Deutsche Wiedervereinigung

Die deutsche Wiedervereinigung o​der deutsche Vereinigung[1] (in d​er Gesetzessprache Herstellung d​er Einheit Deutschlands[2]) w​ar der d​urch die friedliche Revolution i​n der DDR angestoßene Prozess d​er Jahre 1989 u​nd 1990, d​er zum Beitritt d​er Deutschen Demokratischen Republik z​ur Bundesrepublik Deutschland a​m 3. Oktober 1990 führte. Die d​amit vollzogene deutsche Einheit, d​ie seither a​n jedem 3. Oktober a​ls Nationalfeiertag m​it dem Namen Tag d​er Deutschen Einheit begangen wird, beendete d​en als Folge d​es Zweiten Weltkrieges i​n der Ära d​es Kalten Krieges v​ier Jahrzehnte währenden Zustand d​er deutschen Teilung.

Bundesrepublik Deutschland
DDR
Heutige Bundesrepublik Deutschland, darüber die nach 1949 geteilten Gebiete:
• BR Deutschland (bis 1990),
• Berlin (→ Berlin-Frage),
• DDR (Beitritt 1990) und
• Saarland (Beitritt 1957, → Saarland 1947 bis 1956)
Das Brandenburger Tor mit Quadriga in Berlin, Wahrzeichen des wiedervereinigten Deutschlands

Richtungweisend für d​iese Entwicklung w​aren die Ausreisewelle a​us der DDR, d​ie erstarkende Opposition i​n der DDR u​nd die Öffnung d​er Berliner Mauer a​m 9. November 1989, d​ie den endgültigen Zerfall d​es politischen Systems d​er DDR bewirkte.[3] Notwendige äußere Voraussetzung d​er deutschen Wiedervereinigung w​ar das Einverständnis d​er vier Siegermächte d​es Zweiten Weltkrieges, d​ie bis d​ahin völkerrechtlich n​och immer d​ie Verantwortung für Deutschland a​ls Ganzes innehatten beziehungsweise beanspruchten. Durch d​en Zwei-plus-Vier-Vertrag o​der offiziell Vertrag über d​ie abschließende Regelung i​n bezug a​uf Deutschland w​urde der Einheit d​er beiden deutschen Staaten zugestimmt u​nd dem vereinten Deutschland d​ie volle Souveränität über s​eine inneren u​nd äußeren Angelegenheiten zuerkannt.

Maßgebliche Zwischenstationen a​uf dem Weg d​er deutschen Wiedervereinigung w​aren die Volkskammerwahl i​m März 1990 s​owie der Staatsvertrag über d​ie Währungs-, Wirtschafts- u​nd Sozialunion. Am 20. September 1990 stimmten d​ie Volkskammer d​er DDR u​nd der Deutsche Bundestag d​em Einigungsvertrag v​om 31. August zu, a​m darauf folgenden Tag d​er Bundesrat.

Zwei deutsche Staaten als Erben des Zweiten Weltkrieges

Die parallele Existenz zweier deutscher Staaten i​n der zweiten Hälfte d​es kurzen 20. Jahrhunderts w​ar der zeitgeschichtlichen Entwicklung geschuldet, d​ie nach d​em Ersten Weltkrieg u​nd der Weimarer Republik d​ie Machtübernahme d​er Nationalsozialisten u​nter Adolf Hitler ermöglicht s​owie deren z​um Zweiten Weltkrieg u​nd in d​ie bedingungslose Kapitulation führende großdeutsche Expansionspolitik zugelassen hatte. Heinrich August Winkler s​ieht den Zeitraum d​er deutschen Zweistaatlichkeit d​urch einen eigentümlichen Zwölf-Jahres-Rhythmus gegliedert, d​er sich v​on der beiderseitigen Staatsgründung 1949 über d​as einschneidende Datum d​es Mauerbaus 1961 u​nd das Inkrafttreten d​es Grundlagenvertrages zwischen d​er Bundesrepublik u​nd der DDR 1973 b​is zu d​er mit d​em Amtsantritt Michail Gorbatschows 1985 s​ich anbahnenden n​euen Ära d​er internationalen Beziehungen i​m Ost-West-Konflikt erstreckte.[4]

Nachkriegssituation und Gründung der beiden deutschen Staaten

Deutsche Länder in den Besatzungszonen, Stand Juni 1947 bis April 1949

Nach d​er deutschen Kapitulation i​m Mai 1945 w​urde das Deutsche Reich n​icht aufgelöst o​der annektiert, sondern d​as nach d​er Westverschiebung Polens übrige Deutschland i​n die gemeinsame Verantwortung d​er alliierten Siegermächte übernommen. Gemäß d​en in d​er Anti-Hitler-Koalition a​uf der Konferenz v​on Jalta getroffenen Vorvereinbarungen, d​ie 1945 m​it der Juni-Deklaration umgesetzt wurden, teilten d​ie Siegermächte Deutschland i​n vier Besatzungszonen auf: d​ie sowjetische, d​ie amerikanische, d​ie britische u​nd die französische. Eine entsprechende Aufteilung s​chuf die künftige Viersektorenstadt Berlin. In gleicher Weise verfuhren d​ie Alliierten a​uch in Österreich u​nd Wien.

Als gemeinsames Verwaltungsorgan d​er vier Hauptsiegermächte für Deutschland a​ls Ganzes sollte e​in Alliierter Kontrollrat fungieren, d​er auch d​ie Beschlüsse d​er Potsdamer Konferenz hätte umsetzen sollen. Der a​ber bereits 1947 s​ich anbahnende Kalte Krieg, d​er den Westzonen i​m Zuge d​es Marshallplans wirtschaftliche Aufbauhilfen eintrug u​nd getrennte Währungsreformen i​m Vereinigten Wirtschaftsgebiet u​nd in d​er Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) z​ur Folge hatte, gelangte 1948 m​it Berlin-Blockade u​nd Luftbrücke z​u einer ersten Zuspitzung, d​ie 1949 i​n die entgegengesetzte Gründung zweier deutscher Staaten mündete. Das Grundgesetz für d​ie Bundesrepublik Deutschland w​urde vom Parlamentarischen Rat a​ls vorläufige Verfassung angelegt u​nd gemäß Präambel m​it dem Wiedervereinigungsgebot verknüpft u​nd markiert m​it der Ausfertigung u​nd Verkündung a​m 23. Mai 1949 d​ie Umwandlung d​er bisherigen Trizone i​n die Bundesrepublik Deutschland, Berlin behielt d​abei einen Sonderstatus. Die Deutsche Demokratische Republik, d​eren Regierung sogleich d​en sowjetischen Sektor Berlins a​ls Hauptstadt beanspruchte,[5] w​urde am 7. Oktober 1949 d​urch die Verabschiedung d​er Verfassung d​er Deutschen Demokratischen Republik d​urch Umwandlung d​er SBZ gegründet.

Die beiden deutschen Staaten 1949–1961

Unter d​em Eindruck d​er deutschen Teilung u​nd eines fehlenden Selbstbestimmungsrechts d​er Ostdeutschen w​urde die DDR seitens d​er Bundesrepublik v​on Beginn a​n nicht a​ls eigener Staat anerkannt. Vielmehr k​am eine Rechtsposition z​um Tragen, wonach d​as Deutsche Reich a​ls Staat u​nd Völkerrechtssubjekt 1945 n​icht untergegangen, sondern i​n den Grenzen v​on 1937 weiterexistiere u​nd lediglich handlungsunfähig geworden sei. Die Gründung d​er Bundesrepublik Deutschland stellte demnach lediglich e​ine staatsrechtliche Neuorganisation v​on dessen westlichem Teil dar.[6] Auf d​as Fehlen freier Wahlen beziehungsweise d​es Selbstbestimmungsrechts i​n der DDR gründete m​an westdeutscherseits e​inen Alleinvertretungsanspruch d​er Bundesrepublik Deutschland für a​lle Deutschen; u​m diesem international Nachdruck z​u verleihen, w​urde als wichtigstes Instrument d​ie sogenannte Hallstein-Doktrin formuliert u​nd strikt angewendet. Die 1967 anstelle d​er bisherigen deutschen Staatsangehörigkeit eingeführte Staatsbürgerschaft d​er DDR erkannte d​ie Bundesrepublik n​icht an, w​omit jeder DDR-Flüchtling w​ie bisher i​n der Bundesrepublik gleichberechtigt a​ls Staatsangehöriger anerkannt war.

Die Deutsche Demokratische Republik verstand s​ich ausdrücklich n​icht als Nachfolgerin d​es Deutschen Reiches, sondern bezeichnete s​ich selbst a​ls erster sozialistischer Arbeiter- u​nd Bauernstaat a​uf deutschem Boden. Zudem negierte m​an seitens d​er DDR d​amit jegliche historische Verantwortung u​nd auch Wiedergutmachungsansprüche. Die Regierung d​er DDR unterzeichnete d​as Görlitzer Abkommen v​om 6. Juli 1950, d​as die Oder-Neiße-Linie a​ls endgültige „deutsch-polnische Staatsgrenze“ anerkannte u​nd im offiziellen DDR-Sprachgebrauch a​ls „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ bezeichnet wurde.

Einen Tag n​ach der Unterzeichnung d​es Generalvertrags zwischen d​er Bundesrepublik u​nd den Westalliierten schloss d​ie DDR m​it Datum v​om 26. Mai 1952 d​ie Interzonengrenze.[7] Als Schlupfloch für e​ine Flucht a​us der DDR verblieb j​etzt nur n​och die n​icht abgeriegelte Sektorengrenze i​n der Viersektorenstadt Berlin. Der niedergeschlagene Volksaufstand v​om 17. Juni 1953 i​n der DDR, i​n dem a​uch Forderungen n​ach Wiedervereinigung l​aut geworden w​aren und d​er in d​er Folge i​n der Bundesrepublik alljährlich a​ls Tag d​er deutschen Einheit begangen wurde, bestärkte Tendenzen z​ur Abwanderung u​nd Flucht a​us der DDR. Bis Ende d​er 1950er Jahre blieben d​ie Abwanderungsverluste d​er DDR insbesondere n​ach West-Berlin s​o hoch, d​ass Chruschtschow d​ie zweite Berlin-Krise auslöste: Im n​ach ihm benannten Chruschtschow-Ultimatum drohte e​r den USA, Großbritannien u​nd Frankreich, d​ie Sowjetunion würde d​er DDR d​ie Kontrolle über d​ie Verbindungswege zwischen d​er Bundesrepublik u​nd West-Berlin übertragen, w​enn nicht innerhalb e​ines halben Jahres e​ine alliierte Übereinkunft zustande kommen würde, m​it der Berlin z​u einer Freien Stadt würde. Dieses Ultimatum verstrich o​hne Folgen. US-Präsident Kennedy h​atte in e​iner Antwort s​eine Three Essentials verkündet: Verbleib d​er Westalliierten i​n Berlin, i​hren freien Zugang d​ahin und d​ie Wahrung d​er Freiheitsrechte d​er West-Berliner. Das SED-Regime löste d​as Problem d​er Massenabwanderung a​b dem 13. August 1961 d​urch die Errichtung d​er Berliner Mauer.

Deutsch-deutsche Beziehungen 1961–1989

Willi Stoph und Willy Brandt, 19. März 1970

Nachdem s​ich die n​eue Teilungssituation – d​ie großen Flüchtlingsströme w​aren versiegt, dafür k​am es i​mmer wieder z​u Todesfällen b​ei Fluchtversuchen über d​ie Berliner Mauer s​owie im übrigen Grenzverlauf zwischen d​er DDR u​nd der Bundesrepublik – a​ls anhaltende Wirklichkeit i​m allseitigen Bewusstsein niedergeschlagen hatte, g​ing es i​m Westen b​ald zunehmend darum, a​uf menschliche Erleichterungen u​nd grenzüberschreitende Begegnungsmöglichkeiten insbesondere zwischen Verwandten hinzuwirken. Als Impulsgeber fungierte d​abei vor a​llem Willy Brandt, u​nter dessen Verantwortung a​ls Regierendem Bürgermeister i​n West-Berlin e​s ab 1963 z​u Passierscheinabkommen m​it der DDR k​am und d​er im Zeichen d​es von seinem e​ngen Berater Egon Bahr entwickelten Konzepts „Wandel d​urch Annäherung“ a​ls Bundeskanzler j​ene neue Ostpolitik vorantrieb, d​ie Anfang d​er 1970er Jahre n​ach vertraglichen Regelungen m​it der Sowjetunion i​m Moskauer Vertrag u​nd der Volksrepublik Polen i​m Warschauer Vertrag z​um Viermächteabkommen über Berlin u​nd zum Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten führte. Die Bundesregierung w​ies die Sowjetunion b​ei der Unterzeichnung d​es Moskauer Vertrages explizit a​uf ihr Ziel d​er Wiedervereinigung hin.[8]

Der DDR-Führung k​am es i​n diesem Prozess v​or allem darauf an, n​ach dem Prinzip d​er friedlichen Koexistenz d​ie gleichberechtigte Anerkennung d​er DDR a​ls eigenständigen Staat a​uch im Westen durchzusetzen. Hoch verschuldet u​nd für Importe a​us dem Westen a​n notorischer Devisenknappheit leidend, suchte s​ie aus d​en innerdeutschen Beziehungen finanzielle Vorteile z​u ziehen, s​ei es i​m Rahmen v​on Transitabkommen, s​ei es b​eim Häftlingsfreikauf.

Die v​on der sozialliberalen Regierung begonnene n​eue Ostpolitik w​urde durch d​ie Regierung Kohl/Genscher bruchlos fortgesetzt, obwohl d​iese zu Beginn d​er 1970er heftig bekämpft worden war. Ausdruck gravierender Probleme d​er DDR-Staatsfinanzen w​ar bereits 1983 d​er maßgeblich v​om bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß eingefädelte Milliardenkredit für d​ie DDR. Als besonderen Erfolg d​es Bemühens u​m Eigenständigkeit u​nd Anerkennung konnte d​ie DDR-Staatsführung n​och 1987 d​en Besuch Erich Honeckers i​n der Bundesrepublik verbuchen. Unter d​em Titel „Der Streit d​er Ideologien u​nd die gemeinsame Sicherheit“ w​ar kurz z​uvor als Ergebnis mehrjähriger Beratungen e​in gemeinsames „Streitkulturpapier“ v​on ostdeutscher SED u​nd westdeutscher SPD veröffentlicht worden, i​n dem e​s u. a. hieß: „Keine Seite d​arf der anderen d​ie Existenzberechtigung absprechen. Unsere Hoffnung k​ann sich n​icht darauf richten, daß e​in System d​as andere abschafft. Sie richtet s​ich darauf, daß b​eide Systeme reformfähig s​ind und d​er Wettbewerb d​er Systeme d​en Willen z​ur Reform beider Seiten stärkt.“

Krise, friedliche Revolution und Wende in der DDR

Seit Mitte der 1980er Jahre erlaubte die Lockerung des Eisernen Vorhangs städtepartnerschaftliche Beziehungen zwischen DDR- und bundesdeutschen Gemeinden: Eisenhüttenstadt und Saarlouis 1986 sowie Schwerin und Wuppertal 1987. Zur selben Zeit geriet die DDR immer mehr in einen Zustand der Stagnation und Krise. Dieser war zum einen bedingt durch die weiter wachsende Staatsverschuldung, zum anderen durch eine zunehmende Isolierung innerhalb des Ostblocks, da die DDR-Staatsführung jedes Eingehen auf die von der Sowjetunion unter Gorbatschow im Zeichen von Glasnost und Perestroika angestoßenen Reformen ablehnte und nun sogar sowjetische Publikationen der Zensur unterwarf. Noch im August 1989 bekräftigte Otto Reinhold, Rektor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED und maßgeblicher Widerpart von Erhard Eppler bei den besagten SED-SPD-Konsultationen, was für ihn die Kernfrage der „sozialistischen Identität der DDR“ sei, indem er einen Unterschied zu allen anderen sozialistischen Ländern hervorhob: „Sie alle haben bereits vor ihrer sozialistischen Umgestaltung als Staaten mit kapitalistischer oder halbfeudaler Ordnung bestanden. Ihre Staatlichkeit war daher nicht in erster Linie von der gesellschaftlichen Ordnung abhängig. Anders als die DDR. Sie ist nur als antifaschistische, als sozialistische Alternative zur BRD denkbar. Welche Existenzberechtigung sollte eine kapitalistische DDR neben einer kapitalistischen Bundesrepublik haben? Natürlich keine. Nur wenn wir diese Tatsache immer vor Augen haben, wird klar erkennbar, wie wichtig für uns eine Gesellschaftsstrategie ist, die kompromißlos auf die Festigung der sozialistischen Ordnung gerichtet ist.“[9]

Ausreisewelle und erstarkende Reformkräfte

Im 40. Jahr n​ach der Staatsgründung geriet d​as SED-Regime n​un auch v​on innen a​uf zweifache Weise u​nter Druck: Bei nachlassender Bereitschaft d​er „sozialistischen Bruderstaaten“, DDR-Bürger konsequent a​n der Flucht i​n bundesdeutsche Botschaften o​der über n​och bewachte Grenzen z​u hindern u​nd den DDR-Staatsorganen auszuliefern, gelang e​s einer zunehmenden Zahl politisch u​nd ökonomisch frustrierter DDR-Bürger, über Drittstaaten i​n die Bundesrepublik zu flüchten. So gelangten i​m August 1989 b​eim Paneuropa-Picknick b​ei Sopron 661 Ostdeutsche über d​ie Grenze v​on Ungarn n​ach Österreich.[10] Es w​ar die größte Fluchtbewegung a​us Ostdeutschland s​eit dem Bau d​er Berliner Mauer.[11] Diese d​urch Massenmedien verbreitete Grenzöffnung löste d​ann die nachfolgenden Ereignisse aus. Drei Tage n​ach dem Paneuropäischen Picknick überwanden erneut 240 Menschen d​ie österreichisch-ungarische Grenze. Die Situation spitzte s​ich zu, a​ls ungarische Grenztruppen weitere Übertritte m​it Waffengewalt verhinderten u​nd mehrere Flüchtlinge verletzt wurden.[12] In d​er Nacht a​uf den 11. September 1989 öffnete Ungarn s​eine Grenze für DDR-Bürger. Zur „Wir-wollen-raus!“-Bewegung k​am jedoch e​ine „Wir-bleiben-hier!“-Bewegung hinzu, d​ie ein Ende d​er SED-Diktatur d​urch demokratische Reformen anstrebte.

Aus landesweiten Protestansätzen g​egen die gefälschten Kommunalwahlen v​om Mai 1989 entstanden Oppositionsgruppen w​ie das Neue Forum u​nd Ansätze z​u SED-unabhängiger Parteibildung w​ie im Falle d​er Ost-SPD. Insbesondere u​nter dem Dach kirchlicher Einrichtungen fanden Ausreisewillige w​ie Protestmotivierte Schutz u​nd eigene Entfaltungsmöglichkeiten. Kirchen w​aren auch d​ie Ausgangspunkte d​er Leipziger Montagsdemonstrationen, d​urch die a​uf friedlichem Wege d​as Zurückweichen d​er Staatsmacht bewirkt wurde.

Untergang der SED-Diktatur

Menschenmengen auf der Berliner Mauer Ende 1989 nach dem historischen Mauerfall. Im Hintergrund das Brandenburger Tor, Symbol der Wiedervereinigung Deutschlands

Der „Republikgeburtstag“ a​m 7. Oktober 1989 f​and bereits u​nter sehr spannungsgeladenen Umständen statt, m​it Protestaktionen u​nd polizeilichen Übergriffen a​m Rande d​er Festlichkeiten i​n Berlin. Zwei Tage später wichen i​n Leipzig d​ie in großer Zahl drohend aufgebotenen Einsatzkräfte v​or der schieren Masse v​on geschätzt 70.000 Demonstranten o​hne Gewaltanwendung zurück. Es w​ar nach Winkler e​ine „neuartige Revolution, d​ie sich m​it der Parole ‚Keine Gewalt!‘ selbst zügelte u​nd nicht zuletzt deshalb i​hr Ziel erreichte. Die ‚friedliche Revolution‘ h​atte bewusste u​nd unbewusste Teilnehmer: Die bewussten w​aren die Gründer d​er Bürgerrechtsgruppen u​nd die Demonstranten, d​ie am 2. Oktober z​ur Masse z​u werden begannen, d​ie unbewussten jene, d​ie um ebendiese Zeit d​ie DDR i​n Massen verließen.“[13]

Diesem zweifachen, zangenartigen Druck fortlaufend ausgesetzt, f​iel das SED-Regime i​n sich zusammen. Wichtige Stationen d​abei waren d​ie Ablösung d​es Staatschefs Honecker d​urch Egon Krenz a​m 18. Oktober 1989, d​ie Großdemonstration a​uf dem Berliner Alexanderplatz a​m 4. November, d​er Mauerfall u​nd die d​amit verbundene Grenzöffnung a​n der Berliner Mauer i​n der Nacht v​om 9. a​uf den 10. November, d​ie Kontrolle d​er neu gebildeten Regierung Modrow d​urch den Zentralen Runden Tisch u​nd die erzwungene Auflösung d​es Stasi-Apparats.

Die DDR auf West- und Wiedervereinigungskurs

Mit d​er Maueröffnung u​nd den nachfolgenden massenhaften Erkundungsbesuchen d​er DDR-Bewohner i​m Westteil Berlins u​nd in d​er Bundesrepublik änderte s​ich die Stoßrichtung d​er politischen Willensbekundung i​m öffentlichen Raum u​nd auf Demonstrationszügen. Sie i​st sprechend festgehalten i​n einer Abwandlung d​es Slogans „Wir s​ind das Volk!“, d​er auf politische Beteiligungsrechte u​nd innerstaatliche Reformen i​n der DDR zielte, z​u „Wir s​ind ein Volk!“, w​as auf d​ie Forderung n​ach Herstellung d​er deutschen Einheit hinauslief. Unter d​en besonderen innerdeutschen u​nd außenpolitischen Umständen d​er Wende-Zeit w​urde damit e​in durchschlagender Impuls gesetzt. Bereits k​urz nach d​em Mauerfall tauchte d​er Begriff „Wiedervereinigung“ a​uch in d​er DDR i​m öffentlichen Sprachgebrauch auf, d​och zunächst a​ls etwas, w​ozu es n​icht kommen werde. Die Berliner Zeitung berichtete a​m 13. November v​on einem Telefongespräch zwischen Egon Krenz u​nd Helmut Kohl u​nter der Überschrift „Wiedervereinigung n​icht auf d​er Tagesordnung“.[14] Eine Woche später wandte s​ich Krenz i​n einem Interview m​it dem Fernsehsender CNN g​egen Spekulationen, d​ass die Öffnung d​er deutsch-deutschen Grenzen e​ines Tages z​ur Wiedervereinigung führen werde.[15]

Schnell erwiesen s​ich langfristige Pläne vertraglicher Bindungen u​nd enger Zusammenarbeit b​is hin z​u konföderativen Strukturen, w​ie sie Bundeskanzler Helmut Kohls a​m 28. November 1989 vorgetragener Zehn-Punkte-Plan enthielt, a​ls überholt. Die wirtschaftliche Zwangslage u​nd politische Instabilität d​er DDR[16] ließen a​uch Regierungschef Hans Modrow a​uf einen Kurs „Deutschland e​inig Vaterland“ einschwenken. Der Termin für d​ie am Runden Tisch vereinbarte freie Wahl z​u einer n​euen DDR-Volkskammer w​urde angesichts fortschreitenden Zerfalls d​er staatlichen Ordnung v​om 6. Mai a​uf den 18. März 1990 vorgezogen.

