Sergei Alexandrowitsch Jessenin
Sergei Alexandrowitsch Jessenin (russisch Сергей Александрович Есенин, wiss. Transliteration Sergej Aleksandrovič Esenin; * 21. Septemberjul. / 3. Oktober 1895greg. in Konstantinowo, Gouvernement Rjasan, Russisches Kaiserreich; † 28. Dezember 1925 in Leningrad) war ein russischer Lyriker, der zu den besten und zugleich volkstümlichsten Dichtern Russlands gezählt wird. Er starb durch Suizid im Alter von 30 Jahren.
Leben und Werk
Sergei Jessenin wurde in eine Landarbeiterfamilie geboren, seine Kindheit verbrachte er überwiegend bei seinen Großeltern. Mit neun Jahren begann er zu dichten. Wegen seiner bäuerlichen Herkunft sah sich Jessenin als „Dorfpoet“ und beschäftigte sich in vielen Werken mit dem Leben auf dem Land und in den Dörfern.
Nach einer abgebrochenen Ausbildung im Internat einer kirchlichen Schule ging er 1912 nach Moskau, wo er zunächst in einer Buchhandlung arbeitete und 1913 ein geisteswissenschaftliches Studium aufnahm. 1915 zog er nach Sankt Petersburg um. 1916 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband. Im selben Jahr wurde er zum Militär einberufen. Jessenin unterstützte zunächst die Oktoberrevolution, wurde aber von den Ergebnissen der Russischen Revolution enttäuscht und wandte sich später von ihr ab. Große Teile seines Werkes waren in der Sowjetunion, insbesondere zur Zeit Stalins, verboten.
1921 bereiste er den asiatischen Teil der Sowjetunion, besuchte den Ural und Orenburg, hielt sich im Mai in Taschkent auf und verbrachte kurze Zeit in Samarkand. Im Oktober desselben Jahres lernte er Isadora Duncan kennen. Vom Mai 1922 bis August 1923 war er mit der deutlich älteren Tänzerin verheiratet; in dieser Zeit begleitete er sie auf ihren Tourneen. Er machte dabei mit seinem Vandalismus in Hotelzimmern international auf sich aufmerksam. Seinen Alkoholismus reflektierte er auch in seinen Gedichten, in denen er sich keinen Illusionen über sich selbst hingab. Dem Schriftsteller Ilja Ehrenburg zufolge war er zudem ruhmessüchtig und öfter dem Wahnsinn nahe. Auf den bekannten und provokanten Poeten Wladimir Majakowski war er schlecht zu sprechen.[1] 1924–1925 besuchte Jessenin Aserbaidschan und wohnte in Mardakjan, einer Vorstadt von Baku. Nachdem er zu Beginn der 1920er Jahre in Moskau in einem legendären Freundeskreis von Künstlern verkehrt hatte, brach er 1924 die Beziehung zu Anatoli Marienhof, einem führenden Vertreter des Imaginismus, ab.
Jessenin war viermal verheiratet. Sein Sohn Juri, aus der ersten Ehe mit Anna Isrjadnowa, wurde 1937 während der Stalinschen Säuberungen erschossen. Mit Sinaida Reich, mit der er von 1917 bis 1921 verheiratet war, hatte er die Tochter Tatjana und den Sohn Konstantin. Außerdem zeugte er außerehelich mit der Dichterin Nadeschda Wolpin den bedeutenden Mathematiker und Dissidenten Alexander Jessenin-Wolpin. Nach Isadora Duncan heiratete Jessenin im Oktober 1925 Sofia Tolstaja, die Enkelin Leo Tolstois. Sie veranlasste einen Monat später seine Einweisung in eine psychiatrische Klinik in Moskau.
Tod
Sergei Jessenin nahm sich am 28. Dezember 1925 in einem Zimmer des Hotels Angleterre in Leningrad das Leben. Kurz vor seinem Tod hat er mit seinem eigenen Blut das folgende Abschiedsgedicht geschrieben:
- Freund, leb wohl. Mein Freund, auf Wiedersehen.
