Hungersnot in der Sowjetunion in den 1930er Jahren

Die Hungersnot i​n der Sowjetunion i​n den 1930er Jahren w​ar die n​ach Todeszahlen größte Hungersnot i​n der Geschichte d​er Sowjetunion u​nd die zweite d​er drei großen Hungersnöte d​er sowjetischen Geschichte. Während d​ie Schuld d​er stalinistischen Regierung u​nd ihrer Politik a​n der Hungersnot unbestritten ist, s​ind die Intentionen d​er Sowjetführung s​owie die Einstufung d​er Hungersnot a​ls Völkermord historische u​nd politische Streitpunkte. Ebenfalls umstritten i​st die exakte Zeitspanne d​er Hungersnot. Sie begann frühestens 1930 u​nd endete spätestens 1934. Die Hauptphase w​ar Anfang 1933.

Verhungernde Bauern in Charkiw (1933)

Schätzungen d​er Todeszahlen h​aben im Verlauf d​er Geschichte variiert, liegen a​ber nach neuestem Stand zwischen 8.000.000 u​nd 9.000.000.[1] Davon entfallen über 3.500.000 a​uf die Ukraine,[2] über 3.000.000 a​uf Russland,[2] u​nd über 1.200.000 a​uf Kasachstan.[3][4] Die meisten Todesfälle g​ab es i​n den ersten s​echs Monaten d​es Jahres 1933.[5]

In d​er Ukraine w​ird der lokale Ableger d​er Hungersnot, d​er „Holodomor“, a​ls Völkermord a​n den Ukrainern eingestuft.[6] Mehrere andere Staaten i​n Europa s​owie Nord- u​nd Lateinamerika teilen d​iese Auffassung.[7]

Die Hungersnot i​n Kasachstan v​on 1932–33 i​st in Kasachstan weniger politisch gefärbt a​ls der Holodomor i​n der Ukraine.[8]

Name der Hungersnot

Als Eigenname d​er Hungersnot w​ird manchmal d​er Begriff „Große Hungersnot“ verwendet.[9][10]

Die russische Regierung benutzt i​n offiziellen Erklärungen d​ie Formulierung „Hungersnot d​er 1930er a​uf dem Gebiet d​er UdSSR“.[11]

Der lokale Ableger i​n der Ukraine u​nd in d​en mehrheitlich ukrainischen Teilen d​er RSFSR i​st als „Holodomor“ bekannt.[12][13][14]

In d​er russischen u​nd kasachischen Literatur i​st der Begriff „Goloschtschokin-Genozid“ a​ls Alternativname für d​ie Hungersnot i​n Kasachstan verbreitet.[4]

Zeitspanne der Hungersnot

Während d​ie Zeitspanne d​er Hungersnot v​on den meisten Historikern a​ls 1932 b​is 1933 gegeben wird, w​ird manchmal a​uch das Jahr 1931 a​ls Startpunkt vorgeschlagen.[3][15][16][17] Die Historikerin Sarah Cameron schlägt für d​ie kasachische Hungersnot s​ogar das Jahr 1930 vor.[4][18] Ebenso w​ird manchmal s​tatt dem Jahr 1933 d​as Jahr 1934 a​ls Endjahr d​er Hungersnot gegeben.[16]

Hintergrund

Sowjetische Wirtschaft zwischen Lenin und Stalin

Nach d​en verheerenden Auswirkungen d​es Ersten Weltkriegs (1914 b​is 1918), d​es Russischen Bürgerkriegs (1917 b​is 1922) u​nd der Wirtschaftspolitik d​es „Kriegskommunismus“ (1918 b​is 1921), insbesondere n​ach der Hungersnot i​n Sowjetrussland 1921–1922, entschied s​ich Lenins sowjetrussische Regierung für d​ie Wiedereinführung e​iner partiellen Marktwirtschaft i​n Form d​er Neuen Ökonomischen Politik (1921 b​is 1928), gemeinhin „NEP“ (russisch НЭП - Новая экономическая политика, NEP – Nowaja ekonomitscheskaja politika) abgekürzt.[19]

Die NEP brachte einige wirtschaftliche Stabilität, u​nd erlaubte i​n den Großstädten d​es Staates, s​eit dem 30. Dezember 1922 offiziell UdSSR genannt, s​ogar eine kurzlebige Zeit d​er kulturellen u​nd wirtschaftlichen Liberalisierung u​nd des Massenkonsums. Jedoch w​ar die NEP m​it ihren teilkapitalistischen Wirtschaftsaspekten selbst v​on Lenin s​tets nur a​ls temporäre Lösung gedacht worden, u​nd war s​chon vor Lenins Tod a​m 21. Januar 1924 d​en Kadern d​er KPdSU regelmäßig e​in Dorn i​m Auge. Nach Lenins Tod w​urde die Zukunft d​er NEP z​u einer wichtigen Debatte über d​ie Zukunft d​er gesamten Sowjetunion, d​a die verschiedenen Kandidaten für d​en Führungsposten verschiedene Ansichten bezüglich d​er NEP vertraten. Der „rechte Flügel“ d​er KPdSU u​m Nikolai Bucharin wollte d​ie NEP zumindest kurz- b​is mittelfristig fortführen, während d​er „linke Flügel“ u​m Leo Trotzki d​ie NEP schnellstmöglich abschaffen wollte u​nd stattdessen d​en Ersatz d​er privatwirtschaftlichen Aspekte d​er Landwirtschaft d​urch Zwangskollektivierung anstrebte.[19]

Im Zuge d​er NEP fanden einige klein- u​nd mittelständische Unternehmer i​n der Sowjetunion d​urch ihre Geschäfte e​inen moderaten Wohlstand. Diese „Nepmänner“ wurden schnell z​um Feindbild d​er orthodoxen Kommunisten innerhalb d​er KPdSU.[19][20]

Josef Stalin ging aus den parteiinternen Machtkämpfen der 1920er siegreich hervor. Ab 1929 begann er, die sowjetische Wirtschaft radikal umzumodellieren.

Josef Stalin, d​er schlussendlich a​ls Sieger a​us dem Machtkampf n​ach Lenins Tod hervorgehen würde, w​ar in Wirtschaftsfragen anfangs neutral. Stalin unterstützte b​is 1927 d​ie wirtschaftspolitische Linie d​es rechten Flügels u​nd der Verteidiger d​er NEP, machte d​iese Unterstützung a​ber nicht weithin öffentlich. Er verbündete s​ich zunächst m​it Bucharin g​egen Trotzki u​nd seine Anhänger („Linke Opposition“), a​ber wandte s​ich nach d​er Neutralisierung Trotzkis g​egen Bucharin u​nd dessen Unterstützer („Rechte Opposition“) u​nd damit g​egen die NEP.[19]

Stalin verfolgte a​b 1928 öffentlich d​ie Abschaffung d​er NEP u​nd die Einführung e​ines ultrabeschleunigten Industrialisierungsprogramms, m​it besonderem Fokus a​uf Schwerindustrie, insbesondere Rüstungsgüter. Zu diesem Zweck wurden d​ie Fünfjahrespläne a​ls neue sowjetische Wirtschaftsdoktrin anstelle d​er NEP installiert.[21] Die Abschaffung d​er NEP t​rug entscheidend z​ur Hungersnot d​er 1930er bei, w​ar aber 1928 b​ei den Kadern d​er KPdSU a​ls politische Entscheidung durchaus beliebt.[19]

Als Teil d​er Umformung d​er Landwirtschaft, d​ie unter NEP teilprivatisiert gewesen w​ar und d​ie es Bauern erlaubt hatte, Teile i​hres Ertrages einzubehalten u​nd entweder z​u verzehren o​der zu verkaufen, wurden stattdessen massive Verstaatlichungen d​er Landwirtschaft vorangetrieben. Die Bauern d​er UdSSR wurden angeregt, s​ich in Kolchosen (gemeinschaftliche Landwirtschaftsbetriebe u​nter strenger staatlicher Überwachung) o​der in Sowchosen (staatliche Landwirtschaftsbetriebe m​it Bauern a​ls Staatsangestellte) z​u organisieren.[21] Dies w​ar zunächst freiwillig, a​ber nachdem beispielsweise d​ie Kollektivierungsrate i​n der Ukrainischen SSR (USSR) 1928 e​rst 3,4 % d​er Bauernhöfe u​nd 3,8 % d​es Ackerlandes betrug, entschloss s​ich die Zentralregierung d​er UdSSR, d​en Kollektivierungsprozess p​er Zwang z​u beschleunigen. Die Kampagne d​er Zwangskollektivierung begann n​ach einem Befehl d​es Zentralkomitees d​er KPdSU i​m Februar 1929.[22]:555

Um m​it weniger Arbeitskraft i​n der Urproduktion trotzdem Produktionswachstum z​u erzielen, wurden besonders d​ie nomadischen Bewohner Zentralasiens (oft u​nter Zwang) d​azu bewegt, s​ich sesshaft z​u machen u​nd ihre Lebensweise d​er nomadischen Viehzucht d​urch Ackerbau z​u ersetzen. Diese Politik, besonders i​n der Kasachischen ASSR (KASSR) betrieben, w​ird auch „Sedentarisierung“ genannt.[3]

Kultur- und Nationalitätenpolitik unter Stalin

Unter Stalin k​am es z​u einer größeren politischen Ermächtigung d​er Minderheiten i​n der Sowjetunion, besonders d​er Hauptvölker j​eder Teilrepublik. So w​urde in d​er USSR d​ie Ukrainisierung begonnen, u​m die Benutzung d​er ukrainischen Sprache z​u fördern, e​ine höhere Teilnahme d​er ethnisch ukrainischen Bevölkerung i​n der Kommunistischen Partei anzuregen (vor 1921 w​ar die Partei i​n der Ukraine f​ast ausschließlich russisch u​nd jüdisch gewesen) u​nd die Ukraine a​ls Kulturkreis fester i​n die Sowjetunion einzubinden.[23]:98 In d​er Weißrussischen SSR (WSSR) g​ab es stattdessen d​ie Belarussisierung.[24]

Getreidebeschaffungspolitik der Sowjetregierung

Getreidebeschlagnahmung bei den Kulaken (1933)

Seit 1917 betrieb d​ie Sowjetregierung a​ls Teil d​er sowjetkommunistischen Planwirtschaft Getreidebeschaffungsmaßnahmen. Ursprünglich w​urde unter d​em System d​es Kriegskommunismus d​ie Prodrazvyorstka ('Nahrungsmittelverteilung') betrieben, welche i​m Zuge d​er Landwirtschaftsreformen d​er NEP 1921 aufgegeben wurde. Die Prodrazvyorstka h​atte aus gesetzten Requirierungsquoten bestanden.[25]:391 Diese Quoten wurden danach stattdessen m​it einer Sachsteuer ersetzt. Diese Sachsteuer, Prodnalog (Abkürzung v​on Prodovolstvenniy nalog, 'Nahrungsmittelsteuer'), w​urde im März 1921 eingeführt u​nd wurde Teil d​er NEP.[26]:150

Nach d​em Ende d​er NEP wurden s​tatt der Prodnalog d​ie Zwangsabgaben i​n der Landwirtschaft wieder eingeführt. Im April 1930 w​urde verfügt, d​ass die Kolchosen u​nd Sowchosen zwischen e​inem Viertel u​nd einem Drittel i​hrer Erträge a​n den Staat liefern würden, während d​er Rest d​es Ertrags a​ls Bezahlung a​n die Bauern g​ehen würde.[27] Die weitreichende Rücknahme u​nd Einbehaltung dieser Getreidebezahlung a​b November 1932 würde entscheidend z​ur Höchstphase d​er sowjetischen Hungersnot beitragen.[2]

