Tschernihiw
Tschernihiw (ukrainisch Чернігів; russisch Чернигов Tschernigow; polnisch Czernihów) ist eine Großstadt am Ufer der Desna in der Ukraine und Hauptstadt der Oblast Tschernihiw sowie des Rajons Tschernihiw mit etwa 300.000 Einwohnern (2006). Die Stadt ist durch das hier befindliche Operative Armeekommando Nord ein bedeutender Standort der Ukrainischen Armee.
Tschernihiw | |||
Чернігів | |||
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Basisdaten | |||
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Oblast: | Oblast Tschernihiw | ||
Rajon: | Kreisfreie Stadt | ||
Höhe: | keine Angabe | ||
Fläche: | 79,0 km² | ||
Einwohner: | 299.609 (1. Januar 2006) | ||
Bevölkerungsdichte: | 3.793 Einwohner je km² | ||
Postleitzahlen: | 14000 | ||
Vorwahl: | +380 462 | ||
Geographische Lage: | 51° 30′ N, 31° 18′ O | ||
KOATUU: | 7410100000 | ||
Verwaltungsgliederung: | 2 Stadtrajons | ||
Bürgermeister: | Wladyslaw Atroschenko | ||
Adresse: | вул. Магістратська 7 14000 м. Чернігів | ||
Website: | https://www.chernigiv-rada.gov.ua/ | ||
Statistische Informationen | |||
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Verwaltungsgliederung
Verwaltungstechnisch gliedert sich die Stadtgemeinde in die beiden Stadtrajone
- Desna mit den Stadtteilen Dytynez (Дитинець), Tretjak (Третяк), Peredhoroddja (Передгороддя), Okolnyj hrad (Окольний град), Bobrowyzja (Бобровиця), Pjat Kutiw ploschtscha (П'ять Кутів площа) und Jaliwschtschyna (Ялівщина)
- Nowosawod mit den Stadtteilen Tretjak (Третяк), Tschortoryjiwskyj Jary (Чорториївські Яри), Schawynka (Жавинка), Sabariwka (Забарівка), Sachidne (Західне), Koty (Коти), Liskowyzja (Лісковиця), Massany (Масани), Podussiwka Nowa (Подусівка Нова) und Podussiwka Stara (Подусівка Стара)
Geschichte
Tschernihiw (frühere Bezeichnungen: Tschernigow oder Tschernigau) ist eine der ältesten und bedeutendsten Städte der Kiewer Rus. Sie war das Zentrum des ostslawischen Stammes der Sewerjanen. Bei der Ersterwähnung im Jahre 907 wurde die Stadt bei einer Aufzählung gleich nach Kiew genannt. Tschernihiw war vom 11. bis zum 13. Jahrhundert Hauptstadt des Fürstentums Tschernigow, das 1239 von den Mongolen geplündert wurde. Spuren jener Zeit finden sich im schwarzen Grab. Ab 1370 gehörte die Stadt zum Großfürstentum Litauen, seit 1503 zum Großfürstentum Moskau.
1611 wurde Tschernihiw von polnischen Truppen fast vollständig zerstört und ging 1618 an den polnisch-litauischen Staatsverband. 1623 bekam es Stadtrecht nach Magdeburger Recht. 1635 wurde die Woiwodschaft Czernihów gebildet. Durch den Chmelnyzkyj-Aufstand von 1648 kam die Stadt unter die Kontrolle der Saporoger Kosaken, welche sich 1654 im Vertrag von Perejaslaw dem russischen Zaren unterstellten. 1667 wurde im Vertrag von Andrussowo die Zugehörigkeit zu Russland offiziell besiegelt.
1781 wurden in der Stadt 705 Bürgerhäuser, 4 Ziegelbrennereien, 12 Kirchen und 4 Klöster gezählt. 1786 wurden 3 Klöster geschlossen. 1802 wurde die Stadt Hauptstadt des Gouvernements Tschernigow. 1895 wurden in der Stadt, die noch größtenteils aus Holzhäusern bestand, auf den wichtigsten Straßen die Gasbeleuchtung durch elektrische Laternen ersetzt. Die erste gesamtrussische Volkszählung 1897 ergab für die Stadt 17.716 Einwohner. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Tschernihiw u. a. mehrere Banken, 15 Hotels bzw. Gastwirtschaften, 2 Krankenhäuser, eine Post, ein Telegraphenamt und verschiedene Fach- und weiterbildende Schulen. Wurden 1900 noch 428 Geschäfte gezählt, waren es 1910 schon 734.
Mit der Februarrevolution 1917 begann eine zunehmende Ukrainisierung in Medien und Verwaltung der Stadt. Am 1. Februar 1918 übernahm die Sowjet-Macht die Kontrolle über Tschernihiw. Am 12. März 1918 standen bereits deutsche und österreichische Truppen in der Stadt. Am 12. Januar 1919 wurde die Stadt wieder von der Roten Armee eingenommen.
1925 wurde das Gouvernement aufgelöst und durch eine Kreisverwaltung ersetzt. 1926 waren von den 35.200 Einwohnern 57 % Ukrainer, 20 % Russen und 10 % Juden. Seit 1932 ist Tschernihiw die Hauptstadt der Oblast Tschernihiw.
Im Zweiten Weltkrieg nahm die deutsche Wehrmacht die Stadt nach fast zweiwöchigen Kämpfen am 9. September 1941 ein. Die Rote Armee eroberte die Stadt am 21. September 1943 im Rahmen ihrer Tschernigow-Poltawa-Operation zurück. Später bestand in der Stadt das Kriegsgefangenenlager 177 (Tschernigow) für deutsche Kriegsgefangene.[1]
Am 15. Mai 1976 verunglückte in Ortsnähe eine Antonow An-24 auf dem Binnenflug Aeroflot-Flug 1802.
