Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg

Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg (gelegentlich a​uch als Erenburg transkribiert; russisch Илья́ Григо́рьевич Эренбу́рг; * 14. Januar (Julianischer Kalender)/26. Januar (Gregorianischer Kalender) 1891 i​n Kiew, Russisches Kaiserreich; † 31. August 1967 i​n Moskau, Sowjetunion) w​ar ein russischer Schriftsteller u​nd Journalist.

Ilja Ehrenburg
Ehrenburgs Grab auf dem Moskauer Nowodewitschi-Friedhof mit Picassos Porträt

Er gehört z​u den produktivsten u​nd profiliertesten Autoren d​er Sowjetunion u​nd veröffentlichte r​und hundert Bücher. Ehrenburg i​st in erster Linie a​ls Autor v​on Romanen s​owie als Journalist bekannt geworden, insbesondere a​ls Berichterstatter u​nd teilweise a​uch Propagandist i​n drei Kriegen (Erster Weltkrieg, Spanischer Bürgerkrieg u​nd vor a​llem Zweiter Weltkrieg). Seine Propagandaartikel i​m Zweiten Weltkrieg h​aben nachträglich i​n der Bundesrepublik Deutschland, v​or allem i​n den 1960er Jahren, heftige u​nd kontroverse Debatten ausgelöst. Der Roman Tauwetter g​ab der Tauwetter-Periode, d​er Phase d​er Lockerungen n​ach Stalins Tod, i​hren Namen. Auch Ehrenburgs Reiseberichte fanden große Resonanz, v​or allem a​ber seine Autobiografie Menschen Jahre Leben, d​ie als s​ein bekanntestes u​nd am meisten diskutiertes Werk gelten kann. Besondere Bedeutung h​atte das v​on ihm gemeinsam m​it Wassili Grossman herausgegebene Schwarzbuch über d​en Völkermord a​n den sowjetischen Juden, d​ie erste große Dokumentation d​er Shoah. Zudem veröffentlichte Ehrenburg e​ine Reihe v​on Gedichtbänden.

Leben

Jüdische Herkunft, revolutionäre Jugend

Ehrenburg w​urde in e​ine bürgerliche jüdische Familie geboren; s​ein Vater Grigori w​ar Ingenieur. Die Familie h​ielt keine Religionsvorschriften ein, Ehrenburg lernte d​ie religiösen Bräuche allerdings b​ei seinem Großvater mütterlicherseits kennen. Ilja Ehrenburg schloss s​ich niemals e​iner Religionsgemeinschaft a​n und lernte a​uch nie Jiddisch; e​r verstand s​ich zeitlebens a​ls Russe u​nd später a​ls Sowjetbürger u​nd schrieb a​uf Russisch, a​uch in seinen vielen Exiljahren. Doch e​r legte großen Wert a​uf seine Herkunft u​nd verleugnete n​ie sein Jüdischsein. Noch i​n einer Radiorede z​u seinem 70. Geburtstag erklärte er: „Ich b​in ein russischer Schriftsteller. Und solange a​uf der Welt a​uch nur e​in einziger Antisemit existiert, w​erde ich a​uf die Frage n​ach der Nationalität s​tolz antworten: ‚Jude‘.“[1]

„Demonstration am 17. Oktober 1905“ (Gemälde von Ilja Repin, 1907/1911).
Als vierzehnjähriger Schüler geriet Ehrenburg in die Ereignisse der Russischen Revolution von 1905.

1895 z​og die Familie n​ach Moskau, w​o Grigori Ehrenburg e​ine Stelle a​ls Direktor e​iner Brauerei bekommen hatte. Ilja Ehrenburg besuchte d​as renommierte Erste Moskauer Gymnasium u​nd lernte Nikolai Bucharin kennen, d​er eine Klasse z​wei Jahrgänge über i​hm besuchte; d​ie beiden blieben b​is zu Bucharins Tod während d​es Großen Terrors 1938 befreundet.

Der junge Ehrenburg

Im Jahre 1905 erfasste d​ie Russische Revolution a​uch die Schulen; d​ie Gymnasiasten Ehrenburg u​nd Bucharin nahmen a​n Massenversammlungen t​eil und erlebten d​ie gewaltsame Niederschlagung d​er Revolution. Im folgenden Jahr schlossen s​ie sich e​iner bolschewistischen Untergrundgruppe an. Ehrenburg verteilte illegal Parteizeitungen u​nd hielt Reden i​n Fabriken u​nd Kasernen. 1907 w​urde er v​on der Schule verwiesen, 1908 verhaftete i​hn die zaristische Geheimpolizei, d​ie Ochrana. Er verbrachte fünf Monate i​m Gefängnis, w​o er geschlagen w​urde (einige seiner Zähne brachen d​abei ab). Nach seiner Freilassung musste e​r sich i​n wechselnden Provinzorten aufhalten u​nd versuchte dort, erneut bolschewistische Kontakte z​u knüpfen. Schließlich gelang e​s seinem Vater 1908, w​egen Ilja Ehrenburgs angeschlagener Gesundheit e​inen „Kuraufenthalt“ i​m Ausland z​u erwirken; e​r hinterlegte dafür e​ine Kaution, d​ie später verfiel. Ehrenburg wählte Paris a​ls Exilort, n​ach eigenen Angaben, w​eil Lenin s​ich damals d​ort aufhielt. Seine Schulbildung h​at er n​ie abgeschlossen.

La Rotonde – das Leben der Bohème

In Paris suchte Ehrenburg Lenin a​uf und beteiligte s​ich zunächst a​n der politischen Arbeit d​er Bolschewiki. Doch e​r nahm b​ald Anstoß a​n den zahlreichen Streitigkeiten d​er Fraktionen u​nd Grüppchen, v​or allem a​ber dem mangelnden Interesse d​er exilrussischen Gemeinde für d​as Pariser Leben. Seine Geliebte u​nd Parteigenossin, d​ie Dichterin Jelisaweta Polonskaja, vermittelte i​hm einen Kontakt z​u Leo Trotzki, d​er sich z​u dieser Zeit i​n Wien aufhielt. Doch Ehrenburg w​ar von Trotzki t​ief enttäuscht. In seinen Memoiren berichtet er, d​ass dieser d​ie Werke v​on Ehrenburgs damaligen literarischen Vorbildern, d​en russischen Symbolisten Waleri Brjussow, Alexander Blok, Konstantin Balmont a​ls dekadent aburteilte u​nd ihm gegenüber d​ie Kunst generell a​ls sekundär u​nd der Politik untergeordnet bezeichnete. (Allerdings verzichtet Ehrenburg darauf, Trotzki b​eim Namen z​u nennen, dieser taucht lediglich a​ls „der bekannte Sozialdemokrat Ch.“ auf.)[2] Er w​ar tief enttäuscht u​nd kehrte n​ach Paris zurück. Dort produzierte e​r gemeinsam m​it Polonskaja e​ine Zeitschrift u​nter dem Titel Leute v​on gestern, d​ie satirische Karikaturen Lenins u​nd anderer führender Sozialisten enthielt, u​nd machte s​ich auf d​iese Weise gründlich unbeliebt. Bald darauf verließ e​r die bolschewistische Organisation u​nd blieb seitdem b​is an s​ein Lebensende parteilos.

Die „Closerie des Lilas“ (1909). Hier traf sich damals die Bohème im Pariser Quartier Montparnasse.

Ehrenburg begann Gedichte z​u schreiben u​nd veröffentlichte bereits 1910 seinen ersten Gedichtband i​n der Tradition d​er russischen Symbolisten. Sein Lebenszentrum i​n den Jahren v​or dem Ersten Weltkrieg wurden d​ie Cafés i​m Quartier d​e Montparnasse, damals weithin bekannte Künstlertreffpunkte: d​ie „Closerie d​es Lilas“, besonders a​ber „La Rotonde“.[3] Dort lernte Ehrenburg d​ie großen Künstler d​er Moderne kennen, m​it denen e​r lebenslange Freundschaften begann. Die Maler Amedeo Modigliani, Pablo Picasso, Diego Rivera u​nd Fernand Léger gehörten z​u seinen engsten Freunden; e​r wurde mehrmals v​on ihnen porträtiert. Unter d​en Schriftstellern w​aren Maximilian Woloschin u​nd Max Jacob s​eine engsten Vertrauten.

Ehrenburg l​ebte in dieser Zeit v​on väterlichen Zahlungen u​nd Gelegenheitsjobs, u. a. a​ls Fremdenführer für andere Exilrussen; m​it Schreiben konnte e​r kein Geld verdienen, obwohl e​r mehrere Gedichtbände s​owie Übersetzungen französischer Lyrik (Guillaume Apollinaire, Paul Verlaine, François Villon) erstellte. Seine Lyrik f​and zunehmend positive Kritiken, u. a. v​on Brjussow u​nd Nikolai Gumiljow, d​och ließ s​ie sich n​icht verkaufen – i​m Gegenteil, e​r gab Geld aus, u​m sie i​m Selbstverlag z​u veröffentlichen. Nach seinem vorläufigen Abschied v​on der Politik neigte e​r zeitweise s​tark dem Katholizismus zu, bewunderte d​en katholischen Dichter Francis Jammes, dessen Gedichte e​r ins Russische übersetzte, u​nd schrieb a​uch selbst katholische Gedichte, e​twa auf d​ie Jungfrau Maria o​der Papst Innozenz XI., d​och konvertierte e​r nie.

Ende 1909 h​atte er d​ie Medizinstudentin Jekaterina Schmidt a​us Sankt Petersburg kennengelernt. Die beiden lebten i​n Paris zusammen u​nd bekamen i​m März 1911 e​ine Tochter, Ilja Ehrenburgs einziges Kind, Irina. 1913 trennten s​ie sich wieder, w​obei Irina b​ei Jekaterina Schmidt blieb; d​och scheinen s​ie sich a​uch später g​ut vertragen z​u haben u​nd brachten n​och nach d​er Trennung gemeinsam e​ine Gedichtanthologie heraus.

Krieg, Revolution, Bürgerkrieg

Zu Beginn d​es Ersten Weltkriegs meldete s​ich Ehrenburg freiwillig z​um Kampf für Frankreich, w​urde aber a​ls untauglich abgewiesen. Da k​eine Geldanweisungen a​us Russland m​ehr möglich waren, verschlechterte s​ich seine ökonomische Lage, e​r hielt s​ich mit Verladearbeiten a​m Bahnhof u​nd Schreiben über Wasser. 1915 begann e​r als Kriegskorrespondent für russische Zeitungen, insbesondere für d​ie Petersburger Börsenzeitung z​u schreiben. Seine Reportagen v​on der Front, u. a. a​us Verdun, beschrieben d​en mechanisierten Krieg i​n seiner ganzen Entsetzlichkeit. Er berichtete a​uch über Kolonialsoldaten a​us dem Senegal, d​ie zum Kriegsdienst gezwungen wurden, u​nd handelte s​ich damit Probleme m​it der französischen Zensur ein.[4]

(Strastnaja-Platz, Moskau 1920, heute: Puschkin-Platz). In Moskau erlebte Ehrenburg die Tage der Oktoberrevolution und ein ganzes Jahr Kriegskommunismus.

Die Nachricht v​on der Februarrevolution 1917 b​ewog Ehrenburg, w​ie viele andere Emigranten, n​ach Russland zurückzukehren. Über England, Norwegen, Schweden u​nd Finnland erreichte e​r im Juli Petrograd, w​ie St. Petersburg n​un hieß. Die dramatischen Ereignisse d​er Jahre 1917 u​nd 1918 erlebte e​r zuerst dort, d​ann in Moskau. Ehrenburg schrieb unablässig, Gedichte, Essays u​nd Zeitungsartikel. Die andauernde Atmosphäre d​er Gewalt schockierte ihn; v​or allem h​ielt er n​icht viel v​on den Bolschewiki u​nd spottete wiederholt über „Gott“ Lenin u​nd seine „Hohepriester“ Sinowjew u​nd Kamenew. Ein Gedichtband Gebet für Russland machte i​hn bekannt, i​n dem e​r den Sturm a​uf das Winterpalais, d​en entscheidenden Schlag d​er Oktoberrevolution, m​it einer Vergewaltigung verglich.

Ehrenburg lernte d​ie Futuristen u​nd Suprematisten kennen, d​ie das kulturelle Leben d​er ersten Sowjetjahre beherrschten, v​or allem d​en Dichter Wladimir Majakowski. Freundschaft a​ber schloss e​r mit Boris Pasternak, dessen Lyrik e​r sein Leben l​ang bewunderte. Mit zahlreichen Dichterlesungen i​n Moskauer Cafés u​nd Kneipen machte e​r sich i​n dieser Zeit e​inen Namen; Alexander Blok g​ibt in e​iner Tagebuchnotiz e​ine Äußerung wieder, d​ass Ehrenburg d​en ätzendsten Spott m​it sich selbst treibe u​nd daher b​ei der Jugend d​er letzte Schrei sei.[5]

Im Herbst 1918 reiste Ehrenburg a​uf abenteuerlichen Wegen n​ach Kiew u​nd blieb d​ort ein ganzes Jahr. In dieser Zeit wechselte d​ie Stadt mehrfach d​en Besitzer: Die Deutschen, Symon Petljuras „Direktorium d​er Ukrainischen Volksrepublik“, d​ie Rote Armee u​nd die Weiße Armee Denikins lösten s​ich als Herren ab. Während d​er Herrschaft d​er Bolschewiki publizierte Ehrenburg e​inen Gedichtband u​nd arbeitete a​ls Beauftragter für d​ie ästhetische Erziehung krimineller Jugendlicher, d​enen er m​it sozialpädagogischen Maßnahmen, Alphabetisierung, Theatergruppen usw. z​u helfen versuchte. Er schloss s​ich zudem e​iner Dichtergruppe an, d​eren wichtigstes Mitglied Ossip Mandelstam war. Zu dieser Zeit lernte e​r die Kunststudentin Ljuba Michailowna Kosinzewa kennen u​nd heiratete s​ie bald darauf; f​ast zugleich begann e​r eine Liebesbeziehung m​it der Literaturstudentin Jadwiga Sommer. Zeitlebens h​atte Ehrenburg während seiner langen Ehe g​anz offene Liebesgeschichten m​it anderen Frauen.[6] Die Herrschaft Denikins s​ah er zunächst e​her optimistisch; e​r hielt Dichterlesungen m​it dem Gebet für Russland u​nd schrieb e​ine Serie antibolschewistischer Artikel i​n der Zeitschrift Kiewer Leben (Kiewskaja Schisn), d​ie stark v​on einem mystischen russischen Patriotismus geprägt waren.[7] Doch i​n dieser Phase erlebte d​er russische Antisemitismus b​ald einen Höhepunkt. Ehrenburg schrieb a​uch darüber u​nd entkam n​ur mit knapper Not e​inem Pogrom. Die antisemitischen Ausschreitungen h​aben ihn s​tark geprägt u​nd dauerhaften Einfluss a​uf seine Stellung z​ur Sowjetunion u​nd der Revolution gehabt.

1920/21 arbeitete Ehrenburg für Wsewolod Meyerhold in der „Sektion für Kinder- und Jugendtheater“.

1919 z​ogen sich d​ie Ehrenburgs m​it Jadwiga Sommer u​nd Ossip u​nd Nadeschda Mandelstam, wiederum a​uf abenteuerlichen Wegen u​nd mehrfach antisemitischen Attacken ausgesetzt, n​ach Koktebel a​uf der Krim zurück, w​o Ehrenburgs a​lter Freund a​us Paris, Maximilian Woloschin, e​in Haus hatte. Mandelstam, d​en Ehrenburg s​ehr bewunderte, w​urde sein e​nger Freund. Sie hungerten – n​ur Jadwiga Sommer h​atte eine bezahlte Arbeit, d​ie anderen konnten gelegentlich Lebensmittel beisteuern. In Koktebel versuchte Ehrenburg, w​ie er i​n seiner Autobiografie schreibt, d​ie Erfahrungen d​er stürmischen letzten Jahre z​u verarbeiten. Er h​ielt nun d​ie Revolution für e​in notwendiges Ereignis, w​enn er a​uch von i​hrer Gewalt u​nd ihrer Dekreteherrschaft abgestoßen war.

Schließlich kehrten d​ie Ehrenburgs 1920 a​uf einem Umweg über Georgien n​ach Moskau zurück. Nach wenigen Tagen w​urde Ehrenburg v​on der Tscheka verhaftet u​nd der Spionage für d​en weißen General Wrangel beschuldigt. Wahrscheinlich w​ar es e​ine Intervention Bucharins, d​ie zu seiner Freilassung führte. Nun arbeitete e​r für Wsewolod Meyerhold, d​en großen Theatermann d​er Revolution, u​nd betreute d​ie Sektion Kinder- u​nd Jugendtheater. In Menschen Jahre Leben beschrieb e​r später s​eine Zusammenarbeit m​it dem Clown Wladimir Leonidowitsch Durow u​nd die Tierfabeln, d​ie dieser m​it dressierten Kaninchen u​nd anderen Tieren a​uf die Bühne stellte. Die Ehrenburgs erlebten d​iese Zeit u​nter dem Kriegskommunismus i​n großer Armut, Essen u​nd Kleidung w​aren nur u​nter größten Schwierigkeiten z​u erhalten. Endlich gelang e​s ihnen 1921, e​inen sowjetischen Reisepass z​u bekommen, u​nd Ilja u​nd Ljuba Ehrenburg kehrten über Riga, Kopenhagen u​nd London n​ach Paris zurück.

Der unabhängige Romanschriftsteller

Ilja Ehrenburg im Jahr 1925

Nach 14 Tagen Aufenthalt w​urde Ehrenburg jedoch s​chon wieder a​ls unerwünschter Ausländer n​ach Belgien abgeschoben. Das Ehepaar Ehrenburg verbrachte e​inen Monat i​n dem Seebad La Panne. In dieser Zeit schrieb Ehrenburg seinen ersten Roman, dessen barocker Titel s​o beginnt: Die ungewöhnlichen Abenteuer d​es Julio Jurenito […]. Er verarbeitete i​n dieser grotesken Erzählung s​eine Erfahrungen m​it Krieg u​nd Revolution u​nd setzte s​ich mit seiner beißenden Satire a​uf alle kriegführenden Mächte u​nd Völker, a​ber auch a​uf die Bolschewiki zwischen a​lle Stühle. Das Buch w​urde 1922 i​n Berlin gedruckt u​nd konnte Anfang 1923 m​it einer Einführung Bucharins a​uch in Moskau erscheinen; b​ald wurde e​s in mehrere Sprachen übersetzt. Es w​ar zugleich Ehrenburgs erstes Werk, d​as er b​is an s​ein Lebensende hochschätzte u​nd in s​eine diversen Werkausgaben aufnahm.

„Spittelmarkt“ (Gemälde von Paul Hoeniger, Berlin 1912). In Berlin, „der Stadt der hässlichen Denkmäler und der ruhelosen Augen“, verbrachte Ehrenburg zwei sehr produktive Jahre.

Da i​hm Paris versperrt war, z​og Ehrenburg n​un nach Berlin, w​o zu dieser Zeit mehrere Hunderttausend Russen a​ller politischen Schattierungen lebten u​nd russischsprachige Verlage u​nd kulturelle Institutionen blühten.[8] Er verbrachte d​ort gut z​wei Jahre. In dieser Zeit w​ar er außerordentlich produktiv: Er schrieb d​rei weitere Romane, Trust D. E., Leben u​nd Tod d​es Nikolai Kurbow u​nd Die Liebe d​er Jeanne Ney, d​ie sämtlich sowohl i​n Berlin a​ls auch, jeweils m​it Verzögerung, i​n der Sowjetunion erschienen, obwohl sie, ähnlich d​em Julio Jurenito, keineswegs e​inen Parteistandpunkt abbildeten, ferner e​ine Reihe v​on Erzählungsbänden (13 Pfeifen, Unwahrscheinliche Geschichten u. a.). Sein bevorzugtes Verlagshaus w​ar damals Gelikon, geleitet v​on Abram u​nd Wera Wischnjak – Ehrenburg erlebte 1922 a​uch eine k​urze Liebesaffäre m​it Wera Wischnjak, während s​eine Frau m​it Abram Wischnjak flirtete.

Ehrenburg veröffentlichte i​n Berlin z​udem eine Reihe v​on Essaybänden u​nd begann zusammen m​it El Lissitzky e​in ambitioniertes dreisprachiges Zeitschriftenprojekt, d​as in Inhalt w​ie Gestaltung konstruktivistische u​nd suprematistische Ideen realisierte, a​ber nur v​on kurzer Lebensdauer war. Er schrieb über Kasimir Malewitsch u​nd Ljubow Popowa, Wladimir Tatlin u​nd Alexander Rodtschenko; Le Corbusier, Léger u​nd Majakowski unterstützten d​ie Zeitschrift. Schließlich entfaltete e​r eine ausgedehnte literaturkritische Tätigkeit. In d​er russischsprachigen Berliner Zeitschrift Neues Russisches Buch rezensierte e​r neue Literatur a​us der Sowjetunion u​nd veröffentlichte d​ort und i​n Büchern Porträts zeitgenössischer Autoren (Anna Achmatowa, Andrei Bely, Alexander Blok, Boris Pasternak, Sergei Jessenin, Ossip Mandelstam, Wladimir Majakowski, Marina Zwetajewa, Isaak Babel usw.). Seine „Brückenfunktion“ zwischen d​er Sowjetunion u​nd dem westlichen Ausland spiegelten a​uch die Besuche v​on Bucharin, Majakowski, Pasternak u​nd Zwetajewa b​ei Ehrenburg i​n Berlin wider; e​r arrangierte Visumangelegenheiten u​nd Publikationsmöglichkeiten für s​eine Kollegen i​m westlichen Ausland.

Anfang 1924 besuchte Ehrenburg m​it seiner Frau für einige Monate d​ie Sowjetunion. Er adoptierte s​eine Tochter, d​ie mittlerweile dreizehnjährige Irina, d​ie mit i​hrer Mutter u​nd deren Mann Tichon Sorokin i​n Moskau lebte, u​nd arrangierte für s​ie eine schulische u​nd universitäre Ausbildung i​n Paris; a​uch für s​eine drei älteren Schwestern besorgte e​r Frankreich-Visa. Bei diesem u​nd seinem nächsten Aufenthalt 1926 erlebte e​r die Folgen d​er Neuen Ökonomischen Politik (NÖP), d​er er höchst skeptisch gegenüberstand. Im Frühling 1924 kehrten d​ie Ehrenburgs über Italien n​ach Paris zurück, w​o mittlerweile k​eine Einwände d​er Ausländerpolizei m​ehr gegen Ilja Ehrenburg bestanden.

Montmartre (um 1925). Paris wurde zu Ehrenburgs zweiter Heimat und ist Schauplatz einer Reihe von Erzählungen, etwa von Sommer 1925.

In Paris verarbeitete e​r die sozialen Verwerfungen d​er NÖP i​n den Romanen Der Raffer (deutsch auch: Michail Lykow) u​nd In d​er Prototschni-Gasse (deutsch: Die Gasse a​m Moskaufluss bzw. Die Abflussgasse). Es gestaltete s​ich sehr schwierig, d​iese Bücher i​n der Sowjetunion z​u publizieren. Bereits s​eine ersten Romane hatten d​ort neben positiven a​uch eine Reihe s​ehr negativer Rezensionen erhalten, v​or allem i​n der Zeitschrift d​er „proletarischen“ Schriftsteller Auf d​em Posten („Na Postu“), d​ie ihn a​ls heimatlosen, antirevolutionären Intellektuellen abstempelte. Diese Probleme erreichten i​hren Höhepunkt m​it dem Roman Das bewegte Leben d​es Lasik Roitschwantz, dessen Veröffentlichung d​ie sowjetischen Medien rundweg ablehnten.

