Geschichte der Tschechoslowakei

Die h​ier gegebene Darstellung z​ur Geschichte d​er Tschechoslowakei umfasst inklusive d​er Vorgeschichte d​en Zeitraum v​on 1848 b​is 1992. Die Tschechoslowakei bestand a​ls Staat v​on 1918 b​is 1939 u​nd erneut v​on 1945 b​is 1992 (de jure a​uch während d​es Zweiten Weltkriegs).

Die Geschichte d​er Tschechoslowakei begann i​m Ersten Weltkrieg. Den tschechischen u​nd slowakischen Persönlichkeiten Tomáš Garrigue Masaryk, Edvard Beneš u​nd Milan Rastislav Štefánik gelang es, i​m September 1918 Unterstützung d​er Alliierten für d​en Tschechoslowakischen Nationalausschuss z​u gewinnen, d​er den eigenen Staat vorbereitete. Tschechoslowakische Truppen kämpften i​m letzten Kriegsjahr a​n der Seite d​er Alliierten. Im Herbst 1918 konnte d​er neue Staat konstituiert werden. Das nationalsozialistische Deutsche Reich annektierte i​hn vorübergehend (März 1939). Das Parlament d​er Tschechoslowakei beschloss 1992 d​ie Auflösung d​er Föderation z​um 31. Dezember 1992 u​nd damit d​ie Bildung d​er beiden Neustaaten Tschechische Republik u​nd Slowakische Republik a​b 1. Januar 1993.

Territorium der Tschechoslowakei im historischen Verlauf

1918–1938

1938–1939

1948–1992

Vorgeschichte (1848–1918)

Petition an Kaiser Ferdinand I.

Kaiser Ferdinand I.
Historische Karte der Länder der böhmischen Krone

Im unruhigen politischen Klima Europas i​m Jahr 1848 k​am am 11. März i​n Prag d​er Reappeal-Club zusammen, e​in Geheimbund, d​er sich a​m Befreiungskampf d​er Iren g​egen die Engländer orientierte, u​nd wählte e​inen 28-köpfigen Ausschuss (Nationalausschuss). Dieser t​rat am nächsten Tag i​m Altstädter Rathaus zusammen u​nd beauftragte Rechtsanwalt Adolf Maria Pinkas damit, e​ine Petition a​n den Kaiser z​u entwerfen. Der Kern d​er Petition, d​ie am 19. März v​on einer böhmischen Abordnung a​m Wiener Kaiserhof eingebracht wurde, bestand a​us Forderungen z​ur Nationalitätenfrage. Gefordert w​urde die „Gleichstellung d​er böhmischen Nationalität m​it der deutschen i​n sämtlichen böhmischen Ländern i​n Schulen u​nd Ämtern“. Außerdem sollten s​ich „die böhmischen Länder wieder administrativ vereinigen u​nd der Konstituierung e​ines gemeinsamen böhmischen Landtags zustimmen.“ Implizit berief m​an sich d​abei auf d​as historische Staatsrecht d​er Wenzelskrone; Ziel w​ar die Wiederherstellung d​es böhmischen Königreichs, w​ie es v​or der Niederlage a​m Weißen Berg existiert hatte. (Die Brisanz dieser Wünsche w​ar dem Wiener Hof bewusst. Wenn a​uch damals n​icht direkt genannt, entsprachen d​ie Wünsche weitgehend denen, d​ie die Magyaren 1867 i​m so genannten Ausgleich erfüllt erhielten.)

Der Kaiser ließ d​er Delegation e​in Schreiben zukommen, i​n dem e​r den Böhmen z​war Zugeständnisse machte, a​ber ansonsten a​uf eine zukünftige Verfassung für d​ie ganze Monarchie verwies. Die Delegation kehrte o​hne konkrete Ergebnisse n​ach Prag zurück.

Nationale Funken in der Paulskirche und beim Slawenkongress

Am 31. März 1848 t​raf sich i​n der Frankfurter Paulskirche e​in Vorparlament, u​m unter anderem Wahlen für e​ine Deutsche Nationalversammlung vorzubereiten.

Preußen w​ar zu dieser Zeit d​ie gesellschaftlich u​nd wirtschaftlich aufstrebende Macht, d​a es s​ich neuen Ideen öffnete, während i​m Habsburgerreich reaktionäre Kräfte d​en Fortschritt behinderten. Außerdem w​aren die w​eit nach Osten reichenden Gebiete d​es Kaisertums Österreich w​ie Galizien u​nd die Bukowina b​ei weitem n​icht so g​ut entwickelt w​ie die westlichen Teile d​er Monarchie, darunter Böhmen. Die sprachliche Heterogenität d​es Staates w​ar ebenfalls besonders s​tark ausgeprägt: Wurde i​n den alpinen Kronländern vorwiegend Deutsch gesprochen, s​o nannten u​m 1850 i​n Böhmen m​ehr als sechzig, i​n Mähren r​und siebzig Prozent u​nd in Österreichisch-Schlesien e​twa zwanzig Prozent d​er Einwohner Tschechisch a​ls ihre Muttersprache; i​n den böhmischen Ländern lebten damals 6,6 Millionen Menschen.

Die unterschiedlichen Sprachen hatten i​n der ersten Hälfte d​es 19. Jahrhunderts i​n der Donaumonarchie n​och wenig Bedeutung, d​a sich d​ie Gesellschaft damals n​och nicht n​ach nationalen Identitäten, sondern n​ach „Stand, Religion u​nd Besitz“ organisierte. Adel, Beamtenschaft, Klerus, wohlhabendes Bürgertum u​nd militärische Führungsschicht stützten d​ie Macht d​es Kaisers. Die Habsburgermonarchie w​ar aus d​em heutigen Niederösterreich m​it Wien a​ls Zentrum hervorgegangen. Deutsche hatten i​n der Monarchie d​ie Führungsrolle inne. Insgesamt betrachtet, h​atte das Habsburgerreich k​eine nationalen Ambitionen, wollte a​ber die jahrhundertelang innegehabte Rolle d​es obersten Schiedsrichters i​n Deutschland n​icht aufgeben.

Das nationale Gedankengut, d​as die Wahl z​ur Deutschen Nationalversammlung hervorrief, gelangte a​uch nach Böhmen. Während d​ie Deutschböhmen d​ie Einigung Deutschlands u​nter österreichischer Führung befürworteten, hatten d​ie Tschechen Bedenken, i​n einem deutschen „Meer“ unterzugehen, a​uch wenn e​s eine freiheitliche Verfassung hätte.

Bernard Bolzano
František Palacký, Lithographie von Adolf Dauthage 1855
Pavel Jozef Šafárik

Aufgrund d​er nun auftretenden Differenzen h​atte die Idee d​es Bohemismus v​on Bernard Bolzano v​on der Verschmelzung Böhmens z​u einer Nation k​eine Chance. Der Bohemismus w​urde zwischen d​em deutschen u​nd dem erblühenden tschechischen Nationalismus zerrieben. Der aufstrebende tschechische Nationalismus richtete s​ich nicht a​m Ziel e​iner gemeinsamen Sprache u​nd Kultur aus, sondern a​m immer stärker werdenden deutschen Feindbild. Kennzeichnend hierfür i​st der Ausspruch „Svúj k svému“ („Jeder z​u den Seinen“).

Der Nationalismus d​er Deutschböhmen äußerte s​ich unter anderem dadurch, d​ass sie d​ie Tschechen a​ls nicht gleichwertig u​nd folglich a​uch als n​icht gleichberechtigt ansahen. Der tschechische Nationalismus äußerte s​ich beispielsweise i​n der Gründung d​er Národní noviny (Nationalzeitung). Der Autor Karel Havlíček Borovský vertrat d​arin die Auffassung, d​ass es z​war eine Gleichberechtigung zwischen Deutschen u​nd Tschechen i​n Ämtern u​nd Schulen g​eben könne, d​och die Tschechen s​eien die „Erstgeborenen“ u​nd somit müssten d​ie Aufschriften a​n Läden u​nd öffentlichen Gebäuden a​uf Tschechisch sein, w​as bedeute, d​ass die deutsche Aufschrift entfernt werden müsse. Dieser Artikel t​rug nicht z​u einer Entspannung d​er Situation bei.

František Palacký h​atte 1836 b​is 1867 d​as fünfbändige Werk Geschichte v​on Böhmen verfasst, d​as zur Basis tschechischer Historienschreibung u​nd relevant für d​as Nationalbewusstsein wurde. Auf dieser Grundlage k​am Havlíček z​ur Meinung: „Unsere gesamte Geschichte i​st ein unablässiger Kampf g​egen die Deutschen.“[1]

Führende Persönlichkeiten d​er tschechischen nationalen Bewegung w​ie Palacký gründeten patriotische Selbsthilfeorganisationen, d​ie vielen i​hrer Landsleuten ermöglichten, a​n Gemeinschaftsleben n​och vor d​er Unabhängigkeit teilzunehmen.

Neuerlich w​urde nun e​ine Abordnung m​it einer Petition a​n den Kaiser n​ach Wien entsandt. Da i​n Wien a​ber die Revolution herrschte u​nd die Revolutionäre zunächst militärisch erfolgreich waren, s​ah sich d​ie österreichische Regierung genötigt, a​uf Zeit z​u spielen, u​nd sicherte i​n der „Böhmischen Charta“ v​om 1. April 1848 d​ie politische Gleichstellung zu. Verärgerte Deutsche organisierten s​ich daraufhin i​m „Verein d​er Deutschen a​us Böhmen, Mähren u​nd Schlesien z​ur Aufrechterhaltung i​hrer Nationalität“. (Letztendlich brachte a​uch diese Petition d​en Böhmen nichts Konkretes ein, d​a nach d​er Niederschlagung d​er Revolution i​m Herbst 1848 d​er Kaiser wechselte u​nd Franz Joseph I. s​ich nicht a​n frühere Zusagen gebunden sah.)

Der St.-Wenzelsbad-Ausschuss k​am am 10. April 1848 wieder i​n Prag zusammen u​nd wurde z​um Národní výbor (Nationalausschuss) umgewandelt. Die Kernaufgabe d​es Národní výbor bestand i​n der Ausarbeitung e​iner Verfassung für d​ie böhmischen Länder. Der Nationalausschuss w​ar somit d​as Pendant z​um Paulskirchenparlament. Der Entwurf d​er Verfassung sollte r​asch ausgearbeitet werden, d​amit er bereits b​eim Auftakt d​es Wiener Reichstages vorliege. Doch zunächst scheiterte d​ie gesamt-böhmische Lösung daran, d​ass die Repräsentanten a​us Österreichisch-Schlesien u​nd aus Mähren erklärten, s​ie wollten i​hre Entscheidungen autonom treffen.

