Nuklearkatastrophe von Fukushima
Als Nuklearkatastrophe von Fukushima werden eine Reihe von katastrophalen Unfällen und schweren Störfällen im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi (Fukushima I) und deren Auswirkungen bezeichnet.
Die Unfallserie begann am 11. März 2011 um 14:47 Uhr (Ortszeit) mit dem Tōhoku-Erdbeben und lief gleichzeitig in vier von sechs Reaktorblöcken ab. In Block 1 bis 3 kam es zu Kernschmelzen. Große Mengen an radioaktivem Material – rund 10 bis 20 Prozent der Menge radioaktiver Emissionen der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl – wurden freigesetzt und kontaminierten Luft, Böden, Wasser und Nahrungsmittel in der land- und meerseitigen Umgebung. Ungefähr 100.000 bis 150.000 Einwohner mussten das Gebiet vorübergehend oder dauerhaft verlassen. Ein Todesopfer durch eine Krebserkrankung infolge der Strahlungseinwirkung wurde 2018 bekannt.[2]
Aufgrund einer Abschätzung der Gesamtradioaktivität der freigesetzten Stoffe ordnete die japanische Atomaufsichtsbehörde die Ereignisse auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse mit der Höchststufe 7 („katastrophaler Unfall“) ein.[3]
Vier von sechs Reaktorblöcken des Kraftwerks wurden durch die Unfälle zerstört.[4] Nach einer Erklärung der japanischen Regierung vom 20. März 2011 soll das Kraftwerk ganz aufgegeben werden.[5] Seit Dezember 2013 führt die IAEO alle sechs Reaktoren des Kraftwerks als „dauerhaft abgeschaltet“.[6] Die Entsorgungsarbeiten werden voraussichtlich 30 bis 40 Jahre lang dauern.
Die Berichterstattung über die Katastrophe führte in vielen Ländern zu einer größeren Skepsis oder einem Stimmungsumschwung zulasten der zivilen Nutzung der Kernenergie.[7] Mehrere Länder gaben ihre Kernenergieprogramme auf.
Informationsquellen
Der Großteil der verfügbaren Informationen über die Vorgänge auf dem Kraftwerksgelände stammt direkt oder indirekt von der Betreibergesellschaft Tokyo Electric Power Company (Tepco). Veröffentlicht wurden sie teils direkt von Tepco im Internet und auf Pressekonferenzen, teils über regelmäßige Berichte, beziehungsweise Pressekonferenzen der japanischen Atomaufsichtsbehörde (NISA), des übergeordneten Wirtschaftsministeriums (METI) und des Regierungssprechers. Die japanische Regierung war am Krisenstab in der Tepco-Firmenzentrale beteiligt. Die NISA war mit eigenen Experten vor Ort, die jedoch keine Messungen vornahmen, sondern nur die Angaben des Betreibers auf Plausibilität prüften.[8]
Das Japanische Atomindustrie-Forum (JAIF) veröffentlichte auf seiner Website mehrfach täglich Statusberichte zur Lage im Kraftwerk und zu weiteren Vorgängen im Zusammenhang mit den Unfällen.
Zu den wenigen von Tepco unabhängigen, öffentlich verfügbaren Informationen vom Kraftwerksgelände gehören Aufnahmen und Messungen, die von außerhalb gemacht wurden; zum Beispiel Luftaufnahmen[9] und Satellitenbilder, sonstige Foto- und Videoaufnahmen und Strahlungsmessdaten unbemannter US-amerikanischer Aufklärungsflugzeuge. Hinzu kommen Berichte von Mitarbeitern des Kraftwerks.
Aus der weiteren Umgebung in Japan sind Messwerte von verschiedenen Quellen verfügbar, zum Beispiel von staatlichen Stellen wie dem japanischen Kultus- und Technologieministerium (MEXT), dem Gesundheitsministerium (MHLW) und dem nach Ausrufung des nuklearen Notstands eingerichteten Katastrophenschutzkommando,[10] von regionalen Behörden und Organisationen, von Privatpersonen und von internationalen Beobachtern.
Die deutsche Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) sammelt und bewertet im Auftrag des Bundesumweltministeriums Informationen zu den Unfällen und stützt sich dabei auf die oben genannten Quellen. Auch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) und viele weitere Fachorganisationen und -publikationen werten die Daten Japans aus und berichten regelmäßig darüber.
Weltweit veröffentlichten Organisationen wie die IAEO, die Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) und die Environmental Protection Agency Daten ihrer empfindlichen Messstellen zur Verbreitung der radioaktiven Partikel aus Fukushima.
Tepco, die japanische Regierung, die IAEO und eine von der Regierung Kan eingesetzte Expertenkommission[11] veröffentlichten erste, ausführliche Untersuchungsberichte.
Aufbau des Kraftwerks
Das Kernkraftwerk Fukushima I besteht aus sechs Reaktorblöcken mit je einem Siedewasserreaktor. In jedem Reaktorgebäude befindet sich neben dem Kernreaktor unter anderem ein Abklingbecken zur Zwischenlagerung verbrauchter Brennelemente.[12] Außerdem gibt es auf dem Kraftwerksgelände ein größeres, zentrales Abklingbecken und ein Brennelement-Trockenlager mit Spezialbehältern. An jedes Reaktorgebäude schließt sich ein weiteres Gebäude an, in dem sich die Turbinen und Generatoren zur Stromerzeugung sowie die Zu- und Abläufe für Kühlwasser aus dem Meer befinden.
Reaktoren und Abklingbecken müssen laufend gekühlt werden, auch in abgeschaltetem Zustand. In gebrauchten oder „abgebrannten“ Elementen zerfallen weiterhin Atome mit kurzer Halbwertszeit, die bei der Kernspaltung entstanden sind (Spaltprodukte). Dabei wird Wärme freigesetzt (Nachzerfallswärme), die die Brennelemente ohne ausreichende Kühlung zerstören würde. In jedem Reaktorblock gibt es daher mehrere Kühlkreisläufe, die zusätzlich redundant ausgelegt sind.
Ablauf der Unfallserie im Kraftwerk
Ausgangslage
Vor den Unfällen gab es Hinweise auf Risiken der verwendeten Reaktortypen und Konstruktionsmängel der Anlage in Fukushima Daiichi, mangelnden Schutz vor Erdbeben und Tsunamis sowie unzureichende Kontrolle und Wartung. Tepco und die japanischen Atomaufsichtsbehörden ignorierten die meisten dieser Hinweise.
Zum Zeitpunkt des Bebens waren die Reaktorblöcke 1, 2 und 3 in Betrieb.[13] Reaktorblock 4 war seit dem 30. November 2010 wegen einer großen Revision außer Betrieb; die Brennelemente dieses Blocks lagerten daher zum Unfallzeitpunkt vollständig im zugehörigen Abklingbecken. Die Blöcke 5 und 6 waren am 3. Januar 2011 bzw. am 14. August 2010 heruntergefahren und im Rahmen der Wartung schon wieder mit Brennelementen bestückt worden.[14] Im Gegensatz zu Block 1 und 2 befanden sich in Reaktor 3 seit August 2010 auch Mischoxid-Brennelemente, die eine Mischung aus Urandioxid und Plutoniumdioxid enthalten.[15] Jedes der Brennelemente bestand aus 72 (Reaktor 3 abweichend 74) Brennstäben und enthielt 170 bis 173 Kilogramm Kernbrennstoff.[16]
In den Reaktorkernen, Abklingbecken und Lagerbecken befand sich folgende Anzahl an Brennelementen und Masse an Kernbrennstoff:
Lagerort | Brennelemente | Abklingbecken | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
im Reaktorkern[17][18] | im Abklingbecken[12] | davon unbenutzt[12] | Geschätzte Wärmeleistung (kW)[12][19][20][Anm. 1] |
Volumen (m³)[21] | ||||
Anzahl | Masse (t) |
Anzahl | Masse (t) |
Anzahl | Masse (t) | |||
Block 1 | 400 | 68 | 392 | 67 | 100 | 17 | 180 | 1.020 |
Block 2 | 548 | 94 | 615 | 105 | 28 | 5 | 620 | 1.425 |
Block 3 | [Anm. 2][22] 548 | 94 | 566 | 97 | 52 | 9 | 540 | 1.425 |
Block 4 | 0 | 0 | 1.535 | 263 | 204 | 35 | 2.260 | 1.425 |
Block 5 | 548 | 94 | 994 | 171 | 48 | 8 | 1.000 | 1.425 |
Block 6 | 764 | 132 | 940 | 162 | 64 | 11 | 870 | 1.497 |
Zentrales Abklingbecken | 6.375 | [Anm. 3] 1.093 | 1.130 | [23] 3.828 | ||||
Summe | 2.808 | 480 | 11.417 | 1.958 | 496 | 85 | 6.600 | 12.045 |
- Die Tabelle gibt Schätzungen zum 9. November 2012 aus einem Bericht der japanischen Behörden an die IAEO wieder. Es gibt verschiedene abweichende, teils niedrigere und teils höhere Schätzungen. Die Wärmeleistung in den Abklingbecken von Block 1 bis 6 reduzierte sich innerhalb von drei Monaten um 10–30 Prozent.
- davon 32 Mischoxid-Brennelemente
- geschätzt auf Grundlage einer durchschnittlichen Brennstoffmasse von 0,1715 t je Brennelement
Die Gesamtmenge des in den Brennstäben enthaltenen radioaktiven 131I schätzte Tepco auf 81 · 1018 Becquerel bzw. 81 Millionen Terabecquerel.[24]
Außerdem befanden sich im Abfalllager des Kraftwerks mindestens 10.000 Tonnen kontaminiertes Wasser.[25]
Unfallserie vom 11. bis zum 16. März 2011
Am 11. März 2011 um 14:46:23 Uhr (Ortszeit) begann unter dem Meeresboden vor der Ostküste der japanischen Hauptinsel Honshū das Tōhoku-Erdbeben.[26] Sein Epizentrum lag 163 Kilometer nordöstlich des Kraftwerks Fukushima I,[27] sodass die Primärwellen (P-Wellen) des Bebens das Kraftwerksgelände nach 23 Sekunden erreicht hatten.[28] Sie regten dort Seismometer an, die eine Schnellabschaltung der Reaktoren 1 bis 3 auslösten.[29][28] Gleichzeitig fiel die externe Stromversorgung des Kraftwerks durch Erdbebenschäden an dessen Schaltanlagen aus,[30][31] und zwölf von dreizehn Notstromdieselgeneratoren starteten[32][33] (einer an Block 4 war gerade in Wartung[12]).
Das Beben dauerte ungefähr zwei Minuten und erreichte eine Stärke von 9,0 Mw. Es erschütterte die Reaktorblöcke 2, 3 und 5 mit Horizontalbeschleunigungen von 0,52 bis 0,56 g, 15 bis 26 Prozent mehr als bei der Auslegung der Blöcke angenommen.[34] Die vorgesehenen Belastungsgrenzen der übrigen Reaktoren wurde nicht erreicht; trotzdem gibt es Hinweise auf Erdbebenschäden in Block 1. In Block 3 wurde vermutlich ein Reserve-Notkühlsystem beschädigt.[35]
Alle sechs Blöcke schalteten auf Notkühlung um.[36]
Ab 15:35 Uhr[36] trafen am Kraftwerk Tsunamiwellen mit einer Höhe von ungefähr 13 bis 15 Metern ein.[37][38] Laut IAEO war Fukushima I nicht an das vorhandene Tsunami-Warnsystem angeschlossen, sodass das Bedienpersonal keine frühzeitige Warnung erhielt,[39] während die NISA von einer Alarmierung unmittelbar nach dem Erdbeben spricht.[36] Für den meerseitigen Teil des Geländes existierte nur eine 5,70 Meter hohe Schutzmauer; vorgeschrieben waren lediglich 3,12 Meter.[39] Die 10 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Reaktorblöcke 1 bis 4 wurden bis zu 5 Meter tief überschwemmt; die drei Meter höher erbauten Blöcke 5 und 6 bis zu einem Meter.[37] Die an der Küste positionierten Meerwasserpumpen wurden zerstört; Abwärme konnte nicht mehr an das Meerwasser abgegeben werden, das zudem in verschiedene Gebäude lief und dort fünf der zwölf laufenden Notstromaggregate und die meisten Stromverteilerschränke überschwemmte.[36][31] Der Kraftwerksbetreiber Tepco berichtete, dass die Generatoren um 15:41 Uhr ausfielen.[32] Ein Generator in Block 6 überstand den Tsunami, weil er in einem eigenen, höher gelegenen Gebäude untergebracht war.[12][33]
400 Tepco-Mitarbeiter wurden für den Notfalleinsatz mobilisiert – laut IAEO viel zu wenige für eine Katastrophe dieses Ausmaßes. Fremdfirmen wie die Kraftwerkshersteller Toshiba und Hitachi zogen ihre Mitarbeiter ab. Gleichzeitige Unfälle in mehreren Blöcken waren im Notfallplan nicht vorgesehen.[40][39] Angeschwemmte Trümmer, Wasserlachen, Straßenschäden und funktionsunfähige Tür- und Toröffner behinderten die weiteren Arbeiten. Die meisten Kommunikationseinrichtungen waren ausgefallen. Es gab nicht genug Dieselvorräte und die nahe gelegene, am Meer entlang laufende Straße war unterbrochen. Es bestand die ständige Gefahr von Nachbeben und weiteren Tsunamis.[36]
Durch den Ausfall der Stromversorgung (Schwarzfall oder station blackout) war keine ausreichende Kühlung mehr gewährleistet, um die Nachzerfallswärme aus den Reaktorkernen und Abklingbecken abzuführen.[41] Mit den vorhandenen Notstrombatterien war nur ein kurzzeitiger Betrieb der Notkühlsysteme möglich (siehe Abschnitt Probleme in den Reaktoren 1 bis 3). Zusätzlich herangeschaffte Generatorfahrzeuge wurden wegen Verkehrsstaus, versperrter Zufahrtswege, überschwemmter Anschlusspunkte und zu kurzer Kabel zu spät aktiv, um die Unfallserie zu stoppen.[42][43][44] Nur in den Blöcken 5 und 6 konnte die Stromversorgung durch den noch funktionsfähigen Generator rechtzeitig wiederhergestellt werden. In den Blöcken 1 bis 3 versuchten die Arbeiter mit wechselndem Erfolg, Autobatterien und tragbare Stromgeneratoren an einzelne Systeme anzuschließen.[39]
Mangels Kühlung, teils bedingt durch weitere technische und organisatorische Probleme, kam es zur Überhitzung von Reaktoren und Abklingbecken, zur Freisetzung von Wasserstoff in die Reaktorgebäude und zu Kernschmelzen in den Reaktoren 1 bis 3 (siehe Abschnitte Probleme in den Reaktoren 1 bis 3 und Probleme in den Abklingbecken). Durch gezielte Druckentlastungen der Reaktoren gelangten radioaktive Stoffe in die Umwelt und wurden von wechselnden Winden in verschiedene Himmelsrichtungen weiter verteilt.[45]
Vom 12. bis zum 15. März 2011 ereigneten sich Explosionen – wahrscheinlich Wasserstoffexplosionen – in den Blöcken 1, 3 und 4, die die Reaktorgebäude teils schwer beschädigten und die Rettungsarbeiten zurückwarfen. Hochradioaktiver Schutt wurde auf das Kraftwerksgelände geschleudert.[46][47] In Block 2 wurde der Sicherheitsbehälter des Reaktors beschädigt, sodass extrem hoch kontaminiertes Wasser austrat (siehe auch Abschnitt Meerwasserkanäle);[48] in Block 4 kam es zu mehreren Bränden. Vom 13. bis zum 15. März 2011 wurde auf dem Kraftwerksgelände mehrfach Neutronenstrahlung gemessen, was auf ein unkontrolliertes Wiedereinsetzen der Kernspaltung (Kritikalität) in einem der Reaktoren oder Abklingbecken hindeutete.[49]
Die Werkfeuerwehr[39] pumpte Wasser in die Reaktoren 1 bis 3, um diese notdürftig zu kühlen,[50] zunächst aus vorhandenen Süßwasserreserven und dann aus Gruben, in denen sich Meerwasser angesammelt hatte.[36] Die Erlaubnis zum Einleiten von Meerwasser – hierdurch werden die Reaktoren beschädigt – gab Premierminister Naoto Kan am 12. März 2011 um 19:55 Uhr.[51]
Während der Druckentlastungen, Explosionen und Brände stieg die Strahlenbelastung auf dem Gelände stark an (siehe Grafik). Am 14. März 2011 erwog Tepco, das Kraftwerk aufzugeben und alle Mitarbeiter wegen der zu großen Strahlungsrisiken abzuziehen, erhielt aber keine Erlaubnis des Premierministers.[52] Daraufhin wurden am 15. März 2011 alle – bis auf rund 50 – in den Medien auch als „Fukushima 50“ bezeichnete – Tepco-Mitarbeiter sowie 130 weitere Arbeiter und Helfer von Fremdfirmen, Feuerwehr und Streitkräften vorübergehend evakuiert.[53][54][55] Einige Tage später stießen 140 Helfer der Tokioter Feuerwehr hinzu,[56] die nach Aussage von Gouverneur Shintarō Ishihara von Wirtschaftsminister Banri Kaieda zu diesem Einsatz gezwungen wurden.[57] Arbeiten in den Leitständen des Kraftwerks waren seit den Explosionen nur noch eingeschränkt möglich, weil die Mitarbeiter laufend einer hohen Strahlenbelastung ausgesetzt waren[58] und seit dem Stromausfall nur noch eine unzureichende Notbeleuchtung existierte.[59]
Stabilisierungsmaßnahmen
Die Abklingbecken der Reaktorblöcke 3 und 4 sowie das zentrale Abklingbecken wurden ab dem 17., 20. bzw. 21. März 2011 provisorisch mit Wasserwerfern der japanischen Streitkräfte und der Feuerwehr gekühlt; später dienten dann Autobetonpumpen[60] zur Kühlung in den Blöcken 1, 3 und 4. Auch die Feuerwehrpumpen für die Reaktorkühlung wurden durch leistungsfähigere Geräte ersetzt. Ausgehend von einer benachbarten Hochspannungsleitung wurden neue Stromleitungen zum Kraftwerk verlegt, um die elektrischen Systeme – soweit noch funktionsfähig – wieder ans Stromnetz anschließen zu können.[61] Vor allem hoffte man darauf, auch die Kühlsysteme wieder in Betrieb nehmen zu können.[62] Die Reaktorblöcke 5 und 6 erreichten am 20. März 2011 wieder einen stabilen Betriebszustand, nachdem ihre Notstromversorgung wiederhergestellt war. Am gleichen Tag wurden Block 1 und 2 wieder ans Stromnetz angeschlossen, bis zum 22. März 2011 auch alle übrigen Blöcke. Anschließend wurde die Beleuchtung in den Leitständen wiederhergestellt,[63] aber die meisten anderen Systeme erwiesen sich als nicht mehr funktionsfähig oder standen unter Wasser.[64][65]
Der Zustand der Reaktoren 1 und 3 war zu diesem Zeitpunkt nach wie vor instabil. In Block 3 kam es zu einem Druckanstieg und unerwarteter Rauchentwicklung; das Gelände wurde noch einmal kurzzeitig evakuiert. Bei Reaktor 1 machte die Kühlung Probleme (Einzelheiten siehe hier), die auch im April 2011 weiter andauerten; mehrmals stieg die Aktivität des Reaktorkerns an. Aus den Blöcken 2 bis 4 stieg immer wieder Dampf oder Rauch auf, ab dem 25. März 2011 aus allen dreien[66] (Stand: 15. April).[67] Überdruck, Kernschmelzen und Meerwasser hatten die Druck- und Sicherheitsbehälter von Reaktor 1 bis 3 beschädigt, sodass laufend kontaminierter Dampf und Kühlwasser entwichen.[68][69][70]
Ab dem 25. März 2011 wurde die Kühlung aller Reaktoren und Abklingbecken schrittweise von Meer- auf Süßwasser umgestellt, vor allem um weitere Schäden durch Salzablagerungen zu vermeiden. In Reaktor 1 befanden sich inzwischen schätzungsweise 26 Tonnen Meersalz, in den größeren Reaktoren 2 und 3 jeweils 45 Tonnen.[71] Das Süßwasser wurde zunächst von Schleppkähnen der United States Navy angeliefert, die von Schiffen der japanischen Streitkräfte gezogen oder geschoben wurden;[72][73] später entnahm man es über eine Rohrleitung aus einem zehn Kilometer entfernten Stausee.[39]
Ende März 2011 belief sich laut Schätzungen des Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire die Wärmeleistung der Brennelemente in Reaktor 1 auf 2,5 Megawatt und in den Reaktoren 2 und 3 auf 4,2 Megawatt. Diese Leistung würde ausreichen, um 95 bzw. 160 Tonnen Wasser pro Tag verdampfen zu lassen,[74] und benötigte eine andauernde Kühlung mit rund 150 bis 200 Tonnen Wasser pro Reaktor und Tag (siehe hierzu Abschnitt Mengen an eingespeistem Kühlwasser). Wegen der stark beschädigten Brennelemente in den Reaktorkernen wurde und wird dieses Wasser hoch radioaktiv kontaminiert.[75] Teile davon verdampfen und sind je nach Wetterlage als weiße Dampfschwaden über den Reaktorblöcken zu sehen. Der Rest verbleibt zunächst auf dem Kraftwerksgelände.
Bis zum 4. April 2011 sammelten sich auf diese Weise etwa 60.000 Tonnen[76] radioaktives Wasser im Untergeschoss der Turbinengebäude,[77] in daran anschließenden und in Richtung Meer verlaufenden Schächten und Wartungstunneln[78][79][80] und auf weiteren Flächen an. Der Boden des Geländes wurde so sehr mit radioaktivem Wasser durchtränkt, dass es bis in die Gebäude der einen Kilometer entfernten Reaktorblöcke 5 und 6 drang.[25] Diese Massen an radioaktivem Abwasser wurden zunehmend zum Problem. Sie verhinderten Arbeiten an elektrischen Systemen, die unter Wasser standen,[81] gefährdeten die Arbeiter[82] und gelangten auf verschiedenen Wegen ins Meer (→ siehe Kontamination von Meerwasser durch die Nuklearunfälle von Fukushima).
Erste Sicherungsmaßnahmen
Schon früh wurden verschiedene Maßnahmen diskutiert, um die radioaktiven Emissionen einzudämmen und Abfälle zu entsorgen. Dazu gehörten der Bau eines „Sarkophags“ wie in Tschernobyl,[83] das Abdecken der Reaktorblöcke mit einem Spezialgewebe, das Besprühen des Geländes mit Kunstharz[84] und die Aufbereitung von radioaktivem Abwasser mit dem russischen Spezialschiff Landisch (japanisch Suzuran).[85]
Die erste tatsächlich umgesetzte Maßnahme war das Binden radioaktiver Stäube mit Kunstharz. Es begann am 6. April 2011 auf kleinen Probeflächen[86][87][88] und wurde später auf eine Fläche von einem halben Quadratkilometer ausgeweitet,[88] einem Siebtel des Kraftwerksgeländes. Auch die Gebäude wurden eingesprüht.[89]
Um Platz für die Lagerung des kontaminierten Abwassers zu schaffen, pumpte Tepco vom 4. bis zum 10. April 2011 rund 10.000 Tonnen kontaminiertes Wasser aus dem Abfalllager (ca. 30.000 Tonnen Gesamtkapazität)[90] mit einer Radioaktivität von 150 Milliarden Becquerel (0,15 TBq) ins Meer.[25][91] Es gab Proteste japanischer Fischer[92] und der Anrainerstaaten Südkorea, Russland und China.[93] Anschließend wurde damit begonnen, Wasser aus den Kellern und Tunneln der Turbinengebäude ins Abfalllager und später auch in separate Tanks[94][90][95] zu pumpen, wobei man nur langsam vorankam.[96] Tepco beauftragte den französischen Nukleartechnikkonzern Areva mit dem Bau einer Anlage, die 1.200 Tonnen Abwasser pro Tag direkt vor Ort dekontaminieren kann.[97]
Die Firma Toshiba, die mehrere der Reaktorblöcke von Fukushima Daiichi gebaut hatte und auch an den Entsorgungsarbeiten nach dem Unfall von Three Mile Island beteiligt war, unterbreitete Tepco ein Angebot für Sicherungsarbeiten am Kraftwerk. Innerhalb von 10 Jahren wolle Toshiba alle Brennstäbe vom Kraftwerksgelände entfernen, verschiedene Anlagen abbrechen und die Kontamination des Bodens verringern.[98]
Die radioaktiven Abfälle, die durch die Explosionen von Block 1 und 3 auf dem Kraftwerksgelände verteilt worden waren, räumte Tepco ab dem 10. April 2011 mit unbemannten Spezialfahrzeugen ab – mehrere dutzend Kubikmeter Schutt pro Tag.[47][99] Diese Arbeiten sollten bis Sommer 2012 andauern.[100]
Im November 2011 wurde der HAL (Roboteranzug) ausgewählt, um Aufräumarbeiten auf dem Terrain der Nuklearkatastrophe von Fukushima vorzunehmen.[101] Während der „Japan Robot Week exhibition“ (Deutsch: „Messe Japanische Roboterwoche“) in Tokyo im Oktober 2012 wurde eine überarbeitete Version von HAL vorgestellt, die speziell für die Aufräumarbeiten in Fukushima entwickelt worden war.[102]
Weitere Maßnahmen dienten zur Eindämmung des Abwasseraustritts ins Meer. Neben dem Abdichten von Schächten und Rohren mit Wasserglas (siehe Abschnitt Abwasseraustritt ins Meer) ließ Tepco eine Stahlwand am Wassereinlass von Reaktorblock 2 bauen und an verschiedenen Stellen Schlammwälle („silt curtains“) aufschütten.[103][104] Zusätzlich wurden schwimmende Barrieren eingesetzt, um radioaktive Schwebstoffe zurückzuhalten,[105] und Sandsäcke am Südpier des Kraftwerks aufgeschichtet.[106] An den Austrittsstellen deponierte Säcke mit Zeolithen sollten Radionuklide im Wasser binden.[107][108][109] Die Maßnahmen waren erfolgreich: Die Emissionen ins Meer gingen bis Ende April 2011 auf einen Bruchteil zurück. Die Messwerte am nördlichen und südlichen Rand des Kraftwerksgeländes (siehe hierzu auch Abschnitt zur Strahlungsbelastung am Kraftwerk) zeigten jetzt nur noch leichte Grenzwertüberschreitungen.
Zum provisorischen Schutz des Kraftwerks vor möglichen weiteren Tsunamis wurde ein zwölf Meter hoher Damm aus Gabionen errichtet.[80]
Situationsbestimmung
Der Mai 2011 brachte Klärungen zum Ablauf der Unfallserie und zum Zustand des Kraftwerks. Zunächst wurde das Innere der Reaktorgebäude erkundet. Wegen der hohen Strahlung in den Gebäuden übernahmen diese Aufgabe PackBot-Roboter, die das Idaho National Laboratory für diesen Zweck umgerüstet hatte.[110][111] Die etwa einen Meter hohen Geräte waren wegen im Weg liegender Explosionstrümmer nur begrenzt einsetzbar,[97] lieferten aber wertvolle Informationen über die Strahlenbelastungen in verschiedenen Gebäudeteilen. Die Messwerte in Block 1 reichten von etwa 10 bis 1000 Millisievert pro Stunde.[112][113] Später kamen verschiedene weitere Robotermodelle und ferngesteuerte Spezialgeräte zum Einsatz, auch auf dem weiteren Kraftwerksgelände.[114]
Als Nächstes wurde die Luft in den Gebäuden dekontaminiert, sodass auch Arbeiter mit entsprechender Schutzausrüstung dort (in Teilbereichen) tätig werden konnten. Die neu gewonnenen Informationen lieferten zusammen mit Datenaufzeichnungen aus den Leitständen und zusätzlichen computergestützten Analysen ein Bild vom Zustand der Reaktoren 1 bis 3. In allen dreien waren die Kernbrennstäbe größtenteils geschmolzen („melt-down“), und die Schmelze hatte den Druckbehälter beschädigt.[115][116] Auch die Sicherheitsbehälter waren undicht, was die NISA – die bereits am 18. April eine Kernschmelze in allen drei Reaktoren bestätigt hatte[117] – mit einem Austreten von Teilen der Schmelze in die Sicherheitsbehälter („melt-through“) erklärte.[12] Durch die undichten Behälter leckte das Kühlwasser aus den Reaktoren.[118] Anfang 2017 wurde ein Loch von einem Quadratmeter Größe im Wartungsgitter unter dem Druckbehälter von Reaktor 2 festgestellt, vermutlich von heißem Material der Brennelemente durchgeschmolzen. Ob der Sicherheitscontainer auch beschädigt ist, konnte noch nicht geklärt werden.[119]
Das gesamte Datenmaterial mit Aufzeichnungen der Reaktorparameter und Tätigkeitsprotokollen der Mitarbeiter wurde auf Betreiben der NISA am 16. Mai im Internet veröffentlicht.[120] Später veröffentlichte die NISA auch sämtliche Meldungen des Kraftwerksbetreibers an die Behörde.[121]
Ursprüngliche Planungen, mit geschlossenen Wasserkreisläufen schnell die Kühlung der Reaktoren zu stabilisieren und die Freisetzung radioaktiver Stoffe in den Griff zu bekommen,[48][122] waren durch die Reaktorschäden hinfällig.[123][124] Dadurch verschärfte sich auch die Abwasserproblematik.[118][125] Mit Provisorien wie dem Zubetonieren von Schächten und Tunneln[126][80][127] und dem Zwischenlagern von kontaminiertem Wasser in diversen Gebäuden, die eigentlich nicht dazu gedacht waren und teilweise undicht waren,[35] rettete Tepco sich – mit Genehmigung der NISA[128] – über die Zeit.
