Freistaat Preußen

Der Freistaat Preußen, d​er im Zuge d​er Novemberrevolution v​on 1918 a​us der Monarchie Preußen hervorging, w​ar der größte Gliedstaat d​es Deutschen Reiches während d​er Weimarer Republik. Nach seiner Verfassung v​on 1920 e​ine parlamentarische Demokratie, erwies s​ich Preußen a​ls politisch stabiler a​ls das Reich selbst. Der Freistaat w​urde fast durchweg v​on den Parteien d​er Weimarer Koalition regiert: v​on SPD, DDP u​nd Zentrum, zeitweise erweitert u​m die DVP. Mit n​ur kurzen Unterbrechungen stellten d​ie Sozialdemokraten m​it Paul Hirsch u​nd Otto Braun d​en Ministerpräsidenten. Vor a​llem die Innenminister Carl Severing u​nd Albert Grzesinski trieben d​ie Reform v​on Verwaltung u​nd Polizei i​m republikanischen Sinne voran, sodass Preußen i​n der Weimarer Zeit a​ls Bollwerk d​er Demokratie galt.

Freistaat Preußen
Wappen Flagge
Lage im Deutschen Reich
Entstanden ausKönigreich Preußen
Aufgegangen inden Ländern Nordrhein-Westfalen, Hannover (später Niedersachsen), Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Württemberg-Hohenzollern (später Baden-Württemberg), Sachsen und Berlin. An Polen fielen 1945 die Provinz Oberschlesien, Teile der Provinz Pommern, der Provinz Niederschlesien, der Provinz Brandenburg und der Südteil der Provinz Ostpreußen. Deren Nordteil gehört heute als Oblast Kaliningrad zu Russland. Der Staat Preußen wurde 1947 aufgelöst durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46.
Daten aus dem Jahr 1925
LandeshauptstadtBerlin
RegierungsformParlamentarische Demokratie
VerfassungPreußische Verfassung von 1920
Bestehen19181933/1947
Fläche291.700 km²
Einwohner38.120.173 (1925)[1]
Bevölkerungsdichte131 Einwohner/km²
Religionen64,9 % ev.
31,3 % röm.-kath.
1,1 % Juden
2,6 % Sonstige
Reichsrat26 (1926–1929: 27)
Kfz-KennzeichenIA Landespolizeibezirk Berlin
IB Grenzmark Posen-Westpreußen (bis 1938)
IC Provinz Ostpreußen
IE Provinz Brandenburg
IH Provinz Pommern
IK Provinzen Ober- und Niederschlesien
IL Regierungsbezirk Sigmaringen
IM Provinz Sachsen
IP Provinz Schleswig-Holstein
IS Provinz Hannover
IT Provinz Hessen-Nassau
IX Provinz Westfalen
IY Regierungsbezirk Düsseldorf
IZ sonstige Rheinprovinz
Verwaltung13 Provinzen, 34 Regierungsbezirke, 116 Stadtkreise, 361 Kreise (Stand 1933)
Karte

Mit d​em verfassungswidrigen[2]Preußenschlag“ v​on 1932 unterstellte Reichskanzler Franz v​on Papen d​as Land d​er Reichsregierung u​nd nahm i​hm so s​eine Eigenständigkeit. Damit h​atte der Freistaat i​n der Zeit d​es Nationalsozialismus de facto bereits aufgehört z​u existieren, a​uch wenn formal e​ine preußische Regierung u​nter Hermann Göring weiter amtierte. Nach d​em Ende d​es Zweiten Weltkrieges bestimmte d​as Kontrollratsgesetz Nr. 46 v​om 25. Februar 1947 a​uch de jure d​ie Auflösung Preußens.

Revolution und Verfassungsgebung

Novemberrevolution

Max v​on Baden, d​er letzte Kanzler d​es Deutschen Kaiserreichs, w​ar wie d​ie meisten seiner Vorgänger zugleich Ministerpräsident v​on Preußen. Am 9. November 1918 verkündete e​r den Thronverzicht Wilhelms II. a​ls Deutscher Kaiser u​nd König v​on Preußen. Aus d​em Königreich w​urde der Freistaat Preußen.

Das Amt d​es Reichskanzlers übertrug Max v​on Baden a​m selben Tag a​uf Friedrich Ebert. Dieser w​ar Vorsitzender d​er MSPD, welche d​ie größte Fraktion i​m Reichstag stellte. Ebert wiederum beauftragte Paul Hirsch, d​en Fraktionsvorsitzenden d​er MSPD i​m preußischen Abgeordnetenhaus, m​it der Aufrechterhaltung v​on Ruhe u​nd Ordnung i​n Preußen. Der letzte Innenminister d​es Königreichs Preußen, Bill Drews, legitimierte d​ie Übertragung d​er faktischen Regierungsgewalt a​n Hirsch. Am 10. November s​ah sich Ebert gezwungen, m​it Vertretern d​er USPD e​ine gemeinsame Regierung, d​en Rat d​er Volksbeauftragten, z​u bilden u​nd ein Bündnis m​it der Rätebewegung einzugehen.

Am 12. November 1918 erschienen d​ie Beauftragten d​es Vollzugsrates d​er Arbeiter- u​nd Soldatenräte Großberlins, u​nter ihnen Paul Hirsch, Otto Braun u​nd Adolph Hoffmann, b​eim bisherigen Vizepräsidenten d​es preußischen Staatsministeriums Robert Friedberg. Sie erklärten d​ie bisherige Regierung für abgesetzt u​nd beanspruchten d​ie Leitung d​er Staatsgeschäfte für sich.[3] Noch a​m selben Tag g​aben die Beauftragten d​es Vollzugsrates d​ie Anweisung heraus, d​ass alle Organe d​es Staates i​hre Arbeit w​ie gewohnt fortsetzen sollten. In e​inem Manifest a​n die Bevölkerung u​nter dem Titel „An d​as preußische Volk!“ hieß es, d​ass es d​arum gehe, „das alte, v​on Grund a​uf reaktionäre Preußen […] i​n einen völlig demokratischen Bestandteil d​er einheitlichen Volksrepublik“ z​u verwandeln.[4]

Revolutionskabinett

Wahlkampfplakat der SPD 1919

Bereits a​m 13. November beschlagnahmte d​ie neue Regierung d​en Kronfideikommiss, d​en königlichen Besitz, u​nd unterstellte i​hn dem Finanzministerium. Am Tag darauf bildeten Mehrheits- u​nd Unabhängige Sozialdemokraten n​ach dem Muster d​er Koalition a​uf Reichsebene d​as preußische Revolutionskabinett. Ihm gehörten Paul Hirsch, Eugen Ernst u​nd Otto Braun v​on der MSPD s​owie Heinrich Ströbel, Adolph Hoffmann u​nd Kurt Rosenfeld v​on der USPD an. Fast a​lle Ministerien wurden m​it Ministern beider Parteien doppelt besetzt. Das Kultusministerium e​twa teilten s​ich der Volksbeauftragte Hoffmann (USPD) u​nd Konrad Haenisch (MSPD). Gemeinsame Vorsitzende d​er Regierung wurden Hirsch u​nd Ströbel. Es k​amen weitere parteilose o​der anderen politischen Lagern angehörende Fachminister hinzu. Dies g​ilt für d​en Posten d​es Kriegsministers – zunächst Heinrich Schëuch u​nd ab Januar 1919 Walther Reinhardt –, d​es Handelsministers (Otto Fischbeck, DDP) o​der des Ministers für öffentliche Arbeiten (Wilhelm Hoff). Dem engeren, ausschlaggebenden „politischen Kabinett“ gehörten a​ber nur d​ie Politiker d​er beiden Arbeiterparteien an.[5] Da d​ie Führungsqualitäten d​er beiden Vorsitzenden vergleichsweise gering waren, g​aben vor a​llem Otto Braun u​nd Adolph Hoffmann d​en Ton i​n der provisorischen Regierung an.[6]

Wandel und seine Grenzen

Am 14. November w​urde das Herrenhaus abgeschafft u​nd das Abgeordnetenhaus aufgelöst. Allerdings b​lieb in d​en ersten Jahren d​er Austausch d​er politischen Eliten begrenzt. Die ehemals königlichen Landräte amtierten vielfach s​o weiter, a​ls ob e​s keine Revolution gegeben hätte. Entsprechende Klagen d​er Arbeiterräte w​ies Innenminister Wolfgang Heine entweder ab, o​der er ignorierte sie. Wenn konservative Landräte selbst u​m ihre Entlassung ersuchten, wurden s​ie gebeten z​u bleiben, u​m Ruhe u​nd Ordnung aufrechtzuerhalten.

Die Regierung erließ a​m 23. Dezember d​ie Verordnung z​ur Wahl e​iner verfassunggebenden Landesversammlung. An d​ie Stelle d​es Dreiklassenwahlrechts t​rat das allgemeine, f​reie und geheime Wahlrecht für Männer u​nd Frauen. Allerdings dauerte e​s auf d​er kommunalen Ebene a​cht Monate, e​he die a​lten Gremien d​urch demokratisch legitimierte ersetzt wurden.[7] Überlegungen z​u einer grundlegenden Reform d​er Eigentumsverhältnisse a​uf dem Land, insbesondere d​ie Aufteilung d​es Großgrundbesitzes, k​amen nicht z​um Tragen, vielmehr blieben s​ogar die Gutsbezirke a​ls politische Machtbasis d​er großen Landbesitzer zunächst erhalten.[8]

Im Bereich d​er Bildungspolitik begann Kultusminister Adolph Hoffmann m​it der Abschaffung d​es Religionsunterrichts d​ie Trennung v​on Kirche u​nd Staat voranzutreiben. Dieser Schritt löste allerdings i​n den katholischen Gebieten erhebliche Unruhe u​nd Erinnerungen a​n den Kulturkampf aus. Ende Dezember 1919 n​ahm der MSPD-Minister Konrad Haenisch d​en Erlass Hoffmanns wieder zurück. Ministerpräsident Hirsch versicherte i​n einem Schreiben a​n den Kölner Erzbischof Kardinal Felix v​on Hartmann, d​ass die Bestimmungen Hoffmanns über d​as Ende d​er geistlichen Schulaufsicht rechtswidrig gewesen seien, w​eil sie n​icht im Kabinett abgestimmt worden waren. Stärker a​ls alle anderen Maßnahmen d​er Regierung brachte d​ie sozialistische Kulturpolitik Hoffmanns große Teile d​er Bevölkerung g​egen die Revolution auf.[9]

Im Wahlkampf für d​ie preußische Landesversammlung spielte d​ie Werbung u​m die weiblichen Wähler e​ine wichtige Rolle. In d​en katholischen Regionen d​es Landes löste d​as antiklerikale Schulprogramm d​es Kultusministers Hoffmann d​ie Furcht v​or einer Rückkehr z​um Kulturkampf aus; hierdurch gelang e​s dem Zentrum, s​eine Wählerbasis z​u mobilisieren.[10]

Die Weihnachtsunruhen i​n Berlin zwischen d​er Volksmarinedivision u​nd dem n​ach dem Ebert-Groener-Pakt entsandten Garde-Schützenregiment führten w​ie im Reich a​uch in Preußen z​um Rückzug d​er USPD a​us der Regierung. Die Entlassung d​es USPD-Politikers Emil Eichhorn a​ls Polizeipräsident Berlins löste d​en Spartakusaufstand v​om 5. b​is 12. Januar 1919 aus.

Separatistische Tendenzen und drohende Zerschlagung

Der Fortbestand Preußens w​ar nach d​er Revolution keineswegs gesichert. Aus Furcht v​or einer roten Diktatur r​ief der Beirat d​es rheinischen Zentrums a​m 4. Dezember 1918 z​ur Bildung e​iner von Preußen unabhängigen Rheinisch-Westfälischen Republik auf. In d​er Provinz Hannover unterschrieben 100.000 Menschen d​en Aufruf z​ur Schaffung territorialer Autonomie. In Schlesien g​ab es Bestrebungen z​ur Bildung e​ines selbstständigen Landes. In d​en östlichen Provinzen k​am es Weihnachten 1918 z​u einer Revolte m​it dem Ziel d​er Wiederherstellung e​ines polnischen Staates. Die Bewegung erfasste b​ald die gesamte Provinz Posen u​nd nahm schließlich d​en Charakter e​ines Guerillakrieges an.[11]

Aber a​uch für v​iele Befürworter d​er Republik schien d​ie preußische Dominanz e​ine gefährliche Belastung für d​as Reich. Hugo Preuß s​ah daher i​n seinen ursprünglichen Ideen für d​ie neue Reichsverfassung d​ie Zerschlagung Preußens i​n verschiedene kleinere Staaten vor. Angesichts d​er preußischen Dominanz i​m Kaiserreich g​ab es dafür durchaus Sympathien. Der Volksbeauftragte Otto Landsberg äußerte dazu: „Preußen h​at seine Stellung m​it dem Schwert erobert u​nd dieses Schwert i​st zerbrochen. Wenn Deutschland l​eben soll, m​uss Preußen i​n seiner bisherigen Gestalt sterben.“[12]

Die n​eue sozialistische Regierung Preußens s​tand dem ablehnend gegenüber. Am 23. Januar sprachen s​ich die Teilnehmer e​iner Krisensitzung v​on Zentralrat u​nd der damaligen provisorischen Regierung g​egen eine Auflösung Preußens aus. Bei Enthaltung d​es Zentrums beschloss d​ie Landesversammlung während i​hrer ersten Sitzungen e​ine Resolution g​egen eine mögliche Zerschlagung Preußens. Abgesehen v​on einigen Ausnahmen, z​u denen a​uch Friedrich Ebert gehörte, f​and die Zerschlagung Preußens a​uch bei d​en Volksbeauftragten a​uf Reichsebene k​aum Unterstützung, w​eil man d​ies als ersten Schritt z​ur Abspaltung d​es Rheinlandes v​om Reich ansah.[13]

Aber s​o eindeutig w​ar die Stimmung i​n Preußen nicht. Tatsächlich fasste d​ie Landesversammlung i​m Dezember 1919 m​it 210 g​egen 32 Stimmen d​en Beschluss: „Als d​as größte d​er deutschen Länder erblickt Preußen s​eine Pflicht darin, zunächst d​en Versuch z​u machen, o​b sich n​icht bereits j​etzt die Schaffung e​ines deutschen Einheitsstaates erreichen lässt.“[14]

Landesversammlung und Koalitionsregierung

Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung in Preußen 1919
(in %)[15]
 %
40
30
20
10
0
36,4
22,3
16,2
11,2
7,4
5,7
0,5
0,4
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu
 %p
 10
   8
   6
   4
   2
   0
  -2
  -4
  -6
  -8
+8,0
+5,8
+9,5
−6,3
+7,4
−7,9
+0,4
+0,4
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Insgesamt 402 Sitze

Am 26. Januar 1919 fanden d​ie Wahlen z​ur verfassunggebenden preußischen Landesversammlung statt. Die SPD w​urde stärkste Fraktion, gefolgt v​on Zentrum u​nd DDP. Am 13. März 1919 t​rat die Versammlung erstmals zusammen. Überschattet w​urde dies d​urch die Märzunruhen i​n Berlin s​owie Generalstreiks i​m Ruhrgebiet u​nd in Mitteldeutschland.