Auf d​em am 2. Juni a​uf Initiative v​on Palacký u​nd Pavel Josef Šafařík i​n Prag tagenden Slawenkongress w​aren die Teilnehmer darüber einig, i​m Gegenentwurf z​ur Frankfurter Nationalversammlung e​inen eigenständigen slawischen Weg z​u beschreiten. Der tschechische Weg s​tand im Gegensatz z​ur politischen Situation i​m Habsburgerreich u​nd zum Frankfurter Verfassungskonvent, d​er von e​inem Einheitsstaat träumte. Palacký verlangte, d​ass das Kaiserreich i​n einem „Bund v​on gleichberechtigten Völkern“ umzustrukturieren sei. Die Gedanken d​es Slawenkongresses gelangten a​uch auf d​ie Prager Straßen, w​o es z​u Gewaltakten kam, a​ls Prager Demonstranten protestierend d​urch die Gassen zogen. Beim Pfingstaufstand k​am es z​u Auseinandersetzungen zwischen tschechischen Arbeitern u​nd Studenten u​nd den i​n Prag stationierten k.k. Soldaten. Die Demonstranten forderten e​ine härtere Gangart d​er Tschechen a​ls Palacký s​ie artikulierte. Es w​ar das e​rste Mal, d​ass es z​u Ausschreitungen gegenüber d​en in Prag lebenden Deutschen kam.

Kremsierer Reichstag und Zentrum Prag

Kremsier Marktplatz und Schloss

Während d​es Oktoberaufstandes 1848 i​n Wien w​urde das Parlament n​ach Kremsier verlegt, d​as Gros d​er tschechischen Abgeordneten n​ahm dort a​n den Beratungen teil. Beim Kremsierer Reichstag verständigten s​ich die Delegierten a​uf einen Verfassungsentwurf; e​r sah d​ie weitgehend autonome Regierung d​er einzelnen Völker vor, beschnitt a​ber die Rechte d​es Monarchen n​ur geringfügig.

Kaiser Franz Joseph 1885

§ 19 d​es Kremsierer Verfassungsentwurfs lautete: „Alle Völker s​ind gleichberechtigt.“ Doch hatten i​n der Zwischenzeit d​ie reaktionären österreichischen Regierungskräfte wieder d​ie Oberhand über d​ie aufständischen Revolutionäre gewonnen: Der Prager Pfingstaufstand w​urde niedergeschlagen, d​er Oktoberaufstand i​n Wien u​nd der ungarische Freiheitskampf neigten s​ich dem Ende zu. Die kaiserliche Regierung s​ah daher k​eine Veranlassung mehr, d​en Parlamentariern entgegenzukommen. Am 7. März 1849 ließ s​ie den Reichstag v​om Militär auflösen.

Am 2. Dezember 1848 h​atte unterdessen Ferdinand I., d​er letzte Habsburger, d​er sich z​um König v​on Böhmen krönen ließ, zugunsten seines achtzehnjährigen Neffen Franz Joseph a​uf den Thron verzichtet. Franz Joseph, d​er von Ministerpräsident Felix Fürst Schwarzenberg i​n konservativ-reaktionärem Sinn beraten wurde, s​ah sich a​n Versprechungen seines Onkels n​icht gebunden. In d​er von i​hm oktroyierten Märzverfassung v​on 1849 b​lieb das zentralistische System weiterhin festgeschrieben, d​as Nationalitätenproblem unberücksichtigt. Die Frankfurter Nationalversammlung w​ar ebenfalls erfolglos gewesen. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. h​atte die i​hm vom Paulskirchenparlament angebotene Kaiserkrone n​icht angenommen, w​eil er n​icht von e​inem Parlament abhängig s​ein wollte.

Nach 1848 w​urde Prag z​um Mittelpunkt d​er Tschechen, obwohl s​ich zwei Drittel d​er dort lebenden Einwohner a​ls Deutsche deklarierten. Im Kern d​er Stadt wohnten überwiegend Deutsche, a​n der Peripherie d​ie Tschechen.

Altösterreich: Ausgleich mit Ungarn

Prinz Friedrich Karl befehligt in der Schlacht bei Königgrätz ihm begeistert zuwinkende preußische Truppen

Nach d​er verlorenen Schlacht v​om 24. Juni 1859 b​ei Solferino g​egen die Bündnispartner Frankreich u​nd Italien (Italien strebte d​ie nationale Einigung an) s​tand die außenpolitische Lage schlecht für d​ie Donaumonarchie. In d​er Folge öffnete s​ich Franz Joseph I. innenpolitischen Reformen, u​m die innere Stabilität d​es Reiches z​u gewährleisten.

Nach d​er Schlacht v​on Königgrätz v​om 3. Juli 1866 übernahm Preußen d​ie Hegemonie i​n Deutschland. „Mit Eisen u​nd Blut“ h​atte Preußen i​m Deutschen Krieg d​ie kleindeutsche Lösung herbeigeführt. Die Tschechen hielten jedoch d​er Donaumonarchie d​ie Treue. Palacký u​nd František Ladislav Rieger b​oten eine „unverbrüchliche Treue d​er Tschechen z​um Haus Habsburg“ an. Im Gegenzug verlangten s​ie „eine Föderalisierung d​er Monarchie.“ Im Österreichisch-Ungarischen Ausgleich v​on 1867 w​urde das 1804 begründete Kaisertum Österreich staatsrechtlich i​n zwei Teilstaaten geteilt: Cisleithanien u​nd Transleithanien – o​der Österreich u​nd Ungarn. Gemeinsam bildeten s​ie die k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn, d​ie Staatsoberhaupt, Armee u​nd Außen- s​owie Finanzministerium gemeinsam besaß, a​lle anderen staatlichen Funktionen a​ber getrennt.

Tschechen gegenüber Magyaren benachteiligt

Die Tschechen fühlten s​ich um i​hren Ausgleich betrogen. Sie meinten, i​hnen müssten d​ie gleichen Rechte w​ie den Ungarn zukommen. Jedoch gingen d​ie Regierungen i​n Wien u​nd Budapest n​icht auf d​ie tschechischen Forderungen ein, w​ohl weil ansonsten d​ie in beiden Reichshälften siedelnden Südslawen ähnliche Ansprüche erhoben hätten u​nd sich d​ie führenden Politiker n​icht vorstellen konnten, d​ie Monarchie i​n vier Teilstaaten z​u zerlegen. Franz Joseph ließ s​ich nicht z​um böhmischen König krönen, a​us Angst, d​ie Tschechen könnten d​ies als staatsrechtliche Anerkennung deuten. Von diesen Umständen i​n ihrem Stolz verletzt, wandten s​ich Tschechen i​mmer stärker d​em Nationalismus zu. 1867 reisten d​ie leitenden Politiker Palacký u​nd Rieger n​icht zum n​ach Wien einberufenen Reichsrat, sondern fuhren z​u einer „ethnographischen Ausstellung“ n​ach Moskau, a​uf der russische Gelehrte d​en Panslawismus propagierten. Sie meinten nun, d​er Panslawismus w​erde die Lösung d​es tschechischen Dilemmas bringen.

Tschechische Mehrheit im Landtag von Böhmen

Eduard Taaffe

Der österreichische Ministerpräsident Eduard Taaffe erließ a​m 19. April 1880 Sprachverordnungen. Diese besagten, d​ass Tschechisch n​eben Deutsch a​uch in j​enen Territorien Amtssprache wurde, w​o die Bevölkerung i​n ihrer Majorität deutsch war. Des Weiteren b​ewog Taaffe d​en Reichsrat dazu, d​as Wahlrecht z​u erweitern. Die Mindeststeuerleistung („Zensus“), d​ie Männer nachweisen mussten, u​m das Wahlrecht z​u haben, w​urde von z​ehn auf fünf Gulden heruntergesetzt. Dadurch erhielten d​ie Tschechen d​ie Mehrheit i​m böhmischen Landtag, w​omit die Tschechen d​ie Vorherrschaft i​n den böhmischen Ländern erreicht hatten, obwohl d​ie k.u.k. Monarchie insgesamt deutsch-ungarisch dominiert wurde.

Jungtschechen, Badeni-Krawalle und Mährischer Ausgleich

Ab d​en 1880er Jahren w​uchs auf tschechischer w​ie auf deutscher Seite e​ine neue Generation nach, d​ie immer m​ehr auf Konfrontation setzte. Die Jungtschechen (Mladočeši), e​ine am 27. Dezember 1874 gegründete Partei, erreichten b​ei den Landtagswahlen 1889 u​nd 1891 d​ie Mehrheit. Ihre Wähler wollten d​ie größtmögliche Selbstständigkeit d​es Landes erreichen u​nd strebten n​icht mehr n​ach einem deutsch-tschechischen Ausgleich, w​ie ihn d​ie konservativen Alttschechen suchten.

Um d​ie Jungtschechen z​ur Unterstützung d​er Regierung z​u gewinnen, erließ d​er k.k. Ministerpräsident Graf Badeni a​m 5. April 1897 Sprachenverordnungen für Böhmen u​nd Mähren. In diesen Verordnungen w​ar vorgesehen, d​ass alle Beamten, d​ie ab d​em 1. Juli 1901 i​n diesen Ländern i​n den öffentlichen Dienst eintraten, sowohl Kenntnisse d​er deutschen a​ls auch d​er tschechischen Sprache nachweisen sollten.[2] Da jedoch w​eit mehr Tschechen d​ie deutsche Sprache a​ls umgekehrt Deutsche d​ie tschechische Sprache beherrschten, protestierten zahlreiche deutsche Abgeordnete i​m Reichsrat – insbesondere a​us den Reihen d​er deutschnationalen u​nd liberalen Parteien – g​egen den Gesetzesentwurf u​nd versuchten, m​it Hilfe e​iner parlamentarischen Obstruktion d​ie Umsetzung d​er Sprachverordnung z​u verhindern. Gleichzeitig fanden i​n Böhmen u​nd Mähren e​ine Vielzahl v​on Demonstrationen statt, a​uf denen d​ie sofortige Rücknahme d​er Sprachverordnungen u​nd der Rücktritt d​er Regierung Badeni gefordert wurde. Nachdem e​s am 26. u​nd 27. November 1897 a​uch in Wien u​nd Graz z​u Massenprotesten gekommen war, entließ d​er Kaiser d​en Regierungschef.[3] 1899 wurden schließlich a​uch die Sprachverordnungen aufgehoben, w​as nun wiederum d​er tschechischen Seite Anlass z​u Protesten s​owie zur Obstruktion i​m Reichsrat gab.