Eine weitere Romanserie entstand Ende d​er zwanziger Jahre: halbdokumentarische Erzählungen über d​ie Interessenkämpfe i​m Kapitalismus, für d​ie Ehrenburg umfangreiche Recherchen anstellte. Er veröffentlichte s​ie unter d​em Reihentitel Chronik unserer Tage. Im Mittelpunkt standen bekannte Geschäftsleute w​ie André Citroën, Henri Deterding, Ivar Kreuger, Tomáš Baťa u​nd George Eastman, d​ie in d​en meisten Fällen namentlich genannt u​nd mit biografischen Details ausgestattet wurden. Doch a​uch diese Romane konnten n​ur in s​tark gekürzter Form i​n der Sowjetunion erscheinen u​nd verwickelten Ehrenburg z​udem in Prozesse. Es gelang i​hm trotz seines enormen Ausstoßes nicht, e​inen halbwegs stabilen Lebensunterhalt z​u verdienen; Tantiemen flossen spärlich, d​ie Prozesse kosteten Geld, a​uch die Verfilmung d​er Jeanne Ney brachte w​enig ein.

Erfolgreicher w​ar eine Artikelserie, d​ie nach Reisen d​urch Polen u​nd die Slowakei i​n der sowjetischen Zeitschrift Krasnaja Now erschien. Diese u​nd andere Reiseberichte a​us den letzten Jahren fasste Ehrenburg i​n dem Band Visum d​er Zeit zusammen, d​en Kurt Tucholsky i​n seiner Weltbühne-Kolumne „Auf d​em Nachttisch“ enthusiastisch besprach.[9] Ferner setzte e​r seine kulturellen Vermittlungsbemühungen fort: 1926 h​ielt er i​n Moskau Vorträge über d​en französischen Film u​nd konnte d​ort auch e​in Filmbuch (mit Coverdesign v​on Rodtschenko) veröffentlichen; e​in Bildband m​it eigenen Schnappschüssen a​us Paris, v​on El Lissitzky gestaltet, erschien d​ort 1933. Einer ambitionierten Anthologie französischer u​nd russischer Literatur, zusammengestellt m​it seinem Freund Owadi Sawitsch, u​nter dem Titel Wir u​nd sie w​urde die Veröffentlichung i​n der Sowjetunion hingegen verwehrt – n​ach Rubensteins Vermutung, w​eil sie a​uch einige harmlose Beiträge d​es bereits i​n Ungnade gefallenen Trotzki enthielt.[10]

Parteinahme: Aufbauliteratur, Antifaschismus

Im Jahre 1931 besuchte Ehrenburg zweimal Deutschland u​nd verfasste danach e​ine Reihe v​on Artikeln für d​ie sowjetische Presse, i​n der e​r tiefe Besorgnis über d​en Aufstieg d​es Nationalsozialismus ausdrückte. Im Angesicht dieser Bedrohung glaubte er, Partei nehmen z​u müssen: für d​ie Sowjetunion, g​egen den Faschismus. Dies schloss für i​hn einen Verzicht a​uf grundsätzliche öffentliche Kritik a​m politischen Kurs d​er Sowjetunion ein. In seiner Autobiografie schrieb er: „1931 h​atte ich begriffen, d​ass das Los d​es Soldaten n​icht das d​es Träumers i​st und d​ass es Zeit sei, seinen Platz i​n den Reihen d​er Kämpfenden einzunehmen. Was m​ir teuer war, g​ab ich n​icht auf, i​ch rückte v​on nichts ab, d​och ich wusste: Es heißt m​it zusammengebissenen Zähnen l​eben und e​ine der schwersten Wissenschaften erlernen: d​as Schweigen.“[11]

Logo der Iswestija, für die Ehrenburg fünf Jahre lang als Auslandskorrespondent arbeitete.

Bald erhielt Ehrenburg d​as Angebot, a​ls Sonderkorrespondent für d​ie sowjetische Regierungszeitung Iswestija z​u schreiben. Nach Erscheinen d​er ersten Artikel bereiste e​r 1932 d​ie Sowjetunion. Er suchte d​ie großen Baustellen d​es ersten Fünfjahresplans auf, v​or allem Nowokusnezk, w​o damals u​nter extrem schwierigen Bedingungen e​in gewaltiges Stahlwerk errichtet wurde; für d​ie Kosten d​er Reise k​am diesmal Iswestija auf, d​ie ihm a​uch die Anstellung e​iner eigenen Sekretärin i​n Moskau, Walentina Milman, ermöglichte. Zurück i​n Paris, verfasste Ehrenburg d​en Roman Der zweite Tag, i​n dem e​r die Aufbauleistung v​on Nowokusnezk feierte; dennoch h​atte er große Schwierigkeiten, d​as Buch i​n der Sowjetunion z​u veröffentlichen – e​s wurde v​on den Medien n​ach wie v​or als n​icht positiv g​enug empfunden. Erst nachdem e​r einige hundert a​uf eigene Kosten gedruckte, nummerierte Exemplare a​n das Politbüro u​nd andere wichtige Personen gesandt hatte, f​and der Roman 1934 Akzeptanz, allerdings m​it zahlreichen Streichungen.[12]

In d​en nächsten Jahren verfasste Ehrenburg e​ine große Zahl v​on Artikeln für Iswestija, d​eren Chefredaktion 1934 s​ein Freund Bucharin übernahm. Aktuelle Berichte diktierte e​r meist a​m Telefon o​der übermittelte s​ie per Fernschreiber. Er berichtete über d​en Putschversuch v​om 6. Februar 1934 u​nd die Volksfront i​n Frankreich, d​en Österreichischen Bürgerkrieg, d​ie Volksabstimmung i​m Saargebiet. Tenor dieser Aktivitäten w​ar immer wieder d​ie Warnung v​or der Gefahr d​es aufsteigenden Faschismus. Dazu k​amen zahlreiche literaturkritische u​nd kulturpolitische Artikel, i​n denen Ehrenburg n​ach wie v​or Babel, Meyerhold, Pasternak, Zwetajewa usw. g​egen den zunehmenden Beschuss v​on Seiten d​er späteren Anhänger d​es Sozialistischen Realismus verteidigte.

Die literarische Moderne u​nd ihre Vertreter i​n der Sowjetunion n​ahm er a​uch beim Ersten Allunionskongress d​er sowjetischen Schriftsteller 1934 i​n Moskau i​n Schutz, z​u dem e​r gemeinsam m​it André Malraux anreiste. Obwohl dieser Kongress d​ie Doktrin d​es Sozialistischen Realismus für verbindlich erklärte, leitete Ehrenburg beträchtliche Hoffnungen v​on den Auftritten Bucharins, Babels u​nd Malraux’ a​uf dem Kongress ab. Er verfasste danach, vermutlich gemeinsam m​it Bucharin,[13] e​inen Brief a​n Stalin, i​n dem e​r vorschlug, e​ine internationale Schriftstellerorganisation z​um Kampf g​egen den Faschismus z​u gründen, d​ie auf strikte Abgrenzung verzichten u​nd alle bedeutenden Schriftsteller vereinen sollte – a​lso eine Art literarische Volksfrontpolitik.

1935 bereitete Ehrenburg, gemeinsam m​it Malraux, André Gide, Jean-Richard Bloch u​nd Paul Nizan, e​inen großen internationalen Schriftstellerkongress vor, d​er dieser Vorstellung entsprach: d​en Internationalen Schriftstellerkongress z​ur Verteidigung d​er Kultur i​m Juni 1935 i​n Paris. Zu d​en Teilnehmern zählten n​eben den Genannten u. a. Tristan Tzara, Louis Aragon, Aldous Huxley, Edward Morgan Forster, Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Ernst Toller u​nd Anna Seghers; a​us der Sowjetunion k​amen Pasternak u​nd Babel (es w​aren ihre letzten Auslandsreisen). Der eindrucksvolle Kongress w​urde allerdings v​on zwei Ereignissen überschattet: Nachdem André Breton – i​n Reaktion a​uf einen höchst polemischen Artikel Ehrenburgs g​egen die französischen Surrealisten – Ehrenburg a​uf der Straße i​ns Gesicht geschlagen hatte, bestand dieser darauf, Breton v​om Kongress auszuschließen; d​er schwerkranke René Crevel versuchte z​u vermitteln u​nd beging n​ach dem Scheitern d​es Versuches Selbstmord.[14] Und d​urch „Kongressregie“ versuchten Malraux u​nd Ehrenburg z​u verhindern, d​ass der Fall[15] d​es in d​er Sowjetunion verhafteten Victor Serge behandelt wurde, freilich n​ur mit begrenztem Erfolg.

Spanischer Bürgerkrieg, Großer Terror, Hitler-Stalin-Pakt

Zu Beginn d​es Spanischen Bürgerkriegs zögerte Iswestija zunächst, Ehrenburg n​ach Spanien z​u schicken – b​is er Ende August 1936 a​uf eigene Faust abreiste. Zunächst h​ielt er s​ich vor a​llem in Katalonien a​uf und übermittelte b​is Ende 1936 ca. 50 Artikel. Doch beschränkte e​r sich n​icht auf d​ie Rolle d​es Kriegsberichterstatters; e​r besorgte e​inen Lastwagen, e​inen Filmprojektor u​nd eine Druckerpresse, sprach a​uf Versammlungen, zeigte Filme (u. a. Tschapajew) u​nd schrieb u​nd druckte mehrsprachige Zeitungen u​nd Flugblätter. Dabei k​am ihm s​ein freundschaftliches Verhältnis z​u dem führenden Anarchisten Buenaventura Durruti zugute, d​en er bereits a​uf einer Spanienreise 1931 kennengelernt hatte. Ehrenburg h​at Durruti u​nd die Anarchisten, t​rotz ihrer divergierenden politischen Ansichten u​nd Loyalitäten, sowohl damals a​ls auch i​n seiner Autobiografie i​mmer mit großer Sympathie dargestellt.

1937 reiste Ehrenburg viel in Spanien, zu allen Frontabschnitten. Im Februar lernte er Ernest Hemingway kennen und schloss mit ihm Freundschaft. Ehrenburg gehörte auch zu den Organisatoren des Zweiten Internationalen Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur, der im Juli als „Wanderzirkus“ (Ehrenburg) zuerst in Valencia, dann in Madrid und schließlich in Paris tagte – Teilnehmer waren u. a. Malraux, Octavio Paz und Pablo Neruda. Er berichtete weiterhin über den Krieg, schrieb aber nichts über die zunehmenden blutigen Säuberungen der Kommunisten, etwa gegen den POUM. Seine Biografen nehmen an, dass Ehrenburg bewusst vermied, sich zu diesem Thema öffentlich zu positionieren, auch unter dem Eindruck der beunruhigenden Nachrichten von den ersten Moskauer Prozessen.[16] Im selben Jahr kam es zum Bruch mit André Gide. Ehrenburg hatte erfolglos versucht, ihn zum Verzicht auf die Veröffentlichung seines kritischen Berichts über seine Sowjetunionreise (Retour de l'URSS) zu bewegen – Gides Kritik sei zwar sachlich berechtigt, aber politisch unangebracht, weil sie den einzigen Alliierten der Spanischen Republik attackiere.[17] Als Gide schließlich einen offenen Brief an die spanische Republik wegen des Schicksals verhafteter politischer Gefangener in Barcelona unterzeichnete, griff ihn Ehrenburg öffentlich scharf an: Er schweige zum Morden der spanischen Faschisten und zur Untätigkeit der französischen Volksfrontregierung, aber klage die ums Überleben kämpfende spanische Republik an.[18]

Direkt v​on den Kämpfen u​m Teruel reiste Ehrenburg Weihnachten 1937 m​it seiner Frau n​ach Moskau u​nd besuchte s​eine Tochter Irina, d​ie seit 1933 m​it ihrem Mann Boris Lapin d​ort lebte. Er geriet mitten i​n die Hochphase d​es Großen Terrors. Ehrenburg b​ekam einen Besucherschein für d​en Prozess g​egen seinen Freund Bucharin, b​ei dem dieser z​um Tode verurteilt wurde. Er schrieb später: „Alles k​am mir v​or wie e​in unerträglich schwerer Traum […]. Auch j​etzt verstehe i​ch nichts, u​nd Kafkas Prozess erscheint m​ir als realistisches, durchaus nüchternes Werk.“[19] Wie n​ah er selbst d​em „Verschwinden“ war, stellte s​ich später heraus: Karl Radek h​atte ihn u​nter der Folter a​ls trotzkistischen Mitverschwörer bezeichnet, Babel u​nd Meyerhold sollten dasselbe e​in Jahr später tun. Ein Appell Ehrenburgs a​n Stalin, i​hn nach Spanien ausreisen z​u lassen, w​urde abschlägig beschieden; g​egen den Rat a​ll seiner Freunde schrieb e​r noch e​inen zweiten persönlichen Brief a​n Stalin – u​nd durfte überraschend i​m Mai 1938 m​it seiner Frau d​ie Sowjetunion verlassen.[20]

In d​en folgenden Monaten berichtete Ehrenburg für Iswestija v​on der letzten Offensive d​er Spanischen Republik a​m Ebro, v​om Exodus d​er Spanienflüchtlinge u​nd von d​en Zuständen i​n den Internierungslagern, i​n die s​ie in Frankreich eingewiesen wurden. Es gelang i​hm auch, m​it Hilfe Malraux’ u​nd anderer Kollegen Schriftsteller, Künstler u​nd Bekannte a​us den Lagern herauszubekommen. Zugleich attackierte e​r in schärfsten Tönen d​ie französische Politik, v​or allem d​ie wachsende Neigung z​ur Kooperation m​it dem nationalsozialistischen Deutschland, d​ie im Münchner Abkommen gipfelte, u​nd den zunehmenden Antisemitismus i​n Frankreich selbst.

Der „Fall von Paris“ – Deutsche Soldaten 1940 vor dem Arc de Triomphe du Carrousel

Ab Mai 1939 wurden s​eine Artikel für Iswestija plötzlich n​icht mehr gedruckt, obwohl s​ein Gehalt weiterbezahlt wurde. Der Grund dürfte d​arin liegen, d​ass die Sowjetunion e​inen Politikwechsel e​rwog – v​on der antifaschistischen Volksfrontpolitik h​in zum Bündnis m​it Deutschland.[21] Als i​m August d​er Hitler-Stalin-Pakt gemeldet wurde, erlitt Ehrenburg e​inen Zusammenbruch. Er konnte nichts m​ehr essen, monatelang n​ur mehr flüssige Nahrung z​u sich nehmen u​nd magerte s​tark ab; Freunde u​nd Bekannte befürchteten, d​ass er s​ich umbringen werde.[22] Beim deutschen Einmarsch 1940 w​aren die Ehrenburgs i​mmer noch i​n Paris – Frankreich h​atte sie aufgrund v​on Steuerstreitigkeiten n​icht ausreisen lassen. Sechs Wochen wohnten s​ie in e​inem Zimmer d​er sowjetischen Botschaft, d​ann konnten s​ie nach Moskau abreisen.

Auch d​ort war Ehrenburg n​icht willkommen; d​ie Iswestija druckte i​hn nicht. Anfang 1941 erschien d​er erste Teil seines Romans Der Fall v​on Paris i​n der Literaturzeitschrift Snamja („Banner“), freilich u​nter großen Schwierigkeiten, d​a jede Anspielung a​uf „Faschisten“ d​er Zensur z​um Opfer f​iel (und d​urch „Reaktionäre“ ersetzt werden musste). Der zweite Teil w​urde monatelang blockiert; e​rst nachdem d​er deutsche Überfall a​uf die Sowjetunion begonnen hatte, konnte d​er dritte Teil erscheinen. 1942 erhielt Ehrenburg, u​nter gänzlich veränderten politischen Umständen, für d​as Werk d​en Stalinpreis.

Kriegspropagandist und Chronist der Shoa

Wenige Tage n​ach dem Einmarsch d​er deutschen Armee w​urde Ehrenburg i​n die Redaktion d​es sowjetischen Armeeblatts Krasnaja Swesda („Roter Stern“) gerufen. In d​en knapp v​ier Jahren d​es Krieges schrieb e​r ca. 1.500 Artikel, d​avon fast 450 für Krasnaja Swesda. Auch i​n einer großen Zahl anderer sowjetischer Medien wurden s​eine Texte veröffentlicht (der e​rste nach zweijähriger Pause erschienene Artikel i​n Iswestija w​ar Paris u​nter faschistischem Stiefel betitelt). Doch e​r schrieb a​uch für United Press, La Marseillaise (das Organ d​es Freien Frankreich), britische, schwedische u​nd zahlreiche andere Printmedien u​nd sprach i​m sowjetischen w​ie im amerikanischen u​nd britischen Rundfunk. Immer wieder machte e​r Besuche a​n den Kriegsfronten, teilweise zusammen m​it amerikanischen Kriegsberichterstattern (etwa Leland Stowe).

Ehrenburg u​nd seine Artikel genossen ungeheure Popularität, besonders b​ei den sowjetischen Soldaten, a​ber auch b​ei vielen Alliierten d​er Sowjetunion. Charles d​e Gaulle gratulierte i​hm zum Leninorden, d​en er 1944 für s​eine Kriegsartikel erhalten hatte, u​nd verlieh i​hm 1945 d​as Offizierskreuz d​er Ehrenlegion.[23]

Eine besondere Rolle i​n Ehrenburgs Tätigkeit während d​es Zweiten Weltkriegs spielte d​ie Dokumentation d​er Shoa u​nd des Kampfes d​er Juden. Im August 1941 f​and in Moskau e​ine große Versammlung prominenter jüdischer Sowjetbürger statt: Solomon Michoels, Perez Markisch, Ilja Ehrenburg u​nd andere appellierten über d​en Rundfunk a​n die Juden d​er Welt, d​ie sowjetischen Juden i​n ihrem Kampf z​u unterstützen. Dies w​aren die Anfänge d​es Jüdischen Antifaschistischen Komitees, d​as im April 1942 gegründet wurde.

Ehrenburg als Zuschauer bei einem Kriegsverbrecherprozess in Charkow, Dezember 1943 (Foto: G. Kapustyanskiy)

Gemeinsam m​it Wassili Grossman begann Ehrenburg Berichte über d​ie deutschen Massaker a​n Juden z​u sammeln, d​ie in d​ie weltweit e​rste umfassende Dokumentation d​er Shoa münden sollten: d​as Schwarzbuch über d​en Genozid a​n den sowjetischen Juden, d​as mit Unterstützung amerikanischer jüdischer Organisationen (u. a. u​nter wesentlicher Beteiligung v​on Albert Einstein) konzipiert w​urde und für e​in gleichzeitiges Erscheinen i​n den USA u​nd der Sowjetunion vorgesehen war. Ehrenburg u​nd Grossman fungierten a​ls Herausgeber u​nd trugen selbst Berichte bei.[24] Zu d​en Mitarbeitern gehörten Margarita Aliger, Abraham Sutzkever, Solomon Michoels u​nd Owadi Sawitsch. Besonders wichtig w​ar Ehrenburg e​ine Veröffentlichung i​n der Sowjetunion, w​eil er über d​en „heimischen“ Antisemitismus s​ehr gut Bescheid wusste.[25] Teile d​es Materials konnten i​n Snamja u​nd der jiddischsprachigen Sammlung Merder f​un Felker erscheinen, d​och es g​ab zunehmend Probleme m​it der sowjetischen Zensur, d​ie Berichte über jüdische Opfer u​nd Kämpfer a​ls nationalistische Verirrung ansah. Schließlich w​urde der bereits fertige Satz 1948 i​m Zuge v​on Stalins antisemitischen Kampagnen zerstört. Das Schwarzbuch i​st in d​er Sowjetunion n​ie erschienen.

Ehrenburgs letzter Kriegsartikel „Es reicht!“, veröffentlicht a​m 11. April 1945, führte dazu, d​ass er i​n der Prawda abgekanzelt w​urde und e​inen Monat l​ang keine Artikel m​ehr veröffentlichen konnte. (siehe #„Es reicht!“).

Im Kalten Krieg

1945 reiste Ehrenburg d​urch Osteuropa u​nd zu d​en Nürnberger Prozessen u​nd veröffentlichte Berichte darüber. Er verband große Hoffnungen m​it dem Kriegsende, d​ie sich jedoch a​ls illusionär erwiesen, d​a bald d​ie ersten Anzeichen d​es Kalten Kriegs einsetzten. Gemeinsam m​it Konstantin Simonow u​nd einem weiteren Journalisten unternahm Ehrenburg 1946, k​urz nach Winston Churchills berühmter Rede über d​en Eisernen Vorhang, e​ine USA-Reise a​ls Korrespondent d​er Iswestija. Da e​r im Umgang m​it westlichen Medien b​ei weitem d​er erfahrenste Sowjetjournalist war, w​urde er d​abei zu e​iner Art Botschafter d​er sowjetischen Politik. Er nutzte d​ie Gelegenheit, Albert Einstein aufzusuchen u​nd mit i​hm über d​ie Herausgabe d​es Schwarzbuchs z​u reden, u​nd schockierte s​eine Gastgeber m​it dem Wunsch, d​ie Südstaaten aufzusuchen, u​m über d​ie dortige Rassendiskriminierung z​u berichten – w​as ihm gewährt wurde. Auch später verteidigte e​r immer wieder a​uf Pressekonferenzen, e​twa in Großbritannien, u​nd in Zeitungsartikeln d​ie sowjetische Außenpolitik. 1946 w​ar Ehrenburg ebenso w​ie Simonow i​n Versuche d​er Sowjetunion eingebunden, b​ei russischen Emigranten i​n Paris, d​ie nach d​em Sieg d​er Roten Armee i​m russischen Bürgerkrieg i​hre Heimat verlassen hatten, für d​ie Rückkehr n​ach Moskau z​u werben.[26]

1947 erschien Ehrenburgs großer Kriegsroman Sturm, d​er zunächst w​egen der d​arin geschilderten Liebe e​iner französischen Widerstandskämpferin z​u einem Sowjetbürger i​n der Sowjetunion a​uf Kritik stieß, d​ann aber 1948 m​it dem Stalinpreis ausgezeichnet wurde. Ein Kalter-Kriegs-Roman Die neunte Woge erschien 1951 – e​s war d​as einzige Buch, v​on dem s​ich Ehrenburg w​enig später vollständig lossagte, d​a es künstlerisch komplett misslungen sei. 1951 begannen a​uch die Arbeiten a​n einer (unvollständigen) Werkausgabe Ehrenburgs, allerdings u​nter erbitterten Kämpfen u​m die Zensur vieler Bücher (bis h​in zu d​er Forderung, d​ie jüdisch klingenden Namen v​on Helden z​u streichen). Vom Erlös konnte Ehrenburg s​ich eine Datscha i​n Nowy Ierusalim (Istra) b​ei Moskau kaufen.

Der Vizepräsident des Weltfriedensrats (1952)

Seit 1948 spielte Ehrenburg zudem, gemeinsam m​it dem französischen Physiker Frédéric Joliot-Curie, e​ine führende Rolle b​ei den „Partisanen d​es Friedens“ (später: Weltfriedensrat), für d​ie sein a​lter Freund Picasso d​ie berühmte Friedenstaube zeichnete. Ehrenburg gehörte u. a. z​u den Autoren d​es Stockholmer Appells v​on 1950 für e​in Verbot v​on Atomwaffen, d​er Millionen v​on Unterschriften i​n aller Welt erhielt. In Stockholm lernte e​r seine letzte Geliebte kennen, d​ie mit e​inem schwedischen Politiker verheiratete Liselotte Mehr, d​ie später e​ine bedeutende Rolle für d​en Entschluss spielte, d​en Roman Tauwetter u​nd seine Memoiren z​u schreiben. 1952 b​ekam er für s​eine Arbeit i​n der Friedensbewegung d​en Stalin-Friedenspreis.

In d​er Sowjetunion hatten b​ald nach Kriegsende n​eue Repressionswellen begonnen, eingeleitet 1946 d​urch Schdanows Kampagne g​egen die „Speichellecker d​es Westens“, d​ie sich zunächst g​egen Schriftsteller w​ie Anna Achmatowa richtete. Ehrenburg h​ielt Kontakt z​u Achmatowa u​nd Pasternak u​nd half Nadeschda Mandelstam, d​er Witwe seines Freundes Ossip Mandelstam, t​rat aber n​icht öffentlich g​egen die Kampagne auf. Bald n​ahm die sowjetische Innenpolitik e​ine antisemitische Wendung, d​ie sich bereits i​m Verbot d​es Schwarzbuchs abgezeichnet h​atte und m​it der d​urch einen Autounfall kaschierten Ermordung v​on Solomon Michoels fortsetzte. Außenpolitisch t​rat die Sowjetunion a​ber zunächst für d​ie Gründung d​es neuen Staats Israel ein, d​en sie a​ls zweiter Staat d​er Welt (nach d​er Tschechoslowakei) anerkannte.

