Herbert von Dirksen
Eduard Willy Kurt Herbert Dirksen, ab 1887 von Dirksen (* 2. April 1882 in Berlin; † 19. Dezember 1955 in München) war ein deutscher Gutsherr, Botschafter und Autor. Bis 1945 saß er auf Gröditzberg bei Adelsdorf im Landkreis Goldberg in der Provinz Niederschlesien.
Familie
Er entstammte einer westpreußischen Familie, die mit Claes Dirksen (* 1605) in Danzig (1681) die Stammreihe beginnt. Er war Sohn des Gutsbesitzers und kaiserlich deutschen Gesandten Willibald von Dirksen (1852–1928), Gutsherr auf Gröditzberg (heute Grodziec nahe Zagrodno, ehemals Adelsdorf), und dessen erster Ehefrau Ella Schnitzler (1860–1916). Sein Vater war 1887 mit seiner Familie in den preußischen erblichen Adelsstand erhoben worden.
Dirksen heiratete am 25. Juni 1910 in Berlin Hilda Freiin von Oelsen (* 14. Januar 1885 auf Gut Vietnitz, Landkreis Königsberg, Neumark in Brandenburg; † 12. September 1942 auf Gut Gröditzberg, Landkreis Goldberg-Haynau, Provinz Niederschlesien), die Tochter des Gutsbesitzers Alfred Freiherr von Oelsen, Gutsherr auf Vietnitz (1848–1926) und anderen, und der Margarethe Mechthilde von Saldern (1855–1923).
Leben
Nach anfänglichem Hausunterricht machte Dirksen 1900 sein Abitur auf dem Königlichen-Wilhelms-Gymnasium in Berlin; anschließend studierte er 1900–1903 Rechtswissenschaft in Heidelberg und Berlin und promovierte zum Dr. iur. in Rostock. 1900 wurde er im Corps Saxo-Borussia Heidelberg recipiert. Nach dem einjährigen Militärdienst beim 3. Garde-Ulanen-Regiment in Potsdam folgte von 1904 bis 1910 das Referendariat im preußischen Staatsdienst, unterbrochen von einem längeren Aufenthalt in London 1905 und einer einjährigen Weltreise 1907/08. Nach dem 2. juristischen Staatsexamen heiratete er 1910 Hilda von Oelsen.
Von 1910 bis 1914 war Dirksen als Regierungsassessor am Landratsamt in Bonn. In dieser Zeit entstand sein lebenslanges außenpolitisches und wirtschaftliches Interesse. Dieses äußerte er in Form mehrerer historisch-politischer Artikel, deren Schwerpunkt der deutsche Imperialismus war, den er befürwortete. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er eingezogen und diente im Nachschub sowie in verschiedenen Militärstäben. Durch Protektion erhielt er 1915 eine Stelle in der Zivilverwaltung in Belgien, wo er unter anderem für die Deportation belgischer Arbeitskräfte in das Deutsche Reich zuständig war. Nach seinen Kriegserlebnissen betrachtete er den Krieg nicht mehr als probates Mittel zur Durchsetzung von Politik und kritisierte unter dem Pseudonym Darius in mehreren Zeitungsartikeln die deutsche Außenpolitik und Diplomatie.
Anfänge im Auswärtigen Amt
Trotz seiner Kritik übernahm Dirksen 1917 eine aushilfsweise Tätigkeit als Referent in der Englischen Hilfsstelle an der Deutschen Gesandtschaft in Den Haag und betrieb sogar seine Aufnahme in den deutschen diplomatischen Dienst. Mitte 1918 wurde er vom Auswärtigen Amt übernommen und als Leiter des Referates Presse und Propaganda zur Kaiserlichen Gesandtschaft nach Kiew entsandt. In der durch deutsche Truppen besetzten Ukraine sollte er helfen, das Land im Zuge der deutschen Kriegszielpolitik als selbstständigen Staat zu konsolidieren. Mit dem Ende des Krieges und dem Vordringen sowjetrussischer Truppen nach Kiew wurde die Gesandtschaft geschlossen; 1919 kehrte er nach Berlin zurück.
Dirksen wollte sich mit dem Ende des Kaiserreiches und der Konstituierung der Demokratie eigentlich aus dem diplomatischen Dienst zurückziehen, da er von dieser Staatsform nicht überzeugt war. Dennoch bat er nicht um seine Demission, denn letztlich fühlte er sich als loyaler Beamter dem Staat verpflichtet, ohne Rücksicht auf die Staatsform. Gleichzeitig engagierte er sich in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), welcher er bald nach Gründung beigetreten war. Im Auswärtigen Amt wurde er 1919 Leiter des Unterreferates Baltikum. Zentrale Aufgabe seines Wirkens war die geordnete und rasche Rückführung deutscher Truppenteile aus dem Baltikum.
