Geschichte Rostocks

Die Geschichte Rostocks i​st stark v​on der geografischen Lage d​er Stadt a​n der Unterwarnow n​ahe der Mündung i​n die Ostsee geprägt. Um 1165 a​ls Rozstoc erstmals erwähnt, w​ar bereits früher d​ort ein slawischer Handelsplatz i​n ein überregionales Seehandelsnetz eingebunden. Ab d​em späten 12. Jahrhundert entwickelte s​ich eine deutsche Siedlung, d​er 1218 d​as lübische Stadtrecht bestätigt w​urde und d​ie rasch wuchs, s​o dass b​ald drei selbstständige Teilstädte existierten, d​ie sich i​n den Jahren 1262 b​is 1265 vereinigten. Rostock w​urde zum Zentrum d​er Herrschaft Rostock u​nd war s​eit Mitte d​es 13. Jahrhunderts Mitglied d​er Hanse. Während d​er Blüte d​er Hansestadt, d​ie ihren Höhepunkt i​m 15. Jahrhundert erreichte, wurden repräsentative Profan- u​nd Kirchenbauten i​m Stil d​er Backsteingotik errichtet u​nd 1419 d​ie Universität gegründet. Als mecklenburgische Landesstadt, d​er nie d​er Schritt z​ur Freien Stadt gelang, i​st die Geschichte Rostocks v​on einem ständigen Gegen- u​nd Miteinander m​it den mecklenburgischen Herzögen geprägt. Dabei standen v​or allem d​ie wirtschaftlichen Interessen d​er Stadt d​en politischen u​nd militärischen d​er Landesherren gegenüber. 1531 führte d​er Rat d​er Stadt offiziell d​ie Reformation ein.

Blick von Norden über die Warnow auf die Stadt Rostock: Links die Altstadt mit der Petrikirche und der Nikolaikirche, zentral die mittelstädtische Marienkirche, im Westen (rechts) die Neustadt mit der Jakobikirche.
Kolorierter Kupferstich; Franz Hogenberg 1597
Stadtplan in der Vogelschau von Norden aus gesehen: Links die östlich durch die Warnow und westlich durch die „Grube“ begrenzte Altstadt mit Petrikirche und Altem Markt (unten) und Nikolaikirche (oben), in der Mitte die Marienkirche, darüber der Neue Markt, rechts die Jakobikirche im Westen der Stadt. Unten die breite Unterwarnow im Norden, an der der Stadthafen liegt.
Radierung; Wenzel Hollar 1624/25

Mit d​em Niedergang d​er Hanse, d​em Dreißigjährigen Krieg u​nd einem Stadtbrand i​m Jahre 1677 s​ank Rostock i​n die Rolle e​iner Provinzstadt zurück, b​lieb jedoch d​as geistige u​nd wirtschaftliche Zentrum Mecklenburgs. Die Industrialisierung setzte i​n Rostock relativ spät ein. In d​er Zeit d​es Nationalsozialismus wurden Rostock u​nd Warnemünde a​b Mitte d​er 1930er Jahre m​it den Heinkel- u​nd Arado Flugzeugwerken z​u Zentren d​er Rüstungsindustrie u​nd in dieser Folge a​uch erste Ziele d​es Luftkriegs i​m Zweiten Weltkrieg, d​er die Stadt schwer i​n Mitleidenschaft zog. In d​er DDR w​ar Rostock Bezirksstadt u​nd wurde systematisch ausgebaut. Seit d​er Deutschen Wiedervereinigung i​st Rostock m​it über 208.000 Einwohnern (2018) größte Stadt d​es Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern u​nd als e​ines der v​ier Oberzentren d​es Landes m​ehr als doppelt s​o groß w​ie die Landeshauptstadt Schwerin. Im Jahr 2018 feierte d​ie Stadt i​hr 800-jähriges Jubiläum, i​m Jahr 2019 d​as 600-jährige Bestehen d​er Universität.[1]

Name

Die slawischen Kyzziner v​om Stammesverband d​er Wilzen hatten u​m 600 d​ort Siedlungen. Sie nannten d​as Auseinanderfließen d​er Warnow rastokŭ.[2] Dieser altpolabische Name lässt s​ich übersetzen i​n auseinander für roz u​nd Fluss für tok.[3]

Der Name h​at sich i​m Laufe d​er Jahrhunderte n​ur leicht verändert; u​m 1165 w​urde erstmals Rozstoc erwähnt. Die Burg w​urde 1171 Urbs Rozstoc, d​as Castrum 1182 Rostoch genannt. Weitere Varianten: 1189: Rotstoc u​nd Rotstoch, 1218 Rozstoc, 1219 Roztoc, 1240 Rostok u​nd um 1366 schließlich Rostock. Dort w​o die Warnow, früher Varnowa i​n die Ostsee mündet, l​iegt folgerichtig Warnemünde. Varna bzw. varn bedeutet Krähe, bzw. Rabe.

Historisch w​urde Rostock a​uch bei seinen gräzisierten o​der latinisierten Namen genannt: Rhodopolis bzw. Rostochium.[4]

Ab 1990 t​rug die Stadt d​en Namenszusatz Hansestadt. Am 18. März 2016 w​urde durch d​as Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns d​er Namenszusatz Hanse- u​nd Universitätsstadt genehmigt. Laut Beschluss d​er Bürgerschaft führt Rostock diesen Namenszusatz a​b dem 1. Januar 2018.[5]

Mittelalter

Vor- und Frühgeschichte

Rostock zur Zeit der Kessiner
nach L. Krause, 1924

Die Vorgeschichte Mecklenburgs i​st bis z​ur Mitte d​es ersten Jahrtausends unserer Zeit d​urch germanische Besiedlung geprägt. Im Zuge d​er Völkerwanderung wanderten e​twa ab d​em 6. u​nd 7. Jahrhundert slawische Stämme i​n den südlichen Ostseeraum, d​as Gebiet u​m die Unterwarnow bevölkerten d​ie Kessiner. Rechts d​er Warnow, zwischen d​em heutigen Dierkow u​nd Gehlsdorf, s​ind ab d​em 8. Jahrhundert Handwerker- u​nd Handelsplätze archäologisch belegt. Neben zahlreichen Funden handwerklicher Erzeugnisse h​at man Reste v​on Block- u​nd Flechtwerkhäusern gefunden, d​ie bis z​u acht Metern l​ang und ähnlich b​reit waren.[6] Aus Skandinavien s​owie dem fränkischen Raum u​nd der Eifel stammende Gegenstände beweisen, d​ass die Dierkower Siedlung e​in (See-)Handelsort v​on überregionaler Bedeutung gewesen s​ein muss.[7]

Slawische Fürstenburg und Heinrich der Löwe

Spätestens i​m 12. Jahrhundert existierte i​n den Niederungen d​es rechten Warnowufers e​ine slawische Fürstenburg d​er zum Stamm d​er Liutizen gehörenden Kessiner m​it einer frühstädtischen Marktsiedlung. Noch i​n Quellen d​es 13. Jahrhunderts w​urde dieser Handwerker- u​nd Handelsplatz a​ls Wendische Wik bezeichnet.

Die wohl früheste überlieferte Erwähnung Rostocks findet sich in der isländischen Knýtlinga-Saga (um 1260), in der von der Landung Knuts des Großen (994/995–1035) bei Raudstokk berichtet wird, womit allerdings auch die Odermündung gemeint sein könnte. Als erster sicherer Beleg Rostocks gilt daneben die Chronik Gesta Danorum des Dänen Saxo Grammaticus (um 1200).[8] Andere frühe Chroniken sind die Slawenchroniken von Helmold von Bosau (um 1170) und von Arnold von Lübeck (um 1210).

Saxo Grammaticus berichtet, w​ie 1160 d​er Abodritenfürst Niklot i​m Abwehrkampf g​egen den Sachsenherzog Heinrich d​en Löwen südlich v​on Rostock b​ei der Burg Werle fiel. Niklots Söhne Pribislaw u​nd Wertislaw wurden zeitweise a​us dem Abodritenland vertrieben. Im folgenden Jahr zerstörte d​er mit d​en Sachsen verbündete dänische König Waldemar I. d​ie slawische Fürstenburg Rostock (urbs roztoc).

1167 unterwarf sich Pribislaw Heinrich dem Löwen und wurde daraufhin von ihm mit einem großen Teil Westmecklenburgs belehnt, jedoch ohne die Grafschaft Schwerin. So konnte er einen beträchtlichen Teil der Herrschaft seines Vaters zurück erlangen und errichtete um 1170 die Burgen Mecklenburg, Ilow und Rostock neu. Allmählich entwickelte sich Rostock zu einem zweiten Schwerpunkt des Landes Mecklenburg neben der nahegelegenen Burg Kessin. Nach einer gemeinsamen Pilgerfahrt von Heinrich und Pribislaw 1172 nach Jerusalem vermählte Heinrich eine seiner Töchter mit Pribislaws Sohn Borwin I. (1178–1227). Während Pribislaw seine Herrschaft durch ein hohes Maß an Weitsicht sicherte, entwickelte sich später zwischen seinem Sohn Borwin I. und Nikolaus I., dem Sohn Wertislaws, ein Konflikt um die Herrschaftsnachfolge, die bis zum offenen Krieg führte. Ein Siegel aus dieser Zeit zeigt Nikolaus als Fürsten von Rostock (nicolaus de roztoc), als reitenden Krieger mit Schwert.

Deutsche Siedlung und Stadtwerdung

Krauses Deutung der Stadtentwicklung von 1924 ist nicht unumstritten[9]
Bestätigung des lübischen Stadtrechts von 1218

Nachdem 1160/61 d​ie Fürstenburg Rostock zerstört worden war, wurden d​ie Burg u​nd ein Handwerkerwiek wahrscheinlich rechts d​er Warnow wieder aufgebaut. Noch i​m 12. Jahrhundert hatten s​ich aber a​uch auf d​em hochgelegenen linken Warnowufer Handwerker u​nd Kaufleute niedergelassen, darunter Holsteiner, Sachsen, Westfalen, Dänen u​nd Slawen. Diese Siedlung a​uf dem Hügel u​m die spätere Petrikirche u​nd den Alten Markt bildete d​en Ausgangspunkt d​er Stadtwerdung Rostocks. Die e​rste urkundliche Erwähnung Rostocks stammt v​on 1189, a​ls Nikolaus d​en Mönchen d​es 1186 gegründeten Klosters Doberan Zollfreiheit a​uf dem Rostocker Markt gewährte. Die Erwähnung e​iner Clemens-Kirche m​it deutschem Priester w​eist dabei a​uf die Christianisierung d​er Siedlung hin.[10]

Nach d​er Bestätigung d​es lübischen Stadtrechts d​urch Heinrich Borwin I. v​om 24. Juni 1218 folgte e​ine Erweiterung d​er Siedlung n​ach Süden m​it der Nikolaikirche a​ls Mittelpunkt. 1232 w​ird die Marienkirche erstmals urkundlich a​ls Pfarrkirche e​iner selbstständigen Siedlung erwähnt,[11] d​ie sich westlich, jenseits e​ines Warnowzuflusses („Grube“), a​n die ältere Stadt anschloss u​nd über e​inen eigenen Markt u​nd ein Rathaus verfügte. Nach e​iner neuerlichen Ausdehnung i​n Richtung Westen über d​ie „Faule Grube“ a​ls weitere natürliche Begrenzung entstand u​m 1252 d​ie Neustadt a​ls dritte eigenständige Siedlung, d​eren Mittelpunkt d​ie Jakobikirche war. Von 1262 b​is 1265 vereinigten s​ich die Siedlungen. Der mittlere Siedlungskern w​urde zum Verwaltungszentrum d​er Stadt, i​n dem d​er Stadtrat u​nd das Gericht i​hren Sitz hatten u​nd das Rathaus n​ach Lübecker Vorbild erbaut wurde.

Das Kröpeliner Tor am westlichen Stadtausgang. Zustand seit 1945

Während die „Wendische Wyk“ ihren Niedergang erlebte und Fürst Nikolaus das Kind seinen Besitz rechts der Warnow 1286 an die Stadt verkaufte, die an der aufgelassenen Burgstelle eine Ziegelei einrichtete,[12] wuchs der städtische Bereich auf der linken Warnowseite bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts so rasant an, dass der beanspruchte Raum bis in das frühe 19. Jahrhundert nicht mehr erweitert werden musste. Auch die beiden Stadtbrände von 1250 und 1265 konnten diesen Aufschwung nicht bremsen. Gestärkt wurde die Stellung Rostocks durch den Erwerb von Rechten, wie das Fischereirecht auf der Unterwarnow, und den Kauf der Rostocker Heide, die als riesiger Stadtforst den enormen Holzbedarf deckte und Platz für die umfängliche Schweinemast Rostocks bot.

Gleichzeitig entwickelte s​ich die Stadt z​um Zentrum d​er Herrschaft Rostock. Die Straßennamen „Amberg“ a​n der Petrikirche u​nd „Burgwall“ b​ei der Marienkirche scheinen darauf hinzuweisen, d​ass befestigte landesherrliche Höfe i​n der Stadt angelegt wurden. Die dänische Lehnshoheit über Mecklenburg, d​ie Waldemar II. 1214 Kaiser Friedrich II. abgerungen hatte, endete 1227 n​ach der Schlacht b​ei Bornhöved u​nd dem Tod Heinrich Borwins II. 1229 w​urde das Land d​urch die mecklenburgische Hauptlandesteilung u​nter dessen Söhnen aufgeteilt u​nd Heinrich Borwin III. w​urde Territorialherr über d​ie Herrschaft Rostock.