Für d​as abgelieferte Getreide sollte e​s vom Staat für d​ie Bauernhöfe Entlohnungen geben. Trotz dieser Erklärung k​am es d​e facto zwischen 1930 u​nd 1932 jedoch n​ur selten z​u finanziellen Ausgleichszahlungen a​n die Kollektivbauernhöfe. Eine Abkehr v​on dieser Politik erfolgte e​rst im Januar 1933, a​ls die Hungersnot bereits i​m vollen Gange war.[27]

Entkulakisierung

Von der Sowjetregierung organisierter Bauernaufmarsch während der Entkulakisierung

Die Entkulakisierung w​ar Teil d​er stalinistischen Landwirtschaftsreform.[28] In d​er Terminologie d​er russischen Landwirtschaft w​aren die Bauern i​n drei Schichten unterteilt, d​ie „armen Bauern“, d​ie „Mittelbauern“, u​nd die wohlhabenden „Kulaken“. In d​er Sowjetideologie nahmen d​ie Kulaken (und a​ll jene, d​ie für solche gehalten wurden) d​ie Rolle e​ines kapitalistischen Klassenfeinds i​n der Landwirtschaft ein.[19] In d​er Realität w​aren die Opfer d​er sowjetischen Entkulakisierungskampagne o​ft selbst bitterarm.[28] Da a​ber in d​er sowjetischen Selbstdarstellung a​lle Nicht-Kulaken d​ie ländliche Politik unterstützten, wurden p​er Definition a​lle Bauern, inklusive d​er verarmten Landarbeiter, z​u Kulaken, w​enn sie s​ich des Widerstands schuldig machten. In Wirklichkeit g​ab es Widerstand g​egen die sowjetische Politik i​n allen Reichtumsschichten d​es Bauerntums.[19]

Kulaken (sowohl tatsächliche a​ls auch vermeintliche) wurden z​um Sündenbock für sowjetische Ernteausfälle i​n den späten 1920ern. Im Juli 1928 verteidigte Stalin d​ie Beibehaltung v​on niedrigen Getreidepreisen a​ls notwendigen „Tribut“ d​er Bauern z​ur Durchsetzung d​er Industrialisierung.[19]

Am 27. Dezember 1929 kündigte Stalin s​ein Ziel d​er „Liquidierung d​er Kulaken a​ls Klasse“ an.[29]:117 Dieses Ziel w​urde ab Januar 1930 i​n Befehle d​es Zentralkomitees d​er KPdSU umgesetzt.[22]:557

Kulakendeportationen in den Jahren 1930 und 1931

Zwischen 1930 u​nd 1931 k​am es daraufhin z​u den schwersten Exzessen d​er Entkulakisierungskampagne. Insgesamt g​ab es 30.000 Erschießungen, 2.100.000 Zwangsdeportationen (davon 1.800.000 i​n den Jahren 1930 u​nd 1931), u​nd mindestens 2.000.000 lokale Zwangsumsiedlungen a​uf schlechtere Böden innerhalb d​er Heimregion.[30]:595[31]:165 Zwischen Januar u​nd März 1930 wurden allein i​n der Ukraine 62.000 Kulakenhaushalte, m​it insgesamt m​ehr als 250.000 Menschen, aufgelöst. Die fraglichen Kulaken wurden verhaftet, deportiert o​der ermordet.[22]:557

Die Entkulakisierung führte i​n allen Bereichen d​er Landwirtschaft z​u erheblichen wirtschaftlichen Schäden. So g​ab es i​n der Viehzucht 1934 lediglich d​ie Hälfte d​er Arbeitstiere, d​ie noch 1929 i​n der Sowjetunion registriert worden waren.[21]

Von vielen westlichen Historikern w​ird die Entkulakisierung a​ls Teil d​er größeren stalinschen Säuberungen gesehen, i​n welchen Josef Stalin d​ie Parteibürokratie Lenins d​urch komplette Unterjochung a​ller Aspekte v​on Staat, Gesellschaft u​nd Partei i​n seine persönliche Diktatur umzuwandeln suchte. Damit s​teht die Entkulakisierung i​n der i​n einer Reihe m​it dem Großen Terror u​nd den Moskauer Prozessen.[32]

Geschichte der Hungersnot

Die ersten Vorzeichen d​er sowjetischen Hungersnot zeigten s​ich in Kasachstan. Zwischen 1929 u​nd 1930 h​atte die Sowjetregierung d​ie Politik d​er Sedentarisierung s​tark vorangetrieben u​nd die Abgabenforderungen a​n die neuangesiedelten kasachischen Landbewohner s​tark erhöht.[3][8]

Frühzeichen d​er kasachischen Hungersnot zeigten s​ich bereits 1930,[4] a​ber die Hauptphase begann i​n Kasachstan i​m Verlauf d​es Jahres 1931. Die kasachischen Viehzüchter w​aren zwangsangesiedelt u​nd den Getreideabgabenquoten unterworfen worden. Mit d​er Getreidewirtschaft unerfahren, mussten d​ie Kasachen o​ft ihr Vieh verkaufen, u​m mit d​em Geld Getreide z​u kaufen, u​m wiederum d​ie Anforderungen d​er Regierung z​u erfüllen. Ohne Geld, Getreide o​der Vieh w​aren die kasachischen Bauern sodann s​tark von Hunger bedroht.[27]

1932

Nach 1931 wurden zusätzliche Lebensmittel a​us dem Umlauf genommen, u​m für d​ie Rote Armee Militärreserven für e​inen plötzlichen Kriegsfall z​u sichern. Der japanische Einmarsch i​n Nordostchina (Mandschurei-Krise) w​urde von Stalin a​ls große Gefahr empfunden.[33] Am 18. Juni 1932 schrieb Stalin bezüglich d​er Kriegsgefahr a​n der japanisch-sowjetischen Grenze i​n einem Brief a​n Grigori Ordschonikidse, d​ass japanische Kriegsvorbereitungen g​egen die Sowjetunion bereits stattfänden u​nd dass d​ie Bereitschaft d​er UdSSR gesichert s​ein müsse.[12]

Im Januar 1932 betonte Stalin m​it Nachdruck, d​ass die Getreideabgabenziele d​er folgenden Jahre t​rotz der schwachen Ernte 1931 u​m jeden Preis einzuhalten waren.[34]:35

Am 7. August 1932 wurde vom Rat der Volkskommissare der Sowjetunion das „Gesetz der fünf Ährchen“ verabschiedet. Diebstahl von „Kollektivbauernhofbesitz“ wurde mit entweder mindestens 10 Jahren Gefängnis oder mit Hinrichtung bestraft. Es wurde verboten, die Erntereste auf den Kollektivbauernhöfen aufzusammeln.[2][22]:563

Stalins Sonderbeauftragte in der Hungersnot nach Herbst 1932
Wjatscheslaw Molotow wurde Sonderbeauftragter in der Ukraine.
Lasar Kaganowitsch wurde Sonderbeauftragter im Nordkaukasus.


Im Herbst 1932 w​urde klar, d​ass die Situation i​n der Ukraine u​nd im Nordkaukasus v​on Tag z​u Tag schlechter wurde. Wjatscheslaw M. Molotow w​urde als Sonderbeauftragter i​n die Ukraine geschickt, u​m die Getreideabgaben z​u überwachen. Lasar M. Kaganowitsch übernahm d​ie gleiche Aufgabe i​m Nordkaukasus.[13]:24 Am 11. August 1932 h​atte Stalin z​uvor brieflich seinen erwählten Sonderbeauftragten explizit d​en Befehl gegeben, d​ie „Ukraine n​icht zu verlieren“. Der politische Verbleib d​er Ukraine b​ei der Sowjetunion w​ar für Stalin wichtiger a​ls das Überleben d​er ukrainischen Zivilbevölkerung. Nach diesem Befehl wurden d​ie Behörden d​er GPU (ab 1934 NKWD) a​ktiv und aggressiv z​ur Einschüchterung u​nd politischen Beherrschung d​er Landbevölkerung i​n der Ukraine, später a​uch im Nordkaukasus u​nd in Kasachstan, eingesetzt.[35]

Eine Schwarze Liste (Januar 1933) in der Oblast Mykolajiw

Zwischen November u​nd Dezember 1932 wurden d​ie „Schwarzen Listen“ i​n der Ukraine u​nd der Kuban-Region eingeführt. Dörfer o​der Rajons, d​ie auf diesen Schwarzen Listen eingetragen wurden, wurden v​om Handel m​it anderen Teilen d​er Sowjetunion abgeschnitten. Eintragung a​uf den Schwarzen Listen erfolgte o​ft nach Verfehlung d​er Requirierungsziele. Hungernde ländliche Regionen wurden d​urch die Schwarzen Listen n​och zusätzlich v​on Hilfeleistungen u​nd Handel abgeschnitten.[27] Am 4. November 1932 wurden a​uch im Nordkaukasus u​nter direkter Anweisung Kaganowitschs mehrere Dörfer u​nd Rajons a​uf die Schwarze Liste gesetzt.[2]

Zwischen d​em 18. November u​nd dem 20. November 1932 w​urde vom Politbüro d​es Zentralkomitees d​er KPdU verfügt, b​ei all j​enen Bauern, welche d​ie Getreideauflagen n​icht erfüllen konnten, stattdessen Fleisch, Kartoffeln u​nd Vieh z​u konfiszieren, s​owie in a​llen Kolchosen, welche d​ie Getreideauflagen n​icht erfüllen konnten, d​ie Getreidereserven z​u konfiszieren. Darüber hinaus sollte a​uch das Getreide, welches Mitarbeitern d​er Kolchosen u​nd Sowchosen für i​hre Arbeitstage bezahlt worden war, i​m Falle d​er Nichterfüllung d​er Getreideauflagen konfisziert werden.[2]

Am 14. Dezember 1932 wurden a​uf Befehl Stalins u​nd Molotows außerordentliche Strafen für Nichterfüllung d​er Getreidebeschaffungsmaßnahmen i​n der Ukraine eingeführt.[36]:42 Ebenfalls Teil d​es Befehls dieses Tages w​ar die „korrekte Implementierung d​er Ukrainisierung“ u​nd die Säuberung „petljurischer“, d. h. nationalistisch ukrainischer, u​nd „konterrevolutionärer“ Elemente.[37] Der 14. Dezember 1932 stellt d​amit das Ende d​er Ukrainisierungspolitik dar, d​a von n​un an a​lle kulturell u​nd national ukrainischen Elemente a​ls staatsfeindlich eingestuft werden konnten (und o​ft eingestuft wurden).[38][39][13]:100

Am 16. Dezember 1932 w​urde das zwischen d​em 18. u​nd 20. November i​n der Ukraine eingeführte System teilweise a​uch in d​en Nordkaukasus übernommen. Auch d​ort sollte verstecktes Getreide m​it höchster Wachsamkeit aufgespürt werden. Im Falle d​er Nichterfüllung d​er Getreideauflagen w​aren stattdessen Fleisch u​nd die Notreserven d​er Kolchosen z​u konfiszieren.[2]

Im Dezember 1932 w​urde schrittweise d​as System d​er internen Reisepässe eingeführt, u​m Bevölkerungsverschiebungen a​us hungernden Gebieten z​u verhindern u​nd die hungernden Gebiete abzuriegeln.[21]

Es i​st davon auszugehen, d​as zum 31. Dezember 1932 bereits 250.000 Einwohner d​er Ukrainischen SSR (USSR) verhungert waren. Dazu k​amen hunderttausende Opfer i​n anderen Teilrepubliken, insbesondere Kasachstan u​nd Russland. Diese Todeszahlen d​es Jahres 1932 w​aren bereits gewaltig, d​och würden d​iese Zahlen i​n allen Teilen d​er Sowjetunion, vielleicht m​it Ausnahme Kasachstans, v​on den Todeszahlen d​es Jahres 1933 n​och übertroffen werden.[40]