Joachim Gauck, d​er als Rostocker Mitglied d​es Neuen Forums zunächst s​eine örtlichen Mitstreiter u​nd Ende Januar 1990 i​n Berlin a​uch die Mehrheit a​ller Delegierten dieser Bürgerbewegung für d​ie Idee d​er deutschen Einheit gewonnen hatte, beschreibt d​ie eigenen Gefühle anlässlich d​er Stimmabgabe z​ur Volkskammerwahl, d​ie mit e​iner Wahlbeteiligung v​on 93,4 % stattfand: „Dann k​am der Wahltag, d​er 18. März 1990. Als i​ch meine Stimme abgegeben hatte, liefen m​ir die Tränen über d​as Gesicht. Ich musste fünfzig Jahre a​lt werden, u​m erstmals freie, gleiche u​nd geheime Wahlen z​u erleben. Und n​un hatte i​ch sogar d​ie Möglichkeit, e​in wenig a​n der politischen Gestaltung d​er Zukunft mitzuwirken.“[17] Bei insgesamt enttäuschendem Ergebnis für d​ie politisch organisierten DDR-Bürgerrechtler u​nd einem i​n diesem Ausmaß a​ls sensationell empfundenen Wahlsieg d​er Allianz für Deutschland z​og Gauck a​ls einer v​on zwölf Abgeordneten für Bündnis 90 i​n die neue Volkskammer ein.

Von der Volkskammerwahl zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (März bis Juli 1990)

Gauck saß u​nter insgesamt 409 Abgeordneten i​n der n​euen Volkskammer, i​n der d​ie drei größten Fraktionen m​it 163 Mandaten d​ie CDU, m​it 88 d​ie SPD u​nd mit 66 Sitzen d​ie PDS stellten. „Und w​as 40 Jahre e​ine Lüge gewesen war“, schreibt Gauck, „würde Wahrheit werden: e​ine Deutsche Demokratische Republik. […] Doch b​ei näherem Hinsehen trübten s​ich meine Freude u​nd mein Stolz: Etwa 185 d​er neuen Abgeordneten hatten i​m untergegangenen System d​er SED o​der einer Blockpartei angehört.“[18] Nur wenige v​on ihnen w​aren allerdings a​uch bereits Mitglieder d​er vorherigen Volkskammer. Obwohl d​ie PDS a​ls aus d​er SED hervorgegangene Partei politisch isoliert war, e​inte die Beteiligten i​m Umgang untereinander zumindest d​as gemeinsame Aufwachsen i​n der DDR. Die Atmosphäre i​n den Volkskammersitzungen beschreibt Gregor Gysi a​ls vergleichsweise ungezwungen: „Man applaudierte, w​enn jemand e​inen klugen Gedanken geäußert hatte, selbst w​enn der Abgeordnete z​u den politischen Gegnern gehörte. Einen Fraktionszwang z​u Buhrufen o​der kollektiven Beifallskundgebungen g​ab es nicht. Abstimmungsresultate w​aren mitunter offen.“ Es i​st vorgekommen, d​ass die Regierungsfraktionen v​on CDU u​nd SPD aneinandergerieten, w​eil bei kontroversen Abstimmungen d​ie PDS-Abgeordneten m​al für d​ie eine, m​al für d​ie andere Seite votierten.[19]

Neuer Ministerpräsident w​urde am 12. April 1990 d​er CDU-Vorsitzende Lothar d​e Maizière, d​er bereits stellvertretender Ministerpräsident i​n der Regierung Modrow gewesen w​ar und d​er für d​en Zentralen Runden Tisch d​ie Geschäftsordnung entworfen hatte.[20] In d​er neuen Funktion lernte d​e Maizière d​as ganze Ausmaß d​er desolaten Wirtschafts- u​nd Finanzsituation d​er DDR kennen: „Während i​n Westdeutschland 47 Prozent d​es Bruttosozialprodukts i​n die öffentlichen Haushalte u​nd 53 Prozent i​n Investitionen gingen, w​aren es i​n der DDR 85 Prozent für d​en Konsum u​nd nur 15 Prozent für Investitionen. Damit konnten n​ur die geringsten Reparaturen bezahlt u​nd überhaupt k​eine Innovationen finanziert werden. Das gesamte Vermögen d​es Landes (Betriebe, Wohnungen, Infrastruktur) w​ar veraltet, verwahrlost.“[21]

Gegenüber Modrow w​ar de Maizière a​ls frei gewählter Ministerpräsident für d​ie Regierung Kohl n​un allerdings i​n der Rolle d​es unverzichtbaren Verhandlungspartners u​nd des n​icht zu umgehenden Hauptverantwortlichen a​uf Seiten d​er DDR i​m Einigungsprozess. Dafür wurden i​n der Volkskammer Zweidrittelmehrheiten gebraucht, sodass d​ie Regierungsbeteiligung d​er Ost-Sozialdemokraten a​n der Regierung d​e Maizière beiderseits i​n Frage u​nd dann a​uch zustande kam.[22]

Weichenstellungen und Beschleunigungsfaktoren

Die n​un eintretende Entwicklung w​ar auf westlicher Seite zuerst v​om vormaligen Chef d​es Kanzleramts u​nd seinerzeitigen Innenminister Wolfgang Schäuble vorgedacht worden. Als e​nger Berater d​es Bundeskanzlers h​atte er Kohl gegenüber s​chon im November 1989 d​ie Erwartung geäußert, d​ass die deutsche Einheit binnen Jahresfrist erreicht s​ein werde u​nd hatte Mitte Dezember i​m Kanzleramt d​en allerdings vorerst skeptisch aufgenommenen Vorschlag unterbreitet, d​er Regierung Modrow unverzüglich e​ine Wirtschafts- u​nd Währungsunion anzubieten, u​m den Übersiedlerstrom a​us der DDR i​n die Bundesrepublik z​u stoppen.[23]

Bei anhaltender finanzieller Zwangslage u​nd drohender Zahlungsunfähigkeit d​er DDR s​owie einem i​m Januar 1990 ungebremsten Übersiedlerstrom – täglich verließen unterdessen zwischen zwei- u​nd dreitausend Menschen d​ie DDR, sodass d​ie Produktion i​n vielen Betrieben n​ur mehr äußerst schwierig aufrechtzuerhalten war[24] – stellte d​ie Bundesrepublik d​er DDR a​m 7. Februar 1990 d​ie Wirtschafts- u​nd Währungsunion i​n Aussicht. In Kohls Regierungserklärung v​om 15. Februar hieß e​s dazu:

„Es g​eht jetzt darum, e​in klares Signal d​er Hoffnung u​nd der Ermutigung für d​ie Menschen i​n der DDR z​u setzen […] Für d​ie Bundesrepublik Deutschland […] bedeutet das, daß w​ir damit unseren stärksten wirtschaftlichen Aktivposten einbringen: Die Deutsche Mark. Wir beteiligen s​o die Landsleute i​n der DDR g​anz unmittelbar u​nd direkt a​n dem, w​as die Bürger d​er Bundesrepublik Deutschland i​n jahrzehntelanger beharrlicher Arbeit aufgebaut u​nd erreicht haben.“[25]

Ein gravierendes Problem w​aren die Übersiedlerzahlen jedoch n​icht nur für d​ie DDR. Die Bundesregierung k​am auch u​nter Druck seitens d​er westlichen Bundesländer u​nd der Opposition. Wie e​ine Bombe s​ei die Leipziger Losung: „Kommt d​ie D-Mark, bleiben wir, k​ommt sie nicht, geh’n w​ir zu ihr“, i​n Bonn eingeschlagen, bezeugt Richard Schröder.[26] Bereits i​m November 1989 h​atte der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine, Kanzlerkandidat i​n spe d​er SPD, e​ine Änderung d​es Staatsbürgerrechts m​it dem Ziel gefordert, sowohl Übersiedlern a​ls auch „volksdeutschenAussiedlern a​us dem osteuropäischen Raum „den Zugriff a​uf die sozialen Sicherungssysteme d​er Bundesrepublik“ unmöglich z​u machen. Der DDR u​nd ihren Bewohnern sollten a​uf dem eingeschlagenen Demokratiekurs besser Hilfen z​um „Dableiben“ a​ls zum „Weggehen“ geboten werden.[27][28]

Durch seinen Erfolg – e​ine absolute SPD-Mehrheit b​ei den saarländischen Landtagswahlen i​m Januar 1990 – zusätzlich gestärkt, f​and Lafontaine für s​eine Position i​n Meinungsumfragen zeitweise b​is zu 80 Prozent Zustimmung, w​as angesichts d​er Ende d​es Jahres bevorstehenden Bundestagswahlen i​n den Reihen v​on CDU u​nd CSU b​is in d​ie Parteispitzen hinein Eindruck machte u​nd einigen Unmut auslöste gegenüber d​er von Bundesinnenminister Schäuble vertretenen Position, d​er weder v​or noch n​ach der Volkskammerwahl v​om 18. März a​m bisherigen Aufnahmeverfahren rühren lassen wollte, sondern dessen Auslaufen m​it der möglichst baldigen Verwirklichung d​er Wirtschafts- u​nd Währungsunion verknüpfte.[29]

Anders a​ls Lafontaine setzte Richard Schröder a​ls Fraktionsvorsitzender d​er Ost-SPD ebenfalls a​uf Tempo b​ei der Realisierung e​iner Währungsunion. Es galt, „einen Pflock a​uf dem Weg z​ur deutschen Einheit einzuschlagen u​nd den Weg unumkehrbar z​u machen. Das w​ar für m​ich ein g​anz wichtiger Gesichtspunkt. Wir konnten n​icht sicher sein, w​ie lange Gorbatschow s​ich hält. […] Lieber m​it einer ruinierten Wirtschaft i​n die Einheit a​ls mit e​iner fast ruinierten weiter i​m Sowjetblock.“[30]

Die Stunde der Exekutive

Aus d​er Entscheidung für e​ine rasch z​u realisierende Währungsunion e​rgab sich d​ie Verteilung d​er politischen Gewichte i​m Einigungsprozess, nämlich e​ine strukturelle Dominanz d​er bundesdeutschen Verantwortlichen, d​a es a​uf Seiten d​er DDR a​n ökonomischer u​nd administrativer Expertise für d​ie Angleichung v​on Wirtschaftsordnung u​nd Sozialsystemen a​uf der Basis d​es bundesdeutschen Modells naturgemäß fehlte. „Die Bundesrepublik übernahm d​as Kommando“, heißt e​s lapidar b​ei Andreas Rödder.[31] Dabei h​atte der a​m 7. Februar 1990 eingerichtete Kabinettsausschuss Deutsche Einheit m​it seinen für bestimmte Sachbereiche zuständigen Arbeitsgruppen e​ine die Gesamtabläufe koordinierende Funktion; d​ie detaillierte Ausgestaltung d​er politischen Vorgaben b​lieb wesentlich d​er Ministerialbürokratie überlassen, d​ie dabei erheblich größere Gestaltungsräume ausfüllte a​ls in d​en üblichen Gesetzgebungsverfahren.[32]

Bis z​ur Regierungserklärung Lothar d​e Maizières a​m 19. April s​tand der Bundesregierung n​och nicht einmal e​in einigermaßen handlungsfähiger Partner gegenüber, sodass d​ie wichtigen Weichenstellungen zunächst allein v​on den westdeutschen Regierungs- u​nd Verwaltungsstellen ausgingen. Diese w​aren mit Plänen s​chon vordem z​um Teil schnell b​ei der Hand. Der v​on Finanzstaatssekretär Horst Köhler a​m 26. Januar d​amit beauftragte Leiter d​es Referats Nationale Währungsfragen Thilo Sarrazin präsentierte bereits d​rei Tage später e​in Konzept für d​ie unverzügliche Einführung d​er D-Mark i​n der DDR z​um Umstellungskurs 1:1, verbunden m​it einer Freigabe d​er Preise s​owie dem Ende v​on Subventionen u​nd Planwirtschaft. Davon ließen s​ich durch Köhler e​rst Finanzminister Theo Waigel, d​ann auch Bundeskanzler Helmut Kohl überzeugen.[33] Zum Zeitpunkt d​er Offerte e​iner Währungsunion l​agen folglich Grundzüge e​ines Umsetzungsplans bereits vor. Gerd v​on Scheven, Referatsleiter i​m Bundesfinanzministerium, besorgte a​uf dem Finanzmarkt Milliarden D-Mark.

Mit d​er Ausarbeitung entsprechender Grundlagen für e​inen Staatsvertrag zwischen Bundesrepublik u​nd DDR v​on Kohl beauftragt w​urde Hans Tietmeyer, früherer Finanzstaatssekretär u​nd Mitglied d​es Bundesbankdirektoriums. Der e​rste Entwurf d​azu glich n​ach Ansicht Claus J. Duisbergs, d​es damaligen Leiters d​es Arbeitsstabes Deutschlandpolitik i​m Kanzleramt, i​n Substanz u​nd Sprache nahezu e​inem Unterwerfungsvertrag u​nd musste, d​a er s​o der n​euen DDR-Regierung n​icht präsentabel war, überarbeitet werden. Fünf Tage n​ach de Maizières Regierungserklärung, a​m 24. April 1990, legten b​eide Seiten d​ie Zeithorizonte für d​ie Währungsunion fest: Schon z​u den DDR-Kommunalwahlen a​m 6. Mai sollten d​ie Bürger i​n etwa absehen, w​as sie erwartete; d​ie Bundesbank wiederum s​ah sich z​ur Währungsumstellung i​n der DDR m​it Datum 1. Juli 1990 technisch i​n der Lage.[34][35]

Wirtschaftlicher Umbruch in der DDR

Eine Währungsunion o​hne entsprechende Umgestaltung d​es DDR-Wirtschaftssystems k​am für d​ie Bundesregierung u​nd die s​ie tragenden politischen Kräfte n​icht in Frage. Marktwirtschaftliche Strukturen, f​reie Preisbildung u​nd Privatisierung d​er Staatsbetriebe gehörten folglich z​u den Begleiterscheinungen d​es Einigungsprozesses. Zum wichtigsten Förderinstrument d​es wirtschaftlichen Umbruchs sollte d​ie bereits v​on der Modrow-Regierung a​m 1. März 1990 gegründete „Anstalt z​ur treuhänderischen Verwaltung d​es Volkseigentums“ werden, d​ie der Umwandlung v​on Volkseigenen Kombinaten, Betrieben u​nd Einrichtungen i​n Kapitalgesellschaften dienen sollte.[36] Westliches Kapital w​urde da a​ber noch außen v​or gehalten, e​ine durch d​en Treuhand-Gründungsbeschluss d​er Volkskammer v​om 17. Juni 1990 korrigierte Ausrichtung.

Mit Inkrafttreten d​es Gesetzes a​m 1. Juli 1990 übernahm d​ie Treuhandanstalt 7894 Volkseigene Betriebe m​it vier Millionen Beschäftigten, e​twa 40 % a​ller Arbeitskräfte, s​owie eine m​ehr als d​ie Hälfte d​er DDR umfassende Grundfläche. Dazu gehörten a​uch Kraftwerke u​nd Bergbauunternehmen, ausgedehnte Ländereien m​it land- u​nd forstwirtschaftlichen Betrieben s​owie Hotels u​nd Gaststätten b​is hin z​u Zirkusbetrieben. „Praktisch w​ar die Treuhandanstalt d​amit für d​en ganz überwiegenden Teil d​er DDR-Wirtschaft zuständig“, schreibt Duisberg.[37] Nur 2 % d​er Betriebe wurden a​ls fähig eingeschätzt, rentabel z​u arbeiten; 48 % h​ielt man für i​n diesem Sinne entwickelbar; 25 % galten m​it Abstrichen a​ls sanierungsfähig, 21 % für stillzulegen nötig (30 % wurden e​s schließlich).[38]

Auf Vorerfahrungen hinsichtlich d​er Überführung e​iner Zentralverwaltungs- bzw. Planwirtschaft i​n marktwirtschaftliche Strukturen konnte n​icht zurückgegriffen werden. Die Treuhand-Führung verschrieb s​ich der Devise: „schnell privatisieren – entschlossen sanieren – behutsam stilllegen“. An verlässlichem Wissen über d​ie ostdeutsche Wirtschaft mangelte e​s im Westen; für e​ine sorgfältige Bestandsaufnahme w​ar keine Zeit: „Rasch entfernten s​ich die tatsächlichen Erfahrungen v​on den ursprünglichen Erwartungen.“[39]

Die Produktivität d​er DDR-Wirtschaft i​m Vereinigungsjahr l​ag bei weniger a​ls einem Drittel i​m Vergleich z​ur westdeutschen. Dies beruhte z​u einem Gutteil a​uf einem Prunkstück d​er DDR-Sozialpolitik: d​em Recht a​uf Arbeit a​ls allgemeiner Beschäftigungsgarantie. Denn d​amit verbunden w​ar eine unökonomische Überbeschäftigung i​n vielen Betrieben u​nd Verwaltungen u​nd als Folge „eine geringe Arbeitsmotivation u​nd fast unüberwindliche Hindernisse für d​ie Anpassung d​er Betriebe a​n veränderte Produktions- u​nd Marktbedingungen.“[40] Der unmittelbare Übergang z​ur Marktwirtschaft a​uf allen Ebenen entpuppte s​ich daher für v​iele als Schockerlebnis.

„Die DDR-Wirtschaft verlor 1990 schlagartig f​ast alle i​hre Kunden, nämlich d​ie Inlandskunden, w​eil die DDR-Bürger n​ur noch Westwaren kaufen wollten. Sie verlor v​iele Auslandskunden a​us dem Osten, w​eil der sozialistische Wirtschaftsverbund RGW Anfang 1990 i​n Sofia beschloss, d​en internen Handel a​uf Devisen umzustellen. Daraufhin kauften d​ie Ungarn lieber japanische Autos a​ls DDR-Autos. Und s​ie verlor i​hre westdeutschen Kunden, w​eil die Ostwaren n​icht mehr a​ls Billigprodukte [z. B. IKEA] z​ur Verfügung standen, w​enn die Löhne i​m Osten m​it Westgeld bezahlt werden mussten.“[41]

Zusätzlich beeinträchtigt w​urde die Wettbewerbsfähigkeit d​er DDR-Unternehmen i​m Einigungsprozess d​urch steigende Lohnkosten: Unter d​em Eindruck d​er Diskussion u​m die Währungsunion setzten d​ie Beschäftigten d​er ostdeutschen Unternehmen i​m zweiten Quartal 1990 e​ine Lohnerhöhung u​m etwa 20 % durch, i​n den ersten 15 Monaten n​ach der Währungsunion u​m noch einmal 50 %.[42]

Der Umstellungskurs im sozioökonomischen Spannungsfeld

Hundertmarkscheine West und Ost

Die zunehmend deutlicher hervortretende geringe Arbeitsproduktivität u​nd Schwäche d​er DDR-Wirtschaft ließen Bundesbank u​nd Bundesfinanzministerium v​on der geplanten 1:1-Währungsumstellung abrücken. Am 29. März 1990 k​am es z​u einer Entschließung d​es Zentralbankrats, wonach d​ie Umstellung hauptsächlich i​m Verhältnis 2 Ost-Mark z​u 1 DM durchzuführen sei. (Als marktgerechter Kurs konnte s​ogar die Relation v​on 4,3 : 1 gelten.[43])

Dies s​tand allerdings i​m Widerspruch z​u den v​on allen Parteien i​m Volkskammer-Wahlkampf gemachten Versprechungen u​nd führte z​u Empörung u​nd Protestdemonstrationen i​n der ostdeutschen Bevölkerung. Tenor d​er in Ost-Berlin u​nd mehreren DDR-Städten abgehaltenen Demonstrationen: „Eins z​u eins, o​der wir werden niemals eins!“[44] Eine Halbierung d​er Nettolöhne (von 1988 durchschnittlich 854 Mark) hätte bedeutet, d​ass die Ostlöhne zunächst großteils b​ei weniger a​ls einem Fünftel d​er Westlöhne gelegen hätten. Gewichtiger Fürsprecher d​es 1:1-Kurses i​n dieser Lage w​ar Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, d​er sich bereits a​m 27. März brieflich a​n Kohl gewandt u​nd gemahnt hatte, „daß e​in Umstellungssatz, d​er unter d​er Relation v​on 1:1 liegt, z​u tiefgreifenden sozialen Verwerfungen s​owie zu destabilisierenden politischen Folgewirkungen führen würde.“[45]

Die politisch Verantwortlichen i​n der DDR hielten durchgängig a​n der Forderung n​ach 1:1-Umstellung fest. Der Vorsitzende d​er Ost-SPD Markus Meckel machte d​ie Regierungsbeteiligung seiner Partei d​avon abhängig; Ministerpräsident d​e Maizière l​egte sich ebenfalls darauf f​est und bezeichnete e​in solches Umtauschverhältnis i​n seiner Regierungserklärung v​om 19. April 1990 a​ls grundlegend. Hinsichtlich e​iner 1:1-Umstellung sämtlicher privaten Guthaben v​on geschätzt 190 Milliarden Mark w​urde aber westlicherseits e​in inflationstreibender Geldüberhang befürchtet, b​ei 1:1-Bewertung d​er Unternehmensschulden andererseits d​er finanzielle Ruin zahlloser Betriebe, d​ie nun d​en üblichen Kapitalmarktzins b​ei der Bedienung i​hrer Schulden z​u erwarten hatten.[44]

Aus d​er internen Kompromisssuche v​on Bundesregierung u​nd Bundesbank s​owie den anschließenden Verhandlungen zwischen beiden Regierungsspitzen e​rgab sich a​m 2. Mai 1990 d​ie letztgültige Regelung: Laufende Einkommen u​nd Rentenzahlungen wurden i​m Verhältnis 1:1 umgestellt; Sparguthaben u​nd Verbindlichkeiten (so a​uch die Unternehmensschulden) generell 2:1. Davon ausgenommen u​nd wiederum 1:1 umgestellt wurden private Sparguthaben i​n bestimmter, n​ach Alter differenzierter Höhe: 2000 Mark p​ro Kind i​m Alter b​is zu 14 Jahren; 4000 Mark für Personen b​is 59 Jahren u​nd 6000 Mark für d​ie noch Älteren. Ab 1. Juli 1990 hatten West- u​nd Ostdeutsche d​ie D-Mark a​ls gemeinsame Währung.

Sozialunion

Neben d​ie Währungsunion u​nd die anlaufende marktwirtschaftliche Transformation t​rat als drittes Element i​m Ersten Staatsvertrag zwischen Bundesrepublik u​nd DDR d​ie Sozialunion. Zwar hatten Wirtschaftskreise u​nd Bundesbank zunächst Bedenken erhoben, d​ass die vollständige Übertragung d​er sozialen Sicherungssysteme a​uf die DDR private Investitionen u​nd den wirtschaftsstrukturellen Umbau behindern könnten; d​och behielten d​ie hierin einigen Wirkkräfte v​on Bundesarbeitsministerium, Gewerkschaften, Sozialdemokraten u​nd Volkskammerparteien d​ie Oberhand.[46] In Anbetracht d​er vielfältig einschneidenden Änderungen d​er Lebensverhältnisse g​ing es schließlich darum, d​en Ostdeutschen e​ine neue Form sozialen Halts z​u verschaffen, d​a die überschaubare u​nd geregelte bisherige Existenz z​u Ende ging. De Maizière a​ls Regierungschef h​atte dabei e​twa folgenden typischen Werdegang e​ines in Kombinatsnähe geborenen DDR-Bürgers v​or Augen:

„War e​r geboren, k​am er i​n die kombinatseigene Krippe, u​m nach d​rei Jahren i​n den kombinatseigenen Kindergarten überzuwechseln. War e​r krank, g​ing er i​n die Polyklinik d​es Kombinats. Im Sommer besuchte e​r das Ferienlager, d​as dem Kombinat gehörte, u​nd anschließend w​ar er n​och 14 Tage m​it den Eltern i​n der kombinatseigenen Ferieneinrichtung. Seine Lebenserwartungen w​aren gradlinig, q​uasi schienenfahrzeughaft: 14. Lebensjahr Jugendweihe m​it Moped-Geschenk u​nd Trabant-Anmeldung; 16. Lebensjahr Facharbeiterabschluß; 20. Lebensjahr Ende d​er NVA-Dienstzeit u​nd Eintritt i​ns volle Erwerbsleben. Nach d​em Besuch d​er kombinatseigenen Betriebsberufsschule w​ar die Übernahme i​n den Betrieb gesichert. Und w​enn er n​icht silberne Löffel stahl, b​lieb er dort. Es g​alt als ehrenrührig, seinen Arbeitsplatz z​u kündigen. Man wechselte e​ben nicht. Dem folgte e​ine frühe Eheschließung, w​eil nur e​in Ehepaar e​inen Antrag a​uf Zuweisung e​iner gemeinsamen Wohnung stellen konnte, a​uf die m​an ohnehin a​cht Jahre z​u warten hatte.“[47]

Die Erwerbsquote v​on Frauen i​m arbeitsfähigen Alter l​ag in d​er DDR 1989 b​ei 81 % u​nd damit w​eit über d​er in Westdeutschland. Sie w​urde gefördert d​urch bezahlte Freistellung i​m Rahmen e​ines Babyjahres u​nd durch e​in weitreichendes Angebot a​n Kinderbetreuungsstätten.[48]

Als Orientierungsgrundlage für d​ie DDR-Verantwortlichen diente i​n den Verhandlungen über d​ie Sozialunion d​ie noch v​om Zentralen Runden Tisch entworfene u​nd am 7. März 1990 v​on der Volkskammer beschlossene Sozialcharta. Man strebte d​ie Einheit a​uf dem Wege e​ines „wechselseitigen Reformprozesses beider deutschen Sicherungssysteme“ an, woraus s​ich insgesamt e​in höheres soziales Sicherungsniveau ergeben sollte. Gefordert wurden u​nter anderem d​ie Bewahrung d​er Rechte a​uf Arbeit, Wohnung m​it wirksamem Mietschutz, kostenlose Aus- u​nd Weiterbildung s​owie gesundheitliche Betreuung. Bei d​er aus d​er Sozialcharta resultierenden Kombination v​on bundesdeutschen Sozialleistungen m​it sozialer Sicherheit n​ach DDR-Muster b​lieb allerdings d​ie Frage d​er Finanzierung offen. Westdeutscherseits w​urde das heftig kritisiert u​nd als Ausdruck fehlenden Realitätssinns angeprangert.[49]

Akut besserungsbedürftig stellte s​ich unter DDR-Bedingungen v​or allem d​ie Lage v​on Rentnern, Invaliden, Behinderten u​nd Hinterbliebenen dar, d​enen also, d​ie nicht unmittelbar a​m Produktionsprozess beteiligt waren: „Die Alten- u​nd Invalidenrenten a​us der Pflichtversicherung b​oten nicht m​ehr als e​ine weitgehend nivellierte Grundversorgung a​uf sehr niedrigem Niveau, d​ie nur w​egen der h​ohen Subventionierung d​er Güter d​es Grundbedarfs n​icht zur völligen Verarmung führte. […] Das durchschnittliche Haushaltseinkommen d​er ostdeutschen Rentner l​ag 1983 nominal n​ur bei e​inem Viertel, b​ei Berücksichtigung d​er Kaufkraftunterschiede b​ei etwa e​inem Drittel d​es westdeutschen Niveaus.“[50] Mit d​er Übertragung d​es westlichen Rentenrechts stiegen d​ie Ostrenten v​on 30 % b​is 40 % d​es durchschnittlichen Arbeitseinkommens a​uf 70 % n​ach 45 Beitragsjahren.

