Hypergeometrische Verteilung
Die hypergeometrische Verteilung ist eine Wahrscheinlichkeitsverteilung in der Stochastik. Sie ist univariat und zählt zu den diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilungen. In Abgrenzung zur allgemeinen hypergeometrischen Verteilung wird sie auch klassische hypergeometrische Verteilung genannt.[1]
Einer dichotomen Grundgesamtheit werden in einer Stichprobe zufällig Elemente ohne Zurücklegen entnommen. Die hypergeometrische Verteilung gibt dann Auskunft darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit in der Stichprobe eine bestimmte Anzahl von Elementen vorkommt, die die gewünschte Eigenschaft haben. Bedeutung kommt dieser Verteilung daher etwa bei Qualitätskontrollen zu.
Die hypergeometrische Verteilung wird modellhaft dem Urnenmodell ohne Zurücklegen zugeordnet (siehe auch Kombination ohne Wiederholung). Man betrachtet speziell in diesem Zusammenhang eine Urne mit zwei Sorten Kugeln. Es werden Kugeln ohne Zurücklegen entnommen. Die Zufallsvariable ist die Zahl der Kugeln der ersten Sorte in dieser Stichprobe.
Die hypergeometrische Verteilung beschreibt also die Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei gegebenen Elementen („Grundgesamtheit des Umfangs “), von denen die gewünschte Eigenschaft besitzen, beim Herausgreifen von Probestücken („Stichprobe des Umfangs “) genau Treffer erzielt werden, d. h. die Wahrscheinlichkeit für Erfolge in Versuchen.
Beispiel 1: In einer Urne befinden sich 30 Kugeln, 20 davon sind blau, also sind 10 nicht blau. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit p, bei einer Stichprobe von zwanzig Kugeln genau dreizehn blaue Kugeln zu ziehen (ohne Zurücklegen)? Antwort: p = 0.3096. Dies entspricht dem blauen Balken bei k = 13 im Diagramm "Wahrscheinlichkeitsfunktion der hypergeometrischen Verteilung für n = 20".
Beispiel 2: In einer Urne befinden sich 45 Kugeln, 20 davon sind gelb. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit p, bei einer Stichprobe von zehn Kugeln genau vier gelbe Kugeln zu ziehen? Antwort: p = 0.269. Das Beispiel wird unten durchgerechnet.
Definition
Die hypergeometrische Verteilung ist abhängig von drei Parametern:
- der Anzahl der Elemente einer Grundgesamtheit.
- der Anzahl der Elemente mit einer bestimmten Eigenschaft in dieser Grundmenge (die Anzahl möglicher Erfolge).
- der Anzahl der Elemente in einer Stichprobe.
Die Verteilung gibt nun Auskunft darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass sich Elemente mit der zu prüfenden Eigenschaft (Erfolge bzw. Treffer) in der Stichprobe befinden. Der Ergebnisraum ist daher .
Eine diskrete Zufallsgröße unterliegt der hypergeometrischen Verteilung mit den Parametern , und , wenn sie die Wahrscheinlichkeiten
für besitzt. Dabei bezeichnet den Binomialkoeffizienten „ über “. Man schreibt dann oder .
Die Verteilungsfunktion gibt dann die Wahrscheinlichkeit an, dass höchstens Elemente mit der zu prüfenden Eigenschaft in der Stichprobe sind. Diese kumulierte Wahrscheinlichkeit ist die Summe
- .
Alternative Parametrisierung
Gelegentlich wird auch als Wahrscheinlichkeitsfunktion
verwendet. Diese geht mit und in die obige Variante über.
Eigenschaften der hypergeometrischen Verteilung
Symmetrien
Es gelten folgende Symmetrien:
- Vertauschung von gezogenen Kugeln und Erfolgen:
- Vertauschung von Erfolgen und Misserfolgen:
Varianz
Die Varianz der hypergeometrisch verteilten Zufallsvariable ist
- ,
wobei der letzte Bruch der so genannte Korrekturfaktor (Endlichkeitskorrektur) beim Modell ohne Zurücklegen ist.
Charakteristische Funktion
Die charakteristische Funktion hat die folgende Form:
Wobei die gaußsche hypergeometrische Funktion bezeichnet.
Momenterzeugende Funktion
Auch die momenterzeugende Funktion lässt sich mittels der hypergeometrischen Funktion ausdrücken:
Beziehung zu anderen Verteilungen
Beziehung zur Binomialverteilung
Im Gegensatz zur Binomialverteilung werden bei der hypergeometrischen Verteilung die Stichproben nicht wieder in das Reservoir zur erneuten Auswahl zurückgelegt. Ist der Umfang der Stichprobe im Vergleich zum Umfang der Grundgesamtheit relativ klein (etwa ), unterscheiden sich die durch die Binomialverteilung bzw. die hypergeometrische Verteilung berechneten Wahrscheinlichkeiten nicht wesentlich voneinander. In diesen Fällen wird dann oft die Approximation durch die mathematisch einfacher zu handhabende Binomialverteilung vorgenommen.
