Massenmord
Massenmord bezeichnet in den Kriminalwissenschaften den Mord an einer Vielzahl von Personen in kurzer Zeit an einem oder wenigen zusammenhängenden Orten.[1] Er wird abgegrenzt vom Serienmord, der durch viele Taten über einen längeren Zeitraum gekennzeichnet ist. Massenmorde sind sehr selten, weit unter einem Prozent aller Morde sind Massenmorde.[2] Die deutsche Polizeiliche Kriminalstatistik weist sie wegen ihres geringen Vorkommens nicht gesondert als Tatkategorie aus.
Außerhalb der Kriminologie wird der Begriff in der Politikwissenschaft und auch umgangssprachlich für Ereignisse verwendet, bei denen eine sehr große Zahl von Menschen vorsätzlich getötet wurde, insbesondere bei politisch motivierten Massentötungen durch Staatsgewalt oder Terroranschläge.
Definition und Formen
Die Grenze der Opferzahl, durch die eine Tat zum Massenmord wird, wird in der Literatur mit vier, seltener auch mit drei angegeben.[3]
Massenmord kommt in verschiedenen Formen vor. Die kriminologische Literatur versucht eine Klassifikation nach Motiven und Auslösern. Dabei gibt es verschiedene Ansätze. Häufig werden vier Grundtypen unterschieden:[1]
- Der aufgebrachte Arbeitnehmer (disgruntled employee) tötet an einem Ort, der für ihn mit Missachtung und Ärger verbunden ist. Die Opfer sind häufig Vorgesetzte und Kollegen.
- „Familientragödien“ entstehen, wenn ein nahezu immer männliches[4] Familienmitglied, das sich für die anderen Mitglieder der Familie verantwortlich fühlt, die Kontrolle über sein Leben verliert und glaubt, dass dadurch für die gesamte Familie kein Ausweg mehr existiere. Diese Täter töten aus „einem verschobenen Verständnis von Liebe und Verantwortung – dem Wunsch ihre Lieben vor Elend und Not zu bewahren“.[5] Auslöser können der Zerfall der Familie sein oder finanzielle Sorgen.[4] Diese Fallgruppe ist oft mit einem erweiterten Suizid verbunden. Ein vergleichbarer Auslöser liegt auch vor, wenn der Täter sich von einem gewünschten Partner zurückgewiesen fühlt und diesen sowie andere Personen in seinem Umfeld tötet.
- Massenmord im Zusammenhang mit einer anderen Straftat kommt vor, wenn eine Geiselnahme, ein Raubüberfall oder eine andere Tat eskaliert.
- Terrorismus ist der Einsatz von Gewalt (hier Mord) zu politischen Zwecken.
Als weitere Klassifikationen wurden Anhänger von Sekten oder anderen Gruppen vorgeschlagen, die den Massenmord aufgrund einer Anweisung ihres spirituellen Führers begehen.
Nach der Art der Tatbegehung[6] wurde zwischen dem Typ des Vernichters (Annihilator) unterschieden, der seine Familie oder im Arbeitsumfeld Opfer aus einem besonderen Näheverhältnis tötet und im Fall des Family Annihilators dem oben genannten Fall der Familientragödie entspricht, dem Pseudo-Commando, der schwer bewaffnet loszieht und oft aus der Bewegung heraus und wahllos tötet sowie dem planvollen Vorgehen eines Bombenlegers oder Brandstifters, der seine Tat so begeht, dass er hofft unerkannt den Tatort verlassen zu können.[1] Jede dieser Arten der Tatbegehung kann die Form eines Amoklaufs annehmen.
Massenmorde kommen am häufigsten im Familienumfeld vor.[2]
Hohe Opferzahlen wurden durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 und den Anschlag von Bali 2002 erreicht, die dem Feld des Terrorismus zuzuordnen sind. Weitere hohe Opferzahlen entstehen bei Taten, die durch Brandstiftung begangen werden.[3]
Verwendung außerhalb der Kriminologie
Außerhalb der Kriminologie wurden politisch motivierte Massentötungen regelmäßig als Massenmord bezeichnet, etwa der Große Terror unter Stalin, oder die Massaker an etwa einer halben Million Kommunisten in Indonesien von 1965 bis 1966.
Auch einzelne Mordaktionen während eines Völkermordes wurden häufig als Massenmord bezeichnet. Bezüglich Holocaust und Porajmos in seiner Gesamtheit und Dimension prägte sich der Begriff Massenvernichtung[7], analog benannten Historiker die industrialisierten NS-Tötungsstätten später Vernichtungslager.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- Homicide: Mass Murder and Serial Killings In: Richard Alan Wright, J. Mitchell Miller (Hrsg.): Encyclopedia of criminology. Routledge, 2005, ISBN 9781579584665, S. 687 ff.
- Hans Joachim Schneider: Einführung in die Kriminologie. Walter de Gruyter, 1993, ISBN 3110097567, S. 94–97.
- Clifton D. Bryant (Hrsg.): Encyclopedia of Criminology and Deviant Behavior – Historical, conceptual, and theoretical issues. Brunner-Routledge, 2000, ISBN 1-56032-772-3, S. 271 ff.
- Elizabeth Yardley, David Wilson, Adam Lynes: A Taxonomy of Male British Family Annihilators, 1980–2012. In: The Howard Journal of Criminal Justice, 2013 doi: 10.1111/hojo.12033.
- James Alan Fox, Jack Levin: Extreme killing : understanding serial and mass murder. Sage Publishing 2005, ISBN 0-7619-8856-4, S. 23.
- Park Elliott Dietz: Mass, serial and sensational homicides. In: Bulletin of the New York Academy of Medicine. Band 62, Nummer 5, Juni 1986, S. 477–491, PMID 3461857, PMC 1629267 (freier Volltext).
- Bundesgerichtshof: Beschluss vom 26. Februar 1999 – 3 StR 613–98 = „Billigung von Völkermord an Juden “ BGH, NJW 1999, 1561–1562 „So wurde unter anderem auch der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung zur Zeit des Dritten Reiches in den Texten geleugnet oder gebilligt. [...] Der Angeklagte hat durch [...] den durch die Massenvernichtung der Bürger jüdischen Glaubens durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft begangenen Völkermord in einer Weise gebilligt, die geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören.“