Währenddessen gab es immer wieder technische Probleme und Störfälle, zum Beispiel einen kritischen Temperaturanstieg in Reaktor 3, einen Ausfall der Kühlung in Block 5[129] und einen Stromausfall in Block 1 und 2.[128]
Die Zahl der Personen auf dem Kraftwerksgelände erhöhte sich stetig. Nachdem sie Anfang Mai 2011 die 1000 überschritten hatte,[80] waren es Mitte Juni 2011 bereits 2500.[130]
Mittelfristige Stabilisierung
Als dauerhaftere Lösung des Abwasserproblems ging im Juni 2011 die neue Dekontaminationsanlage in Betrieb, mit vier Aufbereitungsstufen:[131]
- Ölabscheider
- mehrstufiger Caesiumfilter mit Zeolithen
- Nachbau eines chemisch-physikalischen Dekontaminationssystems der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague
- osmotische Entsalzung
Die Anlage senkt die Radioaktivität des Wassers auf ein 100.000stel[132] und produziert dabei hoch radioaktiven Schlamm, der bis zur Entscheidung über eine Endlagerung auf dem Kraftwerksgelände verbleibt. Das dekontaminierte Wasser wird teils in neu errichteten Tanks gelagert und teils als Kühlwasser für die Reaktoren wiederverwendet.[131]
Woche ab | Tonnen | Anlagen- auslastung |
---|---|---|
29. Juni | 6380 | 76 % |
6. Juli | 6130 | 73 % |
13. Juli | 4510 | 54 % |
20. Juli | 4870 | 58 % |
27. Juli | 6190 | 74 % |
3. August | 6720 | 80 % |
10. August | 7420 | 88 % |
Die Gesamtmenge des bereits angesammelten Abwassers schätzte Tepco Anfang Juni 2011 auf etwa 100.000 Tonnen, mit einer Radioaktivität von 720.000 Terabecquerel[134] – ungefähr so viel, wie während der „heißen Phase“ der Unfälle in die Luft freigesetzt wurde.[135] Der Zufluss an neuem Abwasser lag zu diesem Zeitpunkt bei mehreren hundert Tonnen pro Tag. Die Dekontaminierungskosten wurden mit umgerechnet 1800 Euro pro Tonne veranschlagt.[136]
Statt geplanter 50 Tonnen Durchfluss pro Stunde erreichte die Anlage zunächst nur etwa 25 bis 35 Tonnen. Regelmäßig kam es zu Pannen und Betriebsunterbrechungen.[137][138]
Eine zweite, zuverlässigere Zeolith-Filteranlage übernahm die Dekontamination des Wassers, das sich in dem abgeschotteten Bereich vor dem Kraftwerk angesammelt hatte.[139]
Die Sicherheitsbehälter der Reaktoren 1 bis 3 wurden mit Stickstoff gefüllt, um möglichen Knallgasexplosionen vorzubeugen. Die Abklingbecken erhielten neue, geschlossene Kühlkreisläufe. Dadurch konnten die Wassertemperaturen gesenkt und korrosive Meersalzreste ausgefiltert werden. Die Betonpumpen gingen außer Betrieb.
Der Abwasserstand in den verschiedenen Gebäuden blieb über Monate hinweg nahezu unverändert: Zufluss durch Kühlwasser und Regen und Abfluss durch Aufbereitung und Lagerung in neuen Tanks hielten sich die Waage. Ein Überlaufen konnte verhindert werden.[140][141]
Um die Verarbeitungskapazität zu erhöhen, wurde die (erste) Dekontaminierungsanlage im August 2011 um ein zusätzliches, von Toshiba gebautes Zeolith-Filtersystem erweitert.[142] Damit gelang es in den nachfolgenden Monaten, die Wasserstände allmählich zu senken.[143] Bis Mitte Oktober wurden insgesamt rund 130.000 Tonnen Wasser verarbeitet.[144] Während des Betriebs traten weitere Pannen, Leckagen und Stillstandszeiten auf, bis hin zu einem Austritt von „mindestens 45“ Tonnen mit hoch radioaktivem Strontium kontaminierten Wasser (175 Mio. Becquerel pro Liter) im Dezember. Bis zu 150 Liter davon liefen ins Meer.[145]
Seit Oktober 2011 liegt die Temperatur aller Reaktoren unter 100 °C.[146] Dieser Zustand ist stabil, solange die Kühlwasserversorgung nicht für mehr als 18 Stunden unterbrochen wird.[147] Japans neuer Premierminister Yoshihiko Noda erklärte am 16. Dezember 2011, das Kraftwerk sei – wie geplant – stabil heruntergefahren (cold shutdown, Kaltabschaltung). Die NISA hatte zuvor bestätigt, dass die Kühlung durch redundante Systeme sichergestellt sei,[148] obwohl Tepco bei den provisorischen Kühlsystemen ein zehnfach höheres Ausfallrisiko als im Normalzustand sieht.[147] Kritiker bezweifeln, dass man bei unklarem Zustand des Reaktorkerns von einer Kaltabschaltung sprechen kann.[149]
Langfristige Absicherung
Bis Mitte 2013 hatte Tepco eine zusätzliche Stahlwand unmittelbar vor dem Kraftwerk eingezogen.[150][151] Sie wurde bis tief in den Meeresboden getrieben, um den Austritt von kontaminiertem „Untergrundwasser“ für die nächsten 30 Jahre (bis 2043) einzudämmen.[152] Die Stahlwand scheint eine Kontamination des Grundwassers jedoch nicht zu verhindern.[151]
Nach Angaben der japanischen Regierung war geplant, ab 2013 die Brennelemente aus den Abklingbecken der Reaktorblöcke 1 bis 4 zu entfernen und in den übrigen Abklingbecken zu lagern. 2013 wurde mit der Bergung der rund 1500 Brennstäbe begonnen.[153] Im Reaktorblock 4 wurden die Bergungsarbeiten 2014 abgeschlossen. In den übrigen Reaktorblöcken mussten zunächst Trümmer aus dem Weg geräumt werden.[154] Bis 2021[veraltet] sollen die Sicherheitsbehälter der Reaktoren 1 bis 3 repariert, mit Wasser gefüllt und bis 2025 die Überreste der Reaktorkerne entfernt werden. Anschließend sollen die vier Blöcke komplett abgerissen werden. Innerhalb von 30 bis 40 Jahren sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.[155][156] Die Räumung des Brennstoffs aus den Reaktoren soll bis etwa 2031 abgeschlossen sein.[157]
Kurz nach seinem Amtsantritt am 16. September 2020 hat das Kabinett Suga beschlossen, das im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi gelagerte mit Spuren von Tritium verunreinigte Wasser (1,23 Millionen Tonnen Kühl- und Regenwasser) in den kommenden Jahren in den Pazifik abzulassen. Tritium hat eine Halbwertzeit von etwa 12,3 Jahren.[158]
Ablauf in den einzelnen Systemen
Probleme in den Reaktoren 1 bis 3
Nach der Schnellabschaltung der Reaktoren wurden auch die Dampf- und Wasserkreisläufe zu den Turbinen unterbrochen[29][28] (siehe Leitungen Nr. 6 und 7 in der Grafik rechts); damit ging planmäßig die Hauptwärmesenke der Reaktoren verloren. Die vom verdampfenden Wasser in den Reaktoren aufgenommene Nachzerfallswärme wurde nun jeweils in wassergefüllte Kondensationskammern abgeführt, die als Ersatzwärmesenke dienten. In Block 2 und 3 war dies jeweils die große Kondensationskammer unter dem Reaktor (Nr. 24 in der zweiten Grafik), die indirekt mit Meerwasser gekühlt wurde (RHR-System). Im anders aufgebauten Block 1 kamen verschiedene Notkühlsysteme zum Einsatz.
Knapp eine Stunde später fielen die Notstromgeneratoren aus, und damit auch die elektrisch betriebenen Pumpen der Kühlsysteme von Reaktorblock 2 und 3. Eine Wärmeabfuhr aus den Reaktor-Kondensationskammern und den Abklingbecken ins Meer war nicht mehr möglich. Die direkte Kühlung der Reaktorkerne erfolgte nun mit dampfgetriebenen Pumpen (RCIC), deren Einsatz nur für einen begrenzten Zeitraum vorgesehen ist. Eine Stromversorgung wird hierbei nur für die Regelung der Pumpen und für die Ansteuerung von Ventilen benötigt. Dies war in Block 2 und 3 kurzzeitig mit Notstrombatterien möglich, bis diese ausfielen oder das Kühlsystem aus anderen Gründen versagte. In Block 1 fiel die Notkühlung vermutlich bereits durch die Tsunami-Überschwemmung aus.[12][159] Die als letzte Notmaßnahme verwendbaren, dieselbetriebenen Pumpen des Feuerlöschsystems waren aus verschiedenen Gründen nicht einsetzbar, oder wurden falsch bedient.[36] Es wurde kein frisches Kühlwasser mehr in die Reaktoren eingespritzt und das noch vorhandene Wasser verdampfte. Dadurch sank der Wasserstand ab und die Reaktorbrennstäbe waren zunächst teilweise, später gar nicht mehr von Wasser umgeben, wodurch sie sich aufgrund der Nachzerfallswärme weiter erhitzten.
Die Hüllen der Brennstäbe bestehen aus einer Zirkalloy genannten Zirkoniumlegierung. Bei Temperaturen ab etwa 800 °C reagiert das Zirkonium mit dem umgebenden Wasserdampf unter Bildung von Zirkoniumoxid und Wasserstoff.[160] Die mit dem Oxidationsvorgang verbundene erhebliche Wärmeentwicklung treibt diesen weiter voran (exotherme Reaktion). Ab ca. 1200 °C nimmt die Oxidation des Zirkoniums dramatisch zu.[161][162]
Bei Temperaturen ab etwa 900 °C beginnen die Hüllrohre der Brennstäbe durch den inneren Gasdruck zu bersten. Dadurch werden radioaktive Gase und Partikel des Brennmaterials freigesetzt, darunter die Isotope 131I und 129I, die weiteren Spaltprodukte 137Cs, 134Cs und 90Sr sowie das Brutprodukt 239Pu. Oberhalb von etwa 1750 °C schmilzt das Zirkalloy,[161] fließt zusammen mit gelöstem Uranoxid der Brennstäbe auf den Boden des Druckbehälters und lagert sich dort als sogenanntes Corium ab[163] – eine Kernschmelze hat begonnen. Ab 2850 °C schmilzt auch das Uranoxid der Brennstäbe[161] und bildet zusammen mit geschmolzenen Steuerstäben weiteres „Corium“. In allen drei betroffenen Reaktoren waren die Brennstäbe so lange ohne Kühlung, dass diese Vorgänge abliefen und der Großteil des Reaktorkerns schmolz.[115][116][12]
Da die Reaktordruckbehälter nach dem Notstromausfall verschlossen waren, stieg der Druck durch Wasserverdampfung und Wasserstoffproduktion bis auf die vorgesehenen Höchstwerte an. Automatisch öffneten sich Sicherheitsventile und ließen Teile des Dampf-Wasserstoff-Radionuklid-Gemischs in die Sicherheitsbehälter ab.[164] Später wurden auch manuelle Entlastungen der Druckbehälter vorgenommen, um Wasser einpumpen zu können.[165]
In den Sicherheitsbehältern gab es ebenfalls keine Kühlmöglichkeit mehr, und der Druck stieg auch dort an. Er stabilisierte sich jedoch jeweils bei etwa 750 (Reaktor 1 und 2) beziehungsweise 500 (Reaktor 3) Kilopascal (siehe Grafik). Vermutlich versagten bei diesem Druck Dichtungen der Sicherheitsbehälter, sodass sich kein höherer Druck mehr aufbauen konnte, sondern das Dampf-Wasserstoff-Gemisch in die Reaktorgebäude entwich.[166][12] Um den Druck zu senken und damit ein Bersten der Sicherheitsbehälter zu verhindern, wurden Teile der in den Sicherheitsbehältern verbliebenen, mit Radionukliden kontaminierten Gase schließlich in die Umgebung abgelassen (Venting). Später wurden Vermutungen geäußert, dass das Venting wegen unterdimensionierter[167] oder durch das Erdbeben gebrochener[168] Rohre, oder wegen fehlender Stromversorgung[169][170] nicht richtig funktioniert habe und auf diese Weise das Gas in die Gebäudehülle gelangt sei. Nach den meisten Druckentlastungen wurden allerdings erhebliche radioaktive Emissionen außerhalb der Reaktorgebäude gemessen.
Nachdem sich eine hinreichende Menge an Wasserstoff angesammelt hatte, kam es jeweils zu einer Wasserstoffexplosion, welche Teile des Gebäudes und Teile der darin enthaltenen Technik zerstörte. Währenddessen setzten sich die Kernschmelzen fort. Teile der geschmolzenen Reaktorkerne liefen, laut einer Analyse der NISA, aus den Druckbehältern; sammelten sich auf dem Boden der Sicherheitsbehälter an und beschädigten diese.[12]
Um die Reaktorkerne zu kühlen und gleichzeitig eine unkontrollierte Kettenreaktion zu unterbinden, wurde mit Borsäure versetztes Meerwasser in die Druckbehälter eingeleitet.[171] Das in natürlichem Bor zu 20 % vorhandene Isotop 10B kann aus einer Kernspaltung entstehende Neutronen sehr effizient absorbieren (Neutronenabsorber), wobei es zu Lithium und Helium zerfällt. Da Japans Borvorräte nicht ausreichten, lieferte Südkorea 52 Tonnen seiner Borreserven nach Japan.[172] Frankreich lieferte weitere 95 Tonnen.[173]
Die Wassereinspeisung erfolgte über vorhandene Leitungen, zunächst mit Feuerwehrausrüstung[159][50] und später mit stärkeren, elektrischen Pumpen. Es wurde etwas mehr Wasser eingeleitet, als zur vollständigen Abfuhr der Nachzerfallswärme durch Verdampfen nötig gewesen wäre,[174] aber wegen der Schäden an den Behältern ging mehr als die Hälfte davon verloren,[175][12] während der Rest verdampfte und in die Umgebung entwich. Das Leckwasser sammelte sich teilweise in den Sicherheitsbehältern; der Rest trat von dort in die Reaktorgebäude aus. Dieses Notkühlverfahren – unter günstigeren Umständen würde es ohne Austritt von flüssigem Wasser ablaufen – wird als „feed and bleed“ bezeichnet. Es hat den gravierenden Nachteil, dass zusammen mit dem Dampf auch radioaktive Stoffe aus dem Reaktorkern in die Umgebung gelangen.[176]
Wegen des Wasserverlustes durch die Lecks konnten die Überreste der Reaktorkerne (laut NISA) nur teilweise mit Wasser bedeckt werden; sie würden teils mit Wasser und teils mit Dampf gekühlt.[12]
Probleme in den Abklingbecken
Eine zusätzliche Gefahr ergab sich daraus, dass die gebrauchten Brennelemente zunächst im Reaktorgebäude und später in einem zentralen Abklingbecken über viele Jahre gelagert wurden und nach wie vor werden. Die gelagerten Brennelemente geben aufgrund der Nachzerfallswärme weiterhin Energie an das Wasser des Beckens ab, welches auf einen Kühlkreislauf angewiesen ist. Durch den vollständigen Stromausfall fiel dieser Kühlkreislauf bei allen Abklingbecken aus, sodass sich das Wasser dort allmählich erhitzte und teilweise verdunstete.
Werden die Elemente nicht mehr vollständig von Wasser bedeckt, drohen deren Überhitzung und chemische Reaktionen ähnlich wie im Reaktor, bis hin zum Bersten der Brennstäbe. Ohne Kühlwasser und ohne Gebäudedach, das bei drei der Reaktoren nach den Explosionen fehlte, würden die im Vergleich zu den Reaktoren sogar in höheren Konzentrationen enthaltenen Radionuklide in die Umwelt freigesetzt.[162]
Wassermesswerte aus den Abklingbecken deuteten zunächst darauf hin, dass solche Vorgänge in Block 2 und 3 abliefen, und in geringerem Maße auch in Block 4. Später kamen Tepco sowie offizielle Untersuchungsberichte zu dem Schluss, dass sowohl die Becken selbst als auch die darin gelagerten Brennelemente höchstwahrscheinlich intakt blieben. Der Wasserstand in den Becken ist im Normalbetrieb fast dreimal so hoch wie die Höhe der gelagerten Brennelemente. Dadurch bestehe genügend Reserve, um auch mehrwöchige Kühlausfälle zu überbrücken.[36] Eine 2016 veröffentlichte Untersuchung der National Academy of Sciences kommt jedoch zu dem Schluss, dass nur ein zufälliges Leck das Abklingbecken in Block 4 wieder geflutet und eine Selbstentzündung der dort trockengefallenen Brennstäbe verhindert habe.[177]
Reaktorblock 1
Block 1 von Fukushima I wurde 1967 bis 1970 errichtet und war das erste Kernkraftwerk Japans. Er basiert auf einem älteren und kleineren Reaktormodell als die übrigen Blöcke der Anlage (→ siehe technische Daten der Reaktorblöcke) und verfügte über schwächere Notfallsysteme. Die Laufzeit dieses Reaktors sollte eigentlich Anfang 2011 enden, wurde aber von der NISA im Februar 2011 um zehn Jahre verlängert.[178]
Im Abklingbecken von Block 1 lagerten nur relativ wenige, alte Brennelemente, die im Gegensatz zum Reaktor nur wenig Kühlung benötigten.
Strom- und Kühlungsausfall
Das Erdbeben löste am 11. März ab 14:46:46 Uhr (Ortszeit) eine Vielzahl von Aktionen in Block 1 aus. Der Reaktor wurde planmäßig automatisch heruntergefahren und gleichzeitig wegen Ausfall der externen Stromversorgung auf Notstrombetrieb umgeschaltet.[30] Arbeiter berichteten später von gebrochenen Rohren im Reaktorgebäude, aus denen Wasser herausschoss.[179] Eines der Notkühlsysteme (Isolation Condenser) schaltete sich kurz ein und ging wieder außer Betrieb. Ein anderes (Containment Cooling System) kühlte danach vorerst den Sicherheitsbehälter, der den Reaktordruckbehälter umschließt.[180][30] Tepco bestritt später, dass das Erdbeben nennenswerte Schäden oder Sicherheitsprobleme verursacht hätte,[181] musste aber bereits kurz darauf ein ähnliches Dementi für Block 3 zurückziehen.[35][180]
Nach dem Eintreffen des Tsunami fielen um 15:37 Uhr die Notstromgeneratoren wegen Überschwemmung aus.[180][32] Alle laufenden Kühlsysteme gingen außer Betrieb. Auch die Reaktordaten-Aufzeichnung funktionierte nicht mehr,[182][183] sodass zum weiteren Verlauf nur Notizen und Gedächtnisprotokolle der Kraftwerksmitarbeiter sowie theoretische Überlegungen existieren. Die Notstrombatterien waren wegen überschwemmter Elektrik – wenn überhaupt – nur noch eingeschränkt verfügbar, und die Notkühlung funktionierte trotz mehrerer, redundanter Systeme nicht mehr oder nur noch zeitweise.[159][39][180] Tepco meldete um 16:36 Uhr und dann nochmals um 17:07 Uhr einen Kühlausfall an die Aufsichtsbehörde.[184]
Der Kraftwerksbetreiber beorderte Notstromgeneratoren aus anderen Kraftwerken nach Fukushima I, die jedoch im Verkehr stecken blieben. Daraufhin bat Tepco den Energieversorger Tōhoku Denryoku um Hilfe und ließ von dessen Kraftwerken Generatoren kommen;[42] ebenso von den Streitkräften.[40] Außerdem wurden Ersatzbatterien per Hubschrauber aus einem vom Erdbeben zerstörten Tepco-Kraftwerk im nahe gelegenen Hirono angefordert.[185][186] Stellenweise behalf man sich mit Autobatterien und mobilen Generatoren, um zumindest einzelne Messwerte ablesen zu können.[36]
Seit dem Kühlausfall gegen 17 Uhr suchte man auch nach alternativen Methoden zum Einleiten von Kühlwasser. Mitarbeiter begaben sich in das dunkle Reaktorgebäude, öffneten von Hand Ventile und nahmen die dieselbetriebene Pumpe des Feuerlöschsystems (fire pump) in Betrieb. Inwieweit damit tatsächlich Wasser in den Reaktor eingespritzt wurde, ist unklar. Im Leitstand versuchten die Mitarbeiter mit Handbüchern und Herstellerinformationen herauszufinden, ob und wie eine Druckentlastung des Reaktors bei Stromausfall möglich ist.[36]
Aufgrund der Vorgänge in Block 1 und weiterer Probleme im benachbarten Kernkraftwerk Fukushima II rief die japanische Regierung um 19:03 Uhr einen „nuklearen Notstand“ aus, und die örtlichen Behörden begannen mit der Evakuierung der näheren Umgebung.[187] Zwei Stunden später trafen die ersten mobilen Stromgeneratoren am Kraftwerk ein, konnten jedoch wegen versperrter Zufahrtswege und zu kurzer Kabel zunächst nicht angeschlossen werden.[43]
Druckanstieg, Kernschmelze und Kühlversuch
Das Wasser im Reaktor verdampfte weiter und der Wasserstand fiel, aber wegen der fehlenden Datenaufzeichnung ist unklar, wann und auf welchem Weg der Dampf aus dem Druck- in den Sicherheitsbehälter entwich. Einzelne Messdaten aus der folgenden Nacht[188] deuten darauf hin, dass dies früher oder später durch ein Leck im Druckbehälter oder den daran anschließenden Rohrleitungen geschah.[188][189]
Die teilweise trockenliegenden Brennelemente überhitzten, und die oben beschriebenen Zersetzungsvorgänge setzten ein. Laut späterer Untersuchungen begann bereits gegen 19 bis 20 Uhr eine Kernschmelze.[115][12] Das Wasserstands-Messgerät wurde durch Überhitzung dekalibriert.[118][132] Bei einer Kontrolle um 21:19 Uhr zeigte es an, dass der Reaktorkern noch voll mit Wasser bedeckt sei.[36][159] Die Kühlung per Feuerlöschpumpe schien zu funktionieren.
Ab 21 Uhr ließen die Behörden mit einer Computersimulation abschätzen, welche radioaktiven Freisetzungen bei einer Druckentlastung (Venting) des Sicherheitsbehälters, das heißt beim Ablassen von Dampf in die Umgebung, entstehen würden. Als Zeitpunkt des Ventings wurde 3:30 Uhr am 12. März angenommen.[190] Das System sagte voraus, dass die landseitige Kontamination sich auf das Kraftwerksgelände beschränken und der Nordwestwind die „radioaktive Wolke“ aufs Meer hinaustragen würde.[191]
Gegen 1 Uhr am 12. März überschritt der Druck im Sicherheitsbehälter mit 600 Kilopascal (kPa)[188] den zulässigen Höchstdruck von 528 kPa (jeweils absolut; die Relativdrücke zur äußeren Atmosphäre sind rund 100 kPa niedriger).[36] Wenige Stunden später erreichte er 840 Kilopascal (kPa), fiel dann aber von alleine wieder auf 750 kPa ab.[188] Vermutlich entwich der Dampf nun an überlasteten Dichtungen des Sicherheitsbehälters vorbei in das Reaktorgebäude, zusammen mit im überhitzten Reaktorkern entstandenem Wasserstoff.[166][12] An einer Messstation am westlichen Geländerand wurde erstmals ein leichter Anstieg der Strahlung (Ortsdosisleistung) festgestellt.[192] Auch im Turbinengebäude von Block 1 stieg die Strahlung an.[193] Keinem der Verantwortlichen war bewusst, dass sich Wasserstoff außerhalb des Sicherheitsbehälters ansammelte.[194]
Der Feuerlöschpumpe war inzwischen der Treibstoff ausgegangen. Es gelang nicht, sie wieder in Betrieb zu nehmen; bei hohem Reaktordruck war sie ohnehin wirkungslos.[36]
Im Büro des Premierministers fand eine Krisensitzung statt. Laut Regierungskreisen drängte man Tepco zu einer Druckentlastung des Sicherheitsbehälters von Reaktor 1,[43] während der Kraftwerksbetreiber nach eigenen Angaben selbst um Erlaubnis zur Druckentlastung bat.[195] So oder so war das Venting nicht ohne weiteres möglich, weil die elektrisch und pneumatisch betätigten Ventile außer Betrieb waren.[43]
Die Strahlung an der Geländegrenze stieg schnell weiter an und lag um 4:35 Uhr mit 0,00038 bis 0,00059 Millisievert pro Stunde (mSv/h)[192] beim 10- bis 15fachen des Normalwertes.[196] Unterdessen begannen 40 Tepco-Arbeiter, von Hand ein 200 Meter langes und eine Tonne schweres Stromkabel von den Generatorwagen zu einem Anschlusspunkt an Block 1/2 zu verlegen.[36]
Ab 5:46 Uhr wurde mit Pumpen des an Block 1/2 stationierten Feuerwehrfahrzeugs[40] Süßwasser aus vorhandenen Löschwasser-Zisternen in den Druckbehälter eingespritzt, um den Reaktor notdürftig zu kühlen;[180][115] Hydranten und die wesentlich größeren Reinwassertanks waren wegen Tsunamischäden unbrauchbar.[40] Der hohe Reaktordruck begrenzte den Wasserdurchfluss.[195] Eine Stunde später wies das Wirtschaftsministerium Tepco an, von Hand die Druckentlastungsventile zu öffnen.[197][187] Die an der Geländegrenze gemessene Strahlung hatte sich inzwischen nochmals verzehnfacht.[192]
Gegen 7 Uhr traf Premierminister Naoto Kan mit dem Hubschrauber am Kraftwerk ein – nach offiziellen Aussagen, um eine Unterstützung der Bevölkerung in der Region zu signalisieren,[198] nach Zeitungsinformationen jedoch, um Einfluss auf das Krisenmanagement zu nehmen. Kan habe Tepco dazu aufgefordert, ein „Selbstmordkommando“ von Arbeitern zu bilden, die die manuelle Druckentlastung vornehmen sollten.[199] In dem Gebäude herrschte eine Strahlung von ungefähr 300 mSv/h,[189] ein für Menschen auch bei kurzem Aufenthalt gesundheitsgefährlicher Wert.
