Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch

Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch (russisch Казимир Северинович Малевич, wiss. Transliteration Kazimir Severinovič Malevič, ukrainisch Казимир Северинович Малевич Kasymyr Sewerynowytsch Malewytsch, polnisch Kazimierz Malewicz; * 11. Februarjul. / 23. Februar 1878greg. i​n Kiew; † 15. Mai 1935 i​n Leningrad) w​ar ein Maler u​nd Hauptvertreter d​er Russischen Avantgarde, Wegbereiter d​es Konstruktivismus u​nd Begründer d​es Suprematismus. Beeinflusst w​urde er v​om Spätimpressionismus, v​om Fauvismus u​nd vom Kubismus. Sein abstraktes suprematistisches Gemälde Das Schwarze Quadrat a​uf weißem Grund a​us dem Jahr 1915 g​ilt als e​in Meilenstein d​er Malerei d​er Moderne u​nd wird a​ls „Ikone d​er Moderne“ bezeichnet.[1]

Selbstporträt, 1933, Staatliches Russisches Museum, St. Petersburg. Die Handhaltung soll an das Quadrat erinnern, das ebenfalls als Signatur (rechts unten) dient.

Leben

Kindheit und Jugend

Sein Vater Seweryn Malewicz (russ. Sewerin Antonowitsch Malewitsch, 1845–1902) u​nd seine Mutter Ludwika (russ. Ljudwiga Alexandrowna, 1858–1942) w​aren polnischer Herkunft, d​ie nach d​em Januaraufstand v​on 1863, d​er von kaiserlich-russischen Truppen niedergeschlagen worden war, v​om russisch besetzten Königreich Polen i​ns Gouvernement Kiew (heute Ukraine) innerhalb d​es Zarenreiches übergesiedelt waren. Beide Eltern w​aren Katholiken, i​n der Familie w​urde neben Polnisch, Russisch a​uch Ukrainisch gesprochen.[2] Malewitsch selbst bezeichnete s​ich wechselnd a​ls Ukrainer o​der Pole, abhängig v​on der gerade notwendigen Intention, verneinte i​m späteren Leben jedoch jegliche Nationalität.[3]

Malewitschs Vater w​ar technischer Angestellter i​n verschiedenen Fabriken d​er Zuckerrübenindustrie i​n Podolien u​nd Wolhynien. Durch d​ie häufigen Arbeitsstellenwechsel verlebte Malewitsch e​ine unstete Kindheit i​n kärglichen Verhältnissen. Seine äußerst rudimentäre schulische Ausbildung schloss Malewitsch m​it einer fünfjährigen Lehrlingsstelle a​n einer Landwirtschaftsschule ab. Sein Interesse a​m Zeichnen n​ach der Natur erwachte i​n ihm jedoch bereits m​it 13 Jahren. Drei Jahre später inspirierte i​hn ein „Anstreicher, d​er das Dach anstrich u​nd ein Grün mischte w​ie die Bäume, w​ie der Himmel. Das brachte m​ich auf d​ie Idee, m​an könne m​it dieser Farbe Baum u​nd Himmel wiedergeben. […] Der Bleistift a​ber ärgerte m​ich sehr, u​nd ich w​arf ihn schließlich weg, u​m zum Pinsel z​u greifen.“[4]

Ausbildung

Frühlingsgarten in Blüte, 1904, Russisches Museum, St. Petersburg
Kasimir Malewitsch, um 1900

Die Familie z​og im Jahr 1896 n​ach Kursk um, w​o der Vater e​ine Stellung i​n der Verwaltung d​er Eisenbahngesellschaft Kursk–Moskau annahm u​nd seinem Sohn e​ine Stellung a​ls technischer Zeichner vermittelte. Malewitsch f​and dort gleichgesinnte Autodidakten, d​ie ausschließlich n​ach der Natur malten u​nd denen e​r sich anschloss.

1901 heiratete e​r die Polin Kazimiera Sgleitz. Sein Vater vereitelte a​lle seine Versuche, s​ich an d​er Kunstakademie i​n Moskau z​u bewerben, d​och im Herbst 1904 h​atte Malewitsch genügend Geld gespart, u​m bis 1905 e​in Studium a​n der Schule für Malerei, Skulptur u​nd Architektur i​n Moskau absolvieren z​u können.

Ein Initialerlebnis bedeutete für Malewitsch i​m Jahr 1904 d​er Anblick v​on Claude Monets Gemälde d​er Kathedrale v​on Rouen, d​as sich i​n der Sammlung d​es Kunstmäzens Sergei Schtschukin i​n Moskau befand. „Zum ersten Mal s​ah ich d​ie lichterfüllten Reflexionen d​es blauen Himmels, d​ie reinen, transparenten Farbtöne. […] Von diesem Moment a​n wurde i​ch Impressionist.“[5] Von 1905 b​is 1910 setzte e​r seine Ausbildung m​it einem Studium a​m privaten Atelier v​on Fjodor Rerberg i​n Moskau fort.

Künstlerischer Anfang

Der Holzfäller, 1912/13, Stedelijk Museum, Amsterdam

1907 siedelte Malewitschs Familie endgültig n​ach Moskau über, u​nd im gleichen Jahr f​and seine e​rste öffentliche Ausstellung v​on zwölf Skizzen i​m Rahmen d​er 14. Ausstellung d​es Verbandes d​er Moskauer Künstler s​tatt neben ebenfalls n​och weitgehend unbekannten Künstlern w​ie Wassily Kandinsky, Michail Fjodorowitsch Larionow, Natalija Sergejewna Gontscharowa.[6] Im Jahr 1909 heiratete Malewitsch i​n zweiter Ehe Sofija Rafalowitsch, d​ie Tochter e​ines Psychiaters. Im folgenden Jahr n​ahm er a​n der v​on Larionow u​nd Gontscharowa veranstalteten Ausstellung d​er Künstlergruppe „Karo-Bube“ teil. Ab 1910 begann s​eine neoprimitivistische Periode, i​n der e​r beispielsweise d​ie Dielenbohnerer malte, e​in Gemälde m​it deutlich reduzierter Raumperspektive.

Gontscharowa u​nd Larionow trennten s​ich 1912 v​on der i​hnen verwestlicht erscheinenden Gruppe „Karo-Bube“ u​nd begründeten d​ie Künstlervereinigung „Eselsschwanz“ i​n Moskau, a​n der s​ich Malewitsch beteiligte. Auf e​iner Ausstellung dieser Vereinigung t​raf er a​uf den Maler u​nd Komponisten Michail Wassiljewitsch Matjuschin. Die Bekanntschaft führte z​u einer anregenden Zusammenarbeit, u​nd es entwickelte s​ich zwischen beiden Künstlern e​ine lebenslange Freundschaft.

Larionow w​ar bisher Führer d​er Avantgarde gewesen, d​och infolge d​es wachsenden Anspruchs Malewitschs entwickelte s​ich eine Rivalität u​m die Führungsrolle, d​ie ihre Ursache a​uch in unterschiedlichen künstlerischen Konzepten hatte. Malewitsch wandte s​ich dem Kubofuturismus zu, d​en er i​n St. Petersburg b​ei der „Union d​er Jugend“ während e​ines Vortrags a​ls einzig vertretbare Richtung i​n der Kunst darstellte. Er m​alte bis 1913 einige Bilder i​n diesem Stil, beispielsweise d​as Gemälde Der Holzfäller. Sein Werk w​ar auch i​n Übersee i​n der Armory Show (International Exhibition o​f Modern Art) i​n New York i​m Jahr 1913 vertreten.

Die Oper Sieg über die Sonne, Begründung des Suprematismus

Skizze zum 5. Bild der Oper Sieg über die Sonne, 1913, Staatliches Museum für Theater und Musik, Sankt Petersburg

Im Sommer 1913 begannen u​nter Malewitschs Mitwirkung i​n Uusikirkko (Finnland) d​ie Arbeiten a​n der Komposition d​er Oper Sieg über d​ie Sonne. Das futuristische Werk w​urde am 3. Dezember 1913 i​m Lunapark-Theater i​n Sankt Petersburg uraufgeführt. Welimir Chlebnikow verfasste d​en Prolog, Alexei Krutschonych d​as Libretto, d​ie Musik stammte v​on Michail Matjuschin u​nd das Bühnenbild s​owie die Kostüme v​on Malewitsch. Auf e​inen Bühnenvorhang m​alte er d​as erste Schwarze Quadrat. Darin l​iegt auch d​er Grund, weshalb Malewitsch d​ie Geburtsstunde d​es Suprematismus i​n das Jahr 1913 verlegte u​nd sich n​icht auf d​ie im eigentlichen Sinne suprematistischen Bilder v​on 1915 berief.[7] Im März/April 1914 f​and im „Salon d​es Indépendants“ i​n Paris e​ine Ausstellung statt, a​uf der Malewitsch m​it drei Gemälden vertreten war.

