Schloss Bellevue
Das Schloss Bellevue (IPA: ʃlɔs bɛlˈvyː, ; französisch für Schöne Aussicht) ist ein Baudenkmal am Spreeweg 1 im Berliner Ortsteil Tiergarten. Es liegt am Nordrand des Großen Tiergartens zwischen der Spree und der Siegessäule. Die klassizistische Dreiflügelanlage wurde 1785–1786 von Michael Philipp Boumann als Sommerresidenz für den preußischen Prinzen August Ferdinand erbaut und im Laufe der Geschichte mehrmals umgebaut. Nach schweren Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg wurde das Schloss 1954–1959 äußerlich originalgetreu wiederaufgebaut. Seit 1994 dient es als erster Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten.
Baugeschichte
Das Schloss wurde im Auftrag des jüngsten Bruders von Friedrich II., Ferdinand von Preußen, nach Plänen von Michael Philipp Boumann von 1785 bis 1786 errichtet. Zu den zahlreichen früheren Grundstücksbesitzern hatte Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff gehört, der sich 1746 etwas südlich des heutigen Schlosses ein Sommerwohnhaus errichtet hatte.[1] Boumann musste ein schon vorhandenes Gebäude, eine zum Wohnhaus umgebaute Lederfabrik am Spreeufer, in den Neubau als rechten Flügel einbeziehen.
Das Schloss entstand als eine Dreiflügelanlage, bestehend aus dem langgestreckten, zweieinhalbgeschossigen Hauptbau und den beiden zweigeschossigen Seitenflügeln (links Damenflügel, rechts Spreeflügel) im frühklassizistischen Stil. Die insgesamt 19 Fensterachsen des mittleren Flügels gliedert ein dreiachsiger Mittelrisalit mit einem figurenbekrönten Dreiecksgiebel, der auf vier Pilastern im korinthischen Stil ruht.[2]
Seinen Namen Bellevue verdankte das Schloss dem Blick aus dem Corps de Logis, dem Wohntrakt, nach Westen, der weit über den Park und die mäandernde Spree bis zur Kuppel von Schloss Charlottenburg ging. Seit den 1880er Jahren trifft er dort nach 400 Metern auf den Viadukt der Berliner Stadtbahn.
Das Innere des Schlosses wurde wiederholt umgestaltet. Bereits drei Jahre nach seiner Fertigstellung errichtete Carl Gotthard Langhans einen seiner berühmten ovalen Säle. Heute ist dieser der einzige weitgehend im Original erhaltene Raum des Schlosses. Im Jahr 1938 erfolgte eine Umgestaltung zum Gästehaus der Reichsregierung durch Paul Otto August Baumgarten. Dabei wurden die beiden heute als gewölbte Fenster der Seitenrisalite erkennbaren Eingänge zugemauert und der jetzige Mitteleingang samt Freitreppe geschaffen. An den linken Seitenflügel wurde ein L-förmiger Erweiterungsbau angefügt, der sogenannte Ministerflügel. Knobelsdorffs Meierei musste modernen Wirtschaftsgebäuden weichen. Den im Park errichteten Ersatzbau bewohnte bis zur Kriegszerstörung der Schauspieler, Regisseur und Generalintendant des Preußischen Staatstheaters Gustaf Gründgens.
Bereits im April 1941 bei einem britischen Luftangriff von Brandbomben getroffen und ausgebrannt, wurde das Schloss nach Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst notdürftig gesichert und von 1954 bis 1959 durch den Architekten Carl-Heinz Schwennicke als Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten mit Ausnahme des Ministerflügels wieder aufgebaut. Aus westdeutscher Sicht war gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ein solcher Amtssitz in Berlin mit dem Viermächte-Status der Stadt vereinbar. Aus der Entstehungszeit blieb dabei lediglich der 1791 von dem Architekten Carl Gotthard Langhans entworfene Ballsaal im Obergeschoss des Schlosses erhalten. Es wurde im Stil der 1950er Jahre eingerichtet, was später als „Mischung aus Filmstar-Sanatorium und Eisdiele“ verspottet wurde.[3] 1986/1987 ließ Bundespräsident Richard von Weizsäcker das Schloss durch den Architekten Otto Meitinger im Inneren durchgreifend umgestalten, um die Räume dem Charakter des äußeren historischen Erscheinungsbildes anzugleichen, wobei auch die Raumfolge nach Plänen aus der Zeit vor der Zerstörung wiederhergestellt wurde. Weizsäcker ließ das Schloss mit einem Teil der wertvollen Empire-Möbel-Sammlung aus Schloss Wilhelmshöhe in Kassel als Dauerleihgabe möblieren[4] und initiierte den Austausch von Gemälden mit deutschen Museen, um Gästen klassische und moderne deutsche Kunst zu präsentieren.[5] Zwei Räume blieben jedoch mit ihrer Ausstattung im Stil der Nachkriegsmoderne erhalten.