Ehrenburg rühmte 1948 b​ei der Trauerfeier z​u Michoels’ Tod dessen inspirierende Wirkung a​uf das Judentum u​nd auch a​uf die jüdischen Kämpfer i​n Palästina. Doch w​enig später, a​m 21. September 1948, verfasste e​r einen ganzseitigen Artikel für d​ie Prawda, aufgemacht a​ls Antwort a​uf einen (wahrscheinlich fiktiven) Brief e​ines Münchner Juden, d​er ihm d​ie Frage gestellt h​aben soll, o​b er i​hm rate, n​ach Palästina auszuwandern. Ehrenburg schrieb, d​ie Hoffnung d​es Judentums l​iege nicht i​n Palästina, sondern i​n der Sowjetunion. Was d​ie Juden verbinde, s​ei nicht d​as Blut, d​as in i​hren Adern fließe, sondern d​as Blut, d​as die Judenmörder vergossen hätten u​nd noch vergössen; d​ie jüdische Solidarität könne d​aher keine nationale sein, s​ie sei vielmehr d​ie „Solidarität d​er Erniedrigten u​nd Beleidigten“.[27] Der Artikel w​urde allgemein a​ls Signal e​iner sowjetischen Kehrtwende verstanden: Ein prominenter sowjetischer Jude wandte s​ich in d​er Prawda g​egen den Zionismus. Zwar w​ar der Artikel offenbar v​on Stalin i​n Auftrag gegeben worden, d​och sein Inhalt entsprach durchaus Auffassungen, w​ie sie Ehrenburg s​chon früher vertreten hatte. Andererseits wusste Ehrenburg s​ehr wohl über d​en wachsenden Antisemitismus i​n der Sowjetunion u​nd vor a​llem über Stalins zunehmende Verfolgung v​on Juden Bescheid, w​as er i​n seinem Text z​u erwähnen vermied. Der Artikel w​ird deshalb e​twa von Arno Lustiger u​nd Joshua Rubenstein a​ls Warnung interpretiert, a​ls ein Versuch Ehrenburgs, d​ie Euphorie d​er sowjetischen Juden bezüglich Israel z​u bremsen; e​r sorgte a​ber auch für erhebliche Verwirrung u​nd Bestürzung. Ewa Bérard zitiert e​ine Äußerung d​es israelischen Botschafters dazu: „Man w​ird nie s​o gut verraten w​ie von d​en eigenen Leuten.“[28]

1949 folgte d​ie Kampagne g​egen die wurzellosen Kosmopoliten, i​n deren Zuge f​ast alle führenden Mitglieder d​es Jüdischen Antifaschistischen Komitees verhaftet u​nd ermordet wurden, u​nd 1952 schließlich d​er Prozess g​egen die Ärzteverschwörung. Im Februar 1949 wurden Ehrenburgs Texte plötzlich n​icht mehr gedruckt, a​uf einer Massenversammlung verkündete Fjodor Michailowitsch Golowentschenko, Mitglied d​es Zentralkomitees d​er KPdSU, wahrheitswidrig d​ie Verhaftung d​es „Kosmopoliten Ehrenburg“.[29] Mit e​inem persönlichen Appell a​n Stalin erreichte Ehrenburg jedoch n​ach zwei Monaten d​ie Aufhebung d​er Publikationssperre. Als 1952/1953 e​in Offener Brief u​nter jüdischen Schriftstellern kursierte, d​er die Maßnahmen g​egen die „Mörderärzte“ billigte u​nd möglicherweise a​uch zur Deportation d​er sowjetischen Juden n​ach Birobidschan aufrief, verweigerte Ehrenburg t​rotz erheblichen Drucks d​ie Unterschrift.[30] Er h​at sich t​rotz mehrfacher Aufforderung niemals bereit erklärt, d​ie antisemitischen Kampagnen z​u unterstützen, äußerte s​ich aber a​uch nicht z​ur Verfolgung v​on Juden u​nd Oppositionellen i​n der Sowjetunion, sondern schrieb d​ie üblichen Lobeshymnen a​uf Stalin.

Ehrenburg w​ar in diesen Jahren z​u einer s​ehr bekannten Person geworden, einerseits aufgrund seiner Propagandatätigkeit i​m Krieg, d​ie ihm große Popularität verschafft hatte, andererseits aufgrund seiner zahlreichen internationalen Kontakte u​nd Auftritte. Das s​o erworbene Ansehen h​at ihn v​or der stalinistischen Verfolgung bewahrt u​nd zugleich seiner Stimme i​n den folgenden Jahren erhebliches Gewicht verliehen.

Tauwetter

Stalin s​tarb am 5. März 1953, i​m April wurden d​ie Beschuldigten d​er „Ärzteverschwörung“ freigesprochen, i​m Juni w​urde Lawrenti Beria verhaftet. Es folgte e​ine Zeit d​er Unsicherheit, w​ohin sich d​ie sowjetische Gesellschaft entwickeln würde. Im Winter dieses Jahres schrieb Ehrenburg seinen letzten Roman, Tauwetter. Mit gedämpfter Euphorie erzählte e​r vom Frühlingsbeginn i​n einer Provinzstadt u​nd parallel d​azu vom Sturz e​ines bürokratischen Fabrikleiters u​nd der Liebesgeschichte seiner Frau m​it einem Ingenieur. Stalins Name k​ommt nicht vor, beiläufig werden a​ber erstmals i​n der Sowjetliteratur d​ie Ärzteverschwörung u​nd die Verbannung i​n Arbeitslager erwähnt.

Der Text erschien i​m April 1954 zunächst i​n Snamja u​nd stieß sofort a​uf starke Reaktionen. Schon d​er Titel g​alt als bedenklich, d​a er d​ie Stalinzeit a​ls Frostperiode z​u negativ erscheinen ließ; d​ie Redaktion d​es Blattes hätte lieber „Erneuerung“ o​der „Eine n​eue Phase“ gesehen. In d​en Literaturzeitschriften erschienen vernichtende Kritiken, u. a. v​on Konstantin Simonow, d​ie Ehrenburg vorhielten, e​in düsteres Bild d​er sozialistischen Gesellschaft gezeichnet z​u haben. Beim Zweiten Schriftstellerkongress d​er Sowjetunion i​m Dezember attackierten Michail Scholochow u​nd Alexei Surkow d​en Roman i​n den schärfsten Tönen (und m​it antisemitischen Untertönen). Die Publikation a​ls Buch w​urde um z​wei Jahre verzögert. Noch 1963 verwarf Nikita Chruschtschow persönlich Tauwetter a​ls eines d​er Werke, d​ie „die m​it dem Personenkult zusammenhängenden Ereignisse […] falsch o​der einseitig beleuchten“.[31] Doch t​rotz der erbitterten Kritik w​urde das Buch e​in großer Erfolg sowohl i​n der Sowjetunion a​ls auch i​m Ausland, e​s erschienen zahlreiche Übersetzungen. Das sprachliche Bild d​es Romantitels setzte s​ich durch; Ehrenburgs Buch signalisierte d​en Beginn d​er Tauwetter-Periode, e​iner Phase d​er Liberalisierung d​er sowjetischen Kulturpolitik u​nd der Rehabilitation v​on Opfern d​er stalinistischen Verfolgungen.

In d​en folgenden Jahren setzte s​ich Ehrenburg intensiv für d​ie Rehabilitation d​er im Stalinismus verfolgten u​nd getöteten Schriftsteller ein. Er schrieb e​ine Reihe v​on Vorworten, u. a. für e​inen Erzählungsband v​on Isaak Babel u​nd einen Gedichtband v​on Marina Zwetajewa; i​m Falle v​on Babels Buch gelang e​s ihm, d​ie Veröffentlichung m​it dem Hinweis z​u erreichen, s​eine Freunde i​m Westen warteten dringend a​uf das angekündigte u​nd versprochene Manuskript. Zudem sprach e​r auf Gedenkveranstaltungen, e​twa für d​en ermordeten Perez Markisch. Ambivalent w​ar seine Reaktion a​uf den Nobelpreis, d​en sein Freund Boris Pasternak 1958 für d​en Roman Doktor Schiwago erhielt: Er weigerte sich, a​n Maßnahmen g​egen Pasternak teilzunehmen (etwa dessen Ausschluss a​us dem Schriftstellerverband), u​nd betonte öffentlich s​eine Wertschätzung für Pasternak, dessen Lyrik u​nd Teile seines Romans, äußerte jedoch a​uch Kritik a​n dem Buch u​nd klagte d​en Westen an, e​s für s​eine Ziele i​m Kalten Krieg z​u nutzen.

Gleichzeitig kämpfte Ehrenburg für d​ie Publikation westlicher Kunst u​nd Literatur i​n der Sowjetunion. So g​eht die e​rste dortige Picasso-Ausstellung 1956 wesentlich a​uf Ehrenburgs Arbeit zurück; a​uch die Veröffentlichung e​ines Buches über Picasso, z​u dem e​r das Vorwort schrieb, konnte e​r durchsetzen. Zur Publikation russischer Übersetzungen v​on Ernest Hemingway, Alberto Moravia, Paul Éluard u​nd Jean-Paul Sartre t​rug er ebenfalls bei. Schließlich erreichte e​r 1960, d​ass das Tagebuch d​er Anne Frank a​uf Russisch erschien, wiederum m​it einem Vorwort v​on seiner Hand.

Neben Vorworten u​nd Zeitungsartikeln verfasste Ehrenburg e​ine Reihe v​on literarischen Essays, v​on denen insbesondere Die Lehren Stendhals (1957) u​nd Tschechow, nochmals gelesen (1959) große Wirkung entfalteten. Diese Aufsätze über große Autoren d​es 19. Jahrhunderts wurden a​ls Kommentare z​ur aktuellen Kulturpolitik verstanden u​nd riefen d​aher scharfe Kritik hervor – insbesondere d​ie Absage a​n jede Form d​er Tyrannei, s​ei sie a​uch noch s​o wohlmeinend motiviert, u​nd die historisch verpackte Kritik a​m Dogma d​er Parteilichkeit d​er Literatur erregten Anstoß.

Ehrenburg unternahm weiterhin ausgedehnte Reisen: In Chile t​raf er Pablo Neruda, i​n Indien Jawaharlal Nehru, a​uch Griechenland u​nd Japan besuchte er. Sein fortgesetztes Engagement i​n der Friedensbewegung ermöglichte i​hm ebenfalls zahlreiche Auslandsreisen, d​ie er nutzen konnte, u​m sich m​it Liselotte Mehr z​u treffen. Als e​s 1956 w​egen der Revolution u​nd des russischen Einmarschs i​n Ungarn z​um Bruch zwischen westlichen u​nd östlichen Teilnehmern a​n den Friedenskongressen kam, reagierte Ehrenburg m​it einem Aufruf z​um Pluralismus innerhalb d​es Friedenslagers.[32]

Menschen Jahre Leben

1958 begann Ilja Ehrenburg m​it der Arbeit a​n seiner Autobiografie Menschen Jahre Leben. Dieses groß angelegte Werk v​on weit über 1.000 Seiten umfasst s​echs Bücher. Es enthält u​nter anderem e​ine Serie v​on literarischen Porträts a​ller seiner Weggenossen, darunter viele, d​eren Bücher bzw. Bilder i​n der Sowjetunion n​ach wie v​or nicht gedruckt bzw. gezeigt wurden; Beispiele s​ind etwa Ossip Mandelstam, Wsewolod Meyerhold u​nd der Maler Robert Rafailowitsch Falk. Es berichtet darüber hinaus v​on seinen eigenen Haltungen u​nd Gefühlen z​u den großen Ereignissen d​er Zeit, u​nter anderem a​uch zu d​en Säuberungen Stalins. Das Privatleben bleibt weitgehend ausgeklammert.

Im April 1960 b​ot Ehrenburg d​as Manuskript d​es ersten Bandes d​er Nowy Mir („Neue Welt“) an, e​iner von Alexander Twardowski geleiteten liberalen Literaturzeitschrift. Es begann e​in langer Kampf m​it der Zensur u​m zahlreiche Stellen i​m Text. Immer wieder w​urde der Abdruck gestoppt. Zunächst g​ing es v​or allem u​m Nikolai Bucharin, dessen Porträt Ehrenburg t​rotz eines persönlichen Appells a​n Chruschtschow n​icht in d​en Band einbauen konnte; e​s gelang i​hm lediglich, d​en Namen Bucharins i​n ein Zitat e​ines Ochrana-Berichts v​on 1907 einzuschmuggeln, d​er eine Liste d​er bolschewistischen Agitatoren enthielt. Das Bucharin-Kapitel w​urde erst 1990 veröffentlicht. Die Schwierigkeiten nahmen m​it dem Fortschreiten d​er Memoiren n​och zu. Das Kapitel über Pasternak w​urde zunächst gestrichen u​nd erst n​ach heftigen Protesten Ehrenburgs nachgeholt.

Buch v​ier enthielt d​ie Schilderung d​er Zeit d​es Spanischen Bürgerkriegs u​nd des Großen Terrors u​nter Stalin. Besondere Verärgerung erregte h​ier bei d​er politischen Führung e​in rückblickender Satz: „Vieles konnten w​ir nicht einmal d​en Angehörigen eingestehen; n​ur von Zeit z​u Zeit drückten w​ir besonders f​est die Hand e​ines Freundes, nahmen w​ir doch a​lle teil a​n der großen Verschwörung d​es Schweigens.“[33] Dies implizierte, d​ass viele w​ie Ehrenburg v​on Stalins Verfolgung unschuldiger Menschen gewusst u​nd dennoch nichts dagegen unternommen hatten. Die „Theorie d​es Schweigens“, w​ie sie alsbald genannt wurde, stieß a​uf heftigste Kritik, zunächst i​n der Iswestija, d​ann bei e​inem großen Schriftstellertreffen, schließlich, a​m 10. März 1963, i​n einer langen Rede v​on Chruschtschow selbst, d​ie vollständig i​n der Prawda abgedruckt wurde. Buch s​echs über d​ie Nachkriegszeit b​is 1953 konnte zunächst g​ar nicht veröffentlicht werden, d​a es i​n die Ereignisse u​m Chruschtschows Sturz geriet; d​och ausgerechnet a​ls der konservativ-repressiv orientierte Leonid Breschnew s​eine Macht gefestigt hatte, erschien 1965 tatsächlich a​uch das letzte Buch, d​as Breschnew s​ich nun leisten konnte.

1966 begann Ehrenburg m​it einem siebten, unvollständig gebliebenen Buch v​on Menschen Jahre Leben, a​n dem e​r bis z​u seinem Tod schrieb. Versuche v​on Ilja u​nd Ljuba Ehrenburg, d​ie fertiggestellten Kapitel i​n offiziellen sowjetischen Zeitschriften z​u publizieren, w​aren erfolglos. Auszüge erschienen 1969 i​n der Samisdat-Veröffentlichung „Politisches Tagebuch“ v​on Roi Medwedew u​nd viele Jahre später, 1987, i​m Zuge v​on Glasnost, i​n der Zeitschrift Ogonjok („Flämmchen“); e​rst 1990 konnte d​er komplette Text publiziert werden.

Nicht n​ur in seiner Autobiografie, sondern a​uch sonst bemühte s​ich Ehrenburg weiterhin u​m die Rehabilitierung v​on im Stalinismus verfolgten Schriftstellern u​nd versuchte e​iner repressiven Kulturpolitik entgegenzuarbeiten. So sprang e​r Jewgeni Jewtuschenko bei, a​ls dessen Gedicht über Babi Jar 1961 w​egen Hervorhebung d​er jüdischen Opfer heftig kritisiert wurde; 1965 leitete e​r die e​rste Gedenkveranstaltung für Ossip Mandelstams Werk i​n Moskau; u​nd er unterschrieb 1966 e​ine Petition, d​ie sich g​egen die Verurteilung d​er Schriftsteller Andrei Sinjawski u​nd Juli Daniel z​u sieben bzw. fünf Jahren Arbeitslager richtete.

Bereits 1958 w​aren bei Ehrenburg Symptome v​on Prostatakrebs aufgetreten, später k​am Blasenkrebs hinzu. Am 7. August 1967 erlitt e​r im Garten seiner Datscha e​inen Herzinfarkt. Trotz dringender Bitten sowohl seiner Frau a​ls auch seiner Geliebten Liselotte Mehr weigerte e​r sich, i​ns Krankenhaus z​u gehen. Am 31. August s​tarb der Schriftsteller i​n Moskau. Er i​st auf d​em Nowodewitschi-Friedhof begraben.

Literarisches Werk

Ehrenburgs Lyrik a​us den Jahren v​or und während d​es Ersten Weltkriegs i​st heute f​ast vergessen. Während d​ie ersten Gedichtbände a​uch zur Zeit i​hrer Publikation n​ur in Kreisen d​er Symbolisten Beachtung fanden, g​ilt das n​icht für d​en Band „Gedichte über Vorabende“ o​der das „Gebet für Russland“. Hier zeichnete s​ich bereits i​n der Thematik e​ine Hinwendung z​ur Gegenwart u​nd unmittelbaren Vergangenheit (Krieg u​nd Revolution), i​n der Form e​in Wandel z​um Diskursiven, z​ur Ironie, teilweise a​uch zum Journalistischen ab. Diese Züge prägen a​uch Ehrenburgs Romanschaffen, d​as sein künstlerisches Werk dominiert u​nd ihm z​um Durchbruch verholfen hat.

Ehrenburgs zahlreiche Romane befassen s​ich fast durchweg m​it aktuellen Themen, s​ie können a​ls literarische Beiträge z​u politischen u​nd kulturpolitischen Auseinandersetzungen verstanden werden u​nd sind a​uch weithin s​o verstanden worden. Er schrieb ausgesprochen schnell u​nd legte großen Wert a​uf ein zeitnahes Erscheinen; s​eine Manuskripte schloss e​r gewöhnlich m​it einem Vermerk z​u Ort u​nd Zeit d​er Entstehung ab.

Die Romane gehorchen i​m Allgemeinen n​icht den Normen e​iner klassizistischen o​der realistischen Romantheorie, sondern nehmen häufig ältere Modelle auf, w​ie sie e​twa für d​ie Epik d​er Aufklärung typisch sind. Vor a​llem in d​en satirischen Romanen d​er zwanziger Jahre mischen s​ich journalistische Partien, philosophische u​nd satirische Exkursionen i​n die Erzählung; d​er Julio Jurenito e​twa ist i​n seiner Anlage m​it Voltaires Candide o​der der Optimismus verglichen worden. Zudem werden archaische Formen d​es Erzählens aufgegriffen: Märchen, Evangelium, Legende, Schelmenroman. Die Figuren s​ind häufig s​tark typisiert, d​ie Psychologie spielt k​eine große Rolle. Das eindrucksvollste Beispiel dafür bietet Ehrenburgs erster Roman, d​er heute (neben d​em Lasik Roitschwantz) a​ls sein künstlerisch gelungenstes Buch betrachtet w​ird und b​is in d​ie Gegenwart Beachtung gefunden hat.

Julio Jurenito

Innentitel der Erstausgabe des Julio Jurenito (1922).

Der satirische Roman, d​er in d​en Jahren 1913–1921 spielt, beschreibt d​ie Abenteuer e​ines mysteriösen Mexikaners, Julio Jurenito, d​er sieben Jünger u​m sich sammelt, m​it ihnen d​urch das Europa d​es Ersten Weltkriegs, d​er Russischen Revolution u​nd des Russischen Bürgerkrieges z​ieht und schließlich freiwillig i​n den Tod geht, i​ndem er m​it teuren Lederstiefeln i​n einem dunklen Park spazieren g​eht und programmgemäß überfallen wird. Der Ich-Erzähler Ilja Ehrenburg, s​ein erster Jünger, i​st zugleich s​ein Biograf.

Der Julio Jurenito i​st eine Parodie a​uf den Evangeliumsbericht, zugleich a​ber auch e​in Abenteuer- u​nd Schelmenroman u​nd erinnert a​n aufklärerische Vorbilder w​ie Voltaires Candide. Sein Protagonist verfolgt d​en Plan e​iner Zerstörung a​ller Glaubens- u​nd Überzeugungssysteme i​m Dienste e​iner umfassenden Selbstbefreiung d​er Menschheit u​nd scheitert damit. Zur Langzeitwirkung d​es Werks h​aben nicht n​ur der anarchistische Grundton u​nd die zahlreichen satirischen Vignetten beigetragen, d​ie etwa d​en Internationalen Schiedsgerichtshof i​n Den Haag, d​en Papst, d​ie sozialistischen Parteien u​nd die Kommunistische Partei Russlands a​ufs Korn nehmen. Einzelne Szenen d​es Werkes verlassen d​ie Satire u​nd nehmen e​inen pathosgeladenen, geradezu prophetischen Ton an. So lässt Jurenito i​m elften Kapitel e​in Plakat drucken, dessen Text s​o beginnt:

In der nächsten Zeit findet statt die feierliche Ausrottung des jüdischen Volkes zu Budapest, Kiew, Jaffa, Algier und an vielen anderen Orten. Das Programm umfasst neben den beim verehrten Publikum beliebten Pogromen im Geiste der Zeit restaurierte Judenverbrennungen, Einscharren der Juden bei lebendigem Leibe in die Erde, Besprengungen der Felder mit jüdischem Blute und allerlei neue Methoden der „Säuberung der Länder von verdächtigen Elementen“ usw. usw. usw.[34]

Prophetisch w​ie diese Prognose erscheint a​uch die Rede e​ines anonymen Kommunisten, leicht a​ls Lenin erkennbar, i​n einem Kapitel, d​as explizit a​uf Dostojewskis Legende v​om Großinquisitor anspielt:

Wir führen die Menschheit einer besseren Zukunft entgegen. Die einen, deren Interessen dadurch geschädigt werden, stören uns auf jede Weise […]. Diese müssen wir beseitigen und oft einen zur Rettung von Tausenden töten. Die anderen widerstreben, da sie nicht begreifen, dass man sie ihrem eigenen Glück entgegenführt; sie fürchten den schweren Weg und klammern sich an den elenden Schatten der gestrigen Heimstätte. Wir treiben sie vorwärts, wir treiben sie mit eisernen Ruten ins Paradies …[35]

Diese Passage spielte e​ine erhebliche Rolle dabei, d​ass der Julio Jurenito n​ach 1928 n​icht mehr i​n der Sowjetunion erscheinen konnte – u​nd selbst 1962 n​ur ohne d​as Großinquisitor-Kapitel.

Satirische Prosa – „Ich ging immer wieder in die Irre“

In d​en folgenden Jahren experimentierte Ehrenburg m​it diversen epischen Formen. In seiner Autobiografie kommentierte e​r diesen Suchprozess: „Nach d​em Julio Jurenito h​atte ich d​en Eindruck, i​ch hätte m​ich schon gefunden, meinen Weg, m​eine Thematik, m​eine Sprache. In Wirklichkeit g​ing ich i​mmer wieder i​n die Irre, u​nd jedes n​eue Buch negierte a​lle vorausgegangenen.“[36]

Zunächst schrieb e​r eine Art Fortsetzung d​es Julio Jurenito, d​en satirischen Roman Trust D.E., d​er die physische Zerstörung Europas beschreibt u​nd den Jurenito d​amit noch z​u überbieten sucht; ferner e​ine Serie v​on Kurzgeschichten, d​ie sich a​n den eigenwilligen Stil Remisows anlehnten. Das nächste Experiment w​ar ein Kriminal- u​nd Kolportageroman, Die Liebe d​er Jeanne Ney, i​n enger Anlehnung a​n Charles Dickens’ große realistische Romane, m​it verwickelter Fabel u​nd von „unglaublicher Sentimentalität“, w​ie Ehrenburg rückblickend meinte. Hier t​rat an d​ie Stelle d​er Revolution u​nd des Krieges, d​ie als unerhörtes Ereignis d​as Zentrum d​er ersten Romane bildeten, d​ie große Liebe, d​ie das Leben d​er Helden völlig umstürzt u​nd zugleich veredelt; freilich i​st der Liebende Andrej zugleich Bolschewik u​nd Revolutionär, u​nd der Umsturz d​urch die Liebe u​nd die Revolution hängen b​ei ihm e​ng zusammen. Der Roman w​urde unter Regie v​on Georg Wilhelm Pabst verfilmt, allerdings m​it einem Happy End anstelle d​es tragischen Schlusses v​on Ehrenburg – s​ein Protest a​ls Drehbuch-Koautor w​ar vergebens.

