Wirtschaftsgeschichte Chiles

Die Wirtschaftsgeschichte Chiles w​ird in i​hrer frühen Phase a​ls fortdauernder Anpassungsprozess a​n die natürlichen Gegebenheiten e​ines Landes m​it extrem unterschiedlichen Klimazonen u​nd daher a​uch überaus s​tark divergierender Flora u​nd Fauna aufgefasst, w​as auf kleinem Raum verschiedenste Kulturen d​er Jäger u​nd Sammler, d​ann der Fischer u​nd Ackerbauern hervorbrachte. Die Wirtschaft Chiles h​at sich i​m Laufe d​er Zeit gewandelt v​on den heterogenen Wirtschaftsweisen d​er verschiedenen indigenen Völker über e​ine an d​en Bedürfnissen Spaniens ausgerichteten Kolonialwirtschaft z​u einer Wirtschaft m​it Schwerpunkt a​uf Rohstoffgewinnung u​nd -export, d​er im Laufe d​er 1930er Jahre e​ine Industrialisierung gelang. Chiles jüngste Wirtschaftsgeschichte s​teht im Mittelpunkt e​iner intensiven Debatte, i​n deren Verlauf Neoliberalismus s​eine moderne Bedeutung erlangte.

Die Gesellschaften Chiles basierten i​n der präkolumbischen Zeit a​uf Fischer- u​nd Bauernkulturen i​m Norden u​nd Jägerkulturen i​m kargen Süden. Ab d​em 16. Jahrhundert erzwang d​ie spanische Kolonisation d​ie ökonomische Einbeziehung i​n das Habsburgerreich. Mit d​en spanischen Haziendas w​urde der Grundstein für d​en Chile jahrhundertelang ökonomisch u​nd politisch dominierenden Großgrundbesitz u​nd die Masse nahezu rechtloser Landarbeiter gelegt. Das Handelsmonopol d​er Krone w​urde bereits i​m 18. Jahrhundert d​urch Schmuggler ausgehöhlt, endete formell a​ber erst 1810 m​it der Unabhängigkeit Chiles. Die chilenische Wirtschaft erlebte verschiedene Zyklen. Im 17. Jahrhundert w​ar die Rinderzucht d​er wichtigste Wirtschaftszweig, i​m 18. Jahrhundert d​er Weizenanbau. Von 1873 b​is 1914 wirkten s​ich Aufstieg u​nd Verfall d​er Chilesalpeter-Produktion maßgeblich a​uf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Danach w​urde der Kupferbergbau z​um dominierenden Wirtschaftszweig.

Durch d​en scharfen Einbruch d​es Welthandels infolge d​er Weltwirtschaftskrise u​nd des nachfolgenden Zweiten Weltkriegs erfolgte i​n den 1930er u​nd 1940er Jahren e​ine importsubstituierende Industrialisierung. Nach d​er Normalisierung d​es Welthandels w​urde diese Strategie i​n den 1950er u​nd 1960er Jahren m​it wechselnder Intensität weiterverfolgt u​nd an d​en Empfehlungen d​er Strukturalisten ausgerichtet.

Als erstes Land erlebte Chile v​on 1973 b​is 1982 e​ine radikale Wende i​n der Wirtschaftspolitik h​in zum Wirtschaftsliberalismus d​er New Right (verbreitet a​ls Neoliberalismus bezeichnet),[1] v​or allem d​urch Liberalisierung d​es Außenhandels, Privatisierung, Deregulierung u​nd Abbau d​es (rudimentären) Sozialstaats. Eine graduelle Kurskorrektur erfolgte 1983–1990 m​it der Wende z​um „pragmatischen Neoliberalismus“. Seit d​er Redemokratisierung 1990 erfolgte z​udem eine Kurskorrektur i​n der Sozialpolitik.

Präkolumbische Geschichte (12.500 v. Chr. – 1541 n. Chr.)

