Wanderer-Werke
Die Wanderer-Werke waren ein bedeutender deutscher Hersteller von Fahrrädern, Motorrädern, Autos, Lieferwagen, Werkzeugmaschinen und Büromaschinen, der im Jahr 1885 in Chemnitz gegründet wurde. Den Namen „Wanderer“ bezogen die beiden Firmengründer Winklhofer und Jaenicke aus der Übersetzung der Bezeichnung „Rover“, die der Engländer John Kemp Starley seinen Fahrrädern gegeben hatte.
Wanderer-Werke AG | |
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Rechtsform | Aktiengesellschaft i. L. |
Gründung | 1885 in Schönau |
Auflösung | Juli 2010 |
Auflösungsgrund | Insolvenz |
Sitz | Augsburg, Deutschland |
Leitung |
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Mitarbeiterzahl | 4.415 (Jahresdurchschnitt 2007)[1] |
Umsatz | 577,7 Mio. Euro (2007) |
Branche | Fahrradhersteller, Kraftfahrzeughersteller, Bürogerätehersteller |
Website | Marke Wanderer |
Die Kraftfahrzeugsparte wurde 1932 in die Auto Union eingebracht und somit zum Vorläufer der heutigen Audi AG. Während des Zweiten Weltkriegs wurden bei Wanderer in Siegmar-Schönau auch Rüstungsgüter unter dem Fertigungskennzeichen cxo produziert, darunter das Schlüsselgerät 41.[2] Nach dem Krieg wurden die Chemnitzer Wanderer-Werke enteignet, zerschlagen und die einzelnen Betriebsteile unter verschiedenen Namen fortgeführt (Fritz-Heckert-Werk, Astrawerk/Ascota, Elrema).
In der Bundesrepublik war die Wanderer-Werke AG zuletzt als Finanzholding ohne eigenen Geschäftsbetrieb tätig und ging im Juli 2010 in die Insolvenz. Die Marke Wanderer wurde daraufhin von dem in Köln ansässigen Fahrradhersteller ZEG erworben.[3]
Geschichte bis 1945
1885: Beginn der Fahrradherstellung
Die Wurzeln von Wanderer gehen bis in das Jahr 1885 zurück. In diesem Jahr gründeten Johann Baptist Winklhofer und Richard Adolf Jaenicke in Chemnitz die am 26. Februar 1885 ins Handelsregister eingetragene Gesellschaft „Chemnitzer Velociped-Depôt Winklhofer & Jaenicke“ zum Verkauf und zur Reparatur von Fahrrädern. Wenig später fertigten sie bereits einige Hochräder selbst an und ab dem Winter 1885/1886 wurde eine fabrikmäßige Herstellung vorbereitet. Winklhofer und Jaenicke firmierten daher ab 4. Januar 1887 als „Chemnitzer Veloziped-Fabrik Winklhofer & Jaenicke“.
1894 erwarben Winklhofer und Jaenicke ein Areal von 19.000 m² in Schönau bei Chemnitz und bauten dort ein Verwaltungs- und Lagerhaus mit 52 Metern Front, einen Shedbau mit 2.500 Quadratmetern Nutzfläche, ein Maschinenhaus, ein Kesselhaus, einen Stall und eine Wagenremise. Für sich selbst ließen die Unternehmer gegenüber ein Doppelwohnhaus errichten. 1896 erfolgte die Umfirmierung in die „Wanderer Fahrradwerke AG“.[4] In dieser Zeit versuchte man sich an einem im Rahmen des Fahrrades gekapselten Kardanantrieb, unterließ jedoch die Realisierung; die Einführung des Kardanantriebs im Automobilbau erfolgte 1898 durch Renault. Um 1900 war Wanderer zu einem bedeutenden Unternehmen auf dem Fahrradmarkt geworden und hielt verschiedene Patente, unter anderem für die erste deutsche Zweigang-Nabenschaltung.[5][6]
Ausweitung der Produktion auf Werkzeugmaschinen, Motorräder, Schreibmaschinen und anderes
Ab 1899 begann Wanderer mit der Serienproduktion von Fräsmaschinen.[7] Dieser Schritt war maßgeblich dadurch motiviert, dass die zur damaligen Zeit auf dem Markt verfügbaren Fräsmaschinen nicht die Genauigkeitsanforderungen Winklhofers und Jaenickes erfüllten.