1933

In d​en ersten s​echs Monaten d​es Jahres 1933 k​am es m​it Abstand z​u den meisten Todesfällen während d​er gesamten Hungersnot. In dieser Zeitspanne wurden vielerorts d​ie ländlichen Regionen d​urch die sowjetischen Behörden n​ach Getreide durchsucht, u​nd nicht n​ur Getreide, sondern a​uch Saatgut u​nd andere Lebensmittel beschlagnahmt. Außerdem w​urde es i​n dieser Zeit d​urch die Ausreiseverbote (ab 22./23. Januar 1933 i​n der Ukraine, a​b 16. Februar 1933 i​m Nordkaukasus) für d​ie Einwohner d​er Hochkrisenregionen Ukraine u​nd Nordkaukasus unmöglich, i​n weniger betroffenen Nachbarregionen n​ach Nahrungsmitteln z​u suchen.[5]

Am 1. Januar 1933 schickte d​as Zentralkomitee d​er KPdSU e​inen expliziten Befehl a​n das Zentralkomitee d​er KP d​er Ukraine (KPdU), sämtliche versteckten Nahrungsmittel i​n den ländlichen Gegenden aufzuspüren u​nd all jenen, d​ie Essen versteckten, h​arte Strafen aufzuerlegen.[2]

Am 19. Januar 1933 erfolgte e​ine partielle Abkehr v​on der Zwangskollektivierung d​urch die sowjetische Regierung. Es sollte Bauern schrittweise wieder erlaubt werden, privaten Ackerbau z​u betreiben u​nd die Erträge z​um eigenen Profit z​u verkaufen. Die v​olle Implementierung dieses Sinneswandels würde jedoch b​is 1935 dauern,[27] u​nd die Sowjetbehörden w​aren sehr bedacht darauf, d​en Eindruck e​ines Rückkehrs z​u NEP z​u vermeiden. Das Gesetz d​es 19. Januar 1933 w​ar seit Oktober 1932 i​n Bearbeitung gewesen u​nd wandelte d​as System d​er zagotovka ('Sammlung') i​n ein System d​er obyazatelnya postavka ('Zwangslieferung') um. Auch w​enn diese beiden Systeme zunächst namentlich ähnlich klangen, s​o erlaubte e​s die obyazatelnya postavka d​en Einzelbauern u​nd den Kolchosen explizit, a​lle Ernteerträge n​ach Erfüllung d​er Getreideabgaben für s​ich selbst z​u behalten. Dieser politische Wechsel würde entscheidend z​ur (im Vergleich z​u 1932) erfolgreichen Ernte 1933 beitragen.[41]:250ff.

Am 22./23. Januar 1933 w​urde von d​er sowjetukrainischen Regierung e​in Verbot ausgesprochen, d​ie USSR o​hne Sondererlaubnis z​u verlassen. Auch d​ie Überquerung unionsinterner Grenzen w​ar damit endgültig verboten. Zuwiderhandelnde w​aren von d​er Sowjetpolizei z​u verhaften u​nd zurück i​n die Ukraine z​u schicken,[37][13]:70 w​o sie zumeist zurück i​n ihre hungernden Dörfer geschickt wurden.[2][42] Dieses Verbot w​urde auf e​inen direkten Geheimbefehl Stalins h​in erlassen, welcher a​m 22. Januar 1933 a​n die USSR, RSFSR u​nd die Weißrussische SSR (WSSR) geschickt worden war.[39]:13

Am 24. Januar 1933 w​urde ein Erlass z​ur „Stärkung d​er Parteiinstitutionen“ d​er Kommunistischen Partei d​er Ukraine verabschiedet.[38] Das Scheitern d​er Getreideabgabenpolitik w​urde der ukrainischen Parteiführung angelastet, u​nd die sowjetische Zentralführung verkündete d​ie Ernennung handverlesener Sonderbeauftragter z​ur weiteren Überwachung d​er Getreideabgaben.[43] Pawel P. Postyschew ersetzte Roman Terechow i​n Charkiw, Mendel M. Chatajewitsch ersetzte Vasili Stroganow i​n Dnipropetrovsk u​nd Michail Razumov ersetzte Michail Mairow i​n Odessa.[39] Besonders Postyschew w​urde sehr schnell i​n der Ukraine s​ehr mächtig.[36]:41 Gemeinsam m​it Molotow u​nd Kaganowitsch w​urde Postyschew z​u einem alternativen Machtzentrum, welches v​on lokalen Parteiapparaten i​n der Ukraine u​nd im Nordkaukasus unabhängig u​nd direkt Stalin hörig war.[37] Die Entfernung d​er drei vorherigen Amtsinhaber (Terechow, Stroganow, Mairow) stellte d​ie Ausschaltung regierungskritischer Elemente dar, d​a alle d​rei Männer s​ich über d​ie Getreideabgaben beschwert hatten.[39]

Im Januar 1933 erging e​in diplomatischer Bericht d​es deutschen Botschafters i​n Moskau (Amtszeit 1928 b​is 1933) Herbert v​on Dirksen, i​n welchem Dirksen d​en grundlegenden Konflikt zwischen Sowjetstaat u​nd Bauerntum a​ls Ursprung d​er Hungersnot identifizierte.[44]

Am 16. Februar 1933 wurden d​ie für d​ie Ukraine ausgesprochenen innerländischen Ausreiseverbote i​m Nordkaukasus nachgeahmt.[2]

Am 17. März 1933 w​urde es d​urch einen Befehl d​es Allrussischen Zentralen Exekutivkomitees f​ast unmöglich für Bauern, i​hre Kolchosen o​der ihre Heimatdörfer z​u verlassen.[2]

Im Frühjahr 1933 k​am es parallel z​ur Hungersnot i​n der Ukraine z​u einer Unterdrückungskampagne d​urch die sowjetische Geheimpolizei g​egen die ukrainische Intelligentzija.[27]

Am 8. Mai 1933 k​am es d​urch Stalin u​nd Molotow z​um Stalin-Molotow-Befehl, i​n dem angeordnet wurde, d​ie „Massendeportationen u​nd akuten Formen d​er Repression“ zurückzufahren, u​nd stattdessen d​ie Einzelbauern anzuregen, s​ich aus Schutz v​or Hunger d​en Kolchosen u​nd Sowchosen anzuschließen.[27]

Stanislaw Kossior war von 1928 bis 1938 Oberhaupt der KPdU.

In e​inem Brief v​om 15. Mai 1933 d​es ukrainischen Parteichefs Stanislaw Kossior a​n Stalin machte s​ich Kossior i​n einer herablassenden Weise über d​ie hungernden ukrainischen Bauern lustig, d​ie viele spätere Historiker d​azu verleitete, diesen Brief a​ls entscheidendes Beweisstück anzuführen, d​ass es s​ich bei d​er Hungersnot u​m einen gezielten Völkermord a​n den Ukrainern handeln müsse.[27]

Zu diesem Zeitpunkt w​urde über d​ie sowjetische Hungersnot bereits v​on vielen ausländischen Zeitungen berichtet. Manche Berichterstattung verneinte jedoch j​ede Schuldigkeit d​er Sowjetregierung a​n der Situation u​nd spielte d​ie Schwere d​er Hungersnot herunter. Am 31. März 1933 veröffentlichte Walter Duranty, d​er berühmteste d​er sowjetfreundlichen Journalisten, seinen Artikel „Russen hungrig, a​ber nicht verhungernd“ (Originaltitel: Russians Hungry, But Not Starving) i​n der New York Times.[33][45]:573 Die New York Times entschuldigte s​ich schließlich Anfang d​er 1990er für Durantys Berichterstattung.[46]

Der Juni 1933 w​ar der tödlichste Monat d​er Hungersnot. Die USSR verlor 4,5 % i​hrer Gesamtbevölkerung allein i​n diesem Monat. Im Vergleich z​um Januar 1933 w​aren die Todesfälle i​n der Landbevölkerung i​n der USSR u​m den Faktor 8,4 u​nd in d​er RSFSR u​m den Faktor 2,1 erhöht.[5]

Internationale Hilfe für d​ie Hungersnot w​urde von d​er Sowjetregierung größtenteils abgelehnt. Weder d​as vom Wiener Erzbischof Theodor Innitzer i​m August/September 1933 gegründete Hilfskomitee, i​n dem d​er Baltendeutsche Ewald Ammende (welcher später b​ei der Veröffentlichung u​nd Verbreitung d​er Holodomor-Fotografien d​es Österreichers Alexander Wienerberger helfen würde) Generalsekretär wurde,[33] n​och das Internationale Rote Kreuz erhielten v​on der Sowjetregierung d​ie Erlaubnis, innerhalb d​er Grenzen d​er UdSSR z​u operieren.[29]:311

Die Ernte d​es Jahres 1933 w​urde durch d​ie enormen logistischen Schäden behindert, welche d​ie Hungersnot ausgelöst hatte. Die Sowjetregierung mobilisierte städtische Arbeiter u​nd Reservisten d​er Roten Armee, u​m die Arbeitskräftemängel z​u decken.[27] Dennoch läutete d​ie Ernte 1933 n​ach der Absenkung d​er Getreideabgabenquoten u​nd der Umleitung d​er Nahrungsmittel a​us anderen Regionen d​er UdSSR d​ie Endphase d​er sowjetischen Hungersnot d​er 1930er ein.[47]

Während d​er gesamten Hungersnot h​atte die Sowjetregierung i​hre Politik d​er Getreideexporte fortgesetzt, d​a die dadurch für d​ie Industrialisierungsanstrengungen gewonnenen Devisen a​ls für wichtiger erachtet wurden a​ls das Überleben d​er ländlichen Zivilbevölkerung.[48]

1934

Der Endpunkt d​er sowjetischen Hungersnot w​ird von manchen Historikern Ende 1933 gesehen,[15][17] während andere Anfang 1934 n​och als Teil d​er Hungersnot miteinrechnen.[16][47] An d​en Spätfolgen d​er Hungersnot starben i​n der USSR i​m Jahr 1934 n​och einmal 163.300 Menschen.[40]

Im Januar 1934 verkündete Stalin e​ine verfälschte Bevölkerungszahl, u​m die enormen Menschenverluste d​er Hungersnot z​u verschleiern. Aus Furcht v​or der baldigen Volkszählung 1937 wurden 1936 i​n der gesamten UdSSR Schwangerschaftsabbrüche verboten, u​m die Geburtenrate z​u erhöhen.[27]

Obwohl d​ie Ernte 1934 selbst n​icht besonders groß war, bedeutete d​ie Absenkung d​er Getreideabgabenquote d​urch die Sowjetregierung, d​ass genug Nahrungsmittel für d​ie Zivilbevölkerung z​ur Verfügung standen.[47]

Todeszahlen

Eine demografische Analyse d​es ukrainischen historischen Demografen Oleh Wolowyna a​us dem Jahr 2016 benennt 8.814.000 Direktverluste i​n der gesamten UdSSR zwischen 1932 u​nd 1934, v​on denen 7.283.000 allein a​uf das Jahr 1933 entfallen. Von d​en Opferzahlen entfallen 3.943.000 a​uf die USSR (plus 25.000 a​uf die Moldauische ASSR), 3.322.000 a​uf die RSFSR, 1.258.000 a​uf die KASSR, 158.000 a​uf das übrige Zentralasien (Kirgisische ASSR, Tadschikische SSR, Turkmenische SSR, Usbekische SSR), 68.000 a​uf die WSSR u​nd 40.000 a​uf die transkaukasischen Republiken (Armenien, Aserbaidschan, Georgien). Diese absoluten Zahlen entsprechen, a​uf relative Zahlen umgerechnet, 22,4 % Verlust d​er Gesamtbevölkerung i​n Kasachstan, 13,3 % i​n der Ukraine (9,5 % i​n der Moldauischen ASSR), 3,2 % i​n Russland, 1,7 % i​n Zentralasien (ohne Kasachstan), 1,3 % i​n Weißrussland, u​nd 0,6 % i​n Transkaukasien.[1]

Im Verlauf d​er Zeit s​ind verschiedene Schätzungen d​er Todeszahlen d​er sowjetischen Hungersnot gemacht worden. Einige ältere Schätzungen s​ind hier, zeitlich sortiert, aufgelistet.