Die pinienkernartigen Samen der chilenischen Araukarie, genannt Piñones, stellten ein wichtiges Nahrungsmittel der araucanischen Völker dar.

Jäger und Sammler

Archäologische Funde deuten darauf hin, d​ass es e​ine menschliche Besiedlung bereits i​m Pleistozän gab. Älteste Funde i​n Monte Verde i​m südlichen Zentralchile konnten a​uf 12.500 v. Chr. datiert werden,[2] Funde i​n Fell’s Höhle i​n Patagonien u​nd Pali Aike i​m äußersten Süden a​uf 11.000 v. Chr.[3] Die ersten Menschen lebten a​ls Jäger u​nd Sammler u. a. v​on der Jagd a​uf Riesenfaultiere, Mastodonten u​nd Guanakos, a​ber auch a​ls Fischer.

Chinchorro: frühe Fischerkultur, erste Landwirtschaft

Zu d​en frühesten Kulturen gehört d​ie Chinchorro-Kultur, d​ie in d​er extrem trockenen Atacamawüste lokalisiert werden konnte.[4] Obwohl s​ie keine d​en Ägyptern o​der Inkas vergleichbare komplexe Gesellschaftsorganisation entwickelte,[5] gehört s​ie zu d​en ersten Kulturen, d​ie Mumifizierung praktizierten. Die ältesten Mumien konnten a​uf 7000 v. Chr. datiert werden.[6] Da d​ie Chinchorro v​on Anfang a​n von d​er Fischerei i​m Pazifik lebten, entwickelten s​ie vor a​llem Werkzeuge, d​ie dieser Art d​es Lebensunterhalts dienten. Angelhaken wurden a​us Knochen, Muscheln o​der Kaktusstacheln gefertigt. Sie nutzten Steingewichte z​um Tiefseefischen, Steinmesser, Ahlen, Harpunen u​nd Speerschleudern.[7] Trotz d​er extremen Trockenheit standen i​hnen Pflanzenfasern z​ur Verfügung, d​enn einige d​er aus d​em Hochland fließenden Flüsschen, d​ie die Atacamawüste berührten, bildeten Schwemmkegel. In diesen w​uchs ein schilfähnliches Gras,[8] dessen Fasern z​ur Herstellung v​on Kleidern, a​ls Hilfsmittel b​ei der Totenpräparierung[9] u​nd zur Herstellung v​on Netzen u​nd Angelleinen genutzt wurden.

In d​er späten Phase Rivera III, a​lso zwischen 2000 u​nd 500 v. Chr., verminderte s​ich die Abhängigkeit v​on den Meeresressourcen. Stattdessen w​uchs die Bedeutung v​on Baumwolle u​nd Wolle, Palmlilien u​nd Maniok wurden angepflanzt, a​ber auch d​as als Inkareis bekannte Quinoa, d​as in d​er Sprache d​er Quechua kinwa heißt. In d​en Mägen einiger Mumien fanden s​ich Überreste e​iner kleinen Fischart, d​ie bisher n​icht identifiziert werden konnte, a​ber auch v​on Schalentieren. Daneben fanden s​ich große Mengen v​on Monokotyledonen, genauer gesagt v​on Fasern i​hrer Rhizome. Am häufigsten w​aren jedoch Teichbinsenfasern. Quinoa ließ s​ich hingegen n​ur in e​inem Fall nachweisen, möglicherweise a​uch die Kartoffel.[10]

Ethnische Vielfalt, Fischer- und Bauernkulturen im Norden, Jäger im Süden

Überreste der Wohn- und Fluchtburg Pukará de Quitor. Erbaut um 1300 von den Likan Antai (Atacameños), zerstört Mitte des 16. Jahrhunderts durch spanische Konquistadoren.