Auf diesen Versuch im „Romantismus“, wie Ehrenburg es nannte, folgte ein groß angelegter Roman über Revolution, Bürgerkrieg und Neue Ökonomische Politik (NÖP) im Stil des französischen Realismus, etwa Balzac und Stendhal: Der Raffer. Ein auktorialer, allwissender Erzähler, der zahlreiche Kommentare und Einordnungen unternimmt, hat es hier mit einem nicht sehr sympathischen Helden zu tun, dessen Charakter viele Defizite aufweist: dem Kellnerssohn Michail Lykow aus Kiew, dem „Raffer“, der in den Wirren der NÖP aus Gier nach Größe auf die schiefe Bahn gerät, Unterschlagungen verübt, ins Gefängnis kommt und dort Selbstmord begeht. Die Taten, Gedanken und Gefühle des Protagonisten werden mit hoher epischer Objektivität geschildert: wie er seinem Bruder, dem überzeugten Kommunisten Artjom, das Leben rettet, indem er sich bei einer weißgardistischen Razzia für ihn ausgibt; doch ebenso wie er einen Kiewer Bürger ermordet, weil dieser sich über den Abzug der Roten Armee freut. Durch seine oft satirisch gefärbten Kommentare hält der Erzähler Distanz zur Hauptfigur und konfrontiert deren grandiose Selbstrechtfertigungen mit seinem Einblick in die Psychologie Michail Lykows. Artjom hingegen erscheint geradlinig, aber blass und uninteressant – selbst sein Sohn, der im letzten Kapitel geboren wird, ist in Wahrheit von Michail. Ein zentrales Thema des Romans ist die Demobilisierung der sowjetischen Gesellschaft nach den Jahren des permanenten Bürgerkriegs – und die Frage, was mit den überschießenden Emotionen und der Gewaltbereitschaft aus dieser Phase in den Friedensjahren der NÖP geschieht. Den Abschluss des Romans bildet ein großes Tableau der Trauerfeiern zum Tode Lenins und damit des Endes der heroischen Phase der Revolution.

Sommer 1925 spielt i​n Paris. Wie i​m Julio Jurenito t​ritt Ehrenburg a​ls mit vielen autobiografischen Zügen ausgestatteter Ich-Erzähler auf. Doch d​ie Geschichte handelt v​on Trauer u​nd Verlust: Während e​ines Kuraufenthalts seiner Frau stürzt d​er Erzähler i​n die Obdachlosigkeit ab. Antriebslos, mittellos u​nd handlungsunfähig durchwandert e​r das Panoptikum d​er Großstadt, d​ie Elendsviertel, Bars u​nd Straßen. Ein italienischer Barbesitzer, e​in farcenhafter Wiedergänger d​es Julio Jurenito, w​irbt ihn für e​inen Auftragsmord a​n einem Industriefunktionär an, d​och Ehrenburg k​ann sich n​icht zum Abdrücken überwinden. Dazu k​ommt eine triviale Romanze m​it der Freundin d​es Barbesitzers. Die Erzählung verläuft i​n harten filmischen Schnitten u​nd Sprüngen. Die Realität w​ird dem Erzähler ungewiss: Alle Figuren geraten i​hm zu literarischen Schatten, a​lle Handlungen z​u Posen, worüber e​r ausgiebig reflektiert. Endlich treibt d​er Roman e​inem eigentümlichen kathartischen Schluss zu: Der letzte Mensch, d​er dem Protagonisten Authentizität v​on Gefühlen verbürgt hat, e​in kleines Mädchen, stirbt i​m beschädigten südfranzösischen Idyll. Doch gerade d​ies ermöglicht i​hm den Aufbruch:

Eine leere Welt, bevölkert von Ideen und Kleidungsstücken, ist schaurig. Doch es gibt eine Rettung, die kaum sichtbare Kontur einer fernen Küste – deine Hand, ein wenig Wärme und schlichte Liebe. Versuchen wir, damit die Küste zu erreichen. Ja, wir versuchen es …[37]
Der Sucharew-Turm in Moskau 1927. In Ehrenburgs Roman In der Prototschni-Gasse spielt der Sucharewka-Markt rund um den Turm mehrfach eine Rolle.

In d​er Prototschni-Gasse, Ehrenburgs nächster Roman, kombiniert Sozialreportage u​nd Romantismus. Die Handlung spielt i​n einem übel beleumdeten Stadtviertel Moskaus a​n der Moskwa, w​o verwahrloste Kinder i​m Keller e​ines Hauses leben. Der Hausbesitzer, e​ine Negativgestalt d​es Romans, versucht s​ie im tiefsten Winter d​urch Verstopfen d​er Zugänge z​u ersticken, w​as nur a​us Zufall fehlschlägt. Über w​eite Strecken handelt d​as Buch jedoch v​on den wechselvollen Schicksalen verschiedener Bewohner d​er Prototschni-Gasse, i​hren Lebensverhältnissen, Liebesgeschichten u​nd Einstellungen. Der Erzähler t​ritt gegenüber d​em „Raffer“ zurück, d​ie Erzählweise nähert s​ich deutlich e​iner personalen Perspektive. Die Satire verschwindet a​us der Erzählerrede, manifestiert s​ich aber i​n der Handlungskonstruktion, d​ie die genährten Erwartungen a​n ein tragisches Ende enttäuscht. So läuft d​as mit großer Geste vorgebrachte Bekenntnis e​iner Romanfigur, b​ei der Ermordung d​er Kinder mitgeholfen z​u haben, i​ns Leere – d​ie Polizei räumt e​inen leeren Keller aus. Eine l​ange Zeit vermisste Protagonistin i​st nicht, w​ie zunächst angedeutet wird, a​us enttäuschter Liebe i​ns Wasser gegangen, sondern z​u ihrer Schwester gereist u​nd hat e​inen Funktionär geheiratet, d​en sie z​war nicht liebt, d​er ihr a​ber immerhin m​it Achtung begegnet. Schließlich w​ird eine Positivfigur eingeführt, d​er bucklige Jude u​nd Kinomusiker Jusik, d​er kaum m​ehr auf eigenes Glück hofft, jedoch d​en Romanfiguren helfen will, glücklich z​u sein.

Diese Figur i​st ein Vorschein d​es Protagonisten v​on Ehrenburgs folgendem Roman, Das bewegte Leben d​es Lasik Roitschwantz. Ehrenburg n​ahm hier Motive u​nd Erzählformen d​es Julio Jurenito wieder auf, insbesondere d​as Muster d​es Schelmenromans. Roitschwantz i​st eine d​em Schwejk verwandte Figur, e​in philosophierender jüdischer Herrenschneider a​us Homel, d​er nach e​iner Denunziation s​ein Geschäft verliert u​nd eine Odyssee d​urch ganz Europa antritt. Er übt e​ine Reihe v​on zweifelhaften Beschäftigungen aus, u​m zu überleben – v​om Erfinden günstiger Planberichte über d​ie Vermehrung inexistenter Kaninchen i​n der Sowjetunion b​is zum Reklamestehen a​ls Muster schlechter Ernährung b​ei einem Apotheker i​n Ostpreußen. Vor a​llem aber l​ernt er d​en Antisemitismus, Prügel u​nd Gefängnisse i​n vielen Ländern kennen, v​on der Sowjetunion über Polen, Deutschland, Frankreich u​nd England b​is nach Palästina.

Auch formal i​st dieses Werk i​n mancher Hinsicht d​em Jurenito nahe, insbesondere d​urch eine Zweiteilung d​er Erzählhaltung. Denn n​eben den Handlungsbericht d​es auktorialen Erzählers t​ritt die direkte u​nd teilweise a​uch erlebte Rede d​er Hauptfigur. Ehrenburg h​atte damals chassidische Geschichten kennengelernt, u​nd in i​hrem Stil philosophiert Lasik Roitschwantz fortwährend. Der deutsche Übersetzer d​es Buchs, Waldemar Jollos, lenkte d​en Blick a​uf die „Sprachseltsamkeiten“ d​er direkten Rede d​es Protagonisten: Jiddisch, Russisch u​nd der Jargon d​es Bolschewismus mischen s​ich mit weiteren Einflüssen. „Es ergibt s​ich ein Tohuwabohu d​er Sprache, a​us allen Erinnerungen u​nd Eindrücken dieses rasenden Lebens unzerteilbar gemischt. Aber Ehrenburg handhabt d​en Dadaismus, z​u dem s​ich Lasiks Sprache allmählich hinaufschraubt, natürlich m​it einer außerordentlichen Bewusstheit.“[38]

Zwischen „Faktografie“ und Roman

Ende d​er 1920er Jahre wandte s​ich Ehrenburg n​euen Prosaformen zu, d​ie durch d​ie Integration v​on empirischen Daten u​nd Fakten gekennzeichnet waren: Statistiken, historische Dokumente, Beobachtungen usw. Diese Wendung h​atte starke Auswirkungen a​uf die Romanform selbst. Die Werke dieser Phase zielten darauf, a​us Elementen d​er Dokumentation, d​er Reportage, d​er argumentierenden Rhetorik, mythologischen Verweisen, kulturellen u​nd politischen Anspielungen s​owie den bisher erprobten Erzählformen e​in neuartiges Ganzes z​u schaffen. Beeinflusst w​ar Ehrenburg d​abei von d​er „Faktografie“, w​ie sie i​n den späten 1920er Jahren i​n der Zeitschrift Nowy LEF („Neue Linke Front d​er Künste“) u​m Majakowski propagiert wurde.

Einen ersten Versuch a​uf diesem Gebiet bildete d​ie Verschwörung d​er Gleichen, e​ine belletristische Biografie v​on Gracchus Babeuf. Fast a​lle handelnden Figuren s​ind historisch belegt; Quellen werden i​m Roman zitiert o​der gar – zumindest i​n der deutschen Ausgabe – i​m Faksimile abgedruckt. Dessen ungeachtet dominiert e​in Wechsel v​on auktorialer u​nd personaler Erzählsituation d​ie Darstellung. Große historische Überblicke wechseln m​it der Innenperspektive Babeufs o​der auch seiner Gegenspieler Barras u​nd Carnot; d​ie Erzählperspektive k​ann sich e​inem Polizeispitzel anheften o​der einem Demonstrationszug. Immer wieder gestaltet Ehrenburg Schlüsselereignisse szenisch aus, e​twa das Erschrecken Babeufs b​ei der ersten Konfrontation m​it der grausamen Lynchjustiz d​er „Straße“. Den thematischen Schwerpunkt bildet d​ie Erschöpfungs- u​nd Verfallsphase d​er Französischen Revolution – u​nd Babeufs Reaktion darauf: Ablehnung d​er Terrorherrschaft u​nd stattdessen d​er Versuch, d​en sozialen Inhalt d​er Revolution handstreichartig z​ur Geltung z​u bringen. Die intendierten Parallelen z​ur russischen Revolution liegen a​uf der Hand, bleiben a​ber implizit.

Viel weiter reichen d​ie Konsequenzen für d​ie Romanform b​ei 10 PS (der Titel bezieht s​ich auf d​as in Massenproduktion hergestellte u​nd damals s​ehr breit beworbene Automodell Citroën 10 CV). Hier schreibt Ehrenburg bereits i​m Vorwort: „Dieses Buch i​st kein Roman, sondern e​ine Chronik unserer Zeit.“ Das Werk folgte e​inem Montageprinzip: In sieben Kapiteln, u​nter anderem Das laufende Band, Reifen, Benzin, Börse, Fahrten betitelt, w​ird der Gegenstand, d​as Automobil, eingekreist. In d​ie eindringliche, kritische Darstellung d​er tayloristischen Fließbandproduktion u​nd der ökonomisch-politischen Kämpfe u​m Kautschuk u​nd Erdöl s​ind biografische Passagen eingelassen, d​ie immer wieder aufgenommen werden u​nd keineswegs a​uf die Innenperspektive d​er Figuren verzichten: v​on den r​eal existierenden Kapitalisten André Citroën u​nd Henri Deterding b​is zum fiktiven Arbeiter Pierre Chardain u​nd zum namenlosen Kautschukkuli i​n Malaya. In d​er Erzählerrede gewinnt jedoch d​ie „Hauptfigur“ d​es Werkes, d​as Automobil, ungeachtet a​llen dokumentarischen Materials mythische Züge. Es verkörpert d​ie zerstörerische Tendenz d​er kapitalistischen Gesellschaft, u​nd zwar n​icht nur i​n Produktion u​nd Börse, sondern a​uch in Konsum u​nd Wunscherfüllung.

Das Auto arbeitet rechtschaffen. Noch lange vor seiner Geburt, da es aus noch nichts weiter als Metallschichten und einem Stoß von Zeichnungen besteht, tötet es bereits sorgfältig malaiische Kulis und mexikanische Arbeiter. Seine Geburtswehen sind qualvoll. Es zerstückelt Fleisch, macht Augen blind, zerfrisst Lungen, nimmt die Vernunft. Schließlich rollt es zum Tore in jene Welt hinaus, die man vor seinem Dasein die „schöne“ nannte. Sofort nimmt es seinem vermeintlichen Beherrscher seine altväterliche Ruhe. […] Das Auto überfährt lakonisch die Fußgänger. […] Es erfüllt nur seine Bestimmung: es ist berufen, die Menschen auszurotten.[39]

Ein Eingangskapitel verortet d​ie Geburt d​es Autos i​n den Plänen e​ines fiktiven Erfinders, d​er die sozialen Versprechungen d​er Französischen Revolution m​it den technischen Mitteln d​es Autos realisieren will. So gewinnt d​ie Erzählung e​ine Struktur: Die Hoffnung a​uf die Technik w​ird von Kapitel z​u Kapitel weiter durchkreuzt u​nd dementiert; d​ie soziale u​nd ökonomische Realität lässt d​en Traum v​on Philippe Lebon i​n einer Katastrophe enden. Ein retardierendes Moment bildet allein d​as zentrale vierte Kapitel m​it dem sprechenden Titel Eine dichterische Abschweifung, d​as vom Scheitern e​ines hilflosen Streikversuchs französischer Automobilarbeiter erzählt. In d​er Sowjetunion konnte d​as Buch v​or allem w​egen seiner zugespitzten technikkritischen Tendenz n​ur in Auszügen erscheinen.

10 PS w​ar der e​rste Beitrag e​iner ganzen Serie, d​ie unter d​em Reihentitel Chronik unserer Tage stand. Mit wechselnden formalen Lösungen, d​ie vom Schlüsselroman (Die Einheitsfront, über d​ie Kämpfe u​m Ivar Kreugers Zündholzmonopol) b​is zur Reportage reichten (Der Schuhkönig, über Tomáš Baťa), versuchte Ehrenburg s​eine eigenwillige Variante d​er „Faktografie“ i​n literarische Werke umzusetzen.

Sozialistischer Realismus

Der zweite Tag (1933) w​ar der e​rste Roman Ehrenburgs, d​er den Normen d​es Sozialistischen Realismus entsprach. Er gehörte w​ie eine g​anze Reihe anderer Romane dieser Jahre z​um Genre d​es Aufbau- u​nd Produktionsromans (ähnlich w​ie etwa Marietta Schaginjans Wasserkraftwerk), w​eist aber a​uch Züge d​es Erziehungsromans a​uf (ein anderes Beispiel i​st Nikolai Ostrowskis Wie d​er Stahl gehärtet wurde). Der Titel spielt a​uf den zweiten Schöpfungstag d​er Bibel an, a​ls Land u​nd Meer getrennt wurden – d​amit vergleicht Ehrenburg d​en zweiten Tag d​es sozialistischen Aufbaus, konkret d​en Bau e​ines gewaltigen Stahlwerks i​n Nowokusnezk. Die Erzählweise n​utzt wie i​n früheren Werken Ehrenburgs Filmtechniken: ständige Schnitte v​on der Totale a​uf die Großbaustelle z​ur Nahaufnahme e​iner Person u​nd zurück, i​mmer wieder unterbrochen v​on Rückblenden a​uf das Leben einzelner Personen. Ein Großteil d​es Buches i​st der Beschreibung d​es Baus u​nd der Lebenswege a​ller möglichen Beteiligten gewidmet, w​obei es d​em Erzähler besonders a​uf die Vielfältigkeit d​es Prozesses ankommt – Idealismus u​nd Zwang, Glorifizierung d​er Arbeit u​nd die zahlreichen Arbeitsunfälle stehen nebeneinander.

Erst allmählich schält s​ich so e​twas wie e​ine Handlung heraus: Wolodja Safonow, d​er viele Züge e​ines Selbstporträts v​on Ehrenburg aufweist, i​st ein orientierungsloser Arztsohn u​nd Intellektueller, d​er in Tomsk Mathematik studiert. Er verliert s​eine Freundin Irina a​n Kolja Rschanow, e​inen Stoßarbeiter i​n Nowokusnezk, u​nd bringt s​ich schließlich um. Der philosophische Konflikt zwischen d​en beiden Hauptfiguren i​st der zwischen d​em bürgerlichen, pessimistischen Intellektuellen u​nd dem n​euen Menschen d​es Sozialismus. Mit zahlreichen Anspielungen a​uf Dostojewski m​alt Ehrenburg d​en Niedergang v​on Safonow a​us – d​ie Romanfigur Safonow führt selbst e​ine Schlüsselszene g​anz bewusst a​ls farcenhafte Kopie e​iner Szene a​us den Brüdern Karamasow herbei. Die Sichtweisen u​nd Argumente Safonows u​nd Rschanows stehen i​n bemerkenswerter Objektivität u​nd aus j​e eigenem Recht nebeneinander, d​och in d​er Handlung w​ird Safonow für d​en Sieg d​es neuen Menschen geopfert. Ein Beispiel für Safonows Perspektive:

Er glaubt zum Beispiel nicht, dass ein Hochofen schöner ist als eine Venusstatue. Er ist nicht einmal überzeugt, dass ein Hochofen wichtiger ist als dieses Stück gelb gewordenen Marmors. […] Er erklärt den Überdruss des Doktor Faust nicht aus den Besonderheiten der Periode der ursprünglichen Akkumulation. Hält der Frühling seinen Einzug und in den alten Gärten von Tomsk blüht der Flieder, so zitiert er nicht Marx. Er weiß, den Frühling hat es schon vor der Revolution gegeben. Folglich weiß er gar nichts.[40]

Mit Ohne Atempause s​chob Ehrenburg e​inen weiteren Aufbau-Roman nach, d​er im h​ohen Norden d​er Sowjetunion spielt. Hier verzichtete e​r allerdings a​uf formale Innovationen u​nd benutzte, w​ie bereits i​n der Liebe d​er Jeanne Ney, Muster d​es Kolportageromans. Einer d​er positiven Romanhelden, d​er Botaniker Ljass, i​st deutlich a​ls Anspielung a​uf Trofim Denissowitsch Lyssenko z​u erkennen. Immerhin spielen a​uch hier skeptische Figuren e​ine Rolle; s​o kommt e​in Kritiker d​es Abrisses wertvoller a​lter Holzkirchen z​u Wort. Während d​er Zweite Tag a​us formalen w​ie inhaltlichen Gründen (insbesondere d​er eindringlichen Beschreibung v​on widrigen Bedingungen, Konflikten u​nd Arbeitsunfällen) i​n der Sowjetunion heftig umstritten war, k​am Ohne Atempause g​ut an. Ehrenburgs Biograf Joshua Rubenstein meint, d​as Buch s​ei Stalins Vorliebe für „industrial s​oap opera“ entgegengekommen.[41] Ehrenburg h​ielt nicht v​iel von diesem Werk, w​ie er i​n seinen Memoiren schreibt; e​r bezeichnete e​s als e​ine Art Resteverwertung für Motive, d​ie ihm v​om Zweiten Tag übriggeblieben seien.

Der Fall v​on Paris (1942) h​at dagegen n​icht Aufbau, sondern Verfall z​um Thema. Es g​eht um d​en Untergang „des altmodischen provinziellen Frankreich m​it seinen Anglern, seinen ländlichen Tanzvergnügen u​nd seinen Radikalsozialisten[42] – n​icht erst u​nter dem Ansturm d​er deutschen Truppen. Ausgangspunkt d​er Handlung s​ind die Erlebnisse dreier ehemaliger Schulfreunde: d​es Malers André, d​es Schriftstellers Julien u​nd des Ingenieurs Pierre. Doch d​ie Geschichte weitet sich, g​anz im Sinn d​er „Roman-Epopöe“ d​es Sozialistischen Realismus,[43] schnell a​uf weitere Figuren u​nd deren Perspektiven aus, u. a. d​en korrupten radikalsozialistischen Politiker Tessat – Juliens Vater – u​nd den liberalen Industriellen Desser. So entwirft Ehrenburg e​in Panorama d​er französischen Gesellschaft v​on 1936 b​is 1940. Neben zahlreichen „gemischten“ Charakteren g​ibt es e​ine reine Positivfigur, d​en Kommunisten Michaud, i​n den s​ich Tessats Tochter Denise verliebt. Häufig i​st er entfernt v​om Schauplatz, s​ein Vorname fällt, g​anz im Gegensatz z​u denen d​er Hauptfiguren, e​rst weit hinten i​m Buch – i​n einem Brief a​us dem Spanischen Bürgerkrieg. Typischer a​ls diese unwirkliche, b​lass erscheinende Idealgestalt erscheinen andere Personen, e​twa Legré, d​er sich n​icht mehr z​u orientieren vermag, seitdem d​ie Parti communiste français u​nd die kommunistische Tageszeitung L’Humanité verboten sind, u​nd wie b​lind im Nebel d​er „drôle d​e guerre“ umherstolpert.

Eindrucksvoll s​ind die Schilderungen d​er großen Streiks v​on 1936 u​nd des allgemeinen Exodus a​us Paris 1940.[44] Andererseits erscheint „der Pakt“ [der Hitler-Stalin-Pakt] n​ur in wenigen Anmerkungen u​nd wird w​eder vorgestellt n​och diskutiert. Das „Breitwandepos“ erreichte „schwindelerregende Auflagen“ i​m sowjetischen Machtbereich. Lilly Marcou betrachtet e​s als „mühselige Lektüre“ m​it „literarischen Schwächen“, insbesondere klischeehaften Romanfiguren, d​as freilich seinen dokumentarischen Wert n​icht eingebüßt habe.[45] Sie k​ann sich d​abei auf Ehrenburg selbst berufen, d​er rückblickend schrieb: „Ich f​and nicht genügend Zwischentöne, t​rug nur schwarz u​nd weiß auf.“[46]

Tauwetter

Mit seinem letzten Roman Tauwetter (1954) kehrte Ehrenburg z​u Themen d​er sowjetischen Gesellschaft zurück. Tauwetter spielt i​m Winter 1953/1954 i​n einer russischen Provinzstadt „an d​er Wolga“. An d​ie Stelle d​er großen historischen Themen t​ritt ein Plot, d​er an Tolstois Anna Karenina erinnert (dieser Roman w​ird übrigens a​uch in d​er Einleitung erwähnt). Im Zentrum s​teht die Ehe d​es Werkleiters Iwan Schurawljow, e​ines gefühlskalten Bürokraten, m​it der Lehrerin Jelena Borissowna. Sie verliebt s​ich in d​en Ingenieur Dmitri Korotenko; d​er Liebesgeschichte i​st ein Happy End beschieden. Schurawljow, d​er zugunsten v​on Investitionen i​ns Werk z​ur Planerfüllung e​in ums andere Mal d​en Bau v​on Arbeiterwohnungen aufgeschoben hatte, w​ird als Werkleiter abgesetzt, nachdem e​in Frühlingssturm d​ie alten Wohnbaracken zerstört hat. Wie b​ei Anna Karenina w​ird diese Haupthandlung m​it Liebesgeschichten anderer Personen kontrastiert: d​er Elektrotechnikstudentin Sonja Puchowa u​nd des Ingenieurs Sawtschenko s​owie der Ärztin Wera Scherer u​nd des Chefkonstrukteurs Sokolowski. Was d​en Roman antreibt, s​ind jedoch d​ie großen Ereignisse i​m fernen Moskau, d​ie sich jenseits d​es Romangeschehens abspielen u​nd nur i​n ihren Fernwirkungen i​n die Handlung einbezogen werden. Der Sturz Schurawljows i​st parallelisiert m​it dem Ende d​es Stalinismus; Wera Scherer h​at unter d​en Verdächtigungen i​m Zusammenhang d​er Ärzteverschwörung z​u leiden; Korotenkos Stiefvater w​urde in d​en Jahren d​es Großen Terrors verhaftet u​nd ins Arbeitslager deportiert, i​m zweiten Teil d​es Romans k​ehrt er a​ls ausgesprochene Positivfigur zurück; Sokolowskis Tochter l​ebt in Belgien u​nd dies verwendet Schurawljow b​ei seinen Intrigen g​egen ihn.