Kritiker vermuteten später, die Druckentlastung von Reaktor 1 habe sich durch Kans Anwesenheit verzögert.[200][199] Der Kraftwerksleiter gab gegen 8 Uhr – unmittelbar vor Kans Abflug – die Anweisung, das manuelle Venting für 9 Uhr vorzubereiten.[36][195]
Druckentlastung und Explosion
Um 9:03 Uhr meldeten die Behörden, die Evakuierung der Stadt Ōkuma, auf deren Gebiet sich die Reaktorblöcke 1 bis 4 befinden, sei abgeschlossen. Unmittelbar danach begaben sich mit Schutzanzügen, Druckluftflaschen und Taschenlampen ausgerüstete Arbeiter in das Reaktorgebäude. Mithilfe eines tragbaren Stromgenerators gelang es ihnen, das erste (elektromotorische) Druckentlastungsventil zu einem Viertel zu öffnen.[36][12] Den Versuch, auch das zweite, pneumatische Ventil am Sicherheitsbehälter zu öffnen, gaben sie wegen zu hoher Strahlung auf.[36]
Ab 10:17 Uhr versuchte man mehrmals, das pneumatische Ventil vom Leitstand aus zu betätigen.[12] Die Messfühler im Sicherheitsbehälter zeigten keinen nennenswerten Druckabfall (siehe Grafik), aber die Strahlung an der Geländegrenze stieg vorübergehend von 0,007 auf 0,39 mSv/h an.[201] Gleichzeitig versuchte Tepco, einen tragbaren Kompressor aufzutreiben, um damit an anderer Stelle ein leichter zugängliches, größeres pneumatisches Ventil zu öffnen.[36]
Gegen Mittag zeigten die defekten Wasserstandsmesser an, dass die Brennstäbe im Reaktorkern zur Hälfte trocken liegen, und die NISA warnte, dass möglicherweise eine Kernschmelze begonnen habe.[186]
Gegen 14 Uhr gelang es den Arbeitern dann, das zweite pneumatische Ventil per Kompressor zu öffnen.[36] Tepco meldete um 14:30 Uhr, dass die Druckentlastung erfolgreich gewesen sei.[13] Um 14:49 Uhr wurde in der Umgebung von Block 1 radioaktives Caesium nachgewiesen.[202] Um 15:01 Uhr zeigte die stündlich aktualisierte Tepco-Webcam erstmals einen Dampfaustritt aus dem Schornstein an Block 1/2,[203] und um 15:29 Uhr überschritt die Strahlung an der Geländegrenze mit 1,0 mSv/h[186] den zulässigen Grenzwert von 0,5 mSv/h.[204][205]
Gegen 14:50 Uhr waren die Süßwasservorräte erschöpft.[115][12] Nach eigenen Angaben hatte Tepco Vorbereitungen getroffen, um schnell von Süß- auf Meerwassereinleitung umzustellen; um 15:18 Uhr hätte man damit beginnen können. Dies verzögerte sich jedoch durch Kommunikationsprobleme zwischen Kraftwerksbetreiber, Aufsichtsbehörde, Regierungsstellen und Premierminister und/oder wegen technischer Bedenken des Premierministers um mehrere Stunden.[206][207][208] (Später heißt es in einem NISA-Bericht, es habe „kein Zögern“ beim Einsatz von Meerwasser gegeben.[40]) Dafür gelang nun der Anschluss des schweren Stromkabels an den Verteiler von Block 1/2.[209]
Gegen 15:30 Uhr[210] versuchten Arbeiter, eine Pumpe zum Einspeisen von boriertem Wasser in den Reaktor (SLC-Pumpe) mit Strom zu versorgen.[36] In diesem Moment ereignete sich zwischen Sicherheitsbehälter und Außenhülle des Reaktorgebäudes eine Knallgasexplosion (Wasserstoffexplosion), bei der der obere Teil der Außenverkleidung des Reaktorblocks weggesprengt wurde.[211] Videoaufnahmen zeigen einen schnellen, kaum sichtbaren Explosionsstoß nach oben und dann eine sich mehr horizontal als vertikal ausbreitende Rauchwolke um das Reaktorgebäude.[212] Die Explosion verletzte vier Arbeiter vor Ort,[213] kappte die erst vor einer halben Stunde fertiggestellte Stromleitung und beschädigte vorbereitete Schläuche zum Einleiten von Meerwasser.[36] Die Sicherungsarbeiten wurden für zwei Stunden unterbrochen.[209]
Zum Explosionszeitpunkt herrschte am Kraftwerk Südostwind. Eine mobile Strahlungsmessstation an der nordwestlichen, landseitigen Geländegrenze zeigte um 15:29 Uhr einen plötzlichen, kurzen Anstieg von 140 auf 1015 Millisievert pro Stunde.[201]
Die Regierung gab bekannt, der Sicherheitsbehälter des Reaktors sei nicht beschädigt worden.[214] Später zeigte sie sich überrascht: Niemand hätte sie vorher darüber informiert, dass das Venting in einer Explosion des Reaktorgebäudes enden könnte. Tepco wies darauf hin, dass der Wasserstoff normalerweise im Sicherheitsbehälter abgebaut werde;[215] mit einer Explosion habe niemand gerechnet.[216]
Die japanischen Behörden vermuteten ab zirka 17 Uhr aufgrund der erhöhten Caesiumwerte eine Kernschmelze.[217] Die Behörden bereiteten die Verteilung von Jodtabletten vor[218][219] und weiteten den Evakuierungsradius um das Kraftwerk auf 20 Kilometer aus.[220]
Inzwischen waren in Block 1 alle Messinstrumente für den Reaktorzustand (Druck, Temperatur, Wasserstand) ausgefallen.[159] Offenbar waren die Notstrombatterien nun vollends erschöpft.
Kühlversuche und Stromanschluss
Um 19:04 Uhr begann Tepco mit dem Einleiten von Meerwasser in den Reaktor und informierte die NISA. Da man jedoch keine Bestätigung vom Premierminister erhielt, entschied Tepco gegen 19:30 Uhr, das Wassereinpumpen zu unterbrechen. Der Leiter des Kraftwerks ignorierte die Anweisung und setzte die notdürftige Reaktorkühlung fort.[206] Eine offizielle Freigabe durch den Premierminister und die NISA erfolgte erst gegen 20 Uhr.[187] Später hieß es, das Wirtschaftsministerium habe die Erlaubnis bereits gegen 18 Uhr erteilt.[12]
Ab 20:45 Uhr wurde dem Kühlwasser die neutronenabsorbierende Borsäure hinzugefügt, um das Risiko einer Kritikalität zu verringern. Um 22:15 Uhr musste die Meerwasserkühlung für einige Stunden wegen eines Nachbebens unterbrochen werden.[59][186] Die eingespeiste Wassermenge schwankte in den folgenden Tagen zwischen 2 und 20 Kubikmeter pro Stunde.[12]
Am 13. März gelang es endlich, eine Notstromversorgung durch die mobilen Generatoren herzustellen.[221] Die Messgeräte lieferten wieder Informationen zum Reaktorstatus,[159] aber die Kühlsysteme blieben außer Betrieb.
Die defekten Wasserstandsmessgeräte zeigten in den nächsten Tagen und Wochen weiterhin an, dass die Brennelemente (oder deren Überreste) zur Hälfte mit Wasser bedeckt seien.[159] Scheinbar war es gelungen, den Wasserstand via Feuerlöschleitung zu stabilisieren. Hin und wieder musste die Wassereinspeisung nochmals für einige Stunden unterbrochen werden, weil das Gelände wegen kritischer Situationen an Reaktorblock 3 evakuiert wurde, wegen weiterer Erdbeben oder um kleinere Defekte am Pumpsystem zu beheben.[99]
Man war sich nun weitgehend einig darüber, dass in Block 1 eine Kernschmelze stattfand; auch Regierungssprecher Yukio Edano bestätigte dies offiziell.[222] Aufgrund von Strahlungsmesswerten im Reaktor des Blockes 1 vom 15. März (siehe hierzu Abschnitt Strahlung in den Reaktoren) schätzte Tepco, dass bereits 70 Prozent der Brennstäbe beschädigt seien.[223] Sechs Wochen später wurde diese Zahl dann – immer noch auf Grundlage der Messungen vom 15. März – auf 55 Prozent nach unten korrigiert, weil man sich anfangs verrechnet habe.[224] Weitere zweieinhalb Wochen später ging man davon aus, dass 100 Prozent der Brennstäbe beschädigt sind.[115]
Mit der Behelfskühlung gelang es nicht, den Reaktorkern zu stabilisieren. Am Morgen des 16. März traten große Mengen an Dampf aus dem Reaktorgebäude aus,[225] während die Strahlung auf dem Gelände (siehe Grafik) stark anstieg. In den folgenden Tagen stieg die Aktivität in Reaktor 1 (siehe auch Abschnitt Strahlung in den Reaktoren) wieder an.[159] Die Temperatur am Druckbehälter erreichte am 22. März vorübergehend einen Höchstwert von 383 °C, oberhalb der maximal vorgesehenen Betriebstemperatur von 300 °C.[159]
Am 20. März wurde Block 1 über einen neuen Stromverteiler (der alte stand im Keller des Turbinenhauses unter Wasser) wieder an die externe Stromversorgung angeschlossen,[226] und am 24. März die Beleuchtung im Leitstand wiederhergestellt.[51] Der Großteil der elektrischen Systeme blieb aber ohne Funktion.[64]
Erst am 23. März stellte Tepco die Wassereinspeisung in den Druckbehälter auf eine andere Zugangsleitung (Speisewasser- statt Feuerlösch-/Kernsprühleitung) und stärkere Pumpen um, so dass man die Wassermenge von 50 auf 170 Kubikmeter pro Tag erhöhen konnte.[227][159] Auch dies genügte anscheinend nicht, um den Reaktor in den Griff zu bekommen: Die Strahlungsmesswerte des Druckbehälters stiegen bis zum 1. April wieder auf einen neuen Höchstwert an. Möglicherweise schränkten Salzablagerungen den Fluss des Kühlwassers ein.[46]
Am 31. März wurde erstmals seit dem Stromausfall auch das Abklingbecken von Block 1 gekühlt: Eine Autobetonpumpe sprühte 90 Tonnen Wasser darauf.[99] Es ist unklar, wie viel von dem Wasser im Becken ankam, aber laut späterer Untersuchungen sank der Wasserstand zu keinem Zeitpunkt in einen kritischen Bereich.[36]
Weiter instabiler Reaktor
- April 2011
Im April schien Reaktor 1 als einziger weiter instabil zu sein: Die Messgeräte zeigten den ganzen April über einen stetigen und unkontrollierten Druckanstieg im Druckbehälter an (siehe Grafik; erst zwei Monate später stellte man fest, dass auch die Drucksensoren defekt waren und zu viel anzeigten).[228] Der Reaktorkern produzierte vermutlich weiterhin Wasserstoff. Nach Rücksprache mit dem Wirtschaftsministerium füllte Tepco den Sicherheitsbehälter mit Stickstoff auf, um einer möglichen Knallgasexplosion vorzubeugen.[229][230]
Am 8. April zeigte der Strahlungssensor im Druckbehälter von Block 1 einen extremen Anstieg; am nachfolgenden Tag fiel er aus. Zwei Wochen später stieg das Verhältnis aus 131I- und 137Cs-Konzentration im Meerwasserkanal des benachbarten und baulich verbundenen Blocks 2 stark an.
Am 21. April meldete die Nachrichtenagentur Kyodo News, dass nach Aussage eines Tepco-Offiziellen in Reaktor 1 (erneut oder immer noch) eine Kernschmelze in Gang sein könnte.[231]
Der Kraftwerksbetreiber hatte Bedenken, dass die Situation bei einer ungeplanten Unterbrechung der Behelfskühlung weiter außer Kontrolle geraten könnte,[174] und wollte die eingespeiste Wassermenge erhöhen, um mit dem überschüssigen Wasser den Sicherheits- und den Druckbehälter aufzufüllen und den Reaktor dadurch zuverlässiger zu kühlen.[232][174] Zusätzlich sollte ein neuer, stabilerer und geschlossener Kühlkreislauf installiert werden.[233]
- Mai 2011
Zur Vorbereitung der geplanten Arbeiten – Tepco veröffentlichte dafür eine Roadmap[234] – wurde die Luft im Gebäude mit speziellen Luftfiltergeräten dekontaminiert.[234] Anschließend kalibrierte man die Wasserstandsmessgeräte für den Druckbehälter neu und stellte fest, dass der Bereich des Reaktorkerns, in dem sich die Brennelemente vor der Schmelze befunden hatten, nicht etwa halb, sondern gar nicht unter Wasser stand. Offenbar waren sowohl der Druck- als auch der Sicherheitsbehälter beschädigt, und erhebliche Mengen an Kühlwasser liefen aus dem Reaktor. Die geplanten neuen Kühlmaßnahmen wurden durch den undichten Sicherheitsbehälter hinfällig.[118][235][115] Das Untergeschoss des Reaktorgebäudes, in dem sich die Kondensationskammer befindet, war mit schätzungsweise 5.000 Tonnen an radioaktivem Abwasser zur Hälfte aufgefüllt.[175][236][237]
Die Kernschmelzenmeldung vom 21. April wurde nicht bestätigt. Man ging jetzt davon aus, dass sich die Überreste des Reaktorkerns teils im Druck- und teils im Sicherheitsbehälter befanden und dort gekühlt wurden.[12]
Absicherung von Block 1
- ab Juni 2011
Die Kühlung des Abklingbeckens wurde Ende Mai von Betonpumpe auf eine direkte Leitung umgestellt[238] und im August auf einen geschlossenen Kreislauf.[239] Zur Reaktorkühlung diente ab Ende Juni wiedergewonnenes Abwasser,[240] sodass ein indirekter Kühlkreislauf als Ersatz für das nicht mehr realisierbare geschlossene Kühlsystem entstand.
Als Absicherung gegen radioaktive Emissionen und eintretendes Regenwasser wurde eine Schutzhülle um das Reaktorgebäude errichtet, bestehend aus einem Stahlgerüst, PVC-beschichteten Polyestergewebe-Planen und einem aufwändigen Lüftungssystem (Fertigstellung im Oktober 2011). Das Dach der Hülle kann bei Bedarf geöffnet werden.[241][242]
Am 19. August 2011 fiel die Reaktortemperatur in Block 1 erstmals an allen Messfühlern unter 100 °C.[243]
In Rohren am Reaktor wurden hohe Wasserstoffkonzentrationen von 61 bis 63 Prozent entdeckt. Vermutlich handelte es sich um Reste aus der Anfangsphase der Unfälle.[244] Der Wasserstoff wurde durch Einpumpen von Stickstoff ausgetrieben.[245]
Neue Tepco-Simulationsrechnungen im November ergaben, dass der Großteil des geschmolzenen Brennstoffs in Reaktor 1 den Druckbehälter verlassen und sich auf dem Boden des Sicherheitsbehälters (Nr. 13 in der Abbildung oben) angesammelt hatte. Der Betonboden könne bis zu 65 Zentimeter tief erodiert sein. Zwischen Brennstoff und der Stahlummantelung des Sicherheitsbehälters (Nr. 19) bliebe demnach noch eine Betonschicht von mindestens 37 Zentimetern. Darunter befindet sich eine weitere, mehrere Meter dicke Betonschicht (Nr. 20). Man geht davon aus, dass durch die durchgeführten Kühlmaßnahmen eine weitere Korrosion des Betons gestoppt sei.[246]
Stromausfall und Kühlungsprobleme
Auch Block 2 wurde am 11. März um 14:46 Uhr (Ortszeit) automatisch heruntergefahren und zunächst mit Notstrom aus seinen beiden Dieselgeneratoren versorgt. Um im Reaktor verdampfendes Wasser weiterhin nachzufüllen, schalteten die Arbeiter im Leitstand eines von zwei dampfbetriebenen Notkühlsystemen ein (das RCIC-System, Reactor Core Isolation Cooling; etwa: „Kühlung des Reaktors im isolierten Betrieb“).[36]
Um 15:37 und 15:41 Uhr[247] fielen die Generatoren durch Überschwemmung aus,[31] und dadurch auch die elektrischen Kühlwasserpumpen für das Abklingbecken und die Reaktor-Kondensationskammer. Auch Teile der Batterie-Notstromversorgung versagten wegen Tsunamischäden.[36]
Um 16:36 Uhr meldete Tepco an die Aufsichtsbehörde, dass die Wassereinspritzung in den Reaktor – also die Notkühlung – nicht mehr sichergestellt sei.[184] Das dampfbetriebene Kühlsystem war zwar unabhängig von den Generatoren, aber wegen des Stromausfalls hatten die RCIC-Zustandsanzeige und das Messgerät für den Kühlwasserstand versagt. Am 12. März wurden sie mit einer provisorischen Stromversorgung wieder in Betrieb genommen.[209][248] Der Wasserstand war etwas verringert, aber stabil.[249] Die Drücke im Reaktor lagen im Normalbereich.[188] Trotzdem wurden gegen Mittag mehrere Druckentlastungen des Sicherheitsbehälters versucht, die mangels Überdruck ohne Ergebnis waren.[36] Währenddessen explodierte das Dach des nördlich benachbarten Reaktorgebäudes 1.
Es folgten weiter wechselnde Meldungen auf der Tepco-Website zum Zustand der Kühlung. Um 20 Uhr funktionierte sie angeblich nicht mehr;[250][159] am Morgen des 13. März um 9 Uhr hieß es dann, das RCIC-System sei in Betrieb.[251] Auch die später veröffentlichten Aufzeichnungen der Mitarbeiter sind widersprüchlich. Es gab wohl nach wie vor Probleme mit der Messung des Wasserstandes.[12] Sicherheitshalber bereitete Tepco die Einspeisung von Meerwasser vor.[209]
Um 11 Uhr wurde erneut eine Druckentlastung des Sicherheitsbehälters eingeleitet.[187][252] Zwischen 14 und 17 Uhr ging der Druck im Sicherheitsbehälter etwas zurück.[188] Gegen 14 Uhr gelang auch der Anschluss mobiler Stromgeneratoren, sodass laut NISA der weitere Betrieb des Notkühlsystems gesichert war.[253]
Am 14. März um 11 Uhr explodierte auch das südlich benachbarte Reaktorgebäude 3 und beschädigte bereitstehende Geräte zum Einpumpen von Meerwasser in Reaktor 2.[36] Unmittelbar nach der Explosion öffnete man sicherheitshalber die Ausblasklappe (blow out panel) von Reaktorgebäude 2,[187] um eine Wasserstoffansammlung wie in den Blöcken 1 und 3 zu verhindern. Ungefähr zu dieser Zeit fiel auch in Block 2 tatsächlich die Kühlung aus.[159] Möglicherweise hatte die außerordentlich heftige Explosion von Block 3 weitere Schäden in Block 2 verursacht.[254][59] Um 13:18 Uhr – der Wasserspiegel im Reaktordruckbehälter war bereits um etwa einen Meter gefallen, lag aber noch oberhalb der Brennelemente – meldete Tepco den Kühlausfall an die Aufsichtsbehörde.[255] Das zweite dampfbetriebene Notkühlsystem, das in solchen Fällen normalerweise aktiv wird, blieb abgeschaltet.
Die Einleitung von Meerwasser wurde erneut vorbereitet, musste aber wegen eines Nachbebens von 15 bis 16 Uhr unterbrochen werden. Gegen 16:30 Uhr war die Feuerwehrpumpe einsatzbereit, aber zunächst musste der Druck im Druckbehälter gesenkt werden.[209] Die Arbeiter brachten Autobatterien aus ihren Fahrzeugen in den Leitstand und versuchten, damit die Überdruckventile zu betätigen.[36] Sie ließen sich jedoch nicht öffnen,[59][256] weil man versehentlich ein Luftstrommessgerät abgeschaltet hatte.[257] Mehrere Stunden lang versuchte Tepco erfolglos, Dampf aus dem Druckbehälter abzulassen, um dann anschließend auch den Sicherheitsbehälter zu entlüften.[258]
Der Wasserstand fiel weiter. Gegen 17 Uhr lagen die Brennelemente teilweise frei und ab 18 Uhr vollständig.[159] Zu diesem Zeitpunkt gelang es endlich, die Druckentlastungsventile zu öffnen. Es dauerte eine Stunde, den Druck hinreichend zu senken. Zwischenzeitlich ging der Feuerwehrpumpe, die wegen der hohen Strahlung auf dem Gelände nicht ständig überwacht wurde, der Treibstoff aus.[36] So verging noch fast eine weitere Stunde, bis die Wassereinspritzung beginnen konnte[259][159] – zu spät: Die Kernschmelze war zu diesem Zeitpunkt bereits in Gang.[116] Trotz weiterer Druckentlastungsversuche – das pneumatische Venting-Ventil schloss sich immer wieder von alleine – stieg der Druck im Sicherheitsbehälter stark an und erreichte gegen Mitternacht etwa 750 Kilopascal.[36][159]
Das Wasserstands-Messgerät zeigte jetzt und auch in den kommenden Tagen und Wochen an, dass die Brennelemente zur Hälfte mit Wasser bedeckt seien.[159] Erst zwei Monate später – nach dem Kalibrieren des Messgeräts in Block 1 – wurde klar, dass auch das Gerät in Block 2 (und 3) die ganze Zeit über zu viel angezeigt haben könnte.[69] Ähnlich wie am 12. März in Block 1 versagten vermutlich Dichtungen des Sicherheitsbehälters, und es gelangte Wasserstoff in das Reaktorgebäude.[12]
Schäden am Sicherheitsbehälter
Laut später veröffentlichter Berichte von NISA[260] und JAIF[261] wurde gegen Mitternacht (zum 15. März) Dampf aus dem Sicherheitsbehälter in die Umgebung abgelassen. Der Messfühler zeigte aber keinen Druckabfall. Es blieb weiter bei 750 kPa,[159] bis gegen 6:10 Uhr ein lauter Knall aus Richtung der Kondensationskammer unter dem Reaktor zu vernehmen war („an abnormal noise began emanating from nearby Pressure Suppression Chamber“ laut Tepco).[262] Die NISA sprach von einem „Explosionsgeräusch“[187] und einer Wasserstoffexplosion im Raum unter dem Reaktor, in dem sich die Kondensationskammer befindet;[12] später auch von einem „großen, impulsiven Geräusch“ und einem „großen Einschlaggeräusch“ (big impact sound).[36] Der Druck in der Kammer fiel plötzlich ab;[188] offenbar wurde sie beschädigt.[20] Auch im Dachbereich des Reaktorgebäudes[36] und im angeschlossenen Abfallverarbeitungsgebäude wurden Schäden festgestellt.[12] Tepco bestreitet bislang, dass eine Explosion stattfand und vermutet, dass es sich um eine Verwechslung mit der in etwa gleichzeitigen Explosion in Block 4 handelt (Stand: November 2011).[263]
Die Strahlenbelastung auf dem Gelände stieg stark an, was auch mit der Explosion in Block 4 zusammenhängen kann. An der Geländegrenze wurden vorübergehend Dosisleistungen von bis zu 12 Millisievert pro Stunde (mSv/h) gemessen.[186] Am Reaktorgebäude 4 lagen die Messwerte bei 100 mSv/h und am benachbarten Block 3 bei 400 mSv/h.[262] Wegen der Strahlungsrisiken reduzierte Tepco die Zahl der Mitarbeiter auf dem Gelände von rund 800 auf 50.
Um 10:30 Uhr wies Wirtschaftsminister Banri Kaieda Tepco an, bei Reaktor 2 sofort Wasser in den Druckbehälter einzuspritzen und Druck aus dem Sicherheitsbehälter abzulassen.[187] Nachdem der Sicherheitsbehälter 2 sich inzwischen von alleine entlüftete und die Wassereinspeisung seit 14 Stunden stattfand, kam diese Anweisung zu spät.
Am Abend fiel der Überdruck im Druckbehälter auf Null,[188] was auf einen größeren Schaden hindeutet.
Satellitenfotos vom 16. März zeigen, wie aus der Ausblasklappe auf der Ostseite des Reaktorgebäudes Dampf austrat. Dieser war auch in den folgenden Tagen weiter zu beobachten.[264]
Anhand der Strahlungsmesswerte im Sicherheitsbehälter schätzte Tepco, dass die Brennstäbe von Block 2 zu einem Drittel beschädigt seien.[265] Diese Schätzung erwies sich später als viel zu niedrig.[116]
Bis zum 17. März weitete sich auch der Schaden an der Kondensationskammer aus; der Überdruck in der Kammer fiel ebenfalls auf Null.[159]
Drei Wochen später wurden Informationen der US-Atomaufsichtsbehörde bekannt, nach denen Teile des geschmolzenen Kerns von Reaktor 2 aus dem Druckbehälter geflossen waren und sich am Boden des Sicherheitsbehälters angesammelt hatten.[266] Strahlungsdaten aus den Kondensationskammern von Block 1 bis 3 (im unteren Bereich der Sicherheitsbehälter) bestätigten dies: Der Messwert für Block 2 war mit 121 Sievert pro Stunde extrem hoch.
Stromanschluss und Kühlmaßnahmen
Mittlerweile war eine neue Hochspannungsleitung in Arbeit, die als erstes an Block 2 angeschlossen werden sollte.[267] Man hoffte, die regulären Kühlsysteme wieder in Betrieb nehmen zu können.[62]
Währenddessen begann am 19. März das Einspeisen von Meerwasser ins Abklingbecken. Anders als bei Block 1 musste bei Block 2 auch das Abklingbecken laufend gekühlt werden, weil sich darin doppelt so viele und „frischere“ Brennelemente befanden. Jeweils im Abstand von mehreren Tagen wurde das Becken über eine vorhandene Leitung wieder mit kaltem Wasser aufgefüllt.[187] So gelang es, die Wassertemperatur bei etwa 50 °C zu stabilisieren.[268] Der Wasserstand sank zu keinem Zeitpunkt in einen kritischen Bereich.[36]
Ebenfalls am 19. März wurde die neue Stromleitung an einem Behelfstransformator an Block 2 angeschlossen, und am nächsten Tag an einen provisorischen, neuen Stromverteiler.[269][270] Ab dem 26. März gab es wieder eine richtige Beleuchtung im Leitstand. Ein am gleichen Tag veröffentlichtes Foto zeigt drei Männer in Schutzanzügen, die auf einzelne Instrumente schauen – in einem Raum voller toter Bildschirme und Warnlampen.[271][272] Die Stromversorgung war wiederhergestellt, aber wie in Block 1 blieben die meisten Systeme ohne Funktion.[64]
Ab dem 26. März wurde auch in Reaktor 2 Süßwasser statt Meerwasser eingespritzt.[51] Im Untergeschoss des Turbinengebäudes von Block 2 maß Tepco eine sehr hohe Strahlung von mehr als 1000 mSv/h an der Oberfläche von Wasser, das sich dort angesammelt hatte[273] (1000 mSv/h war das obere Limit der vorhandenen Messgeräte).[274] Am folgenden Tag wurden ähnliche Strahlungswerte auch im Wasser in einem angeschlossenen Wartungstunnel entdeckt.[78] Daraufhin teilte die japanische Regierung am 28. März mit, dass sie von einer vorübergehenden Teil-Kernschmelze in Reaktor 2 ausgehe.[275]
Am 29. März wurde auch die Kühlung des Abklingbeckens von Meer- auf Süßwasser umgestellt.[227]
Abwasseraustritt ins Meer
- April 2011
Seit dem 21. März maß man stark erhöhte Iod- und Caesium-Konzentrationen im Meerwasser am Kraftwerk und suchte nach der Ursache.
Am 2. April entdeckte Tepco dann in einem betonierten Kabelschacht nahe dem Wassereinlass von Block 2[276][277] einen 20 Zentimeter langen Riss, aus dem hoch radioaktiv kontaminiertes Wasser in den Pazifik floss. Ein Versuch, das Leck mit Beton zu verschließen,[278] schlug ebenso fehl[279] wie das Einbringen eines Gemischs aus Superabsorber, Sägemehl und zerkleinertem Zeitungspapier in Verbindungsrohre zum Turbinengebäude.[280] Am 6. April konnte Tepco das Leck dann mit einem Abdichtmittel auf Wasserglas-Basis verschließen.[281]
Nach Angaben der NISA war der Großteil des kontaminierten Wassers in den zwei Tagen nach Beschädigung der Kondensationskammer am 15. März freigesetzt worden, aber geringere Mengen von Wasser flössen auch weiterhin noch aus dem Reaktor,[48] von wo sie über verschiedene Kanäle und Schächte ins Meer gelangten (siehe Grafik).[277] Erst später wurde klar, dass womöglich auch der Druckbehälter beschädigt war und von dort laufend größere Mengen an Abwasser austraten.[69]
Am 9. April begann Tepco den Bau einer Stahlwand und dem Aufschütten eines Schlammwalls (silt fence) vor dem Wassereinlass von Block 2, um das Meer vor weiterer Kontamination zu schützen.[282]
Eine Woche später lagen erste Messwerte zum Wasser im Abklingbecken vor. Sie zeigten eine hohe radioaktive Kontamination[283] (vgl. Tabelle der Wassermesswerte der Abklingbecken), die höchstwahrscheinlich durch den Eintrag von Emissionen des Reaktors entstanden war.[36]
Extrem hoch kontaminiertes Wasser hatte sich auch im Untergeschoss des Turbinengebäudes von Block 2 angesammelt, insgesamt 25.000 Kubikmeter.[284] Tepco begann damit, 10 Kubikmeter pro Stunde ins Abfalllager abzupumpen,[284][285] während durch die laufenden Kühlmaßnahmen des Reaktors und des Abklingbeckens stetig neues Abwasser erzeugt wurde. Der Wasserstand im Turbinengebäude blieb nahezu unverändert.[286] Der weitere Austritt des extrem kontaminierten Wassers aus Block 2 ins Meer konnte dagegen durch die Abdichtungs- und Eindämmmaßnahmen weitgehend gestoppt werden.