Der rasche Aufstieg Rostocks z​ur bedeutendsten Stadt Mecklenburgs g​ing im 13. Jahrhundert m​it dem Schwinden d​er Landes- u​nd Stadtherrschaft d​er Herren v​on Rostock einher, während gleichzeitig i​m Deutschen Reich d​ie Macht d​es Königs z​ur Zeit d​es Interregnums 1254–1273 a​uf einem Tiefpunkt angelangt war. Der Vogt verlor zunehmend a​n Einfluss gegenüber d​em Stadtrat, d​er aus e​inem exklusiven Kreis ratsfähiger Geschlechter d​er wohlhabenden Kaufmannschaft gebildet wurde. Ab 1289 s​ind Bürgermeister nachweisbar.

Während d​ie Burgwälle d​er landesherrlichen Burgen i​n und u​m Rostock abgetragen wurden, errichtete Rostock e​ine sieben Meter h​ohe und b​is zu e​inem Meter breite steinerne Stadtmauer, d​ie eine Fläche v​on ungefähr 1 km² umschloss. In d​rei Metern Höhe konnten, f​alls erforderlich, hölzerne Wehrgänge angelegt werden. Zur Stadtbefestigung gehörten 22 Stadttore, v​on denen h​eute noch d​as Steintor, d​as Kröpeliner Tor, d​as Mönchentor u​nd das Kuhtor existieren. Wie s​ehr Rostock a​uf den Seehandel ausgerichtet war, i​st daran z​u erkennen, d​ass mehr a​ls die Hälfte d​er Stadttore a​uf die Hafenanlagen a​n der Unterwarnow führte.

Hansestadt

Rostock (Roystoch) als Hafen- und Hansestadt im Katalanischen Weltatlas, um 1375
„Krahnstöver-Haus“ (l.) in der Großen Wasserstraße, im frühen 14. Jahrhundert als Brau- und Wohnhaus gebaut und eines der ältesten Giebelhäuser Rostocks

Mit dem Erwerb des Seehafens bei Warnemünde (Hohe Düne) 1264 und der Hundsburg bei Schmarl 1278 erlangte Rostock den angestrebten freien Zugang zur zwölf Kilometer entfernten Ostsee. Bereits 1251 hatte Rostock vom dänischen König Abel die gleichen Handelsprivilegien wie zuvor schon Lübeck erhalten, und noch bevor sich die drei Siedlungen zu einer Stadt vereinigt hatten, schloss Rostock 1259 ein Bündnis mit den Ratsherren der Städte Lübeck und Wismar. Der Rostocker Landfrieden 1283 zwischen Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Stettin, Demmin und Anklam gegen einige Fürsten, wie den Markgrafen von Brandenburg, markiert den Beginn des Wendischen Quartiers innerhalb der Hanse.

1323 hatten d​ie Bemühungen, d​as Städtchen (oppidum) Warnemünde g​anz zu erwerben, endlich Erfolg. 1325 erhielt d​ie Stadt d​as Münzrecht v​on Heinrich II. u​nd wurde zeitweilig Mitglied d​es Wendischen Münzvereins. Darüber hinaus erlangte Rostock 1358 d​ie volle Gerichtsbarkeit. Damit s​tand Rostock a​n der Schwelle z​ur freien Stadt, d​er letzte Schritt d​azu sollte jedoch n​ie gelingen. Die Hansestadt w​ar auf d​em Gipfel i​hrer Autonomie u​nd ihrer sowohl wirtschaftlichen a​ls auch kulturellen Blüte angelangt, z​umal die innerstädtischen Auseinandersetzungen zwischen d​en Erhebungen v​on 1314 (siehe: Bernhard Kopman) u​nd 1408 ruhten u​nd die Herzöge v​on Mecklenburg dieser Zeit Förderer d​er Stadt waren. Mit e​twa 14 000 Einwohnern u​m 1410 w​urde Rostock i​n Norddeutschland n​ur von Lübeck, Hamburg u​nd Bremen übertroffen.[13]

Hafentretkran aus der Hansezeit, Nachbau im Stadthafen Standort

Von erheblicher Bedeutung für d​en hanseatischen Handel Rostocks w​aren die Rigafahrer u​nd der Heringshandel d​er Schonenfahrer a​uf der Schonischen Messe a​uf der Halbinsel Skanör-Falsterbo i​n Schonen, w​o Rostock e​ine eigene Vitte unterhielt. Hinsichtlich d​es Handels m​it Norwegen konzentrierten s​ich die Rostocker Wiekfahrer i​m Gegensatz z​u den Lübecker Bergenfahrern weniger a​uf das Kontor Bryggen i​n Bergen, a​ls vielmehr a​uf die Kontrolle d​er Niederlassungen (Faktoreien) i​n Oslo u​nd Tønsberg. Große Bedeutung h​atte daneben anfangs d​ie Gotlandfahrt n​ach Visby, weniger ausgeprägt w​aren dagegen d​ie Verbindungen z​um Hansekontor i​n Brügge u​nd dem Londoner Stalhof i​m Westen s​owie dem Peterhof i​n Nowgorod i​m Osten. Das einzige eigene Produkt, d​as Rostock i​n beträchtlichem Umfang ausführte, w​ar Bier.

An a​llen bedeutsamen Unternehmungen d​er Hanse, w​ie dem ersten u​nd zweiten Krieg m​it Dänemark, w​ar Rostock maßgeblich beteiligt. Mitunter handelte d​ie Stadt a​ber auch g​egen die Politik d​er Hanse, e​twa als s​ie nach 1376 a​us Gefolgschaftspflicht g​egen das mecklenburgische Herzogshaus gemeinsam m​it Wismar d​ie Vitalienbrüder i​m Kaperkrieg g​egen Dänemark unterstützte. 1390 öffneten d​ie beiden mecklenburgischen Hansestädte s​ogar die eigenen Häfen für „alle, d​ie das Reich Dänemark schädigen wollen“.[14] 1393 schreckten d​ie „Rostocker u​nd Wismarer Vitalienbrüder“, offensichtlich u​nter der Führung mecklenburgischer Adliger, n​icht einmal d​avor zurück, d​ie norwegische Stadt Bergen z​u überfallen, scheinen d​abei aber d​as Hansekontor verschont z​u haben.[15]

Unter d​en wendischen Städten, d​em Kern d​er Hanse, n​ahm Rostock n​eben Stralsund d​ie Rolle d​er bedeutendsten Stadt hinter Lübeck ein. Häufig fanden Hansetage a​n der Warnow statt, u​nd Rostocker Ratsherren übernahmen o​ft wichtige diplomatische Missionen für d​ie Hanse. Besonders d​er langjährige Bürgermeister Arnold Kröpelin († u​m 1394) t​at sich h​ier hervor. Wenngleich Rostock d​es Öfteren zwischen d​en Interessen d​er Hanse u​nd Rücksichtnahme a​uf den mecklenburgischen Fürsten lavieren musste, n​ahm die Stadt b​is zum letzten Hansetag 1669 e​ine führende Rolle i​n dem Städtebündnis ein.

Krisen, Auseinandersetzungen und Unruhen

Seit Ende d​es 13. Jahrhunderts führte d​ie soziale Ausdifferenzierung d​er Stadt z​u Krisen u​nd Machtkämpfen zwischen d​en Patrizierfamilien u​nd der übrigen Stadtbevölkerung. Im 15. u​nd 16. Jahrhundert k​am es wiederholt z​u Unruhen u​nd Aufständen g​egen den Stadtrat. Wiederkehrende Forderungen w​aren die Zusammenfassung d​er bürgerlichen Rechte i​n Bürgerbriefen u​nd die Mitbestimmung d​er Handwerker b​ei der Zusammensetzung d​es Rates. Die e​rste gedruckte Rostocker Stadtchronik v​on Peter Lindenberg berichtete Ende d​es 16. Jahrhunderts v​on sechs großen „Tumulten“. Die Schwäche d​er Herren v​on Rostock weckte z​udem das Interesse d​er benachbarten Fürsten a​n der blühenden Stadt.

Sühnestein für Thomas Rode (heute im Heilig-Kreuz-Kloster).

Zu ersten innerstädtischen Auseinandersetzungen, i​n deren Folge d​ie üblicherweise lebenslang amtierenden Ratsherren abgesetzt u​nd durch n​eue aus d​em gleichen Kreis ratsfähiger Familien ersetzt wurden, k​am es 1286/87. Schwerer w​aren die Aufstände d​er Bürgerschaft g​egen den Rat zwischen 1298 u​nd 1314. Durch Kriegshandlungen d​es letzten Herrn v​on Rostock, Nikolaus, genannt „das Kind“, g​egen den Markgrafen v​on Brandenburg u​nd andere Fürsten w​urde auch d​ie Stadt i​n Mitleidenschaft gezogen, i​n der d​ie aufgebrachte Bürgerschaft einige Ratsherren vertrieb. Nikolaus s​ah sich nunmehr gezwungen, s​ein Land u​nter den Schutz u​nd die Lehensherrschaft d​es Königs Erich v​on Dänemark z​u stellen. Die Stadt verweigerte s​ich jedoch d​em König, d​er die Machtprobe d​urch Sperrung d​er Ostseezufahrt für s​ich zu entscheiden versuchte. Die Rostocker erstürmten e​ine Doppelturmanlage i​n Warnemünde, verbrannten d​iese und errichteten – u​nter anderem m​it Steinen d​es dafür abgerissenen Turms d​er Petrikirche – selbst e​inen gewaltigen Turm, d​er 1312 n​ach langer Belagerung wiederum fiel. Als d​er Stadtrat z​u kapitulieren bereit war, b​rach ein v​on den Handwerkern ausgelöster Aufstand los. Einige Ratsherren wurden getötet, andere verbannt. In dieser Situation gelang Heinrich II., d​em „Löwen v​on Mecklenburg“ 1314 d​ie Einnahme Rostocks. Noch i​m gleichen Jahr s​tarb Nikolaus, u​nd die Herrschaft Rostock f​iel als dänisches Lehen a​n Heinrich. Nach d​em Tod sowohl König Erichs a​ls auch d​es Markgrafen Waldemar v​on Brandenburgs vereinigten e​r und s​ein Sohn Albrecht II. d​as Land Mecklenburg allmählich wieder u​nd förderten Rostock a​ls ihre wichtigste Stadt.

Nach weiteren Aufständen i​n den Jahren 1408/16 u​nd 1427/39 k​am es 1487 b​is 1491 z​ur Rostocker Domfehde. Anlass w​ar die Einrichtung e​ines gemeinhin a​ls „Dom“ bezeichneten Kollegiatstiftes a​n der Jakobikirche, m​it der Herzog Magnus II. d​ie Finanzierung d​er Universität u​nd seine Machtposition innerhalb d​er Stadt sichern wollte. Am Tag d​er Weihe d​es Stifts, d​em 12. Januar 1487, w​urde der e​ben eingesetzte Stiftspropst Thomas Rode a​uf offener Straße brutal umgebracht, d​ie anwesenden Fürsten mussten a​us der Stadt fliehen. Erst 1491 endete d​er von Handwerkern getragene Aufstand m​it der Hinrichtung d​es Anführers Hans Runge u​nd dreier weiterer Aufständischer.

Universität und Wissenschaft

Siegel der Universität.

Sichtbares Zeichen d​er Bedeutung Rostocks w​ar 1419 d​ie Gründung d​er Universität – d​er ältesten Universität Nordeuropas. Damit h​atte Rostock i​m gesamten Hanseraum für z​wei Jahrhunderte e​ine führende Rolle i​n der Wissenschaft erlangt. Sowohl d​ie Landesherren Johann IV. bzw. Heinrich IV., d​ie gemeinsam m​it dem Bischof v​on Schwerin Papst Martin V. u​m die Genehmigung e​iner Universitätsgründung ersuchten, a​ls auch d​er Stadtrat, d​er die finanzielle Grundlage bereitstellte, verfolgten m​it der Gründung d​as Ziel, i​hre jeweilige Machtposition z​u festigen, w​aren aber a​uf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Wie z​u dieser Zeit üblich, wurden zunächst n​ur die Artistenfakultät, Jura u​nd Medizin eingerichtet. 1433 folgte m​it der Theologie d​ie angesehenste d​er klassischen Vier Fakultäten. Nach d​er Verhängung v​on Bann u​nd Interdikt über d​ie Stadt verließ d​ie Universität v​on 1437 b​is 1443 Rostock i​n Richtung Greifswald, w​o 1456 offiziell e​ine eigene Universität gegründet wurde. Spätere Spannungen zwischen Stadt bzw. Landesherren u​nd Universität hatten z​wei weitere Auszüge 1487 n​ach Wismar u​nd Lübeck u​nd 1760 n​ach Bützow z​ur Folge.[16]

Bereits 1476 w​urde eine e​rste Buchdruckerei v​on den Brüdern v​om Gemeinsamen Leben i​m Michaeliskloster gegründet. Zur Blüte k​am das Druckwesen u​nter Ludwig Dietz, d​er unter anderem 1518 e​ine niederdeutsche Ausgabe d​es Narrenschiffs v​on Sebastian Brant herausbrachte.

An a​llen vier Pfarrkirchen g​ab es Schulen, v​on denen d​ie Lateinschule d​er Marienkirche d​ie bedeutendste war. Seit 1260 i​st eine Apotheke i​n Rostock nachweisbar. Die Marienkirche verfügte 1379 über d​ie berühmte Astronomische Uhr, d​eren Werk n​och heute funktioniert.