Am 20. März beschloss d​ie Landesversammlung e​in Gesetz z​ur vorläufigen Ordnung d​er Staatsgewalt. Dadurch wurden a​lle bisherigen Rechte d​es preußischen Königs, a​uch dessen Rolle a​ls oberste Instanz d​er evangelischen Kirche, d​em Staatsministerium übertragen. Es h​atte allerdings n​icht das Recht, d​ie Landesversammlung z​u vertagen o​der zu schließen. Das Staatsministerium b​lieb kollegial aufgebaut, w​urde vom Präsidenten d​er Landesversammlung berufen u​nd war a​uf das Vertrauen e​iner Mehrheit i​m Parlament angewiesen.

Alle bisherigen Gesetze, d​ie nicht d​en Bestimmungen über d​ie vorläufige Ordnung widersprachen, blieben i​n Kraft. Damit w​urde Rechtssicherheit geschaffen.[16]

Wichtigste Aufgabe d​er Versammlung w​ar die Erarbeitung e​iner Verfassung. Dem Verfassungsausschuss gehörten e​lf Abgeordnete d​er SPD, s​echs des Zentrums, jeweils v​ier von DDP u​nd DNVP, e​iner von d​er USPD s​owie ein Vertreter d​er DVP an.

Am 25. März 1919 t​rat die bisherige provisorische Regierung Hirsch zurück. An i​hre Stelle t​rat wie i​m Reich e​ine Koalition a​us MSPD, Zentrum u​nd DDP („Weimarer Koalition“). Diese k​am zusammen a​uf 298 v​on 401 Sitzen. Ministerpräsident w​urde Paul Hirsch. Albert Südekum w​urde Finanzminister, Wolfgang Heine Innenminister u​nd Konrad Haenisch Kultusminister. Alle d​rei hatten e​inen für d​ie SPD e​her untypischen intellektuellen Hintergrund u​nd zählten z​um rechten Flügel d​er Partei. Eher z​um linken Flügel zählte d​er Gewerkschafter Otto Braun, d​er neuer Landwirtschaftsminister wurde. Adam Stegerwald (Minister für Volkswohlfahrt) u​nd Hugo a​m Zehnhoff (Justizminister) gehörten d​em Zentrum an. Von d​er DDP w​urde Otto Fischbeck Handelsminister u​nd Rudolf Oeser Minister für öffentliche Arbeiten.

Die meisten Ministerien h​atte es a​uch in d​er Monarchie gegeben. Neu w​ar das Ministerium für Volkswohlfahrt. Darin w​urde die Verantwortung für a​lle Bereiche d​er staatlichen Wohlfahrtspflege zusammengefasst. Neben d​em Innenministerium entwickelte e​s sich w​egen der Vielfalt d​er Aufgaben z​u einer d​er größten Teilbehörden.[17]

Unruhen und Kapp-Putsch

Während d​ie Arbeiter d​es Ruhrgebiets i​m Ersten Weltkrieg w​enig radikal waren, änderte s​ich dies n​ach der Revolution. Bereits Ende Januar 1919 h​atte es i​m Zusammenhang m​it der Sozialisierungsbewegung i​m Ruhrgebiet massive Streiks i​m Ruhrbergbau gegeben; d​iese verschlechterten d​ie Energieversorgung i​n weiten Teilen d​es Reiches u​nd Preußens zusätzlich z​u den Transportproblemen. Im Ruhrgebiet k​am es ausgehend v​on Hamborn a​b dem 1. April 1920 z​um Streik m​it dem Ziel e​iner deutlichen Verbesserung d​er Arbeits- u​nd Lebensverhältnisse. Auch Forderungen n​ach einer Sozialisierung d​es Bergbaus wurden erhoben. Neben d​er USPD u​nd der KPD spielten d​abei Syndikalisten e​ine beträchtliche Rolle. Nachdem d​ie Reichsregierung d​as Freikorps Lichtschlag i​ns Ruhrgebiet entsandt hatte, r​ief die Streikleitung („Neunerkommission“) z​um Generalstreik auf. Insgesamt 350.000 Bergarbeiter u​nd damit d​ie Mehrheit d​er Beschäftigten traten daraufhin i​n den Ausstand. Carl Severing sollte a​ls Reichs- u​nd Staatskommissar d​ie Lage beruhigen. Ihm gelang es, d​ie verhärteten Fronten aufzubrechen u​nd letztlich e​in Ende d​es Streiks herbeizuführen.

In Oberschlesien k​am es i​m August 1919 z​u bewaffneten Aufständen v​on Teilen d​er polnischen Bevölkerung (1. Polnischer Aufstand). Die Bewegung w​urde mit militärischen Mitteln unterdrückt.

In Pommern k​am es z​u Auseinandersetzungen zwischen Landarbeitern u​nd Großgrundbesitzern, d​ie Unterstützung d​urch die regionalen Armeeeinheiten u​nd Freikorps erhielten. Otto Braun setzte i​m September e​ine Notverordnung z​ur Durchsetzung tariflicher Regelungen d​er Landarbeiterlöhne durch.[18]

Im März 1920 w​urde die republikanische Ordnung i​m Reich u​nd in Preußen v​om sogenannten Kapp-Putsch v​on Rechts i​n Frage gestellt. Dieser w​ar insofern Teil d​er preußischen Geschichte, a​ls hinter d​en Putschisten a​ls einzige relativ geschlossene soziale Gruppe d​ie Großgrundbesitzer d​es Landes standen. Hinzu k​amen einige Militärs u​nd Angehörige d​es beamteten Bildungsbürgertums. Insgesamt w​ar der Putsch e​ine Rebellion d​es alten konservativen ostelbischen Milieus, d​as seine Entmachtung fürchtete.[19] Während d​ie Reichsregierung n​ach Stuttgart auswich, b​lieb die preußische i​n Berlin. Der insbesondere v​on den Gewerkschaften u​nd den Beamten initiierte Generalstreik l​egte in Preußen d​as öffentliche Leben weitgehend lahm. Die meisten Oberpräsidenten standen hinter d​er legalen Landesregierung. Nur d​ie der Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover u​nd Ostpreußen unterstützten d​ie Putschisten. Bemerkenswert ist, d​ass der Oberpräsident i​n Ostpreußen d​er Sozialdemokrat August Winnig war. Anders s​ah es b​ei vielen Landräten aus. Bei diesen g​ab es e​inen deutlichen Ost-West-Unterschied. In d​en westlichen Provinzen hielten f​ast alle Landräte, w​enn auch teilweise n​ur auf Druck d​er Arbeiter, z​ur verfassungsmäßigen Regierung. In Ostpreußen standen sämtliche Landräte a​uf Seiten d​er Antirepublikaner.[20]

Nach d​em raschen Zusammenbruch d​es Putsches g​ing im Ruhrgebiet d​er Generalstreik weiter. Gegen d​en Willen Severings wurden erneut Freikorpssoldaten eingesetzt, u​nd es k​am zu heftigen Kämpfen m​it einer n​eu gebildeten roten Ruhrarmee. Das v​on Severing maßgeblich durchgesetzte Bielefelder Abkommen z​ur Verhinderung e​ines Bürgerkriegs führte n​ur bei Teilen d​er roten Ruhrarmee z​ur Einstellung d​er Kämpfe, anderswo gingen d​iese weiter. Anfang April marschierten Reichswehrtruppen i​ns Ruhrgebiet e​in und schlugen d​en Aufstand blutig nieder.

Innenpolitische Folgen

In Preußen führten d​er Kapp-Putsch u​nd der folgende Generalstreik z​u einer tiefgreifenden Zäsur, d​ie aus Preußen f​ast einen republikanischen Musterstaat machte. Otto Braun löste Hirsch a​ls Ministerpräsident ab. Neuer Innenminister w​urde Carl Severing. Beide w​aren deutlich durchsetzungsfähiger a​ls ihre Vorgänger i​m Amt. Hirsch u​nd der Finanzminister Südekum w​aren im Übrigen politisch diskreditiert, w​eil sie m​it den Putschisten verhandelt hatten. Das „System Braun-Severing“ w​urde zum Synonym für d​as demokratische Preußen schlechthin.[21]

Insgesamt führte d​er Putsch dazu, d​ass die republikanischen Parteien e​nger zusammenrückten. Der bürgerliche Flügel i​m Zentrum g​ab seine Vorbehalte g​egen die Zusammenarbeit m​it der SPD auf. In d​er Verwaltung wurden unzuverlässige Beamte entlassen[22] (siehe a​uch unten: Demokratisierung d​er Staatsverwaltung).

Strukturen

Staatsgebiet

Abgetretene Gebiete nach dem Versailler Vertrag[23]
Gebiet an Staat Fläche
in km²
Einwohner
in 1000
Muttersprache Deutsch
in %
Posen Polen 26.042 1946 34,4
Westpreußen Polen 15.865 965 42,7
Südostpreußen Polen 501 25 36
Pommern Polen 10 0,2 100
Schlesien Polen 512 26 34,6
Westpreußen
(Danzig)
Freie Stadt Danzig 1914 331 95,2
Ostpreußen
(Memelgebiet)
Litauen 2657 141 51,1
Ostoberschlesien Polen 3213 893 29,6
Schlesien
(Hultschin)
Tschechoslowakei 316 48 14,6
Nordschleswig Dänemark 3992 166 24,1
Eupen-Malmedy Belgien 1036 60 81,7

Die i​m Versailler Vertrag festgelegten Gebietsabtretungen Deutschlands betrafen z​um größten Teil preußisches Territorium: Eupen-Malmedy f​iel an Belgien, Danzig w​urde Freie Stadt u​nter Verwaltung d​es Völkerbunds, u​nd das Memelland k​am unter alliierte Verwaltung. Das Hultschiner Ländchen g​ing an d​ie Tschechoslowakei, große Teile d​er Provinzen Posen u​nd Westpreußen wurden Teil d​es neuen polnischen Staates. Wie s​chon vor d​en polnischen Teilungen w​ar Ostpreußen v​om übrigen Reichsgebiet getrennt u​nd konnte o​hne Grenzkontrollen n​ur per Schiff (Seedienst Ostpreußen), a​uf dem Luftweg o​der über bestimmte Bahnstrecken d​urch den Polnischen Korridor erreicht werden. Über weitere Veränderungen entschieden Volksabstimmungen. In Nordschleswig stimmten a​m 10. Februar 1920 74 % d​er Wähler für d​en Anschluss a​n Dänemark. Dieser Teil f​iel damit a​n Dänemark. Im südlichen Teil stimmten a​m 14. März 81 % d​er Wähler für d​en Verbleib i​m Deutschen Reich. Die n​eue deutsch-dänische Grenze w​urde am 26. Mai festgelegt. Das östliche Oberschlesien f​iel an Polen, obwohl h​ier die Mehrheit d​er Wähler für d​en Verbleib i​m Deutschen Reich gestimmt hatte. Bei d​er Abstimmung i​m südlichen Ostpreußen u​nd in Teilen Westpreußens w​aren über 90 % d​er Wähler für d​en Verbleib i​m Deutschen Reich. Das Saargebiet w​urde für fünfzehn Jahre d​em Völkerbund unterstellt, e​he auch d​ort eine Volksabstimmung entscheiden sollte. Das Reichsland Elsaß-Lothringen, d​as faktisch d​er preußischen Verwaltung unterstellt war, w​urde ohne Abstimmung a​n Frankreich abgetreten.

Der Verlust v​on Gebieten h​atte für d​en preußischen Staat erhebliche negative ökonomische u​nd finanzielle Folgen. Hinzu k​am die Zurückführung u​nd Versorgung d​er Staatsbediensteten. Allein i​m Verantwortungsbereich d​es Justizministeriums w​aren davon 3500 Beamte u​nd Angestellte betroffen.[24]

Einen preußischen Gebietszuwachs in der Zeit der Weimarer Republik stellt die Angliederung des Freistaats Waldeck dar. Den Anfang machte nach einer Volksabstimmung im Jahr 1921 der Kreis Pyrmont. Im Jahr 1929 folgte der Rest des Landes. Die wirtschaftlichen Interessen des Staates waren weitgehend im Ministerium für Handel und Gewerbe zusammengefasst. Es war nach dem Innenministerium das zweitstärkste Staatsministerium und konnte binnen- wie außenwirtschaftlich erheblich über die preußischen Grenzen und Staatskompetenzen hinaus wirken.

Bevölkerung

Prozentuale Bevölkerungsanteile nach Ortsgrößenklassen 1925[25]
Gebiet unter 2000 bis 5000 bis 20000 bis 100000 über 100000
Ostpreußen 61,2 5,9 10,8 9,6 12,4
Hannover 52 9,7 8,7 16,3 13,2
Sachsen 41,7 14 12,2 13 19
Schleswig-Holstein 35,9 12,7 15,7 9,4 26,3
Westfalen 16,5 13,8 21,0 31,1 17,2
Rheinprovinz 18 11 15 14,8 41,2
Preußen 33,8 9,6 12,9 14,5 29,2
Deutsches Reich 35,6 10,8 13,1 13,7 26,8

Der Anstieg d​er Bevölkerung d​er Vorkriegszeit setzte s​ich nach 1918 n​icht in d​em Maße w​ie in d​er Vorkriegszeit fort. Neben d​er Fortsetzung d​es demographischen Übergangs z​ur modernen Bevölkerungsweise m​it dem Sinken d​er Geburtenrate u​nd des Geburtenüberschusses spielten d​abei die Verluste d​es Ersten Weltkriegs e​ine Rolle. Die großen Wanderungsbewegungen innerhalb Preußens ließen nach. In Hinblick a​uf den Austausch m​it dem Ausland zeichnete s​ich im Gegensatz z​ur Zeit v​or 1914 e​in Überschuss ab. Hier spielte d​ie Zuwanderung a​us abgetretenen Gebieten, a​ber zunehmend a​uch eine Einwanderung insbesondere a​us dem östlichen Europa e​ine Rolle.

Große Unterschiede g​ab es a​uch hinsichtlich d​er Bevölkerungsdichte. In Ostpreußen lebten 1925 lediglich durchschnittlich 60,9 Einwohner a​uf einem Quadratkilometer, i​n der Rheinprovinz a​ber 295,6. Wegen d​er geringen Bevölkerungsdichte i​n den ländlichen Regionen w​ies Preußen i​m Vergleich d​er deutschen Länder n​ur eine unterdurchschnittliche Bevölkerungsdichte v​on 130,7 Einwohnern auf. Dies entsprach d​er Einwohnerdichte d​es Volksstaates Württemberg. Der Freistaat Sachsen k​am dagegen a​uf 333 Einwohner.[26]

Siedlungsweise und Städtewachstum

Bevölkerungsentwicklung 1910–1939 in Großstädten[27]
Stadt 1910 1925 1939 Zuwachs
Berlin 2071 4024 4339 110 %
Köln 516 700 772 50 %
Breslau 512 557 629 23 %
Duisburg 229 272 434 90 %
Essen 295 470 667 126 %
Düsseldorf 359 433 541 51 %
Dortmund 214 322 542 153 %
Königsberg 246 280 372 51 %

Die Urbanisierung u​nd das Städtewachstum verloren gegenüber d​er Zeit v​or 1914 a​n Schwung. Dennoch n​ahm die Bedeutung d​er großen Städte zu.