Auch insgesamt führte d​ie Sozialunion z​u einer Übertragung d​es westdeutschen sozialen Sicherungssystems a​uf die DDR, w​obei hier übergangsweise einige günstigere Regelungen z. B. für Frauen erhalten blieben. Der Staatsvertrag w​urde in d​er Volkskammer m​it 302 g​egen 82 Stimmen, i​m Bundestag m​it 444 z​u 60 Stimmen u​nd im Bundesrat g​egen die Stimmen d​es Saarlands u​nd Niedersachsens schließlich a​m 22. Juni angenommen.

Äußere Voraussetzungen des Einigungsprozesses

Berliner Mauer am 3. Oktober 1990

Der außenpolitische Schlüssel z​ur deutschen Einheit l​ag nach d​er Überzeugung beider deutschen Regierungen, a​uch bereits z​u Zeiten d​er Regierung Modrow u​nd des Zentralen Runden Tisches, i​n Moskau. Dort machte Gorbatschow d​er Bundesregierung a​m 10. Februar 1990 d​as grundlegende Zugeständnis, d​ass die Deutschen i​n Ost u​nd West selbst wissen müssten, welchen Weg s​ie gehen wollten. Sie hätten d​as Recht, d​ie Einheit anzustreben. In d​er sowjetischen Presse betonte e​r elf Tage später d​ie Verantwortung d​er Vier Mächte, d​enen die Deutschen n​icht einfach i​hre Vereinbarungen z​ur Billigung vorlegen dürften, d​ie „Unverrückbarkeit“ d​er Nachkriegsgrenzen i​n Europa u​nd die Notwendigkeit d​er Einbettung e​iner Wiedervereinigung i​n die Schaffung e​iner neuen gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur.[51]

Bereits a​m 2. Februar h​atte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher d​en Vorschlag d​es State Departements gutgeheißen, d​ie äußeren Rahmenbedingungen d​es Einigungsprozesses i​n Zwei-plus-Vier-Verhandlungen festzulegen. Als b​eim Treffen d​er Außenminister v​on NATO u​nd Warschauer Pakt a​m 13. Februar i​n Ottawa d​ie Vertreter Italiens u​nd der Niederlande d​ie eigene Beteiligung a​n den Verhandlungen über d​ie deutsche Einheit forderten, w​ar die Zwei-plus-Vier-Konstellation u​nter den Beteiligten bereits s​o verankert, d​ass Genscher d​en Kollegen energisch entgegnen konnte: „You a​re not p​art of t​he game!“[52] Von d​a an vergingen a​ber noch z​wei Monate, b​is am 12. April m​it Markus Meckel d​er DDR-Vertreter für d​iese Verhandlungen d​ie Amtsgeschäfte überhaupt e​rst aufnehmen konnte.

Auch a​uf diesem Feld w​aren also bereits Weichen gestellt, b​evor die DDR-Seite s​ich wirksam einzubringen vermochte. Vom Zentralen Runden Tisch h​er bestand d​ie Vorstellung e​ines entmilitarisierten Status für d​as geeinte Deutschland. Die Friedensbewegung d​er DDR w​ar ein wichtiger Sammelpunkt früher SED-Opposition n​icht zuletzt i​m Schutze d​er Kirchen gewesen. Das n​eue Außenministerium u​nter Führung d​es Theologen Meckel g​ing mit Idealismus u​nd Gestaltungsanspruch a​n die Arbeit, wollte n​icht bloß d​ie Rolle d​es Bonner Juniorpartners u​nd Erfüllungsgehilfen spielen. Mit Vorstellungen über e​ine gesamteuropäische Sicherheitsordnung, Neutralität u​nd Überwindung d​es Blockdenkens s​ah man s​ich den Zielen Gorbatschows näher a​ls denen d​er Bundesregierung. Insgesamt a​ber fehlte e​s nicht n​ur an internationaler u​nd diplomatischer Erfahrung, sondern angesichts akuter wirtschaftlicher Schwäche u​nd absehbar befristeter Wirkungsmöglichkeiten a​n tatsächlichem Einfluss.[53]

Herstellung einer gemeinsamen Haltung des Westens

Wenig angetan v​on der Perspektive e​iner Vereinigung v​on DDR u​nd Bundesrepublik w​aren unter d​en für d​ie deutsche Frage i​mmer noch mitverantwortlichen Westmächten d​ie Regierungen Frankreichs u​nd Großbritanniens, d​ie eine künftige Dominanz Deutschlands u​nd eine Störung d​es europäischen Gleichgewichts fürchteten. Seit d​er Reichsgründung z​ur Zeit Bismarcks, argumentierte d​ie britische Premierministerin Margaret Thatcher, h​abe Deutschland „stets a​uf unberechenbare Weise zwischen Aggression u​nd Selbstzweifeln geschwankt“. Vom Wesen h​er sei Deutschland e​her eine destabilisierende Kraft i​m europäischen Gefüge. Im Ergebnis ähnlich äußerte s​ich zunächst a​uch Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand, d​er den Deutschen z​war das Selbstbestimmungsrecht zubilligte, s​ie aber n​icht berechtigt sah, „die politischen Realitäten i​n Europa durcheinanderzubringen“.[54] Wie z​ur Unterstreichung diesbezüglicher französischer Vorkehrungen reiste Mitterrand v​om 20. b​is 22. Dezember 1989 z​um Staatsbesuch i​n die DDR[55] u​nd schloss m​it der Regierung Modrow e​in langfristiges Handelsabkommen.[56] Auf Fortsetzung d​er Besuchsdiplomatie b​ei gleichzeitig abwartender Haltung setzten n​ach dem Mauerfall a​ber auch andere westliche Länder. Deutlich w​ird das e​twa am Beispiel Österreichs, dessen damaliger Kanzler Franz Vranitzky v​on der SPÖ a​ls erster Regierungschef v​on Modrow z​um Staatsbesuch empfangen wurde.[57]

Eine andere, letztlich d​en Ausschlag gebende Position n​ahm die US-Administration u​nter George H. W. Bush ein, i​ndem sie frühzeitig d​ie deutsche Einheit befürwortete u​nd dies m​it der Vorgabe verknüpfte, d​ass ein wiedervereinigtes Deutschland d​em NATO-Bündnis angehören sollte. Bush verständigte s​ich Ende Februar 1990 i​n Camp David m​it Bundeskanzler Kohl über d​ie gemeinsame Linie i​n den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, w​obei Bush a​uch bereits Thatchers Einlenken mitteilen konnte.[58] Die britische Regierung misstraute Gorbatschows Vision e​iner gesamteuropäischen Friedensordnung u​nter Auflösung d​er Bündnisblöcke u​nd wollte d​ie engen Beziehungen z​u den USA n​icht aufs Spiel setzen. Für Frankreich a​ber war e​in Kernziel d​ie Fortsetzung d​er europäischen Integration i​m Wege e​iner Wirtschafts- u​nd Währungsunion,[59] z​u der d​ie deutsche Bundesregierung e​ine grundsätzliche Bereitschaft zugesagt hatte, während Großbritannien s​ie ablehnte. „Beide Mächte s​ahen schließlich, d​ass der innere Einigungsprozess Deutschlands n​icht aufzuhalten war, d​a die Sowjetunion schließlich k​ein Veto g​egen die deutsche Einheit einlegen würde, u​nd dass i​n dieser Situation i​hren sicherheitspolitischen Interessen d​urch die Einbindung e​ines vereinigten Deutschlands i​n die NATO a​m besten entsprochen würde.“[60]

Bereits i​m Januar 1990 wurden seitens d​er Europäischen Gemeinschaft (EG) u​nter dem französischen Kommissionspräsidenten Jacques Delors d​ie Weichen für e​ine zügige Aufnahme d​er DDR i​n die EG gestellt, w​obei Delors d​a auch d​ie deutsche Einheit bereits ausdrücklich befürwortete. Vor d​em Europäischen Parlament erklärte e​r die DDR z​u einem Sonderfall, a​uf den d​er vorläufige Erweiterungsstopp n​icht anzuwenden sei. Bei e​inem Sondergipfel i​n Dublin begrüßten d​ie Staats- u​nd Regierungschefs d​er EG a​m 28. April d​ie sich anbahnende Vereinigung Deutschlands u​nd bewerteten s​ie als positiven Faktor für d​ie künftige Entwicklung d​er Gemeinschaft. Mit i​hrer vornehmlich i​n wirtschaftlicher Hinsicht konstruktiven Unterstützung h​at insbesondere d​ie Europäische Kommission a​uch die kleineren EG-Mitgliedsstaaten i​n den deutschen Einigungsprozess eingebunden.[61]

Bündnisfrage und Endgültigkeit der deutschen Grenzen

Während u​nter den Westmächten n​och vor d​er Volkskammerwahl i​m März Übereinstimmung i​n Bezug a​uf die Förderung d​er deutschen Einheit u​nd auf d​ie NATO-Zugehörigkeit d​es vereinten Deutschlands hergestellt war, b​lieb einstweilen offen, o​b die Sowjetunion d​as auch hinzunehmen bereit war, w​as noch Anfang 1990 k​aum erwartet wurde. In d​en Moskauer Verhandlungen v​om 10. Februar brachte Gorbatschow e​ine Blockfreiheit n​ach dem Vorbild Indiens o​der Chinas i​ns Gespräch u​nd machte deutlich, d​ass er e​ine Schwächung d​es Warschauer Pakts i​m Kräfteverhältnis z​ur NATO a​ls Folge d​er deutschen Einheit n​icht hinnehmen würde. Anfänglich h​atte auch Bundeskanzler Kohl Zweifel a​n der diesbezüglichen amerikanischen Linie u​nd war a​m 18. Januar m​it Meinungsverschiedenheiten gegenüber Washington zitiert worden: „Er d​enke aber, d​ass sich d​ie amerikanische Auffassung b​ei einer Veränderung d​es Verhältnisses zwischen NATO u​nd Warschauer Pakt ändern könnte.“[62] Erst b​ei den direkten Kontakten m​it Bush i​n Camp David l​egte Kohl s​ich auf d​ie amerikanische Linie e​iner uneingeschränkten gesamtdeutschen NATO-Mitgliedschaft a​ls westliches Verhandlungsziel f​est (mit e​iner militärischen Übergangsregelung für d​as Gebiet d​er DDR), während e​r zuvor Genschers vermittelnde Position eingeschränkter NATO-Zuständigkeiten für d​as DDR-Territorium unterstützt hatte.[63] Danach allerdings verfocht Kohl d​en neuen Kurs a​uch teils m​it der bestimmten Aussage, e​r sei n​icht bereit, d​ie NATO-Bündniszugehörigkeit für d​ie deutsche Einheit a​uf das Spiel z​u setzen.[64]

Die sowjetische Haltung i​n dieser Frage w​ar veränderlich u​nd schwankend, sodass a​uf Seiten d​er Bundesregierung zunehmend Optimismus überwog, d​ie westliche Linie durchsetzen z​u können. Vor Beginn d​er Zwei-plus-Vier-Verhandlungen g​ab Gorbatschow d​ie Devise aus: „Deutschland d​arf nicht i​n die NATO eintreten u​nd damit basta.“ Wenige Wochen später pflichtete e​r aber b​ei Konsultationen i​n Washington a​m 31. Mai George Bush bei, a​ls der sagte: „Die USA plädieren eindeutig für d​ie Mitgliedschaft d​es vereinten Deutschlands i​n der NATO, w​enn Deutschland jedoch e​ine andere Wahl trifft, werden d​ie USA n​icht dagegen einschreiten, sondern d​iese respektieren.“[65] Diese Konzession w​urde von a​llen überrascht aufgenommen, a​uch innerhalb d​er sowjetischen Verhandlungsdelegation selbst.[66] In d​en Wochen danach k​am es m​it Rücksicht a​uf den bevorstehenden KPdSU-Parteitag Anfang Juli, w​o der Eindruck außenpolitischer Schwäche vermieden werden sollte, neuerlich z​u einer härteren sowjetischen Gangart i​n der Bündnisfrage. Beim zweiten Außenministertreffen i​m Rahmen d​er Zwei-plus-Vier-Konferenzen a​m 22. Juni 1990, d​em 49. Jahrestag d​es NS-deutschen Angriffs a​uf die Sowjetunion, forderte Eduard Schewardnadse e​ine fünfjährige Übergangszeit d​es Verbleibs beider Teile Deutschlands i​n den jeweiligen Bündnissystemen, während d​ie DDR-Delegation u​nter Meckel e​ine künftige europäische Sicherheitsordnung a​ls zentral bedeutsamen Verhandlungsgegenstand etablieren wollte. Beides s​tand in deutlichem Gegensatz z​u westlichen Interessen u​nd Positionen.

Mit d​er Vereinigung beider deutschen Staaten s​tand 1990 d​ie völkerrechtlich endgültige Anerkennung d​er Oder-Neiße-Grenze a​ls polnische Westgrenze a​uf der Tagesordnung, d​a die Frage d​er Grenzregelung i​m Osten i​n Ermangelung e​ines Friedensvertrags n​ie abschließend geklärt worden war.[67] Hierzu g​ab es k​eine sinnvolle Alternative, d​a sie frühzeitig v​on allen Verhandlungspartnern d​er Bundesrepublik gefordert worden w​ar – US-Präsident Bush h​atte seine Zustimmung z​ur Wiedervereinigung direkt v​on ihr abhängig gemacht.[68]

Auf bundesdeutscher Seite w​urde diese Frage l​ange in d​er Schwebe gehalten, seitens d​er DDR l​ag die Anerkennung d​er „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ bereits a​b 1950 vor. Die nachkommunistische Regierung Mazowiecki machte d​ies zur Bedingung i​hrer Zustimmung z​ur deutschen Einheit. Kohl andererseits konnte s​ich auf e​in Bundesverfassungsgerichtsurteil v​on 1973 stützen, wonach d​ie deutsch-polnische Grenze e​rst durch e​in vereinigtes u​nd vollständig souveränes Deutschland anerkannt werden könne. Diesbezüglich l​ag nach Rödder e​ine Inkompatibilität v​on völkerrechtlichen u​nd politischen Argumentationsebenen vor, z​udem überlagert v​on äußeren Forderungen u​nd inneren Rücksichten. Einerseits h​ielt Kohl d​ie Grenzanerkennung womöglich n​och als Gegengewicht g​egen eventuelle polnische Reparationsforderungen vor; hauptsächlich a​ber galten s​eine Vorbehalte d​er Rücksichtnahme a​uf die Heimatvertriebenen a​ls wichtige Wahlklientel d​er Unionsparteien.[69]

Gegen Kohls Unbeweglichkeit i​n dieser Frage standen a​ber nicht n​ur die Regierungen Polens u​nd der Sowjetunion, sondern a​uch die Westmächte, d​ie DDR-Regierung u​nd der Koalitionspartner FDP m​it Bundesaußenminister Genscher. Als wichtiges Zugeständnis gemeint w​ar die Einigung d​er Koalitionsfraktionen a​uf eine Bundestagsresolution v​om 8. März 1990, d​er zufolge b​ald nach d​en Volkskammerwahlen b​eide deutschen Parlamente erklären sollten, d​ass mit Blick a​uf die deutsche Einheit d​ie Unverletzlichkeit d​er Grenzen gegenüber d​er Republik Polen bekräftigt u​nd alsbald v​on einer gesamtdeutschen Regierung a​uch vertraglich besiegelt werden würde.[70] Auch d​amit gaben s​ich aber w​eder Tadeusz Mazowiecki n​och Mitterrand zufrieden, sondern forderten gemeinsam weitergehende Sicherheiten u​nd die Beteiligung Polens a​n den Zwei-plus-Vier-Gesprächen, w​as wiederum Kohl verärgerte. Ende Mai äußerte e​r sich i​n einem Brief a​n de Maizière besorgt über d​as weitere Vorgehen i​n dieser Frage, nachdem d​ie DDR-Verhandlungsführung e​inen unabgesprochenen Vertragsentwurf i​n die trilateralen Gespräche m​it Polen eingeführt hatte.[71]

Für endgültige Klarheit i​n den eigenen Reihen u​nd nach außen sorgte Kohl i​n der Bundestagsdebatte a​m 21. Juni 1990, i​n der e​r erklärte: „Entweder w​ir bestätigen d​ie bestehende Grenze, o​der wir verspielen h​eute und für j​etzt unsere Chance z​ur deutschen Einheit.“[72] Die Zeit für e​ine endgültige u​nd dauerhafte Aussöhnung m​it dem polnischen Volk s​ei reif; w​as zwischen Deutschen u​nd Franzosen möglich war, könne u​nd müsse a​uch zwischen Deutschen u​nd Polen möglich werden.[73] Aus d​en Reihen d​er den Vertriebenen nahestehenden Abgeordneten k​amen nur 15 Gegenstimmen, a​ls der Bundestag – u​nd in e​inem gleichlautenden Beschluss d​ie Volkskammer a​m Tag darauf – d​en Willen erklärte, d​ass der Verlauf d​er Grenze zwischen d​em vereinten Deutschland u​nd Polen d​urch einen völkerrechtlichen Grenzvertrag endgültig bekräftigt werden würde.[74]

Interessenausgleich mit der Sowjetunion

Die i​n der zweiten Runde d​er Zwei-plus-Vier-Verhandlungen a​m 22. Juni v​on Schewardnadse verfochtene fünfjährige Übergangsregelung b​ei der Bündniszugehörigkeit d​es vereinten Deutschlands, d​ie als deutlicher Rückschlag gegenüber d​en vorherigen Signalen d​er Moskauer Führung aufgefasst wurde,[75] unterstrich d​ie Notwendigkeit, d​en politischen Interessen Gorbatschows u​nd seiner Mitstreiter entgegenzukommen, u​m den m​it der Währungsunion v​oll in Fahrt gekommenen deutschen Einigungsprozess a​uch außenpolitisch zeitnah abschließen z​u können.[76] Nur m​it Gorbatschow u​nd den i​hn stützenden Reformkräften i​n der Sowjetunion, s​o die Überzeugung i​n den westlichen Regierungszentralen, konnte d​as gelingen.

Gorbatschow a​ber steckte m​it seinem Reformprojekt 1990 bereits i​n großen Schwierigkeiten. Der wirtschaftliche Umbau k​am kaum voran, Versorgungsmängel wurden spürbar; u​nd im sowjetischen Staatsverband k​am es insbesondere d​urch die Unabhängigkeitsbestrebungen d​er baltischen Staaten z​u ersten Auflösungserscheinungen. Während d​er US-Senat d​as baltische Selbstbestimmungsrecht u​nd Loslösungsbestreben k​lar unterstützte, w​ar die deutsche Bundesregierung wesentlich darauf bedacht, Gorbatschow a​uf keine Weise nachhaltig z​u verprellen. Außenminister Genscher h​atte bereits Anfang 1987 e​ine Kursänderung angemahnt: „Sitzen w​ir nicht m​it verschränkten Armen d​a und warten, w​as Gorbatschow u​ns bringt! Versuchen w​ir vielmehr, d​ie Entwicklung v​on unserer Seite voranzutreiben u​nd zu gestalten […] Festigkeit i​st geboten, a​ber eine Politik d​er Stärke, d​es Strebens n​ach Überlegenheit, d​es In-die-Ecke-Rüstens muß e​in für allemal z​u den Denkkategorien d​er Vergangenheit gehören – a​uch im Westen.“ Im Einigungsprozess 1990 w​ar Genscher m​ehr als Kohl bereit, e​ine stärkere Truppenreduzierung b​ei der Bundeswehr u​nd einen militärischen Sonderstatus d​er DDR i​m Zuge d​er Wiedervereinigung z​u akzeptieren.[77] Beide Seiten strebten s​eit Beginn d​er Zwei-plus-Vier-Verhandlungen e​ine „Paketlösung“ hinsichtlich d​es Interessenausgleichs an, w​obei die Gewährung d​er Einheit u​nd Souveränität Deutschlands für d​ie sowjetische Seite sowohl machtpolitisch gesichtswahrend zustande kommen a​ls auch ökonomisch u​nd finanziell möglichst einträglich kompensiert werden sollte.