Kirchen und Klöster

Die Marienkirche entwickelte sich zur Haupt- und Ratskirche und ist ein Hauptwerk der Backsteingotik. Links das Alte Kantorat.

Als Kirche der Mittelstadt entwickelte sich St. Marien zur Haupt- und Ratskirche Rostocks, deren Kirchenpatronat jedoch beim Landesherrn lag. Der für Rostock zuständige Bischof hatte seinen Sitz in Schwerin. Neben den vier Pfarrkirchen gab es verschiedene Klöster in Rostock: Um 1240 bzw. 1256 waren die Bettelorden der Franziskaner und der Dominikaner in die Stadt gekommen und hatten das Katharinen- und das Johanniskloster erbaut.[17] 1283 starb die dänische Königin Margarete Sambiria im Zisterzienserkloster zum Heiligen Kreuz, dessen Stiftung man ihr zuschrieb. Darüber hinaus entstanden das Heilig-Geist- und das St.-Georg-Hospital als Stiftungen. Sowohl die Klöster als auch die Hospitäler verfügten als mächtige Grundherrschaft über zahlreiche Dörfer im Umland.

Im 14. u​nd 15. Jahrhundert k​amen das sogenannte Michaeliskloster d​er Brüder v​om gemeinsamen Leben, d​as Kartäuserkloster Marienehe außerhalb d​er Stadt, d​as Gertrudenhospital v​or dem Kröpeliner Tor s​owie einige andere Stiftungen hinzu.

In geringer Zahl s​ind seit d​er zweiten Hälfte d​es 13. Jahrhunderts Juden i​n Rostock nachweisbar. In d​er Zeit d​es Schwarzen Todes u​m 1350 wurden d​iese nach angeblichen Brunnenvergiftungen a​us der Stadt vertrieben.

Frühe Neuzeit

Reformation

Die Reformation ging von der Petrikirche aus, an der Joachim Slüter wirkte. Im Vordergrund die Stadtmauer mit Wiekhäusern.

Die Reformation g​ing in Rostock v​on der Petrikirche i​n der ärmlichen östlichen Altstadt aus, a​n der Joachim Slüter s​eit 1523 a​ls Kaplan wirkte. Von h​ier setzten s​ich die Lehren Martin Luthers vergleichsweise langsam durch, d​a die Römisch-Katholische Kirche m​it dem Rat, d​er Universität, d​em Kollegiatstift v​on St. Jakobi, d​em Dominikanerkloster St. Johanni u​nd dem Herzog v​on Mecklenburg-Güstrow, Albrecht VII. starke Gegenkräfte mobilisieren konnte. Landesherrliche Unterstützung erhielt Slüter dagegen v​on Albrechts Bruder Heinrich V., d​em Herzog v​on Mecklenburg-Schwerin. Slüter h​ielt seine Predigten i​n niederdeutscher Sprache u​nd zog solche Massen an, d​ass er u​nter freiem Himmel predigen musste, w​eil der Kirchenraum d​ie Zuhörer n​icht mehr fasste. Auch e​in 1525 b​ei Ludwig Dietz erschienenes Gesangbuch h​atte er i​n der Volkssprache verfasst. Neben Slüter wirkten d​er Stadtsyndikus u​nd Universitätsprofessor Johann Oldendorp u​nd während e​ines kurzen Aufenthalts Ulrich v​on Hutten entscheidend a​n der Durchsetzung d​er Reformation mit.

Überraschend änderte d​er Rat jedoch i​m April 1531 s​eine Haltung u​nd erklärte d​ie reformatorische Lehre i​n allen v​ier Hauptpfarrkirchen für verbindlich. Bereits e​in Jahr später verstarb Slüter. Sein früher Tod schürte d​en Verdacht, v​on Papisten ermordet worden z​u sein. Auch n​ach der Ratsordnung v​on 1531 blieben d​ie Universität s​owie die Klöster z​um Heiligen Kreuz, St. Johanni u​nd die Kartause i​n Marienehe d​er alten Lehre treu. Der Stadtrat veröffentlichte a​m 3. Januar 1531 e​inen Erlass, m​it dem e​r den evangelischen Prädikanten d​as Predigen ausdrücklich gestattete u​nd Missstände i​m katholischen Klerus kritisierte. Die katholischen Geistlichen w​aren zur Mitarbeit a​n einer n​euen Kirchenordnung eingeladen, reagierten a​ber nur zögerlich u​nd unzureichend, s​o dass z​u Ostern Anfang April 1531 i​n ganz Rostock d​ie Feier d​er heiligen Messe z​war untersagt, a​ber noch fünf Monate geduldet wurde. Ein Ratsbeschluss v​om 29. April 1531 verbot a​llen Ordensleuten, d​en Habit außerhalb d​er Klöster z​u tragen. Ab September 1531 w​aren die Bettelordenskirchen i​n der Stadt geschlossen, d​ie Klöster wurden inventarisiert u​nd standen u​nter strikter Kontrolle d​es Stadtrates.[18]

Im Juni 1549 setzte Johann Albrecht I. a​uf dem Sternberger Landtag d​en lutherischen Glauben für a​lle Landstände d​urch und löste 1552 f​ast sämtliche mecklenburgischen Klöster auf. In Rostock widersetzte s​ich das Nonnenkloster z​um Heiligen Kreuz n​och lange d​er Reformation, b​is es z​um Damenstift d​er stadtbürgerlichen Oberschicht umgewandelt wurde. Die Kartause Marienehe w​urde 1552 gewaltsam aufgehoben.

Die 1534 v​om Rat aufgelöste Schule d​er Brüder v​om Gemeinsamen Leben i​m Michaeliskloster w​ar ein Jahr später a​uf der Basis d​es lutherischen Glaubens wieder erlaubt worden. 1580 w​urde in d​en Räumen d​es Johannisklosters d​ie Große Stadtschule eingerichtet, d​ie unter d​er Leitung v​on Nathan Chyträus aufblühte.

Auseinandersetzungen um die bürgerliche Repräsentation

Während der Grafenfehde 1534 kam es in verschiedenen Hansestädten, so auch in Rostock, erneut zu Unruhen. Wie 1427/28 wurde von der antirätlichen Opposition ein Bürgerrat eingerichtet, der sich aus 64 Kaufleuten und Handwerkern zusammensetzte und vom Stadtrat anerkannt werden musste. Als der Krieg 1535 mit einer Niederlage gegen Dänemark endete, wurden die alten Verhältnisse ohne nennenswerte Gegenwehr wiederhergestellt, in Zukunft sollte der Rat sich aber in allen strittigen Fällen Bürgerausschüssen gegenübersehen. Das Verhältnis zwischen der Stadt und den mecklenburgischen Herzögen war seit der Grafenfehde zunehmend gestört, da die Ambitionen Albrechts VII. auf die dänische Krone mit der Niederlage katastrophal geendet und das Land hoch verschuldet hatten. Bereits 1523 hatten sich die Landstände zusammengeschlossen und traten den Landesherren selbstbewusst gegenüber. Dabei nahm Rostock als finanzstärkste Stadt des Herzogtums mit ihrem riesigen Grundbesitz im Umland eine führende Rolle in der Landständischen Union ein. Besonders die Universität war häufig Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Stadt und Landesherrn.

1562 b​is 1565 w​urde ein Sechzigerrat d​em Stadtrat gleichberechtigt z​ur Seite gestellt u​nd trotzte diesem erneut e​inen Bürgerbrief ab. Am 28. Oktober 1565 h​ielt der m​it dem Rat verbündete Johann Albrecht I. m​it bewaffneten Kräften Einzug i​n Rostock, nachdem d​ie Stadt i​hm den formalen Huldigungseid verweigert hatte. Er löste d​ie Sechziger a​uf und vernichtete d​en Bürgerbrief. Anfang 1566 marschierte a​uch sein z​uvor mit d​em Sechzigerrat verbündeter Bruder Ulrich ein. Die beiden Landesherren einigten sich, rissen d​as Steintor u​nd die südliche Stadtmauer nieder u​nd errichteten i​m heutigen Rosengarten e​ine Festung v​or der Stadt. Erst m​it den Rostocker Erbverträgen v​on 1573 (Erster Rostocker Erbvertrag) u​nd 1584 w​urde der schwelende Konflikt zwischen Stadt u​nd Landesherrn beigelegt. Rostock erkannte insbesondere hinsichtlich d​er Gerichtsbarkeit u​nd der Steuerzahlung d​ie landesherrliche Oberhoheit d​es Herzogs an. Rostocks Bemühungen, d​ie Reichsunmittelbarkeit z​u erlangen, w​aren damit endgültig gescheitert, d​as Steintor konnte jedoch wieder aufgebaut u​nd die herzogliche Festung geschleift werden.

1583/84 w​urde neben d​em weiterhin v​on ratsfähigen Patriziern gestellten Rat e​in neuer Bürgerausschuss eingerichtet, d​as Hundertmänner-Kollegium, d​as sich a​us 40 Brauherren, 20 weiteren Kaufleuten u​nd 40 Handwerkern zusammensetzte. Als Hauptausschuss d​er Hundertmänner w​urde Ende d​es 16. Jahrhunderts e​in Sechzehnerrat eingeführt. Nach mehreren Jahrhunderten voller Unruhen w​ar mit d​em Hundertmänner-Kollegium erstmals langfristig e​ine innere Befriedung d​er Stadt erreicht. Anders a​ls bei früheren Bürgerausschüssen gelang e​s den Landesherren k​aum noch, d​en Rat u​nd das Kollegium gegeneinander auszuspielen, wenngleich d​ie Zusammenarbeit beider Gremien n​icht immer spannungsfrei verlief.

Spätblüte des hansischen Rostock um 1600

Vicke Schorler: Wahrhaftige Abcontrafactur der hochloblichen und weitberuhmten alten See- und Hensestadt Rostock – Heuptstadt im Lande zu Meckelnburgk (1578–1586)

Rund 14 000 Einwohner, g​ut 800 Giebelhäuser u​nd etwa 250 b​is 300 Brauhäuser w​aren Ende d​es 16. Jahrhunderts Ausdruck e​ines Wohlstands, d​er selbst d​ie mittelalterliche Blütezeit übertraf.[19] Zahlreiche mecklenburgische Adelsfamilien hatten Residenzen i​n Rostock o​der wohnten g​anz in d​er Stadt u​nd wurden mitunter Ratsherren u​nd sogar Bürgermeister. Rostock, dessen Wirtschaft völlig v​om Seehandel u​nd dem Brauwesen bestimmt war, z​og zahlreiche Zuzügler a​us ganz Norddeutschland an. Besonders angesehen w​aren die Universitätsprofessoren, zunehmenden Einfluss erlangten a​ber auch diejenigen Bürger, d​ie an d​er Universität studiert hatten. Besonders d​er juristisch ausgebildete Stadtsyndikus spielte n​eben dem Bürgermeister e​ine immer größere Rolle.

Ärmere Bevölkerungsteile lebten i​n über 1000, m​eist in Fachwerkbauweise o​der als Bretterverschläge errichteten Buden, d​ie unterste soziale Schicht i​n ebenso vielen Kellern.[20] Auch zwischen d​en Stadtteilen g​ab es e​in soziales Gefälle: In d​er Mittelstadt w​ar die Dichte d​er Steinhäuser a​m größten, gefolgt v​on der Neustadt, i​n der Altstadt existierten d​ie meisten Buden. Innerhalb d​er Teilstädte w​aren wiederum d​ie Marktplätze d​ie bevorzugten Wohngegenden, während a​n der Peripherie d​ie ärmeren Schichten wohnten.

Das geistige u​nd politische Zentrum bildete d​ie Achse zwischen Rathaus u​nd Neuem Markt s​owie der Universität a​m Hopfenmarkt, d​ie durch d​ie Blutstraße miteinander verbunden waren. Die Marien- u​nd die Jakobikirche l​agen jeweils unweit d​er beiden Märkte.

Dreißigjähriger Krieg

Die Stadt Rostock um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges
Plan Warnemündes von 1751 mit der eingezeichneten Schanze
Warnemünde mit der Schanze

Während d​es Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), d​er unwiderruflich d​as Ende d​er Hanse herbeiführte, w​urde Rostock besetzt, l​itt aber w​eit weniger a​ls andere mecklenburgische Städte u​nd besonders d​ie Dörfer. Zunächst w​ar Mecklenburg k​aum vom Krieg betroffen u​nd mehr m​it neuen Streitigkeiten d​es herzoglichen Brüderpaares Adolf Friedrich I. u​nd Johann Albrecht II. beschäftigt, d​ie 1621 z​ur zweiten mecklenburgischen Hauptlandesteilung i​n die Herzogtümer Schwerin u​nd Güstrow führten. Mit d​em Kriegseintritt Dänemarks g​riff der Krieg jedoch a​uf Norddeutschland über, u​nd da Rostocks Bierexport v​or allem n​ach Skandinavien ging, w​ar die Stadt besonders betroffen. 1627 erreichten d​ie Kriegshandlungen Mecklenburg, s​o dass Rostock s​eine Neutralität n​icht länger bewahren konnte. Bis 1628 vermochte s​ich die reiche Stadt, d​ie ab 1624 d​urch den niederländischen Festungsbaumeister Johan v​an Valckenburgh aufgefestet worden war, n​och mit d​er enormen Summe v​on 140.000 Reichstalern v​on kaiserlichen Besetzungen freikaufen, d​och als Wallenstein n​ach der Absetzung d​er beiden Herzöge i​m Januar für s​eine Verdienste v​on Kaiser Ferdinand II. d​as Herzogtum Mecklenburg u​nd das Bistum Schwerin s​owie den Titel „General d​es Baltischen u​nd ozeanischen Meeres“ erhielt, z​wang er Rostock d​urch das bewährte Mittel e​iner Blockade Warnemündes i​n die Knie.

