Fall Babice
Der Fall Babice, benannt nach dem Tatort Babice in Südmähren, wo der Fall 1951 seinen Anfang nahm, gehörte zu den größten konstruierten Schauprozessen in der Tschechoslowakei, welcher der Festigung des kommunistischen Regimes der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei dienen sollte. Anders als einige andere bekanntgewordene politische Schauprozesse in der Tschechoslowakei wie beispielsweise der Slánský-Prozess richtete sich dieser Prozess nicht gegen mutmaßliche Abweichler in der Partei. Die Zielgruppe waren vermeintliche oder tatsächliche Gegner der beabsichtigten landwirtschaftlichen Kollektivierung, aber auch die katholische Kirche, die der Politik der kommunistischen Partei sehr kritisch gegenüberstand.
Hintergründe
Nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 stand die Kommunistische Partei vor diversen Problemen – die konkurrierenden Parteien mussten befriedet werden, die ideologische Diversion in der Partei beseitigt werden, der Klassenfeind ausgeschaltet werden; außerdem musste die Kollektivierung durchgeführt und die Probleme mit der Kirche bereinigt werden. Bereits 1948 hat die Partei die Linie der Komintern übernommen, wonach das sowjetische Modell der Kollektivierung der Landwirtschaft durchgesetzt werden müsse. Wie es sich bald zeigte, stieß diese Politik auf Widerstand breiter Schichten der Bevölkerung, der in Südmähren besonders stark war.[* 1] Es formierten sich bald Widerstandsgruppen, die häufig aus den Widerstandskämpfern gegen die Nazibesetzung des Landes einige Jahre zuvor bestanden.[* 2] Außerdem gab es Probleme mit der katholischen Kirche, nachdem Anfang 1951 der Prager Kardinal Josef Beran interniert worden war und die Beziehungen zum Vatikan unterbrochen waren.[* 1] Nach den Intentionen der Partei sollte besonders in Südmähren durch Infiltration von Agenten der Staatssicherheit StB die Lage verschärft werden, damit die Polizei eingreifen und den sich zu formieren beginnenden Widerstand brechen könnte; diese Strategie wurde zentral geleitet durch die Innenministerium-Abteilung B Aa seit 1950.[* 3]
Am Anfang 1951 tauchte in Südmähren Ladislav Malý auf und besuchte frühere Bekannte, darunter auch seinen ehemaligen Mitschüler, den Priester Jan Bula. Er gab sich als ein Beauftragter des US-amerikanischen Nachrichtendienstes CIC aus, der die Flucht des internierten Kardinals Beran vorbereiten soll. Am 2. Juli 1951 abends überfiel Malý mit drei weiteren Personen eine Sitzung des lokalen Nationalausschusses MNV in Babice in Südmähren. Während die Brüder Antonín und Stanislav Plichta Schmiere standen, drangen Ladislav Malý und Antonín Mityska ins Gebäude ein, wo es zu einer Schießerei kam. Die kommunistischen Funktionäre Tomáš Kuchtík, Josef Roupec und Bohumír Netolička wurden erschossen, František Bláha wurde verletzt.[* 3] Später wurde in einigen Quellen behauptet, die Funktionäre sollten nur aufgeschreckt werden, zu der Schießerei sei es nur durch Missverständnis gekommen.[1] Die vier Attentäter flüchteten zunächst, wurden später jedoch gestellt, wobei sie erschossen (Ladislav Malý und Antonín Plichta) sowie lebensgefährlich verletzt wurden (Stanislav Plichta). Diese Beschreibungen basieren auf späteren Aussagen von Mityska, es gibt keine kriminalistische Dokumentation, und offensichtlich wurden keine ballistischen Untersuchungen durchgeführt und nicht einmal die Tatwaffe festgestellt. Unmittelbar nach der Tat wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt und es folgte eine große Verhaftungs- und Repressionswelle.[* 3]