Mit der Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen zu Polen im Jahre 1920 wurde Dirksen nach Warschau entsandt, um bis zum Nachrücken eines Gesandten als Geschäftsträger zu fungieren. Als dieser nach nur vier Monaten Amtszeit zurücktrat und das Auswärtige Amt wegen der schwierigen deutsch-polnischen Beziehungen keinen Nachfolger entsenden wollte, wurde Dirksen wieder Geschäftsträger. In die internationalen Vorbereitungen zur Aufteilung Oberschlesiens wurde er nicht eingebunden.
Wieder ins Auswärtige Amt nach Berlin zurückbeordert, war Dirksen als Leiter des Polen-Referates ab 1921 mit der Oberschlesien-Frage konfrontiert. Wie ein Großteil der deutschen Bevölkerung empfand er die östlichen Abtretungen als eine Demütigung der deutschen Nation und verlangte eine Revision. Trotzdem musste er die deutsch-polnischen Verhandlungen dazu vorbereiten.
1923 zum Generalkonsul in Danzig ernannt, konnte Dirksen, bedingt durch den Status der Freien Stadt, auf die politischen und ökonomischen Entscheidungen nur begrenzt einwirken, weshalb er sich auf die Kulturpolitik verlegte, mit deren Hilfe er die geistige Einheit von Reich und Stadt erhalten wollte.
Im Zuge einer Umstrukturierung im Auswärtigen Amt wurde Dirksen 1925 die Stellung eines Dirigenten in der sogenannten Ostabteilung mit den Sachgebieten Osteuropa, Skandinavien und Ostasien übertragen. War er an den Verhandlungen zu den Locarno-Verträgen als Protokollführer der deutschen Delegation inhaltlich nur gering beteiligt, kam ihm bei den Vorbereitungen des Wirtschafts- und Konsularvertrages und des Berliner Vertrages mit der Sowjetunion eine größere Bedeutung zu. Hier war er Mitte 1925 teilweise mit der Verhandlungsführung betraut.
1928 avancierte Dirksen als Nachfolger von Erich Wallroth zum Ministerialdirektor und Leiter der Ostabteilung im Auswärtigen Amt. Die Arbeit in der Zentrale beinhaltete für sein Empfinden zu viel bürokratische Routinearbeit. Als glücklicher Zufall erwies sich 1928 für ihn der Streit zwischen Reichspräsident Paul von Hindenburg und Außenminister Gustav Stresemann über die Besetzung des Botschafterpostens in Moskau. Nach langen Auseinandersetzungen einigten sie sich auf Herbert von Dirksen als Kompromisskandidaten.
Botschafter in Moskau, Tokio und London
Unter schwierigen Bedingungen versuchte Dirksen vergeblich, als Botschafter in Moskau eine Verbesserung des deutsch-sowjetischen Verhältnisses herbeizuführen, indem er die politischen Beziehungen durch wirtschaftliche und militärische stützen wollte. Durch mehrere diplomatische Fehler erweckte er in Deutschland gleich zu Beginn seiner Botschafterzeit den Eindruck von Inkompetenz. Seine grundlegenden Fehleinschätzungen vor und während des sowjetisch-chinesischen Grenzkriegs von 1929 sowie der Situation der Reichsdeutschen in der Sowjetunion gaben 1929 dazu Anlass. In den folgenden Jahren gelang es Dirksen nicht, das deutsch-sowjetische Verhältnis nachhaltig zu verbessern. Politische Provokationen auf beiden Seiten, die sowjetischen Zwangskollektivierungen, die Nichtangriffspakt-Politik Moskaus und auch der Reichstagsbrand waren Gründe dafür. Im Herbst 1933 erwirkte das Auswärtige Amt schließlich seine Versetzung an die Deutsche Botschaft in Tokio.
Als Dirksen Ende 1933 in Tokio eintraf, kündigte er sogleich einen Besuch des unter japanischer Kontrolle stehenden Mandschukuos an. Da dieses einer unerwünschten Anerkennung durch Deutschland gleichgekommen wäre, untersagte es ihm das Auswärtige Amt. An diese Weisung fühlte er sich allerdings nicht gebunden, da er im Auftrag Adolf Hitlers zu handeln glaubte, der ihm aufgetragen hatte, die deutsch-japanischen Beziehungen zu verbessern. Trotz Dirksens intensiver Bemühungen um ein besseres bilaterales Verhältnis wurde er 1936 nicht in die Verhandlungen zum Antikominternpakt einbezogen. Dieses geschah nicht wegen persönlicher oder beruflicher Unzulänglichkeiten Dirksens, sondern war Ausdruck von Hitlers Misstrauen gegenüber seinen Diplomaten. Deshalb waren die Verhandlungen ohne Beteiligung des Auswärtigen Amtes erfolgt. Im chinesisch-japanischen Konflikt 1937 sprach er sich nach längerem Zögern für eine deutsche Vermittlung aus, die jedoch Anfang 1938 scheiterte. Ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen wurde er auf eigenen Wunsch nach rund fünf Jahren in Ostasien aus Tokio abberufen.
Bis zur Auflösung der Partei im Jahre 1933 blieb Dirksen Mitglied der DNVP. Erst im Sommer 1936 trat Dirksen in die NSDAP (Mitgliedsnummer 3.811.159) ein, doch verzögerte sich seine Aufnahme bis zum März 1937. Ein überzeugter Nationalsozialist wurde er nie.