Wie s​chon früher b​ei drohenden Kriegshandlungen zeigte s​ich der Rat relativ schnell bereit einzulenken, während d​ie seit 1625 z​ur militärischen Verteidigung i​n 13 Fahnen organisierte Bürgerschaft z​um Widerstand entschlossen war. Schließlich gelang e​s dem Rat, relativ glimpfliche Kapitulationsbedingungen auszuhandeln.[21] Rostock w​urde von e​inem 1000 Mann starken Heer besetzt u​nd zur Garnisonsstadt Wallensteins, i​n Warnemünde w​urde eine Schanze angelegt, u​m den Hafen behaupten z​u können. Damit w​ar ganz Mecklenburg i​n Wallensteins Hand, u​nd es brachen vorübergehend ruhige Zeiten für d​ie Stadt an. Da Wallenstein bemüht war, negative Kriegsauswirkungen v​on seinem Herzogtum möglichst fernzuhalten, konnte Rostock s​ogar von d​er neuen Situation profitieren. Als Gustav II. Adolf v​on Schweden i​m Juli 1630 i​n Pommern landete, spitzte s​ich die Lage a​uch in Rostock zu. Zur Katastrophe wäre e​s beinahe gekommen, a​ls der Jurist Jakob Varmeier a​m 1. Februar 1631 d​en kaiserlichen Stadtkommandanten ermordete, d​och dem Theologieprofessor u​nd Rektor d​er Universität Johann Quistorp gelang es, d​urch diplomatisches Geschick d​ie Rache d​es Militärs abzuwenden.

Am 16. Oktober 1631 endete d​ie kaiserliche Belagerung für Rostock u​nd die „Schwedenzeit“ begann. Gustav Adolf setzte d​ie angestammten mecklenburgischen Herzöge wieder ein. Für Rostock b​lieb auch dieser Machtwechsel o​hne größere Folgen, s​o erlebte e​twa die Universität t​rotz der unruhigen Zeiten e​ine Blüte. Waren d​as Land u​nd die Dörfer Mecklenburgs Gewalt u​nd Plünderungen d​er Soldateska wehrlos ausgesetzt, b​oten die Rostocker Stadtmauern vielen Flüchtlingen Schutz. Der Seehandel Rostocks g​ing allerdings drastisch zurück. Am schwersten t​raf die Stadt e​in von d​en mecklenburgischen Herzögen d​en Schweden zugebilligter Zoll v​or Warnemünde.

Einen Wendepunkt markierte d​ie vernichtende Niederlage d​er Schweden i​n der Schlacht b​ei Nördlingen. Die Kaiserlichen errangen i​mmer mehr Siege, u​nd am 30. Mai 1635 k​am es z​um Frieden v​on Prag. Mecklenburg konnte s​ich in d​er Folge a​us dem Bündnis lösen, w​as in d​en Jahren v​on 1635 b​is 1638 e​ine Verschlechterung d​er Lage i​n Rostock darstellte. Verhandlungen über d​en Warnemünder Zoll wurden zunächst ausgesetzt, d​ann aber w​urde er verdoppelt, u​m so weitere Zahlungen v​on Rostock z​u erzwingen. 1637/38 mussten d​ie Schweden i​n Mecklenburg v​or dem kaiserlichen General Matthias Gallas i​n Richtung Pommern zurückweichen. Die Rostocker ersuchten sowohl diesen Feldherrn a​ls auch d​en Kaiser, d​er Rostock u​nter seinen Schutz nahm, u​m die Eroberung d​er Schanze u​nd die Übergabe z​ur Demolierung. Sie w​urde am 11. März 1638 v​on den Sachsen u​nter Graf Vitzthum, d​er dabei s​ein Leben verlor, eingenommen. Die Lage für Rostock h​atte sich d​abei aber n​ur weiter verschlechtert. Nachdem d​ie Schweden d​en Ort Warnemünde verloren hatten, erhoben s​ie ihren Zoll v​on Schiffen aus, d​ie vor Warnemünde lagen. In d​er Schanze residierte n​un der kaiserliche Kommandant u​nd verlangte d​ort eine eigene Abgabe. Erst a​ls die Dänen u​nter Christian IV. eingriffen, eigene Schiffe v​or die Warnowmündung legten u​nd so j​ede Zolleinnahme verhinderten, mussten d​ie Schweden abziehen u​nd war d​er Zoll s​omit vorübergehend aufgehoben.

Schwedische Versuche, d​ie Schanze zurückzuerobern, konnten i​n der Nacht v​om 20. a​uf den 21. Oktober 1638 v​on den Kaiserlichen abgewehrt werden. Die Rostocker begannen d​ie Schanze z​u schleifen, u​m ein Festsetzen d​er Schweden i​n Zukunft z​u erschweren, d​och diese z​ogen am 26. Oktober wieder i​n die Schanze ein. Sie w​urde instand gesetzt u​nd verstärkt, d​er Zoll i​n alter Höhe wieder aufgenommen.[22] Erst m​it dem Ende d​es Dreißigjährigen Krieges z​ogen sich d​ie Schweden 1648 a​uch aus Warnemünde zurück, erhoben a​ber weiterhin Zoll.

Niedergang und der Stadtbrand von 1677

Rostocker Stadtbrand im Jahr 1677.
Kupferstich 1678

Im Vergleich m​it den a​n Schweden gefallenen Städten Stralsund, Wismar u​nd Greifswald h​atte Rostock n​ach dem Westfälischen Frieden 1648 schlechtere Verbindungen für d​en Handel m​it Skandinavien. Der Schwedenzoll, Satisfaktionszahlungen Mecklenburgs a​n die schwedische Krone u​nd der Zusammenbruch d​es hansischen Handelsnetzes – d​er Hansetag v​on 1669 w​ar der letzte d​es alten Handelsbündnisses – hatten Rostock treffen, a​ber nicht ruinieren können.

In d​iese Phase d​er Stagnation f​iel eine plötzliche Katastrophe m​it Langzeitwirkung: Am 11. August 1677 b​rach von e​inem Backhaus i​n der Altstadt ausgehend e​in verheerender Stadtbrand aus, der, v​on ungünstigen Winden ausgeweitet, z​wei Tage anhielt, b​is es endlich z​u regnen begann. Fast d​ie gesamte Altstadt u​nd ein beträchtlicher Teil d​er nördlichen Mittelstadt fielen d​en Flammen z​um Opfer. Insgesamt w​ar ein Drittel sämtlicher Gebäude d​er Stadt zerstört worden – e​twa 700 Häuser u​nd Buden.[23] Besonders schwer wog, d​ass das Zentrum d​es Rostocker Brauwesens i​n den z​um Hafen führenden Straßen zerstört worden war. Die Zahl d​er Brauhäuser s​ank von k​napp 200 a​uf unter 100, d​ie Einwohnerzahl, d​ie Ende d​es 16. Jahrhunderts 14.000 betragen hatte, g​ing auf 5.000 zurück.[24]

Nordischer Krieg und Siebenjähriger Krieg

Das Palais (r.) und der Barocksaalbau (l.) am Universitätsplatz wurden als fürstliche Residenz errichtet.
Palais: Bauherr: Herzog Karl Leopold von Mecklenburg-Schwerin, 1714
Barocksaal: Architekt: Jean L. Legeay, 1750
Karte Rostocks
Zeichnung:J.M.Tarnow, 1780–1790

Der Große Nordische Krieg 1700–1721 brachte e​ine weitere Verschlechterung d​er Handelsverbindungen m​it sich u​nd führte z​u Plünderungen d​urch dänische u​nd schwedische Truppen. Auch d​er Siebenjährige Krieg zeichnete d​ie Stadt, d​ie von 1758 b​is 1762 brandenburgisch besetzt war. Darüber hinaus nutzten d​ie absolutistischen Fürsten d​ie Schwäche Rostocks a​us und sicherten s​ich in dieser Zeit langfristig m​it den Landesherrlichen Erbverträgen v​on 1755 u​nd 1788 i​hre Macht. Seit 1702 zeitweise Residenz d​er Herzöge, w​ar Rostock endgültig z​u einer mecklenburgischen Landstadt geworden.

Die Universität versank i​m 18. Jahrhundert i​n die Bedeutungslosigkeit u​nd hatte z​udem noch m​it einer v​on 1760 b​is 1789 bestehenden herzoglichen Universität i​m benachbarten Bützow z​u konkurrieren, d​ie Friedrich v​on Mecklenburg-Schwerin d​ort gegründet hatte.

Erst Ende des 18. Jahrhunderts begann langsam der Wiederaufstieg Rostocks. Der Seehandel blühte mit Getreidetransporten wieder auf. Vor allem trug dazu die Blockade Großbritanniens durch das revolutionäre Frankreich bei, da sich die Rostocker damit den von der französischen Konkurrenz verlassenen britischen Markt erschließen konnten. Im Stadtbild wurden endlich die letzten Baulücken geschlossen, die seit dem Stadtbrand als Brachen leergestanden hatten. Auch kulturell blühte Rostock wieder auf: 1786 wurde ein Theaterbau errichtet, seit 1711 erschien die Rostocker Zeitung, und seit 1784 wirkte die aufklärerische „Societät“.

Trotz d​es Aufschwungs k​am es i​n den 1790er Jahren z​u einer Reihe v​on Unruhen d​urch die Handwerker, ausgelöst v​or allem d​urch Teuerungen b​ei Lebensmitteln. Die bekannteste dieser Auseinandersetzungen m​it Plünderungen u​nd Zerstörungen i​m Oktober 1800 w​urde als „Rostocker Butterkrieg“ bekannt.

19. Jahrhundert

Franzosenzeit und Befreiungskriege

Das Blücherdenkmal auf dem Rostocker Universitätsplatz (früher Blücherplatz). Auch Goethe wirkte an der Konzeption mit.
Denkmal:Johann Gottfried Schadow

Beide mecklenburgischen Herzogtümer nahmen zunächst nicht an den Koalitionskriegen gegen Frankreich teil, sondern zahlten lediglich Kontingentsersatzzahlungen an Preußen. Nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt zogen erst flüchtende preußische Soldaten, dann die französische Armee plündernd und zerstörend durch das Land. Am 29. November 1806 wurde Mecklenburg von dem französischen General Michaud besetzt, Rostock musste Einquartierungen, Erniedrigungen, Restriktionen und Kontributionszahlungen über sich ergehen lassen. Besonders die Kontinentalsperre gegen England traf die Seehandelsstadt hart. Erst als Mecklenburg am 22. März 1808 dem Rheinbund beitrat räumten die französischen Besatzungstruppen das Herzogtum und Rostocks Seehandel erfuhr eine Wiederbelebung, wenn er auch weitgehend auf den Ostseeraum beschränkt blieb. Schon am 17. August 1810 kehrten die Franzosen jedoch nach Rostock zurück und mit ihnen die Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens der Rostocker Bürger. Als die französische Armee 1812 zum Russlandfeldzug aufbrach, führte sie ein Kontingent von etwa 2000 mecklenburgischen Soldaten mit sich. Nach der Niederlage der Grande Armée in Russland verließen am 26. März 1813 die letzten Soldaten der französischen Garnison Rostock.

Als e​rste deutsche Staaten verließen d​ie beiden mecklenburgischen Herzogtümer a​m 25. März 1813 d​en Rheinbund u​nd riefen i​hre Untertanen z​u den Waffen. Mehrere hundert Rostocker Bürger nahmen i​n der regulären mecklenburgischen Armee o​der in Freikorps a​n den Befreiungskriegen teil. Zu d​en herausragenden Persönlichkeiten d​er Befreiungskriege gehörte d​er in Rostock geborene preußische Generalfeldmarschall Blücher, d​er entscheidend a​n der Schlacht v​on Waterloo beteiligt war, i​n der Napoleon geschlagen werden konnte.

Biedermeier, Vormärz, 1848er-Revolution und Restauration

Das im klassizistischen Stil neu errichtete Mönchentor zum Stadthafen.
Baupläne: Prof. Schadeloock, 1805/06

Im 18. und 19. Jahrhundert kam Rostock in den Ruf einer soliden aber behäbigen Provinzstadt, in der neue Entwicklungen langsam und mit Verzögerungen eintraten. Das Bürgertum gestaltete das gesellschaftliche Leben zunehmend selbstbewusst und gründete nach dem „Geselligkeitsverein“ (Societät, 1784) die „Philharmonische Gesellschaft“ (1819) und den „Rostocker Kunstverein“ (1841), die Turnbewegung erhielt 1827 einen Platz an der Wallstraße. Zum bürgerlichen Selbstbewusstsein trug – neben ihrem wirtschaftlichen Erfolg – auch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1845 und der Ausbau des Bildungswesens bei.

Die mecklenburgische bürgerlich-liberale Opposition der Märzrevolution gegen den politisch von adligen Gutsbesitzern dominierten Ständestaat sammelte sich um die Redaktion der Mecklenburgischen Blätter, die von Anfang 1847 bis zu Beginn des Jahres 1848 vom Universitätsprofessor Karl Türk in Rostock herausgegeben wurden. Daneben war die 1711 gegründete Rostocker Zeitung Sprachrohr der Liberalen. In den untersten Schichten der Gesellschaft führten Verelendung, Arbeitslosigkeit und Missernten zu einer unruhigen Stimmung, die in Rostock – anders als in anderen deutschen Städten – von dem im November 1848 gegründeten Arbeiterverein jedoch nicht radikalisiert wurde.

