Raymond Poincaré
Raymond Poincaré (* 20. August 1860 in Bar-le-Duc, Département Meuse; † 15. Oktober 1934 in Paris) war ein französischer Politiker in der Dritten Republik (ARD). Er war mehrmals Ministerpräsident und vom 18. Februar 1913 bis 17. Februar 1920 Staatspräsident. Er war ein Cousin des Mathematikers Henri Poincaré.
Leben
Jugend und Studium
Im Jahr 1870, als Poincaré zehn Jahre alt war, wurde seine Heimatstadt Bar-le-Duc während des Deutsch-Französischen Krieges von deutschen Truppen überrollt, was seine spätere negative Einstellung zum Deutschen Reich beeinflusst haben kann.[1]
Nach seinem Militärdienst 1879–1880 studierte er an der Sorbonne, wurde 1881 Mitglied der Pariser Anwaltskammer und 1882 Doktor der Rechtswissenschaften.
Politiker
Nachdem er 1886 Kabinettschef bei Landwirtschaftsminister Jules Develle geworden war, wurde Poincaré 1887 für das Département Meuse in die Abgeordnetenkammer gewählt und profilierte sich in den Jahren von 1890 bis 1892 vor allem als Wirtschaftsexperte bei den Etatberatungen. Dabei tat er sich besonders durch seine Bemühungen um das Vermitteln zwischen den politischen Lagern hervor.
Im Jahre 1893 wurde Poincaré Sprecher des Haushaltsausschusses. Vom 4. April bis 3. Dezember 1893 war er Minister für Bildung, Kunst und Religion im ersten Kabinett Charles Dupuy. Von Mai 1894 bis Januar 1895 war er Finanzminister und anschließend wieder Unterrichtsminister im Kabinett Alexandre Ribot. In dieser Funktion vertrat er den Staat beim Streit mit der katholischen Kirche um das französische Schulsystem und den Laizismus allgemein. 1895 schied er aus der Politik aus und eröffnete eine sehr erfolgreiche Anwaltskanzlei.
In der Dreyfus-Affäre (1894–1906) verhielt Poincaré sich zunächst neutral und schlug sich schließlich auf die Seite der Dreyfus-Unterstützer. Der Linken näherte er sich allerdings nicht an.
1903 zog er als Abgeordneter des Départements Meuse in den Senat ein und setzte seine politische Laufbahn fort. Er war Finanzminister im Kabinett Ferdinand Sarrien (14. März bis 25. Oktober 1906). Im August 1904 heiratete er Henriette Poincaré (1858–1943). Seit 1909 war er Mitglied der Académie française und ab 1911 setzte er auf eine betont nationale Haltung. Vom 14. Januar 1912 bis zum 18. Januar 1913 war er Ministerpräsident und zugleich Außenminister in seinem ersten Kabinett. Er stärkte die Triple Entente und betrieb allgemein eine Aufrüstungspolitik. Am 27. Januar 1913 wurde er, gestützt auf ein Mitte-rechts-Bündnis, zum Staatspräsident gewählt (im Amt bis Februar 1920). Die kirchliche Heirat mit seiner Ehefrau Henriette am 5. Mai 1913 (standesamtlich hatten die beiden bereits 1904 geheiratet) erregte trotz Geheimhaltung Aufsehen unter den antiklerikalen Republikanern, die nach der Trennung von Kirche und Staat erwarteten, dass ein hoher Amtsträger der Republik auf den Segen der katholischen Kirche verzichtete.[2]
Während der Julikrise 1914 waren Staatspräsident Poincaré und Ministerpräsident René Viviani vom 13. bis zum 23. Juli zu einem offiziellen Staatsbesuch in Sankt Petersburg. Poincaré gab seinen russischen Gastgebern eine „feierliche Bestätigung der Verpflichtungen, die aus dem Bündnis für beide Länder hervorgingen“.[3] Dies stärkte Russland den Rücken, das seitdem keinen Grund mehr sah, von seiner Unterstützung für das von Österreich-Ungarn bedrohte Serbien abzurücken. Eine Woche nach Poincarés Abreise erklärte Zar Nikolaus II. die russische Generalmobilmachung, die die Kriegserklärung Deutschlands nach sich zog.
Nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges sprach er sich entschieden für eine Fortsetzung des Krieges bis zum Sieg aus und forderte die Union sacrée, das Gegenstück zum deutschen Burgfrieden. Sein schärfster politischer Gegner war Georges Clemenceau, den Poincaré dennoch 1917 zum Ministerpräsidenten berief, um die politische Einheit und damit die Kriegsfähigkeit Frankreichs zu sichern. Bis zum Kriegsende hatte Clemenceau Poincaré als wichtigsten Entscheidungsträger der französischen Politik verdrängt. 1919 wurde Poincaré in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.
Raymond Poincaré war in folgenden Zeitperioden Ministerpräsident des Landes:
- 14. Januar 1912 bis 21. Januar 1913 (gleichzeitig war er Außenminister)
- 15. Januar 1922 bis 9. Juni 1924 (gleichzeitig war er Außenminister)
- 23. Juli 1926 bis 11. November 1928 (gleichzeitig war er Finanzminister)
- 11. November 1928 bis 29. Juli 1929 (ohne zusätzliche Aufgaben)
Nach dem Ende seiner Amtszeit als Staatspräsident leitete Poincaré zeitweilig die infolge des Versailler Vertrages gebildete alliierte Reparationskommission. Dabei verfolgte er anfänglich eine strikt antideutsche Politik (siehe Kriegsschuldfrage). Poincaré gilt als die treibende Kraft hinter der französisch-belgischen Besetzung des Ruhrgebietes 1923 bis 1924. Die mit der Besatzung verbundenen Belastungen der Staatskasse führten für ihn zur Niederlage bei den Wahlen 1924. Zudem stellte sich Frankreich mit seiner unnachgiebigen Deutschlandpolitik in Widerspruch zu den übrigen Siegermächten. Die Rückkehr im Jahr 1926 verdankte er einer kurz nach dem Machtverlust erfolgten Finanzkrise. Im Laufe der Zeit milderte sich Poincarés Politik der harten Hand gegenüber Deutschland deutlich ab. In einem Interview mit dem Vorwärts äußerte er sich z. B. 1928 zu einer eventuellen neuen Ruhrbesetzung: Niemals! Wurde einmal geräumt, würde eine neue Besetzung heute bedeuten, dass man die Lunte an das Pulverfass legt. Zudem: Eine deutsche Linksregierung könnte zehn mal mehr von mir erwarten als eine Rechtsregierung.[4] Nach Raymond Poincaré wurde der 1928 eingeführte Franc Poincaré benannt. Im Jahr 1929 trat Poincaré aus gesundheitlichen Gründen zurück. Er starb 1934 in Paris und wurde in Nubécourt in seinem heimatlichen Département bestattet.
Weblinks
- Literatur von und über Raymond Poincaré im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Zeitungsartikel über Raymond Poincaré in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
- Anne-Cécile Renouard/Gabriel Eikenberg: Raymond Poincaré. Tabellarischer Lebenslauf im LeMO (DHM und HdG)
- Kurzbiografie und Werkliste der Académie française (französisch)
Einzelnachweise
- Christopher Clark im Interview mit "Der Bund", veröffentl. am 28.06.2014; https://www.derbund.ch/wissen/geschichte/das-buch-ist-kein-freispruch-fuer-die-deutschen/story/24143098?track online abgerufen am 6. Januar 2016
- Christopher Clark: Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013, S. 403.
- Sean McMeekin: The Russian Origins of the First World War, S. 85 (online)
- Erich Eyck: Geschichte der Weimarer Republik, Band 2, 1956, S. 229
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Joseph Caillaux Aristide Briand Édouard Herriot | Premierminister von Frankreich 21. Januar 1912 bis 21. Januar 1913 15. Januar 1922 bis 8. Juni 1924 23. Juli 1926 bis 29. Juli 1929 | Aristide Briand Frédéric François-Marsal Aristide Briand |
Justin de Selves Aristide Briand | Außenminister von Frankreich 14. Januar 1912 bis 22. Januar 1913 15. Januar 1922 bis 15. Juni 1924 | Charles Jonnart Edmond Lefebvre du Prey |
Charles Dupuy Georges Leygues | Bildungsminister von Frankreich 4. April 1893 bis 3. Dezember 1893 26. Januar 1895 bis 1. November 1895 | Eugène Spuller Émile Combes |
Auguste Burdeau Pierre Merlou Anatole de Monzie | Finanzminister von Frankreich 30. Mai 1894 bis 26. Januar 1895 14. März 1906 bis 25. Oktober 1906 23. Juli 1926 bis 11. November 1928 | Alexandre Ribot Joseph Caillaux Henry Chéron |