Am 25. Februar 2022 wurde die Stadt nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums von den russischen Streitkräften im Rahmen des Überfalls auf die Ukraine 2022 belagert.[2] Bei Luftschlägen der Streitkräfte Russlands ab dem 2. März starben nach ukrainischen Angaben mindestens 47 Menschen.[3]
Sehenswürdigkeiten
Zahlreiche Bauten aus altrussischer Zeit sind erhalten geblieben:
- Christi-Verklärungs-Kathedrale (Spasso-Preobraschenski sobor, um 1036), erste Kathedrale der Kiewer Rus
- Boris-und-Gleb-Kathedrale (Borissoglebski sobor, 12. Jahrhundert)
- Mariä-Entschlafens-Kathedrale (Uspenski sobor, Mitte des 12. Jahrhunderts) im Jelezki-Kloster
- Pjatniza-Kirche (Pjatnizkaja zerkow, zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts)
- Eliaskirche (Illinskaja zerkow, 12. Jahrhundert)
Es sind auch mehrere Bauten aus dem 17. bis 18. Jahrhundert (ukrainisches Barock) und dem 19. Jahrhundert (Klassizismus) vorhanden, darunter:
- Dreifaltigkeitskloster (zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts)
- Kollegium (1702)
- Katharinenkirche (1715)
In der Stadt befinden sich zahlreiche Denkmäler für historische Persönlichkeiten, darunter Iwan Masepa, Bohdan Chmelnyzkyj und Taras Schewtschenko.
Wappen
Beschreibung: Im silbernen Feld ein einköpfiger schwarzer, goldgekrönter, rotgezungter und so geäugter und goldbewehrter Adler, in der linken Klaue ein großes, schräg über ihm liegendes goldenes Kreuz haltend.[4]
Die vom heiligen Großfürsten Michael von Tschernigow abstammenden Fürsten führten den Tschernigow’schen Adler.
Einwohnerentwicklung
Entwicklung der Einwohnerzahl
- 1897: 27.716
- 1913: 35.850
- 1926: 35.200
- 1934: 68.600
- 1939: 69.000
- 2004: 302.097
- 2005: 300.497
- 2006: 299.609
Infrastruktur
Flugverkehr
In den 1980er Jahren wurde der Flughafen aus der Stadt heraus nach Schestowyzja verlegt. Mit dem Ende der Sowjetunion verlor der Flughafen seine Bedeutung als militärische Flugschule. Ein nennenswerter Flugverkehr findet heute nicht mehr statt.
Eisenbahn
Der Bahnhof Tschernihiw wurde als regionaler Knoten der russischen Südwestbahnen mit Verbindungen nach Nischyn (Anschluss an die Strecke Moskau-Kiew), Gomel und Owrutsch angelegt. Die erste Bahnanbindung erfolgte 1981 von Nischyn aus mit einer 81 km (76 Werst) langen Schmalspurbahn. Nach Umspurung und Erweiterung der Strecke nach Gomel erhielt der Bahnhof 1928 seine aktuelle Lage. Das Bahnhofsgebäude wurde 1950 nach Plänen von I. Granatkin von deutschen und ungarischen Kriegsgefangenen errichtet. Bahnhof und Strecken gehören heute zur Regionalgesellschaft Piwdenno-Sachidna Salisnyzja der Ukrainischen Eisenbahn. Die Strecke nach Owrutsch wird seit dem Unglück in Tschernobyl nur noch bis Janow an der belarussischen Grenze betrieben. 2006 wurde ein Umschlag von 84.737 Güterwagen und 4,5 Mio. Passagieren erreicht.
Hafen
Tschernihiw besitzt einen Binnenhafen an der Desna. 2006 wurden 356.200 Tonnen Fracht umgeschlagen und 22.100 Passagiere befördert.
Öffentlicher Nahverkehr
Die Hauptlast des Nahverkehrs trägt das 1964 eröffnete O-Busnetz mit 9 Linien sowie 46 Buslinien. Das O-Busnetz hat (2012) eine Länge von 53 km (104,6 km Fahrdraht).
Partnerstädte
Tschernihiw unterhält Partnerschaften zu folgenden Städten:[5]
Söhne und Töchter der Stadt
Sonstiges
Seit Juni 2004 trägt das Schiff Tschernihiw der ukrainischen Marine den Namen der Stadt.
Galerie
Literatur
- Sergej Udowik: Die Ukraine. Historische Orte. Wakler-Verlag Kiew 2010, ISBN 978-966-543-102-2; S. 6–12
Weblinks
- Czernihów. In: Filip Sulimierski, Władysław Walewski (Hrsg.): Słownik geograficzny Królestwa Polskiego i innych krajów słowiańskich. Band 1: Aa–Dereneczna. Sulimierskiego und Walewskiego, Warschau 1880, S. 826 (polnisch, edu.pl).
Einzelnachweise
- Maschke, Erich (Hrsg.): Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des zweiten Weltkrieges. Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 1962–1977.
- CNN: Heavy fighting reported on main route south into Kyiv. 25. Februar 2022, abgerufen am 26. Februar 2022 (englisch).
- Allgäuer Zeitung: 47 Tote nach Luftangriff auf Memmingens Partnerstadt Tschernihiw. 4. März 2022, abgerufen am 6. März 2022.
- Wilhelm Rein und Compagnie, Genealogisch-chronologische Geschichte des allerdurchlauchtigsten Hauses Romanow und seines vorelterlichen Stammhauses, Balthasar Campenhausen, Leipzig 1805.
- Partnerstädte auf chernigiv-rada.gov.ua (ukrainisch)