- Mai 2011
Nachdem die Strahlung in der Kondensationskammer unterhalb des Reaktors bis Anfang Mai abgenommen hatte, stieg sie ab dem 3. Mai vorübergehend auf das Vierfache an. Der geschmolzene Reaktorkern war immer noch in Bewegung.
Absicherung vom Block 2
Weitere Arbeiten im Reaktorgebäude waren wegen zu hoher Strahlenbelastung kaum möglich, und eine Luftfeuchtigkeit von fast 100 Prozent verhinderte den Einsatz von Dekontaminationsgeräten. Daher erhielt das Abklingbecken einen neuen, geschlossenen Kühlkreislauf, der die Wassertemperatur von 70 auf 40 °C senkte und half, die Luftfeuchte zu verringern.[127][134] Anschließend wurde das Gebäude gelüftet[287] und die Luft weiter dekontaminiert. Messgeräte am Reaktor wurden kalibriert. Eine Erkundung ergab, dass das hoch radioaktive Abwasser sechs Meter hoch im Untergeschoss stand.[288]
- ab Juni 2011
Ende Juni begann auch in Block 2 die Einleitung von Stickstoff in den Sicherheitsbehälter, um möglichen Knallgasexplosionen vorzubeugen.[289]
Um die Reaktorkühlung zu verbessern, wurde das Kühlwasser ab Mitte September auch über das Core Spray System (Kernsprühsystem) eingeleitet.[290][291] Dabei wird das Wasser von oben in den Druckbehälter und über den Reaktorkern gesprüht, anstatt es – wie bei allen anderen Kühlsystemen – seitlich einzupumpen.
Im Abklingbecken-Kühlkreislauf begann Anfang November die Filterung von Caesium, um die extrem hohe Wasserkontamination zu verringern.[292]
Am 27. März 2012 wurde bei endoskopischen Untersuchungen des Sicherheitsbehälters festgestellt, dass der Wasserstand aufgrund von Lecks statt bei erwarteten drei Metern bei nur 60 cm liegt. Die Wassertemperatur liege jedoch bei 48,5–50 °C.[293][294] Die Strahlung im teilweise zerstörten Containment beträgt zwischen 30 und 73 Sv pro Stunde.[295]
Im Februar 2017 konnte erstmals eine Kamera direkt unter den Druckbehälter gebracht werden. Hier wurde bestätigt, dass der Reaktor komplett geschmolzen ist und sich evtl. durch das Containment gefressen hat. Ferner wurden mit 530 Sv/h extreme Strahlendosen gemessen.[296]
Reaktorblock 3
Zum Zeitpunkt des Unfalls war der Reaktorblock 3 im Gegensatz zu Block 1 und 2 auch mit 32 Mischoxid-Brennelementen (von insgesamt 548 Brennelementen) bestückt, die eine Mischung aus Urandioxid und Plutoniumdioxid enthalten. Plutonium ist giftig und durch seine Strahlenwirkung schon in geringen Mengen stark krebserregend. Im Abklingbecken befanden sich nur konventionelle Uran-Brennelemente.
Strom- und Kühlungsausfall in Block 3
Auch Block 3 wurde am 11. März um 14:46 wegen des Erdbebens schnellabgeschaltet, und das RCIC-Notkühlsystem (Reactor Core Isolation Cooling System) übernahm planmäßig die Wassereinspritzung in den Reaktor. Nach Eintreffen des Tsunami fielen um 15:38 und 15:39 Uhr die beiden Notstromgeneratoren und die elektrischen Kühlwasserpumpen für Abklingbecken und Reaktor-Kondensationskammer aus.[164][297] Das dampfbetriebene RCIC-System lief davon unabhängig weiter, im Gegensatz zu Block 2 allerdings nur mit halber Leistung.[182][164][297][247] Die Notstrombatterien blieben intakt.[36]
Gegen Mitternacht funktionierte die Notkühlung nicht mehr richtig; der Wasserstand fiel unter den vorgesehenen Bereich.[164] Am 12. März gegen 11:30 Uhr fiel das RCIC-System aus, und eine Stunde später schaltete sich automatisch das HPCI-System (High Pressure Coolant Injection, engl. für Hochdruck-Kühlmitteleinspritzung) ein.[164][12] Dies ist ein wesentlich leistungsfähigeres,[59] ebenfalls dampfbetriebenes Notkühlsystem, das zum Einsatz kommt, wenn das RCIC-System nicht ausreicht oder versagt. Es kam zu einem starken Druckabfall im Druckbehälter,[164] was auf Erdbebenschäden an den HPCI-Rohrleitungen hindeutete.[35]
Die Aufsichtsbehörde (NISA) informierte gegen 18 Uhr in einer Pressekonferenz, dass der Wasserstand im Reaktor gefallen sei und dringend etwas dagegen getan werden müsse.[298] Gegen 21 Uhr begannen Vorbereitungen, um Dampf aus dem Sicherheitsbehälter abzulassen.[36] (Erste NISA-Berichte sprachen irrtümlich von einer Druckentlastung um 20:41 Uhr.[51])
Am 13. März um 2:44 Uhr fiel die HPCI-Notkühlung wegen erschöpfter Batterien oder eines zu niedrigen Reaktordrucks aus.[164][36][12] Tepco versuchte ohne Erfolg, das RCIC-System wieder in Betrieb zu nehmen. Um 5:10 Uhr meldete man den vollständigen Ausfall der Kühlung an die Aufsichtsbehörde.[299] Zu diesem Zeitpunkt war der Druck in beiden Behältern schon wieder stark angestiegen. Ein Versuch, Wasser mit der stationären Diesel-Feuerlöschpumpe des Reaktors einzuspritzen, schlug daher fehl.[36]
Nachdem alle im Kraftwerk verfügbaren Autobatterien bereits für die Rettung von Block 1 und 2 im Einsatz waren, entnahm Tepco nun Batterien aus Fahrzeugen der Einsatzzentrale der Regierung und betätigte damit vom Leitstand aus die Sicherheitsventile des Druckbehälters von Reaktor 3. Zuvor hatten Mitarbeiter bereits die Venting-Ventile der Sicherheitsbehälters – ähnlich wie bei Block 1 – manuell geöffnet.[36] Gegen 8:50 Uhr fiel der Druck im Druckbehälter von ungefähr 7350 auf 500 Kilopascal (kPa) ab, während er im Sicherheitsbehälter zunächst von 470 auf 640 kPa anstieg und anschließend wieder abfiel.[164][188]
Die stündlich aktualisierte Tepco-Webcam zeigte um 10:00 Uhr einen Dampfaustritt aus dem Schornstein von Block 3/4.[45]
Behelfskühlung des Reaktors
Um 9:08 Uhr begann auch bei Reaktor 3 die Behelfskühlung durch Einspritzen von Wasser über die Feuerlöschleitung. Dabei kam das normalerweise an Block 5/6 stationierte Feuerwehrfahrzeug zum Einsatz. Zunächst speiste man Süßwasser aus der Zisterne des Feuerlöschsystems ein und stellte dann auf mit Borsäure versetztes Meerwasser um.[165][12][209] Die Messgeräte zeigten trotzdem einen weiter fallenden Wasserstand an. Die NISA vermutete, dass die Messanzeige fehlerhaft war, da andere Messwerte für eine funktionierende Wassereinspeisung sprachen,[300] während Regierungssprecher Edano technische Probleme beim Einpumpen erwähnte.[301] Die 3,70 Meter langen Brennstäbe[18] lagen jetzt vermutlich auf gut 3 Metern Länge trocken[159] und erhitzten sich stark. Edano gab bekannt, dass man von einer Kernschmelze in Block 3 ausgehe und auch hier eine Wasserstoffexplosion für möglich halte.[222] Spätere Untersuchungen bestätigten, dass um diese Zeit eine Kernschmelze begann.[116][12]
Nachdem sich das pneumatische Druckentlastungsventil von alleine geschlossen hatte, wurde es gegen Mittag erneut manuell mit einem Kompressor geöffnet.[302] Um 13 und 14 Uhr zeigte die Webcam einen Dampfaustritt aus dem Druckentlastungs-Schornstein von Block 3/4.[45] Diese Venting-Operation wurde später noch mehrmals wiederholt.[36]
In der Nacht zum 14. März musste die Wassereinspritzung in den Reaktor mangels Meerwasser in der Sammelgrube unterbrochen werden. Laut NISA fand die Unterbrechung von 1:10 bis 3:20 Uhr statt.[303] Der für den Druckbehälter angezeigte Wasserstand begann jedoch erst kurz nach 3 Uhr zu fallen, während gleichzeitig der Druck im Druck- und Sicherheitsbehälter anstieg. Die Brennelemente lagen gegen 6 Uhr vermutlich wieder auf drei Metern Länge trocken,[159] sodass die Kernschmelze fortschreiten konnte.
Um 5:20 Uhr wurde laut späterer NISA-Berichte erneut Dampf abgelassen;[303] Strahlungsmesswerte vom Gelände deuten eher auf ein Venting zwischen 2 und 5 Uhr hin. Der Druck im Sicherheitsbehälter nahm jedoch stetig zu und erreichte gegen 7 Uhr rund 500 Kilopascal (kPa). Ab diesem Zeitpunkt wurde wieder ein steigender Wasserspiegel im Druckbehälter angezeigt.[159] Die Wasserstandsanzeige stabilisierte sich dann so weit, dass die Brennelemente vermutlich zu 40 Prozent bedeckt waren. Der Druck blieb in den nächsten Stunden bei etwa 500 kPa.
Tanklastwagen der Streitkräfte lieferten am Morgen 35 Tonnen Süßwasser an und begannen, es in die Wasser-Sammelgrube für die Reaktorkühlung zu füllen.[36]
Explosion
Um 11:01 Uhr ereignete sich eine heftige Explosion im Reaktorgebäude. Videoaufnahmen zeigen einen Feuerball im oberen Bereich und einen dunklen, schnell und senkrecht nach oben aufsteigenden Rauchpilz.[304] Nach Angaben von Tepco wurden bei der Explosion sieben Menschen verletzt.[305] Der Daily Telegraph berichtete von sechs getöteten Mitarbeitern der „Japanese Central Nuclear Biological Chemical Weapon Defence Unit“,[306] aber diese Meldung blieb unbestätigt, auch nach dem späteren Abräumen der Explosionstrümmer.
Anders als bei Block 1 zerstörte die Explosion hier nicht nur den Dachbereich, sondern auch Teile des darunter liegenden Stockwerks.[307] Radioaktive Trümmer wurden auf das Gelände geschleudert, in Entfernungen von bis zu eineinhalb Kilometern.[46] Um Block 3 entstanden Hot Spots mit Ortsdosisleistungen von bis zu 1000 Millisievert pro Stunde.[308] Im benachbarten Block 2 wurde vermutlich das Kühlsystem oder dessen Stromversorgung beschädigt, was dort zu einer Kernschmelze mit weitreichenden Folgen bis hin zur Kontamination des Meeres führte. In Block 3 kam es zu einem Ölbrand, der weitere schwere Schäden am Reaktorgebäude verursachte.[12]
Der amerikanische Nuklear-Ingenieur Arnold Gundersen wies auf die viel größere Kraft und die stärkere senkrechte Richtung der Block-3-Explosion im Vergleich mit der Wasserstoffexplosion in Block 1 hin. Gundersen vermutete, dass die Explosion in Block 3 auf einem Kritikalitätsstörfall, also einer nuklearen Explosion im Abklingbecken beruhte, die durch eine kleinere Wasserstoffexplosion im Reaktorgebäude ausgelöst wurde.[309]
Die Behelfskühlung von Reaktor 3 musste bis zum Abend unterbrochen werden, weil die Explosion die Feuerwehrausrüstung beschädigt hatte.[209] Auch die Wassergrube mit dem frisch angelieferten Süßwasser war wegen hereingefallenem Schutt unbrauchbar.[36]
Am 15. März um 10:22 Uhr wurde an Block 3 eine Strahlung von 400 Millisievert pro Stunde (mSv/h) gemessen.[310] Auf Grundlage von Strahlungsmesswerten im Reaktor schätze Tepco, dass die Brennstäbe in Reaktor 3 zu einem Viertel beschädigt seien. Diese Zahl wurde später auf 30 Prozent nach oben korrigiert.[224]
Seit dem Morgen des 16. März und auch noch an den nachfolgenden Tagen wurden große Mengen Dampf beobachtet, die aus dem Gebäude aufstiegen.[202][310] Am Reaktorblock 3 wurde immer noch eine Ortsdosisleistung von 400 mSv/h gemessen. Nach 10 Uhr stieg dann der Strahlungswert an der Geländegrenze auf bis zu 10 mSv/h an[186] (gleichzeitig traten auch aus Block 1 große Dampfmengen aus[225]). Man befürchtete einen Schaden am Sicherheitsbehälter und ließ den gemeinsamen Leitstand von Block 3 und 4 zwischen 10:45 und 11:30 räumen. Die Wassereinspritzung in den Druckbehälter wurde solange unterbrochen.[303]
Vom 15. bis zum 20. März fanden weitere manuelle Druckentlastungen statt.[12]
Behelfskühlung des Abklingbeckens
Neben dem Reaktorkern mussten auch die Brennelemente im Abklingbecken im oberen Bereich des Reaktorgebäudes gekühlt werden. Es bestand die Gefahr, dass die Explosion Lecks verursacht hatte und dass die Brennelemente mangels Kühlwasser überhitzten und Feuer fingen. Die vorhandenen Pumpen konnte man aber nicht nutzen, mangels Stromversorgung oder wegen Explosionsschäden. Stattdessen griff man zu verzweifelt anmutenden Mitteln: Chinook-Hubschrauber der Streitkräfte sollten Wasser aus der Luft abwerfen. Der erste Versuch am Abend des 16. März wurde jedoch wegen zu hoher Strahlungsgefahr für die Piloten abgebrochen.[311]
Am nächsten Morgen unternahm man einen zweiten Anlauf. Die Hubschrauber waren diesmal mit Bleiplatten nach unten abgeschirmt und warfen im Vorbeiflug vier Wasserladungen von je 7,5 Tonnen aus Löschwasserbehältern auf das Reaktorgebäude ab.[312][303][313] Videoaufnahmen zeigen, dass der Abwurf wenig treffsicher war und ein Großteil des Wassers neben dem Reaktorblock niederging oder bereits in der Luft verdunstete. Statt des geplanten Abwurfs von mehreren dutzend Wasserladungen wurde der Versuch abgebrochen.[314]
Die New York Times war der Ansicht, bei den Hubschrauberabwürfen habe es sich vor allem um eine Demonstration von Handlungsfähigkeit für die japanische Bevölkerung und die USA gehandelt. Premierminister Naoto Kan habe danach persönlich mit US-Präsident Barack Obama telefoniert und ihm vom angeblichen Erfolg der Aktion berichtet.[52]
Nach dem Fehlschlag aus der Luft erfolgte der nächste Versuch vom Boden ausgehend: Ein Wasserwerfer der Bereitschaftspolizei und fünf Sonderlöschfahrzeuge der japanischen Streitkräfte spritzten insgesamt etwa 30 Tonnen Wasser auf bzw. in das Reaktorgebäude.[269] Tepco wertete den Versuch als Erfolg: Es sei Dampf aufgestiegen, also habe man das Abklingbecken getroffen.[315] Daher wurde die Kühlung mit Löschfahrzeugen der Streitkräfte in den nachfolgenden Tagen fortgesetzt.[303]
Ab dem 20. März beteiligten sich auch vierzehn hinzugezogene Löschfahrzeuge der Sondereinheit Hyper Rescue Unit der Tokioter Feuerwehr an dem Einsatz.[269] Die Menge an aufgesprühtem Wasser erhöhte sich in den folgenden Tagen auf mehrere hundert Tonnen täglich.[316]
Gefahrensituationen und Kühlmaßnahmen
Am 20. März stieg der Druck in Reaktor 3 nochmals an. Vorübergehend wurden im Sicherheitsbehälter knapp 500 Kilopascal erreicht[159] – angeblich so „wenig“, dass auf ein erneutes Ablassen von kontaminiertem Dampf verzichtet werden konnte.[317][318] In späteren Berichten ist aber von einem (letztmaligen) Öffnen des pneumatischen Druckentlastungsventils gegen 11:25 Uhr die Rede.[12]
Ab dem folgenden Tag um 16 Uhr wurde grauer Rauch beobachtet, der aus den Überresten des Reaktorgebäudes aufstieg. Tepco zog seine Mitarbeiter vorübergehend vom Kraftwerksgelände ab. Der Kühleinsatz mit Löschfahrzeugen und die Arbeiten an der Stromversorgung an Block 3 wurden unterbrochen.[319][320][321] Die Strahlung an der westlichen Geländegrenze stieg um das Zehnfache auf 2 Millisievert pro Stunde.[322] Ab 18 Uhr ließ die Intensität des Rauchs wieder nach, aber ein wenig davon war auch in den folgenden Tagen weiter zu sehen.[307][323]
Am 22. März war Block 3 der erste, dessen Stromversorgung wiederhergestellt wurde; im Leitstand gab es nun wieder eine ordentliche Beleuchtung. Zwei Tage später veröffentlichte Tepco ein Foto, das eine funktionierende Deckenbeleuchtung, aber dunkle Monitore und tote Warnleuchten zeigt. Dazwischen klebt ein Zettel mit der Aufschrift „SBO 3/11 15°39'“, was für „station blackout (Stromausfall) am 11. März um 15:39 Uhr“ stehen könnte.[324][272]
Am 23. und 24. März wurde Meerwasser über das reguläre Kühlsystem ins Abklingbecken eingeleitet.[323]
Am 24. März kam es bei zwei Arbeitern, die Stromleitungen im Untergeschoss des Turbinengebäudes von Block 3 verlegt hatten, zu hohen Strahlenbelastungen an den Füßen, mit Verdacht auf Strahlenverbrennungen.[325] Nachforschungen ergaben, dass sich in dem Gebäude hoch radioaktiv kontaminiertes Wasser angesammelt hatte.[326] Nach Auskunft der NISA handelte es sich dabei offenbar um Wasser aus dem Reaktorkern. NISA-Sprecher Hidehiko Nishiyama sagte, vermutlich sei der Sicherheitsbehälter beschädigt,[327] zog diese Aussage jedoch am gleichen Tag wieder zurück. Die Ursache des Wasseraustritts sei unklar.[328] Teile des Wassers wurden anschließend in einen weiter oben gelegenen Tank umgepumpt.[329]
Ab dem 25. März wurde die Kühlung des Reaktordruckbehälters auf Süßwasser umgestellt.[51] Die Wasserbesprühung des Abklingbeckens übernahm an diesem Tag die Feuerwehr von Kawasaki, mit Unterstützung der Kollegen aus Tokio.[51] Zwei Tage später hatten die Wasserwerfer dann ausgedient; stattdessen kam eine Autobetonpumpe zum Einsatz, die die Tepco-Mitarbeiter angesichts ihres langen Metallrüssels „Elefant“ tauften,[330] später dann „Giraffe“.[331] Ab dem 29. März wurde Süß- statt Meerwasser versprüht.[227]
Ende März ging die Aufsichtsbehörde davon aus, dass der Druckbehälter des Reaktors undicht sei. Vermutlich würden Gase durch ermüdete Ventile, Rohrverbindungen oder Dichtungen aus dem Behälter entweichen.[68]
Am 12. April wurde der Sprüharm der Betonpumpe mit einer Kamera versehen. Nach Beobachtung des Wasserstands schloss Tepco nennenswerte Lecks am Becken aus. Aus weiteren Berechnungen folgte, dass der Wasserstand zu keinem Zeitpunkt in einen kritischen Bereich zu fallen drohte. Die riskanten Hubschrauber- und Wasserwerfereinsätze wären demnach nicht nötig gewesen,[36] und die Theorie einer Nuklearexplosion im Abklingbecken nicht mehr haltbar.
Am 26. April stellte Tepco die Wassereinspeisung in das Abklingbecken ein weiteres Mal um. Nun kam wieder eine reguläre Einspritzleitung zum Einsatz (das fuel pool coolant clean-up system).[332]
Instabiler Reaktor und kontaminiertes Wasser
Die Aktivität von Reaktor 3 hatte seit Mitte März stetig abgenommen. Ende April verringerte Tepco die Menge des in den Reaktor eingespeisten Wassers ein wenig. Daraufhin begann die Temperatur am Druckbehälter stark anzusteigen (siehe Grafik). Tepco reagierte mit einer um 30 Prozent höheren Kühlwassermenge, was den Temperaturanstieg an einigen Stellen des Druckbehälters beendete, während andere Stellen sich weiter erhitzten.[333] Der Kraftwerksbetreiber vermutete, dass Teile des Kühlwassers gar nicht im Reaktor ankamen, sondern durch eine abzweigende Leitung entschwanden, und verdoppelte die Wassermenge unter Zuhilfenahme einer weiteren Zugangsleitung.[334] Damit bekam man die Situation in den Griff; die Reaktortemperatur fiel wieder zurück in unkritische Bereiche.[335]
Auch bei Block 3 wurden nun sehr hohe Radionuklidkonzentrationen im Wasser des Abklingbeckens festgestellt. Die 131Iod-Konzentration war zu hoch für gelagerte Brennelemente. Tepco erklärte dies damit, dass bei der Explosion am 14. März aus dem Reaktor ausgetretene Stoffe in das Abklingbecken geschleudert worden seien.[123] Da das Becken vollständig mit Schutt bedeckt ist, lässt sich der Zustand der Brennelemente bislang nicht überprüfen[336][36] (Stand: Ende 2011).
Am 11. Mai stellte Tepco fest, dass auch an Block 3 – so wie zuvor schon an Block 2 – hoch kontaminiertes Wasser aus einem Kabelschacht ins Meer floss, offenbar erst seit wenigen Tagen. Das Leck wurde mit Textilmaterial und Beton verschlossen,[337][118] aber Messwerte deuteten auf einen weiteren Abwasseraustritt ins Meer hin.[125] Man versuchte, den Lecks mit dem Abpumpen von Wasser aus dem Turbinengebäude den Zufluss zu entziehen,[44] aber nach einer Woche war nicht mehr genügend Platz im Abfalllager vorhanden.[70] Bis zur Inbetriebnahme der Abwasser-Dekontaminationsanlage in der zweiten Junihälfte behalf man sich mit weiteren Provisorien wie dem Abpumpen in einen Kondenswassertank im Turbinenhaus.[338]
In der Nacht vom 13. zum 14. Juni zeigte die Tepco-Webcam einen heftigen Dampfausbruch aus Block 3.[339]
Absicherung von Block 3
Ab Ende Mai leitete Tepco zusammen mit dem Kühlwasser auch Hydrazin als Korrosionsschutzmittel in das Abklingbecken ein.[340][128] Im Juni wurde ein neues, geschlossenes Kühlsystem installiert[341] und mit Borsäure versetztes Wasser eingeleitet. Der pH-Wert des Wassers im Abklingbecken war auf 11,2 gestiegen, vermutlich durch Auflösung von Betonschutt, und das basische Wasser drohte, die aus Aluminium bestehenden Brennelement-Lagergestelle zu zerstören.[342]
Anfang Juli wurde das Reaktorgebäude dekontaminiert, um anschließend (ab Mitte Juli 2011)[343] Stickstoff in den Sicherheitsbehälter einzuleiten. Das Abräumen von radioaktivem Schutt übernahm ein Roboter.[344]
Um die Reaktorkühlung weiter zu verbessern, begann Tepco Anfang September 2011 mit der Wassereinleitung über das Core Spray System (Kernsprühsystem).[345]
Schäden an Block 3
Im Juli 2017 gelang es erstmals einem schwimmenden Aufklärungsroboter in den Reaktor vorzudringen und verwertbare Aufnahmen zu liefern. In sechs Metern Wassertiefe befindet sich demnach eine bis zu einem Meter dicke, erkaltete Schlackeschicht, bei der es sich nach Experteneinschätzung vermutlich um Corium handelt, also einer Mischung, die aus geschmolzenen Metallteilen, zerfallenen Hüllen von Brennstäben und dem nuklearen Treibstoff selbst besteht.[346]
Reaktorblock 4
Reaktorblock 4 war seit dem 29. November 2010 wegen Instandsetzungsarbeiten an der Hülle des Reaktordruckbehälters außer Betrieb. Daher befanden sich zum Zeitpunkt des Bebens im Inneren des Reaktors keine Brennelemente. Diese lagerten stattdessen im Abklingbecken im Inneren des Reaktorgebäudes, dessen Kapazität dabei zu 97 Prozent ausgenutzt wurde.[12] Da die Brennelemente erst relativ kurz zuvor in Verwendung waren, produzierten sie besonders viel Nachzerfallswärme.
Wegen Wartungsarbeiten waren auch einer der beiden Notstromgeneratoren und Teile der Reaktordatenaufzeichnung außer Betrieb.[12]
Kühlungsausfall, Explosion und Brände
Der eine verbliebene Notstromgenerator fiel durch Überschwemmung aus und damit auch die Kühlung des Abklingbeckens;[12] die Wassertemperatur stieg an. Bis zum 14. März erreichte sie 84 °C; anschließend fiel das System zur Temperaturmessung aus.[347] Mit weiterer Erhitzung des Beckens begann das Kühlwasser vermutlich zu kochen und zu verdampfen;[348] außerdem befürchtete man einen Wasserverlust durch Gebäudeschäden und Lecks nach der Explosion von Block 3. Es bestand die Gefahr, dass die Brennelemente teilweise freilagen und sich so weit erhitzten, dass Wasserstoff freigesetzt werden konnte.[349]
Am 15. März gegen 6 Uhr ereignete sich im Reaktorgebäude von Block 4 eine Explosion, die den Großteil der oberen zwei Geschosse und weitere Außenwände zerstörte.[12][350] Beobachter wie die IAEO erklärten dies damit, dass im Abklingbecken Wasserstoff entstanden und als Knallgas explodiert sei.[202][14] Später kamen Tepco und die NISA zu dem Ergebnis, dass wahrscheinlich Wasserstoff aus Block 3 durch verbundene Lüftungsrohre nach Block 4 gelangt und dort explodiert war.[12] Hierfür sprachen Videoaufnahmen, die intakte Brennelemente im Abklingbecken zeigten,[351] Wasseranalysen[352] und besonders große Schäden im Bereich der Lüftungsrohre.[353]
Nach der Explosion trieben mehrere Stunden lang schwarze Rauchschwaden aus Block 4 gen Westen.[225] Um 9:38 Uhr wurde ein Feuer im dritten Obergeschoss des Reaktorgebäudes gemeldet.[354] Laut IAEO brannte es im Abklingbecken;[14] wahrscheinlicher ist jedoch ein Ölbrand.[355] Die Strahlung auf dem Gelände stieg vorübergehend stark an und erreichte an der Geländegrenze einen Rekordwert von 12 mSv/h,[186] was auch im Zusammenhang mit der in etwa gleichzeitigen mutmaßlichen Explosion in Block 2 stehen kann.
