Bewegung der Blockfreien Staaten
Die Bewegung der Blockfreien Staaten (kurz Bewegung der Blockfreien oder Blockfreien-Bewegung, englisch Non-Aligned Movement) ist eine Internationale Organisation von Staaten, die sich im Ost-West-Konflikt nach dem Zweiten Weltkrieg neutral verhielten und keinem der beiden Militärblöcke angehörten. Die Gründung der Organisation ging auf eine Initiative des jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito, des ägyptischen Staatschefs Nasser, des indischen Premiers Nehru sowie des indonesischen Präsidenten Sukarno zurück. Die Organisation konstituierte sich 1961 auf ihrer ersten Sitzung in Belgrad.[1] Ihr traten viele ehemalige afrikanische und asiatische Kolonien bei, die sich soeben erst als Staaten konstituiert hatten oder noch um ihre Unabhängigkeit rangen.[2]
Die Organisation verurteilte die Blockbildung in der Zeit des Ost-West-Konfliktes wegen der Gefahr eines Dritten Weltkrieges und setzte sich für die friedliche Koexistenz und Abrüstung ein. Die steigende Zahl der Mitglieder machte es der Organisation jedoch zunehmend schwer, sich auf eine gemeinsame Politik zu einigen. Mit der Auflösung des Warschauer Paktes Anfang der 1990er Jahre verlor sie an Bedeutung. Die heterogene Zusammensetzung der Bewegung machte es schwer, gemeinsame Ziele zu definieren und zu verfolgen.[3] Die Staaten der Blockfreien-Bewegung vertreten 55 Prozent der Weltbevölkerung und halten nahezu zwei Drittel der Sitze in der UN-Generalversammlung.
Das Ziel der Organisation ist die Gleichberechtigung zwischen den Staaten und eine positive wirtschaftliche Entwicklung der Mitgliedstaaten.
Geschichte
Auf Initiative des indischen Ministerpräsidenten Nehru und des jugoslawischen Ministerpräsidenten Tito trafen sich 1955 Abgesandte aus 23 asiatischen und 6 afrikanischen Staaten im indonesischen Bandung. Es handelte sich dabei um Staaten, die weder dem westlichen noch dem östlichen Bündnissystem angehörten.
Als wichtigste Persönlichkeiten im Verlauf der Konferenz von Bandung erwiesen sich die Staats- und Regierungschefs
- Jawaharlal Nehru (Indien),
- Gamal Abdel Nasser (Ägypten),
- Zhou Enlai (Volksrepublik China),
- Josip Broz Tito, der nach dem Bruch mit dem Autoritarismus Stalins in Jugoslawien einen anderen Weg des realen Sozialismus anstrebte,
- sowie der Gastgeber und antikoloniale Befreiungsheld Sukarno (Indonesien).
Als Ergebnis der Konferenz verabschiedeten die 29 Staaten mehrere Resolutionen. In einer verurteilten sie „jede Form von Kolonialismus und Rassendiskriminierung“ und forderten die „Beachtung der Charta der Vereinten Nationen“. In einer weiteren Resolution sprachen sie sich für den „Abbau der Spannungen zwischen den Machtblöcken, eine allgemeine Abrüstung und ein Verbot von Kernwaffen“ aus. Bei der Konferenz von Bandung wurden auch erstmals Forderungen der Dritten Welt nach Gleichberechtigung und Gleichbehandlung gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten laut. Der Geist von Bandung trug wesentlich zum Entkolonialisierungsprozess bei.
Aus den Ergebnissen der Konferenz bildete sich Anfang der 1960er Jahre die antiimperialistische Bewegung der Blockfreien Staaten. Während der Gründungsphase dieser Bewegung übernahmen Jugoslawien, Ägypten und Indien die Führungsrolle, bis diese mit der ersten Gipfelkonferenz vom 1. bis 6. September 1961 in Belgrad abgeschlossen wurde. Bei dieser Gipfelkonferenz waren 25 Staaten durch ihre Staatschefs vertreten.
In Europa waren insgesamt drei Staaten Mitglied dieser Bewegung – Jugoslawien, die Republik Zypern und Malta. Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien) sind seit dem Zerfall Jugoslawiens im Jahr 1991/92 nicht mehr Mitglied der blockfreien Bewegung, haben jedoch noch einen Beobachterstatus, ebenso wie die Ukraine als Nachfolgestaat der Sowjetunion. Malta und Zypern haben nach ihrem Beitritt zur Europäischen Union ihren Austritt erklärt.