Über die Hauptfigur Ladislav Malý und seine Rolle im Fall Babice sind viele widersprüchliche Spekulationen zu finden. Weil das Einschleusen von Polizeiagenten in oppositionelle Kreise seit Anfang 1950 tatsächlich auch stattfand, glaubte man lange Zeit, dass auch Malý ein Agent der StB gewesen sei. Anderen Quellen zufolge war er ein Agent des US-amerikanischen Nachrichtendienstes CIC.[2][3] Nach Auswertung aller früher geheimen Dokumenten der StB gelangte das Institut ÚSTR jedoch zur Überzeugung, dass Malýs Aktion von niemanden gesteuert wurde, weder von der StB noch von der CIC, dass sie „eine tragische Episode [war], die überall hätte stattfinden können“, und nur in der gegebenen Situation zum willkommenen Auslöser eines ohnehin geplanten Schlages gegen Bauern und Kirche wurde.[* 3]
Die Prozesse
Obwohl die Stoßrichtung der Prozesse keine direkten ideologischen Feinde in der Partei oder im Ausland als Ziel vorsah, sondern nur missliebige Schichten der Bevölkerung, welche sich den Plänen der Partei widersetzen wollten, lag die Inszenierung der Prozesse nicht bei der Justiz, sondern voll bei den höchsten Parteiorganen. Nachdem die erste Verhaftungswelle abgeschwollen war, beschloss das Sekretariat des Zentralkomitees (bestehend aus Klement Gottwald, Antonín Zápotocký, Viliam Široký und dem später hingerichteten Rudolf Slánský) bereits am 10. Juli 1951, das heißt noch vor dem Beginn des ersten Prozesses, die sieben Todesurteile sowie die Ausgliederung des Pfarrers Jan Bula in einen späteren Prozess.[* 4]
Die Prozesse mit den in der Causa Babice verhafteten Beschuldigten wurden in neun größere und sechs Einzelprozesse aufgegliedert. Diese Aufteilung sollte die Abschreckungswirkung erhöhen. Der erste Prozess mit dem Hauptangeklagten Antonín Mityska begann bereits am 12. Juli 1951 und dauerte nur drei Tage. Von den 14 Angeklagten wurden sieben zum Tode verurteilt. Im zweiten Prozess im November 1951 wurden insgesamt 17 Angeklagte verurteilt, der Hauptangeklagte Jan Bula erhielt die Todesstrafe. Die Anklagepunkte lauteten auf Hochverrat, Sabotage, Spionage und ähnliche Delikte; die Pater wurden u. a. als Agenten einer ausländischen Macht, des Vatikans, verurteilt.
In den insgesamt 15 Prozessen, die zu dem Fall Babice gezählt werden, wurden insgesamt 107 Personen verurteilt, davon elf zu Todesstrafen und die übrigen zu insgesamt mehr als 1375 Jahren Freiheitsentzug. Einer der Beteiligten am Überfall in Babice, Stanislav Plichta, der erst 1953 zum Tode durch Hängen verurteilt wurde, war beim Überfall angeschossen worden, musste mit Kathetern versorgt werden und war vom Gürtel abwärts gelähmt; er musste zur Hinrichtung getragen werden.[* 5]
Folgen
Wie aus einigen später gefundenen Dokumenten hervorgeht, waren selbst die Berufungen nur eine formelle Angelegenheit. Die Berufung der zum Tode Verurteilten sollte am 1. August 1951 stattfinden. Bereits am 31. Juli 1951 informiert jedoch das Präsidialamt darüber den Präsidenten Gottwald, der danach eine Amnestie hätte erlassen können, und leitet eine Information des Justizministeriums weiter, dass die Hinrichtungen am 3. August 1951 stattfinden werden. Das Ergebnis der Berufung war somit bereits vor dem Berufungsverfahren bekannt.[* 6]
Erstaunlich ist dabei auch die Schnelligkeit, die alle Entscheidungen begleitete. Die Ermittlungen der Schießerei in Babice vom 2. Juli 1951 wurden innerhalb von etwa drei Tagen abgeschlossen; der erste Prozess fand bereits am 12. Juli 1951 in Jihlava statt und dauerte drei Tage, die Berufung wurde formell am 1. August durchgeführt, am 2. August wurde eine Amnestie abgelehnt und am 3. August, d. h. einen Monat nach der Tat, wurden die ersten Todesurteile vollstreckt.[4]
Die Eigentumsbeschlagnahme und die Umsiedlung der Familien der Verurteilten wurde noch vor dem Beginn der Prozesse durch das ZK der Partei beschlossen.[* 4] Die ersten Familien wurden etwa zehn Tage nach der Urteilsverkündung deportiert, ihr Eigentum beschlagnahmt, und obwohl sie am neuen Aufenthaltsort nur schlecht bezahlte Arbeit fanden, mussten sie lange Zeit die Gerichtskosten sowie die gleichzeitig verhängten hohen Geldstrafen bezahlen.
