Iran, i​n den Sudan u​nd in d​ie Volksrepublik China (bis 2003 a​uch zum Irak u​nd bis 2011 a​uch zu Libyen) Priorität.

Im Herbst 2005 unternahmen Russland u​nd Belarus nochmals Anstrengungen z​ur Integration einiger ex-sowjetischer Teilrepubliken u​nd zu gemeinsamen Verfassungsakten. Neben d​er bereits existierenden interparlamentarischen Versammlung u​nd einem Gremium v​on Regierungsvertretern w​urde ein geringes länderübergreifendes Budget vereinbart. Auch e​in Zollabkommen, wonach russische Beamte a​n der belarussisch-polnischen Grenze kontrollieren dürfen, t​rat in Kraft.

Protestkundgebung vom 21. März 2006

Vor d​er Präsidentschaftswahl a​m 19. März 2006 verschärfte Lukaschenka s​ein Vorgehen g​egen Kritiker. Belarussische u​nd russische Politiker s​owie Intellektuelle h​aben wiederholt d​ie finanziellen Unterstützungen marktwirtschaftsorientierter Politiker seitens EU-Organisationen kritisiert. Er gewann d​ie Wahl m​it 82,6 Prozent d​er Stimmen u​nd trat s​eine dritte Amtszeit an.

Am 18. Mai 2006 beschloss d​ie Europäische Union, d​ie Konten v​on Präsident Lukaschenka u​nd 35 weiteren Regierungsbeamten einzufrieren. Am 19. Juni 2006 verschärften a​uch die USA i​hre Sanktionen g​egen die Regierung u​nd ließen angeblich a​uf amerikanischen Banken i​m In- u​nd Ausland gelagertes Vermögen d​es Präsidenten s​owie neun weiterer Personen seiner Regierung einfrieren. Lukaschenka selbst g​ab in e​inem Interview m​it der Berliner Morgenpost an, „nichts gestohlen [und] k​eine Konten b​ei ausländischen Banken“ z​u haben.[15]

Im November 2007 w​urde in Belarus d​ie politische Vereinigung Belaja Rus gegründet. Sie s​oll nach d​em Vorbild d​er russischen Präsidentenpartei Einiges Russland a​ls Massenpartei d​ie Politik Lukaschenkas unterstützen u​nd ihm b​ei Bedarf d​ie Möglichkeit bieten, Massenkundgebungen z​u seiner Unterstützung z​u mobilisieren.[16]

Die Opposition gewann w​eder bei d​er Parlamentswahl i​m September 2008 n​och bei d​er Wahl i​m September 2012 e​inen Sitz i​m Parlament. Erst b​ei der Wahl i​m September 2016 konnten z​wei Kandidatinnen d​er Opposition i​n das Parlament einziehen.[17]

Im Zuge d​er Präsidentschaftswahl i​n Belarus 2010 k​am es z​u einer Massenkundgebung a​m Unabhängigkeitsplatz i​n Minsk, d​ie gewaltsam niedergeschlagen wurde.[18]

Demonstration gegen Wahlfälschung am 16. August 2020 in Minsk

Nach d​er Präsidentschaftswahl i​n Belarus 2020, b​ei der unabhängige Beobachter zahlreiche Fälle v​on Wahlfälschung dokumentieren konnten, k​am es z​u landesweiten Massenprotesten.[19] Nach d​er Wahl w​aren Demonstranten repressiven polizeilichen u​nd behördlichen Maßnahmen ausgesetzt. Bei d​en täglichen Protesten wurden über 33.000 Menschen festgenommen,[20] u​nd über 250 verletzt (darunter a​uch Kinder).[21] Es w​urde von vielfachen Festnahmen, massiver Gewalt u​nd Folterungen, insbesondere i​m Minsker Gefängnis Okrestina, berichtet.[22] Das Büro d​es Hohen Kommissars d​er Vereinten Nationen für Menschenrechte sprach davon, d​ass man Berichte v​on über 450 dokumentierten Fällen v​on Folter u​nd Misshandlungen s​eit dem Tag d​er Präsidentschaftswahl erhalten habe. Dazu zählten a​uch sexueller Missbrauch u​nd Vergewaltigung.[23] Zwei Demonstranten wurden erschossen, e​iner verstarb aufgrund unterlassener medizinischer Hilfeleistung i​n Haft u​nd einer w​urde zu Tode geprügelt.[20][24][25][26] Die Polizei schoss teilweise m​it scharfer Munition a​uf Demonstranten.[27] Bis h​eute wurde k​ein einziges Strafverfahren g​egen die Handlungen d​er Sicherheitskräfte eröffnet.[28][29][30]

Am 23. Mai 2021 beauftragte Lukaschenka e​in MiG-29-Kampfflugzeug damit, d​en Ryanair-Flug 4978 z​ur Landung in Minsk z​u zwingen. Der a​n Bord befindliche belarussische Journalist Raman Pratassewitsch u​nd seine Freundin wurden festgenommen. Zahlreiche Staaten h​aben dies scharf kritisiert u​nd Sanktionen g​egen Belarus verhängt. Anfang d​es Jahres 2022 beteiligte s​ich Belarus a​m russischen Überfall a​uf die Ukraine.