Ab Mitte der 1990er Jahre häuften sich die technischen Pannen wie ausfallender Strom oder Wasser, ein steckenbleibender Aufzug oder schlechte Klimatisierung im Sommer, sodass Bundespräsident Roman Herzog das Schloss als „Bruchbude“ bezeichnete.[6] Deswegen wurde in den Jahren 2004/2005 eine Sanierung und grundlegende Erneuerung der technischen Ausstattung durchgeführt. Die Repräsentationsräume zeigen sich auch nach dieser jüngsten Renovierung im Stil der 1980er Jahre, in denen eine behutsame Annäherung an alte Dekorationsformen mit teilweise neuen Materialien versucht wurde. Aus Denkmalschutzgründen werden zwei Salons mit dem dunkelgetäfelten Interieur der 1950er Jahre erhalten. Die früheren Wohnräume im linken Seitenflügel sind zu einem Bürotrakt für den Präsidenten umgebaut worden.[7] Als Wohnsitz dient den Bundespräsidenten seit 2004 die Villa Wurmbach in Berlin-Dahlem.
Nutzungsgeschichte
Ferdinand nutzte es bis zu seinem Tod 1813 als Lustschloss und Landsitz. Danach wohnte sein Sohn Prinz August von Preußen, der Chef und Reformer der preußischen Artillerie dort. Durch Erbschaft fiel es 1843 an König Friedrich Wilhelm IV., der 1844 in einem Flügel des Erdgeschosses das erste Museum für zeitgenössische Kunst in Preußen einrichten ließ – diese Vaterländische Galerie war der Vorgänger der Nationalgalerie. Nach deren Auszug 1865 wurde das Schloss bis 1918 wieder vom Hof genutzt, teils als Wohnsitz für Angehörige des Königshauses, teils als Gästehaus; Kaiser Wilhelm II. ließ hier seinen sieben Kindern Privatunterricht erteilen.
Der Unterhalt des Hofstaates war eine teure und personalaufwendige Angelegenheit, wie ein Blick auf den Hofstaat des Schlosses Bellevue im Jahr 1870 zeigt:[8]
- Cafétier(e)
- Frotteur
- Garderobenfrau
- Gartenkutscher
- Hofdamenjungfer
- Hofgärtner
- Kammerfrau
- Kehrfrauen
- Kellereidiener
- Kinderfrauen
- Köchin
- Kutscher
- Kammerdiener
- Lakai
- Leibjäger
- Mundkoch
- Portier
- Reitknechte
- Sattelmeister
- Schlossdiener und Schlossdienerin
- Vorreiter
Im Ersten Weltkrieg diente das Schloss ab 1916 der Obersten Heeresleitung, der Regierung und den mit Deutschland alliierten Mittelmächten (Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich, Bulgarien) als Besprechungsort. General Erich Ludendorff wurde hier, gegen seinen Willen, am 26. Oktober 1918 von dem damaligen Staatsoberhaupt und letzten deutschen Kaiser entlassen, ohne sich zu einer für Soldaten üblichen anderen Verwendung bereit zu erklären.[9] Der Vorgang im Schloss Bellevue, 14 Tage vor dem Sturz des Kaisers, markiert – so der Historiker Manfred Nebelin – die Rückgewinnung des seit dem Sturz des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg verloren gegangenen Primats der Politik über das Militärische.[9]
Nach dem Ersten Weltkrieg stand das Schloss zunächst leer. 1928 ging es vom Haus Hohenzollern an den Freistaat Preußen über. Von 1929 an diente es als Bürogebäude, Volksküche und Ausstellungshalle. Die Seitenflügel enthielten Mietwohnungen, bis 1935 das Staatliche Museum für Deutsche Volkskunde dort untergebracht wurde. 1938 erwarb es das Reich. Nach dem Umbau 1938 erfüllte das Schloss die Funktion als Gästehaus der Reichsregierung bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs allerdings nur ein Mal. 1939 bezog der Reichsminister und Leiter der Präsidialkanzlei, Otto Meissner, das Schloss als neue Residenz und Wohnung, nachdem er seine bisherigen Räumlichkeiten im Reichspräsidentenpalais an Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop hatte abgeben müssen.
- Ansicht des Mittelbaus vom Ehrenhof, 1939
- Ansicht des ehemaligen Ministerflügels von Süden, 1939
- Schloss Bellevue um 1800, Briefmarke der Deutschen Bundespost Berlin, 1962
Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 wurde das Schloss Bundeseigentum. Ab 1957 diente es neben der Villa Hammerschmidt in Bonn als zweiter und Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten, der es allerdings nur gelegentlich nutzte, beispielsweise für Konzertveranstaltungen. Am 18. Juni 1959 übernahm Theodor Heuss die Baulichkeiten offiziell.[10]
Im Jahr 1991 wurde die Bewachung des Schlosses von der Berliner Polizei an den damaligen Bundesgrenzschutz (heute: Bundespolizei) abgegeben.
1994 verlegte Richard von Weizsäcker seinen ersten Amtssitz hierher. Von 1996 bis 1998 wurde in unmittelbarer Nachbarschaft nach Plänen der Architekten Gruber + Kleine-Kraneburg das Bundespräsidialamt errichtet. Roman Herzog war der einzige Bundespräsident, der auch selbst im Schloss wohnte (1994–1999).