Das erste Motorrad wurde 1902 gebaut, der Einzylindermotor des Modells besaß als Besonderheit einlaßseitig ein sogenanntes Schnüffelventil, welches durch Federdruck dauernd beaufschlagt über den vom abwärtsgehenden Kolben erzeugten Unterdruck im Zylinder öffnete.[4]
1903/1904 begann die Serienproduktion von Schreibmaschinen unter der Marke Continental und 1909 die von Additions- bzw. Zweispeziesrechenmaschinen.
Die Wanderer-Werke selbst konzentrierten sich sehr erfolgreich auf die Produktion hochwertiger Werkzeugmaschinen, Schreibmaschinen, Rechenmaschinen und Fahrräder. Das Radsportteam des Unternehmens konnte viele sportliche Erfolge erringen. Die fast lautlos arbeitende Schreibmaschine Wanderer Continental silenta war mit ihrem speziellen Hebelwerk weltweit konkurrenzlos.
- Wanderer Mofa um 1906
- Wanderer 3 PS (408 cm³) um 1910
- Briefmarke 1983
- Wanderer 4 pk (504 cm³) um 1915
- Wanderer 2 pk (250 cm³) um 1917
- Wanderer Model V (616 cm³) um 1920
- Wanderer 4½ (1921)
- Wanderer K 500 von 1928 im Zweirad-Museum Neckarsulm
- Wanderer 12 AS
Pkw-Modelle
Pläne für den Automobilbau datieren auf das Jahr 1903, in welchem der Ingenieur Eugen Buschmann den Auftrag zur Konstruktion eines Kleinwagens erhielt, welcher ca. 12 PS leisten und über einen Kardanantrieb verfügen sollte.[4] 1905 entstand der erste Auto-Prototyp Wanderermobil, 1907 folgte der zweite, ein Modell mit Vierzylindermotor und Wasserkühlung[4]; 1911 wurde auf dem Berliner Autosalon dann der Wanderer 5/12 PS Typ W 1 gezeigt. Ein Jahr zuvor hatte man Kontakt zu Ettore Bugatti aufgebaut, allerdings ohne die Zusammenarbeit fortzusetzen.[4] 1913 konnte die Automobil-Serienproduktion aufgenommen werden. „Wir hatten einen ganz niedlichen, kleinen Wagen im Auge, kleiner als alle bisher gebauten Wagen, niedrig im Anschaffungspreis, sparsam im Benzin-, Gummi- und Ölverbrauch, anspruchslos im Platzbedarf, aber großen Wagen gleich an Schnelligkeit und im Nehmen von Steigungen“, schrieb Winklhofer später.
In Anlehnung an die im selben Jahr in Berlin uraufgeführte Operette Puppchen von Jean Gilbert wurde das zierliche Auto (1,5 m breit, 3 m lang) nach einer Aufführung in Chemnitz vom Volksmund Puppchen genannt. Das schmale Auto besaß Plätze für zwei Personen, die hintereinander saßen, eine Leistung von 12 PS, erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h und kostete 3800 Mark.[4] Bereits 1913 kam die Weiterentwicklung zum W 2, der 15 PS leistete. Die weitere Entwicklung ging bis zum W 8 5/20 PS 1926/1927. Zur Ausweitung der Autoproduktion baute Wanderer ein weiteres Werk im Chemnitzer Vorort Siegmar, das 1927 die Produktion aufnahm. In Fließfertigung konnte man 25 Fahrzeuge pro Tag produzieren.[4] Für den Nachfolger des Puppchen wurde 1930 bei Ferdinand Porsche in Stuttgart die Konstruktion eines Sechszylinder- und zweier Achtzylinder-Motoren in Auftrag gegeben. Nur der Sechszylinder debütierte 1931 im W 14 12/65 PS mit einem Dreiliter-Leichtmetallmotor, denn Probleme des Unternehmens ließen es von der Fahrzeugproduktion abrücken. Auch auf Druck der Dresdner Bank, die Wanderer Kredite über fünf Millionen Reichsmark gewährt hatte, verkaufte Wanderer Lizenzen für die schweren Motorräder an den tschechischen Ingenieur František Janeček, der damit die Motorradmarke Jawa gründete, und schloss Mitte 1932 mit der auf Bestreben der Sächsischen Landesbank gegründeten Auto Union AG einen Kauf- und Pachtvertrag für das moderne Wanderer-Fahrzeugwerk in Siegmar ab. Der Auto-Union-Konzern produzierte neben Audi, DKW und Horch weiter Kfz der Mittelklasse unter der Marke Wanderer.