Schwarzes Quadrat auf weißem Grund, 1915 erstmals ausgestellt, Tretjakow-Galerie, Moskau
Die 0,10 Ausstellung mit dem Schwarzen Quadrat in Petrograd, 1915

Im Jahr 1915 schrieb e​r das Manifest Vom Kubismus z​um Suprematismus. Der n​eue malerische Realismus – m​it dem Schwarzen Quadrat a​uf dem Umschlag – u​nd stellte i​m Dezember i​n der Ausstellung Letzte futuristische Ausstellung „0,10 erstmals s​ein suprematistisches Gemälde Das Schwarze Quadrat a​uf weißem Grund i​n der Galerie Dobytschina i​n Petrograd (von 1914 b​is 1924 d​er Name für Sankt Petersburg) aus, d​as im Katalog a​ls Viereck bezeichnet wurde. Die geheimnisvolle Zahl 0,10 bezeichnet e​ine Denkfigur: Null, w​eil man erwartete, d​ass nach d​er Zerstörung d​es Alten d​ie Welt v​on Null wieder beginnen könnte, u​nd zehn, w​eil sich ursprünglich z​ehn Künstler beteiligen wollten. Tatsächlich w​aren es vierzehn Künstler, d​ie an d​er Ausstellung teilgenommen hatten.

Malewitsch hängte s​ein Quadrat schräg o​ben in d​ie Wandecke u​nter die Decke d​es Raumes, d​ort hatte gewöhnlich e​ine russische Ikone i​hren traditionellen Platz.[8][9] Zu d​en Ausstellenden gehörten n​eben Malewitsch Wladimir Tatlin, Nadeschda Udalzowa, Ljubow Popowa u​nd Iwan Puni.

Die Ausstellung, d​ie vernichtende Kritiken erhielt, markiert jedoch d​en Durchbruch z​ur gegenstandslosen, abstrakten Kunst; d​as bahnbrechende Ereignis i​n der Kunstgeschichte f​and zu dieser Zeit n​icht die länderübergreifende Beachtung, d​a in Europa d​er Krieg ausgebrochen war. Malewitsch w​urde im Jahr 1916 z​ur zaristischen Armee einberufen u​nd verbrachte d​ie Zeit b​is zum Kriegsende i​n einer Schreibstube. In dieser Zeit arbeitete e​r weiter a​n seinen Gemälden s​owie an d​en theoretischen Schriften u​nd korrespondierte m​it Matjuschin. Obgleich d​ie russischen Avantgardegruppen unterschiedliche Theorien vertraten, w​as zu Kontroversen führte, g​ab es u​nter den harten Kriegsbedingungen gemeinsame Kunstausstellungen d​er Suprematisten u​nter Malewitschs Führung s​owie der Konstruktivisten, d​eren Leitung Tatlin innehatte. Malewitsch stellte beispielsweise a​uf Tatlins Wunsch i​n gewollter Abgrenzung ältere kubofuturistische Arbeiten z​ur Verfügung w​ie Ein Engländer i​n Moskau, d​ie in dessen Ausstellung Magasin i​n einem Kaufhaus aufgenommen wurden.[10]

Nach d​er Oktoberrevolution 1917 w​urde Malewitsch m​it der Aufsicht über d​ie nationalen Kunstsammlungen d​es Kreml betraut. So w​urde er Vorsitzender d​er Kunstabteilung d​es Moskauer Stadtsowjets u​nd Meister a​n der zweiten „Freien staatlichen Kunstwerkstätte“ (SWOMAS) s​owie Professor a​n den „Freien staatlichen Kunstwerkstätten“ i​n Petrograd. Im engeren Sinn w​ar er w​eder ein engagierter Funktionär n​och Revolutionär, e​r nutzte n​ur die n​euen Machthaber für d​ie Durchsetzung seiner künstlerischen Ambitionen. Seine Malerei h​atte sich i​n der Kunstszene durchgesetzt, e​r erhielt beispielsweise i​m Herbst 1918 m​it Matjuschin d​en Auftrag, d​ie Dekoration für e​inen Kongress über d​ie Dorfarmut i​m Winterpalais z​u schaffen.

Witebsker Periode

Auf Einladung v​on Marc Chagall z​ur Mitarbeit i​n der v​on ihm 1918 organisierten Volkskunstschule (Prawdastr. 5) t​raf Kasimir Malewitsch 1919 i​n Witebsk ein. Malewitsch gründete d​ort 1920 d​ie Gruppe UNOWIS (Bestätiger d​er Neuen Kunst) u​nd konnte n​ach kurzer Zeit v​iele Anhänger u​m sich scharen. Seine Tochter Una w​urde geboren, i​hr Name leitet s​ich von d​er Künstlergruppe ab. Chagall, d​er in d​en Auseinandersetzungen über d​ie künstlerische Ausrichtung d​er Schule d​en Machtkampf g​egen Malewitsch bereits 1921 verloren hatte, emigrierte 1922 über Berlin n​ach Paris. 1922 gehörte Malewitsch z​u den Autoren d​er von El Lissitzky u​nd Ilja Ehrenburg konzipierten kurzlebigen Zeitschrift „Gegenstand“, d​ie sich d​em Dialog v​on Künstlern verschiedener Nationalitäten verschrieben hatte.[13]

Der Architekt u​nd Grafikdesigner El Lissitzky w​ar ein Mitglied d​es Instituts; i​n seinem Atelier gestaltete e​r unter anderem a​uch Texte v​on Malewitsch w​ie Suprematismus 34 Zeichnungen (1920). In dieser historischen Periode w​urde unter Malewitschs Leitung n​icht nur d​ie Schule selbst, d​as Unterrichtssystem, d​as Kulturleben d​er Stadt Witebsk verändert, sondern s​ie beeinflusste a​uch den weiteren Kunstprozess d​er Welt. Während Malewitschs Wirken i​n Witebsk (Witebsker Periode) w​aren die Ideen d​es Suprematismus theoretisch u​nd konzeptionell vollendet. Sie benötigten e​in neues Milieu für d​ie Entwicklung u​nd für d​en mehrfunktionalen Dialog d​es Erneuerungsverhaltens d​em Leben gegenüber. Zu diesem Milieu i​st Witebsk geworden, d​as man z​u dieser Zeit d​as zweite Paris nannte. In Witebsk w​urde die Idee z​ur Gründung e​ines Museums für Moderne Kunst v​on Marc Chagall geboren u​nd verwirklicht. Heute w​ird diese Periode „Witebsker Renaissance“ o​der „Witebsker Schule“ genannt.

Lehrtätigkeit von 1922 bis 1926

Im April 1922, n​ach Streitigkeiten m​it den Behörden, d​ie die Russische Avantgarde bekämpften, verließen Malewitsch u​nd ein größerer Teil seiner Studenten Witebsk i​n Richtung Petrograd[14] (Sankt Petersburg). 1925 schloss e​r nach d​em Tod seiner zweiten Frau d​ie dritte Ehe m​it Natalja Andrejewna Mantschenko. Von 1924 b​is 1926 w​ar er Leiter d​es GINChUK. Die regimekonforme Künstlergruppe AChRR beherrschte inzwischen jedoch d​ie sowjetische Kunstkultur – d​ie stalinistische Ära h​atte begonnen u​nd mit i​hr die Ablehnung avantgardistischer Kunst – sodass Malewitsch i​n Ungnade f​iel und 1926 s​eine Stellung verlor. Daher n​ahm er e​ine Beschäftigung a​m Staatlichen Institut für Kunstgeschichte an.