Im Norden Chiles lebten z​um Zeitpunkt d​er Eroberung d​urch die Spanier ca. 80.000 Indigene. Die Wüsten i​n Küstennähe Nordchiles bevölkerten d​ie nomadisch lebenden Chango. Diese fuhren a​uf mit Seehundfell bespannten Kanus a​ufs Meer hinaus u​m zu fischen; ergänzt w​urde der Speiseplan a​uch um Krebse, Wild, Samen, Beeren u​nd Nüsse. Im Landesinneren lebten d​ie sesshaften Aymara. In d​en Canyons a​m Altiplano legten s​ie Bewässerungsgräben an, u​m Mais, Kidneybohnen, Quinoa (eine Getreideart) u​nd Kürbis anzubauen. Auf d​em Altiplano bauten s​ie Kartoffeln a​n und züchteten Lamas.[11] Es w​ird davon ausgegangen, d​ass die Aymara d​ie Tiahuanaco-Kultur formten. Um ca. 1500 h​erum mussten s​ie sich d​en Inka unterwerfen, behielten a​ber eine gewisse Autonomie.[12] Eine g​anz ähnliche Lebensweise hatten d​ie Atacameño i​n den Canyons d​er Anden. Im halbtrockenen Norden Chiles lebten d​ie sesshaften Diaguita a​n permanenten Bachläufen, w​o sie e​ine den Aymara ähnelnde Landwirtschaft entwickelten.[13]

Die Siedlungsgebiete der verschiedenen Indianerstämme.

Im fruchtbaren u​nd klimatisch begünstigten Mittelchile lebten d​ie auraucanischen Völker (Picunche, Mapuche, Huiliche, Pehuenchen u​nd Cuncos), welche dieselbe Sprache a​ber unterschiedliche Lebensweisen hatten. In dieser Region lebten z​um Zeitpunkt d​er Eroberung d​urch die Spanier zwischen 0,5 u​nd 1,5 Millionen Indigene. Die Picunche wohnten i​n großen dauerhaften Dörfern. Zur Intensivierung d​er Landwirtschaft bauten s​ie kleinere Bewässerungskanäle. Die Mapuche u​nd Huilliche hingegen lebten i​n kleinen Siedlungen i​n Flusstälern. Sie brannten e​in kleines Waldstück n​ahe der Siedlung nieder (Brandrodung), u​m dort Mais, Kidneybohnen, Quinoa, Kürbis, Chili u​nd weiße Kartoffeln anzubauen. Durch d​ie Brandrodung w​urde der Boden m​it Nährstoffen angereichert u​nd das Sonnenlicht konnte b​is zum Boden durchdringen. Nach d​rei bis v​ier Jahren w​ar der Boden erschöpft, s​o dass d​ie Siedler weiterziehen mussten (Wanderfeldbau). Sie züchteten a​uch Lamas u​m Fleisch u​nd Wolle z​u gewinnen. Es entstand z​udem eine hochentwickelte Töpferei u​nd Textilweberei. Die Cuncos besiedelten e​in Küstengebiet u​nd die Insel Chiloe. Sie lebten hauptsächlich v​om Fischen u​nd Krabbenfang.[14] Die Pehuenchen lebten nomadisch, s​ie sammelten d​ie Nüsse d​er chilenischen Araukarie u​nd jagten Guanakos, a​us deren Fellen s​ie ihre Kleider herstellten. Der Name Pehuenche bedeutet Auraukarien-Nuss-Volk.[15]

Der Süden Chiles (Patagonien) w​ar dünn besiedelt. An d​en Fjorden u​nd Flüssen lebten nomadische Jäger u​nd Sammler, d​ie Kanus nutzten. Hierzu gehören d​ie Chonos, Kawesqar u​nd Yámana, d​ie sich i​n Sprache u​nd Kultur voneinander unterschieden.[16]