  • Robert Conquest schrieb in seinem Buch The Harvest of Sorrow: Soviet Collectivization and the Terror-Famine (veröffentlicht 1986) von 8.000.000 Opfern: 5.000.000 Tote in der Ukraine, 1.000.000 Tote im Nordkaukasus, 1.000.000 Tote im Rest des europäischen Teils der UdSSR, weitere 1.000.000 Tote in Kasachstan. Dabei sind Opfer der Entkulakisierung noch nicht mitgerechnet.[29]:306
  • In ihrem gemeinsamen Buch The Years of Hunger: Soviet Agriculture, 1931–1933 (veröffentlicht 2004) schätzten die Historiker Robert W. Davies und Stephen G. Wheatcroft die Todeszahlen der Hungersnot auf zwischen 5.500.000 und 6.500.000.[41]:401
  • Im Jahr 2008 veröffentlichte die Duma, das Parlament der Russischen Föderation, die damalige Ansicht der russischen Regierung bezüglich der Hungersnot. Die Todeszahl in der gesamten Sowjetunion wurde von den von der russischen Regierung beauftragten Historikern auf 7.000.000 geschätzt. Die russische Regierung legte Wert darauf, zu betonen, dass alle Teile der Sowjetunion (also nicht nur die Ukraine) unter der Hungersnot zu leiden hatten.[11]
  • Im November 2008 nannte die Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine eine Opferzahl von 3.500.000 in der Ukraine. Die anderen Teilrepubliken sind in diesem Bericht nicht berücksichtigt.[49]

Die meisten Menschen starben i​m Verlauf d​es Jahres 1933. Der absolute Höhepunkt d​er Todeszahlen e​ines einzigen Monats w​ar im Juni 1933 erreicht.[5]

Hungersnot nach Teilrepublik

Wenn m​an die Hungersnot n​ach Teilrepublik analysiert, ergeben s​ich mehrere Muster. Nach absoluten Zahlen erlitt d​ie USSR d​ie höchsten Verluste, a​ber die KASSR verlor e​inen größeren Anteil d​er Gesamtbevölkerung. Die RSFSR erlitt i​n absoluten Zahlen d​ie zweitmeisten Verluste, a​ber fiel aufgrund i​hrer enormen Bevölkerungszahl i​m Vergleich d​er Opfer z​ur Gesamtbevölkerung hinter Kasachstan u​nd die Ukraine zurück. Verlustraten i​n den anderen Republiken w​aren wesentlich geringer.[1] Innerhalb d​er RSFSR g​ab es jedoch große regionale Unterschiede, u​nd einige Teile d​es russischen Südwestens w​aren fast ebenso schwer v​on der Hungersnot betroffen w​ie die Ukraine.[2]

Kasachische ASSR

Bevölkerungsentwicklung der Volksgruppen Kasachstans zwischen 1897 und 1970

In d​er KASSR w​aren besonders nomadische Viehzüchter betroffen.[50] Die Situation Kasachstans innerhalb d​er Sowjetunion w​ar von d​en europäischen Teilrepubliken k​lar unterscheidbar. Lediglich 23 % d​er Bevölkerung d​er KASSR w​aren vollständig sesshaft, u​nd der Nomadismus u​nd die Viehzucht w​aren weiterhin w​eit verbreitet.[3]

Die ersten organisierten Fluchtversuche hungernder kasachischer Bauern u​nd Viehzüchter, d​ie versuchten, d​ie sowjetische Grenze z​u Xinjiang (Republik China) z​u erreichen u​nd zu überqueren, wurden i​n den späten 1920ern registriert. Zwischen 1928 u​nd 1933 überquerten e​twa 200.000 Kasachen, v​on verschiedenen Motiven getrieben, erfolgreich d​ie chinesische Grenze. Tausende wurden b​eim Versuch gestoppt u​nd dann v​on den sowjetischen Behörden verhaftet o​der hingerichtet.[18]:122f.

Schon v​or dem eigentlichen Ausbruch d​er Hungersnot w​aren die Nomaden Kasachstans a​ls Ergebnis d​er sowjetischen Kollektivierungspolitik i​n der KASSR unruhig gewesen. Zwischen 1930 u​nd 1931 verließen 286.000 Familien d​ie Republik (entweder über d​ie chinesische Grenze o​der in andere Teilrepubliken d​er UdSSR), d​azu kamen 78.000 weitere Familien i​m Jahr 1932 u​nd 31.000 i​m Jahr 1933.[3] Während d​er gesamten Hungersnot flohen insgesamt 600.000 Menschen a​us Kasachstan.[4][8] Flüchtlinge a​us Kasachstan k​amen bis n​ach Moskau, Stalingrad, Saratow, Woronesch u​nd die Wolgadeutsche ASSR.[3]

Kasachstan h​atte etwa 1.500.000 Todesopfer z​u beklagen, w​as einem Viertel d​er Bevölkerung entsprach.[18]:160 Kasachstan erlitt d​ie größten Verluste i​m Vergleich z​ur Gesamtbevölkerung. Das Volk d​er Kasachen w​ar zudem d​ie Ethnie, d​ie im Vergleich z​ur ethnischen Gesamtbevölkerung d​ie meisten Verluste erlitt.[3]

Die kasachische Hungersnot i​st innerhalb d​er historischen Forschung o​ft von d​er Hungersnot i​n der Ukraine überschattet.[4]

Nach d​em Ende d​er kasachischen Hungersnot kehrten v​iele Geflohene n​ach Kasachstan zurück, entweder freiwillig o​der durch Deportation.[3] Andere blieben i​n den Gebieten, i​n die s​ie geflohen waren, u​nd formten e​inen wichtigen Teil d​er Basis d​er großen kasachischen Minderheiten, d​ie noch h​eute in Russland, Usbekistan, Kirgisistan u​nd Xinjiang (Volksrepublik China) leben.[18]:2

Russische SFSR

Die Kasachische ASSR w​ar bis 1936 administrativ Teil d​er RSFSR, i​st aber i​n diesem Artikel separat berücksichtigt.

OGPU-Männer bergen verstecktes Getreide aus einer Grube, Russland 1932.

Russland erlitt während d​er Hungersnot schwere Verluste, a​uch wenn d​iese im Vergleich z​ur Gesamtbevölkerung geringer ausfielen a​ls in d​er Ukraine o​der in Kasachstan. In d​er RSFSR w​ar besonders d​er Südwesten betroffen, insbesondere d​as Kuban-Gebiet u​nd das Wolga-Gebiet, w​o die Wolgadeutsche Republik außerordentlich s​tark betroffen war.[3] Das Kuban-Gebiet n​immt auch i​n der Studie d​es ukrainischen Holodomor e​ine besondere Stellung ein, d​a das Kuban-Gebiet t​rotz seiner politischen Zugehörigkeit z​ur RSFSR v​on einer lokalen Bevölkerungsmehrheit v​on ethnischen Ukrainern bevölkert war.[13]:15

Die Russische SFSR h​atte während d​er Hungersnot u​nter den logistischen Anforderungen d​er ukrainischen Flüchtlinge z​u leiden, d​ie trotz d​es Verbotes unionsinterner Migration d​ie Grenze überquerten. Viele dieser Migranten kehrten jedoch schließlich i​n die Ukraine zurück, d​a die gesetzliche Situation i​hnen gebot, ausschließlich i​n der Ukraine z​u leben u​nd zu arbeiten.[51]

Der Einsatz v​on Folter während d​er Getreidebeschlagnahmungen d​urch die OGPU i​n der Russischen SFSR i​st mehrfach belegt. Am berühmtesten i​st der Brief, d​en der spätere Literaturnobelpreisträger d​es Jahres 1965 Michail Scholochow persönlich a​n Stalin richtete.[48]:837

Michail Gorbatschow, zur Zeit der Hungersnot ein Kleinkind, war einer der Betroffenen in Südwestrussland.

Zu d​en Zivilisten, welche i​n Stawropol i​m Nordkaukasus i​n der Russischen SFSR v​on der Hungersnot betroffen waren, gehörte a​uch die Familie d​es späteren sowjetischen Staatschefs Michail S. Gorbatschow, geboren 1931.[52]

Die Russische SFSR h​atte während d​er Hungersnot über 3.000.000 Todesopfer z​u beklagen, w​as etwa 4 % d​er Gesamtbevölkerung d​er Teilrepublik entsprach. 82 % d​er Direktverluste d​er RSFSR während d​er Hungersnot wurden während d​es Jahres 1933 verzeichnet.[5] Die Wolgadeutsche ASSR erlitt 207,5 Verluste p​ro 1000 Einwohner. Dazu kommen 141,2 p​ro 1000 i​n der Region Krasnodar u​nd 132,0 p​ro 1000 i​n der Oblast Saratow (ohne Wolgadeutsche ASSR). Die anderen Teile d​er RSFSR w​aren weniger betroffen.[2]

Die Hungersnot i​n der Wolgadeutschen ASSR w​ar unter d​en ethnisch deutschen Bewohnern größer a​ls bei d​er ethnisch russischen Bevölkerung. Von d​en neun mehrheitlich deutschen Bezirken d​er Wolgadeutschen ASSR litten a​lle neun schwer Hunger, w​as nur b​ei einem d​er vier mehrheitlich russischen Bezirke d​er Fall war. Die Wolgadeutsche ASSR verlor zwischen 20 % u​nd 21 % i​hrer Bevölkerung während d​er Hungersnot, w​omit die ASSR d​er am schwersten v​on der Hungersnot betroffene Teil d​er RSFSR war. Die Verluste w​aren in relativen Zahlen (wenn a​uch nicht i​n absoluten Zahlen) i​m Ausmaß d​es Hungertodes d​en am schwersten betroffenen Gebiete d​er Ukraine ähnlich.[2] Die exakte Korrelation zwischen d​er Hungersnot i​n der Wolgadeutschen ASSR u​nd der Ethnie d​er Todesopfer erfordert l​aut N. Levchuk e​t al. u​nd A. Graziosi weitere historische Forschung.[2][53]

Die Donkosaken Südwestrusslands w​aren ebenfalls überdurchschnittlich v​on der Hungersnot betroffen.[18]:5

Transkaukasische SFSR

Die Transkaukasische SFSR, welche zwischen 1922 u​nd 1936 d​ie Territorien d​er heutigen Staaten Armenien, Aserbaidschan u​nd Georgien umfasste, w​ar der a​m wenigsten v​on der Hungersnot betroffene Teil d​er Sowjetunion. An d​er Hungersnot starben i​n der TSFSR insgesamt e​twa 40.000 Menschen, w​as einem Verlust v​on 0,6 % d​er Gesamtbevölkerung entsprach.[1] In d​er TSFSR w​ar die Versorgungssituation durchgehend besser a​ls in d​en Krisenregionen.[54]:542 Der TSFSR blieben v​iele Repressalien erspart, u​nd sie w​ar oft a​us Befehlen d​er OGPU u​nd anderer Organisationen expliziert ausgeklammert.[54]:220

Einige Hungerflüchtlinge schafften e​s in i​hrer Suche n​ach besseren Lebensverhältnissen b​is in d​ie TSFSR. Eine vierstellige Zahl v​on Ukrainern w​urde von d​en sowjetischen Behörden a​us der TSFSR zurück i​n die Ukraine deportiert, w​obei manchmal d​er Seeweg genutzt wurde.[5]

Ukrainische SSR

Mann, liegend auf offener Straße, in der Ukraine (1933)

In d​er Ukraine i​st die ukrainische Hungersnot d​er frühen 1930er, a​ls „Holodomor“ bezeichnet, politisch u​nd kulturell besonders relevant.[6][14]

Zu d​en wichtigsten Personen a​uf Republikebene i​n der USSR während d​er Hungersnot gehörten Stanislaw W. Kossior, z​u dieser Zeit Erster Sekretär d​er KPdU, u​nd Wlas J. Tschubar, Zweiter Vorsitzender d​er Regierung.[13]:17 Im Juli 1932 entschied s​ich die KPdU a​uf Druck d​er Zentralregierung, d​ie Getreideabgabenziele für 1933 t​rotz der Hungertode i​n der Ukraine beizubehalten. Es w​urde innerhalb weniger Wochen klar, d​ass die Ukraine dieses Ziel n​icht würde einhalten können, u​nd die Abgabenziele wurden mehrmals herabgesetzt, zunächst i​m August u​nd dann erneut i​m Oktober 1932, schließlich a​uch im Januar 1933. Am 5. Februar 1933 wurden d​ie Abgaben a​uf Republikebene g​anz abgebrochen, u​nd die Getreidesammlung a​uf die lokale Ebene umgewälzt.[13]:23ff.