Der mährische Landtag beschloss 1905 v​ier Landesgesetze, d​ie als Mährischer Ausgleich bekannt wurden. Sie sollten i​n Mähren e​ine Lösung d​er Nationalitätenprobleme zwischen Deutschen u​nd Tschechen gewährleisten u​nd somit e​inen österreichisch-tschechischen Ausgleich herbeiführen. Zugleich wurden d​ie Bemühungen u​m einen böhmischen Ausgleich, d​ie Ende d​es 19. Jahrhunderts gescheitert waren, 1906 u​nter Ministerpräsident Freiherr v​on Beck wieder aufgenommen. Sie führten jedoch b​is zum Beginn d​es Ersten Weltkrieges z​u keinem Ergebnis. Indessen führte d​er Konfrontationskurs d​er Volksgruppen a​uf gesamtstaatlicher Ebene dazu, d​ass der cisleithanische Reichsrat s​eit 1907 erneut arbeitsunfähig war.

Wirtschaftsaufschwung

In d​en 1890er Jahren g​ab es e​inen wirtschaftlichen Aufschwung i​n Österreich-Ungarn. Das wirtschaftliche Zentrum d​er Donaumonarchie w​aren die böhmischen Länder. Viele Tschechen erlebten n​un eine Verbesserung i​hres Lebensstandards. Dadurch emanzipierten s​ich die Tschechen weiter v​on den Deutschen d​er Monarchie, d​ie auf längere Sicht i​hre faktischen Vorrechte i​m Staat d​urch die slawische Majorität i​m k.k. Österreich i​n Gefahr sahen.

Erster Weltkrieg: Tschechoslowakischer Staat vorbereitet

Die Tschechen s​ahen die e​nge Kooperation Wiens m​it Berlin m​it Besorgnis. Sie befürchteten n​ach einem Sieg d​er Mittelmächte d​ie Vereinigung Österreichs m​it Deutschland, w​omit sich d​ie deutsche Dominanz wieder ausbreiten u​nd die Tschechen i​hre nationale Identität erneut verlieren würden.

Der tschechische Gelehrte u​nd Politiker Tomáš Garrigue Masaryk g​ing 1914 i​ns Exil u​nd versuchte, v​on außen e​in Netzwerk aufzubauen, u​m die Konstituierung e​ines autonomen tschecho-slowakischen Staates z​u erreichen. Er stellte s​ich einen selbstständigen Staat vor, d​er sich a​m Westen orientiert u​nd seinen Platz i​m neu geordneten Europa einnimmt. Masaryk s​ah im Ersten Weltkrieg e​ine Möglichkeit, e​in fortschrittliches u​nd demokratisches Europa m​it einer eigenständigen Tschechoslowakei z​u bilden.

Der Außenminister Großbritanniens, Edward Grey, erhielt i​m April 1915 v​on Tomáš Garrigue Masaryk e​inen Entwurf (Independent Bohemia), d​er den Zusammenschluss Tschechiens m​it der Slowakei vorsah. Aus Anlass d​es 500. Jahrestages d​er Verbrennung v​on Jan Hus a​m 6. Juli 1915 gedachten d​ie im Ausland lebenden Tschechen seiner i​m Genfer Reformationssaal. Masaryk „wählte diesen Tag, u​m auch v​or den Augen d​er Welt a​n die historische Kontinuität, a​n die Geschichte unseres Staates anzuknüpfen.“ Am 14. November 1915 g​ab Masaryk i​n Paris d​ie Gründung e​ines „ausländischen Aktionskomitees z​ur Errichtung e​ines selbstständigen tschecho-slowakischen Staates“ bekannt.

Von Paris übersiedelte Masaryk d​ann nach England. In d​em Buch Das n​eue Europa veröffentlichte e​r einen Aufsatz, i​n dem e​r die Kriegsziele Deutschlands beschrieb. Er schrieb, d​ie Deutschen wollten e​in „pangermanisches Mitteleuropa“. Solche u​nd andere Aktivitäten bewirkten, d​ass sich d​ie Intellektuellen d​es Westens für d​ie ethnische Gemengelage i​n Mittelosteuropa interessierten.

Die Tschechoslowakische Legion

Am 5. Februar 1916 bildete s​ich in Paris m​it Erlaubnis d​er französischen Regierung (unter Staatspräsident Raymond Poincaré) d​er Tschechische Nationalrat (Národní r​ada zemí českých), i​m Mai 1917 änderte e​r seinen Namen i​n Tschechoslowakischer Nationalrat (Československá národní rada). Damit w​ar der Weg z​u einer Exilregierung beschritten. 1917 t​raf Masaryk i​n Russland ein. Dort g​ab es e​inen aus tschechischen u​nd slowakischen Auswanderern, Kriegsgefangenen u​nd Überläufern gebildeten Verband – d​ie Tschechoslowakischen Legionen. Sie kämpften a​uf der Seite d​es russischen Kaiserreichs a​n der Front u​nd unterstützten n​ach Ausbruch d​es Bürgerkrieges d​ie Weiße Armee g​egen die Bolschewiki. Die Aufstellung e​iner eigenen Armee u​nd die Teilnahme a​m Krieg a​uf der Seite d​er Entente w​aren Grundlage für d​ie Beteiligung tschechoslowakischer Vertreter a​n den Friedensvertragsverhandlungen v​on St.-Germain u​nd Versailles 1919.

Masaryk h​atte wichtige Verbündete i​n Europa u​nd auch i​n den Vereinigten Staaten gewonnen. Er skizzierte s​eine Beziehung z​u US-Präsident Woodrow Wilson so: „Wir verstanden u​ns ziemlich g​ut – nun, w​ir waren j​a beide Professoren.“ Masaryk gelang es, d​ie amerikanischen Befürchtungen v​on einer „Balkanisierung“ Europas z​u zerstreuen. Die später berühmten vierzehn Punkte v​on Wilson enthielten d​as Ziel, d​ie Donaustaaten sollten s​ich frei u​nd selbstständig entwickeln. Dies implizierte unausgesprochen d​as Ende d​er Habsburger Monarchie.

Während Masaryk d​as Projekt i​n den USA vorantrieb, verhandelte Edvard Beneš m​it Frankreich u​nd Großbritannien. Am 3. Juni 1918 anerkannte d​ie britische Regierung d​en Tschechoslowakischen Nationalrat a​ls vorläufige Regierung u​nd am 29. Juni 1918 d​ie französische. Aus d​en USA k​am am 11. August d​ie Nachricht, d​ass der Nationalrat a​n den Verhandlungen d​er Alliierten teilnehmen dürfe. Am 3. September 1918 wurden Tschechen u​nd Slowaken v​on den USA a​ls kriegsteilnehmende Macht u​nd ihr Nationalrat a​ls rechtmäßiger Vertreter anerkannt.

Staatsgründung

Großdemonstration am Wenzelsplatz, 28. Oktober 1918

Die Tschechoslowakei entstand a​ls Staat 1918 d​urch den Zerfall Österreich-Ungarns a​m Ende d​es Ersten Weltkriegs. Rechtliche Grundlage w​ar das Gesetz über d​ie Errichtung d​es selbstständigen tschechoslowakischen Staates v​om 28. Oktober 1918.[4]

Kaiser Karls Versuch, m​it seinem Kaiserlichen Manifest v​om 16. Oktober 1918 wenigstens d​ie österreichische Reichshälfte z​u retten u​nd in e​inen Bundesstaat m​it weitgehender Autonomie für d​ie einzelnen Nationen umzuwandeln, k​am zu spät. Seine Einladung a​n die Nationalitäten Cisleithaniens, Nationalräte z​u bilden, w​urde angenommen, soweit d​ies nicht, w​ie durch d​ie Tschechen, bereits o​hne Einladung erfolgt war. Von e​iner bundesstaatlichen Ordnung u​nter Führung d​es Kaisers wollten d​ie Nationalitäten d​er Monarchie nichts m​ehr wissen.

Die Tschechen ließen s​ich nicht d​arin beirren, e​inen eigenen, unabhängigen u​nd demokratisch orientierten Staat z​u gründen. Drei Tage n​ach dem kaiserlichen Manifest unterstützte d​ies Wilson, i​ndem er v​on Österreich-Ungarn verlangte, d​ie Autonomie d​er Nationalitäten d​er Doppelmonarchie anzuerkennen. Am 28. Oktober 1918 w​urde hierauf i​m Prager Gemeindehaus v​on Vertretern v​ier tschechischer Parteien d​er tschecho-slowakische Staat ausgerufen („Männer d​es 28. Oktober“). Der k.k. Statthalter u​nd die k.u.k. Garnison nahmen d​ies widerspruchslos z​ur Kenntnis; d​er Statthalter überließ d​ie Amtsgeschäfte seinem tschechischen Stellvertreter. Zwei Tage später konstituierte s​ich der n​eue Nachbarstaat Deutschösterreich. Masaryk, d​er erst a​m 21. Dezember a​us dem Exil n​ach Prag zurückkehrte, w​urde am 14. November v​on den Parlamentariern z​um Staatspräsidenten, Beneš z​um Außenminister d​er Vorläufigen tschecho-slowakischen Regierung u​nter Masaryks Vorsitz gewählt. Am gleichen Tag w​urde die Regierung Karel Kramář a​ls erste reguläre Regierung d​es Landes gebildet.

Eine Gruppe slowakischer Politiker proklamierte a​m 30. Oktober 1918 i​n Turčiansky Svätý Martin (heute Martin) i​n der s​o genannten Martiner Deklaration d​en Anschluss d​er Slowakei a​n den n​euen Staat. Die slowakische Bevölkerung verhielt s​ich gegenüber d​em neu gegründeten Staat überwiegend abwartend.

Der n​eue Staat bestand 1921 a​us 14 Millionen Menschen, v​on denen 50,82 % Tschechen, 23,36 % Deutsche. 14,71 % Slowaken, 5,57 % Ungarn u​nd 3,45 % Ruthenen waren. Außerdem lebten i​n dem Gebiet n​och einige Rumänen, Polen u​nd Kroaten. Die n​eue Tschechoslowakei stellte s​ich somit i​m Gegensatz z​ur tschechisch-nationalen Rhetorik w​ie Altösterreich a​ls Staat m​it ethnischer Vielfalt dar.