Der Prozess von Babice markierte auch den Anfang der sogenannten Aktion Kulake („akce kulak“), die in den nächsten Jahren die Umsiedlung von mindestens 2000 Familien selbständiger Landwirte vor allem in die Grenzgebiete zur Folge hatte.[5]
Diese Umsiedlungen wurden später legitimiert durch einen geheimen Beschluss des Ministeriums für nationale Sicherheit, des Innen- sowie des Justizministeriums vom 22. Oktober 1951 über Familienangehörige verurteilter Großbauern und Dorfreichen.[6] In dieser Richtlinie wurde sowohl die Beschlagnahme des Eigentums wie auch die Umsiedlung geregelt, und dies betraf sowohl die direkten Familienangehörigen wie auch andere Personen, die in einem Haushalt des Verurteilten lebten.
Wiedergutmachung nach 1989
Die Urteile der politischen Schauprozesse der 1950er Jahre gegen zum Teil prominente Parteimitglieder wurden schon frühzeitig korrigiert beziehungsweise als ungesetzlich aufgehoben. Einige Wiedergutmachungen konnten bereits in den 1960er Jahren stattfinden, nachdem der geheime Bericht der parteiinternen sogenannten Kolder-Kommission abgeschlossen wurde; weitere Urteile wurden dann während der Zeit des Prager Frühlings 1968 aufgehoben. Die Versuche der Verurteilten der Babice-Prozesse, bei diesen Gelegenheiten ebenfalls rehabilitiert zu werden, scheiterten jedoch.[* 7]
Mit dem Schicksal der weitgehend unbekannten Opfer anderer Prozesse, darunter auch der Prozesse im Fall Babice, hatte sogar die Justiz nach der Revolution von 1989 große Probleme. Die umfangreiche Dokumentation des Instituts ÚSTR hält auch die vielen Etappen der Wiedergutmachung nach 1989 fest, im Folgenden am Beispiel der Verurteilten des zweiten Prozesses in Jihlava vom 12. bis zum 14. Juli 1951 mit dem Hauptangeklagten Mityska[* 8]:
- Das Bezirksgericht in Brünn hob in seiner Verhandlung am 4. Dezember 1990 für acht Verurteilte die Urteile zwar auf, bei den übrigen sechs sprach es neue Urteile in der Höhe zwischen 10 und 25 Jahren aus.
- Ein Widerspruch gegen diesen Urteil wurde vor dem Obersten Gericht der Tschechischen Republik am 29. Juli 1991 verhandelt; vier der zuvor verhängten Urteile wurden auf 5 bis 15 Jahre verkürzt, in zwei Fällen wurde keine Freiheitsstrafe verhängt.
- Neu verhandelt wurde der Fall am 5. Mai 1994, zwei der Urteile wurden um jeweils fünf Jahre verkürzt (auf 5 bzw. 10 Jahre); in all diesen Verfahren wurde somit die Rechtsstaatlichkeit der Gerichtsverhandlungen von 1951 anerkannt, die sogar von der internen Parteikommission des parteitreuen Funktionärs Kolder 1962 angezweifelt wurde.
- Der Justizminister Jiří Novák befand, dass das damals zuständige Oberste Gericht 1951 das Gesetz verletzt habe und reichte 1996 im Namen der Verurteilten eine Beschwerde ein, infolgedessen dann die Urteile aufgehoben wurden.
Im September 2011 leitete die katholische Kirche die Kanonisierung der hingerichteten Priester Václav Drbola und Jan Bula ein. Beide sollen selig gesprochen werden.