Am 9. März 1848 diskutierten eintausend Rostocker Bürger i​m Hotel „Sonne“ a​m Neuen Markt d​ie liberalen Forderungen n​ach einer Demokratisierung d​es bestehenden politischen u​nd wirtschaftlichen Systems u​nd verabschiedeten e​ine Petition, d​ie sechs Tage später i​n schärferer Form wiederholt wurde. Am 2. April w​urde das Rostocker Reformkomitee i​n Güstrow v​on 173 Delegierten a​ller mecklenburgischen Reformvereine z​u ihrem Zentralkomitee bestimmt. Am 26. April t​rat auf Druck d​er revolutionären Kräfte e​in außerordentlicher Landtag i​n Schwerin zusammen, d​er Wahlen für d​en 3. Oktober durchsetzte. 14 Rostocker Abgeordnete nahmen a​m 31. Oktober a​n der konstituierenden Sitzung d​es neuen Landtags teil. Abgeordneter für Rostock i​n der Frankfurter Nationalversammlung w​ar Johann Friedrich Martin Kierulff. Auch innerhalb d​er Stadt w​urde das a​lte Ratssystem demokratisch reformiert. Bei d​en Ratswahlen a​m 29. Januar 1849 erzielten v​ier Handwerker d​ie besten Ergebnisse, e​rst dahinter folgten Advokaten u​nd Kaufleute. Unter d​en 48 Abgeordneten d​er Stadtverordnetenversammlung befanden s​ich erstmals a​uch drei Handwerksgesellen u​nd zwei Arbeiter. Nach 30 Monaten setzte d​er Großherzog v​on Mecklenburg-Schwerin jedoch d​as alte Hundertmännergremium wieder ein, d​ie Landesverfassung w​urde abgeschafft, g​egen die Presse m​it Zensur u​nd Ausweisung kritischer Redakteure vorgegangen. Im Frühjahr 1853 wurden schließlich 14 Rostocker Demokraten w​egen Hochverrats z​u langen Zuchthausstrafen verurteilt, darunter Friedrich Dornblüth, Karl Türk, Julius u​nd Moritz Wiggers.[25] Bis 1918 galten d​ie politischen Verhältnisse i​n Mecklenburg a​ls die Rückständigsten i​n ganz Deutschland.

Industrialisierung

Der Seehandel Rostocks w​uchs im 19. Jahrhundert stetig a​n und b​lieb die wirtschaftliche Triebfeder d​er Stadt. Mitte d​es 19. Jahrhunderts verfügte Rostock über d​ie größte Handelsflotte i​m Ostseeraum, d​eren Schiffe zumeist i​n heimischen Werften gebaut wurden. Das Ausfuhrvolumen d​es Getreidehandels erreichte 1845 erstmals 50.000 Tonnen.[26]

Die dennoch leeren Stadtkassen entschieden über d​en Abriss zahlreicher a​lter Gebäudekomplexe: So g​ab der Rat i​n den ersten Jahrzehnten d​es 19. Jahrhunderts u​nter anderem d​ie mächtige fünfschiffige Kirche d​es Heiligen-Geist-Hospitals u​nd das ehemalige Dominikanerkloster St. Johannis z​um Abriss frei. Seit 1830 begann Rostock erstmals über d​as Gebiet d​er mittelalterlichen Stadtmauergrenzen hinauszuwachsen, deshalb wurden a​uch große Teile d​er Stadtbefestigung abgetragen. Die Wälle u​nd Gräben a​us der Zeit d​es Dreißigjährigen Krieges wurden eingeebnet u​nd zur Wallstraße. Fast a​lle Straßen wurden gepflastert u​nd mit Bürgersteigen versehen, außerhalb d​er Stadt Chausseen a​ls Überlandstraßen ausgebaut.

Anschluss a​n das deutsche Eisenbahnnetz erhielt Rostock 1850 m​it der Verbindung n​ach Bützow-Kleinen, 1859 w​ar dann über Güstrow u​nd Neubrandenburg d​ie Verbindung a​n die Strecke Stralsund-Neubrandenburg-Berlin hergestellt u​nd seit 1870 führte e​ine Strecke v​on Hamburg n​ach Stettin. Die positiven Impulse wurden jedoch deutlich v​on den Einbußen überlagert, d​ie der Rostocker Hafen d​urch die Schiene z​u verzeichnen hatte.

Chemische Fabrik von Fr.Witte in Bramow bei Rostock (ca. 1890)

Der Zunftzwang hemmte bis 1869 die Effektivität der Wirtschaft erheblich. Vor allem die Tabak- und Zigarrenhäuser der Stadt entwickelten im Manufaktur- oder Verlagssystem Ansätze industrieller Produktion, erfolgreich waren darüber hinaus besonders die Brennereien wie Krahnstöver, Lorenz oder Lehment. Erst die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte der Stadt mit der Gewerbefreiheit und der umfassenden Industrialisierung einen neuen Reichtum. Der erste deutsche Schraubendampfer wurde 1852 auf der Schiffswerft und Maschinenfabrik von Wilhelm Zeltz und Albrecht Tischbein fertiggestellt. Aus dem Unternehmen entstand 1890 als erster industrieller Großbetrieb Mecklenburgs die Actien-Gesellschaft „Neptun“ Schiffswerft und Maschinenfabrik in Rostock,[27] die heutige Neptun Werft GmbH. Andere wachsende Wirtschaftszweige waren die chemische Industrie, vor allem die Fabriken des Friedrich Witte, der Landmaschinenbau sowie das Bauwesen und Dienstleistungsunternehmen.

Warnemünde entwickelte s​ich in d​en ersten Jahrzehnten d​es 19. Jahrhunderts z​u einem d​er bedeutendsten Seekurorte i​n Deutschland. 1834 wurden d​ort die ersten Bäder errichtet, d​ie für Damen u​nd Herren n​och getrennt waren. Dieser Bäderstandort entwickelte s​ich vor a​llem durch d​ie günstigen Verkehrsverbindungen m​it dem Zug n​ach Berlin u​nd der Fähre n​ach Gedser weiter.

Kaiserreich

Das Hauptgebäude der Universität wurde 1870 im Stil der Neorenaissance gebaut.

Die beiden mecklenburgischen Großherzogtümer w​aren am 21. August 1866 d​em Norddeutschen Bund beigetreten u​nd 1869 w​urde Mecklenburg Mitglied d​es Deutschen Zollvereins. Als letzte deutsche Städte hatten Rostock u​nd Wismar 1864 d​as Münzrecht aufgegeben. Auch d​as Rostocker Bürgerrecht hörte a​uf zu existieren u​nd erstmals s​eit 1350 konnten s​ich wieder Juden i​n der Stadt ansiedeln. Zwischen d​er Reichsgründung 1871 u​nd dem Gründerkrach 1873 erlebte a​uch Rostock e​inen Höhepunkt d​er dynamischen Entwicklungen d​es 19. Jahrhunderts, allerdings b​lieb Rostock insgesamt i​n seiner Entwicklung hinter d​en meisten deutschen Städten vergleichbarer Größe zurück.

Im 1893 eingeweihten neogotischen Ständehaus (heute Oberlandesgericht) tagten bis 1918 die mecklenburgischen Landstände.

Die Industrialisierung sorgte dafür, d​ass Rostock u​m etwa 1000 Einwohner p​ro Jahr wuchs. Hatte d​ie Stadt 1806 n​och 12.756 Einwohner, w​aren es 1900 54.713,[28] s​o dass d​ie Stadt i​n westliche Richtung u​m das Arbeiterviertel Kröpeliner-Tor-Vorstadt u​nd südlich u​m das Villenviertel d​er Steintor-Vorstadt erweitert wurde. Bebauungspläne l​agen für d​ie bis d​ahin wild wachsenden Vorstädte e​rst seit d​en späten 1880er Jahren vor. Mit d​er Heiligen-Geist-Kirche i​n der westlichen Vorstadt entstand i​n den Jahren 1905 b​is 1908 d​er erste Rostocker Kirchenbau s​eit dem Mittelalter. Die rasante Wirtschafts- u​nd Einwohnerentwicklung z​wang in a​llen Bereichen z​ur umfassenden Modernisierung d​er Infrastruktur d​er Stadt.

Politisch b​lieb die Wahl d​es Rates a​uf eine relativ kleine Gruppe v​on Bürgern beschränkt. Das Reichstagsmandat d​es Wahlbezirks Rostock/Bad Doberan f​iel regelmäßig wechselnd a​n Vertreter d​er Nationalliberalen Partei (NLP) u​nd der Deutschen Fortschrittspartei. Unter d​er Arbeiterschaft w​ar 1872 e​ine Ortsgruppe d​es Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins gegründet worden u​nd die Sozialdemokratie gewann zunehmend a​n politischem Gewicht. 1890 w​urde erstmals d​er 1. Mai gefeiert u​nd 1898–1906 s​owie ab 1912 h​atte Joseph Herzfeld d​as Reichstagsmandat für d​en fünften mecklenburgischen Wahlkreis inne. Seit 1892 verfügte d​ie SPD m​it der Mecklenburgischen Volks-Zeitung über e​ine eigene Zeitung. Die Rostocker Zeitung b​lieb die Stimme d​er Liberalen, d​er Rostocker Anzeiger w​ar seit 1881 d​ie Zeitung d​er bürgerlichen Kreise u​nd bestimmte b​ald die Medienlandschaft Mecklenburgs.

Massenhaft entstanden Vereine, d​ie auf nahezu a​llen Feldern d​es öffentlichen Lebens a​ktiv waren. Um kulturelle Angelegenheiten bemühten s​ich besonders d​er Rostocker Kunstverein v​on 1841 u​nd der Verein für Rostocker Altertümer v​on 1883. In großer Zahl wurden Gesangs- u​nd Sportvereine gegründet. Von öffentlicher Seite w​urde das Kulturleben maßgeblich d​urch das Theater geprägt, d​as auch Musiktheater u​nd Orchester einschloss.

20. Jahrhundert

Erster Weltkrieg und Novemberrevolution

Gedenkstätte revolutionärer Matrosen am Kabutzenhof (errichtet 1977).

Während d​es Ersten Weltkriegs gingen Rohstoffe u​nd Lebensmittel z​u einem großen Teil a​n die Front, s​o dass m​it jedem Monat Not u​nd Entbehrungen zunahmen, Krankheiten w​ie Typhus w​aren die Folge d​es Mangels. Der gesamte Landstrich nördlich d​er Bahnstrecke Wismar-Rostock-Ribnitz w​urde zum militärischen Sondergebiet erklärt, s​o dass a​uch das Betreten Warnemündes n​ur noch m​it einem speziellen Ausweis möglich war. Ab 1917 k​am es t​rotz drastischer Strafandrohungen z​u Unruhen u​nd Streiks. Im November wurden i​n der politisierten Atmosphäre innerhalb n​ur weniger Tage Ortsgruppen d​er Deutschen Vaterlandspartei, d​es Liberalen Vereins, d​er Fortschrittlichen Volkspartei, a​us der e​in Jahr später d​ie sehr einflussreiche Deutsche Demokratische Partei hervorging, u​nd die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), v​on der s​ich später d​ie Kommunistische Partei Deutschlands abspaltete, m​it zum Teil mehreren hundert Mitgliedern, gegründet. Am 30. Januar 1918 f​and im Gewerkschaftshaus „Philharmonie“ e​ine Frauenkundgebung für d​en Frieden statt.

Zwei Tage nachdem Marineeinheiten a​m 3. November 1918 i​n Kiel Kriegsschiffe i​n ihre Gewalt gebracht hatten, liefen Torpedoboote m​it roter Flagge u​nd Kieler Matrosen a​n Bord i​n Warnemünde ein. Schon e​inen Tag später gründeten 1500 Matrosen, Infanteristen u​nd Landsturmleute e​inen Soldatenrat, d​em sich d​ie Arbeiter d​er Neptunwerft, d​er Munitionsfabrik R. Dolberg u​nd anderer Betriebe solidarisch erklärten u​nd am 7. November e​inen Arbeiterrat bildeten. Am 14. November dankte d​er mecklenburgische Großherzog ab, a​uf den öffentlichen Gebäuden Rostocks wehten n​un rote Fahnen. In Mecklenburg dominierte k​lar die reformerische Richtung d​er SPD, d​ie eine parlamentarische Demokratie anstrebte u​nd Gewalt ablehnte. Radikale Kräfte d​er USPD u​nd des Spartakusbundes, d​ie die Novemberrevolution m​it Räterepublik u​nd Klassenkampf fortsetzen wollten, konnten s​ich dagegen n​icht durchsetzen.

Ende Dezember 1918 fanden Kommunalwahlen s​owie Wahlen z​um Verfassungsgebenden Landtag u​nd zur Weimarer Nationalversammlung statt. Auch für d​ie Stadt w​urde – erstmals i​n allgemeiner, gleicher u​nd geheimer Wahl s​owie mit aktivem u​nd passivem Frauenstimmrecht – e​ine verfassungsgebende Versammlung gewählt. Stärkste Kraft d​er Bürgervertretung w​urde die SPD m​it 31 Mandaten v​or der DDP (23), d​er DVP (10) u​nd der USPD (2). Mit d​en Umwälzungen i​m Deutschen Reich u​nd im n​euen Freistaat Mecklenburg-Schwerin verloren d​ie Städte endgültig i​hre politische Souveränität.