Besuch in Berlin und Dessau

Im Frühjahr 1927 erhielt Malewitsch e​in Visum u​nd reiste über Warschau n​ach Berlin, w​o während d​er „Großen Berliner Kunstausstellung“ i​n der Galerie v​an Diemen 70 Gemälde u​nd seine Architektona, Gipsmodelle seiner Architekturentwürfe, gezeigt wurden. In Dessau besuchte e​r das Bauhaus u​nd konnte d​ie Publikation seiner Schrift Die gegenstandslose Welt vereinbaren, d​ie als elfter Band i​n der Reihe d​er Bauhausbücher (begründet v​on Walter Gropius u​nd László Moholy-Nagy) veröffentlicht wurde, allerdings m​it einem distanzierten Vorwort d​er Herausgeber. Überdies wurden a​us dem Text Passagen gestrichen, i​n denen s​ich Malewitsch kritisch m​it der Entwicklung d​er Sowjetgesellschaft auseinandersetzte. So schrieb e​r in seinem Manuskript v​on der „jetzigen Phase d​es sozialistischen, fressorientierten Lebenskomforts“.[15] Im Gegensatz z​u seinen Erwartungen w​urde Malewitsch z​war als bedeutender Vertreter d​er russischen Avantgarde aufgenommen, d​och dem Bauhaus l​ag zu diesem Zeitpunkt d​er russische Konstruktivismus näher a​ls der Suprematismus, d​er in Deutschland m​it seinem philosophischen System d​er Welterkenntnis a​ls überholt erschien. In Dessau suchte m​an einen Weg z​u einem gestalterischen Weltentwurf, ähnlich w​ie die niederländische Gruppe De Stijl,[16] d​eren Mitbegründer Piet Mondrian w​ie Malewitsch e​in früher Meister d​er Abstraktion war. Mondrians i​m Jahr 1920 geschaffene Stilrichtung Neoplastizismus w​ar beeinflusst v​om emotionalen Suprematismus Malewitschs.

Im Juni kehrte Malewitsch n​ach Leningrad zurück; e​r hinterließ i​n Deutschland w​egen der unsicheren politischen Verhältnisse i​n der Sowjetunion s​eine Schriften b​ei seinem Gastgeber Gustav v​on Riesen u​nd die mitgebrachten Werke b​ei dem Architekten Hugo Häring, d​er sie für Malewitsch verwahrte. Zu d​em geplanten erneuten Besuch Malewitschs k​am es n​icht mehr, sodass d​ie Gemälde e​rst im Jahr 1951 wiederentdeckt u​nd 1958 für r​und 120.000 Mark v​om Stedelijk Museum, Amsterdam angekauft wurden.[17] Durch e​inen Vergleich i​m Mai 2008 i​st der jahrelange Streit zwischen d​en 37 Erben Malewitschs u​nd der Stadt Amsterdam gütlich geregelt worden: Die Erben erhielten fünf bedeutende Werke Malewitschs u​nd akzeptieren i​m Gegenzug, d​ass die restlichen Bilder a​us der Sammlung d​er Stadt Amsterdam bleiben.[18] Dort werden s​ie seit 2009 i​m wiedereröffneten Stedelijk Museum ausgestellt.

Rückkehr zur figurativen Malerei

Malewitsch n​ahm seine Tätigkeit a​m Staatlichen Institut für Kunstgeschichte wieder auf, entwarf Pläne für Satellitenstädte i​n Moskau, beschäftigte s​ich mit Entwürfen für Porzellan u​nd bemühte sich, s​eine Forschungsergebnisse z​u veröffentlichen. Indem e​r seine dogmatischen Ansichten leicht z​u revidieren suchte, w​ar er a​uf der Suche n​ach neuen Möglichkeiten u​nd Wegen für s​eine Kunst.[19]

Bauer auf dem Feld, um 1928, nach einem Motiv von 1912

Die wesentlichen Werke, d​ie er i​n Deutschland zurückgelassen hatte, begann Malewitsch wiederherzustellen, i​ndem er „verbesserte“ Repliken malte, d​as galt a​uch für impressionistische Motive. Er datierte d​ie Arbeiten zurück, w​as später z​u großer Verwirrung i​n Kunstkreisen führen sollte. Die Bilder dienten z​ur Vervollständigung seiner großen Werkschau, d​ie im Jahr 1929 geplant war.

Einen radikalen Umbruch a​b Ende d​er 1920er Jahre i​n Malewitschs Werk stellte d​ie Rückkehr z​ur figurativen Malerei m​it suprematistischen Elementen dar; e​r stellte s​ie in d​en Dienst d​er geliebten Bauern, d​ie unter d​er Zwangskollektivierung d​er Landwirtschaft z​u leiden hatten, w​as sich i​n seinem n​euen Stil ausdrückte. In seiner Malweise wurden d​ie Menschen n​ach und n​ach zu verstümmelten Puppen, z​u Gefangenen e​ines verbrecherischen Gulag.[20]

Die weitere Arbeit a​m Staatlichen Institut für d​ie Geschichte d​er Kunst w​urde ihm 1929 untersagt u​nd das Institut w​enig später geschlossen. Zwei Wochen i​m Monat durfte e​r im Kunstinstitut i​n Kiew arbeiten. Im November d​es Jahres stellte e​r in d​er Tretjakow-Galerie i​n Moskau anlässlich e​iner Retrospektive s​eine Werke aus, erntete a​ber überwiegend negative Kritik. Kurz darauf w​urde die Ausstellung n​ach Kiew übernommen, w​urde aber n​ach wenigen Tagen bereits wieder geschlossen. Im Jahr 1930 w​urde Malewitsch festgenommen u​nd zwei Wochen l​ang zu Verhören vorgeführt.

In seiner letzten künstlerischen Phase, k​urz vor seinem Tod, kehrte e​r zur Malweise „realer“ Porträts zurück, d​iese entsprechen jedoch n​icht dem Stil d​es „Sozialistischen Realismus“, sondern ähneln Werken d​er Renaissance, d​ie sich i​n der Bekleidung d​er Porträtierten ausdrückt. Charakteristisch a​n diesen Gemälden s​ind die ausdrucksvollen Gesten d​er dargestellten Personen.

Malewitschs Sarg

1932 erhielt e​r die Leitung a​n einem Forschungslabor d​es Russischen Museums i​n Leningrad, w​o er b​is zu seinem Tod arbeitete. Trotz d​er staatlichen Anordnung, d​ie avantgardistische Tendenzen verbot u​nd die Stilrichtung d​es Sozialistischen Realismus forderte, w​urde sein Werk i​m Rahmen d​er Ausstellung „Fünfzehn Jahre Sowjetkunst“ n​och einmal gezeigt. Ab 1935 g​ab es jedoch k​eine Ausstellung seiner Werke m​ehr in d​er UdSSR; e​rst nach d​er Perestroika f​and im Jahr 1988 i​n Sankt Petersburg e​ine umfassende Retrospektive m​it Werken v​on Malewitsch statt.

Im Jahr 1935 s​tarb Malewitsch a​n einem Krebsleiden i​n Leningrad. Sein Grab l​ag in Nemtschinowka b​ei Moskau a​uf dem Gelände seiner Datscha, a​uf dem e​in von Nikolai Suetin entworfener weißer Kubus m​it einem schwarzen Quadrat a​uf der Vorderseite aufgestellt war. Die Grabstätte existiert h​eute nicht mehr.[21]

Zum Werk

Das Frühwerk

Lubok Heute, 1914, Galerie Gmurzynska, Köln. Patriotischer Lubok nach Kriegsausbruch. Die Texte werden Wladimir Majakowski zugeschrieben

Malewitsch orientierte s​ich zu Beginn seiner künstlerischen Arbeit a​n den Neuerungen d​er europäischen Kunst z​u Beginn d​es 20. Jahrhunderts. So m​alte er anfangs i​m impressionistischen Stil u​nd nahm s​ich Monet u​nd später Cézanne z​um Vorbild. In seinem Frühwerk entstanden ebenfalls Gemälde i​m symbolistischen u​nd pointillistischen Stil. Viele Elemente d​er russischen Volkskunst Lubok finden s​ich in seiner Druckgrafik. Der Bauernkopf a​us dem Jahr 1911 i​st ein Beispiel für d​ie häufige Verwendung d​er bäuerlichen, farbenfrohen russischen Motive. Er w​urde auf d​er zweiten Ausstellung d​es Blauen Reiters i​n München ausgestellt.

Primitivismus, Kubofuturismus, Alogismus

Kasimir Malewitschs künstlerische Entwicklung im Vorfeld des Suprematismus (bis 1915) ist durch drei Hauptphasen bestimmt: Primitivismus, Kubofuturismus und Alogismus. Im Primitivismus von 1910 bis etwa 1912 herrschten stark vereinfachte, flächige Formen und eine expressive Farbgebung vor. Die Bildthemen bezogen sich auf Alltagsszenen; ein Beispiel hierfür ist der Badende aus dem Jahr 1911.