- Unverlorner, ich vergesse nichts.
- Vorbestimmt, so wars, du weißt, dies Gehen.
- Da’s so war: ein Wiedersehn versprichts.
- Hand und Wort? Nein, laß – wozu noch reden?
- Gräm dich nicht und werd mir nicht so fahl.
- Sterben –, nun, ich weiß, das hat es schon gegeben;
- doch: auch Leben gabs ja schon einmal.[2]
Die mit Jessenin befreundete Journalistin Galina Benislawskaja, die er als seine literarische Sekretärin beschäftigte, tötete sich ein Jahr nach Jessenins Tod an dessen Grab.
Seit den 1980er Jahren kursiert die Vermutung, er sei nicht von eigener Hand gestorben, sondern von GPU-Agenten ermordet worden.
Auf der documenta 8 im Jahr 1987 in Kassel wurden Aufnahmen von ihm im Rahmen der „Archäologie der akustischen Kunst 1: Radiofonia Futurista“ als offizieller Ausstellungsbeitrag aufgeführt. Seit den 1960er Jahren trägt der Mount Yesenin in der Antarktis seinen Namen. Der Asteroid des äußeren Hauptgürtels (2576) Yesenin wurde nach ihm benannt.[3]
Siehe auch
Literatur
- Ilja Ehrenburg: Menschen – Jahre – Leben (Memoiren). Kindler, München 1962, wieder 1965, Band I 1891–1922, ISBN 3-463-00511-5, S. 512–521.
- Maxim Gorki: Sergj Jessenin. In: Maxim Gorki: Literarische Porträts. 3. Aufl. Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1979, S. 336–344.
- Fritz Mierau: Sergej Jessenin. Reclam, Leipzig 1992, ISBN 3-379-00714-5.
- Carola Stern: Der Dichter und die Tänzerin. Rowohlt, Reinbek 1996, ISBN 3-499-22531-X.
- Giovanni Arpino: Serghej A. Esenin. L’estremo cantore dell’antica Russia di fronte alla rivoluzione. Marsilio, Venedig 1997, ISBN 88-317-6747-X. (italienisch)
Weblinks
- Literatur von und über Sergei Alexandrowitsch Jessenin im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Sergei Jessenin poesie in der Stihipoeta (russisch)
- Kurzes Porträt (englisch)
- Porträt bei sovlit.net – Encyclopedia of Soviet Writers (englisch)
- Artikel Sergei Alexandrowitsch Jessenin in der Großen Sowjetischen Enzyklopädie (BSE), 3. Auflage 1969–1978 (russisch)
- Gedicht – deutsche Übertragung von Rainer Kirsch: So also ist das Land. Zum Teufel auch – was hab ich ausgebrüllt, ich wäre volksverbunden? Die Poesie wird hier nicht mehr gebraucht. Ich selbst bin nicht gefragt und abgefunden. Sowjetische Rus, 15. Strophe
Einzelnachweise
- Siehe Ehrenburgs Memoiren von 1962
- Übersetzung von Paul Celan, Original auf Russisch: До свиданья, друг мой, до свиданья. Милый мой, ты у меня в груди. Предназначенное расставанье Обещает встречу впереди. До свиданья, друг мой, без руки, без слова, Не грусти и не печаль бровей, В этой жизни умирать не ново, Но и жить, конечно, не новей.
- Lutz D. Schmadel: Dictionary of Minor Planet Names. Fifth Revised and Enlarged Edition. Hrsg.: Lutz D. Schmadel. 5. Auflage. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 2003, ISBN 978-3-540-29925-7, S. 186 (englisch, 992 S., link.springer.com [ONLINE; abgerufen am 23. August 2019] Originaltitel: Dictionary of Minor Planet Names. Erstausgabe: Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1992): “1974 QL. Discovered 1974 Aug. 17 by L. V. Zhuravleva at Nauchnyj.”