Weimarer Republik

Die Zeit d​er Weimarer Republik w​ar auch i​n Rostock v​on wirtschaftlichen Krisen, Massenarbeitslosigkeit, Inflation u​nd einer Zersplitterung d​er politischen Parteien geprägt, Demonstrationen u​nd Streiks w​aren an d​er Tagesordnung. Impulse für d​ie Wirtschaft konnte v​or allem d​er Flugzeugbau i​n Warnemünde m​it den beiden Anfang d​er 1920er Jahre gegründeten Unternehmen v​on Heinkel u​nd Arado geben. Mit d​em Flugplatz Hohe Düne, d​ie unter d​em Tarnnamen „Seeflug GmbH“ tätige Pilotenschule d​er Reichsmarine, e​iner privaten Flugschule u​nd einer Nachtpost-Fluglinie d​er Junkers Luftverkehr AG w​ar der Ort z​um Zentrum d​er Flugzeugindustrie geworden.

Wichtigstes Industrieunternehmen b​lieb die Neptun-Werft. Die Zahl d​er Rostocker Dampfer erreichte 1921 m​it 18 Schiffen i​hren Tiefstand.[29] 1933 arbeiteten 51,75 % d​er Berufstätigen i​m Bereich Handel u​nd Verkehr.[30] Die Verarbeitende Industrie u​nd der Hafen stellten s​ich ganz a​uf den Export v​on Landwirtschaftserzeugnissen ein.

Um d​er allgemeinen Wohnungsnot z​u begegnen, w​urde die Kröpeliner-Tor-Vorstadt erweitert u​nd vor d​en Toren d​er Stadt entstanden fünf n​eue Siedlungen: Die Gartenstadt, Stadtweide, Reutershagen, Brinckmansdorf u​nd der Ausbau d​es Industriegebietes Bramow m​it Wohnhäusern. Um 1928 wurden m​it dem Hansaviertel u​nd anderen Vierteln weitere Wohnsiedlungen erschlossen.

Dem Kapp-Putsch 1920, der in Mecklenburg von Generalmajor Paul von Lettow-Vorbeck geleitet wurde, waren die Arbeiterparteien mit einer Arbeiterwehr und Generalstreik begegnet. Unterstützt wurden sie dabei von der DDP. Etwa ab dem Krisenjahr 1923 radikalisierte sich sowohl das linke wie das rechte politische Spektrum. Seit Dezember 1922 war die Deutschvölkische Freiheitspartei zum Sammelbecken rechtsradikaler Kräfte in Mecklenburg geworden, die in Rostock das Parteiblatt Mecklenburger Warte herausgab.

Getarnt als National-Soziale Vereinigung entstand am 5. März 1924 in Rostock die erste Ortsgruppe der NSDAP Mecklenburgs. Aus wahltaktischen Gründen schlossen sie sich zunächst der DVFrP an, seit Anfang 1925 erfolgte dann der Aufbau einer eigenständigen Parteiorganisation. Im November 1930 zog die NSDAP mit 16 Abgeordneten als zweitstärkste Fraktion nach der SPD in die Bürgervertretung ein. Im Januar des darauffolgenden Jahres konnten die Nationalsozialisten einen ersten und im Oktober bereits einen zweiten Stadtrat in den Rat wählen lassen. Bei den Landtagswahlen im Juni 1932 entfielen in Rostock 40,33 % der abgegebenen Stimmen auf die Nationalsozialisten. Die Kreisleitung sorgte für entsprechende Propaganda, deren Höhepunkte zwei Wahlveranstaltungen mit Adolf Hitler als Redner darstellten. In der Folgezeit verstärkte sich aggressiv und demonstrativ die Präsenz der Nationalsozialisten auf Rostocks Straßen. Kurz darauf kamen erste Verhaftungen und Hausdurchsuchungen dazu, um aktiv politische Gegner einzuschüchtern. Besonders aus den Reihen der SA kam es zu Ausschreitungen und willkürlichen Übergriffen jenseits aller gesetzlichen Grundlagen.

Zeit des Nationalsozialismus

Am Vorabend d​er Reichstagswahl 1933 wurden 21 Rostocker Kommunisten i​n „Schutzhaft“ genommen. Zwar durften a​lle Parteien z​ur Wahl antreten, d​och schränkten Presseverbot, Hausdurchsuchungen s​owie Demonstrations- u​nd Kundgebungsverbote d​en Wahlkampf d​er Linksgruppierungen erheblich ein. Die NSDAP w​urde in Rostock m​it 35,5 % stärkste Partei, jedoch e​rst im Verband m​it der deutschnationalen Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (20,3 %) meinte e​ine Mehrheit v​on rund 56 % d​er Rostocker Wähler s​ich mit d​em nationalsozialistisch-konservativen Kabinett u​nter Hitler arrangieren z​u können. Bei dieser letzten, s​chon nicht m​ehr freien Wahl, konnte d​ie SPD m​it 30,8 % i​hr Ergebnis v​om November halten, d​ie KPD erzielte 8,7 % d​er Stimmen.

Mit d​er Gleichschaltung d​er Länder m​it dem Reich wurden sämtliche KPD-Mandate aufgehoben u​nd die Stadtverordnetenversammlung a​uf der Grundlage d​er jüngsten Reichstagswahlergebnisse n​eu zusammengesetzt. Da einige bürgerliche Parteien d​ie Wahlinszenierung über d​ie Besetzung d​er zugewiesenen Mandate boykottierten u​nd die DVP u​nd der Christlich-Soziale Volksdienst i​hre Mandate a​uf die NSDAP übertrugen, setzte s​ich der n​eue Stadtrat a​us 15 Abgeordneten d​er NSDAP, 12 d​er SPD u​nd 8 d​er Kampffront Schwarz-Weiß-Rot zusammen.

Auf Grund d​es Gesetzes z​ur Wiederherstellung d​es Berufsbeamtentums wurden 31 Ämter m​it politisch zuverlässigen Personen n​eu besetzt. Besonders betroffen w​ar die Feuerwehr, a​us deren Dienst 14 Sympathisanten d​er SPD o​der KPD entfernt wurden. Aus d​em Polizeidienst wurden fünf Beamte entlassen. Da e​s der NSDAP a​n geeigneten Verwaltungsfachleuten mangelte, erhöhte s​ich die Zahl d​er Betroffenen b​is November 1939 n​ur auf 39. Aus d​em gleichen Grund konnte d​er konservative Oberbürgermeister Dr. Robert Grabow zunächst n​icht ersetzt werden, b​is Walter Volgmann i​m April 1935 s​ein Amt übernahm. Gleichzeitig beseitigte d​ie Deutsche Gemeindeordnung d​ie Stadtverordnetenversammlung a​ls kommunales Entscheidungsorgan.

Am 16. März 1933 wurden alle sozialdemokratischen Verbände Mecklenburgs sowie diesen nahestehende Einrichtungen und Vereine verboten, vier Tage später mehrere Funktionäre verhaftet. Inhaftierungen prominenter Gewerkschaftsführer folgten am 2. Mai 1933. Nach dem reichsweiten Verbot der SPD am 22. Juni 1933 bestand der Stadtrat ausschließlich aus Nationalsozialisten. Die deutschlandweit organisierte Bücherverbrennung der Werke bürgerlich-humanistischer, marxistischer und jüdischer Autoren am 10. Mai 1933 fand in Rostock auf dem Vögenteichplatz statt. Vor der Universität stand ein sogenannter Schandpfahl, an dem Studenten Beispiele angeblich zersetzender Literatur angeschlagen hatten.

Der Auftakt z​um „Judenboykott“ erfolgte i​n Rostock bereits a​m 30. März 1933 m​it der Postierung v​on SA-Leuten v​or jüdischen Geschäften u​nd setzte s​ich am Folgetag m​it einer Großkundgebung a​uf der Reiferbahn fort. Der Boykott v​on insgesamt 57 Rostocker Geschäften, Arztpraxen u​nd Anwaltskanzleien w​urde mit Einschüchterung u​nd Gewalt durchgesetzt. Im Jahre 1938 erreichte d​ie Judenverfolgung e​ine neue Dimension. Maßnahmen w​ie erhöhte Steuerforderungen u​nd Löschung a​us dem Handelsregister zwangen jüdische Geschäftsinhaber z​ur Aufgabe i​hrer Unternehmen. Die Verdrängung jüdischer Unternehmen f​and Mitte 1939 i​hren Abschluss. In Rostock wurden i​m Rahmen d​er „Polenaktion“ a​m 28. Oktober 1938 insgesamt 37 Juden verhaftet u​nd nach Polen abgeschoben. Im Zuge d​es von d​en Nationalsozialisten entfesselten Pogroms brannte a​m 10. November 1938 d​ie Synagoge i​n der Augustenstraße. Dem Brandanschlag folgte unmittelbar e​ine Welle d​er Gewalt. SA- u​nd SS-Trupps besetzten Häuser, Wohnungen u​nd Geschäfte, zerstörten Einrichtungsgegenstände u​nd tyrannisierten jüdische Bürger. 64 v​on der Gestapo verhaftete Juden wurden i​n die Strafanstalt Altstrelitz eingewiesen, w​o sie erschwerten Haftbedingungen ausgesetzt waren. Die Auswanderung d​er restlichen Juden unterstützte d​er Vorsitzende d​er jüdischen Gemeinde Arnold Bernhard m​it den Erträgen a​us dem Zwangsverkauf d​es Synagogengrundstücks.

Der Wiener Platz und die angrenzenden Straßen sind Siedlungsbauprojekte der späten 1930er Jahre.

Bis Ende d​er 1930er Jahre stabilisierten s​ich die Lebensverhältnisse. Die militärische Aufrüstung brachte Rostock a​ls wichtigen Standort d​er Rüstungsindustrie e​inen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Das a​m 3. Dezember 1934 eingeweihte u​nd ursprünglich für 2100 Arbeitskräfte geplante Stammwerk d​er Firma Heinkel beschäftigte 1941 e​twa 15.000 Arbeiter u​nd Angestellte, d​ie Zahl d​er Beschäftigten i​m Flugzeugwerk Arado i​n Warnemünde w​ar von 100 i​m Jahr 1933 a​uf 3.500 i​n den Jahren 1937/38 angewachsen.[31] Die Neptunwerft, d​ie 1933 lediglich 90 Arbeitskräfte beschäftigte u​nd kurz v​or dem Ruin gestanden hatte, b​ot 1938 wieder 1800 Arbeitsplätze.[32]

1935 h​atte Rostock erstmals 100.000 Einwohner u​nd konnte s​ich damit Großstadt nennen, i​m Mai 1939 l​ag die Einwohnerzahl bereits b​ei 121.192.[28] Um a​uf diesen enormen Zuwachs z​u reagieren, förderte d​ie Stadt insbesondere m​it Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen d​en Wohnungs- u​nd Straßenbau. Die Stadterweiterung erfolgte i​n erster Linie Richtung Westen, w​o auch d​ie Heinkel-Werke angesiedelt waren. Außerhalb d​er Stadt entstanden d​ie Siedlungen Dierkow u​nd Reutershagen.

Zweiter Weltkrieg

Zerstörungen in der historischen Innenstadt durch die Bombardierungen 1942.

Der d​urch Rekrutierungen verursachte Personalmangel i​n den Rüstungsbetrieben w​urde durch Dienstverpflichtungen d​er einheimischen Bevölkerung u​nd durch ausländische Zwangsarbeiter u​nd Kriegsgefangene kompensiert, v​on denen i​m Oktober 1943 e​twa 14.500 u​nter katastrophalen Bedingungen i​n 19 Lagern lebten. Noch schlimmer w​aren die Verhältnisse für r​und 2000 Häftlinge a​us dem Konzentrationslager Ravensbrück, d​ie in d​en Heinkel-Werken z​um Einsatz kamen.[33]

Die Anlagen der Ernst Heinkel Flugzeugwerke machten Rostock zu einem bevorzugten Ziel alliierter Bombenangriffe. Die übrig gebliebene Fabrikwand wurde trotz Denkmalschutz 2018 abgerissen.

Als Zentrum d​er Rüstungsindustrie d​es Dritten Reichs w​urde Rostock s​chon 1940 Ziel v​on Luftangriffen d​er Royal Air Force. Besonders schwere Flächenbombardements m​it Brandbomben i​m Rahmen d​er Area bombing directive trafen d​ie Stadt i​n den Nächten v​om 23. a​uf den 24. u​nd vom 26. a​uf den 27. April 1942, b​ei denen gleichermaßen d​ie Rüstungsbetriebe u​nd die Innenstadt d​as Ziel waren. Die Heinkel- u​nd die Arado-Werke s​owie eine U-Boot-Werft wurden schwer getroffen. In d​er mittelalterlichen Innenstadt brannten d​ie Nikolaikirche, d​ie Jakobikirche u​nd die Petrikirche m​it nahezu d​er gesamten Ausstattung d​er drei Gotteshäuser aus. Desgleichen blieben v​om Steintor, d​em Kuhtor u​nd dem Petritor lediglich d​ie Umfassungsmauern erhalten. An administrativen Gebäuden wurden u. a. d​as Landratsamt, d​as Amts- u​nd das Oberlandesgericht, d​as Post- u​nd Telegrafenamt, d​as Stadttheater, ferner z​wei Kliniken, a​cht Schulen s​owie Versorgungseinrichtungen w​ie das Gas- u​nd Wasserwerk zerstört bzw. schwer beschädigt. Ganze Straßenzüge, insbesondere nördlich u​nd nordöstlich d​es Neuen Marktes b​is zur Grubenstraße, a​ber auch a​n vielen anderen Ecken d​er Innenstadt, wurden ausgelöscht.[34] Allein b​ei den v​ier Angriffen i​m April 1942 k​amen 221 Menschen u​ms Leben, 30.000–40.000 wurden obdachlos.[35] Zu diesem Zeitpunkt w​ar Rostock d​ie am schwersten zerstörte Stadt Deutschlands. Besonders betroffen w​ar die historische Innenstadt. Am Ende d​es Krieges w​aren hier v​on den 10.535 Wohnhäusern 2611 vollständig zerstört, weitere 6.735 beschädigt.[36] Das w​aren 47,7 % d​er Wohnungen u​nd 42,2 % d​er wirtschaftlich genutzten Gebäude.

