Elfte Dringlichkeitssitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen
Die elfte Dringlichkeitssitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen war eine Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 28. Februar 2022 bis zum 2. März 2022. Thema der Sitzung war die illegale Gewaltanwendung in der Ukraine durch Russland.[1] Am 2. März 2022 erfolgte die Verabschiedung der Resolution ES-11/1 (ES steht für Emergency Special Session, den englischen Ausdruck für „Dringlichkeits-Sondersitzung“).
Hintergrund
Eine Dringlichkeitssitzung ist eine außerplanmäßige Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Sie wird nur in besonderen Situationen einberufen, um Empfehlungen für die Wahrung des Weltfriedens abzugeben.
Am 24. Februar 2022 begann Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine und blockierte am darauf folgenden Tag mit seinem Veto einen Resolutionsentwurf im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der einen sofortigen Truppenabzug forderte. Russland ist eine der fünf sogenannten Vetomächte im UN-Sicherheitsrat.
Am 27. Februar beschloss der UN-Sicherheitsrat daraufhin mit Zweidrittelmehrheit (in Resolution 2623), eine Dringlichkeitssitzung der Generalversammlung einzuberufen. Elf Mitglieder stimmten dafür, Russland stimmte dagegen, drei Staaten (China, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate) enthielten sich.
Verlauf
Die elfte Dringlichkeitssitzung der Generalversammlung seit Gründung der Vereinten Nationen wurde am 28. Februar 2022 durch den Präsidenten für die 76. Sitzungsperiode der Generalversammlung im Zeitraum 2021–2022, Abdulla Shahid, eröffnet. Nach einer Schweigeminute und einer Rede Shahids folgte eine Ansprache des Generalsekretärs der Vereinten Nationen António Guterres. Danach legten der Ständige Vertreter der Ukraine bei den Vereinten Nationen Serhij Kyslyzja sowie der Ständige Vertreter Russlands Wassili Nebensja ihre Positionen dar. Als Vertreter der Europäischen Union bei den Vereinten Nationen sprach anschließend der schwedische Diplomat Olof Skoog. Weitere Mitglieder, die das Rederecht in Anspruch nahmen, waren am ersten Sitzungstag unter anderen Österreich mit dem Ständigen Vertreter Alexander Marschik, die Schweiz mit der Ständigen Vertreterin Pascale Baeriswyl und Liechtenstein mit dem Ständigen Vertreter Christian Wenaweser.[2][3]
Am zweiten Sitzungstag wurden weitere Reden der Mitglieder vorgetragen, für Deutschland sprach die Bundesministerin des Auswärtigen Annalena Baerbock.[4][5]
Vor der Abstimmung am dritten Sitzungstag hatte erneut der Vertreter der Ukraine das Wort und plädierte für den Resolutionsentwurf. Er präsentierte dabei eine kurze Videosequenz, in welcher der noch lebende ehemalige Chefankläger im Einsatzgruppen-Prozess Benjamin Ferencz mit den Worten „Law, not war.“ (Recht, nicht Krieg.) und „Never give up!“ (Gib niemals auf!) zur Verhinderung von Krieg aufruft. Nach Erwiderung durch den Vertreter Russlands und weiteren Wortmeldungen erfolgte schließlich die Abstimmung. Die Resolution ES-11/1 erhielt die erforderliche Mehrheit von mehr als zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen: 141 Ja-Stimmen, 5 Nein-Stimmen (Weißrussland, Demokratische Volksrepublik Korea, Eritrea, Russland und Syrien) bei 35 Enthaltungen und war somit angenommen.[6][7] Dies stellt eine deutliche Bekräftigung der Souveränität der Ukraine dar.
Die Versammlung forderte mit diesem Beschluss Russland auf, seine rechtswidrige Gewaltanwendung gegen die Ukraine unverzüglich einzustellen.[1]
Inhalt der Resolution
Nach einer längeren Präambel, in der auf zahlreiche vorangegangen Resolutionen Bezug genommen wird, folgen 16 Forderungen und Erklärungen (nachfolgend die offizielle Übersetzung):
„Die Generalversammlung
....