Ehemalige Mitglieder
- Jugoslawien (Gründerstaat)
- Argentinien
- Malta
- Zypern
- VR China (war zeitweise Mitglied)
Mitglieder
Folgende 120 Staaten waren 2012 Mitglieder der Blockfreien-Bewegung:[4]
- Afghanistan
- Ägypten
- Algerien
- Angola
- Antigua und Barbuda
- Äquatorialguinea
- Äthiopien
- Aserbaidschan
- Bahamas
- Bahrain
- Bangladesch
- Barbados
- Belarus
- Belize
- Benin
- Bhutan
- Bolivien
- Botswana
- Brunei
- Burkina Faso
- Burundi
- Chile
- Côte d'Ivoire
- Demokratische Republik Kongo
- Dominica
- Dominikanische Republik
- Dschibuti
- Ecuador
- Eritrea
- Fidschi
- Gabun
- Gambia
- Ghana
- Grenada
- Guatemala
- Guinea
- Guinea-Bissau
- Guyana
- Haiti
- Honduras
- Indien
- Indonesien
- Irak
- Iran
- Jamaika
- Jemen
- Jordanien
- Kambodscha
- Kamerun
- Kap Verde
- Katar
- Kenia
- Kolumbien
- Komoren
- Kuba
- Kuwait
- Laos
- Lesotho
- Libanon
- Liberia
- Libyen
- Madagaskar
- Malawi
- Malaysia
- Malediven
- Mali
- Marokko
- Mauretanien
- Mauritius
- Mongolei
- Mosambik
- Myanmar
- Namibia
- Nepal
- Nicaragua
- Niger
- Nigeria
- Nordkorea
- Oman
- Osttimor
- Pakistan
- Palästina
- Panama
- Papua-Neuguinea
- Peru
- Philippinen
- Republik Kongo
- Ruanda
- Saint Lucia
- Sambia
- São Tomé und Príncipe
- Saudi-Arabien
- Senegal
- Seychellen
- Sierra Leone
- Simbabwe
- Singapur
- Somalia
- Sri Lanka
- St. Kitts und Nevis
- St. Vincent und die Grenadinen
- Südafrika
- Sudan
- Surinam
- Eswatini
- Syrien
- Tansania
- Thailand
- Togo
- Trinidad und Tobago
- Tschad
- Tunesien
- Turkmenistan
- Uganda
- Usbekistan
- Vanuatu
- Venezuela
- Vereinigte Arabische Emirate
- Vietnam
- Zentralafrikanische Republik
Beobachter
Zuletzt schieden 2004 Malta und die Republik Zypern aus und besitzen nunmehr nur noch Beobachterstatus, während 2006 die Zahl der Mitglieder auf 118 anwuchs. Auch die Einigung auf klare gemeinsame politische Positionen macht deutlich, dass die Bewegung der blockfreien Staaten an Bedeutung gewinnt. In nahezu allen Redebeiträgen auf dem Gipfel von Havanna wurde die Notwendigkeit einer Süd-Süd-Kooperation betont, die in Anbetracht vieler bilateraler Wirtschaftskontakte zwischen den Mitgliedsstaaten weit über die Planungsphase hinausgekommen zu sein scheint. Viele der in Havanna beschlossenen Positionen fanden sich kurze Zeit später in den Redebeiträgen auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen wieder.