Unter der Regie der Auto Union kam 1933 der W 21, ein direkter Konkurrent des Mercedes-Benz 170, auf den Markt. Insgesamt bot die Marke Wanderer ab diesem Jahr eine breitgefächerte Modellpalette von sechs Karosserien mit drei Motoren an. Vom erfolgreichsten Modell Wanderer W 24 wurden von 1937 bis 1940 rund 22.500 Exemplare hergestellt. Eine Besonderheit mehrerer Wanderer-Modelle war in der damaligen Zeit eine geteilte Windschutzscheibe.
Neuzulassungen von Wanderer-Pkw im Deutschen Reich von 1933 bis 1938
Jahr | Zulassungszahlen |
---|---|
1933 | 4265 |
1934 | 5155 |
1935 | 7169 |
1936 | 8086 |
1937 | 9840 |
1938 | 8790 |
Quelle:[8]
Sportwagen für die Fernfahrt Lüttich–Rom–Lüttich
In den Jahren 1938 und 1939 beteiligte sich die Auto Union mit vier als Wanderer Stromlinie Spezial bezeichneten Sportwagen an der Fernfahrt Lüttich–Rom–Lüttich und wurde bei dem zweiten Einsatz Mannschaftssieger. Die Fahrer waren Momberger/Weidauer und Müller/Menz, die punktgleich Platz vier belegten, und Trägner/Fritzsching auf Platz zwölf. Damit gewann die Auto Union den „Coupe des Constructeurs“, die Markenwertung. 1938 waren Krämer/Münzert 30 Kilometer vor dem Ziel mit einem Schaden an der Nockenwelle ausgeschieden.[9]
Die für diesen Wettbewerb gebauten Fahrzeuge waren zweisitzige Roadster mit Aluminium-Karosserien auf dem Fahrwerk des Wanderer W 25. Sie hatten 6-Zylinder-Motoren mit zwei Liter Hubraum und einer Leistung von 70 PS bei 4800/min, ein nicht synchronisiertes Vierganggetriebe mit zuschaltbarem Schnellgang und Hinterradantrieb. Die Wagen waren etwa 4,35 Meter lang, 1,65 Meter breit und 1,28 Meter hoch, das Leergewicht betrug rund 900 Kilogramm. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 160 Kilometer pro Stunde.
