Kerntechnischer Hilfsdienst
Die Kerntechnische Hilfsdienst GmbH (KHG) ist ein von der deutschen Kerntechnik-Industrie getragenes privatwirtschaftliches Unternehmen, das bei Stör- und Unfällen in kerntechnischen Anlagen zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden soll.
Kerntechnische Hilfsdienst GmbH | |
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Rechtsform | GmbH |
Gründung | 1977 |
Sitz | Eggenstein-Leopoldshafen, Deutschland |
Leitung | Walter Sturz[1] |
Mitarbeiterzahl | 21[2] |
Umsatz | 5,87 Mio. EUR[2] |
Branche | Kernenergie |
Website | www.khgmbh.de |
Stand: 28. Dezember 2019 |
Gegenstand des Unternehmens und Struktur
Die KHG wurde 1977 von Betreibern deutscher Kernkraftwerke, der Brennstoffkreislaufindustrie und Großforschungszentren gegründet.[3] Den größten Anteil (87,6 %) an der KHG hält heute die „Beteiligungsgesellschaft der Energieversorgungsunternehmen an der KHG GbR“, vertreten durch EnBW Kraftwerke AG, E.ON Kernkraft GmbH, RWE Power AG und Vattenfall Europe.[4] Der Firmensitz befindet sich in unmittelbarer Nähe des Forschungszentrums Karlsruhe (früher Kernforschungszentrum Karlsruhe) in Eggenstein-Leopoldshafen.
Der Gegenstand des Unternehmens ist laut Handelsregisterbekanntmachung vom 29. Januar 2004 der Aufbau, Betrieb und Einsatz eines Kerntechnischen Hilfsdienstes als Einrichtung im Sinne des (damals gültigen) § 53 der Strahlenschutzverordnung („Vorbereitung der Schadensbekämpfung bei sicherheitstechnisch bedeutsamen Ereignissen“, seit 2019 gilt eine veränderte Verordnung[5]). Die Gesellschaft hält das erforderliche Personal und die erforderlichen Hilfsmittel vor, um die durch Unfälle oder Störfälle innerhalb von Kontrollbereichen und betrieblichen Überwachungsbereichen entstandenen Gefahren einzudämmen oder zu beseitigen.[6]
Der Stamm fester Mitarbeiter ist in eine ständige Rufbereitschaft eingebunden und rückt im Einsatzfall mit den am Firmensitz vorhandenen Fahrzeugen zum Einsatzort aus. Dort wird er von weiteren in die Ausrüstung eingewiesenen Personen, die von den beteiligten Unternehmen gestellt werden, unterstützt. Dabei handelt es sich um 111 Mitarbeiter aus 11 Firmen. Mit diesem Fremdpersonal werden je nach Qualifikation und Einsatzzweck Trainingskurse an Geräten und Einrichtungen der KHG sowie Übungen bei Betreibern aus dem Gesellschafterkreis der KHG durchgeführt.[7] Mehrere KHG-Mitarbeiter sind als ständige Mitglieder des Arbeitskreises Notfallschutz im Fachverband für Strahlenschutz e.V. und im Ausschuss Notfallschutz der Strahlenschutzkommission (SSK) des Bundes tätig.
Mit „Groupe Intra“, einer französischen Organisation mit ähnlichen Aufgaben, besteht ein Abkommen über gegenseitige Hilfeleistung.[8] Anlässlich des 40-jährigen Bestehens der KHG hat 2017 eine Übung mit Groupe Intra auf dem KHG-Gelände stattgefunden.