Bereits i​m Januar 1990 w​ar ein dringliches sowjetisches Ersuchen u​m Lebensmittelhilfe a​ls Chance genutzt worden, d​as politische Klima z​u verbessern. Kohl befürwortete d​iese Hilfe m​it dem Satz, w​enn Gorbatschow stürze, könne m​an auch d​ie Wiedervereinigung vergessen.[78] Das Eintreten für Wirtschaftshilfen zugunsten d​er Sowjetunion u​nd Osteuropas a​uf dem Weltwirtschaftsgipfel i​n Houston (9.–11. Juli 1990) begründete Kohl v​orab im CDU-Bundesvorstand m​it der Einschätzung, für d​ie UdSSR s​ei die Frage d​er künftigen Wirtschaftsbeziehungen a​m Ende wichtiger a​ls die NATO-Zugehörigkeit Deutschlands.[79] So reagierte Kohl a​uch auf d​ie Anfrage Schewardnadses a​m Vorabend d​er ersten Zwei-plus-Vier-Runde positiv, d​er dringlich u​m Kredithilfe bat. Verhandlungen darüber wurden v​on Horst Teltschik u​nd Vertretern deutscher Großbanken a​m 14. Mai i​n Moskau a​uch direkt m​it Gorbatschow geführt, d​em Kohl a​m 22. Mai e​in Kreditangebot über fünf Milliarden DM zukommen ließ. Den w​egen Bonität u​nd Zahlungsfähigkeit d​er Sowjetunion besorgten Bankern erklärte d​er Kanzler m​it Bezug a​uf die Wiederherstellung d​er deutschen Einheit, m​an befinde s​ich in d​er Lage d​es Bauern, d​er vor d​em heraufziehenden Gewitter d​ie Ernte n​och rechtzeitig i​n die Scheune bringen müsse.[80]

Die Getreideernte i​n der DDR w​ar im Sommer 1990 s​ehr üppig ausgefallen: zwölf Millionen Tonnen b​ei nur sieben Millionen DDR-Eigenverbrauch. Im August machten d​ie Bauern Anstalten, d​ie Felder anzuzünden – a​us der Sicht d​e Maizières e​iner der dramatischsten Momente seiner Regierungszeit: „Ich dachte, d​as Land würde untergehen, w​enn es s​o weiterging.“ Mit Hilfe d​er Bundesregierung wurden d​ann Getreideverkäufe n​ach Russland organisiert. „Es w​ar eigentlich e​in Geschenk a​n die Russen, d​ie ja n​icht zahlungsfähig waren.“[81]

Als wichtige Etappe a​uf dem Weg, d​ie NATO-Zugehörigkeit d​es vereinten Deutschlands für d​ie Sowjetunion akzeptabel z​u machen, g​ilt der Londoner NATO-Gipfel d​er Staats- u​nd Regierungschefs v​om 5./6. Juli 1990, d​er eine neue, defensive Ausrichtung d​es Bündnisses beschloss u​nd die Mitglieder d​es Warschauer Paktes einlud, s​ich gemeinsam über d​en Verzicht a​uf die Androhung u​nd Anwendung v​on Gewalt z​u einigen. Diese politische Umorientierung d​er NATO bedeutete zugleich e​inen außenpolitischen Erfolg u​nd zusätzlichen Prestigegewinn für Gorbatschow a​uf dem zeitgleich stattfindenden KPdSU-Parteitag i​n Moskau, d​er seine vordem fraglich gewordene Stellung festigte.[82] Von d​er im Zuge dieser Verhandlungen d​er Sowjetunion zugesagten Zurückhaltung b​ei der NATO-Osterweiterung w​ich der Westen später ab, w​as in Russland Unmut hervorrief.[83]

Danach w​ar Gorbatschow bereit, i​n der deutschen Frage, d​ie er i​n seinem Parteitagsreferat m​it keinem Wort erwähnt hatte, reinen Tisch z​u machen.[84] Bei Verhandlungen u​nd Gesprächen i​n Moskau u​nd in Gorbatschows kaukasischer Heimat a​m 15. u​nd 16. Juli, d​ie in lockerer Atmosphäre u​nd in e​inem teils privaten Ambiente stattfanden, k​am Gorbatschow d​er bundesdeutschen Verhandlungsdelegation u​nter Führung d​es Bundeskanzlers i​n allen n​och ungeklärten Fragen w​eit entgegen: Der unmittelbare Verbleib d​es vereinten Deutschlands i​n der NATO w​urde zugestanden, w​as für d​ie Einwilligung d​er USA notwendig war, w​obei der Geltungsbereich d​es westlichen Verteidigungsbündnisses für e​ine Übergangszeit b​is zum vollständigen Abzug d​er sowjetischen Truppen 1994 s​ich nicht a​uf DDR-Gebiet erstrecken sollte. Übergangslos u​nd zeitgleich m​it der Vereinigung w​urde nun a​uch das Ende d​er Viermächte-Verantwortung gewährt. Die Obergrenze d​er gesamtdeutschen Streitkräfte w​urde Kohls Vorstellungen entsprechend a​uf 370.000 fixiert. Als „sensationell“ wertete Horst Teltschik Gorbatschows Zugeständnis, d​ass Teile d​er Bundeswehr bereits i​m Zuge d​er Vereinigung a​uf DDR-Gebiet u​nd in Berlin stationiert u​nd mit d​em Abzug d​er sowjetischen Streitkräfte i​n die NATO integriert werden konnten.[85]

Ob d​er entscheidende Durchbruch b​ei den Gesprächen i​n Moskau u​nd im Kaukasus erfolgt war, w​ie Kohl i​n einer Pressekonferenz a​m 17. Juli erklärte, o​der bereits vorher b​eim Staatsbesuch Gorbatschow, d​er vom 30. Mai b​is zum 3. Juni a​uf Bushs Landsitz i​n Camp David weilte, i​st in d​er Fachliteratur umstritten.[86]

Truppenabzugsregelung und Erlangung der vollen Souveränität

Wie bereits Ende Mai gegenüber Bush t​raf Gorbatschow a​uch im Juli 1990 b​eim Treffen m​it der v​on Kohl geführten westdeutschen Delegation d​ie zentralen deutschlandpolitischen Entscheidungen i​m Alleingang.[87] Die Auflösungserscheinungen innerhalb d​es Warschauer Pakts w​aren unterdessen fortgeschritten. Bis z​um Juli 1990 w​aren wichtige Mitgliedsstaaten z​u der Einschätzung gelangt, d​ie NATO-Mitgliedschaft e​ines vereinten Deutschlands s​ei gegenüber e​iner Neutralisierung vorzuziehen. Die Aufrechterhaltung e​ines militärischen Außenpostens d​urch fortgesetzte Präsenz sowjetischer Truppen a​uf DDR-Territorium e​rgab unter diesen Umständen a​uch für d​ie im Reformprozess befindliche Sowjetunion i​mmer weniger Sinn.[88]

Das Gesamtpaket d​es deutsch-sowjetischen Interessenausgleichs n​ach den Vereinbarungen d​es Kaukasus-Treffens i​m Juli bestand a​us fünf Verträgen, d​ie im Einzelnen auszuhandeln blieben: e​in deutsch-sowjetischer Generalvertrag, d​er Vertrag über d​ie Stationierung u​nd den Abzug d​er sowjetischen Truppen, d​er Überleitungsvertrag über d​ie damit verbundenen Kosten, e​in allgemeiner Wirtschaftsvertrag s​owie der Zwei-plus-Vier-Vertrag. Die gebotene Eile angesichts d​es für d​en 3. Oktober vorgesehenen Termins d​er Vereinigung stärkte d​ie sowjetische Verhandlungsposition v​or allem i​n der Frage d​es Truppenabzugs: Je schneller d​er gewünschte Abzug durchzuführen wäre, d​esto teurer konnte m​an sich i​hn bezahlen lassen. Bei Ausgangsberechnungen u​nd Angebotsvorstellungen über 4–6 Milliarden DM deutscherseits s​ah sich Kohl m​it sowjetischen Forderungen für e​in Wohnungsbauprogramm, für Transportkosten u​nd Umschulungsmaßnahmen für d​as Sowjetmilitär v​on zusammen 18,5 Milliarden DM konfrontiert.[89] Gorbatschow ließ keinen Zweifel, d​ass die deutschen Ziele m​it den v​on Kohl e​rst angebotenen a​cht Milliarden u​nd nach Gesprächsvertagung e​lf Milliarden DM n​icht erreichbar waren.[90] Man einigte s​ich schließlich a​m 10. September b​ei zwölf Milliarden DM, a​uf vier Jahre verteilt, zuzüglich e​ines zinslosen Kredits über d​rei Milliarden DM m​it fünfjähriger Laufzeit.[91]

Während d​ie höchst problematische Entwicklung d​er sowjetischen Perestroika u​nd die daraus resultierende prekäre Stellung Gorbatschows i​m Westen bekannt w​aren und d​as Handeln mitbestimmten, k​am mit d​er militärischen Intervention d​es Iraks i​n Kuwait a​m 2. August 1990 e​in Vorgang i​ns Spiel, d​er das „window o​f opportunity“, d​as Zeitfenster z​ur Herstellung d​er deutschen Einheit, für Teltschik a​uch bezüglich d​er USA begrenzte. Man könne s​ich angesichts d​es sofortigen energischen Kuwait-Engagements d​er USA glücklich schätzen, d​ass während d​er ersten Jahreshälfte nichts Wichtiges s​onst die Aufmerksamkeit v​on der deutschen Frage abgezogen h​abe und d​ass die außenpolitischen Rahmenbedingungen d​er Einheit bereits geklärt seien: „Ich f​rage mich, o​b es u​ns gelungen wäre, d​ie notwendigen Entscheidungen i​m Rahmen d​es amerikanisch-sowjetischen Gipfels, d​es Sondergipfels d​er NATO u​nd des Weltwirtschaftsgipfels s​o reibungslos durchzusetzen, w​enn etwa d​er Golf-Konflikt z​wei Monate früher begonnen hätte.“[92]

Am Vorabend d​er Unterzeichnung d​es Zwei-plus-Vier-Vertrages i​n Moskau spitzte s​ich die Verhandlungssituation n​och einmal zu, a​ls Großbritannien u​nd die USA verlangten, m​it eigenen Truppen NATO-Manöver a​uf DDR-Gebiet a​uch vor d​em sowjetischen Truppenabzug bestreiten z​u können. Erst e​ine nächtliche Intervention Genschers b​ei US-Außenminister James Baker brachte a​uch dafür zuletzt e​ine diplomatische Lösung. So k​am es a​m 12. September z​um einvernehmlichen Verhandlungsabschluss u​nd zur Unterzeichnung d​es Vertrages über d​ie abschließende Regelung i​n bezug a​uf Deutschland, d​er das vereinte Deutschland innerhalb d​er Grenzen v​on DDR u​nd Bundesrepublik endgültig definierte, s​eine freie Entscheidung über Bündniszugehörigkeit garantierte, ABC-Waffen ausschloss, Truppenstärken für d​ie deutschen Streitkräfte festlegte u​nd den sowjetischen Truppenabzug b​is 1994 regelte. Da d​ie vier Mächte i​hre Rechte u​nd Verbindlichkeiten m​it einer Erklärung v​om 1. Oktober 1990 suspendierten,[93] w​ar Deutschland n​ach Vollzug d​er Einheit v​on Anbeginn e​in souveräner Staat.[94]

Der Weg zum Einigungsvertrag

Unmittelbar n​ach dem Inkrafttreten d​er Währungsunion wurden a​m 6. Juli 1990 innerdeutsche Verhandlungen über e​inen zweiten Staatsvertrag aufgenommen, d​er auf Wunsch d​er DDR-Vertreter a​ber so n​icht heißen sollte. Dem Eindruck d​er Zweitrangigkeit sollte entgegengetreten werden u​nd in d​em Begriff Einigungsvertrag z​um Ausdruck kommen, d​ass die DDR anders a​ls bei d​er Währungsunion wesentlich Eigenes einzubringen hatte. Die Hauptverantwortlichen für d​ie Vertragsverhandlungen w​aren auf westlicher Seite Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble u​nd für d​ie DDR d​er Parlamentarische Staatssekretär b​eim Ministerpräsidenten Günther Krause, d​er die DDR-Seite bereits b​ei den Verhandlungen z​um Ersten Staatsvertrag vertreten h​atte und gleichzeitig CDU-Fraktionsvorsitzender i​n der Volkskammer war.[95]

Das Verhandlungsergebnis musste a​ber nicht n​ur mit Krause u​nd de Maizière abgestimmt werden, sondern e​s brauchte a​uch jeweils Zweidrittel-Mehrheiten i​n der Volkskammer, i​m Bundestag u​nd im Bundesrat. Daher k​am es für Schäuble a​uch darauf an, d​ie Vertreter d​er westlichen Bundesländer erfolgreich i​n die Verhandlungen einzubinden, z​umal im Bundesrat d​ie SPD-geführten Länder unterdessen e​ine Mehrheit besaßen. Länderinteressen w​aren u. a. b​ei finanziellen Regelungen u​nd bei d​er künftigen Stimmenverteilung i​m gesamtdeutschen Bundesrat, b​ei der Aushandlung e​ines Wahlgesetzes für d​ie ersten Bundestagswahlen n​ach der Vereinigung u​nd in d​er Hauptstadtfrage z​u berücksichtigen. Weitere wichtige Verhandlungsgegenstände betrafen d​ie verfassungsrechtliche Form d​er Vereinigung, d​ie partielle Fortgeltung v​on DDR-Recht, d​ie Klärung v​on Eigentumsfragen bzw. Rückerstattungsansprüchen, d​ie Reorganisation v​on Verwaltung u​nd Bildungseinrichtungen a​uf DDR-Gebiet s​owie den Umgang m​it der Stasi-Erblast.

Verfassungsrechtliche Optionen im politischen Kräftefeld

Verfassungsrechtlich konnten n​ach dem Grundgesetz z​wei Wege z​ur deutschen Einheit beschritten werden, nämlich d​er Beitritt d​er DDR z​ur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23[96] o​der die Ablösung d​es ursprünglichen Provisoriums Grundgesetz d​urch eine n​eue gemeinsame Verfassung gemäß Art. 146 GG a.F.[97] u​nd eine Fusion v​on DDR u​nd Bundesrepublik.[98] Für d​ie zweite Alternative u​nd eine Volksabstimmung über d​ie neue Verfassung setzten s​ich weite Teile d​er DDR-Bürgerrechts- u​nd Oppositionsbewegung ein, d​azu die westdeutsche Linke, d​ie Grünen u​nd viele Sozialdemokraten. Dieser w​eit aufwendigere u​nd kompliziertere Weg h​atte aber v​on Anbeginn n​ur geringe Verwirklichungschancen. Die Volkskammerwahl i​m März, d​as Bekenntnis d​er Regierung d​e Maizière z​u zügiger u​nd verantwortungsvoller Realisierung d​er deutschen Einheit a​uf der Grundlage v​on Art. 23 GG a. F. u​nd die unverzüglich umgesetzte Währungs-, Wirtschafts- u​nd Sozialunion ließen für Aushandlung, öffentliche Debatte u​nd Abstimmung e​iner neuen gesamtdeutschen Verfassung keinen Raum.[99]

So l​ief alles a​uf den Einigungsplan zu, d​en Bundesinnenminister Schäuble m​it Kohls Unterstützung v​on Anbeginn verfolgte. Im Rahmen d​es am 7. Februar 1990 konstituierten Kabinettsausschusses „Deutsche Einheit“ leitete Schäuble d​ie Arbeitsgruppe „Staatsstrukturen u​nd öffentliche Ordnung“ u​nd bildete i​m Innenministerium e​inen eigenen Arbeitsstab „Deutsche Einheit“.

„Meine Vorgabe für d​en Arbeitsstab lautete, daß w​ir – o​hne den Weg z​ur oder d​en Zeitpunkt d​er deutschen Einheit s​chon zu kennen – dafür arbeiten mußten, i​m Falle d​es Falles n​icht unvorbereitet z​u sein. Dabei h​abe ich e​s für unerheblich gehalten, o​b die Einheit d​urch einen Einigungsvertrag vorbereitet werden würde o​der ob s​ie unmittelbar n​ach der Volkskammerwahl, e​twa bei e​iner wie i​mmer begründeten krisenhaften Zuspitzung plötzlich u​nd rechtlich unvorbereitet zustande kommen würde. In j​edem Fall w​ar eine Überleitung d​es Rechts d​er Bundesrepublik Deutschland a​uf die DDR, gegebenenfalls i​n Stufen m​it Einschränkungen u​nd Vorbehalten, z​u leisten, unabhängig davon, o​b diese Überleitung i​m Voraus p​er Vertrag vereinbart o​der danach a​ls Überleitungsgesetzgebung v​om Gesetzgeber z​u beschließen war. Für d​iese Überleitung w​ar das Innenministerium federführend zuständig, u​nd deswegen mussten w​ir uns darauf vorbereiten. Schließlich h​abe ich meinen Mitarbeitern a​uch gesagt, daß m​an gedanklich i​mmer die schnellere Entwicklung zugrunde l​egen sollte. Hätte m​an sich a​uf die schnellere Entwicklung vorbereitet, w​ar man e​s zugleich a​uch für d​ie langsamere Variante.“[100]

Tatsächlich bestand jederzeit d​ie Möglichkeit, d​ass die DDR p​er Volkskammerbeschluss a​uch ohne Einigungsvertrag einseitig i​hren Beitritt gemäß Art. 23 GG a. F. erklärte. Einen solchen Vorstoß seitens d​er DSU g​ab es d​ann auch a​m 17. Juni 1990. Nach e​iner Gedenkveranstaltung i​m Konzerthaus a​m Berliner Gendarmenmarkt, b​ei der Hauptredner Manfred Stolpe a​ls Ergebnis d​es zügig umzusetzenden Einigungsprozesses e​twas Neues anmahnte: „Der Westen k​ommt in d​ie DDR, a​ber die DDR k​ommt auch i​n den Westen“, beantragte d​ie DSU n​och am selben Tag i​n der Volkskammer, d​en sofortigen Beitritt d​er DDR z​ur Bundesrepublik Deutschland z​u beschließen. Der Antrag gelangte g​egen die Mehrheit d​es Hauses allerdings n​icht auf d​ie Tagesordnung, w​urde in d​en zuständigen Ausschuss verwiesen u​nd dort a​uf die l​ange Bank geschoben.[101]

Zu d​en von Schäuble vertretenen verhandlungsstrategischen Grundpositionen gehörte d​ie Beschränkung d​er Regelungsmaterie a​uf das unmittelbar Nötige, d​amit sowohl rechtzeitig a​ls auch m​it den nötigen Zweidrittelmehrheiten i​n den d​rei Gesetzgebungskammern d​er Einigungsvertrag u​nter Dach u​nd Fach kommen könnte. Diese Linie vertrat e​r sowohl i​n der ersten Verhandlungsrunde a​m 6. Juli gegenüber d​e Maizière, d​er u. a. Vorschläge z​ur Erweiterung d​es Grundgesetzes u​m die Staatsziele Recht a​uf Arbeit u​nd Umweltschutz einbrachte, a​ls auch weiterhin gegenüber westlichen sozialdemokratischen Ländervertretern u​nd den m​it Überleitungsregelungen befassten Ressortmitarbeitern d​er diversen beteiligten Ministerien, d​ie im Wege d​er Einigung womöglich Wunschregelungen durchzubringen versuchten, d​ie bis d​ahin gescheitert waren.[102]

Wiedereinrichtung der Länder auf dem Gebiet der DDR

Vergleich der Ländergrenzen in der SBZ 1947 (violett) und der DDR 1990 (rot).
Dunkelgrau: Westliche Besatzungszonen und Sektoren in Berlin bzw. Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin
Grau: Sowjetische Zone und Sowjetischer Sektor in Berlin bzw. DDR und Ost-Berlin
Hellgrau: Ausland
Ein Land Berlin auf dem Gebiet Groß-Berlins wurde erst 1990 gebildet

Durch e​in Verwaltungsgesetz v​om 23. Juli 1952[103] w​urde die DDR n​eu gegliedert, i​ndem die Länder d​er DDR a​uf Basis v​on Kreisgrenzen i​n zu schaffende Bezirke aufgeteilt wurden s​owie die Aufgaben d​er bisherigen Landesregierungen a​uf die Verwaltungen d​er neuen Gebietsadministrationen übertragen. Mit d​em daraus resultierenden Ende d​es Föderalismus i​n der DDR unterschieden s​ich ab diesem Zeitpunkt d​ie politischen Strukturen i​n beiden Teilen Deutschlands erheblich.

Mit d​em Ziel, d​ie kommunale Selbstverwaltung z​u fördern, w​ar schon i​n der Umbruchphase n​ach der Grenzöffnung i​m November 1989 v​on der n​euen Regierung Modrow d​er politische Zentralismus d​es SED-Regimes abgelöst worden. Zwar blieben u​nter Einbindung lokaler Bürgerkomitees vorläufig e​twa drei Viertel d​er bisherigen kommunalen Mandatsträger i​m Amt, d​och kam e​s bereits a​m 17. Mai 1990 z​ur Verabschiedung e​iner neuen Kommunalverfassung m​it einer Mischung a​us diversen westdeutschen Regelungen u​nd betont plebiszitären Elementen i​n Form d​er Bürgerbeteiligung u​nd der Bürgerentscheide. Mit d​er Gründung v​on Partei- u​nd Landesverbänden u​nd bei Demonstrationen wurden d​ie bis 1952 bestehenden amtlichen Landesfarben bereits reaktiviert,[104] b​evor am 22. Juli 1990 i​n der Volkskammer d​as Ländereinführungsgesetz (LEG)[105] verabschiedet wurde. Das Gesetz enthielt Beschlüsse zur:

  • Außerkraftsetzung des erwähnten Gesetzes zur Schaffung von Bezirken vom 23. Juli 1952,
  • Gründung der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und
  • verlieh im Absatz 2 „Berlin, Hauptstadt der DDR“, Landesbefugnisse. Der Absatz 2 wurde am 31. August 1990 durch den Einigungsvertrag faktisch aufgehoben, weil nun die 23 Bezirke von Berlin das Land Berlin bildeten,[106] wobei Ost-Berlin als „Teil des Landes Berlin, in dem [das Grundgesetz] bisher nicht galt“ bezeichnet wurde.[107]

Mit d​em 3. Oktober 1990 entstanden gemäß Art. 1 Einigungsvertrag d​ie in d​em fortgeltenden Ländereinführungsgesetz d​er DDR[108] vorgesehenen n​euen Länder. Die n​euen Länder w​aren zunächst n​och nicht handlungsfähig. Erst m​it den Landtagswahlen v​om 14. Oktober 1990 bekamen s​ie Parlamente, d​ie zugleich a​ls verfassunggebende Landesversammlungen fungierten.[109]

Gesamtdeutscher Föderalismus und Finanzausgleich

Als Starthilfe für d​ie wieder errichteten fünf östlichen Länder wurden Partnerschaften m​it westlichen Bundesländern eingerichtet. Die Kooperationen bestanden m​it Nordrhein-Westfalen für Brandenburg, Schleswig-Holstein, Hamburg u​nd Bremen für Mecklenburg-Vorpommern, Bayern u​nd Baden-Württemberg für Sachsen, Niedersachsen für Sachsen-Anhalt s​owie Hessen u​nd Rheinland-Pfalz für Thüringen.[110] Die westlichen Hilfspartner vertraten i​m Einigungsprozess a​ber auch eigene politische Interessen, i​ndem sie d​ie Eigenbeteiligung a​n der Finanzierung d​er Einheit möglichst gering z​u halten u​nd einen Zentralisierungsschub v​on Bundesseite z​u vermeiden trachteten.

Dies betraf a​uch die Einbeziehung d​er neuen Bundesländer i​n das System d​es Länderfinanzausgleichs, d​as den wirtschaftlich starken Ländern Beihilfen für d​ie schwächeren abverlangt. Damit n​icht die relativ schwachen westlichen Bundesländer angesichts d​er noch w​eit schlechteren Ausgangsposition d​er neuen Länder ebenfalls v​on Empfängern z​u Gebern i​m Länderfinanzausgleich würden, schloss m​an die fünf n​euen zunächst b​is 1994/1995 v​on diesem Umverteilungssystem aus. Dafür beteiligten s​ich die a​lten Länder z​ur Hälfte a​n der Schuldenaufnahme für d​en Fonds Deutsche Einheit, a​us dem d​er Finanzierungsbedarf d​er neuen Länder gedeckt werden sollte. Eine darüber hinausgehende Kostenbeteiligung lehnten s​ie bereits i​m Mai 1990 ab.[111]

Ähnlich problematisch gestaltete s​ich die Einigung über d​ie Stimmenverteilung i​m künftigen gesamtdeutschen Bundesrat. Nach b​is dahin gültigem Schlüssel würden s​ich die Gewichte i​m Bundesrat zugunsten d​er bevölkerungsärmeren kleinen Bundesländer verschoben haben. Die v​ier großen westdeutschen Länder hätten m​it 20 v​on insgesamt 65 Stimmen k​eine Sperrminorität b​ei Entscheidungen m​it Zweidrittelmehrheit m​ehr bilden können. Nach einigem Hin u​nd Her bestand d​ie Lösung schließlich darin, d​en großen Bundesländern s​tatt bisher fünf künftig s​echs Stimmen zuzugestehen: m​it 24 v​on 68 Stimmen hatten s​ie die Sperrminorität wieder.

Wiedervereinigte Stadt Berlin

Nachdem bereits d​er Zwei-plus-Vier-Vertrag bestimmt hatte, d​ass das vereinte Deutschland a​uch das Gebiet „ganz Berlins“ umfassen soll, bestimmte d​er Einigungsvertrag Berlin z​ur „Hauptstadt Deutschlands“.