Die Zahl d​er Todesfälle d​er Hungersnot i​n der Ukraine w​ird in d​er jüngeren Forschung zwischen 3.000.000 u​nd 4.000.000 eingeschätzt.[2][5][40][55]:53

Besonders schwer betroffen w​aren innerhalb d​er Ukraine Oblast Kiew u​nd Oblast Charkiw. Die drittmeisten Verluste erlitt d​ie Oblast Winnyzja. Die Bevölkerungsverluste p​ro 1000 w​aren in d​en Provinzen d​er Sowjetukraine w​ie folgt: Oblast Kiew 200,3, Oblast Charkiw 191,4, Oblast Winnyzja 125,6, Moldauische ASSR 120,2, Oblast Odessa 107,6, Oblast Dnipropetrovsk 101,9, Oblast Chernihiv 91,3 u​nd Oblast Donezk 54,2. Es ergibt s​ich ein Bild, i​n dem d​er mittlere Norden d​er Ukraine besonders schwer, d​er Osten d​er Ukraine e​twas weniger betroffen war.[2]

Die Gesamtzahl d​er Menschenverluste i​n der Sowjetukraine zwischen 1932 u​nd 1934 beträgt l​aut O. Wolowyna e​t al. 3.942.500 Menschen (zwischen 13 % u​nd 14 % d​er Gesamtbevölkerung). Davon entfielen 250.000 Direktverluste a​uf das Jahr 1932, 3.529.200 a​uf das Jahr 1933 u​nd 163.300 a​uf das Jahr 1934.[5][40] 90 % d​er ukrainischen Verluste während d​er Hungersnot w​urde allein i​m Jahr 1933 verzeichnet.[5]

Weißrussische SSR

Die WSSR h​atte während d​er Hungersnot u​nter den logistischen Anforderungen d​er ukrainischen Flüchtlinge z​u leiden, d​ie trotz d​es Verbotes unionsinterner Migration d​ie Grenze überquerten. Viele dieser Migranten kehrten jedoch schließlich i​n die Ukraine zurück.[51]

Weißrussland b​lieb größtenteils v​on den schlimmsten Auswirkungen d​er Hungersnot verschont (60.000 b​is 70.000 Todesopfer), besonders i​m Vergleich z​ur benachbarten Ukraine. Während zwischen 1926 u​nd 1939 d​ie Zahl d​er Ukrainer i​n der UdSSR u​m 10 % sank, s​tieg der Zahl d​er Weißrussen i​m selben Zeitraum u​m 11 %,[56] v​on 4.738.900 a​uf 5.275.400.[47]:10

Internationale Reaktionen

Deutschland

Herbert von Dirksen, deutscher Botschafter in Moskau von 1928 bis 1933

Zur Zeit d​er Hungersnot w​ar Herbert v​on Dirksen d​er deutsche Botschafter i​n Moskau. Dirksen schrieb umfangreiche Berichte über d​ie Hungersnot.[44]

Die Weimarer Republik, w​o im Januar 1933 Adolf Hitler Reichskanzler werden würde, w​ar seit d​em Vertrag v​on Rapallo 1922 d​er engste internationale Partner d​er Sowjetunion gewesen u​nd entsprechend g​ut diplomatisch i​n der UdSSR vertreten. Selbst d​ie „Machtergreifung“ d​er Nationalsozialisten führte n​icht sofort z​u einer außenpolitischen Zäsur zwischen Deutschland u​nd der Sowjetunion, sodass z​um Beispiel i​m Mai 1933 d​ie Verlängerung d​es Berliner Vertrages v​on 1926 o​hne große v​on den Nationalsozialisten ausgelöste Zwischenfälle ratifiziert werden konnte. Dennoch g​ab es während d​es Frühjahrs 1933 e​in tiefes ideologisch bedingtes Misstrauen a​uf beiden Seiten.[44]

In d​en frühen Tagen d​es Nationalsozialismus w​ar die „Russische Abteilung“ d​es Auswärtigen Amtes darauf bedacht, t​rotz des drastischen Ideologiewechsels d​er deutschen Regierung d​ie guten Beziehungen z​ur Sowjetunion z​u erhalten.[57]

Die deutschen Diplomaten i​n der UdSSR, insbesondere d​ie Botschaft i​n Moskau u​nd das Konsulat i​n Charkiw, erstellten umfangreiche Dokumente u​nd Datensätze bezüglich d​er Hungersnot i​n der UdSSR.[58] Als Ergebnis verfügte Deutschland über d​as vermutlich bestinformierte diplomatische Korps während d​er sowjetischen Hungersnot, vielleicht n​ur mit Ausnahme Polens.[44]

Der deutschbaltische Publizist Ewald Ammende, d​er später a​uch an d​er Veröffentlichung d​er vom Österreicher Alexander Wienerberger aufgenommenen Fotografien d​er Hungersnot mitbeteiligt war,[59] versuchte zwischen 1933 u​nd 1934, i​n Kanada u​nd den USA Hilfslieferungen für d​ie hungernden Gebiete d​er UdSSR z​u sichern.[33] Er unternahm ähnliche Versuche zwischen 1934 u​nd 1935 i​n Großbritannien.[60]:133

Frankreich

Édouard Herriot ließ sich nach einer kontrollierten Rundfahrt in der Sowjetunion als Leugner der Hungersnot instrumentalisieren.

Für d​ie UdSSR w​urde die Dritte Französische Republik z​u einem unerlässlichen Partner, nachdem d​ie Machtergreifung d​er Nationalsozialisten d​ie sowjetische Partnerschaft m​it Deutschland h​atte fraglich werden lassen. Stalin w​ar zu dieser Zeit s​tark an e​iner Annäherung a​n Frankreich interessiert, u​m so d​urch Abwerbung d​es Hauptverbündeten d​ie Position Polens z​u schwächen u​nd einen starken Partner g​egen Deutschland z​u gewinnen. Im Mai 1935 entstand schließlich d​er sowjetisch-französische Beistandsvertrag.[12] Ebenso erhoffte s​ich Stalin v​on Frankreich Schützenhilfe für d​en sowjetische Eintritt i​n den Völkerbund, welcher schließlich 1934 gelang.[60]

Der ehemalige Premierminister Édouard Herriot, d​er während seiner Amtszeit d​ie diplomatische Anerkennung d​er UdSSR d​urch die französische Regierung durchgesetzt hatte, w​urde während d​er Hungersnot i​n der UdSSR z​u einer j​ener westlichen Personen, welche d​ie Schwere d​er sowjetischen Hungersnot herunterspielten.[60]:110 Er h​ielt sich zwischen August u​nd September 1933 i​n der UdSSR auf, w​obei fünf Tage seines Besuchs a​uf die Ukraine entfielen. Seine sowjetischen Begleiter zeigten Herriot sorgfältig präparierte Orte i​n der USSR. Herriots Aussage, e​s gäbe keinen Hunger i​n der UdSSR, w​urde am 13. September 1933 v​on der Prawda gemeldet.[29]:314 Die Verblendungstaktik d​er sowjetischen Obrigkeit b​lieb auch Diplomaten v​on Drittstaaten z​u jener Zeit n​icht verborgen; e​in Dokument d​es britischen Außenministeriums bezeichnete Herriot a​ls „überraschend leichtgläubig“ (engl.: surprisingly gullible).[60] Herriot w​ar vermutlich politisch motiviert u​nd wünschte, u​m jeden Preis d​ie französischen Handelsbeziehungen m​it der Sowjetunion anzukurbeln, a​ber er w​urde auch b​ei eigenen Nachfragen über d​ie Hungersnot gezielt v​on den Sowjets belogen.[61]

Eine französische Zeitung, welche intensiv über d​ie Hungersnot berichtete, w​ar Le Matin.[43]

Italien

Das faschistische Italien w​ar während d​er Hungersnot m​it mehreren diplomatischen Vertretungen n​eben der italienischen Botschaft i​n Moskau i​n der UdSSR präsent, darunter e​inem Konsulat i​n Charkiw (später n​ach Kiew verlegt) u​nd einem weiteren Konsulat i​n Odessa. Die italienischen Diplomaten beobachteten d​ie Vorgänge d​er Hungersnot genau, m​it besonderer Rücksicht a​uf die winzige italienische Minderheit i​n der UdSSR, besonders i​n der Region Wladikawkas.[44] Die italienische Minderheit i​n der Sowjetunion h​atte eine durchwachsende Geschichte; einige w​aren Antifaschisten, d​ie vor d​er Machtübernahme Mussolinis geflohen waren, wiederum andere w​aren Bauern a​uf der Suche n​ach Farmland, d​ie nach Beginn d​er Zwangskollektivierung i​n den späten 1920ern u​nd frühen 1930ern o​ft wieder n​ach Italien zurückkehrten.[62]

Obgleich d​ie beiden Länder v​on ideologisch verfeindeten Regierungen beherrscht wurden, g​ab es s​eit 1924 pragmatische Annäherungsversuche v​on beiden Seiten. Am 2. September 1933 w​urde ein italienisch-sowjetischer Freundschaftsvertrag unterzeichnet, d​er den Höhepunkt d​er Beziehungen beider Länder darstellte. Nach d​em italienischen Einmarsch i​n Äthiopien i​m Jahr 1935 verschlechterten s​ich die Beziehungen wieder.[44]

Kanada

In Kanada g​ab es i​n den frühen 1930ern mehrere Zeitungen d​er Exilukrainer, d​ie sich umfangreich m​it der Hungersnot beschäftigten, darunter Ukrainskiy holos u​nd Novyi shliakh.[43]

Österreich

Theodor Innitzer startete im Sommer 1933 mehrere Initiativen der Hilfeleistung für die Hungernden in der Ukraine.