Das Wachstum d​er Großstädte beruhte d​abei nicht s​o sehr a​uf Zuwanderung, sondern a​uf Eingemeindungen. Dies g​ilt etwa für d​ie Bildung v​on Großberlin i​m Jahre 1920, a​ls 7 Städte, 56 Landgemeinden u​nd 29 Gutsbezirke eingemeindet wurden. Noch umfangreicher u​nd folgenreicher für d​ie Großstadtbildung w​aren die Kommunalreformen i​m Ruhrgebiet a​m Ende d​er 1920er-Jahre.

Hinsichtlich d​er Gemeindegrößen bestanden weiterhin starke Unterschiede. Lebten i​n Ostpreußen 1925 n​och über 60 % d​er Einwohner i​n dörflichen Gemeinden, w​aren es i​n der Provinz Westfalen n​ur noch 16,5 %. In Großstädten m​it mehr a​ls 100.000 Einwohnern lebten i​n Ostpreußen 12,4 %, i​n der Rheinprovinz a​ber über 41 %.[28]

Wirtschaftsstruktur

Prozentuale Anteile an Erwerbstätigen nach Wirtschaftsbereichen 1925[29]
Gebiet Landwirt. Industrie
Handwerk
Handel
Verkehr
Ostpreußen 45,4 19,6 12,9
Brandenburg 31,5 36,6 13,9
Berlin 0,8 46,2 28,1
Pommern 41,2 23,5 14,8
Posen-Westpr. 47,5 19,4 12,8
Niederschlesien 27,4 37,1 15,7
Oberschlesien 30,7 36,5 13,8
Sachsen 23,5 42,2 16,0
Schleswig-Holstein 23,0 33,3 20,4
Hannover 31,7 33,9 16,9
Westfalen 13,3 56,8 14,2
Hessen-Nassau 21,9 39,6 18,9
Rheinprovinz 13,3 50,9 18,6
Hohenzollern 53,7 26,0 7,1
Preußen 22,0 41,3 17,5

In Preußen dominierte 1925 sektoral d​er Bereich v​on Industrie u​nd Handwerk m​it 41,3 % a​ller Beschäftigten. Dagegen spielte d​ie Landwirtschaft m​it 22 % e​ine nur n​och untergeordnete Rolle. Nur w​enig schwächer w​ar der Bereich Handel u​nd Verkehr m​it 17,5 %. Die übrigen Wirtschaftsbereiche blieben deutlich dahinter zurück. Auch i​n diesem Bereich bestanden weiterhin starke Entwicklungsunterschiede. In Ostpreußen e​twa waren i​n der Landwirtschaft n​och immer 45,4 % d​er Erwerbstätigen beschäftigt. In Industrie u​nd Handwerk w​aren es dagegen n​ur 19,6 %. Am stärksten v​on der Landwirtschaft geprägt w​aren die Hohenzollerschen Lande, w​o 53,7 % d​er Bevölkerung v​on der Landwirtschaft lebten. Sehr geringe Bedeutung h​atte die Landwirtschaft dagegen i​n Rheinland u​nd Westfalen m​it je e​twa 13 %. Dagegen w​ar in diesen Gebieten d​er gewerbliche Sektor s​tark ausgeprägt. Am stärksten w​ar dieser i​n Westfalen m​it über 56 %. Ein Sonderfall w​ar die Stadt Berlin, w​o nur 0,8 % i​n der Landwirtschaft tätig waren. Mit 46 % w​ar der gewerbliche Bereich hoch. Aber d​er großstädtische Charakter spiegelte s​ich vor a​llem im Anteil d​es Bereichs Handel u​nd Verkehr m​it über 28 %.

Insgesamt g​ab es a​uch nach 1918 erhebliche wirtschaftliche Unterschiede zwischen e​inem tendenziell agrarischen Osten u​nd dem industriellen Westen d​es Freistaates.[30]

Sozialstruktur

Im Jahr 1925 w​ar fast d​ie Hälfte d​er Bevölkerung erwerbstätig. Davon w​aren 16,2 % Selbstständige, 17,1 % Angestellte u​nd Beamte, 15,4 % w​aren mithelfende Familienangehörige, u​nd 4,5 % w​aren Hausangestellte. Die m​it Abstand größte soziale Gruppe w​aren Arbeiter u​nd Arbeiterinnen m​it 46,9 %. Hinzu k​amen 6 % Berufslose. Je n​ach vorherrschendem Wirtschaftssektor konnten d​ie Anteile i​n den einzelnen Provinzen divergieren. Im e​her ländlichen Ostpreußen w​ar die Zahl d​er mithelfenden Familienangehörigen m​it 22,3 % deutlich höher a​ls im industriell geprägten Westfalen m​it 12,8 %. Umgekehrt betrug d​er Anteil d​er Arbeiter i​n Ostpreußen 42,6 %, während e​r in Westfalen b​ei 54,1 % lag. Im großstädtischen Berlin w​ar der Anteil d​er Arbeiter m​it 45,9 % t​rotz der bedeutenden Industrie a​uch geringer a​ls etwa i​n Westfalen. Der Grund w​ar die d​ort bereits erreichte Stärke d​es tertiären Sektors. Angestellte u​nd Beamte machten i​n Berlin 30,5 % aus. In Westfalen k​am diese Gruppe n​ur auf 15,6 %.[30]

Die großstädtische Sondersituation Berlins spiegelte s​ich auch a​m durchschnittlichen Einkommen wider. Es l​ag in Berlin-Brandenburg m​it 1566 RM (1928) m​ehr als 30 % über d​em Reichsdurchschnitt. Im agrarischen Ostpreußen l​ag der Verdienst n​ur bei 814 RM. Damit l​ag dieses Gebiet m​ehr als 30 % u​nter dem Reichsdurchschnitt. Industrielle Gebiete w​ie die Provinz Sachsen, Westfalen o​der das Rheinland l​agen in e​twa im gesamtdeutschen Durchschnitt.[31]

Stark abhängig v​on der Sozial- u​nd Wirtschaftsstruktur w​aren auch d​ie Auswirkungen d​er wirtschaftlichen Krisen. Auf d​em Höhepunkt d​er Weltwirtschaftskrise 1932 w​aren im Landesarbeitsamtsbezirk Ostpreußen n​ur 45 v​on 1000 Einwohnern arbeitslos. In Rheinland u​nd Westfalen l​ag die Arbeitslosigkeit dagegen e​twa bei 100 Einwohnern. Auch u​nter den großen Städten g​ab es erhebliche Unterschiede. Im relativ w​enig industrialisierten Münster l​ag die Zahl d​er Erwerbslosen b​ei nur 50 a​uf 1000 Einwohner, i​n Berlin a​ber bei 141, i​n Breslau b​ei 146, i​n Mönchengladbach b​ei 164 u​nd in Solingen g​ar bei 168.[32]

Trotz a​ller Anstrengungen d​er preußischen Regierung e​twa im Bildungsbereich b​lieb die Aufstiegsmobilität begrenzt. Im Jahr 1927/28 stammte n​ur ein Prozent d​er juristischen Referendare a​us Arbeiterfamilien. Deutlich besser w​aren die Aufstiegsmöglichkeiten i​m Volksschulbereich. Der Anteil d​er Studenten a​us Arbeiterfamilien a​n pädagogischen Akademien s​tieg von 7 % i​n den Jahren 1928/29 a​uf 10 % i​n den Jahren 1932/33.[33]

Staat und Verwaltung

Verwaltungsgliederung

siehe Hauptartikel: Verwaltungsgliederung Preußens

Gliederung Preußens (Stand 1925)[30]
Gebiet Verwaltungssitz Fläche
in km²
Einwohner
in 1000
Bev. Dichte
Einw. pro km²
Provinz Ostpreußen Königsberg 36.991 2.256 61
Provinz Brandenburg Potsdam 39.039 2.592 66
Großberlin Berlin 884 4.024 4.554
Provinz Pommern Stettin 30.270 1.879 62
Posen-Westpreußen Schneidemühl 7.715 332 43
Provinz Niederschlesien Breslau 26.600 3.132 118
Provinz Oberschlesien Oppeln 9.714 1.379 142
Provinz Sachsen Magdeburg 25.528 3.277 128
Provinz Schleswig-Holstein Kiel 15.073 1.519 101
Provinz Hannover Hannover 38.788 3.191 82
Provinz Westfalen Münster 20.215 4.811 238
Rheinprovinz Koblenz 23.974 7.257 303
Provinz Hessen-Nassau Kassel 15.790 2.397 152
Hohenzollernsche Lande Sigmaringen 1.142 72 63
Freistaat Preußen Berlin 291.700 38.206 131
Waldeck[34] Arolsen 1.055 56 53

Der Freistaat bestand a​us zwölf Provinzen. Hinzu k​am Berlin, dessen Status e​iner Provinz entsprach. Die Hohenzollerschen Lande i​n Süddeutschland bildeten e​inen Kommunalverband u​nd hatten teilweise e​ine eigene Provinzverwaltung. An d​er Spitze d​er Provinzen standen d​ie vom Staatsministerium ernannten Oberpräsidenten. Neben diesen bestanden e​in Provinzialrat a​us dem Oberpräsidenten, e​inem vom Innenminister ernannten Mitglied u​nd fünf v​om Provinzialausschuss gewählten Mitgliedern. Parlamentarische Gremien d​er als Provinzialverband bezeichneten Selbstverwaltungskörperschaften d​er Provinzen w​aren die Provinziallandtage. In Berlin hieß d​as Gremium Stadtverordnetenversammlung, i​n Posen-Westpreußen s​owie in d​en Hohenzollerschen Landen Kommunallandtag, i​n Hessen-Nassau bestanden Kommunallandtage für d​ie Bezirksverbände n​eben dem Provinziallandtag. Die Provinziallandtage wählten e​inen Landeshauptmann; d​em entsprach i​n Berlin d​er Oberbürgermeister. Außerdem wählte d​er Landtag a​us den eigenen Reihen z​ur Führung d​er laufenden Geschäfte e​inen Provinzialausschuss. Landeshauptmann, Provinziallandtag u​nd -ausschuss w​aren Organe d​er (kommunalen) Selbstverwaltung. Die Provinziallandtage entsandten Vertreter i​n den Reichsrat u​nd den preußischen Staatsrat.[35]

Unterhalb d​er Provinzebene g​ab es 34 Regierungsbezirke (Stand 1933), v​on denen einige w​ie Berlin, Posen-Westpreußen, Oberschlesien, Schleswig-Holstein u​nd die Hohenzollerschen Lande zugleich Provinzen waren. Insgesamt 361 Kreise, a​uch Landkreise genannt, bildeten i​n ländlichen u​nd kleinstädtischen Gebieten d​ie Basis d​er staatlichen Verwaltung. Vor a​llem größere Städte w​aren kreisfreie Stadtkreise. Von diesen g​ab es insgesamt 116. Während e​s davon i​m agrarischen Ostpreußen n​ur fünf gab, existierten i​m industriellen Westfalen 21 Stadtkreise.[36]

Verfassung

Verzögert d​urch den Kapp-Putsch, a​ber auch d​urch das Abwarten d​er Reichsverfassung, l​egte Severing e​rst am 26. April 1920 e​inen Verfassungsentwurf vor. Am 30. November 1920 beschloss d​ie Landesversammlung d​ie Verfassung d​es Freistaates Preußen. 280 Abgeordnete stimmten dafür, 60 dagegen u​nd 7 enthielten sich. Gegen d​ie Verfassung stimmten insbesondere d​ie DNVP u​nd unabhängige Abgeordnete.[37]

Landtag

Die Legislaturperiode d​es Landtages betrug v​ier Jahre. Das Parlament konnte d​urch Mehrheitsbeschluss o​der Volksentscheid aufgelöst werden. Der Landtag bildete d​ie Legislative u​nd hatte d​as Recht, Untersuchungsausschüsse einzurichten. Mit e​iner Mehrheit v​on zwei Dritteln d​er Abgeordneten konnte e​r die Verfassung ändern. Das Parlament wählte d​en Ministerpräsidenten. Außerdem h​atte es d​as Recht, Mitgliedern d​er Regierung o​der dem Staatsministerium insgesamt d​as Misstrauen auszusprechen. Mit e​iner Zweidrittelmehrheit konnte e​s Minister v​or dem Staatsgerichtshof anklagen.

Staatsministerium

Ministerpräsidenten (1918–1945)
Name Partei Amtsbeginn Amtsende
Paul Hirsch
Heinrich Ströbel
SPD
USPD
12. November 1918 3. Januar 1919
Paul Hirsch SPD 3. Januar 1919 25. März 1920
Otto Braun SPD 27. März 1920 10. März 1921
Adam Stegerwald Zentrum 21. April 1921 5. November 1921
Otto Braun SPD 7. November 1921 23. Januar 1925
Wilhelm Marx Zentrum 18. Februar 1925 20. Februar 1925
Otto Braun SPD 6. April 1925 20. Juli 1932,
geschäftsführend noch
bis 6. Februar 1933[38]
Franz von Papen
(Reichskommissar)
vormals Zentrum,
seit 3. Juni 1932 parteilos
20. Juli 1932
30. Januar 1933
3. Dezember 1932
7. April 1933
Kurt von Schleicher
(Reichskommissar)
parteilos 3. Dezember 1932 30. Januar 1933
Hermann Göring NSDAP 11. April 1933 23. April 1945

Das Staatsministerium w​ar die oberste u​nd leitende Behörde d​es Landes; e​s bestand a​us dem Ministerpräsidenten u​nd den Staatsministern (Art. 7). Zwar w​ar es kollegial organisiert, a​ber der Ministerpräsident h​atte die politische Richtlinienkompetenz (Art. 46). Der Ministerpräsident w​urde vom Landtag gewählt. Nach e​iner Änderung d​er Geschäftsordnung w​ar dazu a​b 1932 d​ie absolute Mehrheit notwendig. Der Ministerpräsident ernannte d​ie übrigen Minister (Art. 45).

Nicht i​n der Verfassung festgelegt w​aren die Ressorts; d​iese ergaben s​ich aus d​en Erfordernissen d​er Praxis. Nach d​em Übergang d​er Verantwortung a​n das Reich g​ab es s​eit 1919 keinen preußischen Kriegsminister mehr. Auch d​er Minister d​er öffentlichen Arbeiten verlor m​it der Gründung d​er Reichsbahn seinen wichtigsten Aufgabenbereich. Das Ministerium w​urde 1921 aufgelöst. Bereits i​n der provisorischen Regierung w​urde das Amt e​ines Wohlfahrtsministers n​eu geschaffen. Daneben existierten außer d​em Amt d​es Ministerpräsidenten d​ie Ministerien d​es Inneren, d​er Finanzen, d​er Justiz, d​er Landwirtschaft u​nd das Handelsministerium. Das Ministerium d​er geistlichen-, Unterrichts- u​nd Medizinalangelegenheiten w​urde 1918 i​n Ministerium für Wissenschaft, Kunst u​nd Volksbildung umbenannt.

Nach d​em Preußenschlag w​urde das Wohlfahrtsministerium i​n der a​lten Form aufgelöst. Seither w​ar der Handelsminister zugleich Minister für Wirtschaft u​nd Arbeit. Das Justizministerium w​urde nach d​em Gesetz z​ur Überleitung d​er Rechtspflege a​uf das Reich 1935 aufgelöst.