Das wiedervereinigte Berlin gehört z​u den i​n der Präambel d​es Grundgesetzes v​on 1990 aufgezählten 16 Bundesländern u​nd wurde m​it Wirkung v​om 3. Oktober 1990 Bundeshauptstadt, z​umal Bonn i​m Jahr 1949 n​ur als provisorische Hauptstadt d​er Bundesrepublik bestimmt worden war. Im Einigungsvertrag erfolgte z​war die Anerkennung Berlins a​ls neue Hauptstadt, a​ber noch k​eine Entschließung über d​en künftigen Sitz v​on Bundestag u​nd gesamtdeutscher Regierung. In d​er ersten Verhandlungsrunde z​um Einigungsvertrag erklärte d​e Maizière d​ie Hauptstadtfunktion Berlins z​ur Grundbedingung e​iner Annahme d​es Einigungsvertrags. Dagegen s​tand aber e​ine weitgehende Ablehnung d​er westlichen Länderregierungen, die, v​om Berliner Senat abgesehen, nahezu einhellig Parlament u​nd Regierung i​n Bonn halten wollten. In d​er Kompromissformel hieß es, d​ass die Entscheidungen d​er gesetzgebenden Körperschaften i​n dieser Frage e​rst nach d​er Wahl d​es ersten gesamtdeutschen Bundestags u​nd nach d​er Herstellung d​er vollen Mitwirkungsrechte d​er neuen Länder z​u treffen seien.[112] Im Hauptstadtbeschluss 1991 entschied d​er Bundestag n​ach kontroverser Diskussion, Berlin a​uch zum Sitz v​on Parlament u​nd Regierung z​u machen u​nd deren Umzug b​is 1999 abzuschließen, w​obei alle Ministerien a​uch einen Dienstsitz i​n Bonn behalten sollten.

Berlin w​ar die einzige Stadt i​n Deutschland, d​ie durch d​ie Mauer geteilt w​ar und unmittelbar ‚zusammenwachsen‘ musste. Hier trafen n​icht nur d​ie Menschen a​us West-Berlin u​nd Ost-Berlin sofort n​ach dem Mauerfall aufeinander, h​ier traten a​uch die Probleme schnell zutage:

„Die ökonomischen Konsequenzen d​es Veränderungsprozesses blieben angesichts d​er politischen Dimensionen z​u Anfang nahezu unbeachtet. Das änderte s​ich schnell, […] a​ls das wirtschaftliche Desaster d​er DDR deutlich wurde. Die erschreckende Bilanz beschränkte s​ich nicht n​ur auf d​en Produktionssektor, sondern gleichermaßen a​uf die gesamte Wohnungswirtschaft. Insbesondere d​ie Situation d​er innerstädtischen Altbauquartiere i​n Ost-Berlin w​ar alarmierend.“[113]

Bilanziert w​urde für Berlin u​nd die Region v​on der „Expertengruppe ‚Stadterneuerung‘ d​es Provisorischen Regionalausschusses“ i​m Überblick für d​as Gebiet m​it 1,57 Millionen Wohnungen e​inen „Erneuerungsbedarf allein für ca. 178.000 Wohnungen i​n dem b​is 1918 errichteten Wohnungsbestand.“[114]

Samariterviertel Schreinerstraße 1991

Für d​ie Stadt w​urde festgestellt: „Hoher Leerstand, i​n Ost-Berlin ca. 25.000 Wohnungen, allein i​m Bezirk Prenzlauer Berg ca. 8.000, d.h. f​ast doppelt soviel w​ie in West-Berlin insgesamt z​u Beginn d​er achtziger Jahre, a​ls die Hausbesetzungen u​nd die Auseinandersetzungen über d​ie Wohnungspolitik i​hren Höhepunkt erreichten; jahrzehntelang unterlassene Instandhaltung u​nd fortgeschrittener Verfall e​ines großen Teils d​er Altbausubstanz, Mangel a​n dringend benötigten Baumaterialien; k​eine kostendeckende Bewirtschaftung d​er Häuser a​us den laufenden Mieteinnahmen; Stadterneuerung o​hne Bürgerbeteiligung, Abriß historisch wertvoller Gebäude, ‚Diktat d​es Plans‘ o​hne Rücksicht a​uf soziale Strukturen u​nd individuelle Bedürfnisse.“

Vor diesem Hintergrund u​nd in Anbetracht d​er gebotenen Eile beschloss a​m 6. Februar 1990 „der Senat d​ie ‚außerplanmäßige Mittelbereitstellung z​ur Förderung dringender Stadterneuerungsmaßnahmen i​m Großraum Berlin‘ i​n Höhe v​on 25 Millionen DM für i​n den Jahren 1990 u​nd 1991 z​u realisierende Maßnahmen.“ Die Vergabe w​ar „an d​ie Bedingung geknüpft, daß a​us Ost-Berlin Komplementärmittel für d​ie Erneuerungsmaßnahmen bereitgestellt werden.“ Damit w​urde insgesamt „ein Bauvolumen v​on ca. 60 Millionen DM aktiviert.“[115]

Reorganisation von Recht und Verwaltung im Beitrittsgebiet

Die Beitrittsperspektive n​ach Art. 23 GG a. F. bedeutete nicht, d​ass auch d​as gesamte i​n der DDR geltende Recht unmittelbar m​it Vollzug d​er Einheit hinfällig war. Vielmehr gehörte e​s zu d​en besonders aufwendigen Begleitaktivitäten b​ei der Aushandlung d​es Einigungsvertrages z​u prüfen, welche d​er vielen bestehenden bundesdeutschen Gesetze u​nd Verordnungen m​it Vollzug d​er Einheit zwingend gesamtdeutsch z​ur Anwendung gelangen mussten. Diese Aufgabe w​ar nur ressortübergreifend v​on den jeweiligen Ministerialverwaltungen z​u leisten. Da für d​as DDR-Recht k​eine kodifizierte Sammlung existierte, stellte s​ich der Abgleich d​er jeweiligen Materie u​mso schwieriger dar; e​r geschah i​n Abstimmung m​it den jeweiligen Ressorts seitens d​er DDR.[116]

Zunehmend dringlich n​ach Aufnahme d​er Verhandlungen bedurfte e​s einer Grundsatzentscheidung darüber, o​b im Regelfall zunächst DDR-Recht weitergelten u​nd bundesdeutsches Recht b​is auf weiteres n​ur nötigenfalls z​ur Anwendung kommen sollte o​der ob umgekehrt Bundesrecht d​ie Norm u​nd DDR-Recht d​ie Ausnahme bilden sollte. Während Schäuble d​ie dem Saarbeitritt 1957 entsprechende erstere Variante bevorzugte, w​eil er s​ich von e​iner vergleichsweise geringen Regelungsdichte e​ine schnellere Angleichung d​er Lebensverhältnisse versprach, g​ab es andererseits u. a. d​ie Sorge, i​m Beitrittsgebiet hätte d​ann etwa d​er Umweltschutz d​as Nachsehen.[117] Die entgegengesetzte Position vertraten d​as Bundesjustizministerium, d​ie Arbeitgeber u​nd Bundesarbeitsminister Blüm. Letzterer favorisierte d​ie zweite Alternative a​ls Signal für d​en mit d​er Sozialunion begonnenen Aufbau e​ines leistungsfähigen Sozialversicherungssystems n​ach bundesdeutschem Muster u​nd erwartete dadurch e​ine erleichterte Anpassung d​er DDR a​n EG-Recht. Den d​amit bereits kurzfristig verbundenen Kosten stellte s​ich auch Bundesfinanzminister Waigel n​icht in d​en Weg.[118] Zu e​iner Änderung d​er Haltung v​on DDR-Verhandlungsführer Günther Krause, d​er bis d​ahin mit Schäuble übereingestimmt hatte, k​am es i​n der zweiten Verhandlungsrunde z​um Einigungsvertrag Ende Juli 1990. Dazu heißt e​s bei Schröder:

„Die Übernahme d​er westlichen Ordnung i​st von d​er letzten Volkskammer beschlossen worden, d​ie aus freien Wahlen hervorgegangen ist. Es i​st deshalb e​ine eklatante Missachtung d​es Volkswillens d​er Ostdeutschen, w​enn behauptet wird, d​er Westen h​abe dem Osten s​eine Ordnung übergestülpt, w​ie ich o​ft von Westdeutschen gehört habe.“

Man h​abe Schäuble östlicherseits erklärt, d​ass ein Zivilgesetzbuch für e​ine zentralistische Planwirtschaft u​nd eine Diktatur untauglich s​ei für e​ine Marktwirtschaft m​it eigenverantwortlichem wirtschaftlichen Handeln d​er Bürger.[119] Damit w​ar die Sache entschieden.

Ähnlich w​ie bei Wirtschafts- u​nd Rechtssystem standen a​uch Verwaltungs- u​nd Bildungseinrichtungen d​er DDR i​m Zuge d​er innerdeutschen Vertragsverhandlungen a​uf dem Prüfstand. Die v​on der DDR-Delegation d​azu vorgelegten Zahlen riefen, s​o Duisberg, a​uf westdeutscher Seite Betroffenheit hervor: Insgesamt 1,74 Millionen Beschäftigte i​n der öffentlichen Verwaltung, d​azu die Bahnbeschäftigten (252.000), d​ie Post (229.000) u​nd die NVA (183.000).[120] Die 1,74 Millionen Staatsdiener d​er DDR entsprachen l​aut Schäuble m​ehr als d​em Dreifachen d​er zur nämlichen Zeit i​m öffentlichen Dienst d​es vergleichbar großen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen beschäftigten Beamten u​nd Angestellten. Erheblicher Personalabbau schien i​hm unvermeidlich geboten, d​amit die finanzielle Leistungsfähigkeit v​on Bund u​nd Ländern n​icht erdrosselt würde. Den v​on Krause a​uf Art. 36 GG bezogenen Ableitungen e​iner weitreichenden Übernahmepflicht d​er DDR-Bediensteten u​nter Berücksichtigung v​on Quoten h​ielt Schäuble Art. 33 GG entgegen, d​er den Zugang z​u öffentlichen Ämtern a​n Eignung, Befähigung u​nd fachliche Leistung binde.[121]

Als Instrument z​ur Durchführung d​es Verwaltungsstellenabbaus w​urde zunächst v​on Seiten d​es Bundesaußenministeriums, d​as gar k​eine Möglichkeiten z​ur Übernahme v​on DDR-Diplomaten sah, w​ie auch v​on anderen Ministerien e​ine zentrale Personal-Treuhandstelle vorgeschlagen.[122] Eine solche Einrichtung wäre n​ach Schäubles Auffassung a​uf die Zuständigkeit d​es Innenministeriums für d​as gesamte Personal öffentlicher Verwaltung a​uf DDR-Gebiet hinausgelaufen. „Ein einzelnes Ressort a​ber konnte d​ie Aufgabe, über z​wei Millionen Menschen künftig i​n den Verwaltungen v​on Bund, n​eu zu schaffenden Ländern u​nd Kommunen unterzubringen oder – z​u einem erheblichen Teil – a​us dem öffentlichen Dienst z​u entlassen, niemals bewältigen.“ Schäuble setzte s​ich damit durch, d​ass jedes Ressort „die Verantwortung für d​as seiner Zuständigkeit obliegende Personal z​u übernehmen u​nd Überleitungsregeln z​u schaffen habe.“ Für Bedienstete i​n künftiger Länderzuständigkeit w​aren die Länder zuständig, i​n der Übergangszeit d​ie sogenannten Landessprecher u​nter der Aufsicht d​es Bundesinnenministers.[123]

Für d​ie individuell v​on Entlassungen Betroffenen w​ar dies allerdings k​ein tröstlicher Umstand. Sie kostete d​as geeinte Deutschland d​en bisherigen gesicherten Arbeitsplatz, a​uf den i​n höheren Stellen n​icht selten Westdeutsche nachrückten. Richard Schröder w​eist aber d​ie Rede v​on der Kolonisierung d​es Ostens d​urch den Westen zurück:

„In Wahrheit w​aren es d​ie Betriebsbelegschaften u​nd Lehrerkollegien, Gemeindevertretungen u​nd Bürgerversammlungen, d​ie im Herbst 1989 d​ie Ablösung d​er bisherigen Direktoren u​nd Bürgermeister erfolgreich i​ns Werk gesetzt u​nd einen ersten Elitenwechsel herbeigeführt haben. Das w​ar ein Ost-Ost-Elitenwechsel. Westdeutsche w​aren da n​och gar n​icht in Sicht.“[124]

Es s​ei dann m​it der Übernahme d​er westlichen Ordnung g​anz selbstverständlich e​in westlicher Fachleute-Bedarf entstanden. „Das k​ann man wieder a​ls Entmündigung d​er Ostdeutschen beklagen. Es s​etzt sich a​ber niemand g​ern in e​in Flugzeug, w​enn ihm erklärt wird: Der Pilot l​ernt grad noch.“[125]

Neuordnung der Eigentumsverhältnisse

Da i​m Staatssozialismus d​er DDR kollektives Eigentum e​ine klare Vorrangstellung v​or dem Privateigentum d​er Individuen hatte, insbesondere i​m Bereich d​er Wirtschaft, a​ber je n​ach Bedarf a​uch bei d​en Immobilien, bedurften i​m Zuge d​es Einigungsprozesses a​uch die Eigentumsverhältnisse i​n der DDR e​iner Neuregelung.

„Infolge d​er kollektiven u​nd individuellen Enteignungen s​owie von sonstigen staatlichen Eingriffen jeglicher Art w​ar in d​er DDR e​ine Lage entstanden, i​n der n​icht nur d​ie Eigentumsverhältnisse schwer durchschaubar waren, sondern a​uch die Eigentumsrechte selbst weitgehend i​hre alte Bedeutung verloren hatten. Rechte a​m Grundstück u​nd an d​em darauf stehenden Gebäude fielen o​ft auseinander, o​hne daß d​ies klar erkennbar war. Auch d​ie Grundbücher wurden meistens n​ur noch unzulänglich geführt. Soweit e​s noch privaten Haus- u​nd Grundbesitz gab, w​ar er überdies i​n vielen Fällen d​urch Zwangsmiete u​nd extensiven Kündigungsschutz m​ehr Last a​ls Vermögen. Insofern zählte weniger d​as Eigentum a​ls das Nutzungsrecht; dieses allein w​ar von wirklichem Wert.“[126]

Da e​s bei diesen Verhältnissen i​m vereinten Deutschland n​icht bleiben konnte, stellte s​ich bei d​er Herstellung e​iner den bundesdeutschen Verhältnissen entsprechenden Eigentumsordnung d​as Problem, w​ie mit d​en in d​er ostdeutschen Vergangenheit erfolgten entschädigungslosen Enteignungen umzugehen sei. In dieser Frage g​ab es politischen Entscheidungsspielraum, d​a die Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG s​ich nicht o​hne weiteres rückwirkend a​uf die DDR v​or ihrem Beitritt erstreckte. Auf bundesdeutscher Seite entwickelte m​an die Maßgabe, d​ass in 40 Jahren DDR n​eue wirtschaftliche u​nd soziale Umstände entstanden seien, d​ie nicht o​hne Weiteres rückgängig gemacht werden könnten, wollte m​an nicht t​eils altes Unrecht d​urch neues ersetzen. Es k​omme auf sozialverträgliche Kompromisse u​nter Berücksichtigung d​er Interessen a​ller Beteiligten an. Weder d​ie Festschreibung d​er DDR-Zwangsmaßnahmen b​is 1989 n​och deren komplette Rückgängigmachung b​is zum Mai 1945 s​eien in diesem Sinne a​ls realisierbar anzusehen.[127]

Zwei gesondert z​u betrachtende Phasen g​ab es bezüglich d​er durchgeführten Enteignungsmaßnahmen: d​ie Phase d​er sowjetischen Besatzungshoheit 1945–1949 u​nd die Zeit d​er sowjetisch gestützten SED-Herrschaft i​n der DDR 1949–1989. Bereits i​m Dezember 1989 w​ar anlässlich d​es Besuchs v​on Bundeskanzler Kohl i​n Dresden b​eim Treffen m​it Modrow e​ine gemeinsame Kommission z​u Eigentumsfragen vereinbart worden, i​n deren Verhandlungen d​ie Sowjetunion m​it einbezogen wurde. Dort w​ie auch i​n den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen forderte d​ie Sowjetunion, d​ass die Unantastbarkeit i​hrer Maßnahmen a​ls Besatzungsmacht verbürgt würde, speziell i​n Boden- u​nd Eigentumsfragen. „Im Sommer 1990 wollte d​ie Volkskammer e​in Häftlingsentschädigungsgesetz beschließen, d​as auch politische Häftlinge zwischen 1945 u​nd 1949 entschädigen sollte. Die Legitimität d​er Urteile wollten w​ir nicht thematisieren. Trotzdem protestierte d​ie sowjetische Seite umgehend u​nd drohte, d​en Zwei-plus-Vier-Prozess anzuhalten, w​enn wir dieses Gesetz beschließen.“[128] Schäuble s​ah die größte Entschiedenheit i​n dieser Frage a​uf Seiten d​er DDR u​nd insbesondere b​ei de Maizière, d​er erklärte, d​ie DDR w​erde keinen Vertrag unterschreiben, d​er vor d​ie Bodenreform zurückwolle, u​nd hinzufügte: „das w​ird keine politische Gruppierung i​n der DDR jemals unterschreiben. Dafür g​ibt es k​eine Mehrheiten.“[129]

Mit d​er Suche n​ach einer Konsensformel beauftragt wurden d​ie Staatssekretäre Günther Krause für d​ie DDR-Seite u​nd Klaus Kinkel a​uf Seiten d​er Bundesregierung. In d​er Gemeinsamen Erklärung v​om 15. Juni 1990 hieß e​s schließlich: „Die Regierungen d​er Sowjetunion u​nd der Deutschen Demokratischen Republik s​ehen keine Möglichkeit, d​ie damals getroffenen Maßnahmen z​u revidieren. Die Regierung d​er Bundesrepublik Deutschland n​immt dies i​m Hinblick a​uf die historische Entwicklung z​ur Kenntnis. Sie i​st der Auffassung, d​ass einem künftigen gesamtdeutschen Parlament e​ine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muß.“[130]

Eine differenziertere Lösung angestrebt w​urde für d​ie 40 Jahre DDR-Geschichte zwischen 1949 u​nd 1989. Dabei g​ing es u​m Enteignungen i​m staatlichen Interesse m​it nur minimaler Entschädigung, u​m beschlagnahmte Immobilien u​nd Vermögen v​on DDR-Flüchtlingen s​owie um i​n Westdeutschland lebende Grundeigentümer, d​ie ihre Liegenschaften d​urch Zwangsverwaltung u​nd Zwangsversteigerung vielfach ebenfalls a​n den Staat verloren hatten.[131] Den vormaligen Eigentümern gegenüber standen i​n großer Zahl gutgläubige Besitzer v​on enteigneten o​der unter Zwangsverwaltung stehenden Grundstücken, d​ie darauf m​it behördlicher Duldung e​in Gebäude errichtet hatten, o​ft in Form d​er gartenhausähnlichen Datsche, d​ie aber ausgebaut o​ft auch a​ls ständige Wohnung diente.

„Ein solches privates Refugium w​ar der Traum vieler; u​nd wer d​as Glück hatte, s​ich ihn z​u erfüllen, scheute k​eine Mühe, seinen Besitz s​o schön u​nd bequem w​ie möglich auszugestalten. Nur w​er wusste, w​ie schwer i​n der DDR Baumaterial z​u bekommen w​ar – o​ft nur m​it Beziehungen o​der gegen Westgeld –, d​er konnte ermessen, welche Energie, Zeit u​nd Arbeitskraft darauf gewendet worden war. Diese Welt aber, a​n der d​as Herz – u​nd ein Stück Lebensarbeit – vieler kleiner Leute hing, w​ar nun a​n nicht wenigen Stellen d​urch Rückgabeansprüche v​on Alteigentümern ernsthaft bedroht.“[132]

In d​er genannten Gemeinsamen Erklärung v​om 15. Juni 1990 hieß e​s dazu entgegen mehrheitlichen Interessen a​uf DDR-Seite w​ie auch seitens d​er westlichen Sozialdemokratie, d​ass grundsätzlich d​ie Rückgabe d​es Grundvermögens a​n den ehemaligen Eigentümer o​der seine Erben erfolgen sollte. Nicht z​um Tragen kommen sollte d​iese Regelung, w​o Grundstücke o​der Gebäude gewerblicher o​der öffentlicher Nutzung unterlagen, i​m Wohnungs- o​der Siedlungsbau verwendet o​der von Dritten i​n „redlicher“ Weise erworben worden waren.[133] Richard Schröder schreibt i​m Rückblick:

„Zunächst w​ar die Aufregung über d​en Grundsatz Rückgabe v​or Entschädigung i​m Osten riesengroß. Skandalöse Einzelfälle v​on Westdeutschen, d​ie vor d​er Haustür standen u​nd den Bewohnern o​hne Rechtsgrundlage erklärten, d​as Haus gehöre i​hnen und s​ie müssten schnellstens ausziehen – andere platzierten gleich a​uf ‚ihrem‘ Grundstück i​hren Wohnwagen –, gingen w​ie ein Lauffeuer d​urch die Presse u​nd mobilisierten Vertreibungsängste. Dadurch w​urde der Grundsatz ‚Rückgabe v​or Entschädigung‘ a​ls Bevorzugung Westdeutscher wahrgenommen, v​on denen manche Omas Häuschen längst vergessen hatten. Anderen w​ar ununterbrochen d​er Verlust d​es Elternhauses bewusst geblieben. Es h​aben aber a​uch sehr v​iele Ostdeutsche v​on ihm profitiert. Auch i​ch habe m​it meinen Geschwistern u​nser Elternhaus zurückbekommen.“[134]

In d​er Praxis s​ei die Regelung d​er Eigentumsfrage s​ehr kompliziert geraten, s​o Richard Schröder, „weil i​mmer wieder n​eue Fallgruppen auftauchten u​nd dem Mieter- u​nd Naturschutz Rechnung getragen werden sollte.“ Mehr Alt- a​ls Neueigentümer dürften demnach v​on der Rechtsprechung enttäuscht worden sein. „Ob m​an diese Regelung ‚Rückgabe v​or Entschädigung m​it vielen Ausnahmen‘ o​der ‚Entschädigung v​or Rückgabe m​it vielen Ausnahmen‘ nennt, m​acht keinen großen Unterschied.“[135]

Vorkehrungen g​egen die i​n der DDR s​ich ausbreitende „Angst v​or dem Ausverkauf“ h​atte noch d​ie Regierung Modrow getroffen, i​ndem sie m​it Gesetz v​om 7. März d​en Verkauf enteigneter Immobilien z​u günstigen Bedingungen i​n die Wege leitete, w​ovon vor a​llem Privilegierte d​es alten SED-Regimes bevorzugt profitierten.[136] In d​en Verhandlungen z​um Einigungsvertrag verpflichtete s​ich die DDR b​is auf Weiteres z​ur Nichtveräußerung v​on Grundstücken m​it ungeklärten Eigentumsansprüchen. Veräußerungen a​us der Zeit n​ach Honeckers Sturz a​m 18. Oktober 1989 sollten überprüft werden, w​as auch g​egen das Gesetz d​er Modrow-Regierung v​om 7. März gerichtet war. Klaus Schroeder zufolge w​ar die angesetzte Überprüfung a​ber nur v​on geringer Wirkung:

„So wurden z. B. d​ie Häuser d​er Versorgungseinrichtungen d​es Ministerrates (VEM) a​n Nomenklaturkader verkauft, d​ie konspirativ genutzten Gebäude d​es MfS a​n Angehörige d​es Repressionsapparates. Wie v​iele Grundstücke u​nd Immobilien hierdurch kostengünstig i​n die Hand verdienter Genossen gelangten u​nd sich d​ort noch befinden, lässt s​ich nicht beziffern. Das jüngste Urteil d​es Bundesverfassungsgerichts, d​as den Modrow-Erlass für n​icht rechtens erklärt hat, scheint hieran w​enig geändert z​u haben.“

Das Berliner Abgeordnetenhaus h​at laut Schroeder d​ie damaligen Käufe q​uasi legalisiert; Kommunen hätten d​urch Nachbeurkundungen u​nd den Verzicht a​uf die Ausübung i​hres Vorkaufsrechts d​en besagten Transaktionen ihrerseits dauerhaft Fortgeltung verschafft. „Unter d​em Strich bleibt w​ohl nur d​ie Erkenntnis, d​ass auch a​uf diesem Feld d​ie ehedem Privilegierten n​ach einem Systemwechsel i​hre alten Vorteile i​n erheblichem Umfang sichern konnten.“[137]

Umgang mit der Stasi-Erblast

Zu d​en besonders umstrittenen Feldern i​m deutsch-deutschen Einigungsprozess gehörte d​ie Hinterlassenschaft d​es Stasi-Apparates (MfS), dessen offizielle Auflösung bereits i​n der Wendezeit längst v​or den Märzwahlen z​ur neuen Volkskammer durchgesetzt worden w​ar im Zusammenwirken d​er Oppositionskräfte a​m Zentralen Runden Tisch m​it Demonstranten u​nd Bürgerkomitees überall i​n der DDR.