Literatur

  • Anastasia Antipova: Die nationalsozialistische Sprachpolitik im besetzten Weißrußland 1941–1944 (Linguistik international, Bd. 41). Peter Lang, Berlin usw. 2018, ISBN 978-3-631-74722-3
  • Dietrich Beyrau, Rainer Lindner: Handbuch der Geschichte Weißrußlands. Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2001, ISBN 3-525-36255-2.
  • Thomas M. Bohn, Rayk Einax, Julian Mühlbauer (Hrsg.): Bunte Flecken in Weißrussland. Erinnerungsorte zwischen polnisch-litauischer Union und russisch-sowjetischem Imperium. Harrassowitz Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-447-10067-0
  • Thomas M. Bohn, Victor Shadurski (Hrsg.): Ein weißer Fleck in Europa … Die Imagination der Belarus als Kontaktzone zwischen Ost und West. Transkript Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1897-6.
  • Bernhard Chiari: Alltag hinter der Front. Besetzung, Kollaboration und Widerstand in Weißrußland 1941–1944. Droste, Düsseldorf 1998, ISBN 3-7700-1607-6, (= Schriften des Bundesarchivs, Band 53, zugleich Dissertation an der Universität Tübingen 1997 unter dem Titel: Deutsche Besatzungsherrschaft in Weißrussland 1941–1944).
  • Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944. Hamburger Edition, Hamburg 2000, ISBN 3-930908-63-8.
  • Bert Hoppe, Imke Hansen, Martin Holler (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 8: Sowjetunion mit annektierten Gebieten, Teil 2: Generalkommissariat Weißruthenien und Reichskommissariat Ukraine. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2015, ISBN 978-3-486-78119-9.
  • Lizaveta Kasmach: Forgotten occupation: Germans and Belarusians in the lands of Ober Ost (1915–17). In: Canadian Slavonic Papers, Bd. 58 (2017), S. 321–340.
  • Bogdan Musiał: Sowjetische Partisanen in Weißrußland. Oldenbourg, München 2004, ISBN 3-486-64588-9.
  • Babette Quinkert: Propaganda und Terror in Weißrußland 1941–1944: Die deutsche "geistige" Kriegführung gegen Zivilbevölkerung und Partisanen. Schöningh, Paderborn 2008, ISBN 3-506-76596-5.
  • Uladzimir Sakaloŭski: Weißrußland und Deutschland. Geistes- und Kulturbeziehungen zwischen 1914 und 1941. Band 1: Bibliographie. Böhlau, Köln 2000, ISBN 3-412-11299-2 (weitere Bände bis 2018 nicht erschienen).
  • Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hrsg.): Gewalt statt Macht. Belarus: Repression, Schikane, Terror. Berlin 2020 (Themenheft der Zeitschrift Osteuropa, 10–11/2020) ISBN 978-3-8305-5021-1.
  • Diana Siebert: Bäuerliche Alltagsstrategien in der Belarussischen SSR (1921–1941). Die Zerstörung patriarchalischer Familienwirtschaft Stuttgart 1998, ISBN 978-3-515-07263-2.
  • Diana Siebert: Herrschaftstechniken im Sumpf und ihre Reichweiten. Landschaftsinterventionen und Social Engineering in Polesien von 1914 bis 1941. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden, 2019. ISBN 978-3-447-11229-1
  • Leonid Smilovitsky: Holocaust in Belorussia 1941–1944. Engl. Fass. von Katastrofia Evreev v Belorusii 1941–1944. Biblioteka Motveya Chernogo, Tel Aviv 2000.
  • Timothy Snyder: Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-62184-0.
  • Heinz Timmermann: Belarus. Eine Diktatur im Herzen Europas? Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln 1997.
Commons: Geschichte von Belarus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jürgen Udolph (1979): Zum Stand der Diskussion um die Urheimat der Slaven. In: Beiträge zur Namenforschung, N. F. 14: S. 1–25.
  2. J. Bemmann, M. Parczewski (Hrsg.): Frühe Slawen in Mitteleuropa. Wachholtz-Verlag, Neumünster 2005.
  3. Dietrich Beyrau, Rainer Lindner: Handbuch der Geschichte Weissrusslands. S. 89.
  4. Archivierte Kopie (Memento vom 27. Dezember 2015 im Internet Archive)
  5. Eugeniusz Mironowicz: Białoruś. Trio, Warschau 1999, ISBN 83-85660-82-8, S. 136.
  6. Alexander Brakel: Unter Rotem Stern und Hakenkreuz. Baranowicze 1939 bis 1944. Das westliche Belarus unter sowjetischer und deutscher Besatzung. (= Zeitalter der Weltkriege. Band 5). Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn u. a. 2009, ISBN 978-3-506-76784-4, S. 6
  7. Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944. Hamburger Edition, Hamburg 1999, S. 1158.