Als ein Team der United States Army zusammen mit der Werkfeuerwehr gegen 11 Uhr anrückte, war der Brand bereits von alleine verloschen.[12]
Die amerikanische Atomaufsichtsbehörde NRC bezeichnete die Situation von Block 4 als die kritischste von allen Blöcken.[356]:ab 17:55 In den Medien wurde über einen möglichen Kritikalitätsstörfall im Abklingbecken spekuliert,[357][358] in dem sich über 200 Tonnen Brennelemente befanden. Bei einem solchen Verlauf kann es durch Wiedereinsetzen der nuklearen Kettenreaktion zu einer umfangreichen Freisetzung von radioaktivem Material kommen. Die NRC schätzte, dass im schlimmsten Fall 200.000 Menschen durch Strahlung getötet hätten werden können.[356]:ab 17:55 Der Nuklear-Energie-Experte Arnold Gundersen sagte, Japan wäre in zwei Hälften geteilt worden.[356]:ab 20:05 Es hätte einen 50 Kilometer breiten Streifen quer durch Japan gegeben, sodass Menschen nicht mehr von Norden nach Süden gekommen wären.[356]:welche Minute? Tepco bestreitet größere Beschädigungen des Abklingbecken und verweist auf die funktionierende Kühlung.[356]:ab 17:55
Am Abend des 15. März wies der Wirtschaftsminister den Kraftwerksbetreiber an, Wasser in das Abklingbecken einzuleiten.[269] Dieser teilte mit, eine Wassereinleitung in das Abklingbecken sei noch nicht möglich.[359][347] Laut Presseberichten waren die Zufahrtswege zu Block 4 versperrt, und eine neue Zufahrt war noch in Arbeit.[360]
Am späten Abend stieg die Strahlung auf dem Gelände erneut stark an. Am nachfolgenden Tag wurde um 5:45 Uhr wieder ein Feuer in Block 4 beobachtet, welches jedoch um 6:15 Uhr nicht mehr nachweisbar war.[361] Auf einem kurz danach aufgenommenen Satellitenfoto fehlen große Teile der Hülle des Reaktorgebäudes. Später veröffentlichte, hochauflösende Fotos zeigen verschieden starke Schäden je nach Gebäudeseite und Stockwerk.[9]
Behelfs- und Zufallskühlung des Abklingbeckens
Da das Abklingbecken nicht vom Boden aus gekühlt werden konnte und der Wasserabwurf per Hubschrauber erfolglos war,[314] konzentrierten sich die weiteren Versuche mit Wasserwerfern auf den rauchenden Block 3.[362] Deswegen kam es zu einem Streit zwischen dem Vorsitzenden der US-amerikanischen Atomaufsicht NRC, Gregory Jaczko, und Tepco. Jaczko sagte, dass im Abklingbecken von Block 4 kein Wasser mehr vorhanden sei, während Tepco behauptete, dass beim Hubschrauber-Vorbeiflug Wasser ausgemacht worden sei.[363][364] US-Experten diskutierten über mögliche Lecks.[365][366] Drei Monate später gestand die NRC ein, dass Jaczko sich geirrt hatte.[367] Im März 2013 jedoch gab der Ingenieur Atsufumi Yoshizawa von Tepco, der ein Mitglied der Einsatzkräfte vor Ort gewesen war, in einem Zeitungsinterview an, dass das Abklingbecken mit den Brennstäben zum damaligen Zeitpunkt ausgetrocknet war und die Gefahr einer möglichen Kernspaltungsreaktion bestanden hätte.[368] Eine im Mai 2016 veröffentlichte Untersuchung der National Academy of Sciences bestätigte, dass nur ein ungewolltes Leck zum angrenzenden Flutraum für einen erneuten Zufluss von Wasser gesorgt und einen katastrophalen Brand der Brennstäbe verhindert habe.[369][177]
Am 20. März um 8:21 Uhr begann auch bei Block 4 das Wassereinspritzen ins Abklingbecken mit Hilfe von Löschfahrzeugen der Streitkräfte.[269] Ab dem 22. März wurde statt der Löschfahrzeuge eine in Deutschland gebaute Autobetonpumpe eingesetzt, um täglich etwa 150 Tonnen Wasser auf das Becken zu sprühen.[227][370]
Ab dem 27. März wurde das Abklingbecken nicht mehr täglich, sondern im Abstand von mehreren Tagen mit Wasser aus der Betonpumpe gekühlt. Am 30. März wurde von Meer- auf Süßwasser umgestellt.[227]
- April 2011
Am 13. April veröffentlichte, erste Wasseranalysen aus dem Abklingbecken zeigten ungewöhnliche Konzentrationen von 131I, 134Cs und 137Cs (siehe Tabelle der Wassermesswerte der Abklingbecken), die durch leichte Schäden an den gelagerten Brennelementen erklärbar sind.[371][352] Wahrscheinlicher ist jedoch der Eintrag radioaktiver Emissionen aus Block 1 bis 3.[36] Neben der Probenentnahme wurde auch die Wassertemperatur gemessen. Sie belief sich auf 90 °C, weit über dem normalen Höchstwert von 40 °C. Bis zu diesem Zeitpunkt waren insgesamt 1.800 Tonnen Wasser auf Reaktorblock 4 gesprüht worden.[372]
Um die Temperatur zu senken, wurde mehr Wasser eingeleitet und damit der Wasserstand (oberhalb der Brennelemente) erhöht. Daraufhin machte Tepco sich Sorgen um die Stabilität des Beckens, weil die Betonstruktur des Reaktorgebäudes durch eine der Explosionen im März geschwächt worden war, und reduzierte den Wasserstand wieder.[232] Dies reichte wiederum nicht zur Kühlung aus; daher wurde sie auf eine automatische, temperaturabhängige Regelung umgestellt.[373]
Beobachtungen des Wasserstands und weitere Untersuchungen ergaben, dass vermutlich kein nennenswertes Leck vorhanden ist, und dass die Brennelemente zu jedem Zeitpunkt vollständig mit Wasser bedeckt waren.[36]
- ab Mai 2011
Ab Mitte Mai injizierte Tepco zusammen mit dem Kühlwasser auch Hydrazin als Korrosionsschutzmittel in das Abklingbecken.[374][375][128] Unter dem Becken wurden betonummantelte Sprieße zur Stabilisierung eingezogen.[36]
Ende Juli begann die Inbetriebnahme eines neuen Kühlkreislaufs für das Abklingbecken.[376]
Reaktorblöcke 5 und 6
Die Blöcke 5 und 6 befanden sich während des Erdbebens wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb, waren jedoch schon wieder mit Kernbrennstäben bestückt. In Block 5 fanden gerade Drucktests am Reaktordruckbehälter statt.[12]
Sowohl für die Reaktorkerne als auch für die Abklingbecken in den Reaktorgebäuden wurde und wird eine andauernde Kühlung benötigt. Block 6 basiert auf einem neueren, anders aufgebauten Reaktormodell als die übrigen Fukushima-I-Blöcke (siehe auch: Daten der Reaktorblöcke).
Von insgesamt fünf Notstromgeneratoren in den Blöcken 5 und 6 überstand einer in Block 6 den Tsunami. Trotzdem fiel in beiden Blöcken die Kühlung der Reaktoren und Abklingbecken aus, weil der Tsunami – wie auch bei Block 1 bis 4 – die Meerwasserpumpen zerstört hatte.[12] In beiden Reaktoren wurden Druckentlastungen der Druckbehälter vorgenommen; in Block 5 mussten die Ventile dazu mangels Stromversorgung von Hand geöffnet werden. Die Stickstoffeinspeisung in den Sicherheitsbehälter von Reaktor 5 fiel aus und wurde von Hand wiederhergestellt.[36]
Über diese Probleme wurde zunächst nichts öffentlich bekannt. Erst am 15. März informierte Regierungssprecher Edano darüber, dass auch in Block 5 und 6 die Kühlung nicht richtig funktioniere.[377] Zu diesem Zeitpunkt hatte man bereits damit begonnen, Notkühlsysteme beider Reaktoren mit dem Generator von Block 6 zu betreiben. Die Reaktorkühlung war damit sichergestellt.[12] Die Wasserstände lagen in einem sicheren Bereich, zwei bis zweieinhalb Meter oberhalb des Reaktorkerns.[378][379]
Die Abklingbecken blieben dagegen zunächst weiter ungekühlt. Bis zum 15. März waren die Wassertemperaturen dort bereits aus dem Normalbereich von unter 40 °C auf rund 60 °C angestiegen.[380] Am 19. März erreichten sie Höchstwerte von rund 67 °C[381] (siehe auch: Tabelle der Temperaturen in den Abklingbecken von Block 5 und 6).
Am 18. März stiegen Arbeiter auf die Dächer der beiden Reaktorgebäude und bohrten vorsorglich jeweils drei ca. 3,5 bis 7 Zentimeter große Entlüftungslöcher in die Betondecken, um das Risiko von Knallgasexplosionen zu verringern.[36]
Am 19. März gingen an beiden Blöcken provisorische Ersatz-Meerwasserpumpen in Betrieb, die ebenfalls von dem verbliebenen Dieselgenerator von Block 6 mit Strom versorgt wurden. Damit konnte die reguläre Kühlung für die Reaktoren und Abklingbecken wiederhergestellt werden.[12] In beiden Abklingbecken fiel die Wassertemperatur bereits am nächsten Tag wieder unter 40 °C[382] und pendelte sich anschließend zwischen 20 und 40 °C ein.[383] Beide Blöcke erreichten am 20. März erstmals seit Beginn der Störfälle wieder den stabilen, abgeschalteten Betriebszustand „kalt, unterkritisch“ (cold shutdown),[384] nachdem auch in den Reaktoren die Wassertemperaturen wieder in den Normalbereich gefallen waren.[385]
Am 21. März wurde die Stromversorgung von Block 5 von Not- auf Netzstrom umgestellt, am 22. März folgte Block 6.[383]
Ab dem 4. April pumpte Tepco radioaktiv kontaminiertes Sickerwasser ins Meer, das sich in Drainageschächten[386] von Block 5 und 6 angesammelt hatte. Durch die überfüllte Drainage war bereits Wasser in die Gebäude gelaufen.[25] Nach Protesten von Nachbarstaaten wurde das Ableiten von kontaminierten Wasser ins Meer am 10. April eingestellt, ab Mai wurde stattdessen regelmäßig Wasser aus dem Untergeschoss des Turbinenhauses von Block 6 in provisorische Tanks abgepumpt.[95] Von dort bewegte man das Wasser im Juli weiter in einen schwimmenden 10.000-Kubikmeter-Tank auf dem Meer. Später wurden Teile davon dekontaminiert, entsalzt und ab Oktober 2011 auf dem Kraftwerksgelände versprüht.[387][388]
Zentrales Abklingbecken
Das zentrale Abklingbecken befindet sich in einem separaten Gebäude neben dem Reaktorgebäude 4 und benötigt ebenfalls eine Stromversorgung zur Kühlung. Auch hier gab es Probleme nach dem völligen Stromausfall: Trotz zeitweisen Versuchen durch Tepco, das Becken mit Wasserwerfern zu kühlen[389], stieg die Temperatur von ungefähr 30 °C am 11. März[12] über 55 °C am 18. März 2011[390] bis auf 73 °C am 24. März.[391] Nachdem am 24. März die Stromversorgung wiederhergestellt werden konnte,[392] sank die Temperatur bis zum 27. März unter 40 °C,[187] fiel in den nachfolgenden Tagen weiter und pendelte sich wieder um 30 °C ein.[393][394]
Eine Analyse des Wassers im Becken ergab am 14. Mai 2011 erhöhte Caesium-Konzentrationen.
Einschätzung der Gesundheitsrisiken
Eine 2015 veröffentlichte Übersichtsarbeit trug Schätzungen bezüglich der Morbidität und Mortalität aus sechs Publikationen zusammen. Die Schätzungen basieren alle auf dem LNT-Modell. Forscher der Universität Stanford (Ten Hoeve & Jacobson, 2012) schätzten die weltweiten Gesundheitsfolgen auf 130 (15-1100 als unterer und oberer Unsicherheits-Wert) krebsbedingte Todesfälle und 180 (24-1800) krebsbedingte Erkrankungen, 90 % davon in Japan. Darüber hinaus seien bis zu 600 Todesfälle infolge der Evakuierung aufgetreten.[395] Evangeliou et al. (2014) schätzten die Zahl der Krebserkrankungen auf 230-850 und die Zahl der krebsbedingten Todesfälle auf 120-650. Zusammen mit 610 durch Belastungen von Arbeitern und Zwangsevakuierungen verursachten Fällen ergäben sich so insgesamt 730-1260 Tote.[396] Aliyu et al. (2015) fassen vorliegenden Studien zusammen, ohne auf ein definiertes Ergebnis zu kommen.
Laut dem UNSCEAR-Bericht von 2013 wurden bis zu diesem Zeitpunkt keine strahlungsbedingten Todesfälle oder akuten Erkrankungen beobachtet. Die von der Bevölkerung erhaltenen Strahlendosen waren generell gering bis sehr gering, und ein Anstieg von strahlenbedingten Erkrankungen sei nicht erwartbar. Für zwölf Arbeiter, die sehr hoher Strahlung (Schilddrüsendosen von 2 bis 12 Gy) ausgesetzt waren, sei ein erhöhtes Risiko von Schilddrüsenkrebs und -störungen erwartbar. Für 160 weitere Arbeiter, die Dosen über 100 mSv erhielten, sei ein erhöhtes Krebsrisiko erwartbar, wenngleich eine Feststellung aufgrund statistischer Fluktuationen sehr schwierig sei. 2011 begann eine großangelegte Untersuchung der lokalen Bevölkerung (Fukushima Health Management Survey), die über 30 Jahre die über 2 Mio. Menschen, die zum Zeitpunkt des Unfalls in der Fukushima Präfektur lebten, abdeckt. Dazu zählen Schilddrüsenuntersuchungen von 360.000 Kindern (bis 18 Jahre). Die erste Runde der Untersuchungen fand eine erhöhte Rate von Knötchen, Zysten und Krebsfällen, was jedoch aufgrund der verwendeten Messmethode erwartet wurde. Die Anwendung der Messmethode in anderen Gebieten, die nicht von dem Unfall betroffen waren, resultierte ebenfalls einer größeren Zahl von Befunden, was darauf hinweist, dass ein möglicher Anstieg in der Fukushima Präfektur nicht mit radioaktiver Strahlung in Zusammenhang steht.[397] UNSCEAR veröffentlichte 2015 ein White Paper, in dem sie die in der Zeit seit dem Bericht von 2013 erschienenen 80 Studien auswerteten. Demnach ändere keine dieser Studien die zentralen Schlussfolgerungen des Berichts von 2013.[398]
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte 2013 eine Studie zur Einschätzung der Gesundheitsrisiken durch den Unfall. Der Studie zufolge seien außerhalb der am stärksten betroffenen Gebiete keine erhöhten Krebsraten zu erwarten. Deterministische Strahlenschäden seien nicht zu erwarten, da die Strahlendosen in der Präfektur Fukushima weit unterhalb kritischer Werte lagen. Auch seien die Strahlendosen zu gering, um Schwangerschaften negativ zu beeinflussen. In den zwei am stärksten betroffenen Orten in der Präfektur wurden – unter der Annahme, dass die Betroffenen sich ausschließlich von vor Ort produzierten Lebensmitteln (einschließlich die Grenzwerte überschreitender Lebensmittel) ernährten und eine Umsiedlung erst nach 4 Monaten erfolgte – Dosen von 12 bis 25 mSv geschätzt. In dem am stärksten betroffenen Ort ergeben pessimistische Schätzungen unter Zugrundelegung des LNT-Modells einen Anstieg des relativen Risikos, an Krebs zu erkranken, wie folgt:[399]
- + % Leukämie: im ersten Lebensjahr belastete Männer 7
- + % Brustkrebs: im ersten Lebensjahr belastete Frauen 6
- + % Solide Tumore: im ersten Lebensjahr belastete Frauen 4
- +70 % Schilddrüsenkrebs: im ersten Lebensjahr belastete Frauen (da das Basisrisiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, bei 0,75 % liegt, ergibt sich für diese Population ein absoluter Risikoanstieg von einem halben Prozentpunkt)
In dem am zweitstärksten betroffenen Ort halbieren sich diese Risiken. Für im Kindes- oder Erwachsenenalter belastete Menschen ergeben sich außerdem niedrigere Risiken. In schwächer betroffenen Orten in der Präfektur sinken die Risiken auf ein Viertel oder ein Drittel der Risiken am stärksten betroffenen Ort. Abgesehen von Krebserkrankungen könnten sich auch andere Schilddrüsenstörungen für Rettungsarbeiter ergeben, die eine größere Menge radioaktiven Jods eingeatmet haben.[399]
Zudem erhöhte sich bei den Evakuierten die Zahl der psychischen Störungen erheblich. Untersuchungen ergaben, dass unter Evakuierten die Zahl der psychischen Erkrankungen auf 15 % anstieg, zudem berichteten 70 % der Evakuierten über Schlafstörungen. Diese Werte waren damit gegenüber dem japanischen Durchschnitt (3 % psychische Erkrankungen, 15 % Schlafstörungen) ca. um den Faktor 5 erhöht. Zudem nahmen unter den Evakuierten auch Übergewicht und Diabetes-Raten deutlich zu. Unter evakuierten Senioren stiegen die Todesraten in den ersten drei Monaten nach der Evakuierung auf das Dreifache gegenüber dem Wert vor der Katastrophe an; später fielen sie auf das 1,5-Fache.[400]
Mitarbeiter im Kraftwerk
Insgesamt wurden zur Bewältigung der Katastrophe bis zum Oktober 2013 rund 25.000 Arbeiter eingesetzt. Die Strahlenbelastung dieser Arbeiter wurde im Oktober 2013 in einem UN-Bericht um etwa 20 % nach oben korrigiert. Ursächlich hierfür war, dass viele der rund 25.000 Arbeiter erst mit einer Zeitverzögerung untersucht worden seien, sodass insbesondere die Strahlenbelastung der nur kurzlebigen Jod-Isotope nicht mehr erfasst werden konnte. Dies hatten die von Tepco und japanischen Behörden herausgegebenen Berichte nicht berücksichtigt.[401]
Strahlungsbelastungen
Nach Informationen der Tagesschau wurden bis zum 16. März mindestens 20 Arbeiter „verstrahlt“.[402] Wie später bekannt wurde, erhielt außerdem eine Frau eine Strahlendosis von rund 18 Millisievert (mSv), bei einem Grenzwert für Frauen von 5 mSv pro Dreimonatszeitraum.[88] Der Grenzwert für männliche Kraftwerksarbeiter in Notfallsituationen war am 15. März von 100 auf 250 mSv pro Jahr heraufgesetzt worden.[403]
Am 24. März ignorierten drei Arbeiter, die Stromleitungen im Untergeschoss des Turbinengebäudes von Reaktorblock 3 verlegten, den Alarm ihrer Dosimeter, und erhielten Strahlenbelastungen von 170 bis 180 Millisievert. Obwohl Tepco bekannt war, dass es an ähnlicher Stelle in Block 1 hoch radioaktives Wasser gab, waren die Arbeiter nicht gewarnt worden.[404][325] Zwei von ihnen trugen keine Schutzstiefel – die Arbeitsvorschriften des zuständigen Fremdunternehmens sahen dies nicht vor[405] – und erhielten lokale Strahlendosen an ihren Füßen von 2 bis 3 Sievert.[406] Eine Untersuchung ergab, dass keine medizinische Behandlung notwendig war; eine Nachuntersuchung am 11. April durch das japanische Nationale Institut für Radiologische Wissenschaften war ohne Befund.[406]
Vom 11. bis zum 31. März waren nach Tepco-Angaben 80 eigene und 19 Mitarbeiter von Fremdfirmen Strahlungen und Kontaminationen mit einer Entsprechung von über 100 mSv ausgesetzt, davon 14 zwischen 150 und 200 mSv, 4 zwischen 200 und 250 mSv und 6 über 250 mSv.[407] Diese Zahlen sind unvollständig, weil in den ersten drei Tagen nach dem Stromausfall die Dosimeterablesung nicht funktionierte[39] und weil es zeitweise an Dosimetern mangelte.[408] Die durchschnittliche äußere Belastung von mehreren tausend getesteten Arbeitern gab Tepco mit 13,7 mSv an; für die innere Belastung errechnet sich ein Durchschnitt von 8,9 mSv. Diese innere Belastung versteht sich als langfristige Strahlendosis aus den vom Körper aufgenommenen Radionukliden.[407] Ein erheblicher Teil davon fiel wegen der hohen 131I-Belastung im März kurzfristig an.
Bei zwei der hoch belasteten Arbeiter wurden 131I-Aktivitäten in der Schilddrüse von 7690 beziehungsweise 9760 Becquerel festgestellt.[409] Die daraus entstandenen internen Strahlungsbelastungen lagen bei 540 beziehungsweise 590 mSv, die Gesamtdosen bei 643 bzw. 678 mSv.[410] Beide waren während der ersten drei Unfalltage im gemeinsamen Leitstand von Block 3 und 4 tätig gewesen und hatten keine Jodtabletten genommen.[411]
Seit April traten laut Tepco keine Belastungen über 100 mSv mehr auf und seit August keine Belastungen über 50 mSv (Stand: Oktober 2011).[412]
Nicht-nukleare Unfälle
Durch das Erdbeben wurden laut NISA fünf Mitarbeiter leicht verletzt. Ein weiterer brach sich beide Beine und einer erlitt einen Herzinfarkt. Zwei Personen wurden nach dem Beben vermisst und drei Wochen später im Keller eines Turbinenhauses tot aufgefunden.[406]
Die Explosion des Reaktorgebäudes 1 am 12. März und der dabei entstandene Rauch verletzten laut NISA vier Personen leicht. Ein weiterer Mitarbeiter erlitt an diesem Tag einen Schlaganfall.[406]
Durch die Explosion in Reaktorblock 3 am übernächsten Tag wurden nach NISA-Angaben elf Personen leicht verletzt, darunter vier Mitglieder der Streitkräfte.[406] Ein Bericht des Daily Telegraphs, bei der Explosion seien sechs Mitarbeiter der Japanese Central Nuclear Biological Chemical Weapon Defence Unit unter den Trümmern begraben worden,[306] blieb unbestätigt.
In der nachfolgenden Zeit meldete die NISA verschiedene, überwiegend kleinere Verletzungen und Erkrankungen, die mit Arzt- oder Krankenhausbesuchen verbunden waren: Mehreren Arbeitern wurde unter den Atemschutzmasken unwohl, einer stolperte daher und verletzte sich am Knie, einer erlitt eine Augenverletzung durch austretendes Kühlwasser an einer Betonpumpe und ein anderer verletzte sich beim Fall von einer Leiter.[406]
Am 14. Mai wurde ein 60-jähriger Arbeiter beim Tragen von Material im Abfallentsorgungsgebäude bewusstlos und verstarb. Eine radioaktive Kontamination lag nicht vor;[413] die Ärzte vermuteten einen Herzinfarkt.[414]
Personen außerhalb des Kraftwerks
Nach einem Bericht der Mainichi Daily News wurden während der Evakuierung am 12. März 90 bettlägerige, komatöse oder anderweitig unselbstständige Patienten im Futaba-Krankenhaus in Ōkuma zurückgelassen. Die Hälfte davon – überwiegend ältere Menschen – verstarb vor, während oder nach der verspäteten Evakuierung ab dem 15. März.[415] Laut einer Dokumentation der japanischen Rundfunkgesellschaft NHK starben insgesamt 50 bettlägerige Patienten des Krankenhauses.[416]
Die Medien berichteten über Suizide, die in Zusammenhang mit der Evakuierung oder den wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe stehen sollen.[417][418]
- Spätfolgen durch Strahlung
Bei Aufnahme zusätzlicher Strahlungsdosen erhöht sich das statistische Risiko einer Krebserkrankung. Wissenschaftler gingen in ersten Schätzungen langfristig von ca. 100 bis 1000 zusätzlichen Krebsfällen infolge der Nuklearunfälle aus. Dies entspricht einem um 0,01 bis 0,1 Prozent erhöhten Krebsrisiko in den kontaminierten Gebieten.[419][420] Diese Zahlen könnten zu gering sein, um sie statistisch nachzuweisen.[421]
Auf der USS Ronald Reagan, die zu einem Hilfeeinsatz in der Region abkommandiert und infolge von Strahlenbelastung später auch dekontaminiert worden war, wurden bei Besatzungsmitgliedern bis Ende 2013 71 schwere Erkrankungen diagnostiziert, davon 51 Krebsfälle. Da die Nuklearkatastrophe von Fukushima als Ursache für die Erkrankungen gilt, wurde von den Besatzungsmitgliedern Klage gegen Tepco eingereicht.[422][423][424] 2020 wurde die Klage vom 9th U.S. Circuit Court of Appeals abgewiesen[425].
In der Präfektur Fukushima wurden seit dem Unfall bis März 2015 total 103 Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern registriert.[426] Diese Krebsart gilt als spezifisch für Kernkraft-Unfälle, weil das in der Akutphase freigesetzte radioaktive Iod-131 sich vor allem in der bei Kindern noch kleinen Schilddrüse akkumuliert und sie so schädigt.[427] Jedoch konnte ein Zusammenhang zwischen individueller Strahlenbelastung und einem erhöhten Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, nicht festgestellt werden. Der Anstieg der festgestellten Fälle wird daher auf verbesserte Untersuchungsmethoden (Screening-Effekt) zurückgeführt.[428]
Kontaminationen
Durch die Druckentlastungen und Behelfskühlung der Reaktoren und die Überhitzung der Abklingbecken kam es in den ersten Tagen der Unfallserie zu einem massiven Austritt von radioaktivem Material in die Atmosphäre (→ siehe auch: Gesamtabschätzungen der Freisetzung in die Atmosphäre). Die Belastung durch radioaktive Partikel und Gase hatte Auswirkungen auf die weitere Umgebung und auf die Rettungsarbeiten nach dem Erdbeben. Gebiete mit besonders hoher radioaktiver Belastung wurden evakuiert.
Der radioaktive Niederschlag kontaminierte landwirtschaftliche Erzeugnisse in den Präfekturen Fukushima und Ibaraki bis zu einem Vielfachen der gesetzlichen Grenzwerte, weshalb das japanische Gesundheitsministerium Verkaufs- und Verzehrverbote für eine Reihe von Nahrungsmitteln erließ.[429]
Auch vor dem Trinken von hoch kontaminiertem Leitungswasser wurde gewarnt.[430] Im 250 Kilometer entfernten Tokyo überschritt die Belastung des Leitungswassers vorübergehend die 131I-Grenzwerte für Kleinkinder.[431]
Während die Strahlungsbelastung in der japanischen Präfektur Fukushima in der zweiten Märzhälfte wieder nachließ, rief die Europäische Union einen „radiologischen Notstand“ aus.[432] Dadurch wurden die normalen Grenzwerte für radioaktiv kontaminierte Lebensmittel durch höhere Werte ersetzt, die nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl für solche Situationen festgelegt worden waren.[433][434] Zwei Wochen später setzt die EU die Grenzwerte für Japan-Importe wieder herunter.[435]
Im April wurde das Meer in erheblichem Maße durch radioaktive Stoffe belastet, teils durch Partikel aus der Luft, vor allem aber durch radioaktive Abwässer, die durch die laufende Kühlung der Reaktoren und Abklingbecken entstanden und durch Drainagen[25] und Schächte[436][79] ins Meer abflossen (→ siehe auch: Gesamtabschätzungen der Schadstofffreisetzung ins Meer).
Nahe dem Kraftwerk wurden die gesetzlichen Grenzwerte für radioaktives Iod und Caesium im Meerwasser vorübergehend um das 50.000- bis 200.000fache überschritten. Leichte Grenzwertüberschreitungen für 131I wurden in Entfernungen bis zu 30 Kilometer vom Kraftwerk nachgewiesen,[24] bei radioaktivem Caesium in bis zu 15 Kilometern.[437] Der Fischfang musste teilweise eingestellt werden.[438] Mit verschiedenen Maßnahmen konnte der Schadstoffaustritt dann in der zweiten Aprilhälfte auf einen Bruchteil eingedämmt werden. Die 131I-Konzentration des Wassers in Kraftwerksnähe lag ab Ende April unter dem gesetzlichen Grenzwert, die 134Cs- und 137Cs-Konzentration ab Anfang Juni. Die bereits ausgetretenen Schadstoffe sammelten sich jedoch in bedenklichem Ausmaß in Algen und am Meeresboden an.