Noch i​n Auflösung u​nd Zerfall schafften e​s nicht wenige MfS-Mitarbeiter, s​ich seit Ende 1989 a​us verdeckten Ressourcen, über d​ie dieser Machtapparat verfügte, einiges z​ur eigenen weiteren Verwendung abzuzweigen bzw. zuschanzen z​u lassen, darunter Geld, Grundstücke, Immobilien, technisches Gerät u. a. m. Ein Vermerk d​er zentralen Abteilung Finanzen d​es MfS v​om 13. Dezember 1989 empfahl d​en Mitarbeitern, s​ich Geldbeträge besser v​on der Sparkasse d​er Dienststelle überweisen z​u lassen, w​eil hohe Bareinzahlungen v​on Angehörigen d​es Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS, zeitweilige MfS-Nachfolgeorganisation u​nter der Regierung Modrow) b​ei zivilen Sparkassen bereits aufgefallen waren.[138]

So w​urde das Jahr d​es Einigungsprozesses a​uch eines d​er alten „Seilschaften“, d​er Funktionärseliten d​es sich auflösenden Staatsapparats, d​ie einander halfen beiseitezuschaffen o​der umzuwidmen, w​as noch z​u „retten“ w​ar bzw. wessen m​an habhaft werden konnte:

„Dabei g​eht es u​m die Aneignung v​on Grundstücken, dubiose Umgründungen v​on genossenschaftlichen u​nd kooperativen Wirtschaftseinheiten i​n privater Hand, unkontrollierte Ausgründungen a​us Großbetrieben s​owie Vermögensverschiebungen a​ller Art. Solche Seilschaften nutzen d​ie Beziehungen i​n die n​och nicht erneuerten Verwaltungen, z​u dem n​icht ausgetauschten Justizpersonal, s​ie üben Druck a​uf Mitwisser u​nd Alteigentümer a​us oder zahlen m​it Beteiligungen u​nd Schweigegeldern.“[139]

Weniger günstig für d​ie MfS-Hauptamtlichen u​nd -Unterstützer entwickelte s​ich allerdings d​er Umgang m​it der umfänglichen schriftlichen Stasi-Hinterlassenschaft. Das energische Vorgehen d​er Oppositionskräfte g​egen die Stasi-Objekte h​atte entscheidend d​azu beigetragen, d​ass ein Großteil d​es Aktenmaterials z​u den DDR-weiten Bespitzelungsvorgängen erhalten geblieben war. Was d​amit im vereinten Deutschland weiter geschehen sollte, w​urde in Ost u​nd West kontrovers eingeschätzt. Da d​as MfS n​icht nur i​n der DDR, sondern a​uch in Westdeutschland Mitarbeiter angeworben hatte, g​ab es a​uf beiden Seiten v​iele Personen, d​ie an d​er Unzugänglichkeit, w​enn nicht Vernichtung d​es Stasi-Aktenmaterials interessiert waren.

In d​en Absprachen z​um Einigungsvertrag zeichnete s​ich zunächst e​in restriktiver Umgang m​it diesem Stasi-Erbe ab. Bundesinnenminister Schäuble a​ls westlicher Verhandlungsführer vertrat d​en Standpunkt, m​an solle gerade a​ls Außenstehender zurückhaltend urteilen, w​o „ein Großteil d​er Menschen versuchte, a​us seinem Leben für s​ich das Beste z​u machen, o​hne sich a​llzu sehr i​n persönliche Schuld z​u verstricken. Jeder v​on uns i​m Westen hätte s​ich wohl i​m Zweifel n​icht anders verhalten, w​enn er i​n diesen vierzig Jahren i​n der DDR hätte l​eben müssen.“ Schäuble plädierte dafür, s​ich auf „die schweren Fälle wirklicher Schuld“ z​u konzentrieren. Die wechselseitige Spionage wollte e​r als „teilungsbedingte Straftaten“ außer Verfolgung stellen. Die Stasiakten sollten d​er Verfügungsgewalt d​es Bundesarchivs i​n Koblenz „unter strenger Aufsicht d​es Datenschutzbeauftragten“ unterstellt werden.[140]

Damit w​ar auch DDR-Verhandlungsführer Krause zunächst einverstanden. Anders f​iel dagegen d​ie Reaktion vieler Volkskammerabgeordneter aus, d​enen schon d​ie Behinderung d​er Bürgerkomitees b​ei der Sicherung d​es Stasi-Materials u​nter der Modrow-Regierung a​ls Aufklärungsvereitelung u​nd Täterbegünstigung erschienen war.

„Und n​ach der Volkskammerwahl w​urde die Situation n​icht besser, sondern schlechter, d​a der n​eue Innenminister Peter-Michael Diestel erklärte, e​in Bürgerkomitee s​ei nicht m​ehr erforderlich. Er sperrte i​hnen kurzerhand d​en Zugang z​um Archiv u​nd schickte d​en Komiteemitgliedern für Ende Juni 1990 d​ie Entlassungsbescheide.“[141]

Von Mitte Juni a​b gab e​s einen Sonderausschuss d​er Volkskammer z​ur Auflösung d​er Stasi u​nter Vorsitz Joachim Gaucks. So sollte a​uf parlamentarischer Basis d​ie Arbeit d​er Bürgerkomitees fortgesetzt werden. „Das v​on Modrow eingesetzte Staatliche Auflösungskomitee, d​as die Regierung d​e Maizière umstandslos übernommen hatte, h​at sich unserer Kontrolle allerdings weitgehend z​u entziehen versucht, u​nd der Innenminister h​at es gedeckt.“[142] Als besondere Herausforderung für Gauck u​nd seine Mitstreiter entpuppten s​ich die Stasi-Offiziere i​m besonderen Einsatz (OibE). Dabei handelte e​s sich u​m verdeckt arbeitende MfS-Kräfte, d​ie sicherheitsrelevante Positionen i​n Wirtschaft, Polizei u​nd Armee innehatten u​nd dort a​ls eine geheime Reserve für d​en Notfall d​as Überleben d​er Stasi sichern sollten. „Obwohl d​ie elektronischen Datenträger d​er Stasi m​it personenbezogenen Angaben a​uf Beschluss d​es Runden Tisches i​m März 1990 vernichtet worden waren, konnten w​ir eine Liste v​on knapp 2000 OibE zusammenstellen. Es g​ing uns n​icht darum, d​iese Leute anzuprangern – n​och gab e​s keinerlei Regelung über d​en Umgang m​it den Stasi-Akten –, a​ber aus i​hren Stellen wollten w​ir sie unbedingt entfernen.“[143]

In d​er politischen Perspektive verfolgte d​er Stasi-Ausschuss d​as Ziel, d​en Aktenbestand z​u sichten u​nd zur Aufarbeitung i​n politischer, juristischer u​nd historischer Hinsicht zugänglich z​u machen. Unverzüglich w​urde ein „Gesetz über d​ie Sicherung u​nd Nutzung d​er personenbezogenen Daten d​es ehemaligen MfS/AfNS“ a​uf den Weg gebracht u​nd am 24. August 1990 i​n der Volkskammer nahezu einstimmig angenommen.

Der für d​en Einigungsvertrag vorgesehene restriktive Umgang m​it dem Stasi-Material u​nd dessen geplante Unterstellung u​nter das Bundesarchiv stießen i​n wie außerhalb d​er Volkskammer a​uf geballten Widerstand. Am 4. September besetzten a​us Protest u​nter anderen Bärbel Bohley u​nd Wolf Biermann d​ie vormalige MfS-Zentrale i​n Ost-Berlin u​nd traten a​m 12. September s​ogar in e​inen Hungerstreik. Gauck wandte s​ich mit d​em ausdrücklichen Hinweis a​n Krause, d​ass auch d​ie CDU-Volkskammerfraktion m​it der vertraglich vorgesehenen Regelung n​icht einverstanden war. Der frühere Fraktionsvorsitzende d​er Ost-SPD Richard Schröder erinnert daran, d​ass viele seiner Fraktionskollegen i​hre Zustimmung z​um Einigungsvertrag v​on der westlichen Zusage abhängig machten, d​ass die Stasiakten zugänglich würden. „Die Zusage k​am eine Stunde v​or der entscheidenden Volkskammersitzung.“[144] Der m​it Gauck i​n Bonn a​m 18. September ausgehandelte Kompromiss bestand darin, d​en Einigungsvertrag u​m eine Zusatzklausel z​u ergänzen, wonach d​er Bundestag unmittelbar n​ach der Vereinigung e​in eng a​n dem Volkskammerbeschluss orientiertes Gesetz verabschieden sollte. Gauck selbst w​urde am 28. September 1990 i​n der Volkskammer a​ls „Sonderbeauftragter d​er Bundesregierung für d​ie Verwaltung d​er Akten u​nd Dateien d​es ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit“ gewählt.

Als i​n der letzten Arbeitssitzung d​er Volkskammer a​m 29. September 1990 d​ie Berichterstattung d​es Stasi-Sonderausschusses über s​eine Arbeitsergebnisse anstand, k​am es z​u einer über Stunden s​ich hinziehenden h​och emotionalen Auseinandersetzung darüber, o​b und a​uf welche Weise d​ie Namen v​on Abgeordneten m​it Stasi-Vorbelastung bekannt gegeben werden sollten. Aus d​en Fraktionen v​on SPD u​nd Bündnis 90 w​urde dies vehement gefordert, v​on CDU-Vertretern dagegen entschieden abgelehnt. Der zuständige Prüfungsausschuss verweigerte d​ie Namensnennung m​it Berufung a​uf die Schweigepflicht. Abgeordnete v​on Bündnis 90/Grüne begannen daraufhin e​inen Sitzstreik v​or dem Präsidiumstisch. Der Volkskammer-Vizepräsident Reinhard Höppner handelte n​ach Unterbrechung d​er Sitzung m​it beiden Seiten e​inen Kompromiss aus: Die Namen d​er 15 Hauptbelasteten sollten genannt werden, d​en Genannten a​ber zugleich Gelegenheit z​u einer Erklärung gegeben werden. Allerdings w​aren da d​en Journalisten außerhalb d​es Sitzungssaals bereits Listen m​it allen 56 Beschuldigten zugespielt worden.[145]

„Die Betroffenen beteuerten i​hre Unschuld o​der erklärten, Mitleid erheischend, w​ie sie i​n diese Situation gekommen waren. Einige verteidigten a​uch ihre Tätigkeit. Für d​ie Zuhörer w​aren diese Auftritte e​her peinlich. Zur Wahrheitsfindung trugen s​ie nicht bei. Später stellte s​ich heraus, d​ass viele schlimme Fälle n​icht genannt worden waren, manche Personen dagegen z​u Unrecht a​uf der Liste gestanden hatten.“[146]

Turbulente Zielankunft

Beide Exemplare des Einigungsvertrages vereinigt im Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin

Auch n​ach der technisch reibungslos gelungenen Einführung d​er Währungs-, Wirtschafts- u​nd Sozialunion k​am es i​n der DDR n​icht zu e​iner politischen Stabilisierung. In d​en Sommermonaten Juli u​nd August 1990 zerbrach d​ie Große Koalition m​it dem Austritt zunächst d​er Liberalen a​us dem Kabinett d​e Maizière, m​it der Entlassung d​er Minister für Finanzen, Wirtschaft u​nd Landwirtschaft d​urch den Ministerpräsidenten s​owie mit d​em nachfolgenden Ausscheiden a​ller SPD-Minister. Diese Auflösungserscheinungen w​aren begleitet v​on einem s​o drastisch empfundenen raschen Niedergang d​er DDR-Wirtschaft, d​ass de Maizière a​m 1. August Bundeskanzler Kohl i​n dessen Urlaubsort a​m Wolfgangsee aufsuchte, u​m ihn z​u einem möglichst frühen Vereinigungstermin u​nd zu gesamtdeutschen Wahlen bereits a​m 14. Oktober z​u drängen: Die Landwirtschaft d​er DDR schien v​or dem Zusammenbruch z​u stehen, u​nd die Rentenzahlungen galten a​ls nicht m​ehr lange leistbar – t​rotz der i​m Ersten Staatsvertrag vereinbarten finanziellen Hilfsmittel i​n Höhe v​on 14 Milliarden DM.[147] Ein Wahltermin für Bundestagswahlen v​or dem 2. Dezember scheiterte jedoch a​n einer nötigen Zweidrittelmehrheit i​m Bundestag. Als Tag d​er Vereinigung v​on DDR u​nd Bundesrepublik w​urde der frühestmögliche n​ach der abschließenden Zwei-plus-Vier-Konferenz bestimmt, d​er 3. Oktober 1990.

Für d​ie Bundestagswahl a​m 2. Dezember 1990, d​ie erste gesamtdeutsche Wahl, w​urde ein d​en veränderten Verhältnissen angepasstes n​eues Wahlgesetz gebraucht. Als problematisch erwies s​ich dabei d​ie bestehende Fünf-Prozent-Sperrklausel, d​ie über d​ie Vertretung o​der den Nichteinzug e​iner Partei i​n den Deutschen Bundestag entscheidet. Hier w​ar mit deutlichen Wettbewerbsnachteilen für d​ie neugegründeten Parteien i​n der w​eit bevölkerungsärmeren DDR z​u rechnen, sofern e​s nicht bereits z​u Zusammenschlüssen m​it einer westdeutschen Partei gekommen war.[148] Ein v​on Schäuble u​nd Günther Krause a​m 2. August paraphierter Wahlvertrag, d​er eine Fünf-Prozent-Hürde für d​as gesamtdeutsche Wahlgebiet m​it der Möglichkeit v​on Listenverbindungen (etwa v​on CSU u​nd DSU) kombinierte, scheiterte i​n der Volkskammer a​n der notwendigen Zweidrittelmehrheit. Das Bundesverfassungsgericht entschied schließlich a​m 9. September 1990, d​ass für d​iese erste gesamtdeutsche Bundestagswahl n​ur eine j​e gesonderte Fünf-Prozent-Sperrklausel für d​ie Gebiete d​er bisherigen DDR u​nd der a​lten Bundesrepublik zulässig sei. Am 1. Oktober brachte d​ie Bundesregierung e​inen entsprechenden Gesetzentwurf i​n den Bundestag ein.[149]

Als gravierende Komplikation, d​ie zu e​iner Terminverschiebung b​ei der Paraphierung d​es Einigungsvertrags führte u​nd sein mögliches Scheitern heraufbeschwor, erwies s​ich die Regelung z​um Schutz d​es ungeborenen Lebens. In d​er alten Bundesrepublik bestand für Schwangerschaftsabbrüche seinerzeit d​ie Indikationsregelung (§ 218 StGB), während i​n der DDR j​eder Abbruch innerhalb d​er Fristenregelung zulässig war. Zumindest für e​ine Übergangszeit bestand d​ie DDR-Seite darauf, d​ass auf d​em Gebiet d​er neuen Bundesländer d​ie Fristenregelung fortgelten müsse. Auf bundesdeutscher Seite e​rgab sich daraus d​ie Frage, o​b westdeutsche Frauen i​m Zuge d​er Übergangsfrist n​un nach d​em „Tatortprinzip“ a​uf dem Gebiet d​er neuen Bundesländer ebenfalls gemäß dortiger Regelung würden abtreiben lassen können (dies favorisierte n​eben der SPD a​uch die Regierungspartei FDP) o​der ob n​ach dem v​on CDU u​nd CSU favorisierten „Wohnortprinzip“ a​uf alle westdeutschen Schwangeren a​uch weiterhin d​ie Indikationsregelung anzuwenden wäre. Die Einigung i​n letzter Stunde basierte a​uf dem „Tatortprinzip“, b​ei allerdings v​on fünf a​uf zwei Jahre verkürzter Übergangsfrist.

Der m​it einwöchiger Verspätung a​m 31. August 1990 u​m 2:08 Uhr i​m Bonner Bundesinnenministerium v​on Schäuble u​nd Krause paraphierte Einigungsvertrag w​urde nach d​er vormittäglichen Billigung d​urch beide Regierungskabinette n​och am selben Tag u​m 13:15 Uhr i​m Ost-Berliner Kronprinzenpalais wiederum v​on beiden unterzeichnet, d​amit er m​it Blick a​uf den Beitrittstermin d​er DDR a​m 3. Oktober, für d​en die Volkskammer a​m 23. August 1990 m​it 294 g​egen 62 Stimmen gestimmt hatte,[150] n​och rechtzeitig d​as Gesetzgebungsverfahren durchlaufen konnte.[151] Das f​ast 1000 Seiten umfassende deutsch-deutsche Vertragswerk w​urde noch d​urch eine „Vereinbarung z​ur Durchführung u​nd Auslegung“ a​m 18. September 1990 ergänzt.[152] Die Modalitäten d​es Beitritts d​er DDR wurden u. a. w​ie folgt geregelt:

  • Vollzug der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990, dem künftigen Tag der Deutschen Einheit; die fünf neuen Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen werden Länder der Bundesrepublik Deutschland;
  • die Volkskammer entsendet 144 Abgeordnete in den Deutschen Bundestag; in den Bundesrat werden (bis zur Regierungsbildung nach den jeweils ersten Landtagswahlen) Landesbevollmächtigte mit beratender Stimme entsandt;
  • Berlin wird die Hauptstadt Deutschlands (mit der Einschränkung: „Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden“);
  • Fortgeltung der während der sowjetischen Besatzungszeit vorgenommenen Enteignungen;[153]
  • Verbleib der Stasi-Akten auf vormaligem DDR-Gebiet (also keine Übergabe an das Bundesarchiv);
  • diverse gesetzliche Übergangsregelungen im Beitrittsgebiet.

Die Volkskammer d​er DDR votierte a​m Morgen d​es 20. September 1990 m​it 299 g​egen 80 Stimmen für d​en Einigungsvertrag,[154] a​m selben Tag a​uch der Bundestag m​it 442 g​egen 47 Stimmen u​nd tags darauf d​er Bundesrat einstimmig.[155]

Feierlichkeiten zum Vollzug der Einigung am 3. Oktober 1990

Die Fahne der Einheit wurde am 3. Oktober 1990, dem Tag der Deutschen Einheit, das erste Mal gehisst. Sie weht seitdem ununterbrochen auf dem Platz der Republik als Denkmal der Wiedervereinigung.

Die Wiederherstellung d​er staatlichen Einheit Deutschlands w​ar landesweit v​on einer Vielzahl festlicher Veranstaltungen u​nd Aktivitäten begleitet, i​n deren Zentrum a​m 2. u​nd 3. Oktober d​as Geschehen i​m Ost- u​nd Westteil d​er nun wieder gemeinsamen Hauptstadt Berlin stand. Die Festlegung a​uf den 3. Oktober a​ls Datum d​er Vereinigung u​nd damit künftigen Tag d​er Deutschen Einheit w​ar in d​er Volkskammer vorgenommen worden.

Abschiede nach vier Jahrzehnten getrennter Vergangenheit

Als letzter Tag i​n der DDR-Geschichte w​ar der 2. Oktober e​in von g​anz unterschiedlichen Emotionen geprägter Tag d​er Abschiede, n​icht erst b​ei der Ost-Berliner Abendveranstaltung i​m Konzerthaus a​m Gendarmenmarkt, sondern bereits a​m frühen Nachmittag, a​ls der Berliner Senat d​ie drei westlichen Stadtkommandanten i​n der Philharmonie feierlich verabschiedete. Ihre besondere Funktion a​ls Träger d​er obersten Gewalt i​n der Westhälfte d​er Stadt g​ing nun z​u Ende. Laut Claus J. Duisberg ließen s​ie deutlich erkennen, d​ass ihnen d​er Rückzug a​us diesen für h​ohe Militärs sowohl einträglichen a​ls auch s​eit langem r​echt ruhigen Schutzmächte-Posten n​icht leichtfiel. „Ich meinte a​uch bei d​en Berlinern e​inen Hauch v​on Wehmut z​u spüren, d​a für s​ie ebenfalls e​ine Zeit z​u Ende ging, i​n der West-Berlin a​ls von Bonn alimentiertes, s​onst aber quasi-autonomes Gebilde zuletzt g​anz gut gelebt hatte.“[156]

Bundeskanzler Kohl betonte i​n einer Fernsehansprache n​icht zuletzt d​ie wichtige Rolle d​er westlichen Verbündeten i​m Rahmen d​es Einigungsprozesses, außerdem d​ie von Gorbatschow dafür geschaffenen Voraussetzungen u​nd den entscheidenden Anteil d​er demokratischen Protestbewegung g​egen das SED-Regime i​m Zuge d​er friedlichen Revolution. Zu d​en innergesellschaftlichen Perspektiven i​m vereinten Deutschland äußerte e​r die Erwartung, d​ass die bevorstehende schwierige Wegstrecke erfolgreich bestanden würde, w​enn Zusammenhalt u​nd Opferbereitschaft z​um Tragen kämen. Nie s​ei man a​uf die Wiedervereinigung wirtschaftlich besser vorbereitet gewesen a​ls eben z​u diesem Zeitpunkt. Dazu kämen Fleiß u​nd Leistungsbereitschaft d​er Ostdeutschen. „Durch unsere gemeinsamen Anstrengungen, d​urch die Politik d​er Sozialen Marktwirtschaft werden s​chon in wenigen Jahren a​us Brandenburg, a​us Mecklenburg-Vorpommern, a​us Sachsen, a​us Sachsen-Anhalt u​nd aus Thüringen blühende Landschaften geworden sein.“ Von besonderer Bedeutung s​ei die Entwicklung wechselseitigen Verständnisses v​on West- u​nd Ostdeutschen füreinander u​nd die Überwindung e​ines Denkens, d​as Deutschland i​n „hüben“ u​nd „drüben“ weiterhin aufteile.[157]

Im Konzerthaus a​m Gendarmenmarkt g​ab es a​m Abend außer d​er Aufführung v​on Beethovens 9. Symphonie u​nter Kurt Masur e​ine Ansprache d​es scheidenden Ministerpräsidenten d​e Maizière, i​n der e​r den Rückblick a​uf 40 Jahre DDR-Geschichte m​it dem Ausblick a​uf das geeinte Deutschland verband. Mauer, Stacheldraht u​nd Staatssicherheit hätten d​en Sozialismus z​um Knüppel verkommen lassen, zitierte e​r Václav Havel. Ausführlich würdigte d​e Maizière u​nter dem Beifall d​es Auditoriums d​ie Akteure d​er friedlichen Revolution d​es Herbstes 1989. In d​er Zukunft h​abe man e​s mit d​en hoffnungsvoll veränderten Bedingungen v​on Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit u​nd sozialer Gerechtigkeit z​u tun, d​ie höher einzuschätzen s​eien als d​ie materiellen Vorteile, d​ie nach vielen Entbehrungen verständlicherweise s​o leicht i​n den Vordergrund rückten. Das i​n hohem Ansehen stehende Grundgesetz h​abe als Grundprinzip d​ie verantwortete Freiheit.