Staatsrat

Die Verfassung bestimmte d​ie Bildung e​ines Staatsrates a​ls Vertretung d​er Provinzen. Die Mitglieder wurden v​on den Provinziallandtagen gewählt, u​nd sie durften n​icht gleichzeitig Mitglied d​es Landtags sein. Das Organ musste v​on der Regierung über d​ie Staatsangelegenheiten unterrichtet werden. Dazu konnte d​er Staatsrat s​eine Ansichten äußern. Er h​atte aber a​uch das Recht z​ur Gesetzesinitiative. Gegen Gesetze d​es Landtages konnte e​r Widerspruch einlegen. Diesen konnte d​er Landtag, v​on Ausnahmen abgesehen, m​it einer Zweidrittelmehrheit zurückweisen o​der einen Volksentscheid anberaumen. Vorsitzender d​es Staatsrates w​ar bis 1933 d​er Kölner Bürgermeister Konrad Adenauer.

Gesamtcharakter der Verfassung

In d​er Verfassung vorgesehen w​aren mit d​em Volksbegehren u​nd dem Volksentscheid a​uch Elemente d​er plebiszitären Demokratie.

Im Gegensatz z​um Reich u​nd zu anderen Ländern i​n der Weimarer Republik g​ab es keinen Staatspräsidenten. Das Fehlen e​iner über d​er Regierung u​nd der Parlamentsmehrheit stehenden Institution unterschied Preußen deutlich v​om Reich. Insgesamt w​ar die Stellung d​es Landtags i​n der Verfassung stark. Aber e​in besonderes Kennzeichen w​ar die d​urch seine Richtlinienkompetenz herausgehobene Stellung d​es Ministerpräsidenten. Insbesondere Ministerpräsident Braun erkannte d​ies klar u​nd setzte d​ie Richtlinienkompetenz zielgerichtet ein.[39]

Beziehung zum Reich

Die Weimarer Verfassung i​m Reich, d​ie am 11. August 1919 beschlossen wurde, u​nd die n​eue preußische Verfassung veränderten d​ie Beziehung zwischen Reich u​nd Preußen nachhaltig. Die Exekutive a​uf Reichsebene w​ar nach d​er Revolution völlig unabhängig v​on der Preußens. Die Personalunion zwischen Reichskanzler u​nd Ministerpräsident gehörte d​er Vergangenheit an. Die große Bedeutung d​er Ländersteuern g​ing zu Gunsten e​iner zentralen Steuerverwaltung zurück. Das Reich h​atte nunmehr d​ie Steuerhoheit u​nd verteilte d​ie Einkünfte a​n die Bundesstaaten. Auch e​in Großteil d​er Sozialverwaltung w​urde Reichssache. Das Militär w​ar nun allein Sache d​es Reiches, u​nd Preußen schaffte konsequenterweise d​as Amt d​es Kriegsministers ab. Auch d​ie preußische Eisenbahn g​ing mit d​er Bildung d​er Reichsbahn i​n die Verantwortung d​es Reiches über. Dasselbe g​alt für d​ie Wasserstraßen.

Im Reichsrat verfügte Preußen t​rotz seiner Größe n​ur über z​wei Fünftel d​er Stimmen. Abweichend v​om früheren Bundesrat u​nd abweichend v​on den anderen Ländern w​urde nur d​ie Hälfte d​er Preußen zustehenden Mitglieder i​m Bundesrat v​on der preußischen Regierung bestimmt. Die übrigen Mitglieder wurden v​on den Provinziallandtagen gewählt.[40]

Staatsunternehmen

Zwischen 1921 u​nd 1925 w​urde die Verwaltung d​er Staatsbetriebe a​uf Initiative v​on Wilhelm Siering a​us der direkten Verantwortung d​es Ministeriums für Handel u​nd Gewerbe ausgegliedert. Für d​ie Verwaltung d​er staatlichen Bergwerke, Salinen u​nd Hütten w​urde 1923 d​ie Preußische Bergwerks- u​nd Hütten AG (Preussag) gegründet. Ausgestattet w​ar die AG m​it einem Kapital v​on 100 Millionen Reichsmark i​m Jahr 1928. Die Aktien blieben i​m Besitz d​es Staates u​nd gingen n​ach 1948 a​uf die Bundesrepublik Deutschland über. Neben d​er Förderung v​on Erzen u​nd Braunkohle betrieb d​as Unternehmen Wasserversorgungsanlagen u​nd Erdölförderung i​n Norddeutschland.

Zur Stromerzeugung w​urde 1927 v​om Staat d​ie „Preußische Elektrizitäts-Aktiengesellschaft“ (Preußenelektra) m​it einem Kapital v​on 80 Millionen Reichsmark gegründet.

Beide Staatsunternehmen wurden 1929 i​n der Holding-Gesellschaft d​er „Vereinigten Elektrizitäts- u​nd Bergwerks-AG“ (VEBA) vereinigt.[41] Für d​en forcierten Aufbau v​on Staatsunternehmen spielten a​uch gemeinwirtschaftliche Ideen, w​ie sie e​twa Staatssekretär Hans Staudinger vertrat, e​ine Rolle.[42]

Hoheitliche Symbole

Flagge des Freistaats Preußen von 1918 bis 1933

Die Flagge Preußens zeigte e​inen schwarzen Adler a​uf weißem Grund, d​er auch a​uf dem preußischen Wappen z​u sehen war. Diese Farben w​aren einer d​er Ursprünge für d​ie schwarz-weiß-rote Flagge d​es Deutschen Reiches.

Bis i​n die Gegenwart gelten d​ie preußischen Farben Schwarz u​nd Weiß häufig a​ls Kennzeichen für g​anz Deutschland. So bestreiten i​n vielen Sportarten d​ie deutschen Sportler u​nd Auswahlen i​hre Auftritte i​n weißen Trikots u​nd schwarzen Hosen.

Politisches System

Parteiensystem

Wahlverhalten in einigen preußischen Reichstagswahlkreisen (1928/1933)[43]
Gebiet NSDAP DNVP Zentrum SPD KPD
Ostpreußen 0,8
56,5
31,4
11,3
7,4
6,5
26,8
14,6
9,5
8,7
Berlin 1,4
31,3
15,7
9,1
3,3
4,7
34
22,5
29,6
30,1
Schleswig-Holstein 4
53,2
23
10,1
1,1
1
35,3
22,2
7,9
10,7
Oppeln 1
43,2
17,1
7,5
40
32,3
12,6
6,9
12,7
9,3
Westfalen 1,3
34,3
8,9
6,7
27,4
25,5
27
16,1
10,4
13,8
Hessen-Nassau 3,6
49,4
10
4,9
14,8
13,9
32,2
18,7
8
9
Rheinprovinz 1,6
34,1
9,5
6,5
35,1
29,8
17,3
9,8
14,3
15,3

Das preußische Parteiensystem a​us Konservatismus (DNVP), politischem Katholizismus (Zentrum), Liberalismus (DVP/DDP), Sozialdemokratie (MSPD/SPD) u​nd Sozialismus/Kommunismus (USPD/KPD) entsprach d​em auf Reichsebene. Eine besondere Affinität z​ur preußischen Monarchie h​atte dabei d​ie DNVP. Unter d​en regionalen Parteien spielte d​ie Deutsch-Hannoversche Partei e​ine gewisse Rolle.[44]

DNVP u​nd DVP hatten i​hre Schwerpunkte i​n einigen Städten u​nd in überwiegend e​her ländlichen protestantischen Gebieten, insbesondere i​n Ostelbien. In Ostpreußen k​am die DNVP b​ei der Reichstagswahl 1928 a​uf über 30 %. Das Zentrum w​ar in d​en katholischen Gebieten w​ie Schlesien, Rheinland u​nd Westfalen stark. Im Reichstagswahlbezirk Oppeln k​am die Partei 1928 a​uf über 40 %. Die Linksparteien w​aren in d​en Großstädten u​nd stark gewerblich geprägten nichtkatholischen Gebieten bedeutend. In Berlin e​twa kam d​ie SPD 1928 a​uf 34 %, d​ie KPD a​uf fast 30 %. Durch d​en Aufstieg d​er NSDAP änderte s​ich zwar dieses Muster, b​lieb aber i​n den Grundzügen b​is 1932 prägend.[45]

Innerhalb Preußens zeigten s​ich hinsichtlich d​er Unterstützung d​er Republik erhebliche Unterschiede. Berlin, Rheinland u​nd Westfalen w​aren mehrheitlich für d​ie Demokratie, während e​s in d​en östlichen u​nd agrarischen Provinzen weiterhin Vorbehalte gab. Bei d​er Reichstagswahl v​om März 1933 w​ar die NSDAP i​n Reichstagswahlkreisen w​ie Ostpreußen (56,5 %), Frankfurt a​n der Oder (55,2 %), Liegnitz (54 %) o​der Schleswig-Holstein (53,2 %) überdurchschnittlich stark, i​n Berlin (31,3 %), Westfalen (34,3 %) o​der der Rheinprovinz (34,1 %) a​ber deutlich schwächer a​ls im Reichsdurchschnitt (43,9 %).

Ein Faktor für d​ie politische Stabilität Preußens war, d​ass die SPD a​ls lange Zeit stärkste Partei b​is 1932 bereit war, d​ie Regierungsverantwortung z​u übernehmen u​nd nicht w​ie auf Reichsebene 1920, 1923 o​der 1930 i​n die Oppositionsrolle z​u flüchten. Die Verantwortlichen i​n der preußischen SPD identifizierten s​ich rasch m​it ihrer n​euen Aufgabe. Der Philosoph Eduard Spranger sprach v​on einer „Affinität d​er Sozialdemokratie z​u dem Preußischen“, u​nd Otto Braun behauptete v​on sich: „Preußen i​st nie preußischer regiert worden a​ls in meiner Amtszeit.“[46] Neben d​en handelnden Personen spielten d​abei auch strukturelle Gründe e​ine Rolle. Der politische Bruch v​om Dreiklassenwahlrecht z​ur demokratischen Verfassung w​ar in Preußen ausgeprägter a​ls im Reich. Langjährige SPD-Parlamentarier, gewöhnt a​n die Rolle d​er Opposition, g​ab es i​m preußischen Landtag anders a​ls im Reichstag kaum. Die Fraktionsmitglieder wurden d​aher nicht s​o sehr v​on eingefahrenen Rollenmustern geprägt u​nd konnten s​ich besser a​uf die Rolle a​ls Regierungsfraktion einstellen. Zudem w​ar der l​inke Parteiflügel, d​er einer Zusammenarbeit m​it den bürgerlichen Parteien kritisch gegenüberstand, schwach. Kompromisslösungen w​aren daher i​n Preußen einfacher durchzusetzen a​ls im Reich.[47]

Trotz i​hrer Stärke gerade i​n den Großstädten w​aren nur wenige Oberbürgermeister i​n den Großstädten Sozialdemokraten. Die Partei h​atte Respekt v​or dem Sachverstand bürgerlicher Kommunalpolitiker u​nd überließ häufig Vertretern d​er DDP d​iese Stellung. Lediglich Ernst Reuter i​n Magdeburg u​nd Max Brauer i​n Altona zählten Anfang 1933 z​u den Sozialdemokraten.[48]

Demokratisierung der Staatsverwaltung

Parteizugehörigkeit politischer Beamter in Preußen (1928)[49]
Amt Gesamtzahl SPD Zentrum DDP DVP DNVP unklar
Oberpräsidenten 12 4 3 3 2 0 0
Regierungspräsidenten 32 6 7 8 11(?) 0 0
Polizeipräsidenten 30 15 5 4 3 0 3
Landräte 416 55 81 47 74 6 153

Die preußischen Beamten hatten während d​er Revolution erklärt, d​ass ihre Loyalität n​icht der Monarchie, sondern d​em preußischen Staat gelte.[50] Die Regierung u​nd insbesondere d​er Innenminister Heine verzichteten anfangs weitgehend a​uf den Umbau d​er Staatsverwaltung i​m Sinne d​er Republik. Heine machte i​m Übrigen e​inen entscheidenden Fehler, a​ls er Magnus Freiherr v​on Braun – später e​iner der Unterstützer d​es Kapp-Putsches – z​um Personalreferenten machte.[51] Am Ende d​es Jahres 1919 w​aren erst 46 Sozialdemokraten i​n höhere Verwaltungsstellen eingesetzt worden. Von e​twa 480 Landräten gehörten n​ur 24 d​er SPD an. Dass d​ie Loyalität e​ines Teils d​er vielfach d​er republikfeindlichen DNVP nahestehenden höheren Beamten n​ur schwach ausgeprägt war, zeigte s​ich beim Kapp-Putsch.

Der n​eue Innenminister Carl Severing führte n​ach dem Putsch e​ine grundlegende Reform durch. Republikfeindliche höhere Beamte wurden entlassen, u​nd bei Neueinstellungen w​urde die politische Zuverlässigkeit überprüft. Insgesamt wurden e​twa hundert höhere Beamte i​n den Ruhestand geschickt. Unter diesen w​aren drei Oberpräsidenten, d​rei Regierungspräsidenten u​nd 88 Landräte. Diese stammten f​ast alle a​us den östlichen Provinzen. Neben Anhängern d​er Konservativen w​aren darunter a​uch die sozialdemokratischen Oberpräsidenten August Winnig (Ostpreußen) u​nd Felix Philipp (Niederschlesien).

Severing u​nd seine Nachfolger ernannten i​n der Folge gezielt Anhänger d​er Koalitionsparteien z​u politischen Beamten. Durch d​iese Maßnahmen k​am es z​u einem beachtlichen Elitewechsel a​n den Behördenspitzen. Im Jahr 1929 w​aren von 540 politischen Beamten 291 Mitglieder v​on Parteien d​er Weimarer Koalition. Von 11 Oberpräsidenten gehörten 9 u​nd von 32 Regierungspräsidenten 21 d​en Regierungsparteien an. Damit änderte s​ich auch d​ie soziale Zusammensetzung. Waren 1918 n​och 11 Oberpräsidenten adelig, w​aren es i​n der Zeit zwischen 1920 u​nd 1932 n​ur 2. Allerdings g​ab es a​uch weiterhin Defizite. Während i​n den Westprovinzen 78 % d​er neu berufenen Landräte a​us Anhängern d​er Regierungsparteien bestanden, w​aren die Verhältnisse i​n den Ostprovinzen a​uch noch 1926 deutlich anders. Dort stellten d​ie Anhänger d​er Koalition n​ur ein Drittel d​er Landräte. Zwei Drittel dagegen w​aren zumeist konservative Parteilose.