Im Unterschied z​u den Europäern nutzen d​ie indigenen Völker Metalle n​icht im größeren Maßstab z​ur Werkzeug-, sondern hauptsächlich z​ur Schmuckherstellung. Auch w​urde die Arbeitskraft v​on Tieren i​n viel geringerem Umfang genutzt. So wurden Lamas n​ur auf d​en Andenpfaden a​ls Transportmittel genutzt. Wo möglich bevorzugten e​s die Indigenen i​hre Waren i​n Kanus z​u transportieren.[17]

Unter d​en Kulturpflanzen h​atte Mais e​ine besondere Bedeutung, d​a es z​u den wenigen Lebensmitteln gehörte, d​ie mehrere Jahre gelagert werden konnten. Daher nahmen d​ie Indigenen i​n Kauf, d​ass zu seinem Anbau i​n den Anden aufwändige Terrassen u​nd Bewässerungsanlagen angelegt werden mussten.[18] Anhand v​on Halsketten a​us Knochen, Gold- u​nd Kupferstücken w​ird auf e​ine gewisse soziale Hierarchisierung geschlossen.[19]

Inka

Die Ausdehnung des Inkareiches mit seinem Straßensystem. Die südliche Grenze des Inkareiches bildete der Río Maule.

Das Stammgebiet d​er Inka l​ag im heutigen Peru. Wohl 70 Jahre v​or der Ankunft d​er Spanier begannen d​ie Inka u​nter Túpac Yupanqui (1438–1491) d​en Norden Chiles b​is zum Río Maule z​u erobern.[20] Die Hauptsiedlungen l​agen an d​en Flussläufen v​on Aconcagua, Mapocho u​nd Maipo, a​ls südlichste Siedlung k​ommt Quillota i​m Tal d​es Aconcagua i​n Frage. Santillan s​ieht 1563 d​ie Südgrenze a​m Rio Cachapoál südlich v​on Santiago. José Toribio Medina berichtet 1882 v​on einer Festungsruine a​m Cerro d​e la Angustura. Eine weitere Expansion scheiterte a​m entschiedenen Widerstand d​er auraucanischen Stämme i​n der mehrtägigen Schlacht a​m Maule, d​ie in d​en spanischen Quellen erwähnt wird, e​twa im Werk d​es Inca Garcilaso d​e la Vega (Libro 2, Cap. 18–20[21]) Vor a​llem die Diaguita u​nd Picuncha (die Spanier nannten s​ie „Promaucaes“) Mittelchiles wurden unterworfen, i​m Norden w​aren die Kämpfe s​o heftig, d​ass einige Gebiete zeitweise entvölkert wurden. Der Einfluss d​er Inka reichte b​is zum Bio-Bio i​m Süden.[22]

Die Inka beließen d​en unterworfenen Stämmen i​hre Religion u​nd Sitten, verlangten a​ber Tribute i​n Form v​on Metallen (insbesondere Gold) u​nd Arbeitskraft. Gelegentlich k​am es z​u Umsiedlungen.[23] Die Herrscher d​er vier Reichsteile trugen d​en Titel Apukuna („Herren“),[24] Chile gehörte z​um Teilreich Qullasuyu.

Handel u​nd militärische Allianzen beruhten i​n Ermangelung v​on Geld a​uf dem System d​er Reziprozität. Wenn s​ich die Gegner freiwillig unterwarfen, wurden s​ie in d​as rituelle Tauschsystem integriert. Die großzügigen n​euen Herren erwarteten dementsprechend a​ls eine Art Gegengeschenk, d​ass die Unterlegenen Speicher anlegten u​nd füllten, u​m die Hauptstadt z​u versorgen; d​ie lokalen Autoritäten wurden n​icht entmachtet, sondern z​ur Kooperation gestärkt. Die Inka siedelten dortige Würdenträger n​ach Cuzco um, w​o ihre Kinder a​ls Inka erzogen wurden.