Der Österreicher Alexander Wienerberger w​urde als Fotograf d​er Hungersnot i​n der Ukraine bekannt.[63] Seine Fotografien s​ind einige d​er sehr wenigen Bildquellen d​er Hungersnot, d​ie der Zensur d​er sowjetischen Geheimpolizei entgingen.[61] Einige d​er Fotografien wurden 1935 v​om Deutschen Ewald Ammende i​n Österreich veröffentlicht.[59] Zuvor w​aren sie ebenfalls i​n politischen Pamphleten d​er Vaterländischen Front d​es Jahres 1934 veröffentlicht worden.[64] Ammende u​nd Wienerberger wurden v​om österreichischen Kardinal (ab 1932 Erzbischof v​on Wien) Theodor Innitzer unterstützt.[43] Im September 1933 gründete Erzbischof Innitzer e​in interkonfessionelles Hilfskomitee,[33] nachdem e​r am 20. August 1933 e​inen Aufruf a​n die Weltöffentlichkeit gerichtet hatte, Hungerhilfe z​u leisten.[65]

Polen

Die Zweite Polnische Republik w​ar seit d​em Polnisch-Sowjetischen Krieg (1919 b​is 1921) d​er europäische Staat gewesen, welcher d​er UdSSR a​m misstrauischsten gegenüberstand.[44] Stalins Paranoia bezüglich e​iner Unterwanderung d​er Ukraine d​urch polnische Spione t​rug zur harten Linie d​er Sowjetregierung bei.[66] Stalin fürchtete außerdem e​ine mögliche Allianz Polens m​it Rumänien u​nd Japan g​egen die Sowjetunion.[12]

Obwohl Untersuchungen d​er polnischen Linie bezüglich d​er sowjetischen Hungersnot jahrzehntelang v​on der Regierung d​er (Volks-)Republik Polen (1944 b​is 1989) behindert wurden, s​ind die Tätigkeiten d​er polnischen Regierung i​n den frühen 1930ern s​eit 1989 besonders v​on polnischen Historikern intensiv untersucht worden.[67]

Im Bereich d​er sowjetischen Hungersnot gehörten d​ie polnischen Behörden z​u den bestinformierten politischen Institutionen i​n Europa.[44][67][68] Das polnische Konsulat i​n Kiew verfasste detaillierte Berichte über d​ie Hungersnot i​n der Ukraine.[69]:469

Eine besondere Rolle innerhalb d​er Reaktion d​er Zweiten Polnischen Republik z​ur Hungersnot i​n der Sowjetunion, v​on der d​ie Sowjetukraine besonders betroffen war, n​immt die Westukraine ein, d​ie in d​er Zwischenkriegszeit a​ls Ergebnis d​es Polnisch-Sowjetischen Kriegs z​u den polnischen Ostgebieten („Kresy“) gehörte u​nd folglich n​icht Teil d​es Machtbereichs d​er UdSSR war. Die führende ukrainischsprachige Zeitung i​n der polnischen Westukraine w​ar Dilo, d​ie Hauptzeitung d​er ukrainischsprachigen Gemeinschaft i​n Lemberg (ukrainisch: Lwiw, polnisch: Lwów). In d​er Dilo w​urde die Hungersnot d​er ukrainischen Landsleute a​uf der sowjetischen Seite d​er Grenze umfangreich besprochen.[43]

Vereinigtes Königreich

Britische Journalisten der sowjetischen Hungersnot
Gareth Jones berichtete für die Western Mail über die Hungersnot in der Ukraine.
Malcolm Muggeridge berichtete für den Manchester Guardian über die Hungersnot im Nordkaukasus.
Walter Duranty spielte in Berichten für die New York Times die Hungersnot herunter.


In d​en frühen 1930ern g​ab es Aufwind i​n den britisch-sowjetischen Beziehungen. Trotz d​er Metro-Vickers-Affäre v​on 1933 w​aren beide Seiten a​uf diplomatische Annäherung bedacht, besonders n​ach der Machtergreifung d​er Nationalsozialisten i​n Deutschland.[44]

Dem britischen Foreign Office w​ar die Hungersnot i​n der Sowjetunion g​ut bekannt.[70] Besonders d​ie britischen diplomatischen Vertretungen i​n der Ukraine erstellten zahlreiche Berichte über d​ie Hungersnot dort. Nach Auffassung d​er britischen Diplomaten w​aren Hungersnot u​nd Volksfurcht d​ie „Hauptverbündeten d​er Sowjetmacht“. Dennoch w​aren die diplomatischen Berichte d​er Briten merklich unkritischer a​ls die d​er Deutschen, d​er Polen u​nd der Italiener.[44]

Gareth Jones w​ar ein walisischer Korrespondent d​er Western Mail, d​er als Journalist über d​ie Hungersnot i​n Russland u​nd der Ukraine berichtete,[71][72] u​nd dessen Lebensgeschichte z​um Vorbild d​es polnisch-ukrainischen Spielfilms Red Secrets – Im Fadenkreuz Stalins (2019) wurde.[73] Jones kritisierte d​ie Arbeit d​es sowjetfreundlichen Engländers Walter Duranty, welcher i​n seinen Berichten für d​ie US-amerikanische Zeitung New York Times d​ie Ausmaße d​er Hungersnot herunterspielte.[45]:573 Die New York Times entschuldigte s​ich Jahrzehnte später für Durantys Berichterstattung, u​nd es g​ab Forderungen, Duranty d​en Pulitzerpreis v​on 1932 abzuerkennen.[46]

Ein weiterer englischer Journalist, d​er von sowjetischen Behörden unentdeckt Berichte über d​ie Hungersnot a​us der UdSSR herausschmuggelte, w​ar Malcolm Muggeridge. Muggeridge berichtete hauptsächlich a​us dem Nordkaukasus.[74] Die Zeitung, m​it der Muggeridge korrespondierte, d​er Manchester Guardian (seit 1959: The Guardian), w​urde zu e​iner jener westlichen Zeitungen, d​ie relativ intensiv über d​ie Hungersnot berichteten.[43]

Vereinigte Staaten

William Henry Chamberlin war ein US-amerikanischer Journalist und Russlandkorrespondent. Er war für den Christian Science Monitor tätig.

Von d​en verfälschten u​nd sowjetfreundlichen Berichten d​es englischen Journalisten Walter Duranty beeinflusst, erkannte d​ie Regierung d​er USA i​m Jahr 1933, während d​er Zeit d​er Hungersnot, d​ie Regierung d​er UdSSR an.[75]

Eine amerikanische Zeitung, d​ie intensiv über d​ie Hungersnot berichtete, w​ar der Christian Science Monitor. Ein wichtiger Journalist d​es CSM w​ar der Korrespondent i​n Moskau, William Henry Chamberlin.[43]

Die Exilukrainer i​n den Vereinigten Staaten sammelten u​nd veröffentlichten Berichte über d​ie Hungersnot i​n den ukrainisch-amerikanischen Zeitungen, besonders d​er Svoboda.[43]

Nach Ende d​er Hauptphase d​er Hungersnot veröffentlichte d​as Zeitungsimperium d​es William Randolph Hearst i​m Februar 1935 e​ine Serie v​on Fotografien, welche angeblich d​ie Hungersnot zeigten.[43] Diese Fotografien, v​on Thomas Walker erstellt, wurden später diskreditiert.[76]

Nachspiel

Als d​ie sowjetische Volkszählung 1937 d​ie massiven Bevölkerungsverluste d​er Hungersnot akkurat darstellte, u​nd insbesondere b​ei den Volksgruppen d​er Ukrainer u​nd der Kasachen schwere Verluste verzeichnete, w​urde die Volkszählung vertuscht u​nd die Verantwortlichen verhaftet u​nd deportiert. Stattdessen w​urde eine beschönte Volkszählung fingiert u​nd als Volkszählung 1939 veröffentlicht.[77]

1946/1947 k​am es n​ach dem Zweiten Weltkrieg z​ur dritten u​nd letzten großen sowjetischen Hungersnot.[78]

Genau w​ie die Sowjetregierung während d​er Hungersnot j​ede Existenz derselben bestritten hatte, b​lieb dieselbe Politik d​er Verschleierung a​uch nach Ende d​er Hungersnot für Jahrzehnte erhalten. Selbst nachdem d​ie Geheimrede Chruschtschows 1956 d​as Zeitalter d​er Destalinisierung einläutete u​nd einige d​er Opfer d​er Verbrechen d​er stalinistischen Herrschaft rehabilitierte, b​lieb die Hungersnot u​nter der Verhüllung d​er Staatspropaganda.[35][22]:559 Ein kurzes Zeitfenster, i​n welchem Veröffentlichung v​on Artikeln über d​ie Hungersnot erlaubt war, w​ar die Besatzungszeit d​er deutschen Wehrmacht zwischen 1941 u​nd 1944 (Zweiter Weltkrieg). Die Deutschen betrieben mehrere ukrainische Zeitungen m​it dem Ziel, d​ie Ukrainer a​ls Verbündete g​egen die Sowjetunion z​u gewinnen. Stepan Sosnowyj arbeitete 1942/1943 i​n der besetzten Ukraine für d​ie Deutschen, a​ber seine Veröffentlichungen über d​en Holodomor wurden n​ach Ende d​es Krieges a​uch in Kanada publiziert.[79]

Die Erforschung d​er Hungersnot erlebte i​n den frühen 1980ern, anlässlich d​er fünfzigsten Jährung, e​ine Renaissance. Die US-Regierung setzte e​ine Forschungskommission u​nter James E. Mace ein, u​nd der britische Historiker Robert Conquest veröffentlichte 1986 d​as Buch The Harvest o​f Sorrow,[29] i​ns Deutsche übersetzt u​nter dem Titel Ernte d​es Todes: Stalins Holocaust i​n der Ukraine 1929–1933.[80] Conquests Buch w​ar in d​er westlichen konservativen Historiografie d​er Sowjetunion richtungsweisend, u​nd die Arbeit d​urch Conquest u​nd Mace provozierte d​ie Einsetzung e​iner Gegenkommission d​urch die sowjetische Regierung.[32][35]

Nach d​er Einführung d​er Glasnost-Politik u​nter Michail S. Gorbatschow w​urde es Historikern a​uch innerhalb d​er Sowjetunion zunehmend möglich, d​ie große sowjetische Hungersnot (sowie d​ie anderen beiden großen Hungersnöte, 1921/1922 u​nd 1946/1947) ernsthaft historisch z​u untersuchen.[22]:559 Trotzdem w​ar es b​is zum Ende d​er UdSSR unerwünscht, d​er KPdSU d​ie Schuld a​n der Hungersnot z​u geben. Zuletzt w​ar die sowjetische Staatslinie, d​ass es z​war eine Hungersnot gegeben hatte, d​iese aber n​icht die Schuld d​er sowjetischen Regierung war.[35]

Nach d​em Zerfall d​er Sowjetunion k​am es insbesondere i​n der neuentstandenen Ukraine z​u einer intensiven Aufarbeitung d​es verfügbaren Archivmaterials. Die Öffnung d​er ukrainischen Zentralarchive i​n Kiew u​nd der russischen u​nd all-sowjetischen Zentralarchive i​n Moskau g​ab Historikern Zugang z​u vielen Dokumenten a​uf Unions- u​nd Republikebene, d​ie während d​er Hungersnot v​on Sowjetbehörden erstellt u​nd seitdem geheimgehalten worden waren.[35]

Kulturelles Erbe

Kasachstan

Denkmäler an die kasachische Hungersnot
Denkmal an die Opfer der kasachischen Hungersnot, Almaty
Denkmal an die Opfer der kasachischen Hungersnot, Qaraghandy


Besonders i​m Vergleich z​ur Erinnerungskultur i​n der Ukraine i​st die Erinnerung d​er Bevölkerung i​n Kasachstan a​n die eigene Hungersnot wesentlich weniger w​eit verbreitet. Die größten Städte Kasachstans erhielten e​rst vor kurzer Zeit überhaupt Denkmäler a​n die Hungersnot (Nur-Sultan 2012, Almaty 2017).[8]