Wahrscheinlich überdauerte keiner der vier Wagen den Krieg. Die drei Stromlinien-Wanderer, die in Museen oder bei Oldtimerveranstaltungen gezeigt werden, sind Nachbauten unter Verwendung von Motoren und Fahrwerken alter Wanderer-Limousinen. Die Karosserien wurden anhand von Fotos rekonstruiert; Konstruktionszeichnungen, auf die hätte zurückgegriffen werden können, gibt es nicht mehr. Ein Zugeständnis an die neue Zeit ist das vollsynchronisierte Fünfganggetriebe der Replikate.[10]
Vom 20. bis 26. Juni 2004 nahmen auch die Originalnachbauten der Audi Tradition an der Fernfahrt Lüttich–Rom–Lüttich teil.[9]
Typ | Bauzeitraum | Zylinder | Hubraum | Leistung | Vmax |
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W 1 (5/12 PS) „Puppchen“ | 1912–1913 | 4 Reihe | 1147 cm³ | 12 PS (8,8 kW) | 70 km/h |
W 2 (5/15 PS) „Puppchen“ | 1913–1914 | 4 Reihe | 1222 cm³ | 15 PS (11 kW) | 70 km/h |
W 3 (5/15 PS) „Puppchen“ | 1914–1919 | 4 Reihe | 1286 cm³ | 15 PS (11 kW) | 70 km/h |
W 4 (5/15 PS) „Puppchen“ | 1919–1924 | 4 Reihe | 1306 cm³ | 17 PS (12,5 kW) | 78 km/h |
W 6 (6/18 PS) | 1921–1923 | 4 Reihe | 1551 cm³ | 18 PS (13,2 kW) | 80 km/h |
W 9 (6/24 PS) | 1923–1925 | 4 Reihe | 1551 cm³ | 24 PS (17,6 kW) | 85 km/h |
W 8 (5/20 PS) „Puppchen“ | 1925–1926 | 4 Reihe | 1306 cm³ | 20 PS (14,7 kW) | 78 km/h |
W 10/I (6/30 PS) | 1926–1928 | 4 Reihe | 1551 cm³ | 30 PS (22 kW) | 85 km/h |
W 10/II (8/40 PS) | 1927–1929 | 4 Reihe | 1940 cm³ | 40 PS (29 kW) | 95 km/h |
W 11 (10/50 PS) | 1928–1930 | 6 Reihe | 2540 cm³ | 50 PS (37 kW) | 90 km/h |
W 10/IV (6/30 PS) | 1930–1932 | 4 Reihe | 1563 cm³ | 30 PS (22 kW) | 85 km/h |
W 11 (10/50 PS) | 1930–1933 | 6 Reihe | 2540 cm³ | 50 PS (37 kW) | 97 km/h |
W 14 (12/65 PS) | 1931–1932 | 6 Reihe | 2970–2995 cm³ | 65 PS (48 kW) | 105 km/h |
W 15 (6/30 PS) | 1932 | 4 Reihe | 1563 cm³ | 30 PS (22 kW) | 85 km/h |
W 17 (7/35 PS) | 1932–1933 | 6 Reihe | 1690 cm³ | 35 PS (25,7 kW) | 90 km/h |
W 20 (8/40 PS) | 1932–1933 | 6 Reihe | 1950 cm³ | 40 PS (29 kW) | 95 km/h |
W 21 / W 235 / W 35 | 1933–1936 | 6 Reihe | 1690 cm³ | 35 PS (25,7 kW) | 95 km/h |
W 22 / W 240 / W 40 | 1933–1938 | 6 Reihe | 1950 cm³ | 40 PS (29 kW) | 100 km/h |
W 245 / W 250 | 1935 | 6 Reihe | 2257 cm³ | 50 PS (37 kW) | 100–105 km/h |
W 45 / W 50 / W 51 Spezial | 1936–1938 | 6 Reihe | 2257 cm³ | 55 PS (40 kW) | 100–105 km/h |
W 25 K | 1936–1938 | 6 Reihe | 1950 cm³ | 85 PS (62,5 kW) | 145 km/h |
W 52 | 1937 | 6 Reihe | 2651 cm³ | 62 PS (45,6 kW) | 115 km/h |
W 24 | 1937–1940 | 4 Reihe | 1767 cm³ | 42 PS (30,9 kW) | 105 km/h |
W 26 | 1937–1940 | 6 Reihe | 2651 cm³ | 62 PS (45,6 kW) | 115 km/h |
W 23 | 1937–1941 | 6 Reihe | 2651 cm³ | 62 PS (45,6 kW) | 105 km/h |
- Wanderer W 3 „Puppchen“, 1915
- Auto Union Wanderer W 25 K, 1936
- Wanderer W 45 C2b Cabriolet (1936–1938)
- Wanderer W 25 K (1936–1938)
- Wanderer W 51 Spezial
- Wanderer W 23 Cabriolet 1938
- Wanderer W 24 Limousine 1939
- Wanderer W 51 der Wehrmacht, Russland 1943
Firmengeschichte ab 1945
Enteignung und Zerschlagung im Osten
Nach dem Krieg kam es am 30. Juni 1946 zu dem von der sowjetischen Besatzungsmacht wohlwollend geduldeten Volksentscheid über die Enteignung von Kriegs- und Naziverbrechern. Aufgrund dieses Volksentscheids wurden sowohl die Wanderer-Werke als auch die Auto Union enteignet und bis 1948 teilweise demontiert und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion verbracht. Anschließend wurden die Werke zerschlagen und als Volkseigene Betriebe (VEB) neu geordnet:
- Das Autowerk in Siegmar wurde dem Industrieverband Fahrzeugbau (IFA) zugeordnet und ging später in den VEB Barkas-Werken auf (heute VW-Motorenwerk Chemnitz).