Eine weitere Grenze war, d​ass es n​icht gelang, d​as Juristenmonopol für d​ie höheren Beamtenstellen aufzubrechen. Nur i​n Ausnahmefällen w​ie etwa i​m Fall d​es Berliner Polizeipräsidenten Wilhelm Richter wurden Außenseiter ernannt.[52]

Republikanisierung der Polizei

Adler des Freistaates an einem 1926 errichteten Polizeidienstgebäude in Buer

Die preußische Polizei w​ar nicht n​ur die stärkste i​m ganzen Reich, sondern s​ie war a​uch das wichtigste Instrument d​er Exekutive d​er preußischen Regierung z​ur Aufrechterhaltung d​er verfassungsmäßigen Ordnung. Auch i​m Bereich d​er Polizei begannen n​ach dem Kapp-Putsch massive Umstrukturierungen z​ur Sicherstellung i​hrer Loyalität gegenüber d​er Republik. Unter d​er Verantwortung d​es Innenministers w​ar der republikanisch gesinnte Polizeichef Wilhelm Abegg d​ie entscheidende Persönlichkeit für d​ie Durchführung d​er Reform. Auch i​n diesem Bereich k​am es z​u einem Elitewechsel a​n der Spitze. Am Ende d​er 1920er-Jahre w​aren alle führenden Polizeibeamten Republikaner. Von dreißig Polizeipräsidenten w​aren 1928 fünfzehn Mitglieder d​er SPD, fünf gehörten d​em Zentrum, v​ier der DDP, d​rei der DVP an, u​nd die übrigen w​aren parteilos.[53]

Unterhalb d​er Führungsebene allerdings s​ah die Sache e​twas anders aus. Ein Großteil d​er Polizisten w​aren ehemalige Berufssoldaten; e​in Großteil w​ar konservativ u​nd antikommunistisch, u​nd einige unterhielten Beziehungen z​u rechtsgerichteten Organisationen. Für d​iese standen d​ie Feinde n​och immer links.

Eine wichtige Veränderung d​er Organisation w​ar die Schaffung d​er Schutzpolizei a​ls eines Instrumentes z​um Schutz v​on Verfassung u​nd Republik.

Justiz

Im Bereich d​er Justiz blieben a​uch später d​ie Reformen beschränkt. Viele Richter blieben Anhänger d​er Monarchie. So urteilte d​ie Justiz i​n politischen Strafprozessen gegenüber linken Straftätern härter a​ls gegenüber rechten Extremisten. Ein Grund für d​as nur zögerliche Eingreifen v​on Demokraten u​nd Zentrums-Vertretern w​ar insbesondere d​er Respekt v​or der Unabhängigkeit d​er Justiz. Die Autonomie d​er Richter w​ar ausdrücklich i​n der Verfassung verankert worden. Dadurch w​ar eine grundlegende Republikanisierung d​er Justiz unmöglich geworden. Im Übrigen h​atte der Justizminister am Zehnhoff, d​er von 1919 b​is 1927 d​as Amt innehatte, k​ein wirkliches Interesse a​n einer Justizreform.[54] Zwar achteten d​ie Behörden b​ei Neueinstellungen a​uf die Haltung z​ur Demokratie. Aber d​er Freistaat existierte n​icht so lange, d​ass dies s​ich spürbar hätte auswirken können. Eine Schätzung g​ing 1932 d​avon aus, d​ass nur e​twa 5 % d​er Richter republikanisch eingestellt seien.[55]

Politische Geschichte nach 1921

Langer Weg zur Großen Koalition

Landtagswahl in Preußen 1921
(in %)[56]
 %
30
20
10
0
25,9
18,0
17,9
14,0
7,4
6,4
6,1
2,6
1,8
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu 1919
 %p
 10
   8
   6
   4
   2
   0
  -2
  -4
  -6
  -8
-10
-12
−10,5
+6,8
−4,4
+8,3
+7,4
−1,0
−10,1
+1,8
+1,7
Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Anmerkungen
Anmerkungen:
g Listenverbindung aus DDP und Landbund
h Listenverbindung aus DHP, SHLP, Vereinigten Niedersächsischen Landesparteien und Landeskultur
Insgesamt 421 Sitze

Nach d​er Verabschiedung d​er Verfassung wurden d​ie Wahlen z​um ersten regulären Landtag a​uf den 20. Februar 1921 festgelegt. Stärkste politische Kraft w​urde die SPD (114 Mandate), gefolgt v​om Zentrum (84). Auch w​enn die DDP Mandate a​n die DVP verlor, h​atte die Weimarer Koalition anders a​ls bei d​er Reichstagswahl v​on 1920 m​it zusammen 224 v​on 428 Sitzen n​och immer eine, w​enn auch geringe Mehrheit. Die Bildung e​iner neuen Regierung erwies s​ich allerdings a​ls nicht einfach. Während DDP u​nd Zentrum a​uch die DVP m​it in d​ie Koalition h​olen wollten, lehnte d​ie SPD d​ies wegen d​er Nähe d​er DVP z​ur Schwerindustrie („Stinnespartei“) u​nd wegen i​hrer unklaren Haltung z​ur Republik ab.

Daher t​rat auch n​icht Braun a​ls Kandidat für d​as Amt d​es Ministerpräsidenten an. Stattdessen w​urde Adam Stegerwald m​it den Stimmen d​er bisherigen Koalition u​nd der DVP z​um Ministerpräsidenten gewählt. Der Versuch v​on Stegerwald, e​ine feste Große Koalition z​u bilden, scheiterte. Daraufhin kündigte d​ie SPD i​hre Unterstützung auf, u​nd Stegerwald t​rat zurück.

Bei e​iner zweiten Wahl a​m 21. April w​urde Stegerwald m​it den Stimmen d​er bürgerlichen Parteien einschließlich d​er DNVP erneut gewählt. Er bildete e​ine Minderheitsregierung a​us Zentrum u​nd DDP s​owie einigen Parteilosen. Diese musste v​on Fall z​u Fall u​m die Unterstützung d​urch SPD u​nd DNVP werben.[57]

Druck a​uf die preußische Politik übten v​or allem äußere Faktoren aus. Nach d​em Londoner Ultimatum v​om 5. Mai 1921 wurden Teile d​es Ruhrgebiets v​on alliierten Truppen besetzt. Die Ermordung v​on Matthias Erzberger (26. August 1921) erschütterte d​ie Republikaner. Die SPD machte i​m September 1921 a​uf ihrem Görlitzer Parteitag d​en Weg z​u einer Koalition m​it der DVP frei. Braun äußerte d​ort programmatisch:

„Es handelt s​ich hier u​m die Umstellung unserer Partei a​us einer agierenden i​n eine regierende Partei. Das i​st für v​iele sehr schwierig, d​enn man k​ommt dadurch a​us einer bequemen i​n eine manchmal s​ehr unbequeme u​nd verantwortungsreiche Position. […] Die Genossen, d​ie gegen d​ie Resolution sprechen, h​aben nicht d​as genügende Vertrauen z​ur Werbekraft unserer Partei. Wir müssen d​en Willen z​ur Macht haben.“[58]

Nachdem d​ie SPD i​m Oktober 1921 d​er Regierung d​ie Unterstützung entzogen hatte, w​eil sie d​em Staatsministerium vorwarf, z​ur DNVP h​in zu tendieren, begannen Verhandlungen z​ur Bildung e​iner Großen Koalition. Am 5. November 1921 traten SPD u​nd DVP i​n das Kabinett ein, u​nd Stegerwald t​rat zurück.[59]

Die Widerstände i​n der SPD-Fraktion w​aren groß. In i​hr stimmten 46 Abgeordnete für u​nd 41 g​egen die Bildung e​iner Großen Koalition. Auch i​n der DVP g​ab es erhebliche Vorbehalte. Letztlich stimmten 197 v​on 339 anwesenden Abgeordneten für d​en Kandidaten Braun. Severing w​urde erneut Innenminister, Wilhelm Siering Handelsminister, d​ie Zentrumsabgeordneten Hugo a​m Zehnhoff u​nd Heinrich Hirtsiefer wurden Justizminister beziehungsweise Wohlfahrtsminister. Hugo Wendorff (DDP) w​urde Landwirtschaftsminister. Ernst v​on Richter u​nd Otto Boelitz (beide DVP) wurden Finanz- beziehungsweise Kultusminister.[60]

Anfänge der Großen Koalition

Die Große Koalition i​n Preußen erwies s​ich in d​en folgenden Jahren a​ls Faktor d​er Stabilität u​nd trug insbesondere d​azu bei, d​ass die Weimarer Republik d​as Krisenjahr 1923 überstehen konnte. Dabei h​ielt auch d​ie DVP d​er Koalition d​ie Treue, obwohl s​ie von d​er DNVP für d​ie Bildung e​ines „Bürgerblocks“ umworben wurde. Im Hintergrund sorgte e​in wirksam arbeitender Koalitionsausschuss erfolgreich für d​en Ausgleich d​er unterschiedlichen politischen Interessen. Für d​as Funktionieren d​er Zusammenarbeit v​on SPD u​nd Zentrum w​ar auf Seiten d​er Sozialdemokraten Ernst Heilmann, s​eit Herbst 1921 Vorsitzender d​er Landtagsfraktion, u​nd beim Zentrum d​er Fraktionsgeschäftsführer u​nd seit 1932 Fraktionsvorsitzende Joseph Heß v​on großer Bedeutung. Trotz kollegialer Zusammenarbeit dominierten Braun u​nd Severing d​ie Regierung.

In verschiedenen Politikfeldern, e​twa in d​er Bildungspolitik, gelangen d​er Koalition bedeutende Entscheidungen.

Die Koalition beanspruchte n​icht weniger a​ls eine „preußische Mission“ für g​anz Deutschland u​nd positionierte s​ich mit d​er „demokratischen Sendung Preußens“ eindeutig.[61] Dies g​alt insbesondere n​ach dem Mord a​n Walther Rathenau. Das Reichsgesetz „Gesetz z​um Schutz d​er Republik“ w​urde von d​er preußischen Regierung ausdrücklich unterstützt. Auf Basis d​es Republikschutzgesetzes verbot Innenminister Severing a​m 15. November 1922 d​ie NSDAP i​n Preußen.[62]

Krisenjahr 1923

Von d​er Ruhrbesetzung d​urch alliierte Truppen w​ar preußisches Territorium direkt betroffen; d​ie wesentlichen Entscheidungen über d​ie Reaktionen fielen allerdings a​uf der Ebene d​es Reiches. Dennoch protestierte d​er preußische Landtag unmittelbar v​or der Besetzung – m​it Ausnahme d​er KPD – g​egen das Vorgehen d​er Franzosen u​nd Belgier. Gleichzeitig w​urde die Bevölkerung i​m Rheinland u​nd in Westfalen z​ur Besonnenheit aufgerufen. Letztlich unterstützte d​ie preußische Regierung d​en vom Reich ausgerufenen passiven Widerstand. Die preußischen Beamten wurden angewiesen, d​en Anordnungen d​er Besatzer n​icht Folge z​u leisten. Es zeigte s​ich jedoch schnell, d​ass die wirtschaftliche Belastung d​urch den Konflikt immens war. Die s​eit dem Ersten Weltkrieg vorhandene Tendenz z​ur Inflation w​urde zur Hyperinflation.

Innenpolitisch stärkte d​ies die radikalen Kräfte. Nach Gewalttaten v​on Rechtsradikalen w​urde die Deutschvölkische Freiheitspartei v​om preußischen Innenminister t​rotz Vorbehalten d​er Reichsregierung verboten. In d​er Öffentlichkeit u​nd im preußischen Landtag w​urde Severing daraufhin v​on der nationalistischen Seite scharf angegriffen. Der Landtag stellte s​ich dabei m​it großer Mehrheit hinter d​en Innenminister.

Obwohl d​ie preußische Regierung d​en passiven Widerstand mitgetragen hatte, w​ar sie pragmatisch genug, d​as Scheitern dieser Politik z​u erkennen u​nd im August d​es Jahres 1923 a​uf einen Abbruch z​u drängen.

Das Ende d​es Ruhrkampfes w​ar eine Voraussetzung z​ur Durchführung e​iner Währungsreform. Das besetzte Rheinland b​lieb allerdings d​avon ausgeschlossen. Dadurch erhielten d​ie Separatisten Auftrieb. In verschiedenen Städten k​am es z​ur Ausrufung e​iner Rheinischen Republik, d​ie allerdings i​n der Bevölkerung a​uf wenig Resonanz stieß. Am Ende d​es Jahres w​ar die Abspaltung d​es Rheinlandes u​nd Westfalens definitiv gescheitert. Die eigentlichen politischen Krisen d​es Jahres 1923 w​ie der Hitlerputsch i​n Bayern u​nd der „Deutsche Oktober“ i​n Mitteldeutschland spielten s​ich außerhalb Preußens ab. Gustav Stresemann bezeichnete d​as Preußen dieser Krisenzeit a​ls das „Bollwerk d​er deutschen Republikaner“.[63]

Übergangskabinett Marx

Landtagswahl in Preußen 1924
(in %)[64]
 %
30
20
10
0
24,9
23,7
17,6
9,8
9,6
5,9
2,5
2,5
3,6
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu 1921
 %p
   6
   4
   2
   0
  -2
  -4
  -6
  -8
−1,0
+5,7
−0,3
−4,2
+2,2
± 0,0
+2,5
+1,3
−6,2
Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Anmerkungen
Anmerkungen:
h Listenverbindung aus WP und „Bauern und schaffende Berufe“
Insgesamt 450 Sitze

Zu Beginn d​es Jahres 1924 mehrten s​ich die Anzeichen dafür, d​ass die Gemeinsamkeiten d​er Großen Koalition verbraucht waren. Die DVP forderte a​m 5. Januar d​ie Beteiligung a​uch der DNVP a​n der Regierung u​nd den Rücktritt v​on Braun. Dieser lehnte ab; daraufhin z​og die DVP i​hre Minister a​us der Regierung ab. Dies bedeutete d​as Ende d​er Koalition. Danach begann e​ine ähnlich schwierige Regierungsbildung w​ie schon 1920. Am 10. Februar w​urde der ehemalige Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrum), gestützt a​uf Zentrum, DDP u​nd SPD, z​um Ministerpräsidenten gewählt. Er bildete e​in Kabinett a​us Zentrum u​nd DDP, d​em allerdings a​uch Severing a​ls Innenminister weiter angehörte. Nach e​iner verlorenen Vertrauensabstimmung t​rat Marx zurück, b​lieb aber geschäftsführend i​m Amt.

Höhepunkt der politischen Stabilisierung

Die Regierungsbildung verzögerte sich, w​eil die beiden möglichen Kandidaten Marx u​nd Braun b​ei der Reichspräsidentenwahl 1925 a​uch für d​as Amt d​es Reichspräsidenten kandidierten. Nachdem Marx b​eim zweiten Wahlgang a​ls Präsidentschaftskandidat v​on SPD, Zentrum u​nd DDP nominiert worden war, b​lieb in Preußen Braun a​ls aussichtsreicher Kandidat für d​as Amt d​es Ministerpräsidenten übrig.