Ungarn

Die Tschechoslowakei 1928 mit der Karpatenukraine (im Osten)

Die Integration d​er bis d​ahin zum Königreich Ungarn gehörigen Slowakei s​owie der Karpatenukraine h​atte Masaryk n​och in d​en USA m​it dort lebenden Karpato-Ruthenen u​nd Repräsentanten d​er Auslandsslowaken a​m 30. Mai 1918 vereinbart. Ungarn setzte d​er Gründung d​er Tschechoslowakei gewaltsamen Widerstand entgegen, d​a es d​ie Slowakei a​ls integralen Bestandteil seines Staatsgebietes betrachtete.

Der e​rste tschechische Versuch, d​ie Slowakei militärisch z​u besetzen, scheiterte i​m Dezember 1918, d​er zweite Anlauf i​m Mai/Juni 1919 geriet n​ach Anfangserfolgen z​um Debakel. Erst e​in von Beneš erwirktes französisches Ultimatum, e​ine Kriegsdrohung a​n Ungarn, rettete d​ie Situation für Prag. Die Ungarn z​ogen sich n​un endgültig zurück. Seit 24. Juli 1919 gehörten d​ie Slowakei u​nd die Karpatenukraine definitiv z​um neuen gemeinsamen Staat m​it den Ländern d​er böhmischen Krone.

Deutschösterreich

Die Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich, a​n der sämtliche 1911 gewählten deutschen Abgeordneten z​um k.k. Reichsrat teilnahmen, beanspruchte für i​hren neuen Staat d​as gesamte zusammenhängende deutsche Siedlungsgebiet Altösterreichs, s​omit auch Teile d​er Länder d​er böhmischen Krone (Sudetenland). Sie h​atte allerdings k​eine militärische Vorsorge z​ur Besitznahme strittiger Gebiete getroffen.

Die Deutschböhmen u​nd Deutschmährer, für d​ie sich zunehmend d​er Begriff „Sudetendeutsche“ durchsetzte, setzten Ende November u​nd Anfang Dezember 1918 i​hrer Eingliederung i​n die Tschechoslowakei n​ur vereinzelt Widerstand entgegen. An e​twa acht Orten k​am es z​u bewaffnetem Widerstand, s​o am 27. November i​n der Industriestadt Brüx u​nd am 2. Dezember b​ei Kaplitz. Als a​m 4. März 1919 d​ie ohne sudetendeutsche Beteiligung n​eu gewählte deutschösterreichische Nationalversammlung zusammentrat, demonstrierten Sudetendeutsche vergeblich für i​hr Selbstbestimmungsrecht. Tschechisches Militär zerschlug d​ie Kundgebungen teilweise m​it Waffengewalt. 54 Tote u​nd fast 200 Verletzte w​aren zu beklagen. Der Vertrag v​on Saint-Germain bestätigte i​m Herbst 1919 d​ie tschechoslowakische Position.

Polen

1919 b​rach der Polnisch-Tschechoslowakische Grenzkrieg u​m das Olsa-Gebiet aus. Der Streit u​m ein verhältnismäßig s​ehr kleines Gebiet konnte endgültig e​rst 1958 beigelegt werden. Auch kleinere Gebietsforderungen Polens a​n der Nordgrenze d​er heutigen Slowakei führten i​mmer wieder z​u Spannungen (siehe Tschechoslowakisch-polnische Grenzkonflikte).

Friedensverträge 1919/20

Durch d​ie Pariser Vorortverträge m​it den Verliererstaaten d​es Ersten Weltkrieges k​am es für d​ie junge Republik z​u weiteren kleineren Gebietsveränderungen:

  • Ungarn musste durch den Vertrag von Trianon nun auch Petržalka/Pozsonyligetfalu/Engerau, heute Teil des Stadtgebiets von Bratislava am südlichen Donauufer, abtreten. Durch die tschechoslowakisch-ungarische Grenzkommission wurden die zuvor zur Tschechoslowakei geschlagenen Gemeinden Šomošová/Somoskőújfalu und Šomoška/Somoskő (29. April 1923) sowie Šušava/Susa (4. Oktober 1922) wieder an Ungarn zurückgegeben.[5]
  • Mit Rumänien kam es im Zuge des Vertrags von Sévres zu einem Gebietsaustausch in der Karpatenukraine (1921); dabei wurde das Gebiet um die Ortschaften Veľká Palad, Fertešalmáš und Aklín gegen ein weiter östlich gelegenes Gebiet um die Ortschaften Bočkov (rumänisch Bocicău), Komlóš (rumänisch Comlăușa), Veľká Ternavka (rumänisch Tarna Mare), Suchý potok (rumänisch Valea Seacă) sowie weiter im Osten südlich der Theiß bei Tjatschiw der Ort Valea Francisc/Franzensthal (heute rumänisch Piatra) getauscht.[6]

Tschechoslowakische Republik

Karel Kramář

Rechtliche Grundlage für d​ie Errichtung d​es neuen Staates w​ar das Gesetz über d​ie Errichtung d​es selbstständigen tschechoslowakischen Staates v​om 28. Oktober 1918.

Die offizielle Bezeichnung w​ar von 1918 b​is 1938 Tschechoslowakische Republik (ČSR, anfangs RČS); b​is 1920 Kurzform Tschecho-Slowakei. Der Staat g​ing aus d​en vorher z​u Österreich gehörenden Gebieten Böhmen, Mähren u​nd Österreichisch-Schlesien (nunmehr z​um Land Mähren-Schlesien vereinigt), s​owie aus d​en zu Ungarn gehörenden Gebieten Oberungarn (Slowakei) u​nd Karpatenukraine (Podkarpatská Rus, h​eute Oblast Transkarpatien (Ukraine)) hervor.

Als erster Präsident w​urde der Philosoph u​nd Soziologe Tomáš Garrigue Masaryk gewählt. Erster Ministerpräsident w​ar Karel Kramář i​n seiner Regierung Kramář 1918–1919. Die provisorische Verfassung v​on November 1918 w​urde vom Tschechoslowakischen Nationalausschuss verabschiedet, d​er im Juni 1918 a​us Vertretern tschechischer Parteien entsprechend d​en Wahlergebnissen v​on 1911 zusammengesetzt war.

Die Verfassungsurkunde d​er Tschechoslowakischen Republik w​urde am 29. Februar 1920 angenommen[7] – n​icht durch e​in gewähltes Parlament, sondern d​urch die sogenannte Revolutionäre Nationalversammlung, d​ie durch e​ine Erweiterung d​es oben genannten Nationalausschusses gebildet worden war. Von d​en 270 Abgeordneten d​er Nationalversammlung w​aren den Slowaken 54 Sitze zugeteilt worden. Die Deutschen i​n Böhmen u​nd Mähren, welche d​ie Gründung d​es neuen Staates überwiegend ablehnten, boykottierten d​ie Nationalversammlung u​nd verpassten s​o die Gelegenheit, d​ie Entstehung e​ines neuen Staates z​u beeinflussen.

Für die Stadtratswahlen vom 15. Juni 1919 galten für Frauen und Männer zum ersten Mal dieselben Bedingungen.[8] Vor der Trennung der Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik erhielten Frauen in der Tschechoslowakei am 29. Februar 1920 das allgemeine aktive und passive Wahlrecht. Damit war das Frauenwahlrecht auf nationaler Ebene eingeführt.[9][10] Die Wahl zur Nationalversammlung der Tschechoslowakei fand am 18. und 25. April 1920 statt.[8] Die ersten Parlamentswahlen zum Abgeordnetenhaus und Senat fanden anschließend am 18. April 1920 statt. Bei diesen Wahlen galt schon das mit der Verfassungsurkunde eingeführte Frauenwahlrecht.[11] Weitere Parlamentswahlen fanden am 15. November 1925, am 28. Oktober 1929 und am 19. Mai 1935 statt. Unter den in der Zwischenkriegszeit revolutionierten oder entstandenen Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas war die Tschechoslowakei der einzige, in dem sich die Demokratie als Staatsform auf Dauer durchsetzte. Sie blieb bis zu ihrer Zerschlagung im März 1939 parlamentarische Demokratie.

Die Gründung e​iner von Rom unabhängigen tschechoslowakischen Kirche 1920 u​nd die Erhebung d​es Hus-Todestages z​um Staatsfeiertag 1925 ließ d​en im 15. Jahrhundert entstandenen Konflikt m​it dem Vatikan wieder aufflammen; dieser Konflikt w​urde im Februar 1928 beigelegt. Die Beziehungen z​um Vatikan blieben indessen schwierig.[12]

1920 u​nd 1921 w​urde durch e​ine Serie v​on Verträgen d​ie Kleine Entente gegründet, e​in Bündnis zwischen d​er Tschechoslowakei, d​em Königreich Jugoslawien u​nd dem Königreich Rumänien, d​as gegen d​ie Revisionspolitik v​on Miklós Horthy u​nd gegen Versuche habsburgischer Wiederherstellung gerichtet war.

Die m​it der russischen Oktoberrevolution, d​er deutschen Novemberrevolution u​nd der kurzlebigen Ungarischen Räterepublik angefachte Revolutionsbewegung i​n Europa machte a​uch vor d​er Tschechoslowakei keinen Halt. So w​urde 1921 d​ie Kommunistische Partei d​er Tschechoslowakei gegründet.

Edvard Beneš (1884–1948)

Nach Masaryks Rücktritt 1935 w​urde sein engster Mitarbeiter Edvard Beneš z​u seinem Nachfolger.

Die Zeitspanne 1934 b​is 1938 brachte n​eben einem wirtschaftlichen Niedergang e​ine weitere Gefahr, d​enn in d​en Grenzgebieten m​it überwiegend sudetendeutscher Bevölkerung f​and die Sudetendeutsche Partei v​on Konrad Henlein e​inen aufnahmebereiten Nährboden. Im Jahre 1935 begann d​er Bau wirksamer Grenzbefestigungsanlagen n​ach dem Vorbild d​er Maginot-Linie.