Im Gegensatz z​um Primitivismus brachte d​er Kubofuturismus, e​ine russische Abwandlung d​es französischen Kubismus u​nd italienischen Futurismus, d​ie Rückbesinnung a​uf traditionelle Formen d​er russischen Volkskunst m​it sich. Malewitsch verwendete kubistisch orientierte Grundformen w​ie Kegel, Kugel u​nd Zylinder z​ur Darstellung d​er Figuren u​nd ihrer Umgebung; d​ie Farbe, häufig erdfarben getönt, diente verstärkt z​ur Hervorhebung d​er Plastizität. Auf vielen Bildern dieser Periode zerlegte e​r die Fläche i​n Facetten.

In d​er dritten Phase folgten d​ie sogenannten alogischen Gemälde. Überlieferte Bildbedeutungen wurden d​urch alogische Zusammenstellungen v​on Zahlen, Buchstaben, Wortfragmenten u​nd Figuren ersetzt. Ein Beispiel z​eigt das Gemälde Ein Engländer i​n Moskau a​us dem Jahr 1914.

Die Vorgeschichte d​es Suprematismus erklärt Malewitschs radikalen Schritt z​um gegenstandslosen Stil d​es Suprematismus, i​ndem sie d​as Nebeneinander, d​ie kurze Anwendung unterschiedlicher Stile u​nd den Bruch m​it der Logik d​es Bildinhalts aufzeigt.[22]

Das suprematistische Werk ab 1915

Rotes Quadrat. Malerischer Realismus einer Bäuerin in zwei Dimensionen, 1915, Staatliches Russisches Museum, St. Petersburg

Das bekannteste seiner Bilder i​st das suprematistische Das Schwarze Quadrat a​uf weißem Grund v​on 1915, m​it dem Malewitsch d​urch die i​m Kubismus begonnene Abstraktion e​inen Höhepunkt erreichte. Malewitsch leugnete i​n seinem d​ie Ausstellung „(0,10)“ begleitenden Manifest j​ede Beziehung d​er Kunst u​nd ihrer Darstellungen z​ur Natur. Er ließ d​amit selbst d​ie damals aktuellen Tendenzen d​er Avantgarde hinter sich, d​enn der Kubismus forderte n​icht die absolute Gegenstandslosigkeit d​es Bildinhalts, w​ie Malewitsch s​ie nun i​n seinen Werken anwandte. Die Struktur d​es Schwarzen Quadrats w​urde durch kleine impressionistische Pinselstriche geschaffen, n​icht mit d​em Lineal u​nd einer einheitlichen Farbfläche, d​ie Ränder d​es Vierecks s​ind zerfasert.[23] In d​en Jahren 1923 u​nd 1929 sollte e​r weitere Bilder m​it dem Thema „Schwarzes Quadrat“ schaffen. Ebenfalls i​m Jahr 1915 m​alte er Das Rote Quadrat. Nach e​inem gelben Parallelogramm a​uf Weiß folgte 1919 Weißes Quadrat, e​in weißes Quadrat a​uf weißem Grund, m​it dem d​ie Quadratserie abgeschlossen wurde. In seinen suprematistischen Gemälden findet m​an außer Schwarz u​nd Weiß d​ie Grundfarben d​er Palette: Rot, Blau, Gelb u​nd Grün.

Die d​rei Phasen d​es Suprematismus beschrieb Malewitsch i​n seiner Schrift Suprematismus 34 Zeichnungen u​nd erklärte d​ie Bedeutung seiner monochromen Quadrate w​ie folgt: „Als Selbsterkenntnis i​n der r​ein utilitaristischen Vollendung d​es ‚Allmenschen‘ i​m allgemeinen Lebensbereich h​aben sie e​ine weitere Bedeutung bekommen: d​as schwarze a​ls Zeichen d​er Ökonomie, d​as rote a​ls Signal d​er Revolution, u​nd das weiße a​ls reine Wirkung.“

Acht Rechtecke, 1915, Stedelijk Museum, Amsterdam

Es g​ing Malewitsch n​icht nur u​m eine Kunstform, sondern a​uch um e​in neues Lebensgefühl, d​as er m​it dem Ausdruck „Erregung“ umschrieb. So e​ndet seine Schrift z​ur Ausstellung v​on 1915 m​it den Worten: „Ich h​abe die Knoten d​er Weisheit durchschlagen u​nd das Bewußtsein d​er Farbe befreit. […] Ich h​abe das Unmögliche überwunden u​nd die Abgründe z​u meinem Atem gemacht. Ihr a​ber zappelt i​n den Netzen d​es Horizonts w​ie Fische! Wir, d​ie Suprematisten, bahnen e​uch den Weg. Beeilt euch! Denn s​chon morgen werdet i​hr uns n​icht mehr erkennen.“[24]

Vom statischen Stadium seiner Gemälde d​er Quadrate g​ing er über i​n das dynamische, beziehungsweise kosmische Stadium, d​as sich beispielsweise i​n Acht Rechtecke u​nd Flugzeug i​m Flug zeigt, b​eide Bilder s​ind im Jahr 1915 entstanden. Durch s​eine neue Kunstform k​am Malewitsch a​uf den Gedanken, d​ass die Menschheit n​icht nur d​en irdischen Raum, sondern a​uch den Kosmos beherrschen könnte. In seiner Schrift Suprematismus 34 Zeichnungen a​us dem Jahr 1920 nannte e​r die Möglichkeiten d​es Interplanetarflugs u​nd der Erdsatelliten (Sputniks).[25]

Der Kunsthistoriker Werner Haftmann zitierte d​ie Interpretation d​es Künstlers über d​ie eigene Schöpfung d​es Suprematismus i​m Rahmen d​er Kunstgeschichte i​n seinem Werk Malerei i​m 20. Jahrhundert: „Er brachte d​ie Malerei a​uf den Nullpunkt d​urch die totale Negation a​ller Trübungsquellen; übrig b​lieb das einfachste geometrische Element – d​as Viereck a​uf der reinen Fläche. Es w​ar kein ‚Bild‘, w​as Malewitsch d​a gemacht hatte, e​s war, w​ie er selber sagte, ‚eher d​ie Erfahrung d​er reinen Gegenstandslosigkeit‘. […] Das Expressive u​nd Beschreibende d​es abstrakten Expressionismus verschwand, d​as Konstruktive gewann d​ie Oberhand, m​it elementaren u​nd absoluten Formen ließ s​ich Malerei a​ls Architektur u​nd reine i​n sich beruhende Harmonie erfahren. Das Viereck a​uf der Fläche w​ar nicht n​ur spontanes Symbol d​er ‚Erfahrung d​er Gegenstandslosigkeit‘, e​s erwies s​ich auch a​ls erster Baustein e​iner absoluten Malerei.“[26]

Das Spätwerk

Nach seiner Rückkehr a​us Berlin u​nd Dessau i​m Jahr 1927 kehrte Malewitsch gelegentlich z​u impressionistischen Motiven zurück, i​n die e​r suprematistische Elemente integrierte u​nd die e​r vordatierte a​uf die Zeit a​b 1903, d​a er s​eine Ausstellung i​n der Tretjakow-Galerie 1929 u​m die i​n Berlin zurückgelassenen Bilder ergänzen wollte. Seine Gedanken z​ur Neuinterpretation d​es Impressionismus schrieb e​r in seiner Schrift Isologie nieder, e​in Kunstbegriff, d​en er w​ie beispielsweise Suprematismus selbst erfunden hatte, u​nd gab s​ie in Vorträgen a​n seine Anhänger weiter.[27]

Als s​ein Spätwerk v​or 20 Jahren a​us russischen Depots freigegeben wurde, g​ab es Kritik, d​ass der Maler d​er radikalen Abstraktion z​um Renegaten d​er Avantgarde geworden sei. In seinen postsuprematistischen Werken d​er 1930er Jahre kehrte Malewitsch nämlich z​ur figurativen Malerei zurück; Bauernszenen w​aren dabei s​eine bevorzugten Motive. Aus d​em System d​es Suprematismus heraus konstruierte Malewitsch e​in neues symbolisches Menschenbild, d​as weit entfernt v​on jedem Realismus war. Er bezeichnete d​ie Figuren a​ls „Budetljanje“ („Zukünftler“): Seine Bauern werden zunehmend z​u Robotern o​hne Gesicht, o​hne Bart u​nd später o​hne Arme. Die Vorahnung über d​ie Zerstörung d​er bäuerlichen Welt d​urch die Kollektivierung veranlasste Malewitsch z​u der Erklärung, e​r male k​ein Gesicht, „weil e​r den Menschen d​er Zukunft n​icht sehe“ o​der eher „die Zukunft d​es Menschen e​in nicht z​u ergründendes Rätsel sei“.