Während der Renovierung (2004/2005) hatte der Bundespräsident sein Büro in das benachbarte Bundespräsidialamt verlegt. Für repräsentative Zwecke wurde währenddessen das Schloss Charlottenburg genutzt, etwa für die Ernennung von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin am 22. November 2005. Anfang Januar 2006 wurde Bellevue dem Bundespräsidenten wieder als Amtssitz übergeben.
- Begrüßung des portugiesischen Staatspräsidenten mit dem Wachbataillon
- Bürgerfest 2019
- Historischer Langhanssaal im Obergeschoss
- Schinkel-Saal
- Großer Saal mit Gemälde von Gotthard Graubner
- Großer Saal mit Tischen für ein Dîner
- Salon Ferdinand
- Salon Luise
Beflaggung
Meist weht die Standarte des Bundespräsidenten auf dem Dach des Schlosses. Sie wird nur eingeholt, sobald der Bundespräsident das Berliner Stadtgebiet verlässt,
- um sich außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten (zum Beispiel während eines Staatsbesuches), oder
- um Termine in seinem Bonner Amtssitz, der Villa Hammerschmidt, oder
- um Termine in einem Gästehaus in den Bundesländern wahrzunehmen.
Bei seiner Ankunft im Berliner Stadtgebiet wird sie wieder gehisst.[11]
Sonstiges
- In der Verkleidung der niederländischen Königin Beatrix gelang es dem Komiker Hape Kerkeling im Jahr 1991, vor Eintreffen der echten Königin am Schloss Bellevue vorzufahren.[12]
- Vor dem Schloss Bellevue befindet sich ein oft fotografierter, historischer roter Feuermelder.[13]
Literatur
- Erich Schonert: Schloß Bellevue und seine Geschichte. Deutsches Verlagshaus Bong & Co; Berlin/Leipzig 1935 (Nachdruck: Archiv Verlag; Braunschweig 1993).
- Irmgard Wirth (Bearb.): Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Bezirk Tiergarten. Gebrüder Mann, Berlin 1955, S. 114–139.
- Ernst A. Busche: Bellevue. Koehler & Amelang, Leipzig 2005, ISBN 3-7338-0340-X.
- Reinhart Grahl: Die erste Adresse Deutschlands. Das Schloss Bellevue und seine Geschichte. Christian Simon, Berlin 2008, ISBN 978-3-936242-12-6.
- Bundespräsidialamt (Hrsg.), Silke Bittkow (Redaktion): Der Bundespräsident: Schloss Bellevue. Der Berliner Amtssitz. Berlin 2013.
- Publikationen zum Schloss Bellevue im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Weblinks
- Schloss Bellevue – Bundespräsident
- Schloss Bellevue. (Memento vom 21. Dezember 2008 im Internet Archive) – Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
- Schloss Bellevue 3D (offizieller 3D-Rundgang durch das Schloss Bellevue und den Schlosspark)
- Einträge in der Berliner Landesdenkmalliste: Schloss Bellevue und Schlosspark Bellevue
- Weitere Ausführungen und Bilder zum Schloss Bellevue bei Monumente Online
- Suche nach Schloss Bellevue In: Deutsche Digitale Bibliothek
- Suche nach Schloss Bellevue im Online-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Achtung: Die Datenbasis hat sich geändert; bitte Ergebnis überprüfen und
SBB=1
setzen)
Einzelnachweise
- Zum später Meierei Knobelsdorffs genannten Bau siehe → Wirth (Literaturliste), S. 134 f.
- Zur Baugeschichte des Schlosses siehe: Wirth (Literaturliste), S. 116–124.
- MONUMENTE besichtigte den Amtssitz des Bundespräsidenten (April 2009)
- Friedl Brunckhorst: alle Sonntage große Cour … Die Gesellschaftsräume in Schloss Wilhelmshöhe, Burgen und Schlösser 1/2004, S. 32–40, abrufbar über journals.ub.uni-heidelberg.de: 53985-Artikeltext-167426-1-10-20181105.pdf
- bundespraesident.de: Räume
- Kerzenlicht nur noch auf Wunsch
- So wohnt der neue Bundespräsident. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung. 19. März 2012, abgerufen am 21. Dezember 2013.
- Bellevue, Schloß. In: Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger nebst Adreß- und Geschäftshandbuch für Berlin, 1870, Teil 2, S. 24.
- Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg. Siedler, München 2011, ISBN 978-3-88680-965-3, S. 500 f. Ludendorff: Das Militär kommt nach der Politik, nur im Kriege ist es ihr Schrittmacher.
- Chronik 1959 im LeMO (DHM und HdG)
- Schloss Bellevue. Die Standarte. Information auf der Internetseite des Bundespräsidenten, abgerufen am 3. Dezember 2020.
- Malermeister rettet historische Feuermelder. Abgerufen am 2. Mai 2021.