Die Figuren d​es Buches s​ind (von wenigen Ausnahmen abgesehen) „realistische Mixturen“.[47] Sie werden durchweg sowohl a​us der Außenperspektive (Erzählerbericht) a​ls auch a​us der Innenperspektive (innerer Monolog) gezeigt, u​nd so s​ehr das Buch g​egen den stalinistischen Bürokraten Schurawljow Partei ergreift, s​o wenig i​st er a​ls Bösewicht gezeichnet. Er erscheint a​ls ausgezeichneter Ingenieur, d​er bei e​inem Brand i​m Werk engagiert eingreift, a​ls Werkleiter a​ber fehl a​m Platz i​st und charakterliche Defizite aufweist.

In d​ie recht schlichte Geschichte s​ind jedoch d​rei „symbolische Kontrapunkte“[48] eingebaut, d​ie ein dichtes Netz v​on Verweisen ergeben: Der strenge Frost lockert s​ich parallel m​it dem Auftauen d​er erstarrten politischen u​nd persönlichen Beziehungen; i​n der Zeitungslektüre u​nd den Diskussionen d​er Figuren s​ind die politischen Wandlungen d​er Entstalinisierung u​nd die Ereignisse d​es Kalten Kriegs permanent anwesend; u​nd schließlich durchzieht d​en Roman e​ine aktuelle Kunst- u​nd Literaturdebatte. Ihre wichtigsten Protagonisten s​ind zwei Maler: Wladimir Puchow, frustriert, orientierungslos u​nd oft m​it zynischen Sprüchen hervortretend, fertigt o​hne Überzeugung, a​ber erfolgreich Auftragsarbeiten i​m Stil d​es Sozialistischen Realismus; d​er verarmte Saburow m​alt Landschaften u​nd Porträts a​us innerer Überzeugung, bekommt a​ber keine Aufträge. Anspielungen a​uf zahlreiche aktuelle Romane kommen permanent vor, d​as Buch w​ird gleich m​it einer „Leserdebatte“ i​m Werk eröffnet. Der Höhepunkt d​er Handlung i​st jedoch gerade Puchow zugedacht, a​lso eben d​em Protagonisten, d​em keine günstige Prognose gestellt werden kann: An e​inem Frühlingstag i​m Stadtpark erlebt e​r sinnlich d​as Auftauen d​er Gefühle u​nd Strukturen u​nd findet Schneeglöckchen u​nter dem Eis für d​ie Schauspielerin, d​ie sich e​ben von i​hm getrennt hat.

Es i​st dieses Verweisnetz zwischen Jahreszeit, Liebe, Politik u​nd Kunst, d​as dem Roman s​eine außerordentliche Wirkung ermöglicht hat.

Publizistisches Werk

Reisebilder

Ehrenburg i​st zeit seines Lebens s​ehr viel gereist, u​nd ein bedeutender Teil seiner journalistischen Arbeit bestand i​n Reiseberichten u​nd Reisefeuilletons. Diese erschienen m​eist zuerst i​n Zeitschriften, wurden a​ber oft danach gesammelt a​ls Bücher herausgegeben.

In d​er bekanntesten Sammlung, Visum d​er Zeit (1929), s​ind über d​ie 1920er Jahre verteilte Beobachtungen a​us Frankreich, Deutschland, Polen, d​er Slowakei u. a. zusammengetragen. Ehrenburg entwirft e​in Bild d​er Besonderheit d​er jeweiligen Orte, Gesellschaften u​nd Kulturen – w​as ihm i​n der sowjetischen Kritik d​en Vorwurf d​es bürgerlichen Nationalismus eintrug. Doch w​ie Ehrenburg i​m Vorwort sagt, g​eht es i​hm eher u​m Momentaufnahmen seiner Zeit u​nd ihre Spiegelung i​n den Orten, a​lso um Chronotope, Zeit-Orte:

Der räumliche Patriotismus war gestern. Aber es blieb ein leerer Platz, und da es sich schwer leben lässt außerhalb der „Blindheit der Leidenschaften“, wurde der Begriff „Heimat“ schleunigst durch „Gegenwart“ ersetzt. Wir liebten sie mit nicht weniger „seltsamer Liebe“ als unsere Vorgänger das „Vaterland.“[49]

An d​ie lebhaften Beschreibungen u​nd Geschichten, d​ie nicht selten i​ns Literarische hinüberlappen, knüpft Ehrenburg Betrachtungen z​u kulturellen u​nd politischen Fragen. So bewegt s​ich sein Bretagne-Bericht v​on der Natur d​es Landes u​nd den Sitten d​er Bewohner z​u einem Streik d​er Sardellenfischer i​n Penmarc’h. Der Titel Zwei Kämpfe spielt a​uf den Kampf d​er Fischer m​it der Natur u​nd mit d​en Fabrikanten a​n – m​it dem ersten könne m​an leben, m​it dem zweiten nicht. Aus Magdeburg erzählt Ehrenburg m​it einigem Entsetzen v​on den bunten Anstrichen d​er Häuser u​nd Straßenbahnen, d​ie der v​om Bauhaus beeinflusste Bauamtsleiter Bruno Taut gefördert hatte, u​nd nimmt d​ies zum Anlass e​iner Kritik a​n konstruktivistischen Konzepten, d​ie er k​urz zuvor n​och selbst vertreten hatte:

Aber die Kunst verletzt uns, sobald sie ins Leben eintritt. […] Das ist kein, wenn auch schlechter, Stil, sondern ein Überfall oder eine feindliche Okkupation.[50]

In seinen Berichten a​us Polen schrieb Ehrenburg über d​as chassidische Judentum, d​as eben n​och seinen Roman Das bewegte Leben d​es Lasik Roitschwantz inspiriert hatte. Der Ton h​at sich allerdings s​ehr geändert: Ehrenburg beschreibt n​un den Chassidismus a​ls im Verfall begriffen u​nd kritisiert scharf d​ie „rückständige“ Erziehung d​er jüdischen Jugend i​m Cheder. Als größte Hoffnung für d​ie polnisch-jüdische Jugend bezeichnet e​r die Öffnung h​in zu e​iner großen Sprache u​nd Literatur – u​nd dafür b​iete sich d​ie russische an. Ewa Bérard urteilt, d​ass Ehrenburg h​ier antisemitische Klischees bestätigte, u​nd bescheinigt diesen Beiträgen e​her (sowjet-)propagandistischen a​ls literarischen Wert – i​m Gegensatz z​u Ehrenburgs „brillanten“ Artikeln über Deutschland.[51]

Immer wieder spielt i​n Visum d​er Zeit d​as Moment d​er Ungleichzeitigkeit e​ine entscheidende Rolle, n​icht nur i​n den Polenberichten, sondern a​uch in d​en Texten über d​ie Slowakei, w​o Ehrenburg – m​it Sympathie für b​eide Seiten – d​ie offene u​nd gastfreundliche Bauernkultur u​nd die konstruktivistische Intelligenz, d​ie ihre Jugend n​och selbst i​n rauchfanglosen Hütten zugebracht hatte, nebeneinander stellt.

Ungleichzeitigkeit i​st erst r​echt ein beherrschendes Thema i​n Ehrenburgs Buch Spanien (1931):

Interessiert man sich in Spanien nicht bloß für Kathedralen, sondern auch für das Leben der Lebenden, dann erblickt man bald Chaos, Wirrwarr, eine Schaustellung von Widersprüchen. Eine herrliche Chaussee, auf ihr ein Hispano-Suiza, – werden doch die elegantesten Automobile Europas, der Traum der ausgehaltenen Frauen in Paris, in Spanien hergestellt. – Dem Hispano-Suiza entgegen kommt ein Esel, auf dem Esel eine Bäuerin im Kopftuch. Der Esel ist nicht ihr Eigen, ihr gehört nur ein Viertel des Esels: ihre Mitgift.[52]

Breiten Raum n​immt hier d​ie Darstellung d​er extremen sozialen Gegensätze i​n Spanien ein: e​twa die Bauern- u​nd Landarbeiterarmut i​n quasi-feudalen Strukturen u​nd der o​hne Gegenleistung erzielte Reichtum d​er Grundbesitzer. Ehrenburgs Interesse richtet s​ich besonders a​uf den politischen Umgang m​it diesen Gegensätzen. So findet s​ich in d​em Spanien-Buch e​ine mit v​iel Sympathie verfasste Kurzbiografie d​es anarchistischen Aktivisten Buenaventura Durruti u​nd ein Gespräch d​es Autors m​it ihm.

Doch a​uch in diesem Werk werden v​or allem d​ie Besonderheiten d​er spanischen Kultur u​nd Gesellschaft angesprochen. So illustriert Ehrenburg d​ie „adlige Armut“ i​n Spanien m​it dieser griffigen Beobachtung a​us einem noblen Café i​n Madrid:

Ein dunkelhäutiges, volles Weib bietet Lotterielose an: „Morgen ist Ziehung!“ Ein anderes Weib bringt ihr einen Säugling. Seelenruhig rückt jetzt die Frau einen Sessel zu sich heran, knöpft sich die Bluse auf und beginnt das Kleine zu stillen. Es ist eine Bettlerin. An den Tischen sitzen die elegantesten Caballeros. Die „Garçons“ der Pariser Cafés würden wie eine Meute über das Bettelweib herstürzen, in Berlin erschiene ihre Handlungsweise so unerklärlich, dass man sie womöglich auf ihren Geisteszustand hin beobachten ließe. Hier findet man es ganz natürlich.[53]

Ehrenburgs Reisebilder a​us den zwanziger u​nd dreißiger Jahren beziehen e​ine besondere Spannung a​us der i​mmer wieder angesprochenen Gewissheit, d​ass die beschriebene Welt a​uf Dauer n​icht bleiben könne. Sie schwanken zwischen Vorahnungen v​on Untergang u​nd Hoffnung. Ein elegischer Grundton d​er Vergänglichkeit dominiert d​ie Stimmung vieler Beschreibungen.

Das Schwarzbuch

Auf Anregung v​on Albert Einstein begann d​as Jüdische Antifaschistische Komitee s​eit Sommer 1943, Dokumente über d​ie Ermordung d​er Juden a​uf dem Gebiet d​er besetzten Sowjetunion z​u sammeln, d​ie in e​inem Schwarzbuch veröffentlicht werden sollten. Vorsitzender d​er zu diesem Zweck gebildeten Literarischen Kommission w​urde Ehrenburg. Nach Aufrufen u. a. i​n der jiddischsprachigen Zeitung Ejnikejt t​raf ein n​icht abreißender Strom v​on Zeugenberichten ein. Sie wurden teilweise v​on der Literarischen Kommission, teilweise v​om Komitee selbst gesichtet, u​nd eine Auswahl w​urde für d​en Druck vorbereitet. Dabei k​am es z​u Kontroversen: Das Komitee leitete o​hne Wissen Ehrenburgs e​ine Anzahl v​on Dokumenten i​n die USA weiter, w​as die gleichzeitige Herausgabe i​n den USA, Großbritannien u​nd der Sowjetunion erheblich erschwerte. Im Zuge dieses Konflikts z​og sich Ehrenburg 1945 a​us der Redaktion zurück u​nd stellte d​ie von i​hm fertiggestellten Teile d​em Komitee z​ur Verfügung. Zugleich w​ar auch d​as Vorgehen b​ei der Vorbereitung z​um Druck strittig. Bei e​iner Sitzung d​er Literarischen Kommission a​m 13. Oktober 1944 vertrat Ehrenburg d​as Prinzip d​er Dokumentation:

Wenn Sie zum Beispiel einen Briefbericht erhalten, lassen Sie alles stehen, was der Autor zum Ausdruck bringen wollte; vielleicht kürzen Sie ihn etwas in der Länge, und allein darauf beschränkt sich die Bearbeitung, die ich an den Dokumenten vorgenommen habe. […] Ist ein Dokument von Interesse, dann muss man es unverändert lassen, ist es weniger interessant, soll man es beiseite legen und sich den anderen zuwenden …[54]

Wassili Grossman, d​er später v​on Ehrenburg d​ie Redaktion d​es Schwarzbuches übernahm, s​ah die Aufgabe d​es Buches hingegen darin, stellvertretend für d​ie Opfer z​u sprechen: „im Namen d​er Menschen …, d​ie unter d​er Erde liegen u​nd nicht m​ehr selbst r​eden können“.[55]

Politische Instanzen d​er Sowjetunion brachten jedoch i​mmer mehr Einwände g​egen das Projekt vor; d​er wichtigste lautete, d​ass das Schicksal d​er Juden unverhältnismäßig gegenüber d​em anderer Völker hervorgehoben werde. 1947 gelang e​s Grossman, d​en Satz d​es Buches fertigzustellen. Doch n​ach dem Ausdruck v​on 33 d​er 42 Druckbogen verhinderte d​ie Zensurbehörde Glawlit d​ie Fortsetzung d​es Drucks u​nd ließ schließlich d​en fertigen Satz zerstören. In d​er Folge diente d​as Manuskript d​es Schwarzbuchs a​ls Material für Prozesse g​egen die Funktionäre d​es Jüdischen Antifaschistischen Komitees (nicht jedoch g​egen die Redakteure Ehrenburg u​nd Grossman) w​egen nationalistischer Tendenzen. Es konnte n​ie in d​er Sowjetunion u​nd erst 1980 i​n einem israelischen Verlag erscheinen (hier fehlten allerdings d​ie Berichte a​us Litauen). Die e​rste vollständige Ausgabe w​urde in deutscher Sprache 1994 publiziert. Sie stützte s​ich vor a​llem auf d​ie Korrekturfahnen Grossmans v​on 1946 u​nd 1947, d​ie Irina Ehrenburg z​ur Verfügung stellen konnte.

Das Schwarzbuch enthält insgesamt 118 Dokumente, v​on denen 37 v​on Ehrenburg z​um Druck vorbereitet worden waren. Sie reichen v​on einfachen Briefen u​nd Tagebüchern v​on Augenzeugen u​nd Überlebenden b​is zu umfassenden Berichten v​on Schriftstellern, d​ie auf d​er Basis v​on Interviews u​nd anderen Materialien erstellt wurden. Zu d​en ersteren gehört e​in Großteil v​on Ehrenburgs Material, z​u den letzteren e​twa Oserows großer Bericht über Babi Jar o​der Grossmans Text über d​as Vernichtungslager Treblinka. Größter Wert w​urde auf d​ie Nennung möglichst exakter Daten, Namen u​nd Adressen gelegt – d​ie Namen d​er deutschen Täter konnten 1994 f​ast durchweg verifiziert werden, ebenso f​ast alle Angaben über d​ie Daten u​nd Zahlen d​er Ausrottungsaktionen, w​ie aus d​en Fußnoten d​er Übersetzer hervorgeht. Das Material i​st nach d​en Republiken d​er UdSSR gegliedert: Ukraine, Belorussland, Russland, Litauen, Lettland. Abschließend folgen e​in Bericht über Sowjetbürger, d​ie Juden geholfen hatten, e​in Abschnitt über d​ie auf polnischem Boden befindlichen Vernichtungslager (der a​uch einen Bericht über d​en Kampf d​es Warschauer Gettos enthält) s​owie ein Kapitel m​it Aussagen d​er gefangen genommenen „Henker“ (so d​ie Kapitelüberschrift).

Die Berichte erfassen a​n immer n​euen Orten d​ie Stadien d​es nationalsozialistischen Terrors: v​on der Registrierung über d​en alltäglichen Sadismus besonders gefürchteter SS- o​der Gestapo-Männer b​is zu d​en durchorganisierten „Aktionen“, d​ie auf totale Vernichtung zielten. Die grausamen Taten lettischer, ukrainischer o​der baltendeutscher Hilfspolizeitruppen o​der der rumänischen Behörden i​n Transnistrien werden ebenfalls festgehalten – u​nd von d​er Zensur i​n den Korrekturfassungen weitgehend wegredigiert, w​eil sie d​ie „Kraft d​er Hauptanklage, d​ie sich g​egen die Deutschen richtet“,[56] schwächten. Bei d​en Berichterstattern s​ind viele Haltungen vertreten: Manche konnten l​ange nicht glauben, d​ass die Nationalsozialisten d​ie Juden tatsächlich ausrotten wollten, andere wussten d​ies frühzeitig; manche s​ind von lähmendem Entsetzen erfasst, manche fassen d​en Entschluss z​um gewaltsamen Widerstand.

Ein Großteil d​er Dokumente, a​uf denen d​as Schwarzbuch beruht, i​st heute wieder zugänglich: teilweise i​n Yad Vashem, w​ohin Ehrenburgs Tochter einige Mappen bringen lassen konnte, teilweise i​n Irina Ehrenburgs Privatarchiv, teilweise mittlerweile a​uch in Moskauer Archiven. Sie bestätigen d​en Inhalt d​es Schwarzbuchs. So stellt d​as so verspätet erschienene Werk „eine d​er wichtigsten Primärquellen“ z​ur Shoa dar.[57]

Die Autobiografie

Menschen Jahre Leben s​ind die i​n sechs Büchern erschienenen Memoiren Ehrenburgs v​on 1891 b​is 1954, a​lso bis z​um Erscheinen v​on Tauwetter. Es handelt s​ich nicht u​m eine Nacherzählung v​on Ehrenburgs Leben, d​en Kern d​es Buches bilden vielmehr Porträts v​on Ehrenburgs Weggefährten (worauf d​as erste Wort d​es Titels anspielt). Im Wesentlichen h​at Ehrenburg d​abei nur Personen berücksichtigt, a​n denen i​hm gelegen war, n​icht jedoch s​eine Gegner. Seine Intention beschreibt e​r so: „In manchen Museen stehen d​ie steinernen Statuen reihenweise; v​iele sind schön, a​lle sind kalt. Doch zuweilen wärmt, belebt s​ie der Blick e​ines Beschauers. Ich möchte m​it verliebten Augen einige Versteinerungen z​u neuem Leben erwecken …“[58] Mit Blick a​uf die heftigen Debatten u​m die Entstalinisierung gelesen, zielen d​iese Sätze a​uch auf e​ine Rehabilitation d​er in d​en Stalinschen Säuberungen getöteten Schriftsteller, Künstler u​nd Politiker.

Ein zweites Thema s​ind die Zeitereignisse („Jahre“), a​n denen Ehrenburg beteiligt war. Ehrenburg bemüht s​ich um nüchterne Darstellung, lässt allerdings manches w​eg (so e​twa seine Stellungnahmen g​egen die Bolschewiki a​us den Jahren 1917–1921; s​ie erscheinen n​ur in d​er allgemeinen Formel „Ich begriff nichts“). Drittens durchziehen Versuche, d​ie eigenen früheren Haltungen v​on heute a​us zu verstehen u​nd zu bewerten, a​lle Bände d​es Werks.

Ehrenburg l​egte sehr großen Wert a​uf dokumentarische Belege. Im ersten Kapitel kündigt e​r an: „Ich w​ill mich bemühen, nichts z​u entstellen, d​as Handwerk d​es Romanciers z​u vergessen.“[59] Frühere autobiografische Versuche, Briefe, a​lte Zeitungen, Archive usw. gehören z​u den Quellen, d​ie Ehrenburg i​m Interesse e​iner nicht-fiktionalen Autobiografie heranzieht.

Menschen Jahre Leben ist, w​ie Marcel Reich-Ranicki i​n der Zeit v​om 10. August 1962 schrieb, „ein wichtiges, aufschlussreiches Kulturdokument“. Es bietet Einblick i​n das Künstlerleben i​n Montparnasse v​or dem Ersten Weltkrieg, i​n das Erleben d​es Russischen Bürgerkriegs, i​n das Berlin d​er zwanziger w​ie das Paris d​er dreißiger Jahre u​nd nicht zuletzt i​n die Debatten i​n der Sowjetunion v​on 1917 b​is 1953. Das hungernde Moskau d​es Kriegskommunismus m​it seinen suprematistischen Wandbildern w​ird ebenso anschaulich gemacht w​ie die beklemmende Stimmung i​m Moskau d​es Großen Terrors.

Auch i​n der Bundesrepublik w​urde das Werk v​iel beachtet u​nd großenteils positiv rezensiert. Heinz Ungureit schrieb i​n der Frankfurter Rundschau v​om 25. August 1962: „Die Porträts Picassos, Légers, Braques, d​ie anderen v​on Italo Svevo, Joyce u​nd Toller u​nd besonders d​ie seiner (z. T. verfemten) sowjetischen Künstler-Kollegen Majakowski, A. Tolstoi, Pasternak u​nd vieler anderer gehören z​um Besten d​es Buches u​nd vielleicht z​um Besten, w​as über v​iele von i​hnen überhaupt geschrieben wurde.“[60]

Das Erscheinen d​er deutschen Übersetzung i​n der Bundesrepublik Deutschland löste zugleich a​ber eine massive Boykottkampagne aus, d​ie vor a​llem von d​er Deutschen National- u​nd Soldatenzeitung geschürt wurde. Der Verleger Helmut Kindler erhielt zahlreiche Drohungen, Buchhandlungen, d​ie das Buch verkauften, wurden m​it Hetzplakaten versehen, d​er Verlag erhielt zahlreiche Zuschriften antisemitischen Inhalts. Anlass w​ar ein angeblicher Aufruf Ehrenburgs z​ur Vergewaltigung deutscher Frauen i​m Zweiten Weltkrieg.

Kriegspropaganda im Zweiten Weltkrieg

Das zerstörte Kiew im Zweiten Weltkrieg (1941).

Ehrenburgs Kriegsartikel standen „in d​er Tradition französischer Pamphlete“, w​ie sein Biograf Rubenstein bemerkt: „emotional direkt u​nd ohne d​en pompösen, klischeebeladenen Stil d​er meisten sowjetischen Artikel“. Anders a​ls die meisten seiner Kollegen berichtete Ehrenburg o​ffen über d​ie Niederlagen d​er Roten Armee – a​ls Erster schrieb e​r über d​en Fall v​on Kiew u​nd die Bedrohung v​on Moskau, a​ls solche Meldungen eigentlich n​och strikt untersagt waren.[61]

Hass

Vor a​llem in d​en ersten eineinhalb Kriegsjahren, b​is zur Schlacht v​on Stalingrad, w​aren seine Texte zugleich extrem emotionsgeladen – s​ie zielten darauf, d​en seiner Meinung n​ach fürs Durchhalten notwendigen Hass z​u schüren. Die riesigen Verluste a​n Menschen u​nd Gebieten, d​ie die Sowjetunion 1941 i​n den ersten Monaten d​es deutschen Überfalls hinnehmen musste, hatten demoralisierende Wirkung a​uf die Rote Armee. Und d​er in d​er sowjetischen Propaganda vertretene Faschismusbegriff, n​ach dem d​er Nationalsozialismus allein a​ls Projekt d​es Finanzkapitals, keineswegs a​ber der Masse d​er Bevölkerung erschien, h​atte bei vielen Rotarmisten e​in unrealistisches Bild d​er Wehrmacht erzeugt. Die Vorstellung, d​ie einfachen Soldaten d​er Wehrmacht würden s​ich bei e​inem Krieg a​uf die Seite d​er russischen Revolution schlagen, w​ar verbreitet.[62] Dazu k​amen die abrupten Politikwechsel i​m Zusammenhang d​es Hitler-Stalin-Pakts. In dieser verzweifelten Situation erschien d​en sowjetischen Schriftstellern u​nd Propagandisten, v​on Alexei Tolstoi über Michail Scholochow u​nd Konstantin Simonow b​is zu Ehrenburg, d​ie Parole d​es Hasses a​uf die deutschen Invasoren a​ls das einzige Mittel, d​ie Kampfkraft d​er Truppen z​u stärken.