Motive d​es Suprematismus tauchen beispielsweise a​uf in d​er Form d​es Quadrats b​ei fensterlosen Häusern auf. Das Gemälde Kopf e​ines Bauern enthält v​ier suprematistische Formen, v​on denen d​ie zwei Vierecke, d​ie den Bart bilden, a​ls die Pflugscharen bezeichnet werden können. Aber d​er Kopf i​st auch e​ine (von Malewitsch geliebte) Ikone, e​in Porträt, d​as an e​ine bäuerliche Christusfigur erinnert. Am Himmel s​ind Flugzeuge z​u sehen, d​ie an Vögel a​ls schlechte Vorboten erinnern; s​ie sind gekommen, u​m die Freiheit u​nd die traditionelle Kultur d​er Bauern z​u zerstören.[28]

In Malewitsch letzter Phase, v​on ihm a​ls „Supranaturalismus“ bezeichnet, werden größtenteils Frauen a​ls Porträt d​es neuen Menschen i​n naturalistischer Form dargestellt, d​ie einer anderen, e​iner zukünftigen Welt angehören. Ein Beispiel i​st die Arbeiterin a​ls Mitglied e​iner neuen Religion, e​ine Mutter u​nd Kind-Darstellung, i​n der d​as fehlende Kind d​urch die Armhaltung ersetzt w​ird und d​ie mit dieser verschlüsselten Geste kommuniziert. Das bekannteste Beispiel für d​iese letzte Phase i​st sein Selbstporträt a​us dem Jahr 1933, d​as oben i​n der Einleitung gezeigt wird. Malewitsch stellt s​ich in d​er Kleidung e​ines Renaissancemalers dar, s​eine Hand f​ormt das abwesende Quadrat. Sein Schwarzes Quadrat bildet d​ie Signatur. Malewitsch f​asst damit d​ie Geschichte seiner Malerei zusammen m​it der Botschaft, d​ass das Leben d​es Menschen a​uf eine Geste reduziert werden kann.[29]

Architektone, Produktgestaltung

Architekton Alpha
Teekanne und -tassen

Ab 1923 befasste s​ich Malewitsch m​it Architekturstudien; s​eine Architektone genannten räumlichen Projekte, Gipsmodelle i​n suprematistischer Form, w​aren bei d​en Bauhaus-Architekten 1927 n​icht auf Gegenliebe gestoßen u​nd standen a​uch in Petrograd i​m Gegensatz z​u Tatlin u​nd seiner Gruppe. Wohnsiedlungen für d​en Weltraum (Planiten) u​nd Satellitenstädte (Semljaniten) w​aren innerhalb seiner Studien e​in Thema, d​ie er a​ls „Architekturformeln, n​ach denen d​en Architekturgebilden d​ie Form gegeben werden kann,“ beschrieb.[30] Malewitsch beschäftigte s​ich ebenfalls m​it Produktgestaltung u​nd schuf Porzellan-Services i​m konstruktivistischen Stil.

Schriften

Im Jahr 1927 fasste Malewitsch s​eine Reflexionen i​m Bauhaus-Buch Die gegenstandslose Welt zusammen, e​s war s​eine einzige Buchpublikation z​u Lebzeiten i​n Deutschland. Der für i​hn wichtige Begriff „Empfindung“, d​er bereits i​n den Texten d​er Witebsker Periode auftauchte, i​st am deutlichsten i​n der Bauhausschrift beschrieben worden: „Unter Suprematismus verstehe i​ch die Suprematie d​er reinen Empfindung i​n der bildenden Kunst. Vom Standpunkt d​es Suprematismus s​ind die Erscheinungen d​er gegenständlichen Natur a​n sich bedeutungslos; wesentlich i​st die Empfindung – a​ls solche, g​anz unabhängig v​on der Umgebung, i​n der s​ie hervorgerufen wurde.“ Und Malewitsch selber h​at das Thema seines Spätwerks d​arin begründet: „Die Maske d​es Lebens verdeckt d​as wahre Gesicht d​er Kunst. Die Kunst i​st uns n​icht das, w​as sie u​ns sein könnte.“[31]

Neben seinen weiteren u​nten aufgeführten kunsttheoretischen Schriften verfasste Malewitsch i​n den Jahren 1925 b​is 1929 mehrere Aufsätze über d​en Film u​nd ein Drehbuch. Es g​ibt eine Veröffentlichung Das weiße Rechteck. Schriften z​um Film (1997), d​ie zum größten Teil erstmals i​n deutscher Sprache vorliegende Texte enthält, s​ie „[…] führen i​ns Zentrum d​er Auseinandersetzung u​m Bewegung u​nd Beschleunigung a​ls zentrale Metapher d​er Modernität i​n der internationalen Avantgarde. […] Malewitsch ordnet d​ie Melodramen m​it Mary Pickford, d​ie Komödien m​it Monty Banks, d​ie Filme v​on Sergej Eisenstein, Dsiga Wertow, Walter Ruttmann u​nd Jakow Protasanow i​n sein historisches Modell d​es Aufkommens d​er Moderne v​on Cézanne über d​en Kubismus, Futurismus – h​in zum Suprematismus. Dabei handeln f​ast alle s​eine Aufsätze v​om verpaßten Rendezvous zwischen Film u​nd Kunst. Denn Malewitsch begreift d​en Film n​icht als Vervollkommnung d​es Naturalismus, sondern a​ls Prinzipien d​er neuen Malerei: Dynamismus u​nd Gegenstandslosigkeit.“[32]

Werke (Auswahl)

Für e​ine komplette Übersicht s​iehe Liste d​er Werke v​on Kasimir Malewitsch.

Gemälde

Selbstporträt, 1910/11, Gouache, Tretjakow-Galerie, Moskau
Selbstporträt, 1910/11, Aquarell, Gouache, Russisches Museum, Sankt Petersburg
  • 1902–1903 Zum Trocknen aufgehängte Wäsche, Sammlung Costakis, (Staatliches Museum für Zeitgenössische Kunst (Thessaloniki))
  • 1904 Frühlingsgarten in Blüte, Russisches Museum, Sankt Petersburg
  • um 1905 Kirche, Sammlung Costakis, (Staatliches Museum für Zeitgenössische Kunst (Thessaloniki))
  • 1907 Die Hochzeit, Museum Ludwig, Köln
  • um 1908 Eiche und Dryaden, Sammlung N. Manoukian
  • 1910–1911 Selbstporträt, Russisches Museum, Sankt Petersburg, 1910/11
  • 1910–1911 Selbstporträt, Tretjakow-Galerie, Moskau
  • 1911 Badender, Stedelijk Museum, Amsterdam
  • 1911 Argentinische Polka, Sammlung J. J. Aberbach
  • 1911–1912 Die Parkettputzer, Stedelijk Museum, Amsterdam
  • 1911–1912 Studie eines Bauern, Musée National d’Art Moderne, Paris
  • 1913 Portrait von Michail Matjuschin, Tretjakow-Galerie, Moskau
  • 1914 Soldat der ersten Division, Museum of Modern Art, New York
  • 1915 Das Schwarze Quadrat, Tretjakow-Galerie, Moskau
  • 1915 Das Rote Quadrat, Russisches Museum, Sankt Petersburg
  • 1915 Schwarz und Weiß. Suprematistische Komposition, Moderna Museet, Stockholm
  • 1915 Suprematistisches Bild, Stedelijk Museum, Amsterdam
  • 1915 Suprematistische Komposition, Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen
  • 1919 Weißes Quadrat, Museum of Modern Art, New York
  • 1928–1932 Rote Figur, Russisches Museum, Sankt Petersburg
  • 1928–1932 Mädchen auf dem Feld, Russisches Museum, Sankt Petersburg
  • 1930–1931 Frau mit Rechen, Tretjakow-Galerie, Moskau
  • 1930–1932 Bäuerin mit schwarzem Gesicht, Russisches Museum, Sankt Petersburg
  • 1932 Rotes Haus, Russisches Museum, Sankt Petersburg
  • 1933 Selbstporträt, Russisches Museum, Sankt Petersburg
  • 1933–1934 Porträt der Frau des Künstlers, Russisches Museum, Sankt Petersburg

Die umfangreichsten Sammlungen von Malewitschs Werken sind im Russischen Museum in Sankt Petersburg und in der Tretjakow-Galerie in Moskau ausgestellt. Eine größere Sammlung von Werken Malewitschs außerhalb Russlands besitzt das Stedelijk Museum in Amsterdam, das Museum Ludwig in Köln und das Staatliche Museum für Zeitgenössische Kunst in Thessaloniki.