Verzeichnis der Verurteilten
In den 15 Haupt- und Nebenprozessen zwischen 1951 und 1958 wurden insgesamt 107 Personen verurteilt, davon 11 zum Tod.[* 9]
Liste der Verurteilten in den Hauptprozessen
Jihlava (12. bis 14. Juli 1951)
Moravské Budějovice (19. bis 22. Mai 1952)
|
Třebíč (13. bis 15. November 1951)
Praha (10. Februar 1953)
|
Liste der Verurteilten in den Nebenprozessen
Jihlava (11. Dezember 1951)
Znojmo (28. März 1952)
Jihlava (13. April 1952)
Jihlava (23. Mai 1952)
Jihlava (30. Juni 1952)
|
Znojmo (27. März 1952)
Jihlava (15. Mai 1952)
Jihlava (3. Juni 1952)
Jihlava (4. Juni 1952)
Brno (25. Juni 1952)
Jihlava (15. August 1958)
*) starb später infolge der Misshandlungen während des Verhörs |
Liste der zu Tode Verurteilten und Hingerichteten
- Antonín Mityska
- Antonín Plichta (Sr.)
- Drahoslav Němec
- František Kopuletý
- Antonín Škrdla
- P. Jan Bula
- P. Václav Drbola
- P. František Pařil
- Gustav Smetana
- Jaroslav Melkus
- Stanislav Plichta
Quelle und Einzelnachweise
Quelle für diesen Artikel:
- Adolf Rázek: StB + justice. nástroje třídního boje v akci Babice. [StB + Justiz. Instrumente des Klassenkampfes in der Aktion Babice], Veröffentlichung des Instituts für das Studium totalitärer Regime ÚSTR, ca. 300 Seiten einschl. Dokumentation, Prag 2002/03, ISBN 80-86621-02-2, online auf: policie.cz/...
Nachweise aus dieser Quelle (im Text mit Sternchen + Zahl gekennzeichnet):
- Adolf Rázek: StB + justice. a. a. O., Seite 16f.
- Adolf Rázek: StB + justice. a. a. O., Seite 19
- Adolf Rázek: StB + justice. a. a. O., Seite 7f.
- Adolf Rázek: StB + justice. a. a. O., Seite 31f.
- Adolf Rázek: StB + justice. a. a. O., Seite 29
- Adolf Rázek: StB + justice. a. a. O., Seite 30
- Adolf Rázek: StB + justice. a. a. O., Seite 37.
- Adolf Rázek: StB + justice. a. a. O., Seite 38f.
- Adolf Rázek: StB + justice. a. a. O., Seite 26ff.
Sonstige Einzelnachweise:
- Eine Notiz in der Zeitung Lidové noviny vom 22. Juni 2007, online auf: Nové svědectví: střelbu v Babicích … – Lidové noviny – 22.6.2007, tschechisch, abgerufen am 4. März 2012
- Jan Bula (1920–1952), eine Biographie des ÚSTR, online (archiviert) auf: ustrcr.cz/...
- Markéta Doležalová: Jan Bula (1920–1952), eine Veröffentlichung des ÚSTR, online auf: ustrcr.cz/...
- Karel Jech: Kolektivizace a vyhánění sedláků z půdy. [Kollektivierung und die Austreibung der Bauern], Praha, Vyšehrad, 2008, ISBN 978-80-7021-902-7, S. 105f.
- Aus einem Bericht des Justizministeriums, zit. nach Nové poznatky v akci Babice. [Neue Erkenntnisse in der Aktion Babice], Ergänzungen zur Dokumentation: Adolf Rázek: StB + justice. nástroje třídního boje v akci Babice. Veröffentlichung des Instituts für das Studium totalitärer Regime ÚSTR, S. 3, online auf: policie.cz/...
- Geheimbefehl 27/1951, online auf: TRMNB_27_51 (PDF; 214 kB), tschechisch, abgerufen am 5. März 2012
Literatur
- Luděk Navara, Miroslav Kasáček: Und trotzdem bleiben sie uns nah: Das Leben und der Märtyrertod der Priester Jan Bula und Vaclav Drbola aus Babice. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried, 2019, ISBN 978-3-87336-637-4 (Übersetzung aus dem Tschechischen)
Weblinks
- Der Fall Babice, eine deutschsprachige Beschreibung der Ereignisse des Tschechischen Rundfunks, online auf: Der Fall Babice, abgerufen am 4. März 2012
- Případ Babice [Der Fall Babice], Schilderung des Falles auf der Website der Gemeinde Babice, online auf: Případ Babice (Memento vom 6. Februar 2007 im Internet Archive) (tschechisch)