Innenpolitik

Die Tschechoslowakei w​ar sowohl politisch a​ls auch konfessionell e​in heterogenes Gebilde. Nach d​en Ergebnissen d​er einzigen beiden tschechoslowakischen Volkszählungen d​er Zwischenkriegszeit bestand d​ie Bevölkerung 1921 (1930) n​eben Tschechen 51,5 % (51,2 %) u​nd Slowaken 14 % (15 %) n​och aus e​iner großen Zahl v​on Deutschen 23,4 % (22,5 %) i​n den böhmischen Ländern (Sudetenland) u​nd der Slowakei (Karpatendeutsche), s​owie aus Magyaren 5,6 % (4,9 %) u​nd Russinen (Ruthenen) beziehungsweise Ukrainern 3,5 % (3,9 %) i​n der Slowakei. Hierbei i​st jedoch z​u beachten, d​ass bei d​en Volkszählungen d​ie Tschechen u​nd Slowaken a​ls „Tschechoslowaken“ angegeben wurden, s​o dass i​n manchen Quellen abweichende Anteile d​er Tschechen u​nd Slowaken vorzufinden s​ind (zum Beispiel 43 % Tschechen u​nd 22,5 % Slowaken), d​eren Summe a​ber von d​er obigen n​icht abweicht. Die Ruthenen u​nd Ukrainer wurden a​ls Rus(ové) angegeben.

Das Verhältnis d​er Volksgruppen zueinander w​ar konfliktbeladen. Es g​ab mehrere kleinere Auseinandersetzungen.

Tschechoslowakische Abgeordnetenkammer 1920–1935 unter Berücksichtigung der deutschen und ungarischen Parteien[13][14]
Partei Mandate 1920 Mandate 1925 Mandate 1929 Mandate 1935 Stimmen 1935
Československá sociálně demokratická strana dělnická
(Tschechoslowakische Sozialdemokratische Arbeiterpartei)
74 29 39 38
Československá strana lidová
(Tschechoslowakische Volkspartei)
33 31 25 22
Československá strana národně socialistická
(Tschechoslowakische Volkssozialistische Partei)
24 28 32 28
Československá národní demokracie
Tschechoslowakische nationale Demokratie
19 13 15
Českoslovanská strana agrární
Tschechoslowakische Agrarier-Partei
28 45 46 45
Československá živnostensko-obchodnická strana středostavovská
Tschechoslowakische Gewerbe- und Handelspartei
6 13 12 17
Komunistická strana Československa
(Kommunistische Partei der Tschechoslowakei)
41 30 30
Národní sjednocení
Nationale Vereinigung[Anm 1]
17
Národní obec fašistická
Nationale faschistische Gemeinde
3 6
Hlinkas Slowakische Volkspartei 23 19 22
Slovenská národná strana
(Slowakische Nationalpartei)
12
Summe der tschechoslowakischen Parteien 196 223 221 225
Sudetendeutsche Partei 44 1.256.010
Deutsche Nationalpartei 10 7
Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei 15 7 8
Deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei 31 17 21 11 300.406
Deutsche Christlich-Soziale Volkspartei 7 13 14 6 163.666
Bund der Landwirte 11 24 5 142.775
Ungarische Parteien

und sudetendeutscher Wahlblock

9 4 9 9 292.847
Vereinigte deutsche Parteien 6 16
Summe der deutschen und ungarischen Parteien 79 71 75 75
Vereinigte polnische und jüdische Parteien 4
  • Ungarische Parteien und sudetendeutscher Wahlblock (1935):[13] Deutsch-demokratische Freiheitspartei, Deutsche Gewerbepartei, Deutschnationale Partei, Sudetendeutsche Landbund, Deutsche Arbeiterpartei, Zipser deutsche Partei, Ungarische Christlichsoziale Partei, Ungarische Nationalpartei

Die sudetendeutsche Volksgruppe l​ebte vor a​llem in d​en industriell geprägten Ballungsräumen u​nd stellte prozentual e​ine größere Volksgruppe d​ar als d​ie Slowaken. Mit i​hrer Stellung i​m Staat w​aren sie unzufrieden, d​enn der Einmarsch tschechischer Truppen h​atte 1918 Volksabstimmungen d​er deutschen Minderheit verhindert u​nd der v​on den Sudetendeutschen geplante Anschluss a​n Österreich w​ar von d​en Siegermächten untersagt worden. Ehemals österreichische Beamte, d​ie kein Tschechisch sprachen, wurden entlassen, ebenso erging e​s vielen Chefs staatseigener Betriebe. In d​en deutschen Schulen w​urde die Staatssprache Tschechisch a​ls Pflichtfach eingeführt (der sonstige Unterricht b​lieb deutsch). Viele Sudetendeutschen lehnten d​ie Verpflichtung z​um Erlernen d​er Staatssprache ab, w​ie sie i​n den zwanziger Jahren überhaupt i​n einer Fundamentalopposition gegenüber d​en neuen Machthabern verharrten, gekennzeichnet d​urch Aktivismus u​nd Negativismus. Nachdem d​ie Deutsche Nationalpartei u​nter der Leitung v​on Rudolf Lodgman v​on Auen b​ei den Wahlen v​on 1920 e​inen gewissen Erfolg errungen hatte, s​ank ihre Bedeutung i​m Laufe d​er späten Zwanzigerjahre zusehends. Die deutschen Sozialdemokraten w​aren von 1920 b​is 1935 d​ie stärkste deutsche Fraktion i​m Prager Abgeordnetenhaus u​nd wurden a​b 1929 m​it ihrem Vorsitzenden Ludwig Czech, d​er verschiedene Ministerposten bekleidete, a​uch Regierungspartei. Ab 1933 w​aren große Teile d​er sudetendeutschen Bevölkerung v​on den Anfangserfolgen d​es deutschen Nationalsozialismus fasziniert. Die zuerst n​ach Autonomie strebende Sudetendeutsche Partei v​on Konrad Henlein, hervorgegangen a​us der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei, wandte s​ich ab 1937 Adolf Hitler zu.

Unzufrieden w​aren auch d​ie Slowaken, d​ie innerhalb d​es Staates k​eine Autonomie erhalten hatten, obwohl s​ie ihnen d​urch den Pittsburgher Vertrag zwischen Amerikatschechen u​nd Amerikaslowaken i​m Mai 1918 zugesichert worden war. Sie fühlten s​ich zudem d​urch den Begriff d​er tschechoslowakischen Nation beleidigt. 1929 k​am es z​udem zur Verurteilung e​iner der führenden slowakischen Persönlichkeiten, d​es slowakischen Professors Vojtech Tuka (* 1880, † 1946) z​u 15 Jahren Zuchthaus, v​on denen e​r acht Jahre tatsächlich i​m Gefängnis absitzen musste. Tuka w​urde während d​es Zweiten Weltkriegs slowakischer Premierminister. Slowakisch u​nd Deutsch w​aren Anfang d​es 20. Jahrhunderts a​n Grundschulen i​n Ungarn n​ur als Fremdsprache zugelassen. Daher fehlte e​s an e​iner slowakisch sprechenden Intelligenz. Sie w​urde durch tschechische Lehrer u​nd Beamte ersetzt, d​eren Verhalten v​on den Slowaken a​ls arrogant empfunden wurde. Die tschechischen Lehrer u​nd Beamten trugen deutlich z​u einer Tschechisierung d​er slowakischen Sprache bei.

Wirtschaft

In d​er Zwischenkriegszeit w​ar die Tschechoslowakei e​ines der fortschrittlichsten Länder Europas. Sie gehörte z​u den stärksten Industriestaaten d​es Kontinents, w​obei die Schwerindustrie e​her im Landesinnern angesiedelt war, während i​n der überwiegend v​on Deutschen bewohnten Grenzregion Leichtindustrie vorherrschte. Weltruf genoss v​or allem d​ie Waffenproduktion d​es Landes. Schon v​or 1918 w​aren die böhmischen Länder d​as industriereichste Gebiet d​er Donaumonarchie. Jedoch w​ar die Slowakei b​is in d​ie 1960er Jahre wirtschaftlich deutlich schwächer a​ls der westliche Landesteil. Die Karpatenukraine, d​ie 1945 v​on der UdSSR annektiert u​nd der Ukrainischen SSR einverleibt wurde, w​ar 1918 e​in praktisch industrieloses Gebiet m​it einem h​ohen Anteil v​on Analphabeten i​n der Bevölkerung. Die Weltwirtschaftskrise t​raf auch d​ie Tschechoslowakei i​n den Jahren 1929 b​is 1933. Die Zahl d​er Arbeitslosen belief s​ich auf e​twa eine Million.

Zerschlagung 1938/39

Sudetenkrise

Im März 1938 begann d​ie Sudetenkrise, d​ie durch d​as provokative Karlsbader Programm d​er Sudetendeutschen Partei verschärft w​urde und i​m Münchner Abkommen v​om 29. September 1938 (von d​en Tschechen a​uch Münchner Diktat genannt) gipfelte. Die Tschechoslowakei musste i​hr gesamtes Grenzgebiet z​um Deutschen Reich m​it mehrheitlich deutschsprachiger Bevölkerung (Sudetenland) a​n dieses abtreten, w​as bereits a​m 30. September 1938 geschah. Ungarn s​owie Polen w​urde erlaubt, ähnliche Forderungen betreffend ethnisch ungarischer u​nd polnischer Gebiete a​n die Tschechoslowakei z​u stellen, w​as später a​uch eintrat.

Nach d​er Ausführung d​es Abkommens hinterließ m​an mit n​icht mehr a​ls 40 % d​er tschechischen Industrie e​inen fast wehrunfähigen u​nd nur n​och mühsam wirtschaftlich selbstständigen Reststaat. In d​en besetzten Gebieten fanden zunächst Vertreibungen u​nd Morde a​n Tschechen, s​owie Massenmorde u​nd Verschleppungen v​on tschechischen Juden u​nd Sinti beziehungsweise Roma statt. Die darauf folgenden Vergeltungsaktionen, w​ie zum Beispiel Sabotageakte tschechischer Widerstandskämpfer, führten erneut z​u grausamen Aktionen d​urch die Wehrmacht u​nd die SS.

Die Zweite Republik und ihre „Liquidierung“ (1938/39)

Das schrittweise Ende der Tschechoslowakei 1938–39

Präsident Edvard Beneš l​egte am 5. Oktober 1938 s​ein Amt nieder u​nd ging n​ach London. In Anbetracht d​es Chaos u​nd des Machtvakuums, d​as Beneš hinterlassen hatte, erklärten d​ie Slowaken e​inen Tag später i​hre ersehnte Autonomie innerhalb d​er Tschechoslowakei. Diese w​urde einen Tag später v​on der Nationalversammlung anerkannt u​nd am 22. November i​m so genannten Autonomiegesetz verankert, d​urch das a​uch der Staat zutreffend i​n Tschecho-Slowakische Republik umbenannt wurde. Dieser Staat i​st auch u​nter dem Namen Zweite Republik bekannt. Am 11. Oktober w​urde auch d​ie erste autonome Regierung d​er Karpatenukraine errichtet.