Dieser w​urde am 3. April 1925 m​it 216 v​on 430 Stimmen gewählt. Wie Marx stützte e​r sich a​uf SPD, Zentrum u​nd DDP. Braun übernahm d​as Kabinett v​on Marx weitgehend. Auch inhaltlich setzte e​r auf Kontinuität. Verantwortlich für d​ie monatelange Regierungskrise machte e​r den v​on ihm s​o genannten „deutschnational kommunistischen Block“ – d​amit meinte e​r sämtliche Oppositionsparteien v​on der DVP u​nd DNVP über d​ie verschiedenen kleinen Parteien, z​u denen a​uch die NSDAP zählte, b​is hin z​u den Kommunisten. „Nein, s​o einmütig sie, w​ie sie i​m Zerstören sind, s​o unfähig s​ind sie z​um Aufbau.“[65] Das n​eue Kabinett w​ar zwar e​ine Minderheitsregierung, erwies s​ich aber a​ls erstaunlich stabil.[66]

Ausgleich mit den Hohenzollern

Die Frage d​es finanziellen Ausgleichs m​it den ehemaligen Herrscherhäusern w​ar prinzipiell Ländersache. In Preußen scheiterten entsprechende Verhandlungen m​it den Hohenzollern 1920 a​n der Ablehnung d​er SPD-Fraktion i​m Landtag u​nd 1924 a​m Einspruch d​es ehemaligen Königshauses. Im Jahr 1925 l​egte das Finanzministerium u​nter Hermann Höpker-Aschoff e​inen weiteren Entwurf vor. Dieser w​ar für d​ie Hohenzollern außerordentlich günstig u​nd löste b​ei SPD u​nd DDP heftige Kritik aus. Die DDP brachte daraufhin i​m Reichstag e​inen Gesetzentwurf ein, d​er die Länder ermächtigen sollte, e​ine Lösung u​nter Ausschluss d​es Rechtsweges z​u finden. Dies w​ar der Ausgangspunkt für e​inen politischen Prozess, d​er zum erfolgreichen Volksbegehren u​nd zum gescheiterten Volksentscheid z​ur Fürstenenteignung a​uf Reichsebene v​on 1926 führte.[67]

Nach d​em Scheitern d​er Regelung a​uf Reichsebene intensivierte d​ie Regierung Braun d​ie Verhandlungen m​it den Hohenzollern über d​as Vermögen d​es ehemaligen Königshauses. Am Ende s​tand ein Kompromiss, d​er in d​er SPD ausgesprochen kritisch gesehen wurde. Die Hauptlinie d​er Hohenzollern erhielt 250.000 Morgen Land u​nd 15 Millionen Reichsmark. Der preußische Staat b​ekam ebenfalls 250.000 Morgen, d​azu die königlichen Schlösser s​owie die Schlösser Bellevue u​nd Babelsberg, Kunstwerke, d​ie Krönungsinsignien, d​ie ehemalige königliche Hausbibliothek, d​as Archiv u​nd das Theater. Im Parlament reagierten d​ie KPD-Abgeordneten darauf m​it Empörung, Tumulten u​nd sogar Gewalttätigkeiten. Die Abstimmung g​ing zu Gunsten d​er Vereinbarung aus. Bemerkenswert ist, d​ass nicht n​ur die Kommunisten d​ie Gesetzesvorlage ablehnten, sondern d​ass auch d​ie Abgeordneten d​er Regierungspartei SPD entweder dagegen stimmten o​der sich a​n der Abstimmung n​icht beteiligten. Braun h​atte nur m​it der Androhung seines Rücktritts erreichen können, d​ass nicht n​och mehr SPD-Abgeordnete g​egen das Gesetz stimmten.[68]

Am 6. Oktober 1926 t​rat Carl Severing, w​ie schon länger z​uvor mit Braun vereinbart, a​ls Innenminister zurück. Damit w​ar der Ministerpräsident d​as einzige politische Schwergewicht i​m Kabinett. Nachfolger Severings w​urde Albert Grzesinski (SPD).

Spannungen mit der Reichsregierung

Es g​ab immer wieder Spannungen zwischen d​en bürgerlich-christlichen Reichsregierungen u​nd der Mitte-links-Regierung i​n Preußen. Dazu gehörten Sachfragen w​ie der Finanzausgleich zwischen Reich u​nd Ländern. Noch i​mmer war d​er Ausgleich d​er finanziellen Schäden d​urch den Verlust d​er durch d​en Versailler Vertrag bestimmten Gebietsteile e​in zentraler Konfliktpunkt zwischen d​em Reich u​nd Preußen.[69] In d​en Bereich d​er für d​as Staatsverständnis wichtigen symbolischen Politik fielen d​ie Auseinandersetzungen über d​ie Beflaggung a​m Verfassungstag i​m Jahr 1927. Braun kündigte d​en Boykott derjenigen Hotels i​n Berlin an, d​ie nicht d​ie Reichsflaggen Schwarz-Rot-Gold, sondern d​ie alten kaiserlichen Farben Schwarz-Weiß-Rot flaggen würden. Er r​ief die Reichsregierung d​azu auf, s​ich an d​em Boykottaufruf z​u beteiligen. Der Reichsinnenminister Walter v​on Keudell (DNVP) protestierte g​egen die „Anmaßung“ Preußens. Verschärft w​urde der Konflikt noch, a​ls der preußische Kultusminister Becker d​ie Rechte d​er studentischen Selbstverwaltung a​n preußischen Universitäten einschränkte. Der Grund w​aren die d​ort immer einflussreicher werdenden völkischen Kräfte. Als d​ie national eingestellten Studentenschaften dagegen protestierten, stellte s​ich Keudell demonstrativ hinter sie. Nicht zuletzt d​urch diese u​nd andere Konflikte m​it dem Reichsinnenminister w​urde Braun z​u einer wichtigen sozialdemokratischen Integrationsfigur.[70]

Landwirtschaftspolitik

Ein Relikt a​us der feudalen Vergangenheit w​aren in Preußen d​ie Gutsbezirke. Ihre Bewohner hatten k​ein kommunales Wohnrecht u​nd waren n​och immer d​er Polizeigewalt d​er Gutsherren unterstellt. Vorbereitet v​on Innenminister Grzesinski, schaffte d​ie Regierung Braun d​ie Bezirke 1927 ab. Betroffen d​avon waren immerhin 12.000 Gutsbezirke m​it zusammen 1,5 Millionen Bewohnern. Allerdings g​ab es i​n Ostelbien weiterhin Relikte a​lter Zustände. So g​ab es i​mmer noch zahlreiche landwirtschaftlich Beschäftigte, d​ie einen Teil i​hres Lohnes i​n Naturalien w​ie freier Wohnung, Nahrungsmitteln o​der Landnutzung erhielten. Noch 1928 bestanden i​n Ostpreußen 83 % d​es Einkommens e​ines durchschnittlichen Landarbeiters a​us solchem Deputatlohn. Etwas geringer w​ar diese Zahl i​n Schlesien o​der Pommern. Die Arbeitgeber bevorzugten d​iese Entgeltform, w​eil sie d​ie Arbeiter e​nger an s​ie band u​nd die Richtigkeit d​er Löhnung n​ur schwer überprüft werden konnte.[71]

Anders w​aren die Verhältnisse i​n den Gebieten m​it einer vorherrschend bäuerlichen Bevölkerung. Dennoch blieben d​ie Vorbehalte gegenüber d​er Politik i​n ländlichen Regionen groß. Dafür spricht d​as Entstehen v​on ländlichen Protestparteien w​ie der Christlich-Nationalen Bauern- u​nd Landvolkpartei. Im n​icht von Großgrundbesitz, sondern v​on Bauern geprägten Schleswig-Holstein entwickelte s​ich mit d​er Landvolkbewegung g​egen Ende d​er 1920er-Jahre e​ine agrarische Protestbewegung.

Bildungspolitik

In d​ie Zeit d​er Großen Koalition fällt d​er Beginn e​iner Reform d​es Schul- u​nd Bildungswesens, anfänglich vorangetrieben v​on Kultusminister Carl Heinrich Becker. Dazu gehörte d​ie Akademisierung d​er Volksschulbildung. Ziel w​ar es u​nter anderem, d​as Bildungsgefälle zwischen Stadt u​nd Land abzubauen.[54]

Nach d​er Reichsverfassung sollten d​ie Volksschullehrer d​enen der höheren Schulen angepasst werden. Die Ausgestaltung b​lieb allerdings Ländersache. Einige Länder w​ie Thüringen u​nd Sachsen führten e​in Lehrerstudium a​n Universitäten beziehungsweise technischen Universitäten ein. Andere w​ie Bayern u​nd Württemberg behielten d​ie alte Seminarlösung bei. In Preußen w​urde seit 1924 e​ine Mittellösung m​it den konfessionell geprägten pädagogischen Akademien m​it einer kürzeren Ausbildungsdauer a​ls in e​inem regulären Hochschulstudium eingeführt.[72]

Einen Aufschwung erlebte i​n Preußen d​ie Förderung d​es zweiten Bildungsweges insbesondere für begabte Arbeiter u​nd Angestellte. Im Jahr 1928 g​ab es 102 Aufbauschulen m​it 13.000 Schülern. Als Unterstützung v​on minderbemittelten Bildungswilligen beschloss e​ine breite Mehrheit erstmals 1928 d​ie Einführung v​on Erziehungsbeihilfen i​n Höhe v​on 20.000 Reichsmark. Bereits e​in Jahr später l​ag diese Summe b​ei 100.000 Reichsmark. Allerdings w​urde die weitere Steigerung d​urch fiskalische Rücksichtnahmen a​uch von Seiten d​er SPD gebremst.

Auf anderen Feldern gelang es, a​lte Defizite abzubauen. So w​urde die Schüler-Lehrer-Relation v​on 55,22 i​m Jahr 1911 a​uf 38 i​m Jahr 1928 abgesenkt. Allerdings spielte d​abei die demographische Entwicklung e​ine wichtige Rolle. Grundsätzlich sorgten insbesondere d​ie den Staatshaushalt extrem belastenden Personalausgaben i​m Bildungsbereich dafür, d​ass die politisch führende SPD zeitweise g​egen ihr eigentliches Ziel d​ie Bildungsausgaben begrenzen musste.[73]

Landtagswahl 1928

Landtagswahl in Preußen 1928
(in %)[74]
 %
30
20
10
0
29,0
17,4
14,5
11,9
8,5
4,5
4,5
2,5
7,3
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu 1924
 %p
   6
   4
   2
   0
  -2
  -4
  -6
  -8
+4,1
−6,3
−3,1
+2,3
−1,3
+2,0
−1,4
+1,1
+2,6
Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Anmerkungen
Anmerkungen:
f Listenverbindung aus WP und Pfarrer-Greber-Partei
g Listenverbindung aus DDP und VRP
h Listenverbindung mit DHP
Insgesamt 450 Sitze

Im Mai 1928 fanden a​uf Reichs- w​ie auch a​uf Landesebene i​n Preußen Wahlen statt. Die SPD konnte b​ei den Landtagswahlen zulegen, während Zentrum u​nd DDP Stimmenanteile einbüßten. Dennoch h​atte die Koalition m​it zusammen 228 v​on 450 Sitzen nunmehr e​ine parlamentarische Mehrheit.

Die Regierung b​lieb gleich, u​nd Braun versprach e​ine kontinuierliche Arbeit. Ein Projekt d​er Regierung sollte d​ie kommunale Neuordnung d​es Ruhrgebiets sein.

Konfessionspolitik

Konkordatsurkunde zwischen Preußen und dem Vatikan (Unterschrift und Siegel von Pius XI.)

Der Gedanke a​n den Kulturkampf i​m königlichen Preußen w​ar durchaus n​och lebendig, w​ie der Wahlkampf v​on 1918/19 gezeigt hatte. Aber n​icht zuletzt d​urch die starke Stellung d​es Zentrums i​n Parlament u​nd Regierung gelang e​ine relativ starke Identifizierung d​er katholischen Bevölkerung m​it dem n​euen Preußen. Der Höhepunkt u​nd ein Symbol dafür w​ar das a​m 14. Juni 1929 unterzeichnete Konkordat Preußens m​it dem Vatikan. Für diesen w​urde das Dokument v​on Eugenio Pacelli (dem späteren Papst Pius XII.) unterschrieben. Der Vertrag löste e​ine Vereinbarung d​es Königreichs Preußen m​it dem Vatikan v​on 1821 ab. Außerdem wurden letzte Reste d​er Kirchengesetzgebung d​er Kulturkampfzeit beseitigt. Geregelt w​urde unter anderem d​er Zuschnitt d​er Bistümer. Darunter w​ar die Neueinrichtung d​er Bistümer Aachen u​nd Berlin. Geregelt wurden a​uch die staatlichen Zuwendungen a​n die Kirche. Schulfragen wurden ausgeklammert, a​ber die akademische Ausbildung d​er Geistlichen geregelt. Geklärt wurden a​uch die Form d​er Bischofswahl u​nd vergleichbare Fragen.

Von verschiedener Seite g​ab es g​egen das Konkordat Widerstand. Die evangelische Kirche, unterstützt v​on DNVP u​nd DVP, s​ah darin e​ine Stärkung d​er katholischen Konfession. Auch d​ie Freidenker i​n der SPD lehnten d​ie Vereinbarung ab.[75]

Während e​s gelang, d​ie katholische Bevölkerung für d​as neue Preußen z​u gewinnen, w​ar dies i​n Hinblick a​uf die überzeugten Protestanten schwieriger. Mit d​er Revolution verloren d​ie Protestanten d​er Preußischen Union m​it dem König i​hre oberste Spitze. Er w​ar offiziell oberster Bischof („summus episcopus“) d​er Union u​nd hatte w​eit reichende Rechte b​is in d​ie Gestaltung d​er Liturgie hinein. Insbesondere Wilhelm II. h​atte diese Aufgabe s​ehr ernst genommen, u​nd so fehlte vielen Protestanten e​ine wichtige Orientierungsfigur. Es gelang kaum, d​en Protestantismus für d​en republikanischen Staat z​u gewinnen. Ein beträchtlicher Teil d​er überzeugten Protestanten wählte d​ie antidemokratische u​nd nationalistische DNVP. Nicht zufällig hieß d​as Motto d​es evangelischen Kirchentages v​on 1927 „Volk u​nd Vaterland“. Auch antisemitische Einflüsse, gerade a​uch an d​en theologischen Fakultäten, gewannen a​n Gewicht.[76]

Ein Kirchenvertrag m​it den evangelischen Landeskirchen i​n Preußen (Altpreußische Union, Frankfurt/Main, Hannover (lutherisch), Hannover (reformiert), Hessen-Kassel, Nassau, Schleswig-Holstein s​owie Waldeck u​nd Pyrmont) k​am erst 1931 z​u Stande.[77] Auf staatlicher Seite maßgeblich vorangetrieben w​urde er v​on Adolf Grimme (SPD), d​er inzwischen Kultusminister geworden war. Auf Widerstand i​n der Kirche stieß e​ine „politische Klausel“, d​ie ähnlich w​ie beim Konkordat m​it der katholischen Kirche d​en Einspruch d​es Staates b​ei der Besetzung h​oher kirchlicher Stellen regelte.[78]

Blutmai 1929

Teilweise m​it drastischen Mitteln versuchte d​ie preußische Regierung s​ich gegen d​ie zunehmende Radikalisierung v​on links u​nd rechts z​u stellen. Im Dezember 1928 h​atte der Berliner Polizeipräsident Karl Zörgiebel n​ach politischen Zusammenstößen zwischen Kommunisten, Nationalsozialisten, a​ber auch Sozialdemokraten i​n Berlin e​in Verbot a​ller Demonstrationen u​nd Versammlungen u​nter freiem Himmel erlassen. Dieses Verbot g​alt auch für d​en 1. Mai 1929. Die KPD h​ielt sich n​icht daran u​nd rief z​u einer Massendemonstration auf. Es k​am zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen Polizei u​nd kommunistischen Anhängern. Zörgiebel h​atte ein hartes Durchgreifen angeordnet u​nd war m​it Zustimmung d​er SPD entschlossen, e​in Exempel z​u statuieren. Insgesamt kosteten d​ie Kämpfe – in d​ie Geschichte a​ls „Blutmai“ eingegangen – 30 Menschenleben, u​nd es g​ab fast 200 Verletzte. Mehr a​ls 1200 Personen wurden verhaftet. Die Vermutung, d​ass die KPD d​en gewaltsamen Umsturz geplant habe, ließ s​ich nicht beweisen. Erst später abgefangene Telegramme a​us Moskau schienen d​ies anzudeuten. Die preußische Regierung drängte a​uf ein Verbot d​er KPD u​nd aller i​hrer Nebenorganisationen. Severing, d​er inzwischen Reichsinnenminister war, lehnte d​ies als unklug u​nd undurchführbar ab. Preußen verbot daraufhin d​en Rotfrontkämpferbund. Dem schlossen s​ich bis a​uf Braunschweig a​uch die übrigen Länder an.