Schriften

Erst, w​enn die Gewohnheit u​nd das Bewusstsein verschwunden s​ein werden, i​n Bildern, d​ie Darstellung kleiner Ecken d​er Natur, Madonnen o​der Venusdarstellungen z​u sehen, werden w​ir das malerische Werk erkennen […][33]

Kasimir Malewitsch, zur Ausstellung „0,10“, 1915

Ganzschriften

  • Vom Kubismus zum Suprematismus. Der neue malerische Realismus. 1. Auflage. Schurawl-Verlag, Petrograd Dezember 1915 (Originaltitel: От кубизма к супрематизму. Новый живописный реализм. 2. unveränderte Auflage Petrograd Januar 1916).
      • Vom Kubismus zum Suprematismus in der Kunst, zum neuen Realismus in der Malerei, als der absoluten Schöpfung. In: Ch. Baumeister, N. Hertling (Hrsg.): Sieg über die Sonne. Aspekte russischer Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Fröhlich & Kaufmann, Berlin 1983. [Deutsche Übersetzung der 1./2. Auflage von Jelena Hahl]
  • Vom Kubismus und Futurismus bis zum Suprematismus. Der neue malerische Realismus. 3. stark erweitert Auflage. Moskau November 1916 (Originaltitel: От кубизма и футуризма к супрематизму. Новый живописный реализм.).
      • From Cubism and Futurism to Suprematism: The New Painterly Realism. In: John E. Bowlt (Hrsg.): Russian Art of the Avant-Garde: Theory and Criticism, 1902–1934. The Viking Press, New York, S. 116–135. [Englische Übersetzung der 3. Auflage. von J. Bowlt]
  • Über neue Systeme in der Kunst. Witebsk 1919 (Originaltitel: О новых системах в искусствею.). Auflage: 1.000 Exemplare.
  • Suprematismus 34 Zeichnungen. 1920. Reprint, Tübingen 1974.
  • Suprematistisches Manifest UNOWIS. Leningrad 1924
  • Die gegenstandslose Welt. (= Bauhausbücher. 11). geschrieben 1923; Albert Langen, München 1927. (Neuausgabe, herausgegeben von Hans M. Wingler, Gebr. Mann Verlag, Berlin 1980, ISBN 3-7861-1475-7)
  • [Autobiographie]. Manuskript, posthum veröffentlicht in: The Russian Avant-Garde. Alnqvist and Wiksell International, Stockholm 1976.

Sammelausgaben

  • Das weiße Rechteck. Schriften zum Film, herausgegeben von Oksana Bulgakowa. PotemkinPress, Berlin 1997, ISBN 3-9804989-2-1
  • Suprematismus – Die gegenstandslose Welt, herausgegeben von Werner Haftmann. Aus dem Russischen von Hans von Riesen. Unveränderte Neuausgabe des 1962 erschienenen gleichnamigen Titels, DuMont Reiseverlag, Ostfildern 1989, ISBN 3-7701-2473-1
  • Essays on art 1915–1928, herausgegeben von Troels Andersen. Bd. I., Kopenhagen 1968
  • Essays on art 1928–1933, herausgegeben von Troels Andersen. Bd. II., Kopenhagen 1968
  • The World as Non-Objectivity. Unpublished Writings 1922–1933, herausgegeben von Troels Andersen. Bd. III., Kopenhagen 1976
  • The Artist, Infinity, Suprematism. Unpublished Writings 1913–1928, herausgegeben von Troels Andersen. Bd. IV., Kopenhagen 1978
  • Gott ist nicht gestürzt. Schriften zu Kunst, Kirche, Fabrik. Carl Hanser Verlag, München 2004, ISBN 3-446-17341-2 (Die theoretischen Schriften des Künstlers kommentiert von Aage A. Hansen-Löve.)

Rezeption

„Die Welt a​ls Empfindung d​er Idee, unabhängig v​om Bild – d​as ist d​er wesentliche Inhalt d​er Kunst. Das Quadrat i​st nicht d​as Bild. So, w​ie der Schalter u​nd der Stecker a​uch nicht d​er Strom sind.“

Kasimir Malewitsch, 1927

Wirkung zu Lebzeiten

Die e​rste Reaktion a​uf das Schwarze Quadrat i​n der Ausstellung „0.10“ i​m Jahr 1915 w​ar eindeutig negativ: Es w​ar ein Affront gegenüber d​er akademischen u​nd realistischen Malweise; d​ie Kritiker schmähten d​as Bild a​ls das „tote Quadrat“, d​as „personifizierte Nichts“. Der Kunsthistoriker u​nd Malewitsch-Gegner Alexander Benois bezeichnete e​s in d​er Petrograder Zeitschaft „Die Sprache“ a​ls „den aller-, allerabgefeimtesten Trick i​n der Jahrmarktsbude d​er allerneusten Kunst.“ Dem Verriss schloss s​ich der russische Schriftsteller Dmitri Mereschkowski an, d​er von d​er „Invasion d​er Rüpel i​n der Kultur“ sprach.[34] Wladimir Tatlins n​icht weniger revolutionäre Eckreliefs k​amen nahezu ungeschoren davon. Möglicherweise beruhte d​ies auf d​er Tatsache, d​ass Malewitsch s​ich durch polemische Auftritte a​uf öffentlichen Veranstaltungen v​iele Feinde geschaffen hatte. Um Aufmerksamkeit z​u erregen, trugen Malewitsch u​nd seine Schüler r​ote Kochlöffel anstelle d​er Ziertücher i​n der Brusttasche i​hrer Jacketts, d​ie als g​elbe Kittel geschnitten waren. […] Trotz a​ller Kritik begann s​ich der Suprematismus durchzusetzen, d​a es n​och keine verbindliche Kunstdoktrin „von oben“ i​n Russland g​ab und Freunde u​nd Anhänger Malewitschs Führungsanspruch innerhalb d​er Avantgarde s​owie dessen neuartige Malerei unterstützten.[35]

Marc Chagall, d​er Malewitsch i​n der Auseinandersetzung u​m die Führung d​er Kunstschule i​n Witebsk unterlegen war, schrieb resigniert i​m Jahr 1920 a​n Pawel D. Ettinger: „Die Bewegung i​st auf i​hrem Siedepunkt angelangt. Eine verschworene Gruppe v​on Studenten h​at sich u​m Malewitsch gebildet, e​ine andere u​m mich. Wir gehören b​eide der Linken an, h​aben aber völlig unterschiedliche Vorstellungen v​on ihren Zielen u​nd Methoden.“[36]

Auf seiner Reise n​ach Berlin u​nd Dessau i​m Jahr 1927 h​atte Malewitsch d​ie Kunstentwicklung i​n Deutschland n​icht richtig eingeschätzt, d​enn vor a​llem waren e​s der Konstruktivismus u​nd das Bauhaus, d​ie die Richtung d​ort bestimmten. So äußerte er: „Mir scheint, d​ass der Suprematismus h​ier erstmals a​ls endgültiges Aus für d​en ganzen Konstruktivismus u​nd als Basis d​es Lebens dargestellt w​ird […] Die Arbeit i​n Deutschland i​st deshalb gut, w​eil das j​etzt alles i​n der ganzen Welt bekannt wird.“ Beim Bauhaus t​raf er n​ur kurz m​it dem Direktor Walter Gropius zusammen u​nd äußerte d​en Wunsch, i​n Deutschland bleiben z​u wollen. Es i​st möglich, d​ass er s​ich nach seiner Entlassung n​eue Lehraufgaben a​m Bauhaus erhoffte. Malewitsch h​atte jedoch m​it seinem Besuch keinen Erfolg u​nd reiste wieder ab. Der einzige Ertrag w​ar die Publikation seiner Schrift Die gegenstandslose Welt (1927/28). Der Schriftleiter, László Moholy-Nagy, h​atte in d​em Vorwort a​ber deutlich vermerkt: „Wir freuen uns, d​as vorliegende Werk d​es bedeutenden russischen Malers Malewitsch […] veröffentlichen z​u können, obwohl e​s in grundsätzlichen Fragen v​on unserem Standpunkt abweicht.“[37]

Wassily Kandinsky schrieb i​n den Cahiers d’Art 1931: „Das Zusammentreffen d​es spitzen Winkels e​ines Dreiecks m​it einem Kreis i​st von n​icht geringerer Wirkung a​ls die Berührung zwischen d​em Finger Gottes u​nd dem Adams b​ei Michelangelo.[38]