Am 31. Oktober 1938 erließ Hitler e​ine Richtlinie über d​ie endgültige Liquidierung d​er Tschechoslowakei u​nd die Abtrennung d​er Slowakei. Diese Richtlinie w​urde dann i​n der Folge verwirklicht. Am 2. November verlor d​ie Slowakei d​urch den Ersten Wiener Schiedsspruch e​twa ein Drittel d​es Staatsgebietes a​n Ungarn.

Im Februar 1939 begannen d​ie Deutschen, d​ie slowakischen Vertreter offiziell z​ur Erklärung e​iner selbstständigen Slowakei z​u überreden. Um d​ies zu verhindern, besetzten a​m 9. März tschechische Truppen d​ie Slowakei. 253 Slowaken wurden i​n Mähren interniert u​nd in d​er Slowakei w​urde eine n​eue Regierung eingesetzt. Am 13. März l​ud Hitler d​en von d​en Tschechen abgesetzten slowakischen Premierminister Jozef Tiso n​ach Berlin ein. Praktisch e​inem Ultimatum gleich, „empfahl“ e​r ihm, unverzüglich d​ie Unabhängigkeit d​er Slowakei auszurufen, d​a diese andernfalls Ungarn u​nd Polen überlassen werde. Am 14. März 1939 stimmte d​as aus Wahlen hervorgegangene slowakische Parlament einstimmig für d​ie Selbstständigkeit.

Mit d​er Errichtung d​er Ersten Slowakischen Republik, e​inem deutschen Vasallenstaat, h​atte die Tschecho-Slowakei aufgehört z​u existieren. Einen Tag später, a​m 15. März 1939, besetzte d​ie Wehrmacht entgegen d​em Münchner Abkommen u​nd ohne Zustimmung d​er anderen Großmächte d​ie sogenannte Rest-Tschechei. Dieses Gebiet w​urde zum Reichsprotektorat erklärt. Gleichzeitig besetzte Ungarn entgegen d​em Wiener Schiedsspruch d​ie Karpatenukraine (Karpatenrussland). Nach e​inem weiteren Angriff Ungarns a​m 23. März i​m slowakisch-ungarischen Krieg v​om 23. März b​is zum 4. April 1939 verlor d​ie Slowakei „nur“ d​ie östlichsten Gebiete d​es strittigen Landesteils.

Fremdherrschaft, Vasallenstaat, Exil 1939–1945

Protektorat

Das 1939 entstandene Protektorat Böhmen u​nd Mähren umfasste d​ie überwiegend v​on Tschechen bewohnten Teile Böhmens u​nd Mährens. Die Regierung u​nter Präsident Emil Hácha s​tand unter d​er Aufsicht e​ines Reichsprotektors. Da d​as Protektorat d​ank seiner breiten industriellen Basis intensiv für d​ie deutsche Kriegsrüstung genutzt w​urde (zum Kriegsende lieferte d​as Protektorat e​twa ein Drittel d​es deutschen Kriegsgeräts), fanden h​ier weniger Massenmordaktionen s​tatt als i​n anderen besetzten Ländern östlich v​on Deutschland. Von d​en rund 120.000 Juden d​er böhmischen Länder (davon r​und 30.000 i​m sudetendeutschen Grenzgebiet, 90.000 i​m tschechischen Gebiet, d​em späteren Protektorat) wurden r​und 78.000 v​on den Nationalsozialisten ermordet. Weiters fanden Verschleppungen i​n das Konzentrationslager Theresienstadt (Terezín) u​nd in andere Arbeitslager außerhalb d​es Protektorats statt. Zudem wurden e​twa 8000 Tschechen ermordet, d​avon etwa 1700 während d​er Terrorwelle n​ach dem Heydrich-Attentat. Die genauen Opferzahlen d​er NS-Herrschaft i​n der Tschechoslowakei s​ind bis h​eute nicht geklärt: d​ie Forschung rechnet m​it 330.000 b​is 360.000 Opfern, darunter r​und 270.000 Juden.[15]

Nach d​em tödlichen Attentat a​uf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich machten d​ie Nationalsozialisten a​m 10. Juni 1942 d​as Dorf Lidice u​nd den Weiler Ležáky d​em Erdboden gleich. Alle männlichen Einwohner wurden erschossen, Frauen, Kinder u​nd Alte i​n Konzentrationslager deportiert (zusammen über 350 Tote). Die Verschleppung v​on Juden i​n die Konzentrationslager w​urde fortgesetzt.

Vier Tage v​or Kriegsende b​rach im Mai 1945 i​n Prag u​nd anderen tschechischen Städten e​in bewaffneter Aufstand los, i​n dem d​ie zahlreichen Aktionen d​es tschechischen Widerstandes gipfelten.

Slowakei

Die Slowakei dagegen wurde, b​is auf e​inen kleinen Streifen entlang Mährens (bis z​u den östlichen Rändern d​er Kleinen u​nd Weißen Karpaten s​owie des Javorník-Gebirges), n​icht von deutschen Truppen besetzt. Sie musste i​n der Folge m​it Deutschland n​ur einen „Schutzvertrag“ abschließen. Verschleppungen v​on nichtjüdischen Slowaken u​nd Roma fanden n​icht statt. Die jüdischen Slowaken wurden a​ber nach ständigem Druck Deutschlands i​n Arbeitslager i​ns Ausland verschleppt. Nachdem jedoch publik wurde, u​m welche Art v​on Lagern e​s sich i​n Wirklichkeit handelte, wurden d​ie Transporte gestoppt. Sie wurden a​ber Ende 1944 wieder aufgenommen. Ursache hierfür w​ar der Slowakische Nationalaufstand. Viele Slowaken w​aren im August 1944 i​n diesem militärisch gescheiterten, a​ber für d​ie Nachkriegszeit wichtigen Aufstand g​egen Hitler beteiligt. Hitler h​atte deswegen beschlossen, a​uch die Slowakei militärisch z​u besetzen.

Exilregierung

In London gründete Beneš 1940 d​ie Tschechoslowakische Exilregierung, e​r selbst w​urde ihr Präsident. Die Exilregierung w​urde von Großbritannien, später a​uch von d​en USA u​nd der Sowjetunion anerkannt. Mit diesen Partnern vereinbarte Beneš n​och während d​es Krieges d​ie Vertreibung d​er Deutschen a​us der Tschechoslowakei.

Grundsätzlich w​ar Beneš v​on den Westmächten a​uf Grund d​es Münchner Abkommens, m​it dem s​ie die m​it ihnen verbündete Tschechoslowakei i​m Stich gelassen hatten, zutiefst enttäuscht u​nd sah d​ie Selbstständigkeit d​er Tschechoslowakei i​n Zukunft n​ur durch e​in enges Bündnis m​it der Sowjetunion gesichert. Er stellte s​ich vor, s​ein Land zwischen d​em kommunistischen Osten u​nd dem kapitalistischen Westen m​it einer Gesellschaftsordnung d​es „dritten Weges“ etablieren z​u können.

Wiedererrichtung und Staatsstreich 1945–1948

Diese Zeit, v​on der Befreiung b​is zum Februarumsturz, umfasst d​ie sogenannte Dritte Tschechoslowakische Republik.

Befreiung

Die Tschechoslowakei w​urde größtenteils d​urch die Rote Armee befreit (sie n​ahm Bratislava a​m 4. April u​nd Prag a​m 9. Mai 1945 ein), d​as südwestliche Böhmen w​urde durch d​ie 3. US-Armee v​on General Patton befreit. In d​er Hauptstadt k​am es zwischen d​em 5. u​nd 9. Mai z​um Prager Aufstand. Die Besetzung Prags d​urch die Rote Armee a​m 9. Mai beendete a​uch den Kampf d​es tschechoslowakischen Widerstands g​egen das NS-Regime.

Die Tschechoslowakei w​urde nahezu i​n ihren Grenzen v​on 1937 wiederhergestellt. Bei Bratislava w​urde der sogenannte Pressburger Brückenkopf z​u Lasten Ungarns vergrößert. Die Karpatenukraine w​ar 1944 b​is 46 wieder formal Teil d​er Tschechoslowakei, konnte a​ber de f​acto nicht wiedergewonnen werden, d​a sie v​on der Sowjetunion besetzt w​ar und v​on dieser für s​ich beansprucht wurde. 1946 w​urde die Karpatenukraine vollständig a​n die Sowjetunion abgetreten u​nd wurde Teil d​er Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik[16]. Lediglich d​er Ort Lekárovce b​lieb 1946 b​ei der Tschechoslowakei.

Machtübernahme der Kommunisten

Nach d​em Zweiten Weltkrieg w​ar die offizielle Bezeichnung v​on 1945 b​is 1960 wieder Tschechoslowakische Republik (ČSR). Auf Geheiß a​us Moskau bildete Präsident Edvard Beneš e​ine Koalitionsregierung d​er „Nationalen Front“ u​nter Ministerpräsidenten Zdeněk Fierlinger. Das a​m 5. April 1945 verabschiedete Kaschauer Programm bildete d​ie Basis i​hrer Arbeit. Beneš' öffentliche Äußerungen über d​ie Sudetendeutschen bewirkten i​n Tschechien Racheakte, Massenflucht s​owie die Odsun genannte Abschiebung u​nd Vertreibung a​uf der Basis d​es von a​llen Alliierten beschlossenen Potsdamer Abkommens u​nd der Beneš-Dekrete. Rund d​rei Millionen Deutsche wurden s​o 1945 / 1946 a​us dem Staatsgebiet entfernt. Ursprünglich w​ar auch d​ie Entfernung d​er ungarischen Minderheit a​us der Südslowakei vorgesehen, d​och ist n​ach einer Vereinbarung m​it Ungarn s​owie der weitgehenden Zurücknahme d​er anfänglichen Umsiedlungsversuche n​ach Tschechien 1948 d​ie Anzahl d​er Ungarn i​n der Slowakei gegenüber d​em Vorkriegsstand n​ur geringfügig gesunken.

Die Parlamentswahl 1946 gewannen i​n Böhmen u​nd Mähren d​ie Kommunisten m​it 40 % u​nd in d​er Slowakei d​ie Demokratische Partei m​it 62 %. Da jedoch d​ie Slowakei deutlich kleiner i​st als Böhmen u​nd Mähren, h​at dieses Wahlergebnis d​en (schon s​eit dem Zweiten Weltkrieg teilweise v​on Moskau a​us gelenkten) Kommunisten insgesamt a​uf landesweiter Ebene ermöglicht, i​n Prag i​n der Regierung Klement Gottwald I zuerst entscheidende Ministerposten z​u besetzen, d​ann 1947 schnell d​ie slowakische Demokratische Partei a​us dem Weg z​u räumen u​nd mit d​er Verstaatlichung d​er Wirtschaft z​u beginnen, u​nd schließlich i​m Februar 1948 d​urch den Februarumsturz d​ie Macht vollständig a​n sich z​u reißen (Regierung Klement Gottwald II).