Auf seiner Rückreise nach Deutschland erhielt Dirksen von Außenminister Joachim von Ribbentrop das Angebot, eine neue diplomatische Mission zu übernehmen. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch seine berufliche Laufbahn beenden wollte, wurde er 1938 Botschafter an der Deutschen Botschaft London. Seine fortwährenden Bemühungen um bessere britisch-deutsche Beziehungen scheiterten ebenso wie sein Einsatz für die Erhaltung des Friedens in Europa. Dass er nicht erfolgreich war, ist auch auf Ribbentrops Gewohnheit zurückzuführen, seine Botschafter häufig und auf lange Zeit zu Konsultationen nach Berlin zu zitieren. Dadurch beschränkte sich Dirksens Anwesenheit in London auf insgesamt wenige Monate. Außerdem führte Hitler seine Außenpolitik unabhängig vom Auswärtigen Amt, so dass Dirksens Einschätzung für ihn keinerlei Bedeutung hatte und eine Einflussnahme somit nicht möglich war.
Zweiter Weltkrieg, Entnazifizierung und Nachkriegszeit
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges endete für Dirksen seine aktive Zeit als Diplomat. Auf seiner Herrschaft Gröditzberg in Schlesien widmete er sich fortan wieder seiner publizistischen Tätigkeit. Im deutschen und besetzten europäischen Raum hielt er darüber hinaus vor Soldaten und Parteigenossen historisch-politische Vorträge, in denen er den Krieg und Hitlers Politik im Allgemeinen rechtfertigte.
Aus Schlesien wurde Dirksen auf ausdrücklichen Befehl von Außenminister Joachim von Ribbentrop mittels eines Sonderkommandos der Wehrmacht entsetzt. Vermutlich blieben dabei Akten des Guts- und Privatarchivs zurück und fielen in die Hände der sowjetischen Truppen (siehe sowjetische Veröffentlichung von 1949: Archiv Dirksens). Die Akten gelangten später in das Zentralarchiv der DDR nach Potsdam.
Seine letzten Jahre verlebte Dirksen in Bergen (Chiemgau), wo er sich der Entnazifizierung unterziehen musste; 1947 stufte ihn das Spruchkammerverfahren in Traunstein als entlastet ein. In dieser Zeit war er für die Organisation Gehlen, der Vorläufereinrichtung des Bundesnachrichtendienstes, tätig. Hier hatte er vor allem repräsentative Aufgaben.[1] Bis zu seinem Tode verfasste er diverse kritische Aufsätze zur Ostpolitik Konrad Adenauers und zur Schlesien-Problematik. Nach langer und schwerer Krankheit starb Herbert von Dirksen am 19. Dezember 1955 im Alter von 73 Jahren in München.
Schriften
- Freundesland im Osten. ein Nipponbuch in Bildern. Wilhelm Limpert Verlag, Berlin 1943
- Moskau, Tokio, London. Erinnerungen und Betrachtungen zu 20 Jahren deutscher Außenpolitik 1919–1939. Kohlhammer, Stuttgart 1949.
Literatur
- Maria Keipert (Red.): Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945. Herausgegeben vom Auswärtigen Amt, Historischer Dienst. Band 1: Johannes Hürter: A–F. Schöningh, Paderborn u. a. 2000, ISBN 3-506-71840-1, S. 102f.
- Gerald Mund: Herbert von Dirksen (1882–1955). Ein deutscher Diplomat in Kaiserreich, Weimarer Republik und Drittem Reich. Eine Biografie. Dissertation. Berlin 2003.
- Gerald Mund: Ostasien im Spiegel der deutschen Diplomatie. Die privatdienstliche Korrespondenz des Diplomaten Herbert von Dirksen von 1933 bis 1938. Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, Beiheft 63. Steiner, Stuttgart 2006.
- Carolin Reimers: Dr. Herbert von Dirksen: Ein deutscher Botschafter als Sammler ostasiatischer Kunst. In: Ostasiatische Zeitschrift. 1, 2001, S. 22–32.
- Masako Hiyama: Herbert von Dirksen. In: Brückenbauer. Pioniere des japanisch-deutschen Kulturaustausches. iudicium, Berlin 2005, ISBN 3-89129-539-1.
- Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR: Das Archiv Dirksens (1938–1939). Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges, Band 2. Moskau 1949.
- Herbert von Dirksen (1882–1955). In: Kölner Sammler…. 2003, S. 169–179.
Weblinks
- Literatur von und über Herbert von Dirksen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Zeitungsartikel über Herbert von Dirksen in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
- Literaturliste im Online-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin
- Die Bibliothek Herbert von Dirksen in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln
- Nachlass Bundesarchiv N 2049
Einzelnachweise
- Thomas Wolf: Die Entstehung des BND. Aufbau, Finanzierung, Kontrolle. Ch. Links Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-96289-022-3, S. 133–134.