Die hauptsächlich während der ersten Unfallwochen freigesetzten radioaktiven Stoffe verursachten weitere Kontaminationen in der Präfektur Fukushima und im Umland. In der Zeit von Mai bis Juli 2011 wurden Grenzwertüberschreitungen bei Teeblättern[235] und Bambussprossen festgestellt,[439] bei Viehfutter und bei Rindfleisch.[440] Teile davon waren bereits in den Handel gelangt und verkauft worden.[35][441] Experten gehen davon aus, dass in den besonders stark betroffenen Gebieten im Osten und Nordosten Landwirtschaft auf Jahrzehnte unmöglich sein wird.[356] Erhöhte Radioaktivität wurde auch bei mehreren zehntausend Tonnen Klärschlamm und mehreren hundert Tonnen Asche aus Müllverbrennungsanlagen gemessen; die Entsorgung stellte Japan vor logistische Probleme.[442][443]
Die Emissionen insbesondere von 134Cs und 137Cs dauern an, in mehrmillionenfach geringerem Ausmaß als während der ersten Unfallwoche (Stand: August 2011; siehe Gesamtfreisetzung durch die Nuklearunfälle von Fukushima). Im Umkreis von 45 Kilometer wurde auch Plutonium gefunden. Die Strahlenbelastung innerhalb der 100 km Zone entspricht ungefähr der 1000fachen Menge, wie sie bei den Atombombentests 1963 gemessen wurden.[356] Im Meer vor dem Kraftwerk kann Tepco seit August 2011 keine nennenswerte Radioaktivität mehr nachweisen.
Am 19. Juni 2013 räumte Tepco ein, dass das Grundwasser nahe dem Turbinengebäude von Reaktor 2 hohe Werte der radioaktiven Stoffe Strontium 90 und Tritium aufweise. Die Werte für Strontium 90 lägen bei mehr als dem Dreißigfachem des zulässigen Höchstwertes; Tritium sei in achtfach höherer Konzentration als zulässig gefunden worden.[444]
Laut Tepco-Mitteilung vom 9. Juli 2013 stieg die Cäsium-134-Belastung auf 9000 Becquerel pro Liter. Der zulässige Grenzwert liegt bei 60 Becquerel.[445]
Im August 2013 wurde bekannt, dass bereits seit zwei Jahren radioaktiv verseuchtes Wasser in das Meer fließt, zum genannten Zeitpunkt etwa 300 Tonnen täglich. Tepco hatte dies erstmals im Juli 2013 eingeräumt, nachdem zuvor die Nuklearaufsicht die Vermutung geäußert hatte, dass stark radioaktiv kontaminiertes Wasser in Boden und Meer fließe. Ursache hierfür sind Lecks in der Anlage, durch die täglich ca. 400 Tonnen Grundwasser in die Anlage einsickern, dazu kommt bewusst eingeleitetes Kühlwasser. Um das Ausfließen des verseuchten Wassers zukünftig zu verhindern, soll eine Sperre errichtet werden, die im Oktober 2015[veraltet] fertig gestellt sein soll. Die Kosten hierfür werden vom japanischen Staat getragen.[446][447]
Ebenfalls im August 2013 wurde das Austreten von mindestens 300 Tonnen hochbelastetem Reaktorkühlwasser aus einem undichten Auffangbehälter gemeldet.[448] Dabei sei es zum „Austritt einer großen Menge radioaktiver Materie innerhalb der Anlage“ gekommen. Dieses Leck wurde unabhängig von der Bewertung der Zerstörung der Anlage („katastrophaler Unfall“ (Stufe 7)) als Stufe 3 („ernsthafter Zwischenfall“) auf der siebenstufigen INES-Skala bewertet.[449][450] Während die Strahlenbelastung ursprünglich mit 100 Millisievert pro Stunde angegeben wurde, teilte Tepco am 31. August 2013 mit, dass die Werte am Tank etwa 1,8 Sievert pro Stunde erreichen, eine Dosis, die nach 4 Stunden tödlich wirkt. Grund für die späte Entdeckung der hohen Belastung war, dass zuvor Strahlenmessgeräte verwendet wurden, deren Skala nur bis 100 Millisievert reichte. Daher sei die hohe Strahlung erst aufgefallen, als neue Messgeräte verwendet wurden, die Werte bis 10.000 Millisievert erfassen können. Zudem wurde auch an weiteren Tanks deutlich erhöhte Strahlenwerte sowie ein weiteres Leck festgestellt, aus dem belastetes Wasser tropft.[451]
Im Mai 2017 wurde bekannt, dass die Strahlenbelastung innerhalb der zerstörten Kraftwerksblöcke teilweise so hoch ist, dass es auch Probleme mit strahlungsgehärteten Robotern gibt. Diese fallen sehr schnell aus, da sie für eine Strahlenbelastung von ca. 70 Sievert gebaut sind, aber im Reaktorgebäude 530 Sievert pro Stunde gemessen wurden.[452]
Einstufungen auf der INES-Skala
Die siebenstufige Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) dient dazu, die Öffentlichkeit über die sicherheitstechnische Bedeutung kerntechnischer Ereignisse zu informieren.[453]
Die japanische Atomaufsichtsbehörde (NISA) ordnete die Vorfälle in Reaktorblock 1 am 12. März zunächst auf Stufe 4 („Unfall“) ein.[454] Am 18. März erhöhte sie die Einstufung für Block 1 auf Stufe 5 („ernster Unfall“), wählte für Block 2 und 3 ebenfalls Stufe 5 und ordnete die Vorfälle in Block 4 vorläufig als Stufe 3 („ernster Störfall“) ein.[455][456]
Das US-amerikanische Institute for Science and International Security (ISIS) ordnete die Unfallabläufe bereits am 15. März auf Stufe 6 („schwerer Unfall“) ein.[457] Der von der Umweltschutzorganisation Greenpeace beauftragte Physiker Helmut Hirsch kam eine Woche später aufgrund erster, grober Abschätzungen der radioaktiven Emissionen durch das Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire (IRSN)[458] und die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG)[459] zu einer Einordnung in die Höchststufe 7 („katastrophaler Unfall“),[460] so hoch wie die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl.
Am 12. April 2011 veröffentlichte die NISA eine eigene Abschätzung der Gesamtmenge an freigesetztem radioaktivem Material, die ungefähr bei einem Zehntel der Freisetzung von Tschernobyl lag. Anhand dieser Schätzung stufte sie die Unfälle in den Reaktorblöcken 1 bis 3 nun vorläufig („temporarily“) als Stufe 7 ein.[3][461] Später korrigierte sie ihre Schätzung der Emissionen mehrmals, ohne Auswirkungen auf die INES-Einstufung (→ Übersicht Emissionsschätzungen).
Die NISA bewertete die Vorgänge in den einzelnen Reaktorblöcken nach den Kriterien des INES-Benutzerhandbuchs von 2008[462] wie folgt:[3]
Kriterium | Maximal mögliche Stufe |
Einstufung Block 1, 2 und 3 |
Einstufung Block 4 |
Einstufung Block 5 und 6 |
---|---|---|---|---|
1. Menschen und Umwelt | 7 | Stufe 7 | noch nicht festgelegt | – |
2. Strahlungsbarrieren und Anlagenkontrolle | 5 | Stufe 5 | noch nicht festgelegt | – |
3. Gestaffelte Sicherheitsebenen | 3 | Stufe 3 | Stufe 3 | – |
Gesamtwertung (vorläufig) | 7 | Stufe 7 | Stufe 3 | – |
Für Block 4 legte sie das zweite Kriterium noch nicht fest (Stand: 12. April 2011), da der Vorfall noch nicht abgeschlossen sei.[461] Für die Blöcke 5 und 6 vergab sie keine INES-Einstufung.[3] Die Gesamtbewertung ergibt sich aus der jeweils höchsten Einzelbewertung.[462]
Bei den Unfällen in Fukushima handelte es sich um auslegungsüberschreitende Störfälle, das heißt um „Super-GAUs“.
Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung
Alarmierung
Die japanische Atomaufsichtsbehörde (Nuclear and Industrial Safety Agency, NISA) wurde sofort nach Ausbruch des Erdbebens am 11. März 2011 um 14:46 Uhr (Ortszeit) vom Betreiber über die Lage informiert. Nach Eintreffen des Tsunami und Ausfall der Notstromaggregate meldete Tepco um 15:42 Uhr erstmals einen nuklearen Notfall (Nuclear Emergency) im Kernkraftwerk Fukushima I. Nachdem weitere Berichte über Notfallsituationen aus anderen Kernkraftwerken eintrafen, rief die japanische Regierung am 11. März um 19:03 Uhr den nuklearen Notfallzustand (State of Nuclear Emergency) aus.[463]
Am 12. März um 17:00 Uhr – eineinhalb Stunden nach der ersten Explosion – meldete Tepco eine ungewöhnliche Erhöhung der Strahlung an der Geländegrenze.[51] In den nächsten Tagen folgten zahlreiche weitere Meldungen zu meldepflichtigen Vorfällen.
Einheimische Bevölkerung
- März 2011
Am 11. März um 20:50 Uhr verfügte die Notfalleinsatzzentrale der Präfektur Fukushima die Evakuierung der Bevölkerung in einem Radius von zwei Kilometern um den Reaktorblock 1, nachdem dort die Kühlung ausgefallen war. Später ließ der Premierminister diesen Radius schrittweise auf drei (11. März um 21:23), zehn (12. März um 5:44) und 20 (12. März um 18:25 Uhr) Kilometer erweitern.[220] Bis zum 13. März wurden etwa 62.000 von 78.000 betroffenen Menschen evakuiert.[464][465]
Weitere 62.000 Bewohner in 20 bis 30 Kilometer vom Kraftwerk entfernten Gebieten sollten nach Anweisung des Premierministers vom 15. März um 11:00 Uhr zunächst in ihren Häusern bleiben.[220][465] Am 25. März riet die Regierung ihnen dazu, das Gebiet freiwillig zu verlassen; als Begründung gab sie Versorgungsengpässe an.[466]
In den Notunterkünften, die auch zur Unterbringung von Tsunami-Betroffenen dienten, wurden die Menschen aus der Kontaminationszone teils aus Angst vor Strahlung abgewiesen. Ärzte mussten Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellen.[467]
Ab dem 19. März wurde die Stadtverwaltung und gesamte Bevölkerung von Futaba, auf dessen Stadtgebiet sich die Reaktorblöcke 5 und 6 befinden, nach Saitama umgesiedelt,[468] wo sie in der Saitama Super Arena untergebracht wurden, und am 30./31. März schließlich etwa 1300 einschließlich der Stadtverwaltung nach Kazo.[469] Hirono zog bis Anfang April nach Ono um. Die Umsiedlung weiterer Orte wurde angeordnet: Katsurao nach Aizubange, Kawauchi und Tomioka nach Kōriyama und Namie nach Nihonmatsu, Naraha nach Aizumisato, sowie Ōkuma, zu dem die Kraftwerksblöcke 1 bis 4 gehören, nach Aizu-Wakamatsu.[470] Mit Ausnahme von Saitama liegen alle Zielorte im Westen oder Norden der Präfektur Fukushima.
Am 28. März bestätigte Regierungssprecher Edano, dass die 20-Kilometer-Evakuierungszone aufrechterhalten werden solle. Lokale Behörden wurden angewiesen, den Zutritt zu diesem Gebiet zu untersagen.[471]
Verschiedene Seiten hielten den Evakuierungsradius für unzureichend. Gregory Jaczko der Vorsitzende der US-Aufsichtsbehörde Nuclear Regulatory Commission, empfahl eine Ausweitung auf 80 Kilometer; davon wären 1,9 Millionen Menschen betroffen.[472] Greenpeace forderte Japans Regierung am 27. März auf, vor allem Kinder und schwangere Frauen sofort auch aus einem weiteren Umkreis bis 60 Kilometer zu evakuieren.[473] In dem 7000-Einwohner-Dorf Iitate, rund 40 Kilometer nordwestlich des Kraftwerks, maßen die Beobachter von IAEO und Greenpeace besonders hohe Kontaminationen beziehungsweise Strahlenbelastungen. Greenpeace forderte daraufhin die japanischen Behörden auf, die Evakuierung auf Iitate auszuweiten, während die IAEO zu einer Prüfung der Situation riet. Die Behörden deuteten an, dass sie bereits über eine Evakuierung von Iitate nachdachten.[474][475]
Beim Festlegen der Evakuierungszone am 12. März hatte die japanische Regierung eine maximale Strahlungsbelastung von 50 Millisievert pro Jahr (mSv/a) zugrunde gelegt; dies entspricht durchschnittlichen 0,0057 Millisievert pro Stunde (mSv/h). Bei erwarteten Werten zwischen 10 und 50 mSv/a sollen die Anwohner ihre Häuser nicht verlassen.[476]
- April 2011
Anfang April riet die NISA der Regierung, bereits ab einer möglichen Belastung von 20 mSv/a zu evakuieren.[476] Zum Vergleich: Die natürlichen Strahlungswerte liegen im Weltdurchschnitt bei 2,4 mSv/a.[477]
Am 12. April beschloss die Regierung die Evakuierung der außerhalb der 20-Kilometer-Zone gelegenen Orte Katsurao, Namie und Iitate sowie von Teilen von Kawamata und Minamisōma, weil die Jahresdosis dort auf 20 mSv oder mehr geschätzt wurde. Für Namie ergab sich eine Schätzung von 300 mSv.[478] Bis Ende Mai mussten die Einwohner die Orte verlassen.[479]
Mitte April wurde Premierminister Naoto Kan mit der Aussage zitiert, die Evakuierungszone um das Kraftwerk könne für zehn bis zwanzig Jahre unbewohnbar bleiben. Kan dementierte dies.[480] Tepco veröffentlichte kurz darauf einen Plan, der vorsah, im Laufe des zweiten Halbjahres 2011 mit Dekontaminationsarbeiten in der Evakuierungszone zu beginnen, um Einwohnern die Rückkehr zu ermöglichen.[122] Die Regierung gab später bekannt, dass sie erst 2012 über eine mögliche Rückkehr von Anwohnern entscheiden wolle.[481]
Nachdem immer wieder Einwohner trotz der Strahlungsgefahren in die 20-Kilometer-Zone zurückkehrten, erklärte die Regierung diese ab dem 22. April zum Sperrgebiet. Einer Person pro Haushalt wurde es gestattet, nochmals kurz dorthin zurückzukehren, sofern ihre Wohnung mehr als 3 Kilometer vom Kraftwerk entfernt liegt; darüber hinaus wurde das Betreten des Gebiets untersagt. 27.000 Haushalte in neun Kommunen sind von dieser Regelung betroffen.[285] Für Zuwiderhandlungen wurden Bußgelder von bis zu 100.000 Yen (damals ungefähr 840 Euro) oder kurze Haftstrafen angedroht.[482] Entlang der Zufahrtsstraßen wurden 75 Kontrollpunkte eingerichtet.[479]
Für die Zone in 20 bis 30 Kilometern Entfernung von Kraftwerk wurde am 22. April eine flexible Regelung eingeführt, bei der je nach Lage vor Ort entschieden wird, ob die Einwohner in ihren Wohnungen bleiben oder evakuiert werden sollen.[483]
- Juni–August 2011
Weitere Beobachtungen und Messungen ergaben Hot Spots mit Strahlenbelastungen über 20 mSv/a in verschiedenen noch nicht evakuierten Orten und Ortsteilen der Präfektur Fukushima.[484] Die Stadtverwaltung von Date empfahl 113 Haushalten einen Umzug an weniger belastete Orte;[485] in Minamisōma waren 72 Haushalte betroffen[486] und in Kawauchi 60. Haushalte mit Evakuierungsempfehlung werden vom Staat finanziell unterstützt; die Empfehlungen richten sich nach Strahlungsmessungen im Garten und am Eingang der Häuser. Dadurch haben Bewohner, die sich um die Dekontamination ihrer Anwesen bemühten, weniger Chancen auf finanzielle Hilfe.[487]
- September 2011
Nachdem die Reaktoren 1 bis 3 einen relativ stabilen Zustand mit Temperaturen unter 100 °C erreicht hatten, hob die japanische Regierung Ende September die bedingte Evakuierungszone in 20 bis 30 Kilometer Entfernung vom Kraftwerk auf.[488] Gleichzeitig zog die Präfektur Fukushima die Evakuierungsanordnung für Minamisōma, Tamura, Kawauchi, Hirono und Teile von Naraha zurück.[489]
Die Polizei meldete einen starken Anstieg der Einbruchsdelikte in der Sperrzone. Seit Beginn der Unfallserie wurden 720 Fälle bekannt; im entsprechenden Vorjahreszeitraum waren es nur 27.[490]
- seit 2012
Premierminister Shinzō Abe kündigte an bis März 2017[veraltet] Evakuierungsverfügungen wieder aufzuheben. Nach zwei kleineren Gebieten folgte zum 4. September 2015 schließlich die Naraha als erste Gemeinde in der Präfektur Fukushima.[491]
Angehörige anderer Staaten
- März 2011
Das deutsche Auswärtige Amt und das österreichische Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten gaben am 12. März Teilreisewarnungen für den Nordosten Japans heraus, Deutschland zusätzlich auch für den Großraum Tokio.[492][493] Die österreichische Botschaft verlegte am 16. März ihren operativen Bereich nach Osaka,[494] die deutsche am 17. März.[495]
Mitte März stellten verschiedene Staaten wie Russland, Belgien, Philippinen und die USA Flugzeuge bereit, um Staatsbedienstete und weitere Bürger zu evakuieren.[496]
Die USA, Australien und Südkorea empfahlen ihren Bürgern, einen Abstand von mindestens 80 km zum havarierten Kraftwerk einzuhalten.[363][497][498] Die Vereinigten Staaten und Thailand empfahlen ihren Bürgern ferner eine Ausreise.[496][499]
Am 17. März forderte Frankreich seine Bürger in Tokio auf, Japan zu verlassen oder sich in den Süden des Landes zu begeben.[500]
- April 2011
Der US-Mediziner Robert Peter Gale, der 1986 in Tschernobyl die ärztliche Hilfe im Auftrag der sowjetischen Regierung koordiniert hatte, kritisierte einzelne Evakuierungsempfehlungen und – so wörtlich – „Panikreaktionen“ einzelner Staaten. Schädlicher als die Strahlung selbst sei die Angst vor ihr.[501] Gale zufolge wäre die Folge des Exodus von Ausländern aus Japan verheerend. Deshalb solle die deutsche Reaktion auf Fukushima nicht nur von Emotionen und einer Panikreaktion bestimmt sein, sondern möglichst rücksichtsvoll und bedacht ausfallen.[501]
Am 12. April ordnete die philippinische Regierung die Rückführung aller ihrer Staatsbürger aus dem Umkreis von 50 Kilometern um Fukushima I an. Nur mit Japanern verheiratete Philippiner durften auf Wunsch in Japan bleiben.[502]
Die USA bestätigten am 15. April nochmals ihre 80-Kilometer-Bannzone um das Kraftwerk, zogen aber ihre allgemeine Ausreiseempfehlung zurück.[503] Russland zog seine Reisewarnung am 19. April zurück.[284]
Ende April kehrte die deutsche Botschaft nach Tokio zurück.[504]
Luftverkehr
Am 12. März 2011 verhängte die japanische Regierung ein Luftsperrgebiet für einen Umkreis von 20 Kilometern um das Kraftwerk,[505] das am 13. März auf 30 Kilometer erweitert wurde.[506]
Die deutsche Lufthansa ließ ab dem 14. März alle aus Japan heimkehrenden Flugzeuge auf Radioaktivität testen.[507] Vom 15. bis zum 23. März 2011 leitete sie ihre Flüge mit Ziel Tokio-Narita nach Nagoya und Osaka um.[508][509]
Die österreichische Lufthansa-Tochter Austrian Airlines flog Tokio unter Begleitung militärischer Strahlenschutzexperten weiter an. Im Gegensatz zum normalen Linienverkehr wurden allerdings die Aufenthalte nur kurz gehalten und die Crewwechsel in Seoul durchgeführt.[510] Die Swiss verlegte ihre Crewwechsel nach Hongkong.[511]
Lebensmittelverbote und -warnungen in Japan
Import- und Exportverbote für Lebensmittel
Am 24. März 2011 ordnete die Europäische Union vorsorglich Zwangskontrollen für nach dem 11. März hergestellte Lebensmittel aus zwölf Präfekturen Japans an. Sie dürfen seit dem 27. März nur in die EU-Staaten eingeführt werden, wenn sie in Japan auf Radioaktivität getestet und die Testergebnisse schriftlich bescheinigt wurden. Die japanischen Angaben sollen stichprobenartig überprüft werden.[512]
Russland, China, Taiwan, Australien und die USA verhängten Importverbote für bestimmte Nahrungsmittel aus vier oder fünf von überhöhten Strahlenwerten betroffenen japanischen Präfekturen und testen Importe auf Radioaktivität.[513] Auch Südkorea beschloss zunächst ein solches Verbot, hob es aber am 24. März wieder auf, nachdem die japanische Regierung ihrerseits den Export bestimmter Lebensmittel aus der Präfektur Fukushima verboten hatte.[514] Am 14. April verhängte Südkorea dann ein erneutes Importverbot für sämtliche Lebensmittel aus 13 der 47 japanischen Präfekturen.[515]
Am 6. April verbot Russland den Import von japanischem Fisch.[516]
Dekontamination
Zur Dekontamination des Kraftwerksgeländes siehe erste Sicherungsmaßnahmen.
Die 340.000-Einwohner-Stadt Kōriyama, 60 Kilometer westlich des Kraftwerks, begann Ende April damit, in Schulen und Kindergärten die kontaminierte Oberfläche des Bodens abzutragen,[88] und die Stadt Fukushima Ende Mai.[237] Die Regierung wies die Städte darauf hin, dass ein einfaches Umgraben der Böden ausreichen könne.[123]
In Minamisōma begann die Dekontamination im August.[517]
Im Dezember dekontaminierten Einsatzgruppen der japanischen Streitkräfte mit Hochdruckreinigern Verwaltungsgebäude und deren nähere Umgebung in den evakuierten Orten Naraha, Tomioka, Namia und Iitate.[518]
Langfristige Perspektiven
Im November 2013 erklärten Vertreter der japanischen Regierung, dass eine vollständige Wiederansiedlung der aus der Region Fukushima evakuierten Bevölkerung (ca. 150.000 Menschen) wohl nicht möglich sein würde. Die Regierung würde Gebiete benennen müssen, in denen eine menschliche Ansiedlung aufgrund der hohen Strahlenbelastung auf Dauer unmöglich sein werde. Die evakuierten betroffenen Personen müssten entschädigt werden.[519]
Kritik am Krisenmanagement
Siehe auch: Kritik an risikobehafteter Technik und mangelnder Wartung des Kraftwerks im Artikel Kernkraftwerk Fukushima Daiichi
Presseberichte zur Anfangsphase der Nuklearkrise zeichnen ein Bild von Mitarbeitern,[42] Entscheidungsträgern[43][520] und wissenschaftlichen Beratern,[207] die mit der Situation überfordert waren. Mehrere „Super-GAUs“ liefen gleichzeitig ab und mussten gehandhabt werden. Die dazu getroffenen oder nicht getroffenen Entscheidungen und die Informationspolitik der verantwortlichen Stellen wurden vielfach kritisiert. Verschiedene Seiten hielten das japanische Krisenmanagement für zu unentschlossen.[521][520] Die IAEO kritisierte die Struktur der zuständigen Regierungsstellen als zu kompliziert und reaktionsträge.[522]
Alle Maßnahmen, die die Bevölkerung betreffen könnten, mussten entsprechend den gesetzlichen Vorschriften von der Regierung genehmigt werden.[39]
Ein Anfang Juli 2012 von einer parlamentarischen Untersuchungskommission vorgelegter Bericht[523] spricht von Kungelei und Schlamperei der Betreiberfirma, der Regierung und der Atomaufsichtsbehörde. Das „Desaster von Menschenhand“ sei vorhersehbar und vermeidbar gewesen.[524] Katsutaka Idogawa, der Bürgermeister von Futaba, beklagte im April 2014 in einem Interview mit dem russischen Fernsehsender RT, dass er mit der Situation allein gelassen worden sei.[525]
Entsorgung von radioaktivem Wasser in den Ozean
Siehe auch: en:Discharge of radioactive water of the Fukushima Daiichi Nuclear Power Plant
Trotz wiederholter Berichte von Leckagen[527] bestritt der Betreiber des Kernkraftwerks Tepco lange Zeit ihr Auftreten und gab erst am 22. Juli 2013 schließlich zu, dass Leckagen im Grundwasser und im Pazifik aufgetreten sind. Dies wurde lange von lokalen Fischern vermutet.[528]
Seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima hat das Kernkraftwerk 1.25 Million Tonnen radioaktives Wasser angesammelt, das ab März 2021 in 1.061 Tanks auf dem Bereich des Kernkraftwerks gelagert wurde.[529] Das Kernkraftwerk wird bis 2022 keinen Platz mehr haben. Es wurde vermutet, dass die Regierung das Problem durch die Zuweisung von Land rund um das Kraftwerk für Wassertanks hätte lösen können, da dieses Land ohnehin als für das Leben von Menschen ungeeignet eingestuft wurde, die Regierung jedoch nur ungern handelte.[530][531][532]
Zehn Jahre nach dem Nukleardesaster, am 13. April 2021 genehmigte die japanischen Regierung (Kabinett von Premierminister Suga) einstimmig, dass TEPCO das gespeicherte radioaktive Wasser über einen Zeitraum von 30 Jahren in den Pazifik entsorgen darf. Das Kabinett behauptete, das entsorgte Wasser werde auf Standard für Trinkwasser aufbereitet und verdünnt.[533] Auf der anderen Seite lehnte es Premierminister Suga ab, eine Tasse aufbereitetes Wasser zu trinken, die ihm angeboten wurde, als er 2020 das Kraftwerk besuchte.[526] Die Entscheidung wurde getroffen, da dem Betreiber TEPCO, der Speicherplatz für Wasser am Standort ausging, erklärten japanische Beamte.[534]
Damit brachte die Regierung in Tokio nicht nur Umweltschützer[535][536] und Fischergruppen aus der Präfektur Fukushima gegen sich, die sich entschieden gegen das Ablassen des kontaminierten Fukushima-Wassers in den Ozean ausgesprochen hatten – auch Japans Nachbarstaaten stellten sich dagegen.[537] China, Nord-[538] und Südkorea[539] protestieren gegen Japans Entscheid, der ohne Vorabkonsultationen mit den Nachbarländern getroffen wurde. Verschiedene weitere Regierungen geäußerten Bedenken, darunter die Regierungen von Taiwan[540], Russland[541], den Philippinen[542], Belize, Costa Rica, der Dominikanischen Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama, und Mexiko.[543][544]
Das chinesische Außenministerium verurteilte die Entscheidung Tokios. Diese sei „ohne Rücksicht auf inländische und ausländische Zweifel und Kritik“ getroffen worden: „Dieses Vorgehen ist äußerst unverantwortlich und wird der internationalen öffentlichen Gesundheit und Sicherheit ernsthaft schaden“. Die Entsorgung des radioaktiv kontaminierten Abwassers betreffe nicht nur die ökologische Umwelt Japans, sondern auch die regionale und die globale ökologische Sicherheit. China spreche sich dafür aus, dass eine technische Arbeitsgruppe unter Leitung der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA sobald wie möglich gebildet werde, die alle betroffenen Seiten einschließlich China einbeziehen solle. Die IAEA, die sich mit Bildung der technischen Arbeitsgruppe beschäftigte, die sich mit der Entsorgung des radioaktiv kontaminierten Abwassers ins Meer auseinandersetzen soll, lud China zum Beitritt der technischen Arbeitsgruppe ein.[545]
Konflikte
Die Presse berichtete auch von Konflikten zwischen den Verantwortlichen. Laut Berichten der Yomiuri Shimbun waren Premierminister Naoto Kan, Regierungssprecher Yukio Edano, Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa und andere Regierungsmitglieder frustriert und zunehmend misstrauisch wegen fehlender oder ständig wechselnder Erklärungen Tepcos über die Vorgänge im Kraftwerk.[546][547] Insbesondere Kan soll ein großes Misstrauen sowohl gegenüber Tepco als auch gegenüber der Atomaufsichtsbehörde (NISA) und dem ihr übergeordneten Wirtschaftsministerium (METI) entwickelt haben. Laut Presseberichten misstraute der Bürgerrechtler Kan grundsätzlich der mit der Industrie verflochtenen japanischen Bürokratie und schnitt sich dadurch selbst von wichtigen Informationsquellen ab.[52][547][548] Stattdessen setzte er auf persönliche Berater, die ebenfalls schlecht informiert waren.[52]
Am 15. März erschien Kan wütend in der Tepco-Firmenzentrale und maßregelte die anwesenden Tepco-Manager wegen ihrer Informationspolitik[547][549][520] sowie den Planungen Tepcos, „das gesamte Personal aus der Atomanlage Fukushima Daiichi abzuziehen und die Rettungsarbeiten einzustellen.“[550] Er ließ dort einen gemeinsamen Krisenstab von Regierung und Kraftwerksbetreiber einrichten, um mehr Einfluss auf das Krisenmanagement nehmen zu können.[549][551][547] Ein Experte der US-amerikanischen Atomaufsichtsbehörde besuchte drei Tage später die Tepco-Zentrale und war irritiert über das Kompetenzchaos.[521] Die Leitung des Krisenstabs und allmählich auch des gesamten Nuklearkrisenmanagements übernahm Kans enger Vertrauter Gōshi Hosono.[52]
Umgekehrt zeigten sich Tepco-Vertreter frustriert über den Premierminister, weil er mehr auf seine persönlichen Berater höre als auf die zuständigen Behörden. Ein Mitarbeiter des Tepco-Krisenstabs in Fukushima wurde mit der Aussage zitiert, er fühle sich mehr durch den Premierminister als durch seine eigenen Vorgesetzten unter Druck gesetzt.[547] Nach Ansicht von Tetsunari Iida, Vorsitzender eines Instituts für nachhaltige Energien und energiepolitischer Berater der japanischen Regierung, überschätzte der Diplom-Physiker Kan seine eigene Kompetenz in Sachen Nukleartechnik. Er wolle bei zu vielen technischen Details mitreden und habe mit seiner Anwesenheit die Tepco-Manager eingeschüchtert.[520] Gleichzeitig kritisierte Iida die Entscheidungsstrukturen des Unternehmens. Für jede Entscheidung müssten sich die Experten vor Ort eine Erlaubnis aus der Firmenzentrale einholen, bei der sowohl die Regierung (über den Krisenstab) mitrede als auch Manager, die das Treffen eigenständiger Entscheidungen nicht gewohnt seien. Die „Zeit“ führte letzteres auf eine für Japan typische Konsensorientierung zurück, die schnelle Entscheidungen verhindere.[520]
Eine Reihe von Widersprüchen zwischen den von Tepco und der NISA veröffentlichten Informationen zum Unfallhergang verdeutlicht, dass es auch zwischen dem Kraftwerksbetreiber und der Aufsichtsbehörde Kommunikationsprobleme gab (siehe Dokumentation der Abläufe und Veröffentlichungen im Artikel Chronik der Nuklearkatastrophe von Fukushima). Die IAEO wies auf verbesserungswürdige technische Kompetenz bei der NISA hin.[39]
Bewältigung der technischen Probleme
Verschiedene Seiten waren der Ansicht, dass Tepco zu lange mit der Druckentlastung der Reaktoren und dem Einleiten von Meerwasser gezögert habe. Durch ein Vorziehen dieser Maßnahmen hätte man die Unfälle verhindern oder zumindest ihre Auswirkungen verringern können.[552]
Die Yomiuri Shimbun brachte die Verzögerung bei diesen wichtigen Entscheidungen in Zusammenhang mit der Abwesenheit von Tepco-Präsident Tsunehisa Katsumata und dem Vorsitzenden Masataka Shimizu. Die beiden Firmenleiter trafen erst am 12. März gegen 16 beziehungsweise 10 Uhr im Unternehmen ein und waren bis dahin nur per Mobiltelefon eingebunden. Auch technische Probleme des firmeninternen Kommunikationssystems wurden erwähnt.[552] Tepco wies später auf häufige Ausfälle von Telefonleitungen und Firmennetzwerk in den Tagen nach dem Erdbeben hin; Informationen mussten teilweise persönlich überbracht werden.[553]
- Druckentlastung
Der japanische Nuklearingenieur Kenzo Miya, emeritierter Professor an der Universität Tokio, sah einen Hubschrauber-Besuch von Naoto Kan am frühen Morgen des 12. März im Kraftwerk als einen Grund für die Verzögerung der Druckentlastung.[200] Es habe das Risiko bestanden, den Hubschrauber des Premierministers radioaktiven Stoffen auszusetzen.[552][520] Regierungsvertreter ließen dagegen laut einem Bericht der New York Times durchblicken, Tepco habe grundsätzlich vor den radioaktiven Emissionen bei einer Druckentlastung zurückgescheut. Die Zeitung berichtete auch von einer hitzigen Diskussion zu diesem Thema, in der sich Tepcos Kernenergie-Chef Sakae Muto und Fukushima-I-Kraftwerksleiter Masao Yoshida gegenseitig angeschrien hatten.[554]
Später veröffentlichte Aufzeichnungen der Mitarbeiter im Kraftwerk deuten vor allem auf technische Schwierigkeiten hin. Während der Premierminister und die Aufsichtsbehörde versuchten, Tepco mit politischem Druck und offiziellen Anweisungen zum Öffnen der Ventile an Block 1 zu zwingen,[43] kämpften die Mitarbeiter mit Systemen, die nach Überschwemmung und Stromausfall nicht mehr funktionierten. Man habe eine Zeitlang gebraucht, bis man (teils im Dunkeln) herausgefunden habe, wie die Ventile von Hand zu öffnen sind.[554][43] Außerdem spielte die Evakuierung der unmittelbar angrenzenden Orte eine Rolle.[36] Die New York Times erklärte die Probleme auch damit, dass die in den USA entwickelten Reaktoren nach den Vorgaben der amerikanischen Atomaufsichtsbehörde ausgelegt waren, die große Sicherheitshürden vor einer möglichen Betätigung der Druckentlastung durchgesetzt hatte.[554]
- Meerwasserkühlung
Das Wall Street Journal zitierte am 21. März 2011 den ehemaligen Tepco-Manager Akira Omoto, Mitglied der Japan Atomic Energy Commission, mit der Aussage, Tepco habe mit der Meerwassereinleitung gezögert, um die wertvollen Reaktoren nicht durch das Salzwasser zu beschädigen;[555] die Reaktoren können dabei zerstört werden.[200] Diese Kritik fand sich anschließend in verschiedenen Presseartikeln wieder.[520][200] Nach eigenen Angaben und Aufzeichnungen leitete Tepco allerdings in die Reaktoren 1 und 2 zunächst Süßwasser ein,[303][115] und stellte – nachdem die Vorräte erschöpft waren – jeweils auf Meerwasser um. Die Verzögerung bis zur Meerwassereinleitung belief sich demnach jeweils auf höchstens vier Stunden und nicht – wie vom Wallstreet Journal vermutet – auf etwa 12 beziehungsweise 30 Stunden (siehe Zeitabläufe im Artikel Chronik der Nuklearkatastrophe von Fukushima).