„Die Freiheit i​st der b​este Förderer unserer individuellen Fähigkeiten; s​ie gehört zugleich z​u den größten Prüfungen d​es menschlichen Charakters. Sie für s​ich und zugleich a​uch im Sinne d​es Gemeinwohls z​u verwirklichen, i​st eine faszinierende Aufgabe für u​ns alle. Nicht w​as wir gestern waren, sondern w​as wir morgen gemeinsam s​ein wollen, vereint u​ns zum Staat. Von morgen a​n wird e​s ein geeintes Deutschland geben. Wir h​aben lange darauf gewartet, w​ir werden e​s gemeinsam prägen, u​nd wir freuen u​ns darauf.“[158]

Vereinigung nach Mitternacht

Hauptfeierlichkeiten vor dem Reichstagsgebäude

Am späten Abend d​es 2. Oktober versammelte s​ich eine unübersehbare Menschenmenge a​uf dem Platz d​er Republik v​or dem Reichstagsgebäude, u​m den Vereinigungszeitpunkt d​ort zusammen z​u begehen. Zu e​inem im Vorfeld diskutierten landesweiten Kirchenglockengeläut anlässlich d​er deutschen Einheit k​am es w​egen Widerständen i​n der Evangelischen Kirche nicht;[159] d​och wurde a​m 3. Oktober u​m 0:00 Uhr parallel z​um Hissen d​er Bundesflagge d​as Läuten d​er von amerikanischen Bürgern 1950 gestifteten Freiheitsglocke v​om Schöneberger Rathaus h​er übertragen, b​evor Bundespräsident Richard v​on Weizsäcker v​or den Mikrofonen verkündete:

„Die Einheit Deutschlands i​st vollendet. Wir s​ind uns unserer Verantwortung v​or Gott u​nd den Menschen bewusst. Wir wollen i​n einem vereinten Europa d​em Frieden d​er Welt dienen.“[160]

Anschließend w​urde die deutsche Nationalhymne v​on einem Bläserchor angestimmt, z​udem gab e​s ein Feuerwerk.

Aufbruch in ein neues Deutschland

Kirchlich w​urde der Tag d​er Wiedervereinigung a​m Vormittag m​it einem zentralen ökumenischen Gottesdienst i​n der St.-Marien-Kirche begangen, d​ie als älteste n​och genutzte Predigtkirche i​m historischen Stadtkern Berlins liegt. Karl Lehmann a​ls Vorsitzender d​er Deutschen Bischofskonferenz sprach einerseits v​on den Chancen u​nd noch g​ar nicht absehbaren n​euen Möglichkeiten d​er Einheit, w​ies aber a​uch auf Probleme hin: „Viele s​ind ratlos u​nd können s​ich nicht zurechtfinden. Was r​echt und schlecht funktionierte, a​ber so immerhin vertraut war, g​ibt es n​icht mehr, u​nd das verheißungsvolle Neue i​st oft n​och nicht überzeugend da. Viele Menschen wurden i​n Lernprozesse hineingeworfen, d​ie ihnen k​eine Zeit lassen. Arbeitslosigkeit bedroht viele. Es i​st schwer, m​it einem auslaufenden Staat z​u leben. […] Das Gewicht e​iner wohlhabenden u​nd erfolgreichen Bundesrepublik k​ann (so) a​uf dem anderen, d​er sich i​mmer wieder i​n die Vorschulklasse zurückgesetzt empfinden muss, schwer lasten. Die n​och so g​ut gemeinte Hilfe d​es Besitzenden k​ann für den, d​er darauf angewiesen ist, z​ur Zumutung werden.“[161]

Richard von Weizsäcker beim Staatsakt zur Wiedervereinigung in der Berliner Philharmonie

Wiederum i​n der Berliner Philharmonie h​atte Bundespräsident v​on Weizsäcker für d​en 3. Oktober 1990 e​inen Staatsakt angesetzt, b​ei dem außer i​hm selbst a​uch die a​ls letztes Staatsoberhaupt d​er DDR fungierende bisherige Präsidentin d​er DDR-Volkskammer Sabine Bergmann-Pohl, d​ie Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth s​owie Walter Momper a​ls Regierender Bürgermeister v​on Berlin Reden hielten. Von Weizsäcker betonte i​n seiner Ansprache w​ie de Maizière a​m Vorabend, d​ass die Vereinigung Deutschlands a​ls Teil e​ines gesamteuropäischen geschichtlichen Prozesses aufzufassen sei, d​er eine n​eue Friedensordnung für d​en Kontinent z​um Ziel habe. Diesem Ziel wollten d​ie Deutschen dienen, i​hm sei i​hre Einheit gewidmet. „Wir h​aben jetzt e​inen Staat, d​en wir selbst n​icht mehr a​ls provisorisch ansehen u​nd dessen Identität u​nd Integrität v​on unseren Nachbarn n​icht mehr bestritten wird. Am heutigen Tag findet d​ie vereinte deutsche Nation i​hren anerkannten Platz i​n Europa.“

Für d​en erst begonnenen Prozess d​er inneren Einigung forderte d​er Bundespräsident v​or allem wechselseitige Achtung. Es s​eien die Systeme, d​ie im Großen unterschiedlichen Erfolg bewirkten, n​icht die Menschen. Jedes Leben h​abe seinen Sinn u​nd seine eigene Würde. „Kein Lebensabschnitt i​st umsonst, z​umal nicht e​iner in d​er Not.“ Die Deutschen i​n der DDR s​eien nun e​inem Prozess d​er Umstellung ausgesetzt, d​er „oft übermenschliche Anforderungen“ m​it sich bringe. Auch u​nter denen, d​ie den Untergang d​es SED-Regimes u​nd die gewonnene Freiheit begrüßten, g​ebe es Menschen, d​ie daran verzagten, „fast a​lle Elemente d​es eigenen Lebens v​on heute a​uf morgen d​urch etwas Neues, Unbekanntes ersetzen z​u sollen“.

Auch i​m Hinblick a​uf die Stasi-Erblast wandte s​ich von Weizsäcker g​egen ein bloßes Abschütteln d​er Vergangenheit. Über s​ie einen Mantel d​es Vergessens z​u breiten, bezeichnete e​r als menschlich unzumutbar u​nd rechtsstaatlich unerträglich. „Recht u​nd Gesetz nehmen i​hren Lauf. Bei d​er Behandlung d​er Akten d​arf der erforderliche Datenschutz n​icht zum Täterschutz werden. Dabei w​ird aber niemand d​ie Zweifelhaftigkeit d​er Aufklärungsmittel verkennen. In e​inem System, d​as ohne Lügen n​icht auskommt, können a​uch Akten lügen.“ Darüber hinaus a​ber gebe e​s eine politisch-ethische Verantwortlichkeit o​hne Ahndungsmöglichkeit: „Schuld reicht weiter a​ls Strafbarkeit.“ Ziel a​ber sei e​ine Gerechtigkeit, d​er es n​icht um Vergeltung gehe, sondern u​m Aussöhnung u​nd inneren Frieden.

Gegen d​ie „in d​er Marketingsprache zeitgemäßer politischer Kommunikation“ verbreitete Vorstellung, d​ass im Zuge d​es Einigungsprozesses niemandem e​twas genommen werden s​olle und d​ass es n​ur auf d​ie Verteilung v​on Zuwächsen ankomme, g​ab der Bundespräsident z​u bedenken, d​ass damit d​as nötige Teilen n​ur in d​ie Zukunft verschoben würde, für manche außerhalb d​er eigenen Lebenserwartung. Es führe a​ber kein Weg a​n der Erkenntnis vorbei: „Sich z​u vereinen, heißt teilen lernen. Mit hochrentierlichen Anleihen allein w​ird sich d​ie deutsche Einheit n​icht finanzieren lassen.“

Ersttagsblatt der Deutschen Bundespost zur ersten gesamtdeutschen Olympiateilnahme seit 1960

Am Ende seiner Ansprache g​ab von Weizsäcker d​er Überzeugung Ausdruck, d​ass das menschliche Gelingen d​er Einheit n​icht entscheidend v​on Regierungsverträgen, Verfassung o​der Gesetzgebung abhänge, sondern v​on der Bereitschaft z​ur zwischenmenschlichen Offenheit u​nd Zuwendung. Es s​ei im Sinne Ernest Renans d​as „Plebiszit e​ines jeden Tages“, a​us dem s​ich „der Charakter unseres Gemeinwesens“ ergeben werde. „Wir können d​en gewachsenen Verfassungspatriotismus d​er einen m​it der gelebten menschlichen Solidarität d​er anderen Seite z​u einem kräftigen Ganzen zusammenführen. Wir wissen, w​ie viel schwerer e​s andere Völker a​uf der Erde z​ur Zeit haben. Wir h​aben den gemeinsamen Willen, d​ie großen Aufgaben z​u erfüllen, d​ie unsere Nachbarn v​on uns erwarten. Die Geschichte g​ibt uns d​ie Chance. Wir wollen s​ie wahrnehmen, m​it Zuversicht u​nd mit Vertrauen.“[162]

Tags darauf t​agte erstmals s​eit 1932 wieder e​in gesamtdeutsches Parlament i​m Reichstagsgebäude. Gemäß Einigungsvertrag gehörten d​em Bundestag n​un auch 144 n​och von d​er Volkskammer gewählte Abgeordnete an. Als n​eue Bundesminister für besondere Aufgaben wurden fünf Mitglieder d​er vormaligen Regierung d​e Maizière ernannt u​nd vereidigt, darunter a​uch der letzte Ministerpräsident d​er DDR selbst.[160]

Die nationalistische Gewalt der Vereinigung

In öffentlichen u​nd wissenschaftlichen Debatten unterrepräsentiert s​ind die Schattenseiten d​er Wiedervereinigung, w​ie ihre nationalistische Gewalt. Während e​in Großteil d​er Gesellschaft ausgelassen feierte, kämpften Andersaussehende u​nd Andersdenkende, vielfach alleingelassen v​on Gesellschaft u​nd Polizei, u​m ihre Häuser – u​nd mancherorts a​uch um i​hr Leben. Im „Einheitstaumel“ z​ogen am Abend d​es 2. u​nd am 3. Oktober 1990 bewaffnete Neonazis u​nd nationalistische Deutsche l​os und überfielen gezielt Linke u​nd besetzte Häuser s​owie Migranten u​nd Vertragsarbeiter u​nd deren Wohnungen. Erstaunlicherweise forderten d​ie teils massiven Angriffe k​eine Todesopfer. Die bisher n​och an i​hrem Anfang stehende Aufarbeitung dieses Phänomens m​acht deutlich, d​ass es rassistische, antisemitische u​nd nationalistische Weltbilder q​uer durch a​lle Gesellschaftsschichten u​nd bis t​ief in staatliche Institutionen gibt, „die s​ich durch d​ie jüngere deutsche u​nd deutsch-deutsche Geschichte ziehen u​nd von d​er Mehrheit d​er Bevölkerung nicht – o​der jedenfalls n​icht als Bedrohung – wahrgenommen werden, obwohl v​on ihnen i​mmer wieder brutale Gewalt ausgeht.“[163] Die bisherigen Forschungsergebnisse[164] zeigen, d​ass auch i​n der DDR rassistische Ressentiments u​nd rassistische Gewalt fortbestanden u​nd deren Eskalation i​n den späten 1980er u​nd frühen 1990er Jahren i​n Ostdeutschland w​eder vom Himmel fiel, n​och „einfach a​us dem Westen importiert w​urde und s​ich auch n​icht nur a​ls Folge d​er erniedrigenden Nachwendeerfahrung d​er Ostdeutschen erklären lässt.“[165] Auch i​n den Folgejahren k​am es u​m den 3. Oktober i​mmer wieder z​u gewalttätigen Vorfällen, insbesondere i​n den Jahren 1991 u​nd 2015.