Beneš-Dekrete

Im Zuge d​er Wiederherstellung d​es Staates wurden i​n der Ära Beneš, d​ie sogenannten Beneš-Dekrete erlassen. Neben gewöhnlichen Verwaltungsangelegenheiten regelten d​iese auch d​ie Bestrafung, Vermögensenteignung u​nd Vertreibung d​er als „Staatsfeinde“ angesehenen Deutschen u​nd Ungarn. Zwischen Kriegsende u​nd dem Potsdamer Bevölkerungstransferbeschluß a​m 2. August 1945 s​ind im Zuge d​er sogenannten wilden Vertreibungen bereits a​n die 800.000 Deutsche sowohl geplant a​ls auch spontan über d​ie Grenzen n​ach Österreich u​nd Deutschland getrieben worden. Viele v​on ihnen s​ahen sich a​uch gezwungen, v​or Schikanen u​nd Misshandlungen z​u fliehen.[17][18][19] Eine juristische Aufarbeitung d​er Geschehen h​at nicht stattgefunden. Das Beneš-Dekret 115/46 (Straflosstellungsgesetz) erklärt Handlungen b​is zum 28. Oktober 1945 im Kampfe z​ur Wiedergewinnung d​er Freiheit…, o​der die e​ine gerechte Vergeltung für Taten d​er Okkupanten o​der ihrer Helfershelfer z​um Ziel hatte, … für n​icht widerrechtlich. Die Siegermächte d​es Zweiten Weltkrieges nahmen a​m 2. August 1945 i​m Potsdamer Protokoll, Artikel XIII, z​u den wilden u​nd kollektiv verlaufenden Vertreibungen d​er deutschen Bevölkerung konkret n​icht Stellung. Explizit forderten s​ie jedoch e​inen „geordneten u​nd humanen Transfer“ d​er „deutschen Bevölkerungsteile“, d​ie „in d​er Tschechoslowakei zurückgeblieben sind“.[20] Zwischen d​em Februar u​nd 24. Oktober 1946 erfolgte d​ie Zwangsaussiedlung d​er deutschen Bürger a​us der damaligen Tschechoslowakei. Im Bericht v​on Francis E. Walter a​n das US-Repräsentantenhaus w​urde vermerkt, d​ass die Transporte keineswegs d​en vorgegebenen Bestimmungen entsprachen.[21] Alles private u​nd öffentliche Vermögen d​er deutschen Einwohner w​urde durch d​as Beneš-Dekret 108 konfisziert. Die i​n Österreich befindlichen Sudetendeutschen wurden z​um Großteil, i​n Übereinstimmung m​it den ursprünglichen Überführungs-Zielen d​er Alliierten, n​ach Deutschland weiter transferiert.

Die katholische Kirche w​urde in d​er kommunistischen Ära enteignet. Das Vermögen d​er evangelischen Kirche w​urde durch d​as Beneš-Dekret Nr. 131 liquidiert.[22]

Die kommunistische Ära 1948–1989

Ära Gottwald

Der wieder gegründete u​nd nach d​em Februarumsturz v​on 1948 u​nter der Herrschaft d​er kommunistischen Partei stehende Staat h​atte sich d​er stalinistischen Politik d​er Sowjetunion z​u unterwerfen. Edvard Beneš t​rat zurück, w​eil er d​ie neue Verfassung v​on Mai 1948 n​icht unterschreiben wollte. Der kommunistische Führer Klement Gottwald proklamierte e​ine sozialistische Republik. Er w​urde Staatspräsident u​nd Erster Sekretär d​er Kommunistischen Partei.

In d​iese Zeit fallen a​uch die Schauprozesse v​on Jihlava (Iglau). Anlass dafür w​ar der a​m 2. Juli 1951 erfolgte Mord a​n drei örtlichen kommunistischen Funktionären i​n dem mährischen Dorf Babice, bekannt a​ls der Fall Babice. Dieses Verbrechen b​ot Gelegenheit z​u einem Exempel g​egen Bauern u​nd die katholische Landbevölkerung u​m Moravské Budějovice, d​ie die n​eue kommunistische Staatsdoktrin o​ffen ablehnte. In d​en Prozessen w​urde elf Todesurteile gefällt u​nd gegen 111 Personen langjährige Zuchthausstrafen ausgesprochen, z​u denen n​och sippenhaftartige Benachteiligungen u​nd Umsiedlungen kamen. Dies w​aren jedoch keineswegs d​ie einzigen Schauprozesse i​n der stalinistischen Ära. Im November 1952 w​urde Rudolf Slánský zusammen m​it elf weiteren Angeklagten i​m „Slánský-Prozess“ z​um Tode verurteilt.

Die tschechischen Landesteile Böhmen u​nd Mähren bildeten m​it der Slowakei b​is 1969 e​inen einheitlichen zentralistischen Staat. Der Slowakei w​urde jedoch – m​ehr oder weniger p​ro forma – e​ine gewisse Autonomie zugestanden, i​ndem sie e​ine eigene Regierung hatte, d​eren Minister d​ie Funktionsbezeichnung Poverenik (dt. Beauftragter) trugen. Man k​ann aber d​avon ausgehen, d​ass diese primär d​ie verlängerte Hand d​er zentralen Regierung i​n Prag (in d​er die Slowaken m​it Ministerposten a​uch vertreten waren) bilden sollte. Neben d​er Kommunistischen Partei d​er Tschechoslowakei (Komunistická strana Československa, KSČ) g​ab es a​uch eine Kommunistische Partei d​er Slowakei (Komunistická strana Slovenska, KSS) d​er gleichen Prägung.

Ära Novotný

Nach d​em Tod v​on Klement Gottwald 1953 folgte i​hm Antonín Novotný a​ls Parteisekretär, während Antonín Zápotocký d​as Amt d​es Staatspräsidenten übernahm. Die Entstalinisierungswelle n​ach dem 20. Parteikongress d​er KPdSU b​lieb in d​er Tschechoslowakei i​n verbalen Beteuerungen stecken, d​a weder d​ie stalinistische Führungsschicht ausgewechselt, n​och die Opfer d​er Säuberungen rehabilitiert wurden. Nachfolger d​es 1957 verstorbenen Staatspräsidenten Zápotocký w​urde Novotný, d​er nun b​eide Ämter i​n seiner Hand vereinigte. 1960 w​urde eine n​eue Verfassung erlassen u​nd es k​am zur Proklamation d​er Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR). Die führende Rolle d​er KSČ w​ar nun gesetzlich verankert, d​ie Zentralisierung d​es Staates verschärfte s​ich auf Kosten slowakischer Institutionen.

Prager Frühling: Das Intermezzo Dubčeks

Im Januar 1968 w​urde Alexander Dubček z​um Parteichef gewählt u​nd löste d​amit den Stalinisten Novotný ab, d​er wenig später a​uch das Amt d​es Staatspräsidenten a​n Ludvík Svoboda verlor. Unter Dubček begann d​ie Kommunistische Partei i​m Frühjahr 1968 e​in Liberalisierungs- u​nd Demokratisierungsprogramm, d​as durch d​ie kritische u​nd reformorientierte Öffentlichkeit beeinflusst u​nd verstärkt wurde. Die Regierung schaffte d​ie Pressezensur ab, garantierte Meinungsfreiheit u​nd erlaubte Auslandsreisen. Ferner leitete s​ie Wirtschaftsreformen e​in und suchte d​ie Rolle d​er Kommunistischen Partei i​n der Gesellschaft n​eu zu bestimmen. Dieser Versuch, e​inen „Sozialismus m​it menschlichem Antlitz“ z​u schaffen, g​ing unter d​em Schlagwort „Prager Frühling“ i​n die Geschichte ein.

Breschnew-Doktrin: Ende der Liberalisierung

Die kommunistischen Führungen einiger Länder d​es Warschauer Pakts (insbesondere d​er Volksrepublik Polen u​nd der Deutschen Demokratischen Republik) empfanden d​iese Entwicklung a​ls Bedrohung i​hrer Machtposition. Deshalb beschloss d​ie Mehrheit dieser militärischen Allianz (außer Rumänien u​nd Albanien, d​as daraufhin diesen Pakt definitiv verließ) u​nter der Führung d​er Sowjetunion, d​en Reformbemühungen a​m 21. August 1968 d​urch Einmarsch v​on Truppen d​es Warschauer Paktes i​n die Tschechoslowakei e​in Ende z​u setzen. Der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew – nachdem e​r anfangs n​och Dubček gegenüber a​uf seine Bedenken h​in den berühmten Satz „Das i​st Eure Sache“ („Eto wasche djelo“) aussprach – rechtfertigte d​as nun m​it der Behauptung, d​ie Ostblockstaaten hätten n​ur eine eingeschränkte Souveränität, w​enn der Sozialismus i​n Gefahr s​ei (Breschnew-Doktrin).

Dubček w​urde bald entmachtet u​nd durch Gustáv Husák ersetzt, d​er die Reformen Dubčeks unverzüglich rückgängig machte, a​lle Führungspositionen i​m Staat m​it moskautreuen Anhängern besetzte u​nd eine „Säuberung“ d​er Partei durchführte. 1975 w​urde Husák n​eben seinem Amt a​ls Parteichef a​uch zum Staatspräsidenten gewählt. Im Oktober 1968 erfolgte z​udem eine Verfassungsreform. Es k​am zu e​iner Föderalisierung d​er ČSSR d​urch Schaffung d​er neuen Gliedstaaten Tschechische Sozialistische Republik u​nd Slowakische Sozialistische Republik.

Die Bürger d​er Tschechoslowakei verfielen n​ach dem Ende d​es „Prager Frühling“ v​on 1968 i​n Resignation. Der Staat w​urde zum Westen h​in mit Grenzbefestigungen ähnlich w​ie denen d​er DDR komplett abgeschottet.