1. bekräftigt ihr Bekenntnis zur Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territorialen Unversehrtheit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen, ein- schließlich ihrer Hoheitsgewässer;
2. missbilligt auf das Schärfste die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine unter Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 4 der Charta;
3. verlangt, dass die Russische Föderation ihre Gewaltanwendung gegen die Ukraine sofort einstellt und jede weitere rechtswidrige Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen jedweden Mitgliedstaat unterlässt;
4. verlangt außerdem, dass die Russische Föderation alle ihre Streitkräfte unverzüglich, vollständig und bedingungslos aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen abzieht;
5. missbilligt die Entscheidung der Russischen Föderation vom 21. Februar 2022 im Zusammenhang mit dem Status bestimmter Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk in der Ukraine als eine Verletzung der territorialen Unversehrtheit und der Souveränität der Ukraine und als mit den Grundsätzen der Charta unvereinbar;
6. verlangt, dass die Russische Föderation die Entscheidung im Zusammenhang mit dem Status bestimmter Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk in der Ukraine unverzüglich und bedingungslos rückgängig macht;
7. fordert die Russische Föderation auf, sich an die in der Charta und in der Erklärung über freundschaftliche Beziehungen verankerten Grundsätze zu halten;
8. fordert die Parteien auf, sich an die Minsker Vereinbarungen zu halten und in den einschlägigen internationalen Rahmen, einschließlich des Normandie-Formats und der Trilateralen Kontaktgruppe, konstruktiv auf deren vollständige Durchführung hinzuwirken;
9. verlangt, dass alle Parteien den sicheren und ungehinderten Durchlass zu Zielen außerhalb der Ukraine gestatten und den raschen, sicheren und ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe für die Hilfebedürftigen in der Ukraine erleichtern, dass sie Zivilpersonen, einschließlich des humanitären Personals, und Menschen in verletzlichen Situationen, darunter Frauen, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, indigene Völker, Migrantinnen und Migranten und Kinder, schützen und die Menschenrechte achten;
10. missbilligt die Beteiligung von Belarus an dieser rechtswidrigen Gewaltanwendung gegen die Ukraine und fordert das Land auf, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen;
11. verurteilt alle Verletzungen des humanitären Völkerrechts sowie alle Menschenrechtsverletzungen und -übergriffe und fordert alle Parteien auf, die einschlägigen Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, einschließlich der Genfer Abkommen von 19492 und des Zusatzprotokolls I von 19773, soweit anwendbar, strikt einzuhalten und die internationalen Menschenrechtsnormen zu achten, und verlangt in dieser Hinsicht ferner, dass alle Parteien die Schonung und den Schutz des gesamten Sanitätspersonals und ausschließlich medizinische Aufgaben wahrnehmenden humanitären Personals, seiner Transportmittel und Ausrüstung sowie der Krankenhäuser und anderer medizinischer Einrichtungen gewährleisten;
12. verlangt, dass alle Parteien ihren nach dem humanitären Völkerrecht bestehen- den Verpflichtungen vollständig nachkommen, die Zivilbevölkerung und zivile Objekte zu schonen, für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Gegenstände weder anzugreifen noch zu zerstören, zu entfernen oder unbrauchbar zu machen und humanitäres Personal und für humanitäre Hilfseinsätze verwendete Sendungen zu schonen und zu schützen;
13. ersucht den Nothilfekoordinator, 30 Tage nach der Verabschiedung dieser Resolution einen Bericht über die humanitäre Lage in der Ukraine und über die humanitären Maßnahmen vorzulegen;
14. fordert nachdrücklich die sofortige friedliche Beilegung des Konflikts zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel;
15. begrüßt und fordert nachdrücklich die fortgesetzten Anstrengungen des Generalsekretärs, von Mitgliedstaaten, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und anderer internationaler und regionaler Organisationen zur Unterstützung der Deeskalation der aktuellen Situation sowie die Anstrengungen der Vereinten Nationen, namentlich des Krisenkoordinators der Vereinten Nationen für die Ukraine, und humanitärer Organisationen zur Bewältigung der humanitären Krise und der Flüchtlingskrise, die durch die Aggression der Russischen Föderation entstanden sind;
16. beschließt, die elfte Notstandssondertagung der Generalversammlung vorläufig zu vertagen und den Präsidenten der Generalversammlung zu ermächtigen, die Tagung auf Antrag von Mitgliedstaaten wiederaufzunehmen.“
Stimmverteilung der Resolution ES-11/1
Weblinks
Einzelnachweise
- General Assembly Overwhelmingly Adopts Resolution Demanding Russian Federation Immediately End Illegal Use of Force in Ukraine, Withdraw All Troops | Meetings Coverage and Press Releases. Abgerufen am 3. März 2022.
- General Assembly: Eleventh Emergency Special Session (Ukraine)- 1st Plenary Meeting. Abgerufen am 5. März 2022.
- General Assembly: Eleventh Emergency Special Session (Ukraine)- 2nd Plenary Meeting. Abgerufen am 5. März 2022.
- General Assembly: Eleventh Emergency Special Session (Ukraine)- 3rd Plenary Meeting. Abgerufen am 5. März 2022.
- General Assembly: Eleventh Emergency Special Session (Ukraine)- 4th Plenary Meeting. Abgerufen am 5. März 2022.
- General Assembly: Eleventh Emergency Special Session (Ukraine)- 5th Plenary Meeting. Abgerufen am 5. März 2022.
- General Assembly: Eleventh Emergency Special Session (Ukraine)- 6th Plenary Meeting. Abgerufen am 5. März 2022.
- Deutscher Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen: A/ES-11/L.1, Aggression gegen die Ukraine. Abgerufen am 5. März 2022.
- Venezuela wurde von der Stimmabgabe in der 76. Sitzung und der 11. Notstands-Sondersitzung ausgeschlossen, da es in den vorangegangenen zwei Jahren keine Beiträge gezahlt hat.
- Aggression against Ukraine : resolution / adopted by the General Assembly. Abgerufen am 3. März 2022.