Vorsitzender der Blockfreien Staaten
Vorsitzender der blockfreien Bewegung | |||
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Name | Staat | von | bis |
Josip Broz Tito | Jugoslawien | 1961 | 1964 |
Gamal Abdel Nasser | Vereinigte Arabische Republik | 1964 | 1970 |
Kenneth Kaunda | Sambia | 1970 | 1973 |
Houari Boumedienne | Algerien | 1973 | 1976 |
William Gopallawa | Sri Lanka | 1976 | 1978 |
Junius Richard Jayawardene | 1978 | 1979 | |
Fidel Castro | Kuba | 1979 | 1983 |
Neelam Sanjiva Reddy | Indien | 1983 | |
Giani Zail Singh | 1983 | 1986 | |
Robert Mugabe | Simbabwe | 1986 | 1989 |
Janez Drnovšek | Jugoslawien | 1989 | 1990 |
Borisav Jović | 1990 | 1991 | |
Stjepan (Stipe) Mesić | 1991 | ||
Branko Kostić | 1991 | 1992 | |
Dobrica Ćosić | 1992 | ||
Suharto | Indonesien | 1992 | 1995 |
Ernesto Samper Pizano | Kolumbien | 1995 | 1998 |
Andrés Pastrana Arango | 1998 | ||
Nelson Mandela | Südafrika | 1998 | 1999 |
Thabo Mbeki | 1999 | 2003 | |
Mahathir bin Mohamad | Malaysia | 2003 | |
Abdullah Ahmad Badawi | 2003 | 2006 | |
Fidel Castro | Kuba | 2006 | 2008 |
Raúl Castro | 2008 | 2009 | |
Hosni Mubarak | Ägypten | 2009 | 2011 |
Mohammed Hussein Tantawi | 2011 | 2012 | |
Mohammed Morsi | 2012 | ||
Mahmud Ahmadineschād | Iran | 2012 | 2013 |
Hassan Rohani | 2013 | 2016 | |
Nicolás Maduro | Venezuela | 2016 | 2019 |
İlham Əliyev | Aserbaidschan | 2019 | … |
Gipfelkonferenzen
- 1961: Belgrad
- 1964: Kairo
- 1970: Lusaka
- 1973: Algier
- 1976: Colombo
- 1979: Havanna
- 1983: Neu-Delhi
- 1986: Harare
- 1989: Belgrad
- 1992: Jakarta
- 1995: Cartagena de Indias
- 1998: Durban
- 2003: Kuala Lumpur
- 2006: Havanna
- 2009: Scharm El-Scheich
- 2012: Teheran
- 2016: Isla Margarita
- 2019: Baku
- 2021: Belgrad[5]
2011 fand in Belgrad ein Treffen zum 50. Jahrestag der ersten Gipfelkonferenz statt.
Siehe auch
Literatur
- Jürgen Dinkel: Die Bewegung Bündnisfreier Staaten. Genese, Organisation und Politik (1927–1992). (Studien zur Internationalen Geschichte. Band 37). Berlin/ München 2015, ISBN 978-3-11-040418-0.
- Anouar Abdel-Malek: Blockfreiheit. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 2, Argument-Verlag, Hamburg 1995, Sp. 267–275.
- Christopher J. Lee (Hrsg.): Making a World after Empire. The Bandung Moment and its Political Afterlives. Ohio University Press, Athens, OH, 2010, ISBN 978-0-89680-277-3.
- Volker Matthies: Die Blockfreien. Ursprünge, Entwicklung, Konzeptionen. Leske + Budrich, Opladen 1985, ISBN 3-8100-0391-3.
- Marie-Luise Pörtner: Die Blockfreien-Bewegung seit 1989. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden 1997, ISBN 3-8244-4209-4.
- Hennie Strydom: The Non-Aligned Movement and the Reform of International Relations. In: Max Planck Yearbook of United Nations Law. Band 11. Martinus Nijhoff, Leiden 2007, S. 1–46 (mpil.de [PDF]).
- Vijay Prashad: The Darker Nations. A People’s History of the Third World. New Press, New York/ London 2007, ISBN 978-1-56584-785-9.
Weblinks
- Aserbaidschanischer Vorsitz der blockfreien Staaten 2019–2022
- The Non-Aligned Movement: Background Information – Hintergrundinformationen und Geschichte der Bewegung der Blockfreien Staaten auf der offiziellen NAM-Website Südafrikas (englisch)
- Offizielle Website der XIV. Gipfelkonferenz in Havanna (Memento vom 9. April 2014 im Internet Archive) (englisch)
- Datenbank inhaltlich erschlossener Literatur zur gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Situation in den Blockfreien Staaten
Einzelnachweise
- Die dritte Himmelsrichtung im Ost-West-Konflikt. Abgerufen am 25. Juli 2019.
- Bewegung der Blockfreien Staaten. Abgerufen am 6. Juli 2019.
- Deutsche Welle (www.dw.com): Blockfreie Staaten: Ein Relikt des Kalten Krieges | DW | 15.07.2009. Abgerufen am 25. Juli 2019.
- Mitgliedsstaaten der Bewegung der Blockfreien Staaten. Abgerufen am 25. Juli 2019.
- 105 blockfreie Staaten feiern in Belgrad 60. Geburtstag der Bewegung. In: Kurier.at. 12. Oktober 2021, abgerufen am 12. Oktober 2021.