Ende Mai 2011 kam es zu einer öffentlichen Diskussion und einer Auseinandersetzung zwischen Premierminister Kan und der parlamentarischen Opposition um eine mögliche Verantwortung Kans für die verzögerte Meerwasserkühlung.[207][556][557] Tepco-Aufzeichnungen deuteten auf Kommunikationsprobleme innerhalb des Unternehmens sowie zwischen Kraftwerksbetreiber, Behörden und Premierminister hin, möglicherweise auch auf eine zögerliche Freigabe der Salzwassereinleitung durch Kan.[206][208]
- Kühlung der Abklingbecken
Auch eine zu späte Kühlung der Abklingbecken wurde kritisiert. Sowohl Tepco als auch die Regierung hätten sich in den ersten zwei Tagen nur auf die Reaktoren konzentriert und die Abklingbecken außer Acht gelassen.[200][520] Das Wall Street Journal zitierte Tetsuya Kono, Sprecher der japanischen Streitkräfte, mit der Aussage, man habe sich nicht früher an dem Wasserwerfereinsatz beteiligt, weil Tepco ihn nicht angefordert habe. Das Militär habe nicht von sich aus aktiv werden können.[555] US-amerikanische Experten kritisierten eine zu späte Kühlung des Abklingbeckens von Block 4 (siehe Abschnitt „Reaktorblock 4“).
Tepco verteidigte sich damit, man sei nach der Explosion in Block 1 voll mit der Stabilisierung von Block 2 beschäftigt gewesen, habe also keine weiteren Ressourcen zur Verfügung gehabt.[546]
Unterstützung durch Dritte
Neben den Streitkräften waren auch andere Organisationen der Ansicht, dass Tepco ihre Unterstützung zu spät in Anspruch genommen hatte.
Laut einem nicht namentlich genannten Mitarbeiter der US-amerikanischen Regierung schien für die Japaner anfangs ein Rückgriff auf amerikanische Hilfe undenkbar. Die japanische Regierung habe verschiedene Gesuche und Angebote der USA, ihre Experten am Krisenmanagement zu beteiligen, abgelehnt.[521] In den Vereinigten Staaten stehen zahlreiche Kernkraftwerke vom gleichen Modell wie in Fukushima; daher haben die USA sowohl Erfahrung damit als auch ein eigenes Interesse an der Aufklärung der Unfallserie.[554] Die US-Regierung war schließlich so verärgert über die japanische Haltung, dass sie nach Angaben der New York Times mit dem Abzug von wichtigem Militärpersonal,[52] laut Yomiuri Shimbun sogar mit einer Zwangsevakuierung aller US-Bürger aus Japan drohte.[521]
Verschiedene Hilfsangebote, etwa seitens der deutschen Bundesregierung, Ausrüstung und Experten des Kerntechnischen Hilfsdiensts einzusetzen, wurden nicht oder nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung angenommen. Aus Frankreich wurden erst ab dem 17. März Experten und Ausrüstung des französischen Atomenergie-Konzerns Areva einbezogen;[558] ein Hilfsangebot der Regierung Sarkozy war bereits am Tag nach der Katastrophe eingegangen. Zur Zeit des Unglücks waren über 100 Areva-Mitarbeiter aus Deutschland, den USA und Frankreich im Lande, von denen 18 bei Wartungsarbeiten im unmittelbaren Umfeld des Reaktors 4 tätig waren.[558] Erst zwei Wochen nach dem Unglück traf die Areva-Vorsitzende Anne Lauvergeon mit Experten der Nuklearanlage Marcoule vor Ort ein.[559]
Die Nuklearsicherheitskommission der japanischen Regierung, die über vierzig Experten für Nuklearunfälle verfügt, wurde dafür kritisiert, dass sie nicht einen davon nach Fukushima I entsandte.[560]
Informationspolitik
Die Informationspolitik sowohl des Kraftwerksbetreibers als auch der Behörden wurde vielfach kritisiert.
Regierungssprecher Edano deutete am 12. März in einer Pressekonferenz an, dass Tepco die Regierung nur unzureichend informierte.[552] Premierminister Kan war zwei Tage später sehr verärgert darüber, von der Explosion des Reaktorblocks 3 zuerst aus den Medien erfahren zu haben.[547] In den nachfolgenden Wochen musste Tepco mehrfach falsch (zu hoch) ausgewiesene Strahlungsmesswerte korrigieren und handelte sich damit öffentliche Rügen von Seiten der Regierung und der NISA ein.[561][562][563] Eine Tepco-Sprecherin erklärte, man stünde im Konflikt zwischen dem Druck, die Daten (schnell) zu veröffentlichen, und der Forderung nach Exaktheit.[564] Die konkreten Fehler erklärte Tepco mit einer Fehlkonfiguration der verwendeten Software.[563]
Es kam vor, dass Tepco Schäden am Kraftwerk – zum Beispiel Erdbeben- und Kernschmelzeschäden – zunächst bestritt beziehungsweise ignorierte, und sie erst dann eingestand, wenn sie nicht mehr zu übersehen waren.[180][35][118][235]
China beklagte sich mehrfach über unzureichende Informationen durch die japanischen Behörden.[93][24] Auch die USA,[521] weitere Mitgliedsstaaten der IAEO,[288] der Vorsitzende des Umweltprogramms der Vereinten Nationen[565] und die World Meteorological Organization[288] (ebenfalls Vereinte Nationen) fühlten sich unzureichend informiert.
In einer repräsentativen Umfrage des Fernsehsenders JNN hielten drei Wochen nach Beginn der Nuklearunfälle 83 Prozent der befragten Japaner die von der Regierung bereitgestellten Informationen für unzureichend.[564] Auch Bürgermeister betroffener Gemeinden beklagten sich über mangelnde Informationen.[467]
Arbeitsbedingungen im Kraftwerk
Auch der Umgang mit den Hilfskräften, die teilweise aus Zeitarbeitsfirmen stammen und dort bereits vor der Krise sehr harten Arbeitsbedingungen unterworfen waren, wurde kritisiert.[520]
Durch die Explosionen und Brände im Kraftwerk stieg die Strahlenbelastung auf dem Gelände zeitweilig stark an. Das japanische Gesundheitsministerium setzte daraufhin die zulässige Gesamt-Äquivalentdosis für männliche[88] Arbeiter in Kernkraftwerken in Notfallsituationen von 100 auf 250 Millisievert pro Jahr herauf.[403] Kritiker verwiesen darauf, dass Werte oberhalb der von der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) festgesetzten Grenze von 100 Millisievert pro Einsatz oder pro Jahr erfahrungsgemäß Körperzellen direkt schädigen und das Krebsrisiko schon für weit geringere Belastungen prozentual steigt.[566] Drittunternehmen, die im Auftrag von Tepco im Kraftwerk tätig sind, lehnten den höheren Grenzwert ab.[567] Bis zum 15. April 2011 erhielten 28 Mitarbeiter Strahlungsdosen über 100, jedoch keiner eine Dosis über 250 Millisievert.[67]
Auch die Ausrüstung der Arbeiter war unzulänglich; es mangelte zeitweise an Dosimetern[408] und an geeigneten und zugelassenen Sicherheitsstiefeln. Ein Mitarbeiter berichtete, dass sich die Arbeiter stattdessen Plastiktüten mit Klebeband um die Schuhe banden.[568] Als in einer Turbinenhalle erhebliche radioaktive Wassermengen auftraten und einige Mitarbeiter dennoch mit halbhohen Arbeitsschuhen ins Wasser traten, zogen sie sich erhebliche Verletzungen und Verstrahlungen zu.
Nach der Explosion in Block 3 wurde die Anlage vorübergehend geräumt. Danach verblieben zeitweise nur noch rund 180 Arbeiter vor Ort – darunter 50 Mitarbeiter von Tepco –, was unter dem Namen „Fukushima 50“ (mit Anklängen an die 47 Rōnin) in den Medien thematisiert wurde.
Ab Anfang Mai versorgte Tepco die Arbeiter zweimal täglich mit Mahlzeiten, die im benachbarten Kernkraftwerk Fukushima Daini zubereitet wurden. Bis dahin hatten sie sich hauptsächlich von Konserven ernährt.[569]
Außerhalb der Arbeitszeiten sind die Mitarbeiter und Helfer in dem Sportzentrum J-Village untergebracht, 20 Kilometer südlich des Kraftwerks; dabei herrschten anfangs teilweise spartanische Bedingungen.[570]
Bewältigung der Unfallfolgen
Ende März 2011 berichtete die Yomiuri Shimbun über Kritik lokaler Behörden an den Maßnahmen zur Lebensmittelsicherheit. Jede Präfektur und Gemeinden könne selbst festlegen, nach welchen Kriterien sie landwirtschaftliche Produkte auf Strahlung testet. Dabei seien die Ehrlichen die Dummen, weil ihre Region strengere Auflagen erhalte. Zudem seien die pauschalen Grenzwerte für alle Arten von Produkten unangebracht.[571]
Andererseits wurde kritisiert, dass manche hoch kontaminierten Nahrungsmittel nicht verboten wurden, weil sie nur eine kleine Region betrafen. Zu diesem Zeitpunkt legten die Behörden nur Beschränkungen für ganze Präfekturen fest und verzichteten teils darauf, um nicht die ganze Präfektur wegen einer „Problemregion“ wirtschaftlich zu belasten.[571] Kurz darauf begann man, die Lebensmittelverbote auch für kleinere Regionen und einzelne Städte festzulegen.[572]
Am 29. April 2011 trat Toshiso Kosako, Professor in der Abteilung für Nukleartechnik der Universität Tokio,[573] mit schweren Vorwürfen von seinem Amt als wissenschaftlicher Berater der japanischen Regierung in Nuklearfragen zurück, zu dem ihn Ministerpräsident Naoto Kan am 16. März ernannt hatte.[574] Laut Kosako rette sich die Regierung in der Nuklearkrise nur mit Notlösungen und Provisorien über die Zeit. Wegen unklarer Entscheidungsprozesse seien viele Maßnahmen zudem nicht gesetzeskonform.[575] Bei der Strahlungsmessung rund um das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi mangele es an Transparenz. Die Regierung habe auch die sogenannte SPEEDI-Analyse lange nicht veröffentlicht.[576] Das System for Prediction of Environmental Emergency Dose Information ist ein Computerprogramm zur Abschätzung und Prognose der radioaktiven Kontamination und hatte für einige Gebiete außerhalb der 30-Kilometer-Zone um das Kraftwerk Ortsdosisleistungen von über 100 Millisievert pro Jahr vorhergesagt.[577] Die Regierung hatte die ersten Ergebnisse dieser Analyse vom 16. bis zum 23. März zurückgehalten, um Panik zu vermeiden. Die vollständigen Daten veröffentlichte die zuständige Nuclear Safety Commission of Japan erst nach Kosakos Rücktritt.[577][578]
Besonders empört und betroffen zeigte Kosako sich über die vorläufige Erklärung des japanischen Kultus- und Technologieministeriums vom 19. April, dass für Kindergärten und Grundschulen in der Präfektur Fukushima kein niedrigerer Strahlungsgrenzwert festgelegt werden solle als die für das gesamte Katastrophengebiet gültigen 20 Millisievert pro Jahr.[579] Das Ministerium berief sich dabei auf Empfehlungen der International Commission on Radiological Protection, die bei einem Nuklearunfall eine jährliche Strahlungsdosis von bis zu 20 Millisievert sowohl für Erwachsene, als auch für Kinder zulasse.[580]
Kosako begründete seinen Rücktritt damit, dass die Regierung seinen Rat ignoriere.[574] Premierminister Kan führte ihn dagegen auf Meinungsverschiedenheiten zwischen Kosako und anderen Wissenschaftlern zurück.[574] Laut einem Bericht der New York Times vom 1. Mai fiel es den japanischen Experten schwer, sich auf Strahlungsgrenzwerte zu einigen. Man befinde sich in einer neuen Situation, für die es keine Richtlinien gebe, und die zu treffenden Entscheidungen könnten weitreichende Folgen haben.[581]
Vertreter des Internationalen Forums zur Globalisierung übergaben am 2. Mai eine von rund 50 Japanern sowie rund 4.000 US-amerikanischen, europäischen und weiteren Bürgern und Gruppen „unterschriebene“ Internet-Petition an die japanische Regierung, die die „Rücknahme der unmenschlichen Entscheidung der japanischen Regierung, Kindern eine Strahlenexposition von 20 Millisievert pro Jahr aufzuzwingen“ fordert.[582][579] Als Begründung verwiesen sie dabei auf die Aussagen deutscher Experten in einem Spiegel-Artikel vom 21. April.[582][583] Anders als in den Richtlinien des japanischen Kultusministeriums[581] wurde in der Petition nicht berücksichtigt, dass die Umgebung der Schulen und Kindergärten, in denen sich die Kinder in der übrigen Zeit aufhalten, wahrscheinlich ähnlich hohe Strahlungswerte aufweist wie die Schulgelände.[584]
Die Folgekosten der Tsunami- und Nuklearkatastrophe sind eine große Belastung für die ohnehin hoch verschuldete japanische Volkswirtschaft. Sie wurden im April 2011 auf langfristig bis zu 200[585] oder 300[586] Milliarden Euro geschätzt und belasteten die Kreditwürdigkeit des Landes.[586] Niedrigere Strahlungsgrenzwerte konnten erhebliche Zusatzkosten für die Dekontamination von Böden nach sich ziehen.[584] Die Regierung spielte auf Zeit und verwies darauf, dass die radioaktive Belastung bis Juli erheblich zurückgehen werde, da die Hälfte der Emissionen aus kurzlebigem radioaktivem 131I (acht Tage Halbwertszeit) bestehe.[581] Der Großteil der Strahlungsbelastung an den Bodenoberflächen in der Präfektur Fukushima stammte zu diesem Zeitpunkt noch aus dem Zerfall von 131I.[587]
In einer Umfrage der Zeitung Yomiuri Shimbun vom 13. bis zum 15. Mai 2011 zeigten sich 73 Prozent der befragten Japaner unzufrieden mit dem Nuklearkrisen-Management ihrer Regierung.[588]
Ende Mai 2011 reichten 15.000 japanische Eltern eine weitere Petition beim Kultusministerium ein, in der sie einen Grenzwert von 1 Millisievert pro Jahr für Kinder forderten.[589] Das Ministerium sagte zu, in Schulen mit einer höheren Belastung als 0,001 Millisievert pro Stunde, entsprechend 9 Millisievert pro Jahr, die Bodenoberfläche abtragen zu lassen.[590]
Im März 2015, 4 Jahre nach dem Tsunami, lebten noch immer rund 230.000 Menschen in Notunterkünften wie Containersiedlungen und provisorisch belegten Apartments, da große Teile der 2011 evakuierten Sicherheitszone nach wie vor nicht dekontaminiert sind. Nach Abschluss der Dekontamination weniger schwer belasteter Gebiete, deren Gesamtkosten auf mindestens 20,5 Mrd. US-Dollar geschätzt werden, sollen ca. 55.000 Menschen in ihre ursprünglichen Siedlungen zurückkehren dürfen. Allerdings wollen nach Studien der japanischen Wiederaufbauagentur nur ca. 10–20 % der Bevölkerung zurückkehren, wobei insbesondere Familien sich häufig gegen eine Rückkehr aussprechen.[591]
Im August 2015 wurde die Kühlung der Unglücksreaktoren in Fukushima mit Seewasser weiterhin fortgesetzt. Mehr als 100.000 Menschen sind nach wie vor evakuiert. Ab 2017[veraltet] sollen die Evakuierten aus Gebieten, die nicht mehr als „stark kontaminiert“ gelten, keine Unterstützung der staatlichen Stellen mehr erhalten und so zur Rückkehr in die Sperrgebiete bewegt werden. Die Bergungsarbeiten für das radioaktive Material der Kernschmelzen werden nicht vor dem Jahr 2022 beginnen.[592]
Während der Aufräumarbeiten wurden 8.460 Kubikmeter der Bodenkrume abgetragen und an 830 Orten zwischengelagert. Allein in Koriyama liegen 6.000 Kubikmeter Erde an 582 stellen. Kompliziert wird die Lage auch dadurch, dass die ursprünglichen Landbesitzer sich an den Entsorgungskosten beteiligen müssen. Dem Gesetzt nach muss bis 2045 die Erde in ein Endlager verbracht werden.[593]
Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft
Die Auswirkungen der Nuklearkatastrophe – insbesondere politische Auswirkungen in Deutschland wie bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011 – wurden in der öffentlichen Diskussion auch als „Fukushima-Effekt“ bezeichnet.[594][595]
Japanische Wirtschaft
Die Evakuierungen betrafen die Produktion mehrerer Unternehmen und Zulieferfirmen in der Nähe des Kraftwerks, darunter Toto, Alpine Electronics, Daio, Fujitsu, IHI, Fuji Xerox und Canon.[596]
Am 17. März schloss die Fondsgesellschaft Union Investment Real Estate ihren offenen Immobilienfonds Uni-Immo Global, da die in Japan stehenden Immobilien des Fonds nicht mehr bewertet wurden und folglich keine Anteilspreise ermittelt werden konnten.[597]
Die Region um Fukushima spielt eine bedeutende Rolle in der japanischen Landwirtschaft, Fischerei und Lebensmittelversorgung. Die Nachbarpräfektur Ibaraki stellt insbesondere Premiumreissorten her und ist das Stammland der japanischen Schweinezucht. Durch die radioaktiven Belastungen kam es zu Verkaufsverboten verschiedener Nahrungsmittel. Die Regierung stellte Entschädigungen für betroffene Landwirte in Aussicht.[598] Später stellten Landwirtschafts- und Fischereiverbände hohe Schadenersatzforderungen an den Kraftwerksbetreiber.[599]
Ab dem 26. März liefen mehrere Großreedereien die Häfen von Tokio und Yokohama aus Sorge vor radioaktiver Kontamination der Schiffe nicht mehr an. Dies führte zu einer Belastung des Welthandels, da Waren auf dem Landweg vom Süden Japans in den Norden gebracht werden mussten.[600]
In der japanischen Luftfahrt kam es zu einem massiven Nachfrageeinbruch.[601] Die Zahl der ausländischen Besucher ging in der zweiten Märzhälfte 2011 um 75 % gegenüber dem Vorjahr zurück.[516]
Da durch die Katastrophe die anderen Kernkraftwerke Japans auf ihre Sicherheit überprüft und dabei fast alle abgeschaltet wurden, musste der nationale Strombedarf mit fossilen Brennstoffen gedeckt werden. Durch den Import der dafür benötigten Rohstoffe, sowie einem Rückgang der Exporte verzeichnete Japan im Kalenderjahr 2011 das erste Handelsbilanzdefizit seit 1980.[602]
Stromknappheit
Nach dem Ausfall mehrerer Kern- und thermischer Kraftwerke[603] kam es zu Engpässen im Versorgungsnetz von Tepco. Die Bürger wurden mehrfach aufgefordert, Strom zu sparen. Zusätzlich führte Tepco – mit Erlaubnis des Premierministers[604] – vom 14. März 2011 bis in den April hinein sogenannte „rolling blackouts“ durch, das heißt wechselnde Stromabschaltungen in verschiedenen Teilen des Versorgungsbereichs von Tepco.[605] Zusätzlich wurde die Stromknappheit dadurch verschärft, dass Japan zwei inkompatible Stromnetze von 50 Hz und 60 Hz hat.
Unter dem Slogan Setsuden (Stromsparen) bemühte sich Japan im weiteren Jahresverlauf, erneute Stromabschaltungen durch Sparmaßnahmen aller Verbraucher zu vermeiden.[606] Die japanische Regierung strebt mit diesem Programm an, den Stromverbrauch um bis zu einem Fünftel zu reduzieren.[607] 51 von 54 japanischen Kernreaktoren waren Januar 2012 abgeschaltet[602] – teils wegen der Katastrophenfolgen, teils wegen Routinewartungen und teils als Sicherheitsmaßnahme wegen unzureichenden Tsunamischutzes.
Am 30. August hob die Regierung Anordnungen zur Einschränkung des Elektrizitätsverbrauchs auf, die seit dem 1. Juli in Kraft waren.[608]
Anfang Mai 2012 wurde mit dem Reaktor 3 des Kernkraftwerks Tomari das letzte aktive japanische Atomkraftwerk vorübergehend abgeschaltet. Damit musste Japan zum ersten Mal seit 42 Jahren vollständig ohne Atomenergie auskommen.[609] Das Land bezog daraufhin seinen Strom unter anderem durch Thermalkraftwerke.[610]
Durch die komplette Abschaltung sämtlicher Atomkraftwerke stiegen die Strompreise drastisch, in manchen Regionen um bis zu 38 %, an. Die dadurch ausgelöste Reduktion im Stromverbrauch führte zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate während sehr kalter Perioden, wodurch nach einer Studie des Institute for Labor Economics der Deutsche Post Stiftung für die Zeit von 2011–2014 1.280 Personen starben. Die Studie ergab, dass in der Beobachtungsperiode 19 % der Kälte-bedingten Todesfälle in Japan auf die erhöhten Strompreise zurückzuführen waren.[611]
Angesichts von Warnungen seitens der Atomindustrie und der Zentralregierung vor Stromausfällen im Sommer erteilte die Regierung Mitte Juni 2012 Anweisung, die Reaktoren 3 und 4 des Kernkraftwerks Ōi hochzufahren.[610] Das Kraftwerk gehört zum Unternehmen KEPCO.[612] Anfang Juli 2012 ging trotz Protesten seitens der Bevölkerung der Reaktor 3 in Betrieb. Es war die erste Inbetriebnahme nach der Nuklearkatastrophe und nach dem Zeitraum von nur in etwa zwei Monaten ohne Betrieb eines Atomreaktors in Japan.[613]
Japanische Gesellschaft
In der Evakuierungszone um das Kraftwerk verzögerte sich wegen der hohen Strahlungsbelastung die Bergung von Tsunami-Opfern. Wegen der möglichen Kontamination würde eine Übergabe an die Angehörigen oder eine Einäscherung auch weitere Gefahren beinhalten.[614]
In Japan machte der Ausdruck Flyjin (aus Gaijin, „Ausländer“ und Fly, engl. „Flug“ oder „Flucht“) die Runde. Damit wurden in der Expatriategemeinde Ausländer bezeichnet, die sich nach den ersten Reisewarnungen ohne Abschied auf den Weg in die jeweilige Heimat machten. Der Exodus der Ausländer hat in der Krise auch das Selbstbild der Japaner bedroht und verschlimmerte die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zusätzlich. Es kommen erhebliche Vertrauensverluste gegenüber zeitweise Abgereisten hinzu.[615]
Menschen aus der Präfektur Fukushima wurden teils aus Angst vor „Verstrahlung“ diskriminiert. Kōichirō Gemba, Minister für Sozialpolitik, berichtete von Abweisungen durch Hotels und von schikanierten Kindern.[284]
Am 2. September 2011 löste Yoshihiko Noda (bis dahin Finanzminister) den für sein Krisenmanagement in die Kritik geratenen Naoto Kan ab und wurde neuer Premierminister. Kan hatte Juni 2011 seinen Rücktritt unter Bedingungen angekündigt.