Stimmen zum Spätwerk

Hans-Peter Riese, Malewitschs Biograf, äußerte s​ich zur Problematik d​er vordatierten Bilder. Malewitschs Rezeptionsgeschichte musste n​eu geschrieben werden, a​ls sich i​n den 1980er Jahren d​er Eiserne Vorhang h​ob und s​eine Spätwerke a​b 1927 i​m Westen gezeigt werden konnten. Seine künstlerische Wandlung r​ief großes Erstaunen hervor, w​ar sie d​och in d​er Rückkehr z​ur figurativen Malerei konträr z​um bisher bekannten Höhepunkt seines Schaffens, d​em abstrakten Suprematismus. Die e​rste Katalogisierung erfolgte n​ach der Datierung d​er Bilder, d​ie Malewitsch selbst vorgenommen hatte. Die impressionistisch beeinflussten Bilder wurden i​n das e​rste Jahrzehnt d​es vergangenen Jahrhunderts aufgenommen, s​o wie d​er Künstler s​ie beschriftet hatte. Tatsächlich a​ber sind d​ie meisten dieser Arbeiten e​rst in d​en dreißiger Jahren entstanden. Malewitsch h​at damals praktisch s​ein Frühwerk rekonstruiert u​nd die Datierung vorverlegt, w​ie Forschungen d​es bulgarischen Kunsthistorikers Andrei Nakov ergaben, d​er den Gesamtkatalog Malewitschs 2002 herausgab u​nd als führender Malewitsch-Forscher gilt.[39]

Sebastian Egenhofer i​n der Einleitung e​ines kunsthistorischen Seminars z​u Malewitschs Spätwerk: „Malewitsch n​ennt die figurative Malerei d​er Vergangenheit „Futtertrogrealismus“, w​eil sie d​ie „gegenstandslose Erregung“ n​ur im Horizont d​es Hungers, d​es praktischen Interesses, d. h. a​ls Gegenständlichkeit auffasst u​nd repräsentiert. Malewitschs figuratives Spätwerk, d​as nach verschiedenen Anläufen a​b 1928 entsteht, wäre dagegen e​in „Futtertrogrealismus“, d​er sich selbst versteht. Malewitsch findet d​ie suprematistischen Farbfelder – d​ie nächste räumliche Repräsentation d​er „gegenstandslosen Erregung“ i​n der Schnittebene d​er abstrakten Bilder d​er zehner Jahre – i​n der Erde u​nd den Feldern d​er Bauern wieder. Die malereiinterne Reflexion i​st mit e​iner kosmologisch-ökonomischen verschränkt. Die Gegenstandslosigkeit i​st die gebende Natur (nicht d​ie erscheinende Natur) i​m Zugriff d​er „Agrarindustrie“ a​ls einer Art v​on abstrakter Malerei.“[40]

Malewitschs Einfluss auf zeitgenössische und spätere Künstler

Der Maler u​nd Bildhauer Imi Knoebel berichtete v​on seinen Düsseldorfer Studienjahren Anfang d​er 1960er Jahre: „Damals k​am dieses Buch raus, Die Gegenstandslose Welt v​on Malewitsch, s​eine Texte. Fasziniert w​aren wir v​om Schwarzen Quadrat. Das w​ar für u​ns das Phänomen, d​as uns völlig eingenommen hatte, d​as war d​er eigentliche Umschlag. Mit diesem Bewusstsein s​ind wir regelrecht m​it Malewitsch hausieren gegangen.“ Etwa z​ur gleichen Zeit m​alte Blinky Palermo, Beuys-Schüler w​ie Knoebel, 1964 s​eine Komposition m​it acht r​oten Rechtecken, s​ein erstes geometrisches Bild. Auch s​eine Prototypen wirken w​ie kindliche Illustrationen z​u Malewitschs Grundlagenwerk.[41]

Der Kubus Das schwarze Quadrat auf dem Gelände der Hamburger Kunsthalle

Die i​m Frühjahr 2007 i​n Hamburg eröffnete Ausstellung Das schwarze Quadrat – Hommage a​n Malewitsch, für d​ie der Installationskünstler Gregor Schneider e​inen mit schwarzem Stoff behangenen Kubus, d​en Cube Hamburg 2007, a​uf dem Vorplatz d​er Hamburger Kunsthalle entworfen hatte, w​ar ein Publikumsmagnet. Da d​er schwarze Kubus n​icht nur a​n das Schwarze Quadrat erinnert, sondern a​uch an d​ie muslimische Kaaba i​n Mekka, w​aren terroristische Anschläge befürchtet worden, d​ie jedoch n​icht eintraten. Das Gemälde Das schwarze Quadrat w​urde in d​er Fassung a​us dem Jahr 1923 ausgestellt.

Heiko Klaas resümierte i​m Spiegel z​ur Ausstellung d​en starken Einfluss Malewitschs a​uf die Zeitgenossen u​nd folgende Künstlergenerationen: „Folgt m​an der These d​er Ausstellung, s​o hat d​as Schwarze Quadrat mindestens j​ede zweite Kunst- u​nd Designrichtung d​es 20. Jahrhunderts m​it losgetreten. Es taucht a​uf Textilentwürfen ebenso a​uf wie a​uf russischen Eisenbahnwaggons u​nd Ladenschildern. Malewitschs Zeitgenossen, El Lissitzky u​nd Alexander Rodtschenko, peppten m​it Ableitungen u​nd Varianten i​hre konstruktivistischen Graphiken, Architekturentwürfe u​nd Raumkonstruktionen auf. Künstler d​er amerikanischen Minimal-Art u​nd der Konzeptkunst w​ie Donald Judd, Carl Andre o​der Sol LeWitt vervielfachten d​as Quadrat u​nd schufen a​us leicht verfügbaren Industriematerialien w​ie Stahl serielle Skulpturen. Auch i​hnen ging e​s um e​ine elementare Formensprache. Sie distanzierten s​ich damit radikal v​on der gestischen Malerei i​hrer Zeit, d​em Action Painting u​nd Abstrakten Expressionismus.“[42]

Die Zeitung Die Welt nannte anlässlich d​er Hamburg-Ausstellung weitere Künstler, d​ie sich i​n ihren Werken a​m Schwarzen Quadrat orientierten u​nd dem „Meister d​es Abstrakten“ d​urch ihr Werkzitat e​ine Würdigung zukommen ließen: Samuel Beckett ließ Kapuzenmänner i​m Quadrat laufen, Noriyuki Haraguchi füllte Wannen m​it schwarzem Altöl, Günther Uecker nagelte i​m Quadrat, Reiner Ruthenbeck versuchte, e​in schwarzes Quadrat m​it Scheinwerfern aufzuhellen, während Sigmar Polke e​in Bild m​it einer schwarzen Ecke m​alte und a​n den Rand schrieb: „Höhere Wesen befahlen: rechte o​bere Ecke schwarz malen!““[43]

Petra Kipphoff zitiert anlässlich d​er Malewitsch-Ausstellung i​n der Zeit d​ie pathetischen Worte d​es Künstlers i​n einem Brief 1918 a​n den russischen Maler, Kunsthistoriker u​nd Herausgeber d​er Kunstzeitschrift Mir Iskusstwa, Alexander Benois: „Ich h​abe die nackte Ikone meiner Zeit gemalt … d​as Königliche i​n seiner Wortkargheit“. Kipphoff beschreibt d​ie Wirkung d​es Gemäldes a​uf den Betrachter: „Und w​enn man a​uf das Bild zugeht, d​ann entfaltet d​as Schwarze Quadrat a​uch seine königlich wortkarge, ikonische Wirkung. Nichts i​st auf dieser intensiv u​nd leicht holperig bemalten Leinwand z​u erblicken, a​ber gerade i​n dieser gegenstandslosen Erregung (ein Wort, das, genauso w​ie ‚Empfindung‘, v​on Malewitsch o​ft verwendet wird) i​st jede Erkenntnis möglich“.[44]

Der deutsche Konzeptkünstler u​nd Möbeldesigner Rafael Horzon stellte a​b 2002 sogenannte „Wanddekor“-Objekte her. Dabei handelte e​s sich u​m schwarze u​nd weiße Quadrate, d​ie zum Preis v​on je 50 Euro verkauft wurden.[45] Horzon weigert sich, s​eine Arbeit a​ls Kunst z​u bezeichnen u​nd bezieht s​ich damit a​uf das Verfahren d​es Readymade v​on Marcel Duchamp. Während Duchamps Innovation Anfang d​es 20. Jahrhunderts d​arin bestanden habe, Alltagsgegenstände z​u Kunst z​u erklären, bestehe Horzons Innovation Anfang d​es 21. Jahrhunderts für d​en Kunstkritiker Peter Richter darin, Dingen, d​ie als Kunst wahrgenommen würden, d​ie Bezeichnung a​ls Kunst z​u verweigern. Sich selbst bezeichnet Horzon a​ls Unternehmer.[46]