- Der Werkzeugmaschinenbereich wurde zunächst als VEB Wanderer-Fräsmaschinenbau weitergeführt, 1951 in VEB Fritz-Heckert-Werk umbenannt und später zum Stammbetrieb des VEB Werkzeugmaschinenkombinat „Fritz-Heckert“ (heute Starrag Group).[11]
- Die wechselvollste Geschichte hatte der Büromaschinenbetrieb in Schönau: Er wurde zunächst zum VEB Wanderer-Continental Büromaschinenwerk unter dem Dach der VVB Mechanik. 1953 wurde er mit der ehemaligen Astrawerke AG zum VEB Büromaschinen Chemnitz fusioniert, zwei Jahre später aber schon wieder als VEB Industriewerke Karl-Marx-Stadt ausgegliedert und mit der Produktion von Flugzeugmotoren beauftragt. Die Produktion von Schreibmaschinen wurde an das Optima Büromaschinenwerk Erfurt abgegeben, Rechen- und Buchungsmaschinen wurden fortan im VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt (vormals Astrawerke) weiterentwickelt und hergestellt. Nach dem plötzlichen Ende des DDR-eigenen Flugzeugbaus 1961 fertigte man im Industriewerk Hydraulikpumpen und Motoren für die Fahrzeugindustrie. Ein kleiner Teil überlebte die Wiedervereinigung als Sachsenhydraulik GmbH und ging später an den US-Konzern Parker-Hannifin.[12]
Neuanfang in Westdeutschland
Als Folge von Enteignung und Verstaatlichung in der DDR führten Eigentümer und Manager der Wanderer-Werke das Unternehmen in Westdeutschland fort. So tagte im Jahr 1948 in München eine außerordentliche Hauptversammlung der Wanderer-Werke AG und beschloss, den Sitz der Gesellschaft von Chemnitz nach München zu verlegen. Ab 1949 wurden wieder Fahrräder und Mopeds gehandelt, hergestellt von der Firma Meister in Bielefeld. Daraus entwickelte sich die heutige Wanderer-Werke AG; die Automobilproduktion wurde indes nicht wieder aufgenommen.
Büromaschinen
In den 1950er Jahren setzte Wanderer die Tradition als Büromaschinenhersteller fort. Das Unternehmen beteiligte sich 1953 zunächst zu 50 % an der Exacta Büromaschinen GmbH und späteren Exacta Continental GmbH in Köln. 1960 folgten die restlichen 50 %. Damit war Wanderer der damals größte westdeutsche Büromaschinenproduzent.
Um mit der rasanten Entwicklung des modernen Informatik Schritt halten zu können, hatte Wanderer einen elektronischen und druckenden Tischrechner, die Wanderer Logatronic, genannt CONTI für die Mittlere Datentechnik entworfen, dessen Elektronik Wanderer beim Computerpionier Heinz Nixdorf entwickeln ließ. Infolge einer Unternehmenskrise wurde das Unternehmen 1967/8 schließlich an Nixdorf verkauft und bildete von nun an den industriellen Kern der Nixdorf Computer AG. Entwicklung und Verkauf des Elektronischen Tischrechners CONTI wurde nach der Übernahme durch Nixdorf eingestellt.