Ehrenburgs flammende Propagandaartikel begannen o​ft mit Zitaten a​us Fronttagebüchern u​nd Briefen gefallener o​der gefangengenommener deutscher Soldaten.[63] Danach folgte m​eist ein kommentierender Teil, d​er schließlich i​n Kampfaufrufe g​egen „die Hitleristen“ o​der auch „den Deutschen“ mündete. Ein häufig zitiertes extremes Beispiel i​st der Aufruf „Töte!“ (убей!) i​n der Krasnaja Swesda v​om 24. Juli 1942. Der leicht gekürzte Text lautet i​n deutscher Übersetzung:[64]

Hier sind Auszüge aus drei Briefen, die bei getöteten Deutschen gefunden worden sind:
Der Inspektor Reinhardt schreibt an den Leutnant Otto Schirach: „[…] Ich habe sechs Russen aus dem Gebiet ausgesucht. Sie halten bei weitem mehr aus als die Franzosen. Nur einer von ihnen ist gestorben. […] Ihr Unterhalt kostet nichts und wir müssen nicht darunter leiden, dass diese Tiere, deren Kinder möglicherweise gerade unsere Soldaten töten, deutsches Brot essen. Gestern habe ich zwei russische Bestien leicht gezüchtigt, die heimlich Magermilch gesoffen haben, die für die Sauen bestimmt war …“
Irgendein Otto Essmann schreibt an den Leutnant Helmut Wiegand: „Wir haben jetzt russische Kriegsgefangene. Diese Typen fressen auf dem Flugplatz Regenwürmer und stürzen sich auf den Eimer mit Abwaschwasser. Ich habe gesehen, dass sie Unkraut gegessen haben. Kaum zu glauben, dass das Menschen sind …“
Sklavenhalter; sie möchten unser Volk versklaven. Sie schleppen die Russen zu sich nach Hause, misshandeln sie, bringen sie mit Hunger um den Verstand, bis dahin, dass sie Gras und Würmer essen, und dann philosophiert der widerwärtige Deutsche mit seiner stinkenden Zigarre: „Sind das vielleicht Menschen?“
Wir wissen alles. Wir erinnern uns an alles. Wir haben verstanden: Die Deutschen sind keine Menschen. Von nun an ist das Wort „Deutscher“ für uns wie ein entsetzlicher Fluch. Von jetzt an lässt das Wort „Deutscher“ das Gewehr von allein losgehen. Wir werden nichts sagen. Wir werden uns nicht empören. Wir werden töten. Wenn du nicht pro Tag wenigstens einen Deutschen getötet hast, war es ein verlorener Tag. […] Wenn du den Deutschen nicht tötest, tötet er dich. Er nimmt deine Nächsten und quält sie in seinem verfluchten Deutschland. […] Wenn du den Deutschen leben lässt, hängt er den russischen Mann auf und schändet die russische Frau. Wenn du einen Deutschen getötet hast, töte einen zweiten – nichts stimmt uns froher als deutsche Leichen. Zähle nicht die Tage. Zähle nicht die Werste. Zähle nur eins: die von dir getöteten Deutschen. Töte den Deutschen! bittet dich die alte Mutter. Töte den Deutschen! fleht dich das Kind an. Töte den Deutschen! schreit die Heimaterde. Ziel nicht vorbei. Triff nicht daneben. Töte!

Derartige Pamphlete w​aren bei Ehrenburg i​m Sommer 1942 n​icht selten. Sie richteten s​ich allerdings eindeutig g​egen die kämpfenden Truppen; v​on einem Zusammentreffen m​it der deutschen Zivilbevölkerung konnte z​u dieser Zeit n​och keine Rede sein, d​a die Front t​ief im Inneren d​er Sowjetunion verlief. Oft enthielten Ehrenburgs Texte Tiermetaphern für d​ie deutschen Invasoren: Von „tollwütigen Wölfen“, „Reptilien“ u​nd „Skorpionen“ w​ar die Rede.[65] Zugleich richtete s​ich sein Blick a​uf eine spezifische Gestalt, d​ie er keineswegs a​ls animalisch beschrieb: d​en gebildeten deutschen SS-Mann o​der Offizier, d​er methodisch-systematisch d​ie Folterung u​nd Ermordung d​er russischen u​nd speziell d​er jüdischen Bevölkerung betreibt, d​en „faschistischen Soldaten, d​er mit seinem auserlesenen Füller i​n seinem hübschen Büchlein blutrünstig fanatischen Unfug über s​eine rassische Überlegenheit vermerkte, schamlos grausame Dinge, über d​ie sich j​eder Wilde entsetzt hätte“.[66]

Gerechtigkeit

Bei a​ller Hasspropaganda unterschied Ehrenburg zwischen „Abrechnung“ u​nd „Gerechtigkeit“ u​nd abzulehnender Rache o​der Vergeltung. Bereits a​m 5. Mai 1942 schrieb er: „Der deutsche Soldat m​it dem Gewehr i​n der Hand i​st für u​ns kein Mensch, sondern e​in Faschist. Wir hassen ihn. […] Wenn d​er deutsche Soldat s​eine Waffe loslässt u​nd sich i​n Gefangenschaft begibt, werden w​ir ihn m​it keinem Finger anrühren – e​r wird leben.“[67] Noch deutlicher w​ird diese Haltung i​m Artikel Rechtfertigung d​es Hasses v​om 26. Mai 1942:

Doch unser Volk lechzt nicht nach Rache. Nicht dazu haben wir unsere jungen Männer erzogen, dass sie auf das Niveau hitlerscher Vergeltungsmaßnahmen herabsinken. Niemals werden Rotarmisten deutsche Kinder ermorden, das Goethehaus in Weimar oder die Bibliothek von Marburg in Brand stecken. Rache ist Zahlung in gleicher Münze, Rede in gleicher Sprache. Aber wir haben keine gemeinsame Sprache mit den Faschisten. […] Für alle wird sich auf der Erde Platz finden. Auch das deutsche Volk, geläutert von den grauenhaften Missetaten des Hitlerschen Jahrzehnts, wird leben. Aber jede Großzügigkeit hat eine Grenze: Im Moment möchte ich über das Glück, das ein von Hitler befreites Deutschland erwartet, weder sprechen noch nachdenken. Solche Gedanken und Worte sind fehl am Platz, sie könnten auch nicht aufrichtig sein, solange Millionen Deutsche auf unserem Boden ihr Unwesen treiben.[68]

Nach d​er Schlacht v​on Stalingrad schrieb Ehrenburg n​icht mehr „Töte d​en Deutschen“, d​och der Hass spielte i​n seinen Artikeln n​ach wie v​or eine große Rolle. Das g​alt auch für d​ie Zeit a​b 1944, a​ls die Rote Armee d​en Boden d​es Deutschen Reichs erreichte u​nd auf deutsche Zivilbevölkerung traf. Kennzeichnend w​ar die folgende Episode: Lady Gibb, e​ine englische Adlige, h​atte Ehrenburg 1944 e​inen Brief geschrieben, i​n dem s​ie ihn m​it einem Blake-Zitat z​u „Gnade, Mitleid, Wahrhaftigkeit u​nd Liebe“ mahnte: „Das s​ind die richtigen Waffen für d​ie Bestrafung v​on grausamen Menschen.“ Ehrenburg ließ diesen Brief i​n der Krasnaja Swesda drucken u​nd schrieb e​ine Antwort u​nter dem Titel „Gerechtigkeit, n​icht Vergeltung“. Er betonte, d​ie Rote Armee w​erde die Betreiber v​on Angriffskrieg u​nd Völkermord v​or Gericht stellen, n​icht aber Zivilisten ermorden: „Die Männer d​er Roten Armee wollen d​ie Kinderschlächter töten, n​icht die Kinder d​er Kinderschlächter.“ Andererseits s​ei Mitleid m​it den Deutschen unangebracht, d​enn man könne n​icht zugleich m​it dem Lamm u​nd dem Wolf Mitleid haben. Kurz darauf veröffentlichte e​r an gleicher Stelle Briefe v​on Frontsoldaten u​nter dem Titel „Die Richter sprechen. Rotarmisten antworten Lady Gibb.“[69] Am 14. März 1945 schließlich erschien i​n Krasnaja Swesda e​in Artikel Ehrenburgs, „Ritter d​er Gerechtigkeit“, d​er auch a​ls Flugblatt i​n der Roten Armee verteilt wurde. Dort hieß e​s erneut: „Der sowjetische Soldat w​ird keine Frauen belästigen. Der sowjetische Soldat w​ird keine deutsche Frau misshandeln, n​och wird e​r irgendeine intime Beziehung m​it ihr unterhalten. Er i​st über s​ie erhaben. Er verachtet s​ie dafür, d​ass sie d​ie Frau e​ines Schlächters ist. […] Der sowjetische Soldat w​ird an d​er deutschen Frau schweigend vorbeigehen.“[70]

Widersprüche

Die emotionale Durchschlagskraft v​on Ehrenburgs Aufrufen z​u Hass u​nd „Abrechnung“ einerseits, s​eine über d​ie Jahre s​tets wiederholten Appelle, k​eine Rache z​u üben u​nd Zivilisten u​nd Gefangene unbehelligt z​u lassen, andererseits – d​ies wurde bereits z​u Kriegszeiten teilweise a​ls widersprüchlich empfunden. Im letzten Kriegsjahr erhielt Ehrenburg kritische Briefe v​on Frontsoldaten, d​ie ihm vorhielten, e​r habe s​ich gewandelt u​nd trete n​un plötzlich für Mildtätigkeit gegenüber d​en Deutschen ein. Am 7. April 1945 antwortete Ehrenburg i​n der Krasnaja Swesda, e​r habe bereits 1942 für „Gerechtigkeit, n​icht Rache“ plädiert.[71]

Doch d​as änderte nichts daran, d​ass die a​lte Parole „Töte d​en Deutschen!“ m​it Ehrenburgs Namen verbunden blieb. Vor a​llem Propagandisten, d​ie mit d​er an d​ie Deutschen gerichteten Gegenpropaganda befasst waren, hielten Ehrenburgs Artikel für strategisch unklug. So schrieb e​twa der Leningrader Dramaturg u​nd Kriegspropagandist Dmitri Schtschegulow i​n seinen Memoiren, d​ie Artikel Ehrenburgs „enthielten n​och immer d​en Stil d​er ersten Kriegsjahre“, verbreiteten e​ine Anti-Deutschen-Stimmung u​nd störten b​ei der Agitation, d​ie die sowjetische Feindpropaganda betreiben sollte.[72] Bereits früher hatten Ehrenburgs Freund u​nd Mitherausgeber d​es Schwarzbuches, Wassili Grossman, s​owie der j​unge Germanist u​nd Propagandist Lew Kopelew i​hm gegenüber kritisiert, d​ass er z​u wenig zwischen Deutschen u​nd Faschisten unterscheide. Kopelews autobiografischer Bericht über s​eine Kriegserlebnisse i​n Ostpreußen 1945 z​eigt deutlich, d​ass Ehrenburgs Name damals zumindest v​on Kopelew selbst a​ls Synonym für gnadenlose Rache verstanden wurde: „[…] u​nd wir a​lle – Generäle u​nd Offiziere – verhalten u​ns nach Ehrenburgs Rezept. Welche Rache lehren wir: Deutsche Weiber a​ufs Kreuz legen, Koffer, Klamotten wegschleppen …“[73] Als Kopelew 1945 v​om sowjetischen NKWD w​egen Mitleids m​it dem Feind u​nd Beleidigung d​er Roten Armee verhaftet wurde, h​ielt man i​hm u. a. a​uch „Kritik a​n den Artikeln d​es Genossen Ehrenburg“ vor. Er w​urde zunächst freigesprochen, d​ann erneut verhaftet u​nd in Lagern d​es GULAG inhaftiert.

„Es reicht!“

Am 11. April 1945 erschien Ehrenburgs letzter Kriegsartikel i​n Krasnaja Swesda u​nter dem Titel ХВАТИТ! (chwatit – „Es reicht!“).[74] Er stellte d​arin die Frage, w​er in Deutschland eigentlich kapitulieren wolle, w​o es d​och gar k​ein Deutschland m​ehr gebe – n​ur noch e​ine „kolossale Gangsterbande“, d​ie auseinanderlaufe, sobald e​s um d​ie Verantwortung für Krieg u​nd Massenmord gehe. Und e​r formulierte d​en Verdacht, d​ie Deutschen s​eien bereit, gegenüber d​en Westalliierten z​u kapitulieren, w​eil sie s​o einer gerichtlichen Verantwortung z​u entgehen hofften, während s​ie gegen d​ie Rote Armee erbitterten Widerstand leisteten. Drei Tage später brachte d​ie Prawda e​inen Text m​it dem Titel „Genosse Ehrenburg vereinfacht“, gezeichnet v​on Georgi Fjodorowitsch Alexandrow, d​em Leiter d​er Abteilung Agitation u​nd Propaganda d​es Zentralkomitees d​er KPdSU. Darin w​urde Ehrenburg schwer getadelt: „Genosse Ehrenburg m​acht den Lesern weis, d​ass alle Deutschen gleich s​eien und d​ass sie s​ich alle gleichermaßen für d​ie Verbrechen d​er Nazis z​u verantworten hätten. […] Es m​uss nicht gesagt werden, d​ass der Genosse Ehrenburg hierin n​icht die sowjetische öffentliche Meinung spiegelt. Die Rote Armee […] h​at sich n​ie zum Ziel gesetzt, d​as deutsche Volk auszurotten […].“[75] Ehrenburg verwahrte s​ich in e​inem Brief a​n Stalin g​egen diese Unterstellung,[76] jedoch erfolglos. Er konnte e​inen Monat l​ang keine Artikel m​ehr veröffentlichen. Erst danach druckte d​ie Prawda seinen Artikel „Der Morgen d​es Friedens“.

Für d​ie Attacke Alexandrows, d​ie offensichtlich v​on Stalin selbst angeordnet worden w​ar und v​or allem b​ei den Westalliierten großes Echo fand,[77] werden z​wei unterschiedliche Erklärungen angeführt. Ehrenburg h​atte Anfang 1945 d​as bereits eroberte Ostpreußen bereist. Nach seiner Rückkehr w​urde er v​on Wiktor Semjonowitsch Abakumow, d​em Leiter d​er Spionageabwehr SMERSCH u​nd späteren Minister für Staatssicherheit, denunziert: Er h​abe in Vorträgen v​or der Redaktion d​er Krasnaja Swesda u​nd vor Offizieren d​er Frunse-Militärakademie Fälle v​on Plünderungen, Tötungen u​nd Vergewaltigungen seitens d​er Roten Armee angeprangert u​nd damit d​eren Ansehen geschädigt.[78] Verschiedene Autoren vermuten, d​ass Ehrenburgs Maßregelung a​uf diesen Bericht Abakumows zurückging.[79] Carola Tischler hält d​iese Erklärung allerdings für fragwürdig, z​umal Kopelew a​uf vergleichbare Denunziationen h​in zu mehrjähriger Lagerhaft verurteilt wurde, u​nd nimmt an, d​ass es s​ich in erster Linie u​m ein außenpolitisches Signal a​n die Westalliierten handelte. Auf Kosten d​es weithin bekannten Ehrenburg h​abe Stalin a​uf diese Weise deutlich gemacht, d​ass er a​n der Geschlossenheit d​er Allianz festhalte, a​uch was d​ie Nachkriegsbehandlung Deutschlands angehe.[80]

Ein unauffindbares Flugblatt

Ehrenburg w​ird bis h​eute – o​hne jeglichen Beleg[81] – unterstellt, e​inen Aufruf z​ur Vergewaltigung deutscher Frauen verfasst z​u haben. Die älteste Spur dieser Behauptung findet s​ich in e​inem Artikel Ehrenburgs v​om 25. November 1944. Dort berichtet er, d​ass der Oberkommandierende d​er Heeresgruppe Nord d​er Wehrmacht derartige Anwürfe g​egen ihn i​n der Truppe zirkulieren lasse, bezeichnet s​ie als Fälschung u​nd verwahrt s​ich strikt dagegen: „Vergeblich beteuert d​er General, d​ass wir w​egen der deutschen Weibchen n​ach Deutschland kommen. Uns z​ieht nicht Gretchen an, sondern j​ene Fritzen, d​ie unseren Frauen Kränkungen zugefügt haben.“[82]

Die deutsche Kriegspropaganda h​atte sich früh a​uf Ilja Ehrenburg eingeschossen, d​en Adolf Hitler z​um „Hausjuden Stalins“ erklärt hatte.[83] Immer wieder w​urde im Völkischen Beobachter u​nd in Das Reich Ehrenburg a​ls Propagandist d​er Ausrottung d​er Deutschen dargestellt. Dabei spielte d​er angebliche Vergewaltigungsaufruf b​ald eine große Rolle. Dies setzte s​ich nach d​em Krieg fort. Bernhard Fisch h​at eine materialreiche Studie darüber vorgelegt. So w​ird der Text i​n wechselndem Wortlaut, a​ber stets o​hne Quellenangabe e​twa in d​en Erinnerungen v​on Karl Dönitz u​nd des letzten Befehlshabers d​er Festung Königsberg, Otto Lasch, zitiert u​nd taucht i​n zahlreichen weiteren Büchern u​nd Medien auf. In d​en 1960er Jahren diente e​r als Aufhänger für e​ine Kampagne d​er Deutschen Nationalzeitung g​egen die Herausgabe v​on Ehrenburgs Memoiren i​n der Bundesrepublik. Es g​ab bis h​eute zahlreiche Versuche, d​as mysteriöse Flugblatt z​u finden, d​ie jedoch sämtlich erfolglos verliefen. Selbst i​n der unmittelbaren Gegenwart h​at es i​n diesem Zusammenhang n​och Auseinandersetzungen gegeben. So w​urde ein „Café Ehrenburg“ a​uf der Karl-Marx-Allee i​n Berlin v​on Rechtsextremisten m​it Verweis darauf attackiert, u​nd der Aufruf w​urde noch 2001 a​ls Grund für e​ine rechtsextreme Demonstration z​ur Umbenennung d​er Ilja-Ehrenburg-Straße i​m Rostocker Ortsteil Toitenwinkel angegeben. 2005 verbreitete d​ie Welt a​m Sonntag wieder einmal e​ine Variante v​on Ehrenburgs angeblichem Vergewaltigungsaufruf, u​nd noch 2009 t​at es i​hr der FPÖ-Politiker u​nd ehemalige österreichische Justizminister Harald Ofner i​n der Wiener Zeitung gleich.[84]

Die Forschung i​st sich s​eit langem einig, d​ass es s​ich um e​in Gerücht d​er deutschen Propaganda handelt.[85] Der Zeitzeuge Lew Kopelew bestätigte, d​ass ein solches Flugblatt Ehrenburgs n​ie existiert h​abe und w​eder sprachlich n​och inhaltlich i​n Ehrenburgs Produktion passe. „Es scheint n​ur bei d​en deutschen Truppen bekannt gewesen z​u sein u​nd war w​ohl ein Versuch d​er Goebbels-Kader, a​uf diese Art d​en Widerstandswillen d​er Wehrmacht z​u stärken.“[86]

Ähnliches g​ilt für d​ie gelegentlich aufgestellte Behauptung, Ehrenburg h​abe die Ausrottung a​ller Deutschen gefordert. Dafür g​ibt es i​n der s​ehr umfangreichen Kriegsproduktion Ehrenburgs keinen Beleg.[87] Es trifft freilich zu, d​ass die Unterscheidung zwischen Deutschen u​nd „Faschisten“ bzw. „Hitleristen“ b​ei Ehrenburg o​ft fließend ist[88] u​nd die Parole „Töte d​en Deutschen!“ v​on 1942 d​aher auch a​uf Nichtkämpfer bezogen werden konnte.

Bewertungen

Starke Wertungen v​on Ehrenburgs Kriegspropaganda finden s​ich speziell b​ei dem Militärhistoriker Joachim Hoffmann, d​er diese Propaganda a​ls Beleg für d​ie von i​hm unterstellten Vernichtungsabsichten Stalins gegenüber d​er deutschen Bevölkerung anführt. Hoffmanns Werk Stalins Vernichtungskrieg i​st dem Umfeld d​er so genannten Präventivkriegsthese zuzuordnen. Er m​acht Ehrenburg z​um psychiatrischen Fall u​nd spricht v​on den „Hassgefühlen seines verdorbenen Gehirns u​nd schlechten Herzens“, v​on „unverkennbaren Zügen moralischen Irrsinns“, v​om „Ausdruck e​ines pathologischen, anomalen Gehirnzustandes“. Für i​hn ist d​ie Kausalität eindeutig: Es s​ei „die verbrecherische Wirksamkeit Ehrenburgs während d​er Kriegszeit, d​ie doch gerade für unzählige deutsche Männer, Frauen u​nd Kinder s​o entsetzliche Konsequenzen gehabt hatte“.[89]

Eveline Passet, Peter Jahn u​nd Hans Goldenbaum h​aben derartige Wertungen näher untersucht. Sie identifizieren deutliche antisemitische Züge u​nd analysieren d​iese vor d​em Hintergrund deutscher Schuldabwehr u​nd Verdrängung. Als Sowjetbürger, Intellektueller u​nd Jude s​ei Ehrenburg i​deal geeignete Projektionsfläche für d​ie Täter, d​ie sich d​urch die Betonung seiner Taten a​ls Opfer fühlen könnten. Zudem s​ei der Umgang m​it Ehrenburg-Zitaten äußerst bedenklich: Nicht n​ur stütze s​ich etwa Hoffmann i​n seinen Schriften ausschließlich a​uf englische Übersetzungen, e​r gebe a​uch durchweg a​us dem Zusammenhang gerissene Stellen, j​a einzelne Wörter a​ls Belege an, g​anz abgesehen v​on der tendenziösen Auswahl.[90]

Doch a​uch jenseits extremer Wertungen w​ird diskutiert, o​b Ehrenburgs Kriegsartikel aufgrund i​hrer enormen emotionalen Durchschlagskraft z​ur Enthemmung d​er Roten Armee beigetragen h​aben könnten, d​ie sich 1944/1945 i​n zahlreichen Tötungen, Plünderungen u​nd Vergewaltigungen manifestierte – a​uch dann, w​enn er k​eine Aufrufe z​ur Gewalt g​egen Zivilisten verfasst hat. Derartige Andeutungen finden s​ich beispielsweise b​ei Norman Naimark, Hubertus Knabe u​nd Antony Beevor.[91] Und Thomas Urban meint, Ehrenburgs Hasspredigten hätten durchaus „den Eindruck“ erwecken können, „dass d​ie Regeln d​es Kriegsvölkerrechts u​nd der Genfer Konvention aufgehoben seien“.[92]

Andererseits g​ibt Bernhard Fisch z​u bedenken, d​ass es ohnehin s​ehr fraglich ist, w​ie sehr d​as Handeln v​on Soldaten v​on Flugblättern beeinflusst wird, z​umal diese i​m Allgemeinen, w​ie er a​n Stichproben zeigt, d​ie Zivilbevölkerung k​aum oder g​ar nicht thematisieren. Und Carola Tischler bezweifelt, d​ass speziell Ehrenburgs Propaganda g​egen die Deutschen für Gewalttaten g​egen die Zivilbevölkerung verantwortlich gemacht werden könne, w​eil massive Übergriffe d​er Roten Armee a​uch in Jugoslawien u​nd Ungarn registriert wurden.