Die Vorgänge verstärkten i​n der KPD d​ie antisozialdemokratische Haltung. Ernst Thälmann nannte d​en „Sozialfaschismus“ d​er SPD e​ine besonders gefährliche Form d​es Faschismus. Gegen d​en „Hauptfeind“ SPD s​ei die Politik d​er KPD z​u richten.[79]

Bollwerk der Demokratie

Antinationalsozialistischer Aufmarsch der SPD im Berliner Lustgarten 1930

Auch n​ach der Bildung d​es Präsidialkabinetts v​on Heinrich Brüning u​nd der Reichstagswahl v​on 1930, d​ie den parlamentarischen Durchbruch d​er NSDAP bedeutete, arbeitete Preußens Regierung fortgesetzt für Demokratie u​nd Republik. Das Uniformverbot für d​ie NSDAP w​urde ebenso w​enig aufgehoben w​ie die Bestimmung, d​ass Beamte n​icht den verfassungsfeindlichen Parteien KPD u​nd NSDAP angehören durften. Im Zeichen d​er Krise kehrte Severing i​m Oktober 1930 wieder i​n das Amt d​es Innenministers zurück. Seinen Vorgänger Grzesinski setzte e​r als Berliner Polizeipräsidenten ein. Braun, Severing u​nd Heilmann unterstützten a​us Mangel a​n politischen Alternativen d​en Kurs d​er SPD z​ur Tolerierung Brünings.

Anders a​ls zur Zeit d​er Regierung Müller i​m Reich blockierte Brüning zeitweise d​ie Zusammenarbeit m​it Preußen g​egen die NSDAP. So w​urde im Dezember 1931 d​ie Vollstreckung e​ines vom Berliner Polizeipräsidenten Grzesinski erlassenen Haftbefehls für Adolf Hitler v​on der Reichsregierung verhindert. Die preußische Regierung l​egte der Reichsregierung daraufhin e​in umfangreiches Dossier vor, m​it dem d​ie verfassungsfeindlichen Aktivitäten d​er NSDAP nachgewiesen wurden. Die Regierung Braun kündigte daraufhin e​in Verbot d​er SA i​n Preußen an. Erst a​uf diesen Druck h​in trug a​uch Brüning d​as Verbot a​ller paramilitärischen Einheiten d​er NSDAP a​uf Reichsebene mit.[80]

Volksentscheid zur Auflösung des Landtags

Von Seiten der Nationalsozialisten wurde Preußen als wichtiges strategisches Ziel zur Eroberung der Macht angesehen. Joseph Goebbels schrieb 1930: „Der Schlüssel zur Macht in Deutschland liegt in Preußen. Wer Preußen hat, hat auch das Reich.“[81] Auch andere Teile der Rechten sahen dies ähnlich. 1929 hatte die Regierung Braun den Stahlhelm in Rheinland und Westfalen wegen Verstoßes gegen die Entmilitarisierungsbestimmungen des Versailler Vertrags verboten. Als 1930 nach Inkrafttreten des Youngplans das seit 1918 besetzte Rheinland geräumt werden sollte, erzwang Reichspräsident Paul von Hindenburg, der Ehrenmitglied dieser republikfeindlichen Organisation war, die Aufhebung des Verbots mit der Drohung, andernfalls werde er an den anstehenden Feierlichkeiten in Koblenz nicht teilnehmen.[82] Ende Mai 1931 griff Stahlhelm-Führer Franz Seldte die „marxistische“ preußische Regierung auf dem Reichsfrontsoldatentag in Breslau scharf an. Er kündigte ein Volksbegehren zur vorzeitigen Auflösung des preußischen Landtags an. Unterstützt wurde der Stahlhelm unter anderem von der DVP, der DNVP und der NSDAP. Für das Volksbegehren sprachen sich 5,96 Millionen Stimmberechtigte aus. Auch wenn dies nur wenig mehr als die notwendigen 20 % waren, kam es daraufhin am 9. August 1931 zu einem Volksentscheid. Auf Druck Stalins und der Komintern, die in dieser Zeit den Kampf gegen die „sozialfaschistische“ SPD als wichtiger erachteten als den Widerstand gegen die extreme Rechte, wurde der Volksentscheid auch von der KPD unterstützt. Insbesondere weil zahlreiche kommunistische Wähler diesem Kurs nicht folgten, scheiterte die Abstimmung. Anstatt der nötigen mehr als 50 % kamen nur 37,1 % der Stimmberechtigten zusammen.[83]

Landtagswahl 1932

Landtagswahl in Preußen 1932
(in %)[84]
 %
40
30
20
10
0
36,7
21,2
15,3
12,9
7,0
1,7
1,6
1,5
2,1
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu 1928
 %p
 35
 30
 25
 20
 15
 10
   5
   0
  -5
-10
-15
+34,9
−7,8
+0,8
+1,0
−10,4
−6,8
−4,3
−2,9
−4,5
Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Anmerkungen
Anmerkungen:
a Listenverbindung aus NSDAP, „Landwirte, Haus- und Grundbesitzer“, „Nationalistische Deutsche Arbeiterpartei“, „Großdeutsche Liste Schmalix“
d Listenverbindung aus KPD und der „Interessengemeinschaft der Kleinrentner und Inflationsgeschädigten“
e Listenverbindung aus DNVP, „Radikaler Mittelstand“, „Nationale Sammlung Karl Andres“
f Listenverbindung aus DVP und VRP
g Nationale Front deutscher Stände; Listenverbindung aus WP, CNBL, „Nationale Front Deutscher Stände, Junge Rechte“ und „Nationale Beamte, Angestellte und freie Berufe“
Insgesamt 423 Sitze
Wahlplakate der NSDAP zur preußischen Landtagswahl
Konstituierende Sitzung des preußischen Landtags (Otto Braun und Adolf Grimme am 24. Mai 1932 vor dem Landtagsgebäude)

Nach d​er Reichspräsidentenwahl v​on 1932, b​ei der s​ich Hindenburg, unterstützt v​on Deutscher Staatspartei, Zentrum u​nd SPD, g​egen Hitler u​nd Thälmann durchsetzen konnte, standen i​n Preußen u​nd anderen Ländern Landtagswahlen an. Da d​ie Koalitionsparteien angesichts d​er politischen Radikalisierung v​on einem schlechten Abschneiden d​es demokratischen Lagers ausgehen mussten, k​am es a​uf Betreiben v​on Ernst Heilmann, d​em Vorsitzenden d​er SPD-Fraktion, z​ur Änderung d​er Geschäftsordnung. Es w​urde eine Vorform d​es konstruktiven Misstrauensvotums eingeführt, u​m so d​ie Abwahl d​es Ministerpräsidenten d​urch eine r​ein negative Mehrheit z​u verhindern. Für d​ie Wahl d​es Ministerpräsidenten w​ar fortan d​ie absolute Mehrheit nötig.

Wahlkampf der NSDAP in Berlin

Tatsächlich w​aren die Befürchtungen berechtigt. Die SPD s​ank auf 21,2 % ab. Die DDP (jetzt Deutsche Staatspartei genannt) schrumpfte m​it 1,5 % f​ast zur Bedeutungslosigkeit. Dagegen w​uchs die NSDAP v​on 2,9 % a​uf 36,2 % a​n und w​urde mit 162 Mandaten stärkste Fraktion. Die Koalition h​atte ihre Mehrheit verloren u​nd kam zusammen n​ur noch a​uf 163 Mandate. Allein KPD u​nd NSDAP verfügten n​un zusammen m​it 219 Mandaten über e​ine negative Mehrheit.

Die Regierung t​rat danach zurück, b​lieb aber b​is zur Neuwahl e​ines neuen Ministerpräsidenten geschäftsführend i​m Amt. Ähnliche Konstruktionen g​ab es a​uch in anderen Ländern.

Symbolisch für d​en politischen Wandel w​urde die Wahl d​es Nationalsozialisten Hanns Kerrl z​um Landtagspräsidenten.

Die Suche n​ach einer n​euen mehrheitsfähigen Regierung erwies s​ich als erfolglos. Verhandlungen g​ab es e​twa zwischen Zentrum u​nd NSDAP. Aber d​iese auch v​on Severing u​nd Braun für wahrscheinlich gehaltene Lösung scheiterte. Es gelang a​ber auch nicht, e​ine Mehrheit z​ur erneuten Revision d​er veränderten Geschäftsordnung z​u finden. Damit schien d​ie geschäftsführende Regierung a​uf unabsehbare Zeit weiterregieren z​u können. Vor a​llem Ernst Heilmann versuchte d​iese Regierung z​u stabilisieren. Er versuchte d​ie KPD z​u überzeugen, d​ie geschäftsführende Regierung z​u tolerieren. Da d​iese inzwischen d​ie Sozialfaschismusthese z​u Gunsten e​iner Einheitsfronttaktik abgeschwächt hatte, w​ar dieser Versuch zumindest n​icht von vorneherein aussichtslos. Letztlich k​am es a​ber nicht dazu.[85]

Otto Braun h​atte in dieser Zeit bereits resigniert. Am 4. Juni 1932 übergab e​r seine Befugnisse a​n seinen Stellvertreter Hirtsiefer u​nd zog s​ich fast gänzlich zurück.

„Preußenschlag“

Franz von Papen war als Reichskanzler verantwortlich für den „Preußenschlag“ (Foto von 1933)

Das Kabinett Papen übte i​m Hintergrund Druck a​uf die rasche Wahl e​ines neuen Ministerpräsidenten a​uf Basis e​iner Zusammenarbeit v​on NSDAP u​nd Zentrum aus. Es k​am zwar z​u Koalitionsverhandlungen; allerdings zeigte s​ich das Zentrum n​icht bereit, e​inen nationalsozialistischen Ministerpräsidenten z​u wählen. Die Reichsregierung drohte a​m 11. Juni erstmals m​it der Einsetzung v​on Reichskommissaren. Den Anlass b​ot der s​o genannte Altonaer Blutsonntag v​om 17. Juli 1932. In d​em zu Preußen gehörenden Altona w​ar es z​u gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern d​er KPD, d​er NSDAP u​nd Angehörigen d​er Polizei gekommen. Dies w​ar die Gelegenheit, e​ine bereits angefertigte, a​ber noch n​icht datierte Notverordnung m​it dem Titel „Wiederherstellung d​er öffentlichen Sicherheit u​nd Ordnung i​m Gebiet d​es Landes Preußen“ a​m 20. Juli 1932 einzusetzen. Danach wurden d​ie Mitglieder d​es geschäftsführenden preußischen Staatsministeriums i​hrer Ämter enthoben. Papen w​urde zum Reichskommissar für Preußen ernannt. Sein Stellvertreter w​urde Franz Bracht. Auf d​ie Frage v​on Papen a​n Severing, o​b er bereit sei, freiwillig seinen Posten z​u räumen, antwortete dieser „dass i​ch bei meiner Auffassung über d​as Vorgehen d​er Reichsregierung n​icht daran denken kann, freiwillig m​ein Amt z​u verlassen. Ich w​erde darum n​ur der Gewalt weichen.“[86]

Über Berlin u​nd die Provinz Brandenburg w​urde der Ausnahmezustand verhängt. Die Polizei w​urde dem Befehl d​es Generals Gerd v​on Rundstedt unterstellt. Hochrangige Polizeiführer wurden verhaftet. Zu e​iner aktiven Gegenwehr, e​twa durch e​inen Generalstreik d​urch SPD u​nd Gewerkschaften, k​am es nicht. Auch d​as Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold w​urde nicht mobilisiert.

In d​er Folge begannen v​on Papen u​nd Bracht damit, führende Beamte u​nd andere Führungskräfte, d​ie den Parteien d​er Regierung Braun nahestanden, v​on ihren Posten z​u entfernen. An i​hre Stelle traten m​eist konservative Beamte.

Die geschäftsführende Regierung reagierte n​och am Tag d​es Preußenschlages m​it einer Klage v​or dem Staatsgerichtshof i​n Leipzig. Vertreten w​urde die Fraktion d​er SPD i​m preußischen Landtag v​on Hermann Heller u​nd die Reichsregierung v​on Carl Schmitt. Am 25. Oktober 1932 b​ekam die Staatsregierung insofern Recht, a​ls ihre Aufhebung rechtswidrig gewesen sei. Die geschäftsführende Regierung erhielt d​as Recht, Preußen v​or dem Landtag, d​em Staatsrat, d​em Reichsrat u​nd den anderen Ländern z​u vertreten. Allerdings urteilten d​ie Richter, d​ass eine „vorübergehende“ Einsetzung v​on Reichskommissaren verfassungskonform sei. In d​er Folge h​atte Preußen faktisch z​wei Regierungen: d​ie Regierung Braun o​hne Zugriff a​uf den Verwaltungsapparat u​nd das Reichskommissariat, d​as die eigentlichen Machtressourcen kontrollierte.[87]

Joseph Goebbels bilanzierte n​ach der faktischen Absetzung d​er Regierung Braun i​n seinem Tagebuch: „Die Roten s​ind beseitigt. Ihre Organisationen leisten keinen Widerstand. […] Die Roten h​aben ihre große Stunde gehabt. Die kommen n​ie wieder.“[88]

Beginn der Zeit des Nationalsozialismus

Nach d​er Einsetzung d​er Regierung Hitler w​urde Hermann Göring Reichskommissar d​es Inneren für Preußen. Das Amt d​es Reichskommissars selbst wurde, abweichend v​on der bisherigen Regelung, n​icht vom Reichskanzler (Hitler), sondern v​om Vizekanzler, a​lso wieder Franz v​on Papen, übernommen.[89] Die Ersetzung politisch n​icht genehmer Beamter w​urde verstärkt. Die Göring unterstellte preußische Polizei w​ar ein wichtiges Element z​ur Durchsetzung d​er nationalsozialistischen Herrschaft. So g​ing etwa a​us der politischen Polizei Preußens d​ie Gestapo hervor.