Atomenergiepolitik
Die Gallup International Association, ein weltweiter Verbund von Meinungsforschungsinstituten, führte zwischen dem 21. März und dem 10. April 2011 Umfragen in 47 Ländern zur Nutzung von Kernenergie durch. Demnach fiel der Anteil der Kernkraft-Befürworter gegenüber der letzten Umfrageserie vor der Fukushima-Katastrophe von 57 auf 49 Prozent, während der Anteil der Kernkraftgegner von 32 auf 43 Prozent anstieg. 81 Prozent der Befragten hätten von den Nuklearunfällen in Fukushima gewusst. In den zehn Jahren zuvor sei der weltweite Anteil der Kernkraftbefürworter stetig angestiegen. Die Studie wurde am 19. April 2011 von WIN-Gallup International in Islamabad veröffentlicht.[7]
Ende April wies UN-Generalsekretär Ban Ki-moon darauf hin, dass die Sicherheit der Kernkraftwerke dringend weltweit überprüft werden müsse.[616]
Japan
Premierminister Naoto Kan veranlasste eine Überprüfung der laufenden Planungen für den Bau von 14 weiteren Kernkraftwerken.[617] Verschiedene Kraftwerksbetreiber froren daher ihre Pläne für den Bau neuer Reaktoren ein.[618][619] Außerdem plädierte Kan für eine Ausgliederung der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA aus dem Wirtschaftsministerium, das die Nutzung der Kernenergie in Japan aktiv gefördert hatte.[620]
Die Nuklearkatastrophe bewirkte einen grundlegenden Wandel in der Einstellung der japanischen Bevölkerung zur Atomenergie. Vom 27. bis zum 31. März kam es erstmals zu nennenswerten Demonstrationen; etwa 100 bis 1000 Atomkraftgegner versammelten sich vor dem Tepco-Hauptquartier in Tokio.[621][622] Am 10. April demonstrierten in Tokio 17.500 Menschen gegen Atomkraftwerke;[623] es folgten weitere Kundgebungen. Die Zustimmung zur zivilen Nutzung der Kernenergie ging nach einer Umfrage der Gallup International Organisation in den ersten Unfallwochen von 62 auf 39 Prozent der Japaner zurück, während der Anteil der Kernkraftgegner von 28 auf 47 Prozent zunahm. Dieser Meinungsumschwung war größer als in allen anderen von Gallup untersuchten Ländern.[7]
Im Mai ließ die Regierung das Kernkraftwerk Hamaoka abschalten, weil es nicht hinreichend gegen Erdbebenfolgen geschützt sei,[334] und brachte eine stärkere Nutzung erneuerbarer Energien statt des bisher geplanten, weiteren Ausbaus der Kernenergie ins Gespräch.[624]
Die Wiederinbetriebnahme der nach dem Erdbeben abgeschalteten Kraftwerke verzögerte sich wegen Vorbehalten der Bevölkerung, vertreten durch die örtlichen Behörden. Zwar lag die Entscheidung hierüber letztendlich beim Wirtschaftsministerium, aber traditionell wird den Präfekturen und Gemeinden ein Mitspracherecht eingeräumt. Ein Versuch von 400 Tepco-Aktionären, die drei Kraftwerke des Unternehmens (Fukushima Daiichi, Fukushima Daini und Kashiwazaki-Kariwa) per Hauptversammlungsbeschluss stillzulegen,[578] scheiterte.
Im Juni/Juli ereignete sich ein Skandal um das Kernkraftwerk Genkai, das als erstes wieder in Betrieb gehen sollte. Öffentliche Debatten zu diesem Thema wurden von der Betreibergesellschaft Kyūshū Denryoku in großem Stil manipuliert.[625][343] Dieses und weitere Kraftwerke blieben daraufhin abgeschaltet. Auch die Kernkraftwerksbetreiber Chūbu Denryoku und Shikoku Denryoku gerieten in Manipulationsverdacht,[626] ebenso die Atomaufsichtsbehörde NISA, deren Direktor kurzfristig entlassen wurde.[627]
Die Regierung entschied, die NISA im April 2012 aus dem Wirtschaftsministerium auszugliedern und zusammen mit den Mitarbeitern der Nuclear Safety Commission of Japan dem Umweltministerium anzugliedern.[628] Kritiker bezweifelten die Kompetenz des Umweltministeriums bei Kernenergiefragen und wiesen darauf hin, dass die von der IAEO seit Jahren geforderte Unabhängigkeit der Atomaufsicht von der Regierung damit nach wie vor nicht gewährleistet sei.[629][39] Zum 19. September 2012 wurden dieses Vorhaben umgesetzt und beide Organisationen durch die Nuclear Regulation Authority ersetzt.[630]
Am 14. September 2012 beschloss die japanische Regierung auf einem Ministertreffen in Tokio einen schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie bis in die 2030er Jahre, spätestens aber bis 2040. Die Regierung teilte mit, man wolle „alle möglichen Maßnahmen“ ergreifen, um dieses Ziel zu erreichen.[631] Wenige Tage später schränkte die Regierung den geplanten Atomausstieg wieder ein, nachdem die Industrie gedrängt hatte, die Pläne zu überdenken. Angeführte Argumente waren, dass ein Atomausstieg die Wirtschaft belasten und es aufgrund des Imports von Öl, Kohle und Gas zu hohen Mehrkosten kommen würde. Daraufhin billigte die Regierung die Energiewende, ließ aber den Zeitpunkt für die Stilllegung der Kernkraftwerke offen.[632]
Im Dezember 2012 kam es nach der Shūgiin-Wahl 2012 zu einem Regierungswechsel: Der ehemalige Premierminister Shinzō Abe wurde erneut Premierminister. Er gilt als Atomkraft-Befürworter.[633]
2015 gingen erstmals wieder zwei Reaktoren ans Netz, sie befinden sich im Südwesten Japans. Bis Mitte Juni 2017 waren landesweit wieder insgesamt fünf Reaktoren am Netz, der letzte davon wurde erst Anfang des Monats im Kernkraftwerk Takahama wieder hochgefahren. Zusätzlich hat ein Gericht Mitte Juni 2017 die Wiederinbetriebnahme von zwei Reaktoren im Kernkraftwerk Genkai genehmigt, entgegen dem Widerstand der Anrainer und deren Vorwurf an den Kraftwerksbetreiber von unzureichendem Schutz der Anlage vor Naturkatastrophen.[634]
Europäische Union
Am 25. März 2011 beschloss die Europäische Union, allen Atomkraftwerksbetreibern ihrer 27 Mitgliedsstaaten freiwillige Tests nach einheitlichen, noch zu vereinbarenden Kriterien vorzuschlagen. Unabhängige Experten sollten bis Ende 2011 Risiken wie Naturkatastrophen, von Menschen verursachte Unfälle wie Flugzeugabstürze und Terrorangriffe prüfen. Nach wochenlangem Streit einigten sich die Atomaufsichtsbehörden der Mitgliedsstaaten auf Kriterien für eine verbindliche, „Stresstest“ genannte Überprüfung, die am 1. Juni 2011 begann und Ende April 2012 abgeschlossen sein sollte. Risiken aus Terrorangriffen waren darin nicht enthalten.[635][636]
Wegen des Wirbels hinter den Kulissen und zusätzlicher Prüfungen verzögerte sich der Abschlussbericht. Am 4. Oktober 2012 veröffentlichte die EU ein 20-seitiges Papier.[637]
Der Abschlussbericht zeigt Sicherheitsmängel und Defekte in beinahe allen europäischen Atomkraftwerken auf, die Reparaturkosten der 134 untersuchten Kraftwerke wurden auf bis zu 25 Milliarden Euro geschätzt. Nach einem Bericht des Le Figaro, zitiert in der Zeitung Die Presse erfüllt keines der 58 Kernkraftwerke Frankreichs die Sicherheitsstandards der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA).[638]
Deutschland
In Deutschland beschloss Kanzlerin Angela Merkel unter dem Eindruck der Reaktorunfälle, dass die Bundesrepublik doch aus der Atomkraft aussteigt. Ihre Regierung hatte den von Rot-Grün ausgehandelten Atomausstieg zuvor noch rückgängig gemacht und die Nutzung von Kernenergie mit der Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke beschlossen.[639] Am 14. März 2011 – wenige Tage nach dem Beginn der Nuklearkatastrophe von Fukushima – gab Bundeskanzlerin Merkel bekannt, dass alle 17 deutschen Kernkraftwerke für drei Monate einer Sicherheitsprüfung unterzogen werden sollen (Atom-Moratorium).[640] Kurz darauf fiel die Entscheidung, die sieben ältesten Kernkraftwerke Deutschlands und das AKW Krümmel vorerst abzuschalten bzw. abgeschaltet zu lassen. Die Umsetzung wurde den Bundesländern überlassen, in denen diese Kraftwerke stehen.
Wie bereits seit Monaten durch Prognosen absehbar erreichten die Grünen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011 am 27. März 2011 deutlich über 20 % und stellten mit Winfried Kretschmann erstmals einen Ministerpräsidenten. Nach einer Umfrage von Gallup International am 29. März 2011 ging der Anteil der Kernkraftbefürworter in Deutschland von 34 auf 26 Prozent zurück, während der Anteil der Kernkraftgegner von 64 auf 72 Prozent anstieg.[7]
Am 30. Juni 2011 beschlossen Bundestag und Bundesrat mit deutlicher Mehrheit, dass die sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke und das Kernkraftwerk Krümmel sofort stillzulegen sind, und dass alle übrigen deutschen Kernkraftwerke bis 2022 stillgelegt werden.
Weitere Staaten
Einige Staaten wie Indien,[641] Pakistan,[642] Russland[643] und Spanien[644] kündigten eine Prüfung ihrer laufenden Kernkraftwerke an. Venezuelas Präsident Hugo Chávez[644] und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu[645] erklärten, sie wollten Pläne für das jeweils erste Kernkraftwerk in ihren Ländern stoppen. Die Volksrepublik China fror die Genehmigungen für alle neuen Kernkraftwerke ein.[646]
Die Schweiz veranlasste eine sofortige Überprüfung aller Kernkraftwerke[647] und plante anschließend eine Laufzeitbeschränkung auf 50 Jahre und damit einen vollständigen Ausstieg bis 2034.[648]
Frankreich (Präsident Sarkozy Kabinett Fillon III),[649] Indonesien,[650] die Niederlande (Kabinett Rutte I),[651] die Türkei (Kabinett Erdoğan II),[652] Vietnam[653] und Belarus[654] erklärten, an ihren Plänen für neue Kernkraftwerke festzuhalten.
US-Präsident Barack Obama veranlasste eine Sicherheitsprüfung aller US-Atomkraftwerke.[655] Die Überprüfung ergab, dass die Sicherheitsvorkehrungen gegen schwere Unfälle bei manchen Kraftwerken nicht ausreichend sind.[341]
Italiens Regierung (Kabinett Berlusconi IV, Mai 2008 bis November 2011) setzte einen geplanten Wiedereinstieg in die Kernenergie zunächst für ein Jahr aus.[656] Eine Volksabstimmung im Juni 2011 bestätigte mit großer Mehrheit den Ausstieg.
Die politischen Diskussionen setzten sich weiter fort. In Frankreich nahm die Zustimmung zur Kernenergie langsam ab und wandelte sich bis Juni 2011 in einen langfristigen Ausstiegswunsch bei einer Mehrheit der Bevölkerung.[7][657]
Tepcos Analyse, Haftung und Finanzierung
Tepcos Analyse
Tepcos interne Untersuchungskommission unter Leitung des Firmenpräsidenten Naomi Hirose gestand in einem am 12. Oktober 2012 veröffentlichten Bericht[658] ein, dass die Firma es unterlassen habe, entschiedenere Maßnahmen zur Vermeidung von Katastrophen wie der von Fukushima zu ergreifen, da befürchtet wurde, dass dies indirekt zu (1) Protesten bzw. gerichtlichen Klagen führen, (2) Anti-Atomkraft-Einstellungen in der Bevölkerung Vorschub leisten und (3) negativen Einfluss auf den Kraftwerksbetrieb haben könnte.[659][660][661] In dem Kommissionreport bestätigt Tepco, dass man die Folgen des Unglücks hätte mindern können, wenn die Energieversorgungs- und Kühlsysteme der Anlage den internationalen Standards entsprechend redundanter ausgelegt worden wären.
Darüber hinaus gesteht der Bericht zu, dass Tepco es nicht hätte zulassen dürfen, dass die Notfallübungen lediglich als obligatorische Formalität absolviert wurden statt als praktische Übungen zum Krisenmanagement.[661]
Tepco schreibt weiter: „Es gab Befürchtungen dass – wären weitere Maßnahmen gegen ernste Unfälle ergriffen worden – sich in den Gastgeber-Gemeinden (der Reaktoren) Sorgen über Sicherheitsprobleme der gegenwärtigen Kraftwerke breit machen würden.“ Es wird berichtet, dass bereits 2002 Maßnahmen gegen schwere Unglücke ergriffen wurden, die den Druckablass im Notfall sowie die Verknüpfung der Energieversorgungssysteme untereinander betrafen, dass aber weitergehende Maßnahmen nie umgesetzt wurden, da diese zur „Verunsicherung der Öffentlichkeit führen und die Anti-Atomkraft-Bewegung stärken könnten“.[662]
Kosten und Haftung
Die Kosten der Reaktorkatastrophe werden je nach Quelle auf über 150[663] bis ca. 187 Mrd. Euro geschätzt (Stand Oktober 2013).[664][665] Nach dem japanischen Atomhaftungsgesetz[666] trifft die Betreiber von Atomkraftwerken verschuldensunabhängig eine Gefährdungshaftung für nukleare Schäden, sofern diese nicht durch eine außergewöhnlich schwerwiegende Naturkatastrophe oder einen Aufstand verursacht wurden. Regierungssprecher Edano sagte, die Anwendung der Naturkatastrophen-Ausnahme sei unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen unmöglich.[667]
Der Reaktorbetrieb ist nur erlaubt, wenn der Betreiber sowohl einen privaten Haftpflichtversicherungsvertrag als auch eine Freistellungsvereinbarung mit dem Staat für durch die Versicherung nicht abgedeckte Schäden abschließt. Hierbei ist eine Deckungssumme von 120 Milliarden Yen (damals umgerechnet rund eine Milliarde Euro) je Installation vorgeschrieben.[668] Die private Versicherung des japanischen Atompools (Japan Atomic Energy Insurance Pool) deckt keine durch Erdbeben verursachten Schäden ab.[669] Überschreitet ein Schaden die Deckungssumme, kann der Staat den Betreiber auf Beschluss des japanischen Parlaments bei der Erfüllung der Schadensersatzforderungen unterstützen.[670]
Für die Geschädigten sind Schäden aus radioaktiven Kontaminationen nicht durch Versicherungen abgedeckt. Die großen Rückversicherer Swiss Re und Münchener Rück erwarteten keine nennenswerte Belastung der Versicherungswirtschaft aus den Nuklearunfällen (Stand Mai 2011).[671][672]
Mitte April 2011 wurde Tepco vom Gesetzgeber dazu verpflichtet, sowohl die aus der Umgebung des Kraftwerks evakuierten Menschen als auch jene, die ihre Häuser nicht verlassen sollten, vorläufig finanziell zu entschädigen. Für jeden Mehrpersonenhaushalt zahlte Tepco eine Million Yen – dies entsprach zum damaligen Zeitpunkt ungefähr 8.300 € – und für jeden Singlehaushalt 750.000 Yen, entsprechend 6.250 €.[673] 50.000 Haushalte erhielten insgesamt rund 50 Milliarden Yen (415 Mio. €).[674] Inzwischen ist die Summe für die Entschädigung von privaten Haushalten auf ca. 7,7 Billionen Yen (~ 60 Milliarden €) angestiegen. (Stand Januar 2018)[675] Wenig später bestätigte eine Regierungskommission, dass Tepco die wirtschaftlichen Verluste aus Verboten und freiwilligen Einschränkungen des Verkaufs von landwirtschaftlichen und Fischereiprodukten zu tragen habe.[676] Tepco könne sich nicht auf die Haftungsausschlussklausel bei Naturkatastrophen berufen, weil dem Unternehmen der unzureichende Schutz der Anlage gegen Tsunamis bekannt gewesen sei.[80] Die Gesamtentschädigungen für die Landwirtschaft wurden im Dezember 2011 mit umgerechnet rund 1 Mrd. Euro beziffert. Der Großteil davon war zu diesem Zeitpunkt bereits ausgezahlt.[518]
Finanzierung
Durch die Unfallfolgekosten und den Ausfall weiterer Kraftwerke nach dem Erdbeben[677] geriet Tepco in finanzielle Schwierigkeiten[678] und ersuchte um den 23. März sieben japanische Großbanken um Kredite in Höhe von umgerechnet 17 Milliarden Euro, mit denen die Schäden aus der Reaktorkatastrophe bezahlt werden sollen. Zuvor hatten die Ratingagenturen Moody’s sowie Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit von Tepco herabgestuft.[679] Die Banken stellten die gewünschten Kredite innerhalb von drei Wochen zur Verfügung.[48]
Die japanische Regierung erwog eine Aufspaltung des Unternehmens. Das Kraftwerk Fukushima I würde demnach aus dem Konzern herausgetrennt und verstaatlicht. Damit käme der japanische Staat auch für die Entschädigungszahlungen infolge der Katastrophe auf.[680] Unabhängig davon sagte die Regierung zu, das Unternehmen zu unterstützen, falls es die Kosten der Nuklearkatastrophe nicht alleine tragen könne.[681] Am 10. Mai kam Tepco auf dieses Angebot zurück und bat den Staat offiziell um finanzielle Unterstützung.[682]
Die Regierung richtete im September mit einem eigenen Gesetz, einer „Lex Tepco“, einen Unterstützungsfonds mit der Bezeichnung Nuclear Damage Compensation Facilitation Corporation (Fördergesellschaft für die Kompensation von Nuklearschäden) ein, der sich hauptsächlich über vom Staat garantierte Anleihen finanziert, zunächst mit einem Volumen von umgerechnet bis zu 18 Milliarden Euro. Weitere Beiträge leisten neun der zehn regionalen japanischen Stromversorger und andere Unternehmen der Nuklearindustrie. Der Fonds stellt dem Kraftwerksbetreiber bei Bedarf Geld für die Finanzierung von Entschädigungszahlungen zur Verfügung, das in Raten wieder zurückgezahlt werden muss.[683][684][685]
Im Jahresabschluss des Geschäftsjahres 2010/11 (zum 31. März 2011) verbuchte Tepco Aufwand und Rückstellungen von 884 Milliarden Yen (umgerechnet 7,5 Milliarden Euro) für bis dahin angefallene und weitere erwartete Kosten der Nuklearunfälle. Davon entfielen 426 Mrd. Yen auf die Stabilisierungs- und Sicherungsmaßnahmen im Kraftwerk, 207 Mrd. Yen auf den geplanten Abbruch der Reaktorblöcke 1 bis 4, 212 Mrd. Yen auf die laufenden Betriebskosten der abgeschalteten Blöcke 5 und 6 und 39 Mrd. Yen auf die Aufgabe der geplanten Blöcke 7 und 8. Die Reparaturkosten für andere, vom Erdbeben und Tsunami beschädigte Anlagen bezifferte Tepco auf 133 Mrd. Yen.[686] Nach Vermeldung der Zahlen gaben Präsident Shimizu Masataka und drei weitere Direktoren ihren Rücktritt zur Hauptversammlung am 28. Juni 2011 bekannt.[687] Weitere 1076 Mrd. Yen (rund 10 Mrd. €) kamen im ersten Geschäftshalbjahr 2011/12 hinzu, davon der Großteil für Entschädigungsaufwand.[688]
Prozesse
Die Staatsanwaltschaft entschied zweimal gegen eine Anklage von Tepco-Managern. Bürger und Protestgruppen drängten vehement darauf, gegen Tepco-Manager einen Prozess zu führen. Erst nachdem in einem sehr selten angewandten Verfahren zwei Bürger-Jurys für die Anklage votierten, wurden 2016 drei Tepco-Manager angeklagt: Tsunehisa Katsumata (77), der frühere Tepco-Vorstandsvorsitzende, sowie die beiden ehemaligen Vizepräsidenten Sakae Muto (66) und Ichiro Takekuro (71 Jahre).
Im Juni 2017 begann dieser Prozess. Es ist das erste strafrechtliche Verfahren in Japan zur Aufarbeitung der Atomkatastrophe. Den Angeklagten wird vorgeworfen, ihre dienstlichen Pflichten vernachlässigt zu haben. Die Anklage lastet ihnen unter anderem den Tod von 44 Menschen an, darunter Patienten, die aus der Nähe des Kernkraftwerks evakuiert wurden und dabei starben.[689]
Im März 2018 stellte ein Gericht in Kyoto eine Mitschuld der japanischen Regierung und des Betreiberkonzerns Tepco an der Katastrophe von Fukushima fest. Staat und Unternehmen wurden zu Entschädigungszahlungen in Höhe von umgerechnet 835.000 Euro verurteilt. Die Regierung sei bis zu einem gewissen Grad in der Lage gewesen, das Risiko eines Tsunamis vorherzusehen. Der Staat habe es aber versäumt, Tepco zu Schutzmaßnahmen aufzufordern.[690]
Im September 2019 wurden alle drei Tepco-Manager freigesprochen, da der Tsunami nicht vorhersehbar gewesen sei.[691]
Rezeption
Einer der Arbeiter auf dem Gelände des zerstörten Atomkraftwerks war der japanische Mangaka Kazuto Tatsuta. Er schildert zum Selbstschutz vor seinem Arbeitgeber unter diesem Pseudonym seine Erlebnisse in dem dreibändigen Manga Reaktor 1F – Ein Bericht aus Fukushima. Dabei wurden auch bis zur Veröffentlichung weitgehend unbekannte Informationen aus dem Inneren des zum großen Teil unzugänglichen Geländes sowie der zerstörten Gebäude dargestellt. Die deutschen Ausgaben des Mangas erschienen beim Carlsen Verlag.[692][693][694]
Im 2015 erschienenen Album Werwolf-Attacke – Monsterball ist überall der Musikgruppe EAV wird das 1987 in Reaktion auf die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl erschienene Lied Burli mit dem Stück Mrs. Fuckushima fortgeschrieben.[695][696]
Der im Jahr 2016 erschienene deutsche Spielfilm Grüße aus Fukushima befasst sich mit dem Umgang von Betroffenen mit deren Verlust von Heimat und Besitz.[697]
Quarks & Co, das Wissenschafts-Fernsehmagazin des WDR, berichtete mehrmals und von Beginn an über die Dreifachkatastrophe, insbesondere über die Vorgänge in Fukushima.[698] Ein Jahr danach, am 6. März 2012 wurde unter dem Titel Die Katastrophe von Fukushima über den Störfall und seine Folgen berichtet.[699] Über den Stand der Aufräumarbeiten am Reaktor und in der Region wurde vier Jahre danach in der Sendung mit dem Titel Fukushima – Ende nicht in Sicht informiert,[700][701] nach zehn Jahren folgte Fukushima heute – Leben im Katastrophengebiet.[702]
Am 11. März 2021 erschien eine Verfilmung mit dem Namen „Fukushima 50“ von Setsurô Wakamatsu, sie beschreibt die Arbeit der am Reaktor verbliebenen Menschen.[703]
Siehe auch
Literatur
- Bundesamt für Strahlenschutz [Hrsg.]: Die Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima nach dem Seebeben vom 11. März 2011 : Beschreibung und Bewertung von Ablauf und Ursachen, auch online Downloadseite (PDF; 23 MB), abgerufen am 15. März 2015.
- Helen Caldicott [Hrsg.]: Crisis Without End: The Medical and Ecological Consequences of the Fukushima Nuclear Catastrophe. [Die Beiträge eines Symposiums an der New York Academy of Medicine, veranstaltet vom 11. bis 12. März 2013]. The New Press, New York 2014. ISBN 978-1-59558-970-5 (eBook)
- Richard J. Samuels: 3.11: Disaster and Change in Japan. Cornell University Press, Ithaca 2013, ISBN 978-0-8014-5200-0.
- Tomohiko Suzuki: Inside Fukushima. Eine Reportage aus dem Innern der Katastrophe, Assoziation A, Hamburg 2017, ISBN 978-3-86241-458-1.
Weblinks
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- Inside Japan’s Nuclear Meltdown – PBS-Frontline-Dokumentation (Video, 55 Min., englisch)
- Pressemeldungen (englisch) des Kraftwerksbetreibers Tepco
- Webcam Kernkraftwerk Fukushima I, Aufzeichnung seit dem 11. März (Memento vom 19. März 2011 im Internet Archive)
- Berichte der japanischen Atomaufsichtsbehörde NRA (englisch) (Memento vom 6. August 2014 im Internet Archive)
- The 2011 off the Pacific coast of Tohoku Pacific Earthquake and the seismic damage to the NPPs (Memento vom 13. April 2011 auf WebCite) (englisch), Zusammenstellung des Unfallhergangs durch die NISA (Archiv)
- The Tohoku-Taiheiyou-Oki Earthquake and Subsequent Tsunami on March 11, 2011 and Consequences for Nuclear Power Plants in Northeast Honshu (englisch; PDF; 5,2 MB), Materialsammlung zum Unfallhergang, Ludger Mohrbach und Thomas Linnemann, VGB PowerTech
- Dokumentensammlung der japanischen Behörden zu Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung (PDF, englisch)
- Fukushima auch in Deutschland? Hintergrundartikel im Spektrum der Wissenschaft vom 25. Juli 2011
- Fukushima Daiichi Nuclear Power Station Photos 20, 28 February 2012 bei Cryptome
- 365 Tage Fukushima – Infobroschüre der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS (mbH) vom 7. März 2012
- Übersichtskarte der Strahlenbelastung in Japan, ständige Aktualisierung
- Melanie Arndt: Fukushima ist nicht Tschernobyl? In: Zeitgeschichte Online. Zentrum für Zeithistorische Forschung, März 2011, abgerufen am 17. Januar 2015.
- Susanne Pötzsch: Bilder der Zerstörung. Fukushima im Film, auf Zeitgeschichte-online, März 2012
- Deutschlandfunk.de, Dossier, 4. März 2016, Judith Brandner: Japanische AKW. Tagelöhner am Reaktor.
- 10 Jahre Fukushima. In: grs.de. Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), 12. März 2021 .
- Radiologische Situation und aktuelle Arbeiten am Kernkraftwerk Fukushima: ein Überblick – eine Zusammenfassung der Änderungen in der Neuauflage vom Fukushima-Bericht der GRS, konkret Fukushima Daiichi 11. März 2011 (5. überarbeitete Auflage, März 2016, PDF).
- Inside Fukushima’s Time Bomb. Al Jazeera English, August 2016 (Video, englisch, 25 Min.)
- Fukushima – Chronik eines Desasters. Arte, 2012, 48 Min. (YouTube).
Einzelnachweise
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- Filmkritik von „Fukushima 50“ auf filmstarts.de