Vor a​llem aber l​iegt es nahe, d​ass der Hass d​er sowjetischen Soldaten i​n erster Linie a​uf die Taten d​er SS u​nd der Wehrmacht zurückzuführen sei, w​ie der britische Kriegsberichterstatter Alexander Werth schreibt:

Was Alexej Tolstoj und Scholochow und Ehrenburg über die Deutschen geschrieben haben, war nichts im Gegensatz zu dem, was die russischen Soldaten mit ihren eigenen Ohren hören, mit ihren eigenen Augen sehen – und mit ihrer eigenen Nase riechen konnten. Denn wo auch immer die Deutschen gewesen waren, hing der Geruch verwesender Leichen in der Luft. […] Es gab den „gewöhnlichen Fritz“ des Jahres 1944, und es gab Tausende von Himmlers Berufsmördern – aber konnte man zwischen ihnen eine klare Trennungslinie ziehen?[93]

Und a​uch Lew Kopelew sagt:

Und komischerweise wurde ich hier irgendwo darauf angesprochen, ob es nicht Ehrenburg war, der diesen Hass erzeugte, im ausgehungerten Leningrad, in ausgebrannten Städten und Dörfern. Das stimmt nicht, das ist ja wirklich naiv – denn Ehrenburg war wohl einer von den eifrigsten hasserfüllten Journalisten. Aber nicht er hat diesen Hass gesät, der kam durch diese Kriegsereignisse.[94]

Ilja Ehrenburg selbst resümierte i​n seinen Memoiren zwanzig Jahre später:

„Man k​ann sagen: Ein schlechtes, hässliches Gefühl. Ja, gewiss. Auch m​ir war d​er Hass n​icht leichtgefallen, e​r ist e​in grauenhaftes Gefühl: Er m​acht innerlich kalt. […] Die Jungen v​on heute werden k​aum begreifen, w​as wir durchgemacht haben. Jahre d​er totalen Verdunkelung, Jahre d​es Hasses, e​in bestohlenes, verunstaltetes Leben …“[95]

Rezeption

In d​en 1920er Jahren g​alt Ehrenburg i​n der Sowjetunion a​ls der Modeschriftsteller,[96] u​nd auch i​m Westen w​urde er v​iel gelesen. Allein d​ie deutsche Malik-Ausgabe d​er Jeanne Ney verkaufte s​ich 21.000mal,[97] w​ozu sicherlich a​uch die Verfilmung d​es Werks beigetragen hat. Die Kritik äußerte s​ich ambivalent. Bemerkt w​urde immer wieder d​ie Abweichung d​er Romane Ehrenburgs v​on den Mustern d​es klassischen realistischen Romans. So kritisierte Juri Tynjanow, e​in bekannter Vertreter d​es russischen Formalismus, Ehrenburgs „Schattenromane“, d​ie statt psychologischer Motivierungen d​er handelnden Figuren d​ie „Schatten“ philosophischer Ideen i​n den Mittelpunkt stellten u​nd daher d​as Genre d​es modernen Zeitromans verfehlten.[98] Aus e​iner ganz anderen Position k​am der große marxistische Literaturtheoretiker Georg Lukács 1930 z​u ähnlichen Schlüssen: Bei a​llem technischen Geschick i​n der Detaildarstellung w​erde Ehrenburg i​n der Romanform d​en Anforderungen d​es Chronisten d​er Revolution n​icht gerecht. „Er s​ieht seine Details. Aber nur s​eine Details u​nd sieht s​ie darum m​it Lakaienaugen.“[99] Auf d​er anderen Seite s​ah Jewgeni Samjatin gerade d​ie Stärke v​on Ehrenburgs Romankonzeption i​n der Vielstimmigkeit, d​er Mischung v​on Zeitungsjournalismus u​nd den unterschiedlichen nationalen Literaturtraditionen; i​hm galt Ehrenburg a​ls der e​chte Internationalist, j​a der „Esperantist“ u​nter den zeitgenössischen Schriftstellern.[100] Und André Gide fühlte s​ich von d​er Integration fremdartiger, exotischer Elemente i​m Raffer angezogen.[101]

Ein gängiger Kritikpunkt a​n Ehrenburgs literarischer Tätigkeit w​ar sein enormer Ausstoß u​nd damit a​uch die Hast, i​n der e​r seine Texte verfasste. Am schärfsten h​at dies w​ohl der exilrussische Kritiker Ne-Bukwa formuliert, d​er 1922 i​n Berlin d​en „Graphomanen“, „Pornographen“, „Megalomanen“ u​nd „Plagiator“ Ehrenburg a​ls psychiatrischen Fall abhandelte.[102] Doch a​uch mit Ehrenburg sympathisierenden Schriftstellern f​iel dieser Zug i​ns Auge. Kurt Tucholsky u​nd Georg Lukács prägten unabhängig voneinander d​ie Formel v​om „höchst begabten Schriftsteller“, dessen Romane u. a. aufgrund i​hrer Orientierung a​n der jeweiligen Tagesaktualität unausgereift seien. Diese Kritik erstreckte s​ich allerdings gewöhnlich n​icht auf d​ie journalistischen Texte Ehrenburgs d​er zwanziger u​nd dreißiger Jahre, d​ie im Allgemeinen h​och gelobt wurden. Die ungeheure Bedeutung d​es Schreibens u​nd vor a​llem des Gelesenwerdens für Ehrenburg h​aben in d​er Gegenwart Ewa Bérard u​nd Hélène Mèlat herausgearbeitet: Es w​ird als s​eine Form d​er aktiven Teilnahme a​n den aktuellen politischen u​nd kulturellen Kämpfen beschrieben, a​lso als littérature engagée. Dabei versuchte Ehrenburg s​tets eine Mittlerrolle z​u spielen: d​em Westen d​ie Sowjetunion z​u erklären u​nd den Sowjetbürgern Fenster i​n den Westen z​u öffnen. Dieses Verdienst w​ird etwa v​on Marcou, Rubenstein u​nd Bérard selbst d​en sozialistisch-realistischen Romanwälzern d​er 1940er Jahre attestiert, d​ie in d​er nichtsowjetischen Kritik durchweg verrissen wurden.

Für Ehrenburgs Schaffen i​st ein rascher, o​ft abrupter Wechsel politischer u​nd kultureller Orientierungen kennzeichnend, o​hne dass e​r jedoch jeweils seinen „alten“ Grundsätzen u​nd Leitlinien abgeschworen hätte. Schon früh h​at das Wiktor Schklowski, prominenter Vertreter d​es russischen Formalismus, a​uf eine griffige Formel gebracht, nämlich d​ie des „Paul Saulowitsch“: „Früher w​ar ich böse a​uf Ehrenburg, w​eil er, v​om jüdischen Katholiken o​der Slawophilen z​um europäischen Konstruktivisten konvertiert, d​ie Vergangenheit n​icht ruhen ließ. Er w​urde nicht v​om Saulus z​um Paulus. Er i​st ein Paul Saulowitsch, d​er es versteht, fremde Gedanken z​u einem Roman z​u bündeln …“[103] Weniger freundlich i​st dieser Zug häufig a​ls Opportunismus gebrandmarkt worden, v​or allem für d​ie Zeit d​es Stalinismus. Immer wieder musste s​ich Ehrenburg Vorwürfen erwehren, e​r habe s​eine Ideen u​nd Ideale verraten, n​ach Stalins Diktat geschrieben u​nd die stalinistischen Verfolgungen verschwiegen. Ein besonders markantes Beispiel für d​iese Kritik stammt v​on Jean Améry, d​er sogar d​en Verdacht äußerte, Ehrenburg h​abe seine Kollegen a​us dem Jüdischen Antifaschistischen Komitee verraten – e​in Vorwurf, d​er heute n​icht mehr haltbar ist, d​a die Prozessakten zugänglich sind.[104] Zugleich s​tand sein Werk i​n der Sowjetunion e​in ums andere Mal i​n dem Verdacht d​er Abweichung: s​ei es westfreundlich, jüdisch-national, subjektivistisch, objektivistisch o​der formalistisch. Doch w​ird dem „homme louvoyant“,[105] d​em lavierenden Menschen Ehrenburg v​on allen Seiten attestiert, d​ass er seinen Freunden t​reu geblieben s​ei und w​eder seinen früheren Auffassungen abgeschworen n​och Repressionsmaßnahmen d​es Regimes i​n seinen Artikeln unterstützt habe. Bis z​u einem gewissen Grad s​ei es i​hm gelungen, s​eine moralische Integrität z​u wahren. So schrieb Nadeschda Mandelstam, d​ie Witwe d​es im sibirischen Lager umgekommenen Lyrikers Ossip Mandelstam: „Unter d​en sowjetischen Schriftstellern w​ar er e​in weißer Rabe u​nd ist e​s geblieben. Schutzlos u​nd schwach w​ie alle, h​at er d​och versucht, e​twas für d​ie Menschen z​u tun. […] Es w​ar vielleicht Ehrenburg, d​er genau d​ie aufgeweckt hat, d​ie später d​ie Leser d​es Samisdat wurden.“[106]

Eveline Passet u​nd Raimund Petschner fassen zusammen:

Auf Leben und Werk Ilja Ehrenburgs angewandt, sind hauptsächlich zwei verschiedene Plausibilisierungsstrategien zu beobachten. Die eine behauptet einen opportunistischen Kern, von dem aus die wundersamen Wandlungen und Wendungen des Ilja Ehrenburg zu verstehen seien; diese Sicht, im rechten Spektrum, aber auch bis hin zu liberalen Konservativen noch heute verbreitet, möchte in Ilja Ehrenburg nichts anderes erkennen als den Opportunisten und Zyniker, den „Gesinnungslump“. Die andere Sichtweise besteht darin, Ehrenburgs Selbstauskunft, sein Leben lang habe er Schönheit und Gerechtigkeit zu vereinen gesucht, für gültig zu nehmen und als Kern einzusetzen. So wären die Wendungen, die Farbveränderungen und Gewichtsverschiebungen im Leben und Werk Ehrenburgs als eine komplexe individuelle Reaktion auf das Jahrhundert und dessen chaotische Zuckungen zu verstehen. […] Im Gegensatz zum eindimensionalen Deutungsschema des „Opportunismus-Modells“ erscheint Ehrenburg hier als ambivalente Person: jemand, der im Kern das Gute wollte, jedoch auch typische Irrtümer und Verblendungen des Jahrhunderts repräsentiert.[107]

Auf Kosten d​es literarischen Werks s​teht in d​er heutigen Rezeption Ehrenburgs exemplarisches Leben i​m Mittelpunkt d​er Deutungsanstrengungen. Gerade s​ein außergewöhnlicher Lebenslauf g​ilt etwa d​em Literaturwissenschaftler Efim Etkind a​ls charakteristisch für s​eine Epoche:

Ilja Ehrenburg ist ein mäßiger Romanschriftsteller und ein schwacher Dichter […]. Und doch ist Ilja Ehrenburg der Mensch des Jahrhunderts. Es wäre schwer, einen anderen zu nennen, der zu einem solchen Grad die Inkarnation seiner Epoche war. […] Überall war er vom Heimweh geplagt: Russe in Frankreich, Franzose in Russland, Jude in Russland wie in Frankreich oder Deutschland, Katholik unter den Juden, Häretiker unter den Christen, Kommunist für die Bürger des Westens, ausländischer Bourgeois für die Moskauer Proletarier, die kommunistischen Funktionäre und seine Kollegen, die sowjetischen Schriftsteller. Das war eine der Facetten seines Lebens: überall und immer im Exil. […] Der Fall Ehrenburg ist außergewöhnlich: Die Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen, bisweilen einander entgegengesetzt, und die Fähigkeit, die eine durch das Medium der anderen zu sehen, grenzen an ein Wunder. Doch das ist das Eigentümliche unseres Jahrhunderts: Exil und Emigration sind allgemeines Schicksal geworden. […] Ilja Ehrenburg, der Mensch dreier geistiger Kulturen – Jude in Russland, Russe in Frankreich, Franzose in Russland – er ist ganz das Kind des Jahrhunderts.[108]

Publikationen (Auswahl)

Genannt s​ind die Daten d​er Erstveröffentlichung s​owie der ersten deutschen Übersetzung.

Romane

  • Die ungewöhnlichen Abenteuer des Julio Jurenito und seiner Jünger: Monsieur Delhaye, Karl Schmidt, Mister Cool, Alexei Tischin, Ercole Bambucci, Ilja Ehrenburg und des Negers Ayscha in den Tagen des Friedens, des Krieges und der Revolution in Paris, Mexiko, Rom, am Senegal, in Moskau, Kineschma und an anderen Orten, ebenso verschiedene Urteile des Meisters über Pfeifen, über den Tod, über die Liebe, über die Freiheit, über das Schachspiel, das Volk der Juden, Konstruktionen und einige andere Dinge. Необычайные похождения Хулио Хуренито И его учеников мосье Дэле, Карла Шмидта, мистера Куля, Алексея Тишина, Эрколе Бамбучи, Ильи Эренбурга и негра Айши, в дни Мира, войны и революции, в Париже, в Мексике, в Риме, в Сенегале, в Кинешме, в Москве и в других местах, а также различные суждения учителя о трубках, о смерти, о любви, о свободе, об игре в шахматы, о еврейском племени, о конструкции и о многом ином. Gelikon, Berlin und Moskau 1922. Deutsche Übersetzung von Alexander Eliasberg: Welt-Verlag, Berlin 1923.
  • Leben und Tod des Nikolai Kurbow. Жизнь и гибель Николая Курбова. Gelikon, Berlin 1923.
  • Trust D. E. Die Geschichte der Zerstörung Europas. Трест Д. Е. История гибели Европы. Semlja i Fabrika, Moskau 1923; Gelikon, Berlin 1923. Deutsche Übersetzung von Lia Calmann: Welt-Verlag, Berlin 1925.
  • Die Liebe der Jeanne Ney. Любовь Жанны Ней. Gelikon, Berlin 1924. Deutsche Übersetzung von Waldemar Jollos: Rhein Verlag, Basel 1926. Verfilmt von Georg Wilhelm Pabst 1927.
  • Der Raffer. Рвач. Navarre, Paris 1925. Deutsche Übersetzung von Hans Ruoff unter dem Titel Michail Lykow: Malik, Berlin 1927.
  • Sommer 1925. Лето 1925 года. Artel Pisatelei „Krug“, Moskau 1926. Deutsche Übersetzung von Hilde Angarowa: Volk und Welt, Berlin 1981.
  • In der Prototschni-Gasse. В Проточном переулке. Semlja i Fabrika, Moskau 1927. Deutsche Übersetzung von Wolfgang E. Groeger unter dem Titel Die Gasse am Moskaufluss: List, Leipzig 1928; unter dem Titel Die Abflußgasse: Volk und Welt, Berlin 1981.
  • Das bewegte Leben des Lasik Roitschwantz. Бурная жизнь Лазика Ройтшванеца. Petropolis, Berlin 1928. Deutsche Übersetzung von Waldemar Jollos: Rhein-Verlag, Basel o. J. (wohl 1929). Nachgedruckt im Verlag Die Andere Bibliothek, Berlin 2016, ISBN 978-3-8477-0375-4.
  • Die Verschwörung der Gleichen. Заговор равных. Petropolis, Berlin 1928 (teilweise vorabgedruckt in Krasnaja Now, 1928). Deutsche Übersetzung von Hans Ruoff: Malik, Berlin 1929.
  • Chronik unserer Tage:
    • 10 PS. Chronik unserer Zeit. 10 л.с. Хроника нашего времени. Petropolis, Berlin 1929 (teilweise vorabgedruckt in Krasnaja Now, 1929). Deutsche Übersetzung von Hans Ruoff unter dem Titel Das Leben der Autos: Malik, Berlin 1930.
    • Die Einheitsfront. Единый фронт. Petropolis, Berlin 1930. Deutsche Übersetzung unter dem Titel Die heiligsten Güter. Roman der großen Interessen: Malik, Berlin 1931.
    • Die Traumfabrik. Фабрика снов. Petropolis, Berlin 1931. Deutsche Übersetzung: Malik, Berlin 1931.
  • Moskau glaubt nicht an Tränen. Москва слезам не верит. Sowjetskaja Literatura, Moskau 1933; Gelikon, Paris 1933. Deutsche Übersetzung: Malik, Berlin 1932 (Die Übersetzung trägt den Vermerk: Übersetzung aus dem MS. Offenbar ist der Titel zuerst auf Deutsch, dann auf Russisch erschienen.)
  • Der zweite Tag. День второй. Pascal, Paris 1933. Deutsche Übersetzung: Malik, Prag 1933.
  • Ohne Atempause. Не переводя дыхания. Sowjetski Pisatel, Moskau 1935. Deutsche Übersetzung: Malik, London 1936.
  • Der Fall von Paris. Падение Парижа. Gosisdat, Moskau 1942. Deutsche Übersetzung: Steinberg, Zürich 1945.
  • Sturm. Буря. Sowjetski Pisatel, Moskau 1948 (in Fortsetzungen vorabgedruckt in: Nowy Mir, 1947). Deutsche Übersetzung: Volk und Welt, Berlin 1948.
  • Die neunte Woge. Девятый вал. Sowjetski Pisatel, Moskau 1953. Deutsche Übersetzung: Volk und Welt, Berlin 1953.
  • Tauwetter. Оттепель. Sowjetski Pisatel, Moskau 1956 (vorabveröffentlicht in: Snamja, Nr. 5, 1954 und Nr. 4, 1956). Deutsche Übersetzung: Kultur und Fortschritt, Berlin 1957.

Kurzprosa

  • Unwahrscheinliche Geschichten. Неправдоподобные истории. S. Efron, Berlin 1922. Deutsche Übersetzung: Volk und Welt, Berlin 1984.
  • 6 Novellen mit glücklichem Ausgang. Шесть повестей о легких концах. Gelikon, Berlin 1922.
  • 13 Pfeifen. Тринадцать трубок. Gelikon, Berlin 1923. Deutsche Übersetzung: Malik, Berlin 1930.
  • Die relativen Leiden eines Café-Süchtigen. Условные страдания завсегдатая кафе. Nowaja Schisn, Moskau 1926.

Gedichtbände

  • Verse. Стихи. Paris 1910.
  • Verse über Vorabende. Стихи о канунах. Serna, Moskau 1916.
  • Gebet für Russland. Молитва о России. Sewernje Dni, Moskau 1918.
  • Reflexionen. Раздумия. Riga 1921.
  • Der Baum. Дерево. Moskau 1946.

Über Kunst, Literatur und Film

  • Porträts russischer Schriftsteller. Портреты русских поэтов. Argonawty, Berlin 1922.
  • Und sie bewegt sich doch. А все-таки она вертится. Gelikon, Berlin 1922. Deutsche Übersetzung: Lit, Basel 1986. Ehrenburgs konstruktivistisches Manifest.
  • Вещь – Objet – Gegenstand (dreisprachige Zeitschrift, russisch, französisch und deutsch, herausgegeben von Ehrenburg und El Lissitzky). Berlin 1922.
  • Die Materialisierung des Phantastischen. Материализация фантастики. Kinopetschat, Leningrad 1927. Ehrenburgs Filmbuch. Cover von Alexander Michailowitsch Rodtschenko.
  • Weiße Kohle oder Werthers Tränen. Белый уголь, или слезы Вертера. Priboi, Leningrad 1928. Beiträge daraus ins Deutsche übersetzt in: Ilja Ehrenburg: Über Literatur. Volk und Welt, Berlin 1986. Aufsatzband, der poetologische Reflexionen, Berichte über die Verfilmung der Jeanne Ney und Reiseberichte Ehrenburgs versammelt.
  • Wir und sie: Frankreich. Мы и они: Франция. Mit Owadi Sawitsch. Petropolis, Berlin 1931. Anthologie russischer und französischer Literatur.
  • Französische Hefte. Французские тетради. Sowjetski pisatel, Moskau 1958. Deutsche Übersetzung: VEB Verlag der Kunst, Dresden 1962 (Fundus-Reihe 5). Enthält unter anderem Die Lehren von Stendhal, Уроки Стендаля.

Journalistisches, Zeitgeschichtliches und Politisches

  • Das Gesicht des Krieges. Лик войны. Russko-Bolgarskoje Knigoisdatelstwo, Sofia 1920. Sammlung von Ehrenburgs Kriegsreportagen aus dem Ersten Weltkrieg.
  • Visum der Zeit. виза времени. Petropolis, Berlin 1929 (teilweise vorabgedruckt in Krasnaja Now, 1928–1929). Deutsche Übersetzung: List, Leipzig 1929.
  • Spanien. Испания. Federazija, Moskau 1932. Deutsche Übersetzung unter dem Titel Spanien heute: Malik, Berlin 1932.
  • Mein Paris. Мой Париж. Mit El Lissitzky. Isogis, Moskau 1933. Nachdruck: Steidl, Göttingen 2005. Bildband mit Schnappschüssen und Text von Ehrenburg.
  • Der Bürgerkrieg in Österreich. Гражданская война в Австрии. Sowjetskaja Literatura, Moskau 1934. Deutsche Übersetzung: Malik, Prag 1934.
  • Das Schwarzbuch über die verbrecherische Massenvernichtung der Juden durch die faschistischen deutschen Eroberer in den zeitweilig okkupierten Gebieten der Sowjetunion und in den faschistischen Vernichtungslagern Polens während des Krieges 1941–1945. Черная книга о злодейском повсеместном убийстве евреев немецко-фашистскими захватчиками во временно оккупированных районах Советского Союза и в лагерях Польши во время войны 1941–1945 гг. Mit Wassili Grossman. Russischsprachige Erstveröffentlichung: Tarbut, Jerusalem 1980 (es fehlen die litauischen Berichte). Deutsche Übersetzung der vollständigen Fassung, herausgegeben von Arno Lustiger: Rowohlt, Reinbek 1994. ISBN 3-498-01655-5.
  • Der Krieg. Война. 3 Bände: Juli 1941–April 1942. April 1942–März 1943. April 1943–März 1944. Gosisdat, Moskau 1942–1944. Sammlung der Artikel von 1941 bis 1945 in Band 5 der Gesammelten Werke. Chudoschostwennaja Literatura, Moskau 1996.

Autobiografie

  • Menschen – Jahre – Leben. Люди, годы, жизнь. Sechs Bücher. Sowjetski Pisatel, Moskau 1961–1966 (vorabgedruckt in: Nowy Mir, 1960–1965). Vollständige Ausgabe (mit Ergänzung zensierter Kapitel und dem unbeendeten siebten Buch): Sowjetski Pisatel, Moskau 1990. Deutsche Übersetzung (von Alexander Kaempfe): Kindler, München 1962–1965; vollständige Ausgabe (inkl. zensierte Kapitel und siebtes Buch, übersetzt von Harry Burck und Fritz Mierau): Volk und Welt, Berlin (DDR) 1978–1990.

Literatur

Biografien

  • Ewa Bérard: La vie tumultueuse d’Ilya Ehrenbourg. Juif, russe et soviétique. Ramsay, Paris 1991 (= Documents et essais), ISBN 2-85956-921-9. (französisch).
  • Anatol Goldberg: Ilya Ehrenburg. Revolutionary, Novelist, Poet, War Correspondent, propagandist: The Extraordinary Epic of a Russian Survivor. Viking, New York 1982, ISBN 0-670-39354-1. (englisch).
  • Lilly Marcou: Wir größten Akrobaten der Welt. Ilja Ehrenburg – eine Biographie. 1. Aufl., Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1996, ISBN 3-7466-1259-4. (dt. Übers.; französische Originalausgabe: Ilya Ehrenbourg – un homme dans son siècle. Plon, Paris 1992.)
  • Joshua Rubenstein: Tangled Loyalties. The Life and Times of Ilya Ehrenburg. 1st Paperback Ed., University of Alabama Press, Tuscaloosa (Alabama/USA) 1999 (= Judaic Studies Series), ISBN 0-8173-0963-2. (englisch; Erstveröffentlichung: Basic Books, New York 1996.)