Die KHG beteiligte sich wiederkehrend an Ringversuchen und Vergleichsmessungen des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) zur Kernstrahlungsmesstechnik und nimmt an Übungen zur Notfallvorsorge in kerntechnischen Anlagen teil.[9]
Am 21. April 2020 meldete die bundeseigene BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung die Absicht zur Übernahme der KHG beim Bundeskartellamt zur Prüfung an.[10]
Fachbereiche
Die Kerntechnische Hilfsdienst GmbH gliedert sich in die Fachbereiche Infrastruktur, Strahlenschutz, Dekontamination und Fernhantierung. Sie verfügen über eine mobile Einsatzzentrale und 20 Abrollbehälter bzw. Sattelauflieger, die wahlweise mit Wechselladerfahrzeugen, Lkw (Mercedes-Benz) oder per Bahn an ihren Einsatzort verbracht werden können. Der Fahrzeugpark umfasst ein mobiles Strahlenmesslabor und drei Strahlenmessfahrzeuge. Vor Ort können zur Messung der Ortsdosisleistung zwölf Skylink-Funksonden platziert werden. Zur Dekontamination stehen eine mobile Dekontaminationsanlage (MDA), zwei Personenduschcontainer und eine Reinigungsmaschine „Alpha“ zur Verfügung. Um in Gefahrenbereiche vorzudringen, verfügt die KHG über mehrere strahlengehärtete Roboter, darunter ein schweres Manipulatorfahrzeug (SMF), Manipulatoren „MF3“ und „MF4“, sowie eine funkgesteuerte Raupe. Die Einsatzfahrzeuge besitzen eine Sondersignalanlage, nicht alle sind beschriftet, jedoch an ihrer dunkelbraunen Lackierung mit hellbraunem Streifen dennoch als KHG-zugehörig erkennbar.[11]
Infrastruktur
Der Fachbereich Infrastruktur stellt Ausrüstung zur Planung und Führung von Einsätzen zur Verfügung. Insbesondere können dort die Personen, die an der Behebung der Fehlfunktion, die zum Stör- oder Unfall geführt hat, beteiligt sind, mit Fachinformationen versorgt werden.
Strahlenschutz
Der Bereich Strahlenschutz rüstet im Inneren der betroffenen Anlage eingesetzte Hilfskräfte mit Strahlenmessgeräten aus. Außerdem führt er im Inneren und in der Umgebung der Anlage Strahlenmessungen selbst durch und untersucht Mitarbeiter, Hilfskräfte und Zivilisten auf mögliche Kontaminationen. Dazu stehen ihm Geräte zur Messung der Stärke ionisierender Strahlung und zur Identifizierung radioaktiver Stoffe zur Verfügung.
Dekontamination
Im Fachbereich Dekontamination werden Duschen zur Reinigung kontaminierter Personen und Ausrüstung vorgehalten. Außerdem führt er Atemschutzgeräte und Schutzkleidung zur Ausstattung der Hilfskräfte mit.
Fernhantierung
Der Fachbereich Fernhantierung besitzt mehrere ferngesteuerte Fahrzeuge, die mit Videokameras und verschiedenen Werkzeugmaschinen ausgestattet werden können, um in kontaminierten Bereichen handwerkliche Aufgaben durchzuführen und damit Störungen in der kerntechnischen Anlage zu beheben.
Forschungs- und Entwicklungsprogramme
Die KHG ist bzw. war an mehreren Forschungs- und Entwicklungsprogrammen beteiligt, darunter befanden sich:
- Teilprojekte des Forschungsprogrammes „Forschung für die zivile Sicherheit“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
- Mitgliedschaft im Konsortium „ROBDEKON“: Die KHG ist als Industriepartner Mitglied im Konsortium ROBDEKON (Robotersysteme für die Dekontamination in menschenfeindlichen Umgebungen)[12]. Es dient als Kompetenzzentrum zur Erforschung von autonomen und teilautonomen Robotersystemen für die Dekontamination in menschenfeindlichen Umgebungen und wird seit 2018 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 12 Mio. Euro gefördert. Die Laufzeit erstreckt sich bis 2022.[13] Die Fähigkeiten und Kenntnisse der KHG sind für das Konsortium im Zusammenhang mit der Stilllegung der deutschen Kernkraftwerke und deren Rückbau unter Nutzung von roboterbasierten Dekontaminationsverfahren interessant, da sie langjährige Erfahrungen im Bereich Personen- und Materialdekontamination hat.
- Mitarbeit im Projekt ANCHORS: Die KHG war am deutsch-französischen Projekt ANCHORS (Assisted Ad Hoc Networks for Crisis Management and Hostile Environment Sensing) beteiligt[14], bei dem es um ein neues System zur Lageerfassung aus sicherer Entfernung vom Schadensort mit Hilfe von mit Sensoren bestückte Robotern geht. Das Projekt lief von 2012 bis 2015. Die KHG erhielt Fördermittel in Höhe von 132.565 Euro[15] für das Teilvorhaben 13N12208 „Entwicklung der Gesamtarchitektur, Erstellung einer Beschreibung des Einsatzszenarios, Modifikation eines ferngelenkten Zweikettenfahrzeugs einschließlich Integration aller erforderlichen Komponenten“.[16] Die KHG ist selbst Nutznießer der Projektergebnisse, da sie nach eigener Aussage selbst zwar eine Vielzahl sich funktional ergänzender ferngelenkter Luft- und Bodensysteme betreibt, diese aufgrund vielfältiger technischer Einschränkungen aber nicht zeitgleich und kooperierend einsetzen kann.[16] Untersucht wurden im Rahmen des Projektes folgende Szenarien: Vorfall in Kernkraftwerken (Flugzeugabsturz auf ein Kernkraftwerk, Venting in einem Kernkraftwerk nach Ausfall der Energieversorgung), Transportunfälle mit radioaktiven Quellen (Entgleisung eines Zuges mit Castor-Behälter, Beschädigung eines Behälters mit radioaktivem Abfall), Zwischenfälle mit radioaktivem Material (Industrieunfall mit Werkstoffprüfquellen, Prüfstrahler im Schrott).