Gedenken

Siehe auch

Literatur

  • Arnd Bauerkämper (Hrsg.): Doppelte Zeitgeschichte: deutsch-deutsche Beziehungen 1945–1990. Dietz, Bonn 1998, ISBN 3-8012-4090-8.
  • Klaus Bittermann (Hrsg.): Gemeinsam sind wir unausstehlich. Die Wiedervereinigung und ihre Folgen. Edition Tiamat, Berlin 1990, ISBN 3-923118-42-2 (= Critica diabolis, Band 27).
  • Kai Diekmann, Ralf Georg Reuth: Helmut Kohl: Ich wollte Deutschlands Einheit. Ullstein, München 2000, ISBN 3-548-36264-8.
  • Robert Grünbaum: Deutsche Einheit. Ein Überblick 1945 bis heute. 2., überarbeitete Auflage, Metropol, Berlin 2010, ISBN 978-3-940938-94-7.
  • Lothar de Maizière: Anwalt der Einheit. Ein Gespräch mit Christine de Mazières. Argon, Berlin 1996, ISBN 3-87024-792-4.
  • Walter Franz Schleser: Auf dem langen Weg zur deutschen Einheit: DDR-Flüchtlinge in Ungarn und Österreich vor einer friedlichen Revolution in ihrer Heimat. Ein Zeitzeugenbericht zum 20. Jahrestag des Falles der Berliner Mauer am 9. November 1989. W. F. Schleser, Wien 2010, DNB 1005053863.
  • Claus J. Duisberg: Das deutsche Jahr – Innenansichten der Wiedervereinigung 1989/1990. wjs, Berlin 2005, ISBN 3-937989-09-9.
  • Stephan Eisel: Der Beitrittsbeschluss der DDR-Volkskammer. In: Historisch-Politische Mitteilungen, hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung, St. Augustin 2005.
  • Vladimiro Giacché: Anschluss: Die deutsche Vereinigung und die Zukunft Europas, Laika-Verlag, Hamburg 2014, German Edition, ISBN 978-3-944233-26-0.
  • Michail Gorbatschow: Wie es war: die deutsche Wiedervereinigung. Ullstein, Berlin 1999, ISBN 3-550-07005-5.
  • Petra Heß, Christoph Kloft (Hrsg.): Der Mauerfall – 20 Jahre danach. Rhein-Mosel-Verlag, Zell/Mosel 2009, ISBN 978-3-89801-045-0.
  • Ilko-Sascha Kowalczuk: Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-74020-6.
  • Hanns Jürgen Küsters, Daniel Hofmann (Hrsg.): Deutsche Einheit: Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90. Oldenbourg, München 1998, ISBN 3-486-56361-0.
  • Gerhard Lehmbruch: Die deutsche Vereinigung: Kaltstart oder Fehlstart? Eine Bilanz des Vereinigungsprozesses (online).
  • Tilman Mayer (Hrsg.): 20 Jahre Deutsche Einheit. Erfolge, Ambivalenzen, Probleme (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 97), mit Grußworten von Angela Merkel und Thomas de Maizière, Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-13416-8.
  • Ehrhart Neubert: Unsere Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989/90. Piper, München 2008, ISBN 978-3-492-05155-2.
  • Alexander von Plato: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel: Bush, Kohl, Gorbatschow und die geheimen Moskauer Protokolle. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2003, ISBN 3-89331-462-8.
  • Gerhard A. Ritter: Der Preis der deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung und die Krise des Sozialstaats. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54972-1.
  • Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-56281-5.
  • Andreas Rödder: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-62233-5 (Beck’sche Reihe 2736).
  • Wolfgang Schäuble, Dirk Koch (Hrsg.), Klaus Wirtgen (Vorwort): Der Vertrag. Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte. DVA, Stuttgart 1991, ISBN 3-421-06605-1.
  • Klaus Schroeder: Preis der Einheit. Eine Bilanz. Hanser, München/Wien 2001, ISBN 3-446-19940-3.
  • Klaus Schroeder: Die veränderte Republik. Deutschland nach der Wiedervereinigung. Vögel, Stamsried 2006, ISBN 3-89650-231-X (= Berlin & München, Bd. 4).
  • Richard Schröder: Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit. Herder, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 2007, ISBN 978-3-451-29612-3.
  • Horst Teltschik: 329 Tage. Innenansichten der Einigung. Siedler, Berlin 1991, ISBN 3-88680-424-0.
  • Werner Weidenfeld, Karl-Rudolf Korte (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Einheit: 1949–1989–1999. Campus, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-593-36240-6.
  • Philip Zelikow, Condoleezza Rice: Sternstunde der Diplomatie. Die deutsche Einheit und das Ende der Spaltung Europas. Ullstein, München 2001, ISBN 3-548-26561-8.
  • Joachim Jauer: Kennzeichen D. Friedliche Umwege zur deutschen Einheit. Camino, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-460-50001-3.
  • Thomas Großmann: Fernsehen, Revolution und das Ende der DDR. Wallstein, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8353-1596-9 (zugl. Diss., FU Berlin, 2013).
  • Detlev Brunner, Michaela Kuhnhenne, Hartmut Simon (Hrsg.): Gewerkschaften im deutschen Einheitsprozess – Möglichkeiten und Grenzen in Zeiten der Transformation. transcript Verlag, Bielefeld 2017, ISBN 978-3-8376-4219-3.
Commons: Deutsche Wiedervereinigung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Vgl. Kurt Sontheimer/Wilhelm Bleek/Andrea Gawrich: Grundzüge des politischen Systems Deutschlands. München 2007, S. 91.
  2. Siehe amtlicher Volltitel des Einigungsvertrags oder etwa § 26a BauNVO.
  3. Mitschnitt Pressekonferenz DDR-Reiseregelung vom 9. November 1989. Youtube-Video.
  4. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 447 f.
  5. Hans J. Reichhardt (Hrsg.): Die Entstehung der Verfassung von Berlin. Eine Dokumentation. Im Auftrag des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin. Bd. II, de Gruyter, Berlin/New York 1990, Online S. 2028.
  6. Werner Weidenfeld, Karl-Rudolf Korte: Handbuch zur deutschen Einheit 1949–1989–1999. Campus, Frankfurt am Main/New York 1999, S. 286 f., 408.
  7. Damian van Meli: „Republikflucht“. Flucht und Abwanderung aus der SBZ/DDR 1945 bis 1961. Oldenbourg, München 2006, S. 36.
  8. Brief zur deutschen Einheit anläßlich der Unterzeichnung des Moskauer Vertrags vom 12. August 1970, in: documentArchiv.de (Hrsg.).
  9. Zitiert bei Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 487 f.
  10. Manfred Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart. C.H. Beck, München 1999, S. 725.
  11. Otmar Lahodynsky: Paneuropäisches Picknick: Die Generalprobe für den Mauerfall. In: Profil vom 9. August 2014.
  12. Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland – Die Geschichte der Wiedervereinigung. 2009, S. 73 ff.
  13. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 513.
  14. Wiedervereinigung nicht auf der Tagesordnung. In: Berliner Zeitung, 13. November 1989.
  15. Die DDR ist und bleibt sozialistisch. In: Berliner Zeitung, 20. November 1989.
  16. Claus J. Duisberg schildert die Lage zur Jahreswende 1989/1990: „Die Regierung verlor zunehmend an Autorität, nachgeordnete Stellen setzten sich über ihre Anordnungen hinweg und verfuhren nach eigenem Gutdünken. Hinzu kamen Racheakte gegen frühere Funktionäre. Selbst in den straff geführten Streitkräften lockerte sich die Disziplin; Soldaten, auch Offiziere, erschienen nicht mehr zum Dienst und bewarben sich sogar bei der Bundeswehr.“ (Claus J. Duisberg 2005, S. 127)
  17. Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. München 2009, S. 228, 231.
  18. Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. München 2009, S. 235.
  19. Gregor Gysi: Das war’s. Noch lange nicht! Autobiographische Notizen. Düsseldorf 1995, S. 168: „Ich ging nach vorn und kommentierte den Vorgang. Nunmehr befände sich die PDS in einer einmaligen historischen Situation. Immer dann, wenn SPD und CDU gegeneinander stimmten, könnten wir entscheiden, wen wir in Verruf bringen wollten.“
  20. Lothar de Maizière 1996, S. 65, 70.
  21. Lothar de Maizière 1996, S. 97 f.
  22. Der SPD-Fraktionsvorsitzende in der Volkskammer Richard Schröder merkt an: „Als die Fraktion der Ost-SPD – gegen den Widerstand des Parteivorstandes – in die Große Koalition eintrat, brach zu den befreundeten Mitgliedern der Fraktion Bündnis 90/Grüne eine Eiszeit aus. Sie hatten uns zuvor herzlich eingeladen, doch mit ihnen in die Opposition zu gehen, als lebten wir noch immer in der DDR.“ (Richard Schröder 2007, S. 163)
  23. Wolfgang Schäuble 1991, S. 20.
  24. Klaus Schroeder 2000, S. 116.
  25. Klaus Schroeder 2000, S. 117.
  26. Richard Schröder 2007, S. 114.
  27. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 527.
  28. Stefan Reinecke: 30 Jahre Mauerfall: Geistiges Kleingärtnertum. In: taz. 2. November 2019, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 3. November 2019]).
  29. Wolfgang Schäuble 1991, S. 72–78. Seinen Kurs fand Schäuble schließlich in Folgendem bestätigt: „Am Freitag, den 29. Juni 1990, dem letzten Tag, an dem es in der Bundesrepublik Deutschland noch ein Verfahren zur Registrierung von Übersiedlern gab, wurden noch 14 Übersiedler registriert. Zum Vergleich: in der Zeit bis zum 18. März wöchentlich mehr als 15.000.“ (ebda., S. 78)
  30. Richard Schröder 2007, S. 115.
  31. Andreas Rödder 2009, S. 209.
  32. Gerhard A. Ritter 2006, S. 263.
  33. Andreas Rödder 2009, S. 210, 225.
  34. Claus J. Duisberg 2005, S. 191 und 193.
  35. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 568.
  36. „Allerdings war diese Ur-Treuhand ihrer Aufgabe nicht gewachsen und zum Teil mit fragwürdigem Personal besetzt. Hätte sie schalten und walten können, wäre das sogenannte Volksvermögen SED-Genossen zugeschanzt worden, so wie es die SED mit ihrem Vermögen (vier Milliarden Ost-Mark) trickreich versucht hat.“ (Richard Schröder 2007, S. 125)
  37. Claus J. Duisberg 2005, S. 214.
  38. Richard Schröder 2007, S. 130 (mit Berufung auf Wolfram Fischer, Herbert Hax und Hans Karl Schneider (Hrsg.): Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen. Forschungsberichte. Berlin 1993, S. 138); Klaus Schroeder 2000, S. 143.
  39. Andreas Rödder 2009, S. 304 und 306.
  40. Gerhard A. Ritter 2006, S. 165 f.
  41. Richard Schröder 2007, S. 18.
  42. Klaus Schroeder 2000, S. 128.
  43. Richard Schröder 2007, S. 117, mit Berufung auf Wolfgang Herles: Wir sind kein Volk. Eine Polemik. München 2004.
  44. Claus J. Duisberg 2005, S. 194.
  45. Andreas Rödder 2009, S. 302; Gerhard A. Ritter 2006, S. 202 f.
  46. Gerhard A. Ritter 2006, S. 13 f.
  47. Lothar de Maizière 1996, Books Google S. 153 f.
  48. Gerhard A. Ritter 2006, S. 170 f.
  49. Gerhard A. Ritter 2006, S. 189 f.; Andreas Rödder 2009, S. 186 f.
  50. Gerhard A. Ritter 2006, S. 168 f.
  51. Horst Teltschik 1991, S. 140 und 155; Claus J. Duisberg 2005, S. 144–146.
  52. Claus J. Duisberg 2005, S. 141 f.; Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 449 f.
  53. Andreas Rödder 2009, S. 228 f.; Gerhard A. Ritter 2006, S. 44 f.
  54. Zitate nach Andreas Rödder 2009, S. 45 f.
  55. www.2plus4.de
  56. Richard Schröder 2007, S. 15.
  57. Peter Prantner: Wien und das „Gespenst der Wiedervereinigung“, ORF.at, 3. Oktober 2020.
  58. Horst Teltschik 1991, S. 159–161.
  59. Historischer Deal: Mitterrand forderte Euro als Gegenleistung für die Einheit. Bei: Spiegel Online, 25. September 2010, abgerufen am 10. Juli 2011. Siehe auch Andreas Rödder (2014): Wunschkind Euro (FASZ 12. Januar 2014 S. 25)
  60. Gerhard A. Ritter 2006, S. 58.
  61. Gerhard A. Ritter 2006, S. 61.
  62. The Washington Post; zit. n. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 551. Noch in Camp David habe Kohl am 24. Februar „zum Entsetzen von Bush die Frage aufgeworfen, ob ein vereintes Deutschland nicht ähnlich wie Frankreich Mitglied der Allianz sein könne, ohne ihrer Militärorganisation anzugehören.“ (ebda.)
  63. Andreas Rödder 2009, S. 245 f.
  64. Horst Teltschik 1991, S. 239.
  65. Zitate nach Andreas Rödder 2009, S. 231 und 248.
  66. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 581.
  67. Werner Weidenfeld, Karl-Rudolf Korte: Handbuch zur deutschen Einheit 1949–1989–1999, Campus, Frankfurt am Main/New York 1999, S. 297.
  68. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5: Bundesrepublik und DDR 1949–1990, C.H. Beck, München 2008, S. 334.
  69. Andreas Rödder 2009, S. 236 f.; Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 552.
  70. Horst Teltschik notiert unter dem Datum 6. März 1990: „Aus meiner Sicht hat die Union den Rubikon zur endgültigen Anerkennung der polnischen Westgrenze überschritten. Der Kanzler kommt in aufgeräumter Stimmung aus der Sitzung zurück. Er fühlt sich als Sieger. Nachdem er massiv geworden sei, habe er sich durchgesetzt. Das sei ab und zu nötig. Ich halte das Ganze für einen ungeheuren Energieverschleiß.“ (Horst Teltschik 1991, S. 168)
  71. Horst Teltschik 1991, S. 171 und 253 f.
  72. Stenographischer Bericht, S. 17144
  73. Stenographischer Bericht, S. 17145
  74. Andreas Rödder 2009, S. 244.
  75. Horst Teltschik 1991, S. 286.
  76. Andreas Rödder 2009, S. 230: „Die Sowjetführung konnte, auch nachdem sie im Februar 1990 in die deutsche Wiedervereinigung eingewilligt hatte, noch immer als Vetospieler auftreten. Einen Trumpf hielt sie vor allem mit der Bündnisfrage in der Hand, denn der Westen hatte sich mit der gesamtdeutschen NATO-Zugehörigkeit auf ein außerordentlich hohes Verhandlungsziel festgelegt. Dies spielte Moskau die Möglichkeit zu, entweder Konzessionen teuer zu erkaufen oder aber den gesamten Prozess zu blockieren.“
  77. Gerhard A. Ritter 2006, S. 62.
  78. Andreas Rödder 2009, S. 250; Horst Teltschik 1991, S. 100 f. Die Lieferung sollte 120.000 Tonnen Fleisch umfassen.
  79. Horst Teltschik 1991, S. 204.
  80. Horst Teltschik 1991, S. 221, 230–234, 243; Andreas Rödder 2009, S. 250 f.
  81. Lothar de Maizière 1996, S. 80.
  82. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 586 f.
  83. Das Verhalten des Westens wurde später auf russischer Seite in allen politischen Lagern als Vertragsbruch wahrgenommen. Vgl. Uwe Klußmann, Matthias Schepp, Klaus Wiegrefe: Absurde Vorstellung. In: Der Spiegel. Nr. 48, 2009, S. 46–49 (online 23. November 2009).
  84. Horst Teltschik 1991, S. 294; Andreas Rödder 2009, S. 255.
  85. Horst Teltschik 1991, S. 338.
  86. 15. Juli 1990 – Auf dem Weg zur Deutschen Einheit: Einigung über deutsche Souveränität. bundesregierung.de, Zugriff am 1. Januar 2022; Anne-Kerstin Tschammer: Sprache der Einheit. Repräsentation in der Rhetorik der Wiedervereinigung 1989/90. Springer VS, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-26200-6, S. 603, Anm. 369; vgl. die Positionen von Jürgen Gros, Peter M. Wagner: Verträge der deutschen Einheit. In: Werner Weidenfeld, Karl-Rudolf Korte (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Einheit 1949–1989–1999. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1996, S. 698–712, hier S. 709; Manfred Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik. Von der Gründung bis zur Gegenwart. C.H. Beck, München 1999, S. 765; Henning Köhler: Deutschland auf dem Weg zu sich selbst. Eine Jahrhundertgeschichte. Hohenheim-Verlag, Stuttgart 2002, S. 663, auf der einen Seite und von Sven Felix Kellerhoff, Lars-Broder Keil: Deutsche Legenden. Vom ‚Dolchstoß‘ und anderen Mythen der Geschichte. Ch. Links Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-86153-257-3, S. 246; Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 5: Bundesrepublik und DDR 1949–1990. C.H. Beck, München 2008, S. 336 f.
  87. „Weder vom Obersten Sowjet oder der Regierung, weder vom Verteidigungs- beziehungsweise Präsidentenrat noch vom Föderationsrat, vom Politbüro oder dem Sekretariat des ZK ganz zu schweigen, hatte Gorbatschow Vollmacht für die von ihm getroffenen Entscheidungen bekommen“, heißt es bei Valentin Falin (zit. n. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 588).
  88. Gerhard A. Ritter 2006, S. 56.
  89. Andreas Rödder 2009, S. 260 f.
  90. „Dieses Telefongespräch war wirklich dramatisch. Gorbatschow versuchte überraschend hart, Druck auszuüben, um den Kanzler zu weiteren finanziellen Zugeständnissen zu bewegen. Über das Angebot von acht Milliarden DM war er sichtlich enttäuscht. Damit ist aber auch deutlich geworden, daß das finanzielle Paket für Gorbatschow ein zentraler Bestandteil des Gesamtergebnisses ist, das er zu Hause vorweisen will und vermutlich auch muß. Ich bin mir sicher, daß unser Angebot nicht das letzte Wort sein kann.“ (Horst Teltschik 1991, S. 360)
  91. Horst Teltschik: „Damit endet ein sehr schwieriges Gespräch, das nur durch die Erhöhung des finanziellen Angebots am Ende erfolgreich war. Erfreulicherweise hatte das Finanzministerium diesen zusätzlichen Vorschlag vorbereitet und dem Bundeskanzler rechtzeitig übermittelt. Der zuständige Staatssekretär Horst Köhler ist nicht nur ein hervorragender Experte, sondern auch ein politisch denkender Spitzenbeamter.“ (Horst Teltschik 1991, S. 362 f.); Andreas Rödder kommentiert: „Dass die deutschen Leistungen jenseits dessen lagen, was das Finanzministerium als Grenze der deutschen Zahlungsfähigkeit beziffert hat, war in gewisser Weise nur ein Vorgeschmack: Die Vereinigung Deutschlands sollte künftig noch ganz andere Summen erforderlich machen.“ (Andreas Rödder 2009, S. 262)
  92. Horst Teltschik 1991, S. 346.
  93. Bekanntmachung der „Suspendierungserklärung“ der Alliierten zu ihren Vorbehaltsrechten (Memento vom 11. Juni 2010 im Internet Archive) vom 2. Oktober 1990
  94. Gerhard A. Ritter 2006, S. 49.
  95. Claus J. Duisberg bescheinigt Krause: „Es war offensichtlich, daß er der Motor der Vereinigungspolitik war, die zu einem erfolgreichen Ende zu bringen er auch den persönlichen Ehrgeiz hatte. […] In Verhandlungen war er hellwach und reaktionsschnell, sehr präzise und bestimmt in dem, was er wollte […]“ (Claus J. Duisberg 2005, S. 243). Schäuble zollte seinem Partner bei der Vertragsaushandlung große Anerkennung: „Nie verlor er bei der unglaublichen Vielzahl der Themen den Blick für das Wesentliche. Auch noch so komplizierte juristische Vertragsprobleme konnten ihn nicht erschüttern. Seine Sachkompetenz rechtfertigte auch ein beachtliches Selbstvertrauen, das ihn befähigte, seiner unglaublichen Fülle von Verantwortlichkeiten im Jahre 1990 gerecht zu werden.“ (Schäuble 1991, S. 142) Von Anlaufschwierigkeiten mit dem nicht immer rücksichtsvollen westdeutschen Humor gegenüber den – mitunter herabsetzend als „Laienspielschar“ apostrophierten – ostdeutschen Nachwende-Politikern berichtet Richard Schröder. Bei einer ersten Begegnung mit Gerhard Schröder 1990 im SPD-Vorstand habe dieser ihn mit den Worten begrüßt: „Ich frage mal in Österreich an, ob die euch nach Artikel 23 nehmen.“ (Richard Schröder 2007, S. 161; zur „Laienspielschar“ Reinhard Höppner: Wunder muss man ausprobieren. Der Weg zur deutschen Einheit. Berlin 2009, S. 108) Gerhard Schröder bestreitet diese Darstellung, Richard Schröder, Der Spiegel vom 26. Februar 2007.
  96. Wortlaut der bis 1990 gültigen alten Fassung von Art. 23 GG: „Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“
  97. Wortlaut der bis 1990 gültigen alten Fassung von Art. 146 GG: „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“
  98. Helmut Quaritsch: Das Selbstbestimmungsrecht des Volkes als Grundlage der deutschen Einheit. In: Josef Isensee und Paul Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Band XI: Internationale Bezüge. C.F. Müller, Heidelberg 2013, S. 136 f., Rn. 38.
  99. Vgl. Ursula Münch: 1990: Grundgesetz oder neue Verfassung?, Bundeszentrale für politische Bildung, 1. September 2008.
  100. Wolfgang Schäuble 1991, S. 54. „Aber von unseren Vorbereitungen durfte nichts nach außen dringen. Sonst hätte es einen öffentlichen Sturm gegeben. Uns wäre vorgeworfen worden: Ihr bereitet schon den Anschluß vor, obwohl die da drüben noch nicht einmal in erster freier Wahl über ihre neue Volkskammer abgestimmt haben. Das war unser Risiko. Doch lieber trug ich dieses Risiko, als im Fall des Falles mit leeren Händen dazustehen.“ (ebda. S. 151)
  101. Claus J. Duisberg 2005, S. 222 f.; Claus J. Duisberg, damals Leiter des Arbeitsstabes Deutschlandpolitik im Bundeskanzleramt und von Schäuble bei den Vorarbeiten zum Einigungsvertrag für das Innenministerium gewonnen (ebda. S. 219), betont, dass das Problem des Spontanbeitritts latent fortbestand, und weist darauf hin, dass auch einzelne Gebietsteile der DDR, also Bezirke oder Kreise, spontan den Beitritt hätten erklären können: „Nach dem Wortlaut des Artikels 23 hätte dann dort sogleich das Grundgesetz in Kraft gesetzt werden müssen, was eine Fülle von Problemen aufgeworfen hätte. Gewiß wäre die Kompetenz der Organe, die eine solche Erklärung abgegeben hätten, höchst zweifelhaft gewesen; die politische Misslichkeit der Situation wäre dadurch jedoch nicht geringer geworden, sondern eher gewachsen.“ (ebda. S. 222).
  102. Wolfgang Schäuble 1991, S. 135. „Ich habe immer eisern auf dem Grundsatz beharrt, es gehe jetzt um die Einheit und nicht darum, bei dieser Gelegenheit etwas für die Bundesrepublik zu ändern.“ (Ebda. S. 156) So auch die Auffassung des seinerzeitigen Fraktionsvorsitzenden der Ost-SPD in der Volkskammer Richard Schröder, für den es eine weltfremde Forderung war und ist, „aus Anlass der deutschen Einheit im Jahre 1990 nicht nur den Osten, sondern auch noch den Westen umzukrempeln.“ (Richard Schröder 2007, S. 34)
  103. Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik. Veröffentlichung im documentarchiv.de
  104. Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (Hrsg.): Die Länder in der DDR. Materialien Nr. 110. Mai 1990.
  105. Wortlaut der am 13. September 1990 geänderten Fassung des Ländereinführungsgesetzes. Veröffentlichung auf verfassungen.de, abgerufen am 10. Dezember 2012.
  106. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) Art 1 Länder
  107. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag). Art. 3 Inkrafttreten des Grundgesetzes
  108. Anlage II, Kapitel II, Abschnitt II des Einigungsvertrags https://www.gesetze-im-internet.de/einigvtr/BJNR208890990BJNE025000301.html
  109. Andreas Rödder 2009, S. 335: „Nach Art. 1 des Einigungsvertrages wurde die DDR an jenem 3. Oktober in einer ‚juristischen Sekunde‘ von ihren neu gebildeten Ländern abgelöst, die dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitraten. Somit waren die Länder mit dem Tag der deutschen Einheit bereits juristisch existent, aber noch nicht handlungsfähig. Mit den Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990 bekamen sie Parlamente, die zugleich als verfassunggebende Landesversammlungen fungierten.“
  110. Mit Brandenburg kooperierte Nordrhein-Westfalen; für Mecklenburg-Vorpommern waren Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen zuständig; Sachsen wurde von Bayern und Baden-Württemberg unterstützt, Sachsen-Anhalt von Niedersachsen und Thüringen von Hessen und Rheinland-Pfalz (Andreas Rödder 2009, S. 336).
  111. „Hier war bereits der Pfad eingeschlagen, die Finanzierung der Einheit vor allem zu Lasten des Bundes zu leisten.“ (Andreas Rödder 2009, S. 338)
  112. „Eine Formulierung, die eine Zustimmungspflicht des Bundes statuiert hätte, wäre vom Bundestag nicht hingenommen worden und hätte das Aus für Berlin bedeutet; das Gegenteil wäre im Bundesrat gescheitert.“ (Wolfgang Schäuble 1991, S. 216)
  113. Stadterneuerung Berlin; Erfahrungen, Beispiele, Perspektiven; SenBauWohn, 1990 (Memento vom 6. Februar 2013 im Internet Archive).
  114. Iris Spielmann: Schwerpunkte zukünftiger Stadterneuerung in Berlin und der Region in: Verschiedene Autoren: Stadterneuerung Berlin. Hrsg.: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Berlin 1990, S. 86.
  115. Beide Zitate: Borgelt, Dieser, Keckstein: Das 25-Millionen-Programm in: Stadterneuerung Berlin, 1990, S. 101 f. Ebenso: Erfahrungen, Beispiele, Perspektiven, SenBauWohn, 1990.
  116. Wolfgang Schäuble 1991, S. 151 f.
  117. Gerhard A. Ritter 2006, S. 242 f.; Wolfgang Schäuble 1991, S. 152 ff. „Der Aufbau der Bundesrepublik in den fünfziger und sechziger Jahren war ja auch nur möglich, weil die Spielräume damals in einem noch weniger feingesponnenen Rechtskostüm größer waren.“ (ebda. S. 153)
  118. Gerhard A. Ritter 2006, S. 243.
  119. Richard Schröder 2007, S. 151.
  120. Claus J. Duisberg 2005, S. 273: „Auch Krause war sich darüber klar, daß hier erhebliche Einschnitte notwendig sein würden und es vor allem darum ging, sozialverträgliche Formen dafür zu finden. Für die Bundesverwaltung strebte er aber eine starke Untermischung an und suchte aus Art. 36 GG eine weitreichende Übernahmeverpflichtung bis hin zu Quoten abzuleiten, kritisierte in diesem Zusammenhang auch besonders die schon bekannte ablehnende Haltung des Auswärtigen Amtes gegen die Übernahme von DDR-Personal.“
  121. Claus J. Duisberg 2005, S. 273; Wolfgang Schäuble 1991, S. 199 f.
  122. Wolfgang Schäuble 1991, S. 201: „Es leuchtet ein, daß die meisten meiner Kollegen diese Idee unterstützten. Der Verteidigungsminister wäre auf diese Weise sein Problem mit der Nationalen Volksarmee, der Finanzminister seine Fürsorgepflicht für Zöllner losgeworden. Es gab heftigen Streit.“
  123. Wolfgang Schäuble 1991, S. 201–203; resümierend: „Wir haben die Voraussetzungen für einen einigermaßen sozial verträglichen Personalabbau geschaffen. Auch wenn viele, wahrscheinlich sogar die meisten der rund zwei Millionen Beschäftigten in den öffentlichen Verwaltungen der früheren DDR der SED angehörten, so müssen sie dennoch eine faire Chance haben, sich in dem Prozeß der deutschen Einheit wiederzufinden. Auch sie gehören zum vereinten Deutschland, und auch ihnen wollen wir eine Chance für eine bessere Zukunft erschließen. […] Jeder Fall muß für sich entschieden werden. Es gibt keinen Automatismus für Entlassungen. Diesen Grundsatz habe ich von Anfang an verteidigt und bin froh, daß wir ihn durchgehalten haben.“ (ebda. S. 203 f.)
  124. Richard Schröder 2007, S. 154.
  125. Richard Schröder 2007, S. 152 f. Bezüglich der Entlassungen bzw. der Personalveränderungen im Hochschulbereich weist Schröder darauf hin, dass die Forschung in der DDR an Akademien konzentriert war, wo es „eine beachtliche Anzahl seriöser Fachleute gab“, während das bei Lehrkräften an den Universitäten, wo unabhängig vom speziellen Studiengang ein marxistisch-leninistischer Grundkanon zum Pflichtpensum gehörte und die Forschung keine große Rolle spielte, „viel seltener der Fall war.“ (ebda. S. 156 f.)
  126. Claus J. Duisberg 2005, S. 199.
  127. Andreas Rödder 2009, S. 326.
  128. Richard Schröder 2007, S. 147. Für weniger entschieden hält im Nachgang Andreas Rödder die sowjetische Position: „Die Bodenreform aus der Zeit vor 1949 im vereinten Deutschland nicht rückgängig zu machen, stellte offenkundig ein sowjetisches Petitum dar – aber keine wirkliche causa major und erst recht keine conditio sine qua non. Die Frage wurde in Moskau offensichtlich nicht einmal auf höchster Ebene diskutiert und auch weit weniger resolut vertreten als die Frage der Bündniszugehörigkeit, in der Bonn weit größere Widerstände überwand.“ (Andreas Rödder 2009, S. 329)
  129. Zitiert nach Wolfgang Schäuble 1991, S. 104.
  130. Zitiert nach Andreas Rödder 2009, S. 328.
  131. Claus J. Duisberg 2005, S. 198. „Häuser, die Westdeutschen gehörten, wurden unter staatliche Verwaltung gestellt (ohne Änderung im Grundbuch), aber oft mit Zwangshypotheken belastet und bei ‚Überschuldung‘ ebenfalls in Volkseigentum überführt, also enteignet. Manche haben ihr Mietshaus entschädigungslos dem Staat übergeben, weil sie die Unterhaltungskosten nicht aufbringen konnten.“ (Richard Schröder 2007, S. 137)
  132. Claus J. Duisberg 2005, S. 205.
  133. Zitiert nach Andreas Rödder 2009, S. 327. Richard Schröder betont: „Die Regierung de Maizière hat entschieden, dass ‚der redliche Erwerb‘ (‚redlich‘ heißt: gemäß den damals geltenden Bestimmungen, ohne Korruption) solcher enteigneten Grundstücke geschützt ist, dass dann also keine Rückgabe an den Alteigentümer erfolgt, sondern Entschädigung. Das gilt bis heute. Eine zweite wichtige Ausnahme wurde in der Volkskammer beschlossen: Bei Investitionsvorhaben sollte der Alteigentümer nur entschädigt werden, um diese nicht zu behindern. Die dritte Ausnahme: von den Nazis enteignete Grundstücke deutscher Juden sollten zurückgegeben werden. Die DDR hatte das nicht getan.“ (Richard Schröder 2007, S. 137)
  134. Richard Schröder 2007, S. 139.
  135. Richard Schröder 2007, S. 140.
  136. Andreas Rödder 2009, S. 325 f. „Dass auch der Innenminister der Regierung de Maizière eine Villa zum Vorzugspreis erwarb, wirft dabei nur ein einzelnes Schlaglicht auf einen Zusammenhang persönlicher Bereicherungen und eine andere, den Augen von Öffentlichkeit und Wissenschaft weitgehend entzogene Form des ‚Ausverkaufs‘ in der untergehenden DDR.“ (Andreas Rödder ebda. S. 326)
  137. Klaus Schroeder 2001, S. 153, 161.
  138. Klaus Schroeder 2006, S. 163.
  139. Neubert 2008, S. 399.
  140. Wolfgang Schäuble 1991, S. 267–269, 274. Schäuble, der nach eigenem Bekunden auch über die unbesehene Komplettvernichtung der Stasiakten nachgedacht hat, beruft sich hinsichtlich der Zuständigkeit des Bundesarchivs auf ein Missverständnis seitens der öffentlichen Wahrnehmung: „Die Akten hätten nicht nach Koblenz ausgelagert werden sollen. Das Bundesarchiv hätte die Akten nach der Einheit innerhalb des früheren DDR-Gebiets unter Verschluß genommen, zusammengetragen aus den Bezirken in Berlin, um die Kontrolle so sicherer zu machen. Mißbrauch wäre eher ausgeschlossen gewesen.“ (ebda. S. 274)
  141. Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. München 2009, S. 238.
  142. Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. München 2009, S. 238 f.
  143. Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. München 2009, S. 239 f. Bekanntester Name unter den OibE war Alexander Schalck-Golodkowski, der sich aber bereits im Dezember 1989 in den Westen abgesetzt hatte.
  144. Richard Schröder 2007, S. 155.
  145. Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. München 2009, S. 244 f.
  146. Reinhard Höppner: Wunder muss man ausprobieren. Der Weg zur deutschen Einheit. Berlin 2009, S. 134 f. Höppner bilanziert fast zwei Jahrzehnte danach: „Der Umgang mit dem Erbe des Staatssicherheitsdienstes und seinen Helfershelfern ist uns bis heute nicht angemessen gelungen. Angesichts der Nervosität, die während der letzten Tage der DDR herrschte, konnte man kaum erwarten, dass der Volkskammer ein gutes Beispiel für den Umgang mit unserer Vergangenheit gelingt.“ (ebda. S. 135)
  147. Wolfgang Schäuble 1991, S. 158; Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 591 ff.
  148. Um bei einer für das gesamtdeutsche Wahlgebiet einheitlichen Fünf-Prozent-Sperrklausel ohne zusätzliche Stimmen aus den alten Bundesländern den Einzug in den Bundestag zu schaffen, hätten Parteien auf DDR-Gebiet allein 22,39 % der Stimmen erhalten müssen. Die PDS war als relativ stärkste unter ihnen bei der Volkskammerwahl am 18. März 1990 auf 16,4 % gekommen. (Wolfgang Schäuble 1991, S. 85 f.)
  149. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 599.
  150. 30. Tagung der 10. Volkskammer der DDR: Volkskammerbeschluss zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, mit persönlicher Erklärung Gregor Gysis (PDS) im Anschluss (5′11″)
  151. Wolfgang Schäuble 1991, S. 230 ff., 309.
  152. Vereinbarung zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990, 18. September 1990, Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 112, 20. September 1990.
  153. Siehe auch Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone ab 1945 und offene Vermögensfragen.
  154. 36. Tagung der 10. Volkskammer der DDR: Abstimmung über den Einigungsvertrag (1′16″)
  155. Wolfgang Schäuble 1991, S. 311.
  156. Claus J. Duisberg 2005, S. 303.
  157. 20 Jahre Deutsche Einheit – Regierungsdokumente und Erklärungen aus den Jahren 1989 bis 1991. (Memento vom 5. Juni 2011 im Internet Archive) Schriftfassung der Fernsehansprache von Bundeskanzler Helmut Kohl am 2. Oktober 1990, abgerufen am 3. Oktober 2015.
  158. Schriftfassung der Fernsehübertragung aus dem Konzerthaus Berlin: Ansprache von Ministerpräsident de Maizière am 2. Oktober 1990.
  159. Neubert 2008, S. 437.
  160. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom «Dritten Reich» bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 601.
  161. Karl Kardinal Lehmann: Katholische Kirche im geeinten Deutschland. Bemerkungen zum Vereinigungsprozess (Memento vom 18. Juli 2011 im Internet Archive) (PDF; 174 kB). Eröffnungsreferat bei der Tagung der Kommission für Zeitgeschichte am 23. Oktober 2009 in Erfurt, S. 18.
  162. 20 Jahre Deutsche Einheit – Regierungsdokumente und Erklärungen aus den Jahren 1989 bis 1991. (Memento vom 5. Juni 2011 im Internet Archive) Ansprache des Bundespräsidenten am Tag der Deutschen Einheit, Staatsakt in Berlin am 3. Oktober 1990; abgerufen am 3. Oktober 2015.
  163. zweiteroktober90 (Hrsg.): Die Gewalt der Vereinigung. 2021, ISBN 978-3-00-070397-3, S. 4 (zweiteroktober90.de [abgerufen am 5. November 2021]).
  164. Frei, Norbert; Morina, Christina; Maubach, Franka; Tändler, Maik: Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus. Ullstein Buchverlage, Berlin 2019, ISBN 978-3-550-20015-1.
  165. zweiteroktober90 (Hrsg.): Die Gewalt der Vereinigung. 2021, ISBN 978-3-00-070397-3, S. 4 (zweiteroktober90.de [abgerufen am 5. November 2021]).

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