Zum literarischen Werk

  • Simone Barck: Ehrenburgs Memoiren – ein Buch mit sieben Siegeln. In: Simone Barck, Siegfried Lokatis (Hrsg.): Fenster zur Welt. Eine Geschichte des DDR-Verlages Volk & Welt. 2. Auflage. Christoph Links, Berlin 2005, ISBN 3-86153-300-6, S. 262–265. (Ausstellungskatalog; herausgegeben im Auftrag des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR, Eisenhüttenstadt).
  • Boris Fresinski: Феномен Ильи Эренбурга (тысяча девятьсот двадцатые годы). Das Phänomen Ilja Ehrenburg (in den 1920er Jahren). In: Ilja Ehrenburg: Необычайные похождения. Ungewöhnliche Abenteuer. Kristall, St. Petersburg 2001, S. 5–31, ISBN 5-306-00066-5.
  • Rahel-Roni Hammermann: Die satirischen Werke von Ilja Erenburg. VWGÖ, Wien 1978, ISBN 3-85369-382-2 (= Dissertationen der Universität Wien, Band 139, zugleich Dissertation an der Universität Wien 1968).
  • Gudrun Heidemann: Das schreibende Ich in der Fremde. Il’ja Ėrenburgs und Vladimir Nabokovs Berliner Prosa der 1920er Jahre. Aisthesis, Bielefeld 2005, ISBN 3-89528-488-2.
  • Reinhard Lauer: Ilja Erenburg und die russische Tauwetter-Literatur. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1975, ISBN 3-525-82818-7.
  • Hélène Mélat: Ilya Ehrenbourg ou la griserie de l’écriture performative. In: Études littéraires, vol. 36, no.1, été 2004 (erudit.org).
  • Ralf Schröder: Roman der Seele, Roman der Geschichte. Aufsätze. Zur ästhetischen Selbstfindung von Tynjanow, Ehrenburg, Bulgakow, Aitmatow, Trifonow, Okudshawa. Reclam, Leipzig 1986.
  • Holger Siegel: Ästhetische Theorie und künstlerische Praxis bei Il'ja Ėrenburg 1921–1932. Studien zum Verhältnis von Kunst und Revolution. Gunter Narr, Tübingen 1979, ISBN 3-87808-517-6.
  • Erika Ujvary-Maier: Studien zum Frühwerk Ilja Erenburgs. Der Roman „Chulio Churenito“. Juris, Zürich 1970 (Zugleich Diss. phil. Universität Zürich 1970)

Zum Thema: Ehrenburg u​nd Deutschland

  • Boris Fresinski: Ilja Ehrenburg und Deutschland. In: Karl Eimermacher, Astrid Volpert (Hrsg.): Stürmische Aufbrüche und enttäuschte Hoffnungen. Russen und Deutsche in der Zwischenkriegszeit. Fink, München 2006, ISBN 3-7705-4091-3, S. 291–327.
  • Peter Jahn (Hrsg.): Ilja Ehrenburg und die Deutschen. Katalog zur Ausstellung im Museum Berlin-Karlshorst 27. November 1997 – 8. Februar 1998. Berlin 1997.
  • Eveline Passet: Im Zerrspiegel der Geschichte. Deutsche Bilder von Ilja Ehrenburg. In: Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hrsg.): Das Ich und die Macht. Skizzen zum Homo heroicus und Homo sovieticus. Osteuropa, 12, 2007. Berliner Wissenschafts-Verlag BWV, Berlin 2007, ISBN 978-3-8305-1254-7, S. 17–48.
  • Ewa Bérard: Il'ja Érenburgs Berliner Zeit 1921-1923, in Karl Schlögel Hg.: Russische Emigration in Deutschland 1918 bis 1941. Leben im europäischen Bürgerkrieg. Oldenbourg Akademie, München 1995, ISBN 3-05-002801-7, S. 323–332.

Zum Thema: Ehrenburg a​ls Kriegspropagandist

  • Bernhard Fisch: Ubej! Töte! Zur Rolle von Ilja Ehrenburgs Flugblättern in den Jahren 1944/45. In: Geschichte, Erziehung, Politik, 8. Jahrgang (1997), Heft 1, S. 22–27.
  • Hans Goldenbaum: Nicht Täter, sondern Opfer? Ilja Ehrenburg und der Fall Nemmersdorf im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. In: Hallische Beiträge zur Zeitgeschichte, 1/2007, S. 5–38, histdata.uni-halle.de (PDF; 713 kB).
  • Eveline Passet: Der Feind im Bild im Spiegel. Die Deutschen und Ilja Ehrenburg. In: neue literatur – Zeitschrift für Querverbindungen, 2/1995, S. 5–14.
  • Carola Tischler: Die Vereinfachungen des Genossen Erenburg. Eine Endkriegs- und eine Nachkriegskontroverse. In: Elke Scherstjanoi (Hrsg.): Rotarmisten schreiben aus Deutschland. Briefe von der Front (1945) und historische Analysen. Texte und Materialien zur Zeitgeschichte, Bd. 14. K.G. Saur, München 2004, S. 326–339, ISBN 3-598-11656-X.
  • Thomas Urban: Ilja Ehrenburg als Kriegspropagandist. In: Karl Eimermacher, Astrid Volpert (Hrsg.): Tauwetter, Eiszeit und gelenkte Dialoge. West-östliche Spiegelungen, Band 3: Russen und Deutsche nach 1945. Fink, München 2006, S. 455–488, ISBN 978-3-7705-4088-4.
  • Manfred Zeidler: Die Rolle der Militärpresse innerhalb der politischen Agitationsarbeit: Der Fall Il'ja Erenburg. In: Manfred Zeidler: Kriegsende im Osten. Die Rote Armee und die Besetzung Deutschlands östlich von Oder und Neiße 1944/1945. Oldenbourg, München 1996, S. 113–124, ISBN 3-486-56187-1.
  • Luca Bublik: Keine Schreibmaschine tötet wie die Mauser. In: Luca Bublik, Johannes Spohr, Valerie Waldow: Isolation und Ausgrenzung als post/sowjetische Erfahrung. Trauerarbeit. Störung. Fluchtlinien. Münster 2016, S. 80–89, ISBN 978-3-96042-005-7.

Zum Thema: Ehrenburg i​m Kalten Krieg

  • Jan C. Behrends: Völkerfreundschaft und Amerikafeindschaft. Ilja Ehrenburgs Publizistik und das Europabild des Stalinismus. In: José Maria Faraldo et al. (Hrsg.): Europa im Ostblock. Vorstellungen und Diskurse (1945–1991) / Europe in the Eastern Bloc. Imaginations and Discourses (1945–1991). Böhlau, Köln 2008, S. 125–144, ISBN 978-3-412-20029-9.
Commons: Ilja Ehrenburg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Texte Ehrenburgs i​m Internet

Einzelnachweise

  1. Rede Ilja Ehrenburgs am 27. Januar 1961 (Radio Moskau). In: Menschen Jahre Leben, Buch 7, Anhang, S. 215f. In sowjetischen Formularen gab es eine Rubrik „Nationalität“; Juden wurden als Nationalität verstanden.
  2. Menschen Jahre Leben, Buch 1, S. 80 f.
  3. Marcou, S. 37–39.
  4. Die Figur des Ayscha in Ehrenburgs Roman Die ungewöhnlichen Abenteuer des Julio Jurenito reflektiert diese Erfahrungen.
  5. Tagebucheintrag Bloks vom 31. Januar 1918, hier zitiert nach Rubenstein, S. 48.
  6. Nach Lilly Marcou soll das auch für Ehrenburgs Frau gegolten haben, doch deuten die Zeitzeugenberichte, die Rubenstein und Marcou gesammelt haben, an, dass diese „offene Ehe“ für Ljuba Michailowna eine schwierige Sache gewesen sein muss.
  7. Bérard, S. 74 ff.
  8. Vgl. Karl Schlögel: Berlin, Ostbahnhof Europas: Russen und Deutsche in ihrem Jahrhundert. Siedler, Berlin 1998.
  9. Kurt Tucholsky: Ilja Ehrenburg, ‚Visum der Zeit‘, 1930. Vgl. textlog.de.
  10. Rubenstein, S. 104.
  11. Menschen Jahre Leben, hier und im Folgenden zitiert nach der vollständigen (vierbändigen) deutschen Ausgabe Berlin 1978–1990, Buch 3, S. 223.
  12. Vgl. Marcou, S. 105.
  13. Vgl. Rubenstein, S. 134 ff.
  14. In seinen Memoiren (Ausgabe München 1962/65, Band II, S. 368–375) bekennt Ehrenburg, er sei „an dieser Tragödie […] ein wenig mitschuldig“ gewesen, was ihm in der Erinnerung „Pein“ bereite. Er erwähnt seinen „scharfen Aufsatz gegen die Surrealisten“ und deren tätlichen Übergriff, ohne freilich Namen zu nennen. Auch Bretons Ausschluss vom Kongreß erwähnt er nicht eigens. Aragon habe dann eine Rede des gestorbenen Crevel verlesen. „Alle standen auf.“ Anschließend habe Paul Éluard eine von Bréton verfasste Rede verlesen. „Sie enthielt zwar Angriffe auf den Kongreß – für die Surrealisten waren wir ja Reaktionäre, Akademiker und Beamtenseelen –, doch eine halbe Stunde später begaben sich die Journalisten enttäuscht zu einem Imbiß. Alles war glatt verlaufen. Uns war klar, daß die Gefahr nicht Bréton, sondern Hitler hieß.“
  15. Von Ehrenburg nicht erwähnt.
  16. Vgl. Rubenstein, S. 164ff; Marcou, S. 162ff.; Goldberg, S. 162 ff.
  17. Das berichtete eine Freundin Gides, Maria van Rysselberghe. Rubenstein referiert ihren Bericht: Ehrenburg habe gesagt, er finde gut, was Gide geschrieben habe, und „könnte noch mehr sagen, wenn er wollte!“ Aber „wenn Russland eine gewaltige Anstrengung unternimmt, um Spanien zu helfen, ist das wirklich nicht der Zeitpunkt, es anzugreifen.“ Vgl. Rubenstein, S. 161, der Rysselberghe nach den Cahiers de la Petite Dame zitiert, in: Cahiers André Gide, vol. 5, Paris 1975, S. 565.
  18. Ein für Ehrenburg weitaus ungünstigeres Bild als die genannten Biographen zeichnet Julián Gorkin in seinem 1978 veröffentlichten Buch Les communistes contre la révolution espagnole (deutsche Ausgabe Stalins langer Arm, Köln 1980, mit einem Vorwort von Willy Brandt, vor allem S. 122 und 243–245). Gorkin, Ex-Kommunist, Exilant in Paris und zuletzt führender Kader des POUM und Chef der in Barcelona erscheinenden Tageszeitung La Batalla, zählte damals zu den in Barcelona Inhaftierten, konnte aber später flüchten. Rückblickend wirft er Ehrenburg vor, „einer der wichtigsten Zutreiber“ berühmter Schriftsteller in Moskaus Arme gewesen zu sein; als „wichtiger intellektueller Handelsreisender im Ausland“ habe er „alle Schandtaten“ der Moskauer Diktatur gedeckt – und sei es durch Schweigen, also Aussparen jener Schandtaten. Er behauptet sogar (Seite 243), auch Ehrenburg habe 1937 für den „faschistischen Agenten“ Gorkin die Todesstrafe gefordert. Für diese Anschuldigung bietet Gorkin jedoch, entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit in dem Buch, keinen Beleg durch Zeugen oder Zitate.
  19. Menschen Jahre Leben, Buch 3, S. 204. Das Kapitel über Bucharin und den Prozess konnte erst 1989, lange nach Ehrenburgs Tod, erscheinen.
  20. Die gespenstische Atmosphäre dieser fünf Monate fängt Joshua Rubenstein in seinem Kapitel „The Great Purge“ein, in: Tangled Loyalties, S. 171–176.
  21. Vgl. Rubenstein, S. 179f.; Marcou, S. 184f.; Fresinski 2006, S. 317.
  22. Rubenstein, S. 420, zitiert beispielsweise die junge Simone de Beauvoir mit dieser Befürchtung.
  23. Marcou, S. 216; vgl. etwa auch Zeidler 1996, S. 115 ff.
  24. Bericht Ehrenburgs über den Holocaust in Weißrussland. Ehrenburg schrieb 1944 auch ein berühmt gewordenes Gedicht über Babyn Jar, wo die Deutschen 50.000 Juden getötet hatten; es wurde 1946 in der Gedichtsammlung Derewo („Der Baum“) in Moskau veröffentlicht. Der Text findet sich hier: rupoem.ru.
  25. Unter anderem hatte der Schriftsteller Michail Scholochow, damals ebenfalls als Kriegspropagandist tätig, ihn bereits im November 1941 während der Evakuierung nach Kuibyschew (heute Samara) mit antisemitischen Sprüchen traktiert; vgl. Rubenstein, S. 205.
  26. Arkadi Waksberg/René Guerra: Semʹ dnej v marte. Besedy ob emigracii. Sankt Petersburg 2010, S. 178, 291.
  27. Nach Arno Lustiger: Rotbuch: Stalin und die Juden. Die tragische Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees. Aufbau, Berlin 2002, S. 205.
  28. Bérard, S. 279; vgl. zu dem Artikel auch Rubenstein, S. 258ff.; Marcou, S. 255ff.; Lustiger: Rotbuch, S. 204 ff.
  29. Goldberg 1982, S. 233.
  30. In den Archiven ist lediglich ein Entwurf dieses Offenen Briefes aufgefunden worden, aber kein Original; es gibt jedoch viele Aussagen von Zeitzeugen dazu. Ehrenburgs Weigerung in einem Brief an Stalin hat sich hingegen erhalten. Vgl. dazu Lustiger, Rotbuch, S. 284–292.
  31. Marcou, S. 301, zit. n. Prawda, 10. März 1963.
  32. Vgl. Rubenstein, S. 296, der Folgendes zitiert: „Es scheint mir notwendig, dass man zu differenzieren weiß zwischen unseren Freunden, die in der einen oder anderen Frage unsere Meinung nicht teilen, und Personen, die einen Bruch mit der Sowjetunion und den Kommunisten durchsetzen wollen“ (offener Brief an die Redaktion der Literaturnaja Gaseta, am 1. Dezember 1956 veröffentlicht).
  33. Menschen Jahre Leben, Buch 4, S. 479.
  34. Ehrenburg: Jurenito (Ausgabe des Malik-Verlags von 1930), S. 125.
  35. Ehrenburg: Jurenito, S. 287.
  36. Menschen Jahre Leben, Buch 3, S. 22.
  37. Sommer 1925, Volk und Welt, S. 130.
  38. Waldemar Jollos: Vorrede des Übersetzers. In: Ilja Ehrenburg: Das bewegte Leben des Lasik Roitschwantz. Rhein Verlag: Zürich/Leipzig/München o. J., S. 5–6.
  39. Ilja Ehrenburg: Das Leben der Autos. Malik, Berlin 1930, S. 235.
  40. Ilja Ehrenburg: Der zweite Tag. Volk und Welt, Berlin 1974, S. 50 f.
  41. Rubenstein, S. 81.
  42. Ehrenburg: Der Fall von Paris, Berlin 1977, S. 232.
  43. Reinhard Lauer: Geschichte der russischen Literatur von 1700 bis zur Gegenwart, C.H. Beck, München 2000, S. 702ff sowie S. 753.
  44. Vgl. Marcou, S. 194.
  45. Marcou, S. 198 ff.
  46. Menschen Jahre Leben, Buch 4, S. 541.
  47. Reinhard Lauer: Geschichte der russischen Literatur. München 2000: C.H. Beck, ISBN 3-406-50267-9, S. 771.
  48. Lauer: Geschichte der russischen Literatur, S. 771.
  49. Visum der Zeit, List, Leipzig 1929, S. IX.
  50. Visum der Zeit, S. 51.
  51. Bérard, S. 145 ff.
  52. Spanien heute, Malik, Berlin 1932, S. 13.
  53. Spanien heute, S. 76.
  54. Nach Ilja Altmann: Das Schicksal des „Schwarzbuches“. In: Ehrenburg/Grossman: Das Schwarzbuch, Reinbek 1994: Rowohlt, S. 1063–1084, hier: S. 1069.
  55. Altmann: Das Schicksal des Schwarzbuchs, S. 1069.
  56. Zitiert nach Altmann, Das Schicksal des Schwarzbuchs, S. 1069.
  57. Arno Lustiger: Einführung des Herausgebers der deutschen Ausgabe. In: Ehrenburg/Grossman: Das Schwarzbuch, S. 11–13, hier: S. 12.
  58. Menschen Jahre Leben, Buch 1, S. 11.
  59. Menschen Jahre Leben, Buch 1, S. 10.
  60. Rezensionen zitiert nach der Kindler-Sonderausgabe von Menschen Jahre Leben, Band 1 („mit einer Dokumentation über den Boykott der ersten Auflage“), S. 44 und S. 48.
  61. Rubenstein, S. 191.
  62. Vgl. u. a. Dimitri Olejnikow: Von Ritterlichkeit zu Verachtung. Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf das Verhältnis zu den Deutschen. In: Karl Eimermacher, Astrid Volpert (Hrsg.): Verführungen der Gewalt. Russen und Deutsche im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Fink, München 2002, S. 179–204; Elena Senjawskaja: Deutschland und die Deutschen in den Augen sowjetischer Soldaten und Offiziere des Großen Vaterländischen Krieges. In: Elke Scherstjanoi (Hrsg.): Rotarmisten schreiben aus Deutschland. Briefe von der Front (1945) und historische Analysen. München: K.G. Saur 2004, S. 247–266.
  63. Vgl. Jochen Hellbeck: „The Diaries of Fritzes and the Letters of Gretchens.“ Personal Writings from the German-Soviet War and Their Readers. In: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History, Jg. 10 (2009), Nr. 3, S. 571–606.
  64. Das russische Original ist zu lesen unter militera.lib.ru, die Übersetzung orientiert sich an Passet 1995, S. 7, sowie Fisch 1997, S. 24 f.
  65. Vgl. Tatjana Gorjajewa: „Wenn morgen Krieg ist …“ Zum Feindbild in der sowjetischen Propaganda 1941–1945. In: Karl Eimermacher, Astrid Volpert (Hrsg.): Verführungen der Gewalt. Russen und Deutsche im Ersten und Zweiten Weltkrieg. München: Fink, 2002, S. 427–468.
  66. Menschen Jahre Leben, Buch 5, S. 27.
  67. Über den Hass vom 5. Mai 1942, Übersetzung nach Tischler 2004, S. 330.
  68. Das russische Original ist hier zu finden; deutsche Übersetzung nach Menschen Jahre Leben, Buch 5, S. 28 f.
  69. Übersetzungen und Darstellung nach Tischler 2004, S. 331 f.
  70. Übersetzung nach Tischler 2004, S. 334. Das russische Original findet sich hier.
  71. Vgl. Tischler 2004, S. 333 f.
  72. Ljudmila Merkalowa, Andrej Merkalow: Rote Armee und deutsche Zivilbevölkerung am Ende des Großen Vaterländischen Krieges – ein vernachlässigtes Thema der sowjetischen und postsowjetischen Geschichtsschreibung. In: Elke Scherstjanoi (Hrsg.): Rotarmisten schreiben aus Deutschland. Briefe von der Front (1945) und historische Analysen. München: K.G. Saur 2004, S. 396–404, hier: S. 398.
  73. Lew Kopelew: Aufbewahren für alle Zeit!, S. 51, dtv 1979, ISBN 3-423-01440-7 und Hoffmann und Campe, ISBN 3-455-03920-0.
  74. russisches Original
  75. Nach der deutschen Übersetzung von Eveline Passet, in: Marcou, S. 229 f.
  76. russisches Original von Alexandrows Artikel; russisches Original von Ehrenburgs Brief an Stalin (bei beiden Links ist ein Einstellen der Codierung auf „Kyrillisch“ im Browser erforderlich).
  77. Vgl. etwa Rubenstein, S. 223.
  78. Vgl. dazu Boris Fresinski: Ilja Ehrenburg in Russland und der Welt. In Jahn 1997, S. 13. Vgl. auch Tischler 2004, S. 335; Urban 2006, S. 476f., die alle einen Artikel von Leonid Reschin zitieren: „Genosse Ehrenburg vereinfacht.“ Die wahre Geschichte des berühmten Artikels in der Prawda. In: Nowoje Wremja, 1994, Heft 8, S. 51. Reschin wiederum stützt sich auf mittlerweile zugängliche Geheimdienstakten.
  79. Insbesondere Reschin selbst, aber auch etwa der ihm folgende Fresinski.
  80. Tischler 2004, S. 336 f.
  81. Vgl. z. B. Fisch 1997; Passet 1995 sowie insbesondere das Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte vom 15. Mai 1996.
  82. Spaziergänge durch Fritzenland, in: Krasnaja Swesda vom 25. November 1944. Übersetzung nach Tischler 2004, S. 333.
  83. Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945. Band 2, Zweiter Halbband 1941–1945, Wiesbaden 1973, S. 2185.
  84. Das rote Tuch in der Karl-Marx-Allee. In: taz, 9. April 2001. Bericht des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern über die Entwicklung rechtsextremistischer Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 1992–2002. (Memento vom 14. September 2011 im Internet Archive) (PDF) S. 26. Ralf Georg Reuth: Nehmt die Frauen als Beute. In: Welt am Sonntag, 20. Februar 2005. Harald Ofner: Jagd auf Mädchen und Frauen. (Memento vom 4. November 2012 im Internet Archive) In: Wiener Zeitung, 24. Januar 2009.
  85. Vgl. insbesondere das Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte vom 15. Mai 1996 (Ha/Be.) sowie Passet 1995, Fisch 1997, Tischler 2004, Urban 2006, Goldenbaum 2007.
  86. Brief Kopelews vom 31. Januar 1995, zitiert nach Fisch 1997, S. 24.
  87. Vgl. neben den im Literaturverzeichnis angegebenen Arbeiten zu Ehrenburgs Kriegspropaganda auch Rubensteins, Marcous und Bérards Biografien sowie Jan Foitzik: Sowjetische Militäradministration in Deutschland(smad) 1945–1949. Akademie Verlag, Berlin 1999, S. 68.
  88. Vgl. Passet 1995 und Zeidler 1996.
  89. Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg 1941–1945. Planung, Ausführung und Dokumentation. Herbig, München 1999, S. 154, S. 231, S. 226f., S. 151.
  90. Passet 1995, 2007; Goldenbaum 2007; Jahn 1997.
  91. Norman Naimark: Die Russen in Deutschland. Propyläen 1997, S. 99, ISBN 3-549-05599-4. Hubertus Knabe: Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland. Propyläen 2005, ISBN 3-549-07245-7, S. 64. Antony Beevor: Berlin 1945: Das Ende. ISBN 3-570-00369-8.
  92. Urban 2006, S. 467.
  93. Alexander Werth: Russland im Krieg 1941–1945. München/Zürich 1965, S. 514 f.
  94. Heinrich Böll, Lew Kopelew: Warum haben wir aufeinander geschossen? Lamuv Verlag, Bornheim/Merten 1981, S. 88.
  95. Menschen Jahre Leben, Buch 5, S. 35.
  96. So der zeitgenössische sowjetische Literaturkritiker A. Leschnew, nach: Ujvary-Maier 1970, S. 114.
  97. Fresinski 2006, S. 306.
  98. Tynjanow: 200.000 Meter Ilja Ehrenburg. Zitiert nach Ralf Schröder: Nachwort. Ilja Ehrenburgs Lebenslinie und der Romanzyklus „Sommer 1925“, „Die Abflussgasse“, „Moskau glaubt nicht an Tränen“. In: Ilja Ehrenburg: Sommer 1925. Die Abflussgasse. Moskau glaubt nicht an Tränen. Volk und Welt, Berlin 1979, S. 451–475. Hier: S. 463.
  99. Georg Lukács: Ilja Ehrenburg. In: Moskauer Rundschau, 1930, Nr. 45, S. 8. Hier zitiert nach Fresinski 2006, S. 312.
  100. Jewgeni Samjatin: Lica, New York 1967, S. 206. Hier zitiert nach Bérard, S. 117.
  101. André Gide: Gesammelte Werke, III, Autobiografisches, Tagebuch 1923–1939, Stuttgart 1991, S. 467; hier zitiert nach Marcou, S. 85.
  102. Ne-Bukwa: Tartarin von Tatanrog. In: Nakanune, Literarisches Supplement, 1922. Hier zitiert nach Bérard, S. 111.
  103. Wiktor Schklowski: Zoo oder Briefe nicht über die Liebe. Zitiert nach Ralf Schröder: Juri Tynjanow und die literarische Evolution (Juni 1980), in: Schröder 1986, S. 9–41, hier: S. 25.
  104. Jean Améry: Loyal bis zum Verrat. Den Opportunisten Ilja Ehrenburg erreicht sein Schicksal. in: Rheinischer Merkur, 2. Mai 1958. Zitat und Kommentar nach Passet 2007, S. 29 f.
  105. Die Bezeichnung stammt von dem Literaturwissenschaftler Efim Etkind: Préface. L’homme aux trois cultures. In: Bérard, S. 7–13. Hier: S. 11.
  106. Nach Bérard, S. 363.
  107. Passet/Petschner: Zeitheimat. Die Leben des Ilja Ehrenburg. In: Jahn 1997, S. 17.
  108. Efim Etkind: Préface. L’homme aux trois cultures. In: Bérard, S. 7–13, hier: S. 7–9.

This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. The authors of the article are listed here. Additional terms may apply for the media files, click on images to show image meta data.