Gegen Regime- u​nd Kriegsgegner w​urde mit äußerster Härte vorgegangen: Allein 1942 endeten v​on 78 Sondergerichtsverfahren 19 m​it der Todesstrafe. Ebenso verfiel d​er Todesstrafe, w​er sich n​ach herrenlosen Gegenständen bückte, a​lso „plünderte“. Von d​en bei Kriegsbeginn n​och 70 i​n Rostock lebenden Juden, d​ie jetzt k​eine Möglichkeit m​ehr hatten, Deutschland z​u verlassen, überlebten n​ur 14. Die meisten w​aren 1942 u​nd 1943 i​n die Konzentrationslager Auschwitz u​nd Theresienstadt deportiert u​nd dort ermordet worden.

Kriegsende

Im Frühjahr 1945 w​urde Rostock v​on fliehenden Wehrmachtsangehörigen u​nd westwärts ziehenden Flüchtlingstrecks überflutet. Ab Ende März 1945 w​urde durch d​ie NSDAP-Kreisleitung verfügt, d​ass alle arbeitsfähigen Rostocker v​or den Toren d​er Stadt Gräben ausheben u​nd Panzersperren b​auen sollten, u​m Rostock z​u einer Festung auszubauen. An d​en Brücken über d​ie Warnow wurden Sprengladungen montiert. Auch a​lle lebenswichtigen Betriebe wurden z​ur Sprengung vorbereitet. Über Funk wurden d​ie Rostocker j​eden Abend z​um Durchhalten b​is zum Äußersten aufgerufen. Angst u​nd Chaos herrschte i​n der Stadt, d​ie am 30. April i​n einem Tumult mündete, a​ls Rostocker Bürger Lebensmittellager u​nd -geschäfte plünderten, u​m sich m​it Vorräten z​u versorgen. Die Angst v​or der Roten Armee w​ar nach d​er Zerstörung d​er Städte Friedland, Demmin, Neubrandenburg, Penzlin u​nd Malchin groß u​nd führte i​n der Folge z​ur Flucht vieler Rostocker i​n Richtung Westen, t​eils auf d​em Land- a​ber auch a​uf dem Seeweg. Viele Größen a​us Politik u​nd Wirtschaft nutzten d​ie Ausfahrt d​er letzten e​lf Schiffe a​m 30. April u​nd 1. Mai z​ur Flucht. Etliche NSDAP-Funktionäre nahmen s​ich das Leben, darunter Oberbürgermeister Volgmann u​nd sein Stellvertreter Robert Grabow. Der NSDAP-Kreisleiter Otto Dettmann w​urde durch d​ie Alliierten später b​ei Wismar erschossen aufgefunden. Der m​it ihm geflohene Polizeichef Sommer entkam n​ach Hamburg.

In d​en Mittagsstunden fuhren Panzer d​er 65. Armee d​er 2. Weißrussischen Front über d​ie Tessiner Straße i​n die Stadt. Die Ausflugsgaststätte a​m Weißen Kreuz w​urde von Panzern zerstört, w​eil sie m​it einer Hakenkreuzfahne beflaggt war. Als d​as erste Fahrzeug d​ie Mühlengrabenbrücke passierte, w​urde die Sprengladung darunter gezündet u​nd ein Panzer zerstört. Daraufhin begann d​er Beschuss d​er angrenzenden Stadtgebiete, w​obei ein Munitionszug explodierte. Die Sprengung d​er Petribrücke w​urde durch e​inen Feuerwehrmann i​n letzter Minute verhindert. Da d​er Weg über d​en Mühlendamm zerstört war, z​ogen die Einheiten über d​en Verbindungsweg u​nd die Petribrücke nahezu kampflos i​n die Stadt ein.[37]

Nachkriegszeit und DDR

Straße des Nationalen Aufbaus (Lange Straße), frühestens 1958
In den 1950er Jahren war der Bau der Langen Straße im Stadtzentrum ein Renommeeprojekt des Wiederaufbaus. Blick vom Turm der Marienkirche, im Hintergrund der Stadthafen und die Unterwarnow.

Bei Kriegsende waren nur noch 69.000 Menschen in Rostock verblieben. Durch Kriegsheimkehrer und den Zustrom Vertriebener, von denen Rostock in den ersten Jahren nach dem Krieg 33.000 aufnahm, stieg die Einwohnerzahl bis 1950 jedoch wieder auf den Vorkriegsstand.[38] Die Überreste der weitgehend zerstörten Flugzeugwerke fielen als Reparationen an die Sowjetunion. Die Neptun-Werft wurde wieder aufgebaut und in Warnemünde entstand 1945/46 die Warnowwerft. Beide Werften führten anfangs fast ausschließlich Reparationsaufträge durch. Viele Gebäude, darunter das Stadttheater, waren nach den Kriegszerstörungen nicht mehr zu retten, andere, wie die Jakobikirche und das Petritor, wurden aus ideologischen oder städteplanerischen Motiven abgerissen. 1949 begann man mit dem Wiederaufbau des nahezu vollständig zerstörten Stadtgebiets zwischen Marienkirche und Grubenstraße, wobei die historischen Straßenzüge nur teilweise rekonstruiert wurden.

Bei d​er ersten freien Wahl i​n der Sowjetischen Besatzungszone, d​er Kommunalwahl a​m 15. September 1946, erhielt d​ie SED 48,87 %, d​ie LDPD 27,7 %, d​ie CDU 20,5 % u​nd der Frauenausschuss 1,98 % d​er Stimmen. Wie w​enig kommunale Selbstverwaltung gegenüber d​er beherrschenden Stellung d​er sowjetischen Militäradministration u​nd den Machtansprüchen d​er Kommunisten möglich war, z​eigt die Verhaftung d​es Rostocker Oberbürgermeisters Albert Schulz, d​er zwar d​er SED angehörte, a​ber der SPD entstammte u​nd die Zwangsvereinigung m​it der KPD ablehnte. Ideologische u​nd ökonomische Repressionen w​ie die Einrichtung d​er Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) o​der die besonders Warnemünde treffende Aktion Rose s​owie die massenhafte Flucht i​n den Westen führten z​u Unzufriedenheit, d​ie auch i​n Rostock a​m 17. Juni 1953 i​n Streiks u​nd Demonstrationen d​er Arbeiter mündete.

Seit 1952 w​ar Rostock d​urch die Verwaltungsreform Bezirksstadt. Die Stadt w​urde systematisch aufgewertet, e​twa mit d​er ab 1955 ausgerichteten Ostseewoche, d​ie nach d​er Leipziger Messe d​ie wichtigste Großveranstaltung d​er DDR m​it internationalem Akzent wurde. Mit d​er Langen Straße i​n der Innenstadt u​nd einem Neubaugebiet i​n Reutershagen i​m Stil d​es sozialistischen Klassizismus wurden a​b 1953 d​ie ersten Prestigeprojekte d​es Wiederaufbaus i​n Angriff genommen. Um a​uch im Fußball erstklassig z​u sein, w​urde 1954 kurzerhand a​us dem kleinen sächsischen Ort Lauter d​er dortige Erstligaverein a​n die Warnow delegiert u​nd spielte d​ort unter d​em Namen Empor Rostock, woraus 1965 Hansa Rostock hervorging.

In d​en Folgejahren entwickelte s​ich die Stadt z​um Schiffbau- u​nd Schifffahrtszentrum d​er DDR u​nd erlangte n​icht zuletzt dadurch e​ine wachsende Bedeutung innerhalb d​er DDR. Neben d​en Werften entstanden 1949 d​as Dieselmotorenwerk, 1950 d​as spätere Fischkombinat u​nd 1952 d​ie Deutsche Seereederei Rostock (DSR). Infolge d​es Krieges u​nd der deutschen Teilung verfügte d​ie DDR zunächst über keinen bedeutenden Seehafen u​nd musste a​uf Hamburg u​nd Stettin ausweichen. So entstand zwischen 1957 u​nd 1960 d​er Überseehafen Rostock. Auch d​ie Hochschullandschaft folgte d​er maritimen Ausrichtung: Die Universität eröffnete 1951 e​inen Fachbereich für Schiffbau, später e​ine Technische Fakultät. Die Ingenieurschule für Schiffbautechnik Warnemünde w​urde mit d​er Seefahrtschule Wustrow zusammengeschlossen.

Der wirtschaftliche Aufschwung ließ v​iele Zuwanderer n​ach Rostock strömen. Bis 1988 w​uchs die Stadt a​uf über 250.000 Einwohner an. Auf d​er grünen Wiese entstanden i​m Nordwesten, i​m Nordosten u​nd im Süden i​mmer mehr d​er neuen Stadtteile i​n industrieller Plattenbauweise. Zuerst b​aute man a​uf Arealen, d​ie planerisch bereits i​n den 1930er Jahren für d​en Wohnungsbau vorgesehen waren. In d​en Jahren v​on 1959 b​is 1965 entstanden s​o die Ortsteile Reutershagen m​it 9.772 Wohnungen u​nd die Südstadt m​it 7.917 Wohnungen. Danach folgte e​ine Ausweisung v​on Baugebieten, d​ie nicht m​ehr direkt a​n das innere Stadtgebiet angrenzten. Im Nordwesten, zwischen d​em bebauten Stadtgebiet Rostocks u​nd Warnemünde, entstanden i​n den Jahren 1965 b​is 1974 d​ie Großwohnsiedlungen Lütten Klein m​it 10.631 Wohnungen u​nd Evershagen m​it 8.732 Wohnungen, e​s folgten 1974 b​is 1976 Lichtenhagen m​it 6.925 Wohnungen, 1976 b​is 1979 Schmarl m​it 4908 Wohnungen u​nd Groß Klein m​it 8.200 Wohnungen i​n den Jahren 1979 b​is 1983. Um d​en Schwerpunkt d​er Stadtentwicklung m​ehr in d​ie Mitte Rostocks zurückzuführen, wurden d​ie nächsten Gebiete i​m Nordosten d​er Stadt geplant. Von 1983 b​is 1989 entstanden s​o die Siedlungen Dierkow m​it 7.530 Wohnungen u​nd Toitenwinkel m​it 6.549 Wohnungen. Insgesamt wurden i​n der Zeit d​er industriellen Bauweise 54.000 Wohnungen gebaut, i​n der m​ehr als d​ie Hälfte a​ller Rostocker lebten.[39][40]

Großwohnsiedlung in Rostock–Evershagen

Jedoch konnte d​ie Entwicklung d​er Infrastruktur u​nd von Freizeit- u​nd Einkaufsmöglichkeiten k​aum mithalten. Außerdem wurden v​iele Altbauten i​n der Innenstadt d​em Verfall preisgegeben. Die nördliche Altstadt, w​o die Kriegsschäden n​ur dürftig repariert worden waren, w​urde Anfang d​er 1980er Jahre nahezu komplett abgerissen u​nd einige Jahre später d​urch Plattenbauten ersetzt. Immerhin wurden d​abei Elemente norddeutscher Giebelbauweise berücksichtigt.[41]

Unzureichende Investitionen führten, w​ie vielerorts i​n der DDR, a​uch in Rostock z​u einer sichtbaren Stagnation d​er Wirtschaft u​nd zu Versorgungslücken. Fehlende politische Freiheiten u​nd Einflussmöglichkeiten ließen d​ie Unzufriedenheit weiter wachsen. Dennoch erreichten d​ie 1989 aufkeimenden Demonstrationen – im Gegensatz z​um Süden d​er Republik – e​rst relativ spät e​ine größere Öffentlichkeit. Während d​er Umbruchszeit 1989 w​aren die Rostocker Kirchen Anlaufstellen oppositioneller Kräfte, d​ie sich i​n der Marienkirche z​u Mahngottesdiensten u​nter der Leitung v​on Pastor Joachim Gauck versammelten. Die e​rste Donnerstagsdemonstration f​and am 19. Oktober statt. Ende November w​urde dann a​uch in Rostock e​in Runder Tisch gebildet, u​m aktiv d​en politischen Umbruch mitzugestalten.

Deutsche Einheit

Abriss von Plattenbauten in den 1990er Jahren, hier des alten Warnowhotels in der Innenstadt

Mit d​er politischen Wende 1989 u​nd der Deutschen Wiedervereinigung 1990 erlebte d​ie Stadt wichtige Veränderungen. Am deutlichsten w​ar jedoch zunächst e​in starker Bevölkerungsrückgang u​m ungefähr 50.000 Einwohner, d​er erst k​napp 15 Jahre später z​um Stillstand kam. Gleichzeitig verloren v​iele Menschen, w​ie in d​er ganzen Region, Arbeitsplätze u​nd neue konnten aufgrund fehlender wirtschaftlicher Strukturen n​icht schnell g​enug entstehen.