- Im Rahmen des EU-Rahmenförderprogramms „Horizont“ beteiligte sich die KHG an dem von 2015 bis 2018 veranschlagten Projekt „Centauro“[2] zur Entwicklung eines symbiotischen Mensch-Roboter-Systems, bei dem ein menschlicher Bediener mit seinem ganzen Körper einen zentaurenähnlichen Roboter fernsteuert. Der CENTAURO-Roboter besteht aus einer vierbeinigen Basis und einem anthropomorphen Oberkörper. Es soll in der Lage sein, sich im Inneren von Gebäuden und auf Treppen, die mit Trümmern übersät sind und teilweise zusammengebrochen sind, zu bewegen.[17]
Weblinks
Einzelnachweise
- Ansprechpartner
- Kerntechnische Hilfsdienst GmbH. Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2017
- Kerntechnische Hilfsdienst GmbH. Abgerufen am 25. April 2020.
- Gesellschafterstruktur. (PDF) Kerntechnische Hilfsdienst GmbH, abgerufen am 25. April 2020.
- § 53 StrlSchV Vorbereitung der Schadensbekämpfung bei sicherheitstechnisch bedeutsamen Ereignissen. Abgerufen am 28. Dezember 2019.
- Kerntechnische Hilfsdienst Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Eggenstein-Leopoldshafen - Kernkraftwerk. Abgerufen am 28. Dezember 2019.
- Kerntechnische Hilfsdienst GmbH, Jahresabschluss 2016. In: Bundesanzeiger. Abgerufen am 10. Februar 2018.
- NOS PARTENAIRES. Abgerufen am 25. April 2020 (französisch).
- Übung im Zwischenlager Gorleben - GNS. Abgerufen am 25. April 2020.
- Laufende Fusionskontrollverfahren: BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH, Essen; Kontroll- und Anteilserwerb an der KHG Kerntechnische Hilfsdienst GmbH, Eggenstein-Leopoldshafen. Abgerufen am 25. April 2020.
- Kerntechnische Hilfsdienst GmbH. Abgerufen am 28. Dezember 2019.
- KHG Kerntechnische Hilfsdienst GmbH | ROBDEKON. Abgerufen am 28. Dezember 2019.
- Profil | ROBDEKON. Abgerufen am 28. Dezember 2019.
- Redaktion: BMBF LS5 Internetredaktion: ANCHORS: UAV – Assisted Ad Hoc Networks for Crisis Management and Hostile Environment Sensing - BMBF Sicherheitsforschung. Abgerufen am 28. Dezember 2019.
- Bilanz und Neuauflage des Programms Forschung für die zivile Sicherheit. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. (Drucksache 17/11987). In: Drucksache 17/12172. Deutscher Bundestag, 29. Januar 2013, abgerufen am 29. Dezember 2019.
- Dirk Dix: ANCHORS : UAV-assisted ad hoc networks for crisis management and hostile environment sensing : Teilvorhaben: Beteiligung an der Entwicklung der Gesamtarchitektur, Erstellung einer de-taillierten Beschreibung des Einsatzszenarios, Modifikation eines bereits existierenden ferngelenkten Zweikettenfahrzeugs (MTS) mit sich anschließender Verwendung als Basisfahrzeug zur Validierung des Gesamtsystems : Schlussbericht : Laufzeit: 01.05.2012 bis 31.10.2015. Kerntechnische Hilfsdienst GmbH, Eggenstein-Leopoldshafen 2015 (tib.eu [abgerufen am 28. Dezember 2019]).
- H2020 Project CENTAURO. Abgerufen am 25. April 2020 (englisch).