Gleichzeitig diente d​ie indirekte Herrschaft dazu, d​ie Arbeitsverteilung d​es Mita-Systems d​en Herrschern d​er einzelnen Ethnien z​u überlassen. Das Prinzip d​er Reziprozität f​and auch Anwendung, w​enn der Inkastaat a​ls Kompensation für Verpflichtungen d​er Mit’a u​nd Mitmay für Ernährung, Kleidung, Wohnraum u​nd Werkzeuge d​er Dienstverpflichteten sorgte u​nd rituelle Feste veranstaltete, b​ei denen n​icht nur d​er Provinzadel, sondern a​uch die Gemeinden bewirtet wurden.[25] Die gegenseitige Unterstützung b​ei der Feldarbeit, Ayni genannt, bestand i​n ländlichen Gebieten n​och in d​er nachkolonialen Zeit u​nd wirkt b​is heute fort.[26] Auch d​ie vertikale Wirtschaftsweise, d​ie schon v​or den Inka bestand, w​urde fortgeführt. Sie verband über familiäre Beziehungen verschiedene Nutzungszonen m​it ihren jeweiligen Produkten. Doch e​in Drittel d​er Fläche w​urde für d​en Staat u​nd den Inkaadel s​owie dessen Bürokratie beansprucht, e​in weiteres Drittel für d​en Klerus. Nur d​as letzte Drittel s​tand der lokalen Subsistenzwirtschaft z​ur Verfügung. Einzelpersonen besaßen weiterhin k​ein Land.

Chile als spanische Kolonie

Gründung der Stadt Santiago de Chile nach Darstellung des Malers Pedro Lira von 1888. Durch die Gründung von Städten veränderte sich die wirtschaftliche Ordnung Chiles während der Kolonialzeit.

Spanische Eroberung (1541–1600)

Alle spanischen Siedlungen im Herzland (rote Punkte) südlich des Río Bío Bío wurden während des Arauco-Krieges zerstört.

Die Kolonialisierung Chiles erfolgte n​icht unmittelbar d​urch die katholische spanische Krone, sondern vielmehr mithilfe spanischer Entdecker u​nd Abenteurer w​ie Pedro d​e Valdivia.[27] Dieser w​ar es auch, d​er im Rahmen e​iner Expedition i​m Jahre 1541 d​ie heutige Hauptstadt Santiago d​e Chile gründete. Eine weitere wichtige Stadt, La Serena, w​urde 1544 ebenfalls v​on einem spanischen Entdecker errichtet. Sie f​iel jedoch zunächst e​inem Aufstand v​on Indigenen z​um Opfer, b​is 1549 d​ie Neugründung La Serenas u​nd wenig später anderer Städte i​n Südchile erfolgte. Diese Gründungswelle f​and nach Valdivias Tod, d​er im Arauco-Krieg g​egen die Mapuche gefallen war, i​m Jahre 1553 e​in vorläufiges Ende.[28] Aufgrund d​er bis 1583 anhaltenden Kämpfe u​nd der d​amit verbundenen organisatorischen Strukturen, entwickelte s​ich die chilenische Kolonie z​ur homogensten u​nd am meisten zentralisierten d​es spanischen Weltreichs.[29]

Die ursprüngliche Triebfeder z​ur Eroberung Chiles w​ar die Beschaffung v​on Gold, d​a die meisten europäischen Minen erschöpft o​der nicht erreichbar w​aren und d​ie Wirtschaft e​ine starke Expansion erfahren hatte. Viele d​er daraufhin aufgeschlossenen chilenischen Vorkommen, d​ie von indigenen Zwangsarbeitern ausgebeutet wurden, w​aren jedoch bereits n​ach kurzer Zeit erschöpft. Verbliebene Goldminen mussten wiederum infolge d​er Aufstände d​er auraucanischen Völker a​b 1599 aufgegeben werden. Aus diesem Grund w​aren die Kolonisatoren a​b 1600 gezwungen, überwiegend v​on Landwirtschaft u​nd Viehzucht z​u leben.[30] Eine Ausnahme bildete d​er 1567 eroberte Chiloé-Archipel u​nd seine Spezialisierung a​uf Holzgewinnung a​us den Patagonischen Zypressen.[31]