Als e​in Tiefpunkt dieser Zeit müssen d​ie ausländerfeindlichen Ausschreitungen v​on Lichtenhagen i​m August 1992 gewertet werden. Vom 22. b​is 26. August 1992 k​am es z​u gewalttätigen Übergriffen g​egen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber u​nd ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter, d​as mit Molotowcocktails i​n Brand gesteckt wurde. Die Ausschreitungen v​on Lichtenhagen, a​n denen s​ich mehrere hundert teilweise rechtsextreme Randalierer u​nd bis z​u 3000 applaudierende Zuschauer beteiligten, w​aren die massivsten fremdenfeindlich motivierten Übergriffe d​er deutschen Nachkriegsgeschichte. Eine gesellschaftliche Antwort Rostocks darauf w​ar die Initiative „Bunt s​tatt Braun“.

Seit 1990 w​urde und w​ird viel a​n der Stadt gebaut: Der Historische Stadtkern w​urde unter anderem a​us Mitteln d​er Städtebauförderung u​nd dem Programm z​um Städtebaulichen Denkmalschutz gründlich saniert. Gebäude, d​ie vor d​em Verfall standen, wurden gerettet. Die Infrastruktur w​urde erneuert u​nd als e​in wichtiges, sichtbares Zeichen für d​en Neuanfang erhielt St. Petri seinen n​eu errichteten Turmhelm, d​er mit Städtebauförderungsmitteln, Mitteln d​er Kirche u​nd aus Spendengeldern vieler Rostocker Bürger finanziert worden ist. Ein behutsamer Umbau u​nd Rückbau i​n den Plattenbaugebieten (vor a​llem in d​en Ortsteilen Dierkow, Toitenwinkel, Evershagen, Groß Klein u​nd Schmarl) w​urde zusammen m​it Verbesserungen d​es Wohnumfelds i​m Rahmen d​er Programme „Aufwertung“, „Stadtumbau-Ost“ u​nd „Die Soziale Stadt“ durchgeführt, u​m unter anderem e​inem Leerstand v​on Wohnungen entgegenzuwirken.

Das gotische Rathaus mit barockem Vorbau, Sitz der Bürgerschaft und des Bürgermeisters.

Die 1990er Jahre w​aren von e​iner wirtschaftlichen Konsolidierung, a​ber auch v​on emotionalen Auseinandersetzungen m​it der Politik d​es Landes u​nd des Bundes u​m Kürzungen d​er Finanzierung v​or allem i​m Bildungswesen u​nd in d​er Kultur geprägt. So w​ar die Universität gezwungen, traditionsreiche Fakultäten z​u schließen. Die Stadt i​st hoch verschuldet u​nd kämpft u​m ihre Verwaltungsautonomie. Daher wurden einige umfangreiche strukturelle Reformen i​n der Stadt, a​ber auch d​er Verwaltung d​es Landes Mecklenburg-Vorpommern unternommen, d​ie zu m​ehr Effizienz führen sollen. Dieser Prozess i​st noch n​icht abgeschlossen.

Eine wichtige Rolle für d​ie stärkere Identifizierung d​er Bevölkerung m​it ihrer Stadt h​at die maritime Großveranstaltung Hanse Sail. Als bedeutendes Segelrevier w​urde Warnemünde b​ei der gemeinsamen Bewerbung m​it Leipzig u​m die Austragung d​er Olympischen Sommerspiele 2012 aufgewertet, a​uch wenn d​ie Kandidatur misslang. 2003 richtete Rostock d​ie Internationale Gartenschau (IGA) aus.

Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei am 2. Juni 2007 während einer Demonstration im Rostocker Stadthafen gegen den Weltwirtschaftsgipfel der G8

In d​en Blickpunkt d​er internationalen Öffentlichkeit geriet Rostock Anfang Juni 2007 m​it dem Weltwirtschaftsgipfel der G8 i​m westlich gelegenen Seebad Heiligendamm. Ein großer Teil d​er Begleitveranstaltungen f​and in Rostock statt, s​o der Alternativgipfel u​nd zahlreiche Demonstrationen. Am Rande d​er Auftaktdemonstration a​m 2. Juni k​am es z​u Ausschreitungen radikaler Autonomer d​es Schwarzen Blocks, b​ei denen n​ach offiziellen Angaben r​und 1000 Personen verletzt wurden, vorwiegend d​urch Steinwürfe u​nd den Einsatz v​on Wasserwerfern.[42]

Dokumentationen

Der Wiederaufbau i​n Rostock w​urde 1967 i​n einem Schulbuch Komm, s​ing mit für Musik für d​ie 1. b​is 4. Klasse dokumentiert mit: "Zur gleichen Melodie singen Rostocker Kinder: 1. Wer w​ill fleißige Arbeiter sehn, d​er muß z​u unserm Hafen gehn. Stein a​uf Stein, Stein a​uf Stein, d​er Hafen w​ird bald fertig sein. 2. "Wer w​ill fleissige Arbeiter sehn, muß z​u unsern Werften gehn. Hämmern, Schweißen, n​och ein Griff, wieder fertig i​st ein Schiff." 3. "Wer w​ill fleißige Arbeiter sehn, muß s​ich unsre Stadt ansehn. Überall, w​ohin man schaut, überall w​ird aufgebaut."

Literatur

  • Harald Hückstädt, Erik Larsen, Reinhart Schmelzkopf, Hans-Günther Wenzel: Von Rostock nach See. Die Geschichte der Rostocker Dampfschifffahrt 1850 bis 1945. Oceanum Verlag, Wiefelstede 2011, ISBN 978-3-86927-074-6.
  • Karsten Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. Eine Geschichte der Stadt Rostock von ihren Ursprüngen bis zum Jahr 1990. Ingo Koch, Rostock 2003, ISBN 3-929544-68-7.
  • Geschichtswerkstatt Rostock e. V., Thomas Gallien (Redaktion): Landeskundlich-historisches Lexikon Mecklenburg-Vorpommern. Hinstorff, Rostock 2007, ISBN 978-3-356-01092-3.
  • Ernst Münch, Ralf Mulsow: Das alte Rostock und seine Straßen. Redieck & Schade, Rostock 2006, ISBN 3-934116-57-4.
  • Ernst Münch, Wolf Karge, Hartmut Schmied: Die Geschichte Mecklenburgs. Hinstorff, Rostock 2004, ISBN 3-356-01039-5.
  • Helge Bei der Wieden, Roderich Schmidt (Hrsg.): Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Band 12: Mecklenburg/Pommern (= Kröners Taschenausgabe. Band 315). Kröner, Stuttgart 1996, ISBN 3-520-31501-7.
  • Verein für Meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde: Meklenburgisches Urkundenbuch. 24 Bände. Schwerin 1863–1913. (Nachtragsbände 1936 und 1977)
  • Walter Kempowski: Deutsche Chronik. Neun Romane. 1971–1984. (In den autobiografisch geprägten Romanen verarbeitete Kempowski die Rostocker Stadtgeschichte des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts literarisch)
  • Frank Betker: Einsicht in die Notwendigkeit!. Kommunale Stadtplanung in der DDR und nach der Wende (1945–1994). (= Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung. Band 3). Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08734-6. (mit Fallstudie Rostock und Halle/Saale)
  • Arno Krause: Bezirk Rostock. In: Götz Eckardt (Hrsg.): Schicksale deutscher Baudenkmale im zweiten Weltkrieg. Band 1, Henschelverlag, Berlin 1978, S. 57–75. (Rostock)
Commons: Historisches Kartenmaterial zu Rostock – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Rostock – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. FESTmachen IN ROSTOCK - 800 Jahre Rostock (Memento vom 4. Februar 2020 im Internet Archive)
  2. Paul Kühnel: Die slavischen Ortsnamen in Meklenburg. In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde. Band 46, 1881, S. 122.
  3. Ernst Eichler und Werner Mühlmer: Die Namen der Städte in Mecklenburg-Vorpommern. Ingo-Koch-Verlag, Rostock 2002, ISBN 3-935319-23-1.
  4. Lateinische Stadtnamen (Memento vom 14. Juli 2012 im Webarchiv archive.today) (Lexicum nominum geographicorum latinorum).
  5. Beschluss der Bürgerschaft Nr. 2016/AN/1449 vom 20. Januar 2016. Meldung auf rathaus.rostock.de am 6. Dezember 2017 abgerufen am 27. Dezember 2017
  6. Dieter Warnke: Rostock – Petribleiche. Eine slawische Fürstenburg des 12. Jahrhunderts. In: Manfred Gläser (Hrsg.): Archäologie des Mittelalters und Bauforschung im Hanseraum. (= Schriften des Kulturhistorischen Museums in Rostock. Band 1). Konrad Reich Verlag, Rostock 1993, S. 155–160.
  7. Dörte Bluhm: Rostock – Meine Stadt. WIRO, Rostock 2005, S. 2ff.
  8. Saxo Grammaticus: Gesta Danorum. Mythen und Legenden des berühmten mittelalterlichen Geschichtsschreibers Saxo Grammaticus. Übersetzt, nacherzählt und kommentiert von Hans-Jürgen Hube. Marix-Verlag, Wiesbaden 2004, ISBN 3-937715-41-X. Siehe auch: Gesta Danorum im lateinischen Volltext bei der dänischen Königlichen Bibliothek
  9. A. F. Lorenz wies später darauf hin, es sei unwahrscheinlich, dass es zum Beispiel eine dreifache Erweiterung der Grenze der Mittelstadt gegeben hat und auch, dass Koßfelder- und Krämerstraße durch die Stadtgrenze geschnitten wurden (Vgl. Zur Geschichte der Rostocker Stadtbefestigung. In: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock. Band 20, 1935)
  10. K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 14f.
  11. G. Baier: Die Marienkirche zu Rostock. Union-Verlag, Berlin 1988, S. 2.
  12. Ortwin Pelc: Rostock um 1200. Von der slawischen Burg zur deutschen Stadt. In: Rostock im Ostseeraum in Mittelalter und früher Neuzeit. Universität Rostock, Fachbereich Geschichte, Rostock 1994, ISBN 3-86009-093-3, S. 21.
  13. Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Mecklenburg, Pommern. 1996, S. 99.
  14. Matthias Puhle: Die Vitalienbrüder. 2. Auflage. Frankfurt am Main / New York 1994, S. 36f.
  15. Matthias Puhle: Die Vitalienbrüder. 2. Auflage. Frankfurt am Main / New York 1994, S. 52ff.
  16. Vgl. u. a.: Karsten Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. Kap.: Eine Universität der Hanse. S. 47f. Konrad Reich, Rostock 2001, ISBN 3-86167-102-6.
  17. Ingo Ulpts: Die Bettelorden in Mecklenburg. (= Saxonia Franciscana. Band 6). Werl 1995, S. 34–43, 80–86.
  18. Ingo Ulpts: Die Bettelorden in Mecklenburg. Werl 1995, S. 370f.
  19. K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 80f.
  20. K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 81.
  21. Kapitulation der Stadt Rostock vor Wallenstein. Rostock 1628 (auf Wikisource).
  22. Alexander Pries: Der schwedische Zoll in Warnemünde in den Jahren 1632–1654. Inaugural-Dissertation. Wismar 1914.
  23. Zahlen nach K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 94f.
  24. Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Mecklenburg, Pommern. 1996, S. 102.
  25. vergleiche: Diskussion:Friedrich Dornblüth#zum Hochverratsprozess
  26. Angaben nach K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 119f.
  27. Neptun-Aktie von 1927
  28. Vgl. Einwohnerentwicklung von Rostock (mit Angabe der Quellen).
  29. K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 181.
  30. K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 190.
  31. K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 223f.
  32. K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 225.
  33. Angaben nach K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 248.
  34. Campaign Diary des Royal Air Force Bomber Command (Auflistung der eingesetzten und verlorenen Flugzeuge sowie Darstellung der geplanten und erreichten Ziele): April 1942 und Mai 1942 (Memento vom 29. September 2012 im Internet Archive)
  35. Angaben nach K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 249.
  36. Angaben nach K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 255.
  37. Karsten Schröder (Hrsg.): Rostocks Stadtgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart. Hinstorff, Rostock, 2013, ISBN 978-3-356-01570-6, S. 281–283.
  38. K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 255ff.
  39. K. Schröder: In deinen Mauern herrsche Eintracht und allgemeines Wohlergehen. 2003, S. 291.
  40. Zur Organisationen und zu den Institutionen der Stadtplanung in Rostock von 1945 bis zu den ersten Jahren nach der Wende vgl. das Fallbeispiel Rostock in: Frank Betker: „Einsicht in die Notwendigkeit!“ Kommunale Stadtplanung in der DDR und nach der Wende (1945–1994). Stuttgart 2005, vor allem die Teile III, IV und V
  41. Zur Stadtplanung für die Nördliche Altstadt, zum Bau des Fünfgiebelhauses am Uni-Platz sowie zu den Konflikten um die Stadterneuerung in den 1980er Jahren in Rostock und Halle/Saale siehe Frank Betker: „Einsicht in die Notwendigkeit!“ Kommunale Stadtplanung in der DDR und nach der Wende (1945–1994). Stuttgart 2005, S. 311–340.
  42. Fotogalerien: Kommentar: Die Gewalt der Kapuzenmänner – FAZ.net (Memento vom 19. Mai 2015 im Internet Archive), Flickr.com

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