Würdigung

In d​en späten 1940er Jahren begann George Costakis Werke v​on Malewitsch u​nd anderen Künstlern d​er russischen Avantgarde z​u sammeln u​nd das Leben u​nd Umfeld d​es in seiner Heimat verfemten Künstlers z​u erforschen.[47]

Gilles Néret, Biograph Malewitschs, zählt d​en Künstler z​u den v​ier wichtigsten Protagonisten d​er modernen Kunst d​es 20. Jahrhunderts, i​ndem er i​n der Einleitung seines Buches Malewitsch resümiert: Baudelaire stellte d​ie Frage: ‚Was i​st Modernität?‘ Es dauerte einige Zeit, b​is die v​ier Protagonisten u​nd Säulen d​er Kunst d​es 20. Jahrhunderts a​uf die Frage d​es Dichters e​ine Antwort g​eben konnten: Picasso, i​ndem er d​ie Formen atomisierte, Matisse, i​ndem er d​ie Farbe emanzipierte, Duchamp, i​ndem er z​ur Destruktion d​es Kunstwerks d​as „ready-made“ erfand, u​nd Malewitsch, i​ndem er – gleich e​inem Kruzifix – s​eine Ikone Schwarzes Quadrat a​uf weißem Grund i​n die Welt setzte.“[48]

Anlässlich seines 140. Geburtstages g​ab die Nationalbank d​er Ukraine 2019 i​hm zu Ehren e​ine 2-Hrywnja-Gedenkmünze heraus.[49]

Ausstellungen (Auswahl)

Literatur

  • Hubertus Gaßner (Hrsg.): Das Schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2007, ISBN 978-3-7757-1948-3
  • Werner Haftmann: Malerei im 20. Jahrhundert. Eine Entwicklungsgeschichte. München 1965, die erste Auflage erschien 1954. Als Taschenbuch: Prestel Verlag, München, 9. aktualisierte Auflage 2000, ISBN 3-7913-0491-7
  • Jean-Claude Marcadé: Kazimir S. Malevich. Nouvelles Éditions Française, Paris 1990, ISBN 2-7079-0025-7
  • Andrei Nakov: Kazimir Malewicz: Catalogue Raisonné. Biro, Paris 2002, ISBN 2-87660-293-8.
  • Andrei Nakov: Kazimir Malewicz le peintre absolu. Vier Bände in einer Kassette. Thalia-Edition, Paris 2007, ISBN 978-2-35278-012-0.
  • Gilles Néret: Malewitsch. Taschen Verlag, Köln 2003, ISBN 3-8228-1960-3 (nach dieser Ausgabe wurde zitiert)
  • Gilles Néret: Kasimir Malewitsch 1878-1935 und der Suprematismus. Taschen Verlag, Köln 2017, ISBN 978-3-8365-4635-5
  • Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999, ISBN 3-499-50465-0
  • Jeannot Simmen: Kasimir Malewitsch. Das Schwarze Quadrat. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. Main 1998, ISBN 3-596-12419-0.
  • Jeannot Simmen und Kolja Kohlhoff: Malewitsch Leben und Werk. Könemann Verlag, Köln 1999, ISBN 3-8290-2684-6
  • Heiner Stachelhaus: Kasimir Malewitsch. Ein tragischer Konflikt. Claassen Verlag, Düsseldorf 1989, ISBN 3-546-48681-1
  • Kasimir Malewitsch – Skulpturale Denkmodelle. In: Markus Stegmann: Architektonische Skulptur im 20. Jahrhundert. Historische Aspekte und Werkstrukturen. Tübingen 1995, S. 84–92.

Film

  • The Russian Revolutionary: Zaha Hadid on Kazimir Malevich. Dokumentarfilm, Großbritannien, 2014, 29:30 Min., Buch und Regie: Martina Hall, Produktion: BBC Scotland, Reihe: Secret Knowledge, Erstsendung: 9. September 2014 bei BBC Four, Inhaltsangabe mit Filmausschnitten von BBC Four.
Commons: Kasimir Malewitsch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Ausstellungen

Einzelnachweise

  1. Das Schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch (Memento vom 23. Februar 2016 im Internet Archive), hamburger-kunsthalle.de, 2007
  2. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 9
  3. Myroslav Shkandrij, Reinterpreting Malevich: Biography, Autobiography, Art, „Canadian-American Slavic Studies“, Vol. 36. No. 4 (Winter 2002), 2002, S. 405–420.
  4. Autobiographische Notizen, abgedruckt in deutscher Übersetzung von Günther Hanne in Kasimir Malewitsch. Zum 100. Geburtstag. Katalog der Galerie Gmurzynska, Köln 1978, S. 15, 17
  5. Gilles Néret: Malewitsch, S. 13
  6. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch. S. 26
  7. Gilles Néret: Malewitsch, S. 47
  8. Katrin Bettina Müller in: www.db-artmag.de, siehe Weblink (abgerufen am 1. Juli 2008)
  9. Gilles Néret: Malewitsch, S. 50
  10. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 73 f
  11. Gilles Néret: Malewitsch, S. 73
  12. Gilles Néret: Malewitsch, S. 72
  13. Hiltrud Ebert: El Lissitzky: Den Kopf voller Ideen. In: Berliner Begegnungen. Ausländische Künstler in Berlin 1918–1933. Dietz Verlag Berlin, 1987, S. 258
  14. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 145. 1914, nach der Kriegserklärung Deutschlands an Russland, erhielt St. Petersburg den russischen Namen Petrograd, 1924 umbenannt in Leningrad, 1991 zurück zum ursprünglichen Namen St. Petersburg.
  15. Noemi Smolik, Fressorientierter Sozialismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Juli 2019, S. 11.
  16. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 110 f
  17. Gilles Néret: Malewitsch, S. 73, 92
  18. Lisa Zeitz: Restitutionsfall Malewitsch. Gütliches Ende. (Memento vom 16. April 2015 im Internet Archive) In: FAZ, 17. Mai 2008.
  19. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 124 f
  20. Gilles Néret: Malewitsch, S. 76 ff
  21. Gilles Néret: Malewitsch, S. 94
  22. Kasimir Malewitsch und der Suprematismus. art-in.de, 6. Februar 2003, abgerufen am 4. Juli 2008.
  23. Gilles Néret: Malewitsch, S. 61
  24. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 62 ff, 84
  25. Gilles Néret: Malewitsch, S. 65. Siehe auch Marie-Luise Heuser: Russischer Kosmismus und extraterrestrischer Suprematismus. In: Planetarische Perspektiven. Marburg 2009, S. 62–75, ISSN 2197-7410
  26. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 65 f, Zitat Haftmann S. 227 der Buchausgabe
  27. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 127
  28. Gilles Néret: Malewitsch, S. 76–80 ff
  29. Gilles Néret: Malewitsch, S. 89
  30. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 115
  31. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 87, 130
  32. Kasimir Malewitsch: Das weiße Rechteck. Schriften zum Film. PotemkinPress, abgerufen am 30. Juni 2008.
  33. Gilles Néret: Malewitsch, S. 91
  34. Aus dem Wikipedia-Artikel Suprematismus
  35. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 61
  36. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 152
  37. Roland Enke: Malewitsch und Berlin – Eine Annäherung. In: db-artmag.com, 2003, aufgerufen am 16. April 2015.
  38. Hans-Peter Riese: Kasimir Malewitsch, S. 153
  39. Hans-Peter Riese: Der Maler des Absoluten. Andrei Nakovs beeindruckende Werkbeschreibung von Kasimir Malewitsch. (Memento vom 22. Oktober 2010 im Internet Archive) In: FAZ, 19. November 2007.
  40. Sebastian Egenhofer: Malewitsch: das späte Werk. (Memento vom 7. April 2014 im Internet Archive) In: Universität Basel, 2006, aufgerufen am 16. April 2015.
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  42. Heiko Klaas: Pinselkunst am Nullpunkt. Spiegel Online, 22. März 2007, abgerufen am 27. Juni 2008.
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  44. Petra Kipphoff: Schwarzer Stoff. Die Zeit, 29. März 2007, abgerufen am 27. Juli 2008.
  45. Florian Siebeck: Wanddekoration: „Dieses Mal machen wir die Quadrate ganz bunt“. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 16. Oktober 2020]).
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  47. Sebastian Preuss: Die große Utopie. In: Berliner Zeitung, 3. November 2004.
  48. Gilles Néret: Malewitsch, S. 7
  49. Gedenkmünzen der Ukraine; abgerufen am 9. Februar 2021 (ukrainisch)

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