Holding und Insolvenz
Fahrräder mit dem Markennamen „Wanderer“ wurden seit 1998 wieder hergestellt. Seit 2006 geschah dies unter Federführung der Zwei plus zwei GmbH in Köln. Dort werden die Fahrräder entwickelt, in Deutschland hergestellt und von ausgewählten Fachhändlern vertrieben. Die Wanderer-Werke AG treten dabei lediglich als Lizenzgeber für den Markennamen auf.
Ansonsten stellte sich die Wanderer-Werke AG 2008 als Finanzholding ohne eigenen Geschäftsbetrieb mit den Sparten Poststellen-Verwaltung (engl. „mailroom management“) (über eine 50,1-%-Beteiligung an der börsennotierten Böwe-Systec-Gruppe), Kraftfahrzeugteile (Carl Kittel Autoteile GmbH, Kittel Supplier GmbH) und Verpackungsmaterialien (Karl Fislage GmbH & Co. KG, Merseburger Verpackung GmbH) dar. Zuletzt wurde der Konzern über zwei Jahrzehnte von Claus Gerckens geführt.[13]
Als sehr schwierig erwies es sich, dass große Teile des Unternehmens auf Kredit finanziert worden waren. Die Kredite wurden nicht nur von Banken, sondern auch zwischen den Unternehmenstöchtern vergeben. Als die Sparte Kraftfahrzeugteile im Zuge der Absatzkrise der Automobilindustrie hohe Verluste einfuhr und sich gleichzeitig die Übernahme des US-Konkurrenten Bell & Howell durch die Böwe-Systec-Gruppe als Fehlinvestition herausstellte, ließen sich die Defizite nicht mehr auffangen, und die Wanderer-Gruppe brach Stück für Stück zusammen.[14][15][16] Das Insolvenzverfahren wurde im Juli 2010 eröffnet. Während die Sparte Verpackungen noch über ein Management-Buy-Out an eine Investorengemeinschaft[17] und Böwe Systec an die Possehl-Gruppe[18] verkauft werden konnten, musste der Bereich Kraftfahrzeugteile mit seinen rund 500 Mitarbeitern gänzlich schließen.[19] Nur die Fahrräder wurden bis März 2013 noch unter dem Markennamen Wanderer produziert, zuletzt von der Zwei plus zwei GmbH. Seit 2017 gehört die Domain www.wanderer.de der Hercules GmbH aus Köln, die weiterhin unter dem Markennamen Wanderer Fahrräder vertreibt.
Literatur
- Gerhard Mirsching: Wanderer. Die Geschichte des Hauses Wanderer und seine Automobile. Verlag Uhle & Kleimann, Lübbecke 1981, ISBN 3-922657-13-3.
- Hans-Christian Schink, Tilo Richter: Industriearchitektur in Chemnitz 1890–1930. Thom-Verlag, Leipzig 1995, ISBN 3-930383-10-1.
- Thomas Erdmann: Wanderer Automobile. Verlag Delius Klasing, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-7688-2522-1.
- Jörg Feldkamp, Achim Dresler (Hrsg.): 120 Jahre Wanderer 1885–2005. Ein Unternehmen aus Chemnitz und seine Geschichte in der aktuellen Forschung. Zweckverband Sächsisches Industriemuseum, Chemnitz 2005, ISBN 3-934512-13-5.
- Heiner Matthes, Jörn Richter (Hrsg.): Siegmar-Schönau. Die Stadt vor der Stadt. Eine Chemnitzer Stadtteilgeschichte zu Siegmar, Schönau, Reichenbrand und Stelzendorf. 2. Auflage. Verlag Heimatland Sachsen, Chemnitz 2004, ISBN 3-910186-42-4.