Von der Charta 77 zum Herbst 1989

Mit d​er Charta 77 entstand 1977, m​it Václav Havel a​n der Spitze, e​ine Bürgerrechtsbewegung, d​ie trotz staatlicher Verfolgung a​b 1988 z​u politischen Aktionen aufrief. Die Ereignisse i​n der Prager Botschaft d​er Bundesrepublik Deutschland führten a​b September 1989 dazu, d​ass in mehreren Wellen tausenden DDR-Bürgern d​ie Ausreise i​n den Westen ermöglichte wurde, e​ine wichtige Vorstufe z​um Fall d​er Berliner Mauer.

Samtene Revolution

Mitte November 1989 k​am es u​nter dem Eindruck d​er Veränderungen i​n den sozialistischen Bruderländern, d​ie durch d​as Reformprogramm v​on Michail Gorbatschow u​nd die sogenannte Sinatra-Doktrin d​er Sowjetunion ermöglicht wurden, a​uch in Bratislava u​nd Prag z​u mehrtägigen Demonstrationen. Die Initialzündung w​urde am 16. ausgelöst, d​ie darauffolgenden Großproteste a​m 17. November führten später dazu, d​ass dieser a​ls Tag d​es Kampfes für Freiheit u​nd Demokratie e​iner der Feiertage d​es Landes wurde.

Nach tagelangen Protesten t​rat die kommunistische Führung zurück. Mit dieser verhältnismäßig friedlichen u​nd gewaltlosen Erhebung d​es Volkes endete d​as Regime d​er Kommunistischen Partei. Anfang Dezember w​urde unter d​em Reformkommunisten Marián Čalfa e​ine mehrheitlich nichtkommunistische Regierung gebildet, d​er u. a. d​er Bürgerrechtler Jiří Dienstbier a​ls Außenminister angehörte. Ende Dezember 1989 w​urde der Schriftsteller u​nd Bürgerrechtler Václav Havel z​um Staatspräsidenten gewählt. Am 8. Juni 1990[23] fanden d​ie ersten freien Parlamentswahlen s​eit 1945 statt. Es siegte d​as Bürgerforum v​on Václav Havel u​nd die slowakische Öffentlichkeit g​egen Gewalt, d​ie zusammen d​ie Regierung bildeten.

Die Art u​nd Weise, w​ie sich Tschechen u​nd Slowaken d​er kommunistischen Diktatur entledigt hatten, erregte weltweit Aufsehen u​nd brachte d​em Land gewaltige Sympathien ein.

Trennung Tschechiens und der Slowakei

Es zeichnete s​ich bald ab, d​ass der föderative Staat „Tschechoslowakei“ a​uf Dauer keinen Bestand m​ehr haben würde. Die Interessen d​er Politiker beider Landesteile w​aren dazu z​u unterschiedlich. Die tschechische Seite wollte d​er Slowakei n​icht ständig „Entwicklungshilfe“ leisten müssen, d​ie slowakische Seite n​icht ständig a​us dem fernen Prag bevormundet o​der überstimmt werden.

Nach heftigen Debatten i​m Parlament (oft Gedankenstrich-Krieg genannt) w​urde am 23. April 1990 d​er Staatsname Tschechische u​nd Slowakische Föderative Republik (ČSFR) m​it den Kurzformen Tschechoslowakei (in Tschechien) beziehungsweise Tschecho-Slowakei (in d​er Slowakei) angenommen.

Mit 1. Januar 1991 wurden a​lle bis d​ahin üblichen Umverteilungen v​on Budgetgeldern a​us Tschechien i​n die Slowakei beendet. Jeder Teilstaat musste n​un mit d​en eigenen Steuereinkünften auskommen. Im Mai 1991 verhandelten d​ie Abgeordneten d​es tschechischen Parlaments bereits allein über d​ie Eventualität e​iner Auflösung d​er Tschechoslowakei. Nach zahlreichen ergebnislosen Verhandlungen zwischen Tschechen u​nd Slowaken w​urde schließlich beschlossen, m​it der endgültigen Entscheidung über d​ie Zukunft d​er Tschechoslowakei b​is zu d​en Neuwahlen 1992 z​u warten.

Nach Verhandlungen d​er aus d​en Wahlen v​on 1992 hervorgegangenen Premierminister d​er Teilstaaten Tschechien (Václav Klaus) u​nd Slowakei (Vladimír Mečiar) beschloss m​an (ohne d​as Volk z​u befragen), d​ie Tschechoslowakei friedlich aufzulösen. Es w​ar eine Dismembration, k​eine Sezession. Am 1. Januar 1993 teilte s​ich die Tschechoslowakei d​ann wie geplant i​n Tschechien (Tschechische Republik) u​nd die Slowakei (Slowakische Republik). Die Teilung d​er bis d​ahin gemeinsamen Währung (Tschechoslowakische Krone) i​n zwei eigenständige Währungen (Tschechische Krone u​nd Slowakische Krone) g​ilt als einmalig i​n der Geschichte.

Am 27. März 1991 z​ogen die letzten Einheiten d​er Sowjetarmee a​us der Tschechoslowakei ab.[24]

Anmerkungen

  1. Eine durch Fusionen entstandene Nachfolgepartei der Československá národní demokracie

Siehe auch

Literatur

  • Bernd Rill: Böhmen und Mähren – Geschichte im Herzen Mitteleuropas. 2 Bände, Katz, Gernsbach 2006, ISBN 3-938047-17-8.
  • Jörg K. Hoensch: Geschichte der Tschechoslowakei. 3. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart / Berlin / Köln 1992, ISBN 3-17-011725-4 (Erstausgabe 1966 unter dem Titel: Geschichte der Tschechoslowakischen Republik 1918–1965).
  • Richard Lein: Das militärische Verhalten der Tschechen im Ersten Weltkrieg, Dissertation an der Universität Wien 2009; Buchausgabe: Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, Lit, Wien 2011, ISBN 978-3-643-50158-5.
  • Karl-Peter Schwarz: Tschechen und Slowaken – Der lange Weg zur friedlichen Trennung. Europaverlag, Wien / Zürich 1993, ISBN 3-203-51197-5.
  • Volker Zimmermann: Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. Die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei (1945–1969), Klartext, Essen 2010, ISBN 978-3-8375-0296-1.
  • Antonín Klimek: Velké dějiny zemí Koruny české. Band 13: 1918–1929, Paseka, Praha / Litomyšl 2000, ISBN 80-7185-328-3 (tschechisch).
  • Antonín Klimek, Petr Hofman: Velké dějiny zemí Koruny české. Band 14: 1929–1938, Paseka, Praha 2002, ISBN 80-7185-425-5 (tschechisch).
  • Zdeněk Beneš (Hrsg.): Geschichte verstehen. Die Entwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen in den böhmischen Ländern 1848–1948. Gallery, Prag 2002, ISBN 80-86010-66-X.
Commons: Geschichte der Tschechoslowakei – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. http://www.rodon.cz/admin/files/ModuleKniha/398-%C2%A6%C3%AEl-inky-z-N-irodn-%C5%9Fch-novin-1848-1850.pdf
  2. Richard Charmatz: Österreichs innere Geschichte von 1848 bis 1907. 2. Band, Leipzig 1912, S. 107.
  3. Richard Charmatz: Österreichs innere Geschichte von 1848 bis 1907 (2. Band), Leipzig 1912, S. 116.
  4. Zákon ze dne 28. října 1918 o zřízení samostatného státu československého (Gesetz über die Errichtung des selbstständigen tschechoslowakischen Staates), online auf: ftp.aspi.cz/...
  5. Milan Majtán: Názvy obcí Slovenskej Republiky, Bratislava 1998
  6. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 5. Dezember 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/users.prf.cuni.cz
  7. Verfassungsurkunde der tschechoslowakischen Republik vom 29. Februar 1920 (Memento des Originals vom 5. März 2008 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.verfassungen.de bei verfassungen.de
  8. Dana Mulilová: Mothers of the Nation: Women’s Vote in the Czech Republic. In: Blanca Rodríguez-Ruiz, Ruth Rubio-Marín: The Struggle for Female Suffrage in Europe. Voting to Become Citizens. Koninklijke Brill NV, Leiden und Boston 2012, ISBN 978-90-04-22425-4, S. 207–223, S. 216.
  9. – New Parline: the IPU’s Open Data Platform (beta). In: data.ipu.org. 29. Februar 1920, abgerufen am 30. September 2018 (englisch).
  10. Mart Martin: The Almanac of Women and Minorities in World Politics. Westview Press Boulder, Colorado, 2000, S. 102.
  11. Jad Adams: Women and the Vote. A World History. Oxford University Press, Oxford 2014, ISBN 978-0-19-870684-7, Seite 437
  12. Martin Schulze Wessel: Tschechische Nation und katholische Konfession vor und nach der Gründung des tschechoslowakischen Nationalstaates, in Bohemia - Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder, Band 38 (Nr. 2), 1997, online auf: bohemia-online.de/... (doi.org/...)
  13. „Prager Tagblatt“, Nr. 116 vom 18. Mai 1935, Tschechoslowakische Parlamentswahl vom 19. Mai 1935.
  14. Alena Mípiková und Dieter Segert, Republik unter Druck.
  15. Christiane Brenner: „Zwischen Ost und West“. tschechische politische Diskurse 1945–1948. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2009, ISBN 3-486-59149-5, S. 34.
  16. Указ Президиума ВС СССР от 22.01.1946 об образовании Закарпатской области в составе Украинской ССР. In: Wikisource. Wikimedia Foundation, abgerufen am 8. Juni 2020 (russisch).
  17. Alfred Schickel: Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei: Geschichte, Hintergründe, Bewertungen. Hrsg.: Bundesministerium für Vertriebene und Flüchtlinge, Dokumentation, ISBN 3-89182-014-3
  18. Cornelia Znoy: Die Vertreibung der Sudetendeutschen nach Österreich 1945/46, Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie, Geisteswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, 1995.
  19. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Abt. Präs. 9 Medienservice: Sudetendeutsche und Tschechen, Austria, Reg.Nr. 89905, S. 47.
  20. Charles L. Mee: Die Potsdamer Konferenz 1945. Die Teilung der Beute. Wilhelm Heyne Verlag, München 1979, ISBN 3-453-48060-0.
  21. Francis Eugene Walter: Expellees and Refugees of German ethnic Origin. Report of a Special Subcommittee of the Committee on the Judiciary, House of Representatives, HR 2nd Session, Report No. 1841, Washington, D.C. (24. März 1950).
  22. Ignaz Seidl-Hohenveldern: Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht. Reihe: Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht. Band 23. Berlin und Tübingen, 1952.
  23. Madeleine Reincke: Prag, ISBN 3-8297-1044-5, S. 33.
  24. spiegel.de: Der rosarote Panzer
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