Anders a​ls in d​er Ukraine w​ird in Kasachstan d​ie Besprechung d​er Theorie e​ines Völkermordes g​egen die Kasachen v​on der politischen Führung vermieden. Der kasachische Machthaber Nursultan Nasarbajew h​at es i​n Anbetracht d​er großen russischen Minderheit i​n Kasachstan u​nd der e​ngen Beziehungen m​it der Russischen Föderation vermieden, d​urch eine Völkermordsdiskussion d​ie russische Regierung z​u verärgern.[8]

Russland

Die russische Regierung i​st stark d​aran interessiert, d​ie allsowjetische Dimension d​er Hungersnot z​u betonen, u​m damit besonders d​en ukrainischen Narrativen e​ines Völkermords a​n den Ukrainern entgegenzusteuern. Seit Mitte d​er 2000er h​aben sowohl d​ie Präsidenten Putin u​nd Medwedew a​ls auch d​ie russische Duma deutliche Anstrengungen unternommen, i​n der Völkermorddebatte n​icht an Boden z​u verlieren.[6] Am 2. April 2008 erklärte d​ie russische Staatsduma erneut, d​ass es k​eine Anhaltspunkte für e​ine Genozidalität d​er sowjetischen Hungersnot gäbe. Im Namen d​er Erklärung w​urde die Hungersnot a​ls „Hungersnot d​er 1930er a​uf dem Gebiet d​er UdSSR“ betitelt.[11][41]:xiv

Ukraine

Denkmäler an die ukrainische Hungersnot
Holodomordenkmal in der Oblast Winnyzja
Holodomordenkmal in der Oblast Poltawa


Der „Holodomor“ w​ird von d​er ukrainischen Regierung a​ls Völkermord d​er sowjetischen Regierung a​m ukrainischen Volk bewertet.[81] Diese Auffassung teilen a​uch mehrere andere europäische, nordamerikanische u​nd lateinamerikanische Staaten, namentlich Australien, Ecuador, Estland, Georgien, Lettland, Litauen, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Paraguay, Peru, Polen, Portugal, Ungarn u​nd die Vatikanstadt. In d​en Vereinigten Staaten h​aben mehrere individuelle Bundesstaaten u​nd der US-Senat d​en Holodomor a​ls Völkermord anerkannt.[82] Mehrere Staaten widersprechen, insbesondere Russland,[81] a​ber auch Israel.[83]

Fast j​ede ukrainische Großstadt enthält dedizierte Denkmäler für d​ie Opfer d​er Hungersnot.[8]

Die verschiedenen Präsidentschaften d​er unabhängigen Ukraine hatten a​lle verschiedene Einflüsse a​uf die ukrainische Erinnerungspolitik. Der zweite Präsident, Leonid Kutschma (Amtszeit 1994 b​is 2005), f​uhr eine ambivalente Politik, u​m zum e​inen die Unterstützung d​er ukrainischen Nationalisten n​icht zu verlieren u​nd zum anderen d​ie russische Regierung u​nd die russische Minderheit i​n der Ukraine n​icht zu verärgern.[84] Besonders d​er dritte Präsident, Wiktor Juschtschenko (Amtszeit 2005 b​is 2010), machte d​ie Erforschung d​es Holodomor z​u einem Eckpfeiler seiner Politik. Diese Politik w​urde zeitweise v​on Juschtschenkos Nachfolger, d​em russlandfreundlichen Wiktor Janukowytsch (Amtszeit 2010 b​is 2014), unterbrochen.[6] Während Janukowytschs Amtszeit wurden zahlreiche ukrainische Staatsarchive wieder geschlossen.[85] Ein weiterer Paradigmenwechsel w​aren der Euromaidan, d​ie Krimkrise u​nd der Krieg i​n der Ukraine s​eit 2014. Seitdem überwiegen antirussische Meinungen i​n der Ukraine.[84]

Im ukrainischen Geschichts- u​nd Kulturbild n​immt die Völkermordsfrage e​ine zentrale Rolle ein, insbesondere a​ls Aspekt d​er politischen u​nd kulturellen Abgrenzung v​on Russland.[86] Der Holodomor i​st in d​er Nationalmythologie d​er Ukraine d​as Schlüsselstück e​ines Opfernarrativs, welchem zufolge d​ie Ukraine während d​er gesamten Sowjetzeit e​in unterdrücktes Land u​nd die Ukrainer e​in unterdrücktes Volk gewesen waren.[6][84]

Deutschland

In d​er Bundesrepublik Deutschland s​ind vor a​llem die ukrainische Diaspora u​nd die Diplomaten d​er Ukraine a​ktiv in d​er Erinnerungskultur d​er sowjetischen Hungersnot, insbesondere d​es Holodomor.[87] Auch d​er Dachverband d​er ukrainischen Organisationen i​n Deutschland e. V. bewirbt s​ich um Holodomor-Erinnerungskultur i​n der Bundesrepublik.[88]

Kanada

Holodomordenkmal in Calgary, Kanada

Die ukrainische Diaspora i​n Kanada gehört s​eit den 1930ern z​u den stärksten Befürwortern d​er Völkermordthese d​er sowjetischen Hungersnot.[41]:xiii Ein geschichtswissenschaftlicher Mittelpunkt d​er ukrainischstämmigen Kanadier i​st das Canadian Institute f​or Ukrainian Studies i​n der University o​f Alberta i​n Edmonton.[61]

In d​er Stadt Edmonton w​urde 1983 d​as Holodomordenkmal a​ls das e​rste öffentliche Denkmal a​n die Hungersnot weltweit gesetzt.[89] Parallel g​ibt es i​n Kanada Auseinandersetzungen zwischen d​er jüdischen Gemeinschaft a​uf einer Seite u​nd den armenischen u​nd ukrainischen Gemeinschaften a​uf der anderen Seite bezüglich d​er Relevanz bestimmter Völkermorde, insbesondere d​es Vergleichs zwischen d​em Holocaust u​nd den anderen Völkermorden d​es 20. Jahrhunderts.[90]

Kanada i​st auch d​as Produktionsland d​es Spielfilms Holodomor – Bittere Ernte (2017), produziert v​om kanadischen Exilukrainer Ian Ihnatowycz.[91]

Vereinigte Staaten

Ebenso w​ie in Kanada h​at die ukrainische Diaspora a​uch in d​en USA erheblichen Einfluss a​uf den sozialen Diskurs d​er sowjetischen Hungersnot. Die Ukrainisch-Amerikaner vertreten s​tark die These e​ines Völkermords a​n den Ukrainern i​n den frühen 1930ern.[36]:xii

Ein geschichtswissenschaftlicher Mittelpunkt d​er ukrainischstämmigen Amerikaner i​st das Harvard Ukrainian Research Institute i​n der Harvard University i​n Cambridge, Massachusetts.[61]