- Michael C. Schneider: Unternehmensstrategien zwischen Weltwirtschaftskrise und Kriegswirtschaft. Chemnitzer Maschinenbauindustrie in der NS-Zeit 1933–1945, Klartext Verlag Essen 2005 (= Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte, 14), ISBN 3-89861-372-0.
Weblinks
- Offizielle Website
- Kiel 1938 - Mit der Fahrschule durch die Stadt
- Literatur zu den Wanderer-Werken im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Frühe Dokumente und Zeitungsartikel zu Wanderer-Werke in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
- Dieter Wildt: Unternehmer sind keine Unterlasser. Hundert Jahre Wanderer-Werke AG (Memento vom 5. Mai 2006 im Internet Archive) (PDF 98kb)
- www.historisches-chemnitz.de Über die Wanderer-Werke
- Die Wanderer-Werke vorm. Winklhofer & Jaenicke AG
- Hitlers letzte Maschinen
Einzelnachweise
- Geschäftsbericht 2007 der Wanderer Werke AG
- Schlüsselgerät 41 im Crypto Museum (englisch), abgerufen am 20. August 2021.
- ZEG Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft eG. Abgerufen am 18. Juni 2021.
- Immo Sievers: 100 Jahre Wanderer. In: ATZ Automobiltechnische Zeitschrift. Vieweg-Verlag, Wiesbaden Oktober 2005, S. 904 ff.
- Patent DE131486C: Hinterradnabe mit Freilauf, Bremsvorrichtung und mit mehreren Übersetzungen. Angemeldet am 7. August 1901, veröffentlicht am 10. Juni 1902, Anmelder: Wanderer Fahrradwerke.
- Patent AT11449B: Antriebsvorrichtung für Fahrräder mit veränderlicher Übersetzung und mit Kupplungsvorrichtung für den Freilauf und Rücktrittbremse. Angemeldet am 17. Januar 1902, veröffentlicht am 10. April 1903, Anmelder: Wanderer Fahrradwerke.
- StarragHeckert: Historie. Archiviert vom Original am 24. August 2011; abgerufen am 15. Juli 2011.
- Hans Christoph von Seherr-Thoss: Die deutsche Automobilindustrie. Eine Dokumentation von 1886 bis heute. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1974, ISBN 3-421-02284-4, S. 328.
- Classicdriver. Wanderer Stromlinie Spezial bei Lüttich–Rom–Lüttich. Abgerufen am 15. Oktober 2019.
- auto motor und sport. Wanderer W 25 Stromlinie im Fahrbericht. Abgerufen am 14. Oktober 2019.
- Frank Harreck-Haase: Historisches Chemnitz – Die Wanderer-Werke / Fritz-Heckert-Kombinat. Abgerufen am 31. August 2017.
- Frank Harreck-Haase: Historisches Chemnitz – Die Wanderer-Werke / VEB Industriewerke Karl-Marx-Stadt. Abgerufen am 31. August 2017.
- Wanderer Werke insolvent – Ungewissheit bei Böwe Systec. 19. Mai 2010, abgerufen am 28. Dezember 2012.
- Wanderer-Werke AG: Vorläufige Insolvenzverwaltung über die Kittel Supplier GmbH angeordnet, DGAP-Adhoc, 20. Dezember 2008.
- Wanderer-Werke AG: Insolvenz. 14. Mai 2010, abgerufen am 28. Dezember 2012.
- BÖWE Systec AG stellt Insolvenzantrag. insolvenz-ratgeber.de, 21. Mai 2010, abgerufen am 26. Juni 2011.
- Wanderer-Werke AG: Verkauf Fislage. 4. August 2010, abgerufen am 28. Dezember 2012.
- Die Rettung für BÖWE Systec: Possehl Gruppe. 16. November 2010, abgerufen am 28. Dezember 2012.
- Autozulieferer Kittel muss Betrieb einstellen. 31. März 2009, abgerufen am 28. Dezember 2012.