Beziehung zur Pólya-Verteilung
Die hypergeometrische Verteilung ist ein Spezialfall der Pólya-Verteilung (wähle ).
Beziehung zum Urnenmodell
Die hypergeometrische Verteilung entsteht aus der diskreten Gleichverteilung durch das Urnenmodell. Aus einer Urne mit insgesamt Kugeln sind eingefärbt und es werden Kugeln gezogen. Die hypergeometrische Verteilung gibt für die Wahrscheinlichkeit an, dass gefärbte Kugeln gezogen werden. Andernfalls kann auch mit der Binomialverteilung in der Praxis modelliert werden. Siehe hierzu auch das Beispiel.
Beziehung zur multivariaten hypergeometrischen Verteilung
Die multivariate hypergeometrische Verteilung ist eine Verallgemeinerung der hypergeometrischen Verteilung. Sie beantwortet die Frage nach der Anzahl der gezogenen Kugeln einer Farbe aus einer Urne, wenn diese mehr als zwei unterscheidbare Farben von Kugeln enthält. Für zwei Farben stimmt sie mit der hypergeometrischen Verteilung überein.
Beispiele
Diverse Beispiele
In einem Behälter befinden sich 45 Kugeln, davon sind 20 gelb. Es werden 10 Kugeln ohne Zurücklegen entnommen.
Die hypergeometrische Verteilung gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, dass genau x = 0, 1, 2, 3, …, 10 der entnommenen Kugeln gelb sind.
Ein Beispiel für die praktische Anwendung der hypergeometrischen Verteilung ist das Lotto: Beim Zahlenlotto gibt es 49 nummerierte Kugeln; davon werden bei der Auslosung 6 gezogen; auf dem Lottoschein werden 6 Zahlen angekreuzt.
gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, genau x = 0, 1, 2, 3, …, 6 „Treffer“ zu erzielen.
- in linearer Auftragung
- in logarithmischer Auftragung
Ausführliches Rechenbeispiel für die Kugeln
Zu dem oben aufgeführten Beispiel der farbigen Kugeln soll die Wahrscheinlichkeit ermittelt werden, dass genau 4 gelbe Kugeln resultieren.
Gesamtanzahl der Kugeln | |
Anzahl mit der Eigenschaft „gelb“ | |
Umfang der Stichprobe | |
Davon angestrebt gelb |
Also .
Die Wahrscheinlichkeit ergibt sich aus:
- Anzahl der Möglichkeiten, genau 4 gelbe (und damit genau 6 violette) Kugeln auszuwählen
- geteilt durch
- Anzahl der Möglichkeiten, genau 10 Kugeln beliebiger Farbe auszuwählen
Es gibt
Möglichkeiten, genau 4 gelbe Kugeln auszuwählen.
Es gibt
Möglichkeiten, genau 6 violette Kugeln auszuwählen.
Da jede „gelbe Möglichkeit“ mit jeder „violetten Möglichkeit“ kombiniert werden kann, ergeben sich
Möglichkeiten für genau 4 gelbe und 6 violette Kugeln.
Es gibt insgesamt
Möglichkeiten, 10 Kugeln zu ziehen.
Wir erhalten also die Wahrscheinlichkeit
- ,
das heißt, in rund 27 Prozent der Fälle werden genau 4 gelbe (und 6 violette) Kugeln entnommen.
Alternativ kann das Ergebnis auch mit folgender Gleichung gefunden werden
Es befinden sich in der Stichprobe vom Umfang nämlich 4 gelbe Kugeln. Die restlichen gelben Kugeln (16) befinden sich in den 35 übriggebliebenen Kugeln, die nicht zur Stichprobe gehören.
Zahlenwerte zu den Beispielen
|
|
x | Anzahl möglicher Ergebnisse | Wahrscheinlichkeit in % |
---|---|---|
0 | 6.096.454 | 43,5965 |
1 | 5.775.588 | 41,3019 |
2 | 1.851.150 | 13,2378 |
3 | 246.820 | 1,765 |
4 | 13.545 | 0,0969 |
5 | 258 | 0,0018 |
6 | 1 | 0,0000072 |
∑ | 13.983.816 | 100,0000 |
Erwartungswert | 0,7347 | |
Varianz | 0,5776 |
Weblinks
Einzelnachweise
- Hans-Otto Georgii: Stochastik. Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. 4. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-11-021526-7, S. 36, doi:10.1515/9783110215274.