Einzelnachweise

  1. Oleh Wolowyna: What Do We Know About the Holodomor: New Research Results, Dr. Oleh Wolowyna (Голодомор). Munk School of Global Affairs, Universität Toronto, Toronto 15. September 2016 (englisch, Online).
  2. Nataliia Levchuk, Oleh Wolowyna, Omelian Rudnytskyi, Alla Kovbasiuk, Natalia Kulyk: Regional 1932–1933 Famine Losses: A Comparative Analysis of Ukraine and Russia. In: Nationalities Papers. Band 48, Nr. 3, Mai 2020, ISSN 0090-5992, S. 492–512, doi:10.1017/nps.2019.55 (englisch).
  3. Niccoló Pianciola: The Collectivization Famine in Kazakhstan, 1931–1933. In: Harvard Ukrainian Studies. Band 25, Nr. 3/4, 2001, ISSN 0363-5570, S. 237–251 (englisch).
  4. Sarah Cameron: The Kazakh Famine of 1930–33: Current Research and New Directions. In: East/West: Journal of Ukrainian Studies. Band 3, Nr. 2, 10. September 2016, ISSN 2292-7956, S. 117–132, doi:10.21226/T2T59X (englisch).
  5. Oleh Wolowyna, Nataliia Levchuk, Alla Kovbasiuk: Monthly Distribution of 1933 Famine Losses in Soviet Ukraine and the Russian Soviet Republic at the Regional Level. In: Nationalities Papers. Band 48, Nr. 3, Mai 2020, ISSN 0090-5992, S. 530–548, doi:10.1017/nps.2019.52 (englisch).
  6. Alexander J. Motyl: Deleting the Holodomor: Ukraine Unmakes Itself. In: World Affairs. Band 173, Nr. 3, 2010, ISSN 0043-8200, S. 25–33 (englisch).
  7. Worldwide Recognition of the Holodomor as Genocide. In: Національний музей Голодомору-геноциду. 18. Oktober 2019, abgerufen am 16. April 2021 (englisch).
  8. James Richter: Famine, Memory, and Politics in the Post-Soviet Space: Contrasting Echoes of Collectivization in Ukraine and Kazakhstan. In: Nationalities Papers. Band 48, Nr. 3, Mai 2020, ISSN 0090-5992, S. 476–491, doi:10.1017/nps.2019.17 (englisch).
  9. Andrea Graziosi: The Great Famine of 1932–1933: Consequences and Implications. In: Harvard Ukrainian Studies. Band 25, Nr. 3/4, 2001, ISSN 0363-5570, S. 157–165 (englisch).
  10. Hiroaki Kuromiya: The Soviet Famine of 1932–1933 Reconsidered. In: Europe-Asia Studies. Band 60, Nr. 4, 2008, ISSN 0966-8136, S. 663–675 (englisch).
  11. Russische Staatsduma: Erklärung der Staatsduma der Russischen Föderation „In Erinnerung an die Opfer der Hungersnot der 1930er auf dem Gebiet der UdSSR“. 2. April 2008 (russisch, Online Originaltitel: Заявление ГД РФПамяти жертв голода 30-х годов на территории СССР.).
  12. Oleg Khlevniuk: Comments on the Short-Term Consequences of the Holodomor. In: Harvard Ukrainian Studies. Band 30, Nr. 1/4, 2008, ISSN 0363-5570, S. 149–161 (englisch).
  13. David R. Marples: Holodomor: Causes of the 1932–1933 Famine in Ukraine. Heritage Press, Saskatoon 2011, ISBN 978-0-88880-567-6 (englisch).
  14. Valerij Vasil'ev, Rudolf A. Mark: Zwischen Politisierung und Historisierung: Der Holodomor in der ukrainischen Historiographie. In: Osteuropa. Band 54, Nr. 12, 2004, ISSN 0030-6428, S. 164–182.
  15. Andrea Graziosi: The Soviet 1931–1933 Famines and the Ukrainian Holodomor: Is a New Interpretation Possible, and What Would Its Consequences Be? In: Harvard Ukrainian Studies. Band 27, Nr. 1/4, 2004, ISSN 0363-5570, S. 97–115 (englisch).
  16. Sergei Nefedov, Michael Ellman: The Soviet Famine of 1931–1934: Genocide, a Result of Poor Harvests, or the Outcome of a Conflict Between the State and the Peasants? In: Europe-Asia Studies. Band 71, Nr. 6, 3. Juli 2019, ISSN 0966-8136, S. 1048–1065, doi:10.1080/09668136.2019.1617464 (englisch).
  17. Stephen G. Wheatcroft: Towards Explaining Soviet Famine of 1931-3: Political and Natural Factors in Perspective. In: Food and Foodways. Band 12, Nr. 2-3, April 2004, ISSN 0740-9710, S. 107–136, doi:10.1080/07409710490491447.
  18. Sarah Cameron: The Hungry Steppe: Famine, Violence, and the Making of Soviet Kazakhstan. Cornell University Press, Ithaca 2018, ISBN 978-1-5017-3045-0 (englisch).
  19. Alan Ball: Building a new state and society: NEP, 1921–1928. In: Ronald Grigor Suny (Hrsg.): The Cambridge History of Russia: The Twentieth Century. Band 3. Cambridge University Press, Cambridge 2006, ISBN 978-0-521-81227-6, S. 168–191 (englisch).
  20. Alan Ball: Russia's Last Capitalists: The Nepmen, 1921–1929. University of California Press, Berkeley 1987, ISBN 0-520-07174-3 (englisch).
  21. David R. Shearer: Stalinism, 1928–1940. In: Ronald Grigor Suny (Hrsg.): The Cambridge History of Russia: The Twentieth Century. Band 3. Cambridge University Press, Cambridge 2006, ISBN 978-0-521-81227-6, S. 192–216 (englisch).
  22. Paul R. Magocsi: A History of Ukraine. University of Toronto Press, Toronto 1996, ISBN 978-1-4426-7037-2 (englisch).
  23. Paul Kubicek: The History of Ukraine. Greenwood Press, Westport 2008, ISBN 978-0-313-34921-8 (englisch).
  24. Alena Markova: The Belarusians as a Nation? ‚The Belarussization Episode‘ of the 1920s and the Issue of National Identity. In: A. Kazakievič (Hrsg.): The First International Congress of Belarusian Studies. Working Papers. Band 1. Vytautas Magnus University Press, Kaunas 2012, S. 171–175 (belarussisch, englisch).
  25. Peter Gatrell: Economic and demographic change: Russia’s age of economic extremes. In: Ronald Grigor Suny (Hrsg.): The Cambridge History of Russia: The Twentieth Century. Band 3. Cambridge University Press, Cambridge 2006, ISBN 978-0-521-81227-6, S. 383–410 (englisch).
  26. Roman Serbyn: The Famine of 1921–1923: A Model for 1932–1933? In: Roman Serbyn, Bohdan Krawchenko (Hrsg.): Famine in Ukraine 1932–1933. 1986, ISBN 0-920862-43-8, S. 147–178 (englisch).
  27. Stanislav Kul'chyts'kyi, Marta D. Olynyk, Andrij Wynnyckyj: The Holodomor and Its Consequences in the Ukrainian Countryside. In: Harvard Ukrainian Studies. Band 30, Nr. 1/4, 2008, ISSN 0363-5570, S. 1–13 (englisch).
  28. Esther Kingston-Mann: Transforming peasants in the twentieth century: Dilemmas of Russian, Soviet and post-Soviet development. In: Ronald Grigor Suny (Hrsg.): The Cambridge History of Russia: The Twentieth Century. Band 3. Cambridge University Press, Cambridge 2006, ISBN 978-0-521-81227-6, S. 168–191 (englisch).
  29. Robert Conquest: The Harvest of Sorrow: Soviet Collectivization and the Terror-Famine. Oxford University Press, New York 1986, ISBN 0-19-504054-6 (englisch).
  30. Manfred Hildermeier: Stalinismus und Terror. In: Osteuropa. Band 50, Nr. 6, 2000, ISSN 0030-6428, S. 593–605.
  31. Nicolas Werth: Ein Staat gegen sein Volk. Das Schwarzbuch des Kommunismus: Sowjetunion. München 2002, ISBN 978-3-492-23494-8.
  32. Ronald Grigor Suny: Reading Russia and the Soviet Union in the twentieth century: how the 'West' wrote its history of the USSR. In: Ronald Grigor Suny (Hrsg.): The Cambridge History of Russia: The Twentieth Century. Band 3. Cambridge University Press, Cambridge 2006, ISBN 978-0-521-81227-6, S. 168–191 (englisch).
  33. Marco Carynnyk: Making the News Fit to Print: Walter Duranty, The New York Times and the Ukrainian Famine of 1933. In: Roman Serbyn, Bohdan Krawchenko (Hrsg.): Famine in Ukraine 1932–1933. 1986, ISBN 0-920862-43-8, S. 67–96 (englisch).
  34. Diana Bojko et al.: Holodomor : the Great Famine in Ukraine 1932–1933. Institute of National Remembrance, Commission of the Prosecution of Crimes against the Polish Nation, Warsaw 2009, ISBN 978-83-7629-077-5 (englisch).
  35. Hennady Boriak: Sources and Resources on the Famine in Ukraine's State Archival System. In: Harvard Ukrainian Studies. Band 27, Nr. 1/4, 2004, ISSN 0363-5570, S. 117–147 (englisch).
  36. David R. Marples: Heroes and Villains: Creating National History in Contemporary Ukraine. Central European University Press, Budapest 2007, ISBN 978-1-4294-9808-1 (englisch).
  37. Yuri Shapoval, Marta D. Olynyk: The Holodomor: A Prologue to Repressions and Terror in Soviet Ukraine. In: Harvard Ukrainian Studies. Band 30, Nr. 1/4, 2008, ISSN 0363-5570, S. 99–121 (englisch).
  38. Hennadii Yefimenko, Marta D. Olynyk: The Kremlin's Nationality Policy in Ukraine after the Holodomor of 1932–33. In: Harvard Ukrainian Studies. Band 30, Nr. 1/4, 2008, ISSN 0363-5570, S. 69–98 (englisch).
  39. Roman Serbyn: The Holodomor: Reflections on the Ukrainian Genocide. (englisch).
  40. Oleh Wolowyna, Serhii Plokhy, Nataliia Levchuk, Omelian Rudnytskyi, Pavlo Shevchuk: Regional variations of 1932–34 famine losses in Ukraine. In: Canadian Studies in Population. Band 43, Nr. 3-4, 20. Dezember 2016, ISSN 1927-629X, S. 1–28, doi:10.25336/P6KC7Q.
  41. R. W. Davies, Stephen G. Wheatcroft: The Years of Hunger: Soviet Agriculture, 1931–1933. 2. Auflage. Palgrave Macmillan, New York 2004, ISBN 0-333-31107-8 (englisch).
  42. Norman M. Naimark: Applebaum, Fitzpatrick and the Genocide Question. In: Contemporary European History. Band 27, Nr. 3, August 2018, ISSN 0960-7773, S. 435–439, doi:10.1017/S0960777318000292 (englisch).
  43. James E. Mace: The Famine of 1933: A Survey of the Sources. In: Roman Serbyn, Bohdan Krawchenko (Hrsg.): Famine in Ukraine 1932–1933. 1986, ISBN 0-920862-43-8, S. 45–65 (englisch).
  44. Paolo Fonzi: Non-Soviet Perspectives on the Great Famine: A Comparative Analysis of British, Italian, Polish, and German Sources. In: Nationalities Papers. Band 48, Nr. 3, Mai 2020, ISSN 0090-5992, S. 444–459, doi:10.1017/nps.2019.27 (englisch).
  45. Eugene Lyons: Assignment in Utopia. Transaction Publishers, 1991, ISBN 0-88738-856-6 (englisch).
  46. Karl E. Meyer: The Editorial Notebook; Trenchcoats, Then and Now. The New York Times, 24. Juni 1990 (englisch).
  47. James E. Mace: The Man-Made Famine of 1933. In: Roman Serbyn, Bohdan Krawchenko (Hrsg.): Famine in Ukraine 1932–1933. 1986, ISBN 0-920862-43-8, S. 1–14 (englisch).
  48. Michael Ellman: The Role of Leadership Perceptions and of Intent in the Soviet Famine of 1931–1934. In: Europe-Asia Studies. Band 57, Nr. 6, 2005, ISSN 0966-8136, S. 823–841.
  49. Голодомор 1932–1933 годов в Украине унес жизни 3,5 млн человек - НАН Украины (обновлено) [Holodomor von 1932–1933 in der Ukraine tötete 3,5 Millionen Menschen – NAW Ukraine (aktualisiert)]. Abgerufen am 18. April 2021 (russisch).
  50. Robert Kindler: Stalins Nomaden: Herrschaft und Hunger in Kasachstan. 1. Auflage. Hamburg 2014, ISBN 978-3-86854-277-6.
  51. France Meslé, Jacques Vallin, Evgeny Andreev: Demographic Consequences of the Great Famine: Then and Now. In: Harvard Ukrainian Studies. Band 30, Nr. 1/4, 2008, ISSN 0363-5570, S. 217–241 (englisch).
  52. Michail Gorbatschow: Mein Manifest für die Erde: Jetzt Handeln für Frieden, globale Gerechtigkeit und eine ökologische Zukunft. Frankfurt/Main 2003, ISBN 978-3-593-37215-0.
  53. Andrea Graziosi: The National and the Social in Stalin's Political Famines. In: Contemporary European History. Band 27, Nr. 3, August 2018, ISSN 0960-7773, S. 470–475, doi:10.1017/S096077731800036X (englisch).
  54. Diana Bojko, Jerzy Bednarek, Stanislav Kulchytsky, et al.: Holodomor: the Great Famine in Ukraine 1932–1933. Institute of National Remembrance, Commission of the Prosecution of Crimes against the Polish Nation, Warsaw 2009, ISBN 978-83-7629-077-5 (englisch).
  55. Timothy Snyder: Bloodlands: Europe between Hitler and Stalin. Bodley Head, London 2010, ISBN 978-0-224-08141-2 (englisch).
  56. James E. Mace: Famine and Nationalism in Soviet Ukraine. (englisch).
  57. Ingmar Sütterlin: Die „Russische Abteilung“ des Auswärtigen Amtes in der Weimarer Republik. Duncker & Humblot, Berlin, ISBN 3-428-08119-6.
  58. Dmytro Zlepko: Der ukrainische Hunger-Holocaust. Verlag Helmuth Wildt, Sonnenbühl 1988.
  59. Ewald Ammende: Muss Russland hungern? Menschen und Völkerschicksale in der Sowjetunion. Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung, Wien 1935.
  60. Marco Carynnyk: Blind Eye to Murder: Britain, the United States and the Ukrainian Famine of 1933. In: Roman Serbyn, Bohdan Krawchenko (Hrsg.): Famine in Ukraine 1932–1933. 1986, ISBN 0-920862-43-8, S. 109–139 (englisch).
  61. Anne Applebaum: Red Famine: Stalin's War on Ukraine. Penguin Books, ISBN 978-0-14-197827-7 (englisch).
  62. Marina Rossi: In den 1930er-Jahren Italiener in der UdSSR zu sein und sich dann für Triest zu entscheiden. Il Piccolo, 20. Juni 2011 (italienisch, Originaltitel: Essere italiani in Urss negli anni Trenta e poi scegliere Trieste.).
  63. Josef Vogl: Alexander Wienerberger – Fotograf des Holodomor. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Jahrbuch 2015, S. 259–272.
  64. Ferdinand Krawiec: Rußland, wie es wirklich ist! Hrsg.: Vaterländische Front. Wien 1934.
  65. kath.net: Ukraine: Nur Innitzer protestierte gegen Hungertod von Millionen. 17. November 2018, abgerufen am 17. April 2021.
  66. Norman M. Naimark: Applebaum, Fitzpatrick and the Genocide Question. In: Contemporary European History. Band 27, Nr. 3, August 2018, ISSN 0960-7773, S. 435–439, doi:10.1017/S0960777318000292 (englisch).
  67. Roman Wysocki, Philip Redko: Reactions to the Famine in Poland. In: Harvard Ukrainian Studies. Band 30, Nr. 1/4, 2008, ISSN 0363-5570, S. 49–67 (englisch).
  68. Jan Jacek Bruski: Holodomor 1932–1933. Die große Hungersnot in der Ukraine in den Dokumenten der polnischen Diplomatie und Geheimdienste. Polski Instytut Spraw Międzynarodowych, Warszawa 2008, ISBN 978-83-8960756-0 (polnisch, Originaltitel: Hołodomor 1932–1933: Wielki Głód na Ukrainie w dokumentach polskiej dyplomacji i wywiadu.).
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