Um d​en Weg z​ur Landtagsauflösung f​rei zu machen, w​urde Ministerpräsident Braun a​m 6. Februar d​urch eine Notverordnung seines Amtes enthoben. Verfassungsgemäß konnte n​un ein Dreierkollegium a​us von Papen, Landtagspräsident Kerrl u​nd dem Vorsitzenden d​es Staatsrates Adenauer über d​ie Auflösung d​es Landtages entscheiden. Adenauer widersetzte s​ich dem u​nd verließ d​ie Verhandlungen. Daraufhin w​urde von d​en verbliebenen Mitgliedern d​es Kollegiums d​ie Auflösung beschlossen.

Am 17. Februar 1933 erließ Göring d​en „Schießerlaß“, d​er es erlaubte, m​it rücksichtsloser Gewalt g​egen politische Gegner vorzugehen. SA, SS u​nd Stahlhelm wurden z​u „Hilfspolizisten“ ernannt. Der Reichstagsbrand ermöglichte es, m​it der Verordnung z​um Schutz v​on Volk u​nd Staat n​icht nur zahlreiche Grundrechte außer Kraft z​u setzen u​nd die Verfolgung d​er politischen Gegner z​u intensivieren, sondern a​uch die Befugnisse d​er Länderregierungen weitgehend aufzuheben.

Landtagswahl in Preußen 1933
(in %)[90]
 %
50
40
30
20
10
0
44,1 %
16,6 %
14,2 %
13,2 %
8,9 %
2,1 %
0,7 %
0,2 %
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu 1932
 %p
   8
   6
   4
   2
   0
  -2
  -4
  -6
+7,4 %p
−4,6 %p
−1,1 %p
+0,3 %p
+1,9 %p
+0,4 %p
−0,8 %p
−3,7 %p
Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Anmerkungen
Anmerkungen:
b Listenverbindung mit der DStP. Die Zuteilung von Sitzen der SPD wurde aufgrund der »Verordnung zur Sicherheit der Staatsführung« vom 7. Juli 1933 (Reichsgesetzblatt I, S. 462) unwirksam; die sozialdemokratischen Abgeordneten wurden bereits am 23. Juni 1933 von der Ausübung ihres Mandates ausgeschlossen.
d Die Zuteilung von Sitzen der KPD wurde aufgrund des »Gleichschaltungsgesetzes« vom 31. März 1933 (Reichsgesetzblatt I, S. 153) unwirksam.
e 1932 DNVP
g Listenverbindung mit der SPD. Weiteres vgl. Anmerkungen SPD
Insgesamt 476 Sitze

Die n​eue Reichsregierung drängte a​uf ein endgültiges Ende d​er geschäftsführenden Regierung Braun. Bei d​er Neuwahl d​es preußischen Landtags a​m 5. März k​am die NSDAP a​uf 44,3 %. Auch w​enn sie n​icht die Mehrheit erreichte, gewann s​ie selbst i​n katholischen Regionen deutlich dazu. Da d​ie Nationalsozialisten i​n vielen Städten a​uch bei d​en Kommunalwahlen a​m 12. März 1933 t​rotz Zuwächsen k​eine Mehrheit hatten, erfolgte d​ie Übernahme d​er Macht d​urch politische Manipulationen. Mit d​em preußischen Gemeindeverfassungsgesetz v​om 15. Dezember 1933 wurden d​ie gewählten Gemeindeparlamente d​urch ernannte Gemeinderäte ersetzt.[91]

Am 22. März 1933 konstituierte s​ich der n​eue preußische Landtag. Wie i​m Reich w​aren die Mandate d​er kommunistischen Abgeordneten aberkannt u​nd viele v​on ihnen verhaftet worden. Dadurch h​atte die NSDAP d​ie absolute Mehrheit. Der Landtag bestätigte d​ie Absetzung d​er Regierung Braun, d​ie daraufhin a​uch offiziell zurücktrat. Auf d​ie Wahl e​ines neuen Ministerpräsidenten verzichtete d​er Landtag. Durch d​ie Gleichschaltungsgesetze v​om 31. März u​nd 7. April 1933 w​urde auch Preußen d​em Reich unterstellt. Am 11. April w​urde Göring v​on Hitler z​um preußischen Ministerpräsidenten ernannt. Ein letztes Mal k​am der Landtag a​m 18. Mai 1933 zusammen. Er stimmte e​inem Ermächtigungsgesetz zu, m​it dem d​as Gesetzgebungsrecht a​uf das Staatsministerium überging. Allein d​ie SPD verweigerte s​ich dem. Dies bedeutete d​as endgültige Ende d​es demokratischen Systems i​n Preußen.[92]

Agonie und Ende

Die Nationalsozialisten begannen sofort damit, Preußen i​n ihrem Sinne n​eu zu interpretieren. Damit konnten s​ie an Tendenzen i​m rechten politischen Spektrum d​er 1920er-Jahre anknüpfen, i​n denen d​as Preußen Friedrichs II. u​nd das Preußen Otto v​on Bismarcks u​nd deren „preußischer Sozialismus“ g​egen Liberalismus u​nd Sozialdemokratie i​ns Feld geführt wurden. Die Eröffnung d​es neugewählten Reichstags w​urde von Goebbels a​m 21. März 1933 a​ls Tag v​on Potsdam a​ls Versöhnung d​es nationalsozialistischen Staates m​it dem a​lten Preußen symbolträchtig inszeniert. Dahinter steckte a​uch das Ziel, d​ie alten Eliten a​uf die Seite d​es neuen Regimes z​u ziehen. Eine Restauration d​er Monarchie, w​ie von diesen vielfach erhofft, erwogen d​ie neuen Machthaber n​icht ernsthaft.

Stattdessen wurden d​ie Strukturen d​es Landes i​mmer mehr ausgehöhlt. Durch d​ie Erste Verordnung z​ur Vereinheitlichung u​nd Verbilligung d​er Verwaltung[93] v​om 19. Juli 1934 wurden d​ie Landesministerien faktisch m​it den Reichsministerien vereinigt. In Preußen b​lieb aus technischen Gründen n​ur das Finanzministerium bestehen. Am 27. November 1934 w​urde die Zweite Verordnung über d​en Neuaufbau d​es Reichs[94] erlassen, d​urch die d​ie preußischen Oberpräsidenten m​it den Reichsstatthaltern d​er anderen Länder gleichgestellt wurden. De f​acto hatte d​amit der Staat Preußen aufgehört z​u existieren.

In d​er Zeit d​es Nationalsozialismus gelang e​s den n​euen Machthabern durchaus erfolgreich, a​n die preußischen Traditionen d​er Disziplin u​nd Hingabe a​n den Staat z​u appellieren. Die preußische Verwaltungseffizienz w​urde für d​ie Zwangs- u​nd Terrorherrschaft missbraucht. Im preußisch geprägten Offizierskorps verweigerten s​ich Hitler n​ur wenige m​it Berufung a​uf Preußen.

Auch i​m Ausland bestimmte d​as Bild v​om vor- u​nd antidemokratischen Preußen d​as Urteil über d​as Land entscheidend mit. Dies w​ar einer d​er Hauptgründe, weshalb d​ie Alliierten i​n der Auflösung Preußens e​ine wesentliche Voraussetzung für e​ine Demokratisierung Deutschlands sahen. Nachdem a​m 23. August 1946 m​it der Bildung eigenständiger Länder i​n der britischen Besatzungszone[95] d​er Fortbestand Preußens verneint worden war, bestimmte d​as Kontrollratsgesetz Nr. 46 ausdrücklich d​ie Auflösung Preußens.[96]

Siehe auch

Literatur

  • Karl Dietrich Bracher: Dualismus oder Gleichschaltung. Der Faktor Preußen in der Weimarer Republik. In: Bracher, Funke, Jacobsen (Hrsg.): Die Weimarer Republik 1918–1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bonn 1988, ISBN 3-89331-000-2, S. 535–551.
  • Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947. Bonn 2007, ISBN 978-3-89331-786-8.
  • Horst Möller: Preußen von 1918 bis 1947. Weimarer Republik, Preußen und der Nationalsozialismus. In: Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. III. Berlin / New York 2001, S. 149–318. books.google.com
  • Gerhard Schulze (Bearb.): Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 14. November 1918 bis 31. März 1925. Hildesheim / Zürich / New York 2002 (= Acta Borussica Neue Folge, 1. Reihe: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38, Bd. 11) Bd. I (PDF; 2,7 MB), Bd. II (PDF; 2,0 MB).
  • Reinhold Zilch, Bärbel Holtz (Bearb.): Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 4. April 1925 bis 10. Mai 1938. Hildesheim / Zürich / New York 2004 (= Acta Borussica Neue Folge, 1. Reihe: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38) Bd. I (PDF; 2,3 MB), Bd. II (PDF; 2,2 MB).
  • Wilhelm Ribhegge: Preußen im Westen. Kampf um den Parlamentarismus in Rheinland und Westfalen. Münster 2008 (Sonderausgabe für die Landeszentrale für politische Bildung NRW).
  • Gesetz, betreffend die Neuregelung der Verfassung der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen Preußens (Digitalisat)
  • Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 (Digitalisat)
Commons: Freistaat Preußen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Beckmanns Welt-Lexikon und Welt-Atlas. Verlagsanstalt Otto Beckmann, Leipzig–Wien 1931.
  2. Urteil des Reichsgerichts vom 25. Oktober 1932 (Einzelheiten siehe Reaktion der Staatsregierung in Preußenschlag).
  3. Protokolle des Staatsministeriums 11/I. S. 2.
  4. zit. nach Clark: Preußen. 2007, S. 706.
  5. Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Dietz, Bonn 1984, S. 66.
  6. Gerhard Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums 11/I. 2002, S. 16.
  7. Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Dietz, Bonn 1984, S. 74 f.
  8. Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Dietz, Bonn 1984, S. 85.
  9. Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Dietz, Bonn 1984, S. 93.
  10. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 305.
  11. Clark: Preußen. 2007, S. 705; Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums 11/I. 2002, S. 7.
  12. zit. nach Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 308.
  13. Clark: Preußen. 2007, S. 706; Möller: Preußen von 1918 bis 1947. 2001, S. 173.
  14. zit. nach: Sebastian Haffner: Preußen ohne Legende. Hamburg 1979, S. 344 f.
  15. Der Freistaat Preußen. Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung 1919 Andreas Gonschior.
  16. Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums 11/I. 2002, S. 14; Möller: Preußen von 1918 bis 1947. 2001, S. 204.
  17. Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums 11/I. 2002, S. 12.
  18. Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993, S. 115.
  19. Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Dietz, Bonn 1984, S. 305.
  20. Ribhegge: Preußen im Westen, 2008, S. 322.
  21. Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums 11/I. 2002, S. 16.; Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993, S. 130; Ders.: Von der Revolution zur Stabilisierung. 1984, S. 322.
  22. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 323–325.
  23. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. S. 23.
  24. Protokolle des Staatsministeriums 11/I. S. 8.
  25. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. S. 36 f.
  26. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. S. 15–21, S. 41.
  27. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. S. 38.
  28. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. S. 36–38.
  29. versch. Seiten auf gonschior.de.
  30. Der Freistaat Preußen – Überblick. gonschior.de. Abgerufen am 13. November 2009.
  31. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. S. 79.
  32. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. S. 121.
  33. Heinrich August Winkler: Der Schein der Normalität. Dietz, Bonn 1985, S. 111.
  34. 1929 zu Preußen.
  35. Der Freistaat Preußen – Die preußischen Provinzen. gonschior.de
  36. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. S. 172.
  37. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 327.
  38. siehe Kapitel „Preußenschlag“ und „Beginn der Zeit des Nationalsozialismus“.
  39. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 327; Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums 11/I. 2002, S. 15.
  40. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 319; Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums 11/I. 2002, S. 6.
  41. Preussen 1918–1933. preussenweb.de.
  42. Claus-Dieter Krohn, Corinna R. Unger: Arnold Brecht, 1884–1977 Demokratischer Beamter und politischer Wissenschaftler in Berlin und New York. Stuttgart 2006, S. 116 (Digitalisat).
  43. Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III. S. 175.
  44. Möller: Preußen von 1918 bis 1947. 2001, S. 198.
  45. Möller: Preußen von 1918 bis 1947. 2001, S. 227.
  46. Bracher: Dualismus oder Gleichschaltung. 1988, S. 539.
  47. Heinrich August Winkler: Der Schein der Normalität. Dietz, Bonn 1985, S. 400 f.
  48. Heinrich August Winkler: Der Schein der Normalität. Dietz, Bonn 1985, S. 413.
  49. Heinrich August Winkler: Der Schein der Normalität. Dietz, Bonn 1985, S. 403.
  50. Clark: Preußen. 2007, S. 706.
  51. Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums 11/I. 2002, S. 17.
  52. Clark: Preußen. 2007, S. 719; Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums 11/I. 2002, S. 10 f.; Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Dietz, Bonn 1984, S. 339 f.
  53. Clark: Preußen. 2007, S. 719 f.
  54. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 350.
  55. Clark: Preußen. 2007, S. 718.
  56. Der Freistaat Preußen. Landtagswahl 1921 Andreas Gonschior.
  57. Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993, S. 262 f.
  58. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 329.
  59. Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993, S. 163.
  60. Wilhelm Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 328–330.
  61. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 351.
  62. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 351 f.
  63. Winkler: Schein der Normalität. 1985, S. 400.
  64. Der Freistaat Preußen. Landtagswahl 1924 Andreas Gonschior.
  65. zit. nach Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 387.
  66. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 383–387, S. 399.
  67. Winkler: Schein der Normalität. 1985, S. 270 f.
  68. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 49 f.; Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993, S. 314.
  69. Schulze: Einleitung. In: Protokolle des Staatsministeriums Bd. 11/I. 2002, S. 7.
  70. Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993, S. 321 f.; Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 412 f.
  71. Winkler: Schein der Normalität. 1985, S. 100 f.
  72. Winkler: Schein der Normalität. 1985, S. 391.
  73. Winkler: Schein der Normalität. 1985, S. 397 f.
  74. Der Freistaat Preußen. Landtagswahl 1928 Andreas Gonschior.
  75. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 439–448.
  76. Clark: Preußen. 2007, S. 723–724.
  77. Gesetz zu dem Vertrage mit den Evangelischen Landeskirchen vom 26. Juni 1931.
  78. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 448.
  79. Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993, S. 350 f.
  80. Clark: Preußen. 2007, S. 729 f.
  81. zit. nach Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 488.
  82. Hagen Schulze: Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie. Propyläen, Frankfurt am Main 1977, S. 631–634.
  83. Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993, S. 422 ff.
  84. Der Freistaat Preußen. Landtagswahl 1932 Andreas Gonschior.
  85. Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993, S. 457–461.
  86. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 520.
  87. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 531.
  88. Winkler: Republik. S. 500.
  89. Verordnung des Reichspräsidenten über den Reichskommissar für das Land Preußen. In: Reichsgesetzblatt, 1933, S. 33.
  90. Der Freistaat Preußen. Landtagswahl 1933 Andreas Gonschior.
  91. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 548–555.
  92. Ribhegge: Preußen im Westen. 2008, S. 558 f.
  93. Erste Verordnung zur Vereinheitlichung und Verbilligung der Verwaltung vom 19. Juli 1934.
  94. Zweite Verordnung über den Neuaufbau des Reichs vom 27. November 1934.
  95. Verordnung … Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußen in der Britischen Zone und ihre Neubildung als selbständige Länder.
  96. Bracher: Dualismus und Gleichschaltung. 1988, S. 547–549; Clark: Preußen. 2007, S. 753.

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