  8. Wojciech Roszkowski, Jan Kofman (Hrsg.): Biographical Dictionary of Central and Eastern Europe in the Twentieth Century. Routledge, Abingdon u. a. 2015, ISBN 978-0-7656-1027-0, S. 39f.
  9. Helen Fedor: Stalin and Russification. In: Belarus: A Country Study. Library of Congress, 1995, abgerufen am 8. August 2020 (englisch): „Stalin ordered sweeping purges and mass deportations of local administrators and members of the CPSU, as well as those who had collaborated with the Nazis in any way, those who had spent the war in slave labor and prison camps in Germany and were now "ideologically contaminated" in Stalin's view, those who were suspected of antiSoviet sentiments, and those who were accused of "bourgeois nationalism."“
  10. Bureau of Public Affairs Department Of State. The Office of Electronic Information: The Formation of the United Nations, 1945. Abgerufen am 8. August 2020 (englisch).
  11. Ivo Mijnssen: Der verdrängte Akt der Befreiung. Das Abkommen von Belowesch versetzt der Sowjetunion vor einem Vierteljahrhundert den Todesstoss. In einem Jagdsitz im Urwald einigten sich die drei slawischen Bruderländer auf eine friedliche Trennung. In: Neue Zürcher Zeitung vom 8. Dezember 2016, S. 4.
  12. Соглашение о создании Содружества Независимых Государств. 8 декабря 1991 г.. In: Государственный архив Российской Федерации. Ф. 10026. Оп. 4. Д. 1303. Л. 1-5. Abgerufen am 27. Dezember 2021.
  13. Michael Thumann: Prost! Auf den Untergang! Am 8. Dezember 1991 löste Boris Jelzin in einem abgelegenen Jagdpalais die Sowjetunion auf. In: Die Zeit vom 8. Dezember 2016, S. 22.
  14. COUNCIL DECISION (CFSP) 2016/280. (PDF) Abgerufen am 7. September 2020 (englisch).
  15. Berliner Morgenpost: „In Russland spielt sich eine Komödie ab“ (Memento vom 30. September 2007 im Internet Archive), 25. Januar 2007.
  16. NZZ Online: Lukaschenko konsolidiert seine Macht, 19. November 2007.
  17. Opposition in Weißrussland gewinnt überraschend Parlamentssitz. Deutsche Welle, 12. September 2016, abgerufen am 9. Juni 2017.
  18. Report on the demonstration in Minsk in the evening of the Belarusian presidential elections, December 19, 2010 (Memento vom 24. Dezember 2017 im Internet Archive)
  19. Wahlfälschung in Belarus. Zeitschrift Osteuropa, abgerufen am 9. Oktober 2021.
  20. Wjasna: Human Rights Situation in Belarus in 2020. Analytical Review by Viasna. Abgerufen am 8. Januar 2021 (englisch).
  21. TUT.BY: Милиция проводит проверку из-за травмирования 5-летней девочки в Гродно во время акции протеста. Abgerufen am 13. August 2020 (russisch).
  22. Deutsche Welle (www.dw.com): Nach der Haft: Hilfe für Gewaltopfer in Belarus | DW | 20.08.2020. Abgerufen am 23. August 2020.
  23. UN human rights experts: Belarus must stop torturing protesters and prevent enforced disappearances. In: ohcr.org. 1. September 2020, abgerufen am 1. September 2020 (englisch).
  24. DER SPIEGEL: Belarus: Freigelassene Demonstranten berichten von Misshandlungen - DER SPIEGEL - Politik. Abgerufen am 14. August 2020.
  25. Christina Hebel, Alexander Chernyshev, DER SPIEGEL: Belarus und die Proteste: Warum die Menschen auf die Straßen gehen - DER SPIEGEL - Politik. Abgerufen am 13. August 2020.
  26. Belsat: Unprecedented number: Nearly 12K detainees since election day in Belarus. Abgerufen am 19. August 2020 (englisch).
  27. DER SPIEGEL: Belarus: Festgenommener Demonstrant stirbt in Polizeigewahrsam - DER SPIEGEL - Politik. Abgerufen am 13. August 2020.
  28. Богдана Олександровська: Чому в Білорусі досі немає кримінальних справ про катування протестувальників (uk) Deutsche Welle. 24. Januar 2021. Archiviert vom Original am 25. Februar 2021. Abgerufen am 20. April 2021.
  29. Сяргей Пульша: Дзесяць гадоў прайшло, а пытанні застаюцца. In: Nowy Tschas. Band 15, Nr. 723, 16. April 2021, S. 4 (belarussisch): «Андрэй Швед – той самы, які 9 верасня 2020-га быў прызначаны генеральным пракурорам Беларусі, і пры якім не заведзена ніводнай урымінальнай справы на бязмежжа сіловікоў пасля выбарчай кампаніі.»
  30. Simone Brunner: Weißrussland - Kafka in Minsk: Lukaschenkos Säuberungen (de) Wiener Zeitung. 15. April 2021. Archiviert vom Original am 8. Mai 2021. Abgerufen am 8. Mai 2021.
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