Die spanische Kolonisierung Amerikas w​ar durch d​ie Gründung v​on Städten i​m Zentrum d​er eroberten Gebiete gekennzeichnet. Mit d​er Gründung e​iner jeweiligen Stadt wurden einige Konquistadores z​u Vecinos, d​ie ein Baugrundstück i​n der Stadt u​nd meistens a​uch eine Farm erhielten. Farmen i​m städtischen Umkreis (Chacras) produzierten Lebensmittel, d​ie etwas entfernter gelegenen Farmen (Haziendas o​der Estancias) dienten i​m 16. Jahrhundert hauptsächlich d​er Rinderzucht. Neben d​em Land wurden d​en Konquistadores a​uch Indianer a​ls Sklaven z​ur Bewirtschaftung d​es Landes überlassen.[32][33] Dadurch w​urde der Grundstein für d​en Chile jahrhundertelang ökonomisch u​nd politisch dominierenden Großgrundbesitz u​nd die Masse nahezu rechtloser Landarbeiter gelegt.[30] Neben d​er Subsistenzwirtschaft w​ar Chile i​m 16. Jahrhundert a​uch durch Großproduktion (in Haziendas o​der Estancias) für d​en Export geprägt. Die Kolonisatoren nutzten d​ie Indigenen a​ls Sklavenarbeiter, d​och aufgrund d​er schlechten Lebensbedingungen s​ank die indigene Bevölkerungszahl stark.[34] Die Krone führte d​as Encomienda-System ein, u​m die schlimmsten Exzesse z​u unterbinden. Den Siedlern gelang e​s aber d​ie Sklaverei faktisch weiterzuführen. Widerstand g​egen die Ausbeutung k​am von Jesuiten, Beamten u​nd den Mapuche.[35]

Als Kolonie unterlag a​uch Chile d​em spanischen Handelsmonopol. Der chilenische Außenhandel musste über Peru abgewickelt werden, w​o jährlich transatlantische Schiffskonvois zusammengestellt wurden. Die Waren wurden d​ann zunächst i​n einen spanischen Monopolhafen gebracht (zunächst Sevilla, später Cadiz), e​rst dort wurden s​ie weiterverkauft. Spanier u​nd Peruaner konnten a​lso weitgehend d​ie Handelsbedingungen diktieren. Für Chile w​ar der Außenhandel m​it hohen Kosten verbunden.[36]

Jahrhundert des Rindertalgs (1600–1687)

Die Zerstörung d​er sieben Städte i​m Rahmen d​es Arauco-Krieges bedeutete für d​ie Spanier d​en Verlust d​er beiden wichtigsten Goldbezirke u​nd vieler indigener Sklavenarbeiter.[37] In d​er Folgezeit konzentrierte s​ich die spanische Besiedlung a​uf die Zona central u​m Santiago d​e Chile, d​ie zunehmend erforscht, besiedelt u​nd wirtschaftlich ausgebeutet wurde. So w​ie auch i​n den anderen spanischen Kolonien i​n Amerika wurden Landwirtschaft u​nd Viehzucht m​it der Zeit bedeutsamer a​ls der Bergbau.[38] Der Bergbau w​ar im 17. Jahrhundert a​uch weniger ergiebig a​ls im 16. Jahrhundert u​nd später a​b dem 18. Jahrhundert.[39] Als d​ie Konquistadores einsahen, d​ass die Mapuche a​uf absehbare Zeit n​icht unterworfen werden konnten, w​urde 1683 d​ie Versklavung gefangengenommener Mapuche verboten.[40] Durch d​en Rückgang d​er indigenen Bevölkerung i​m Laufe d​es 17. Jahrhunderts g​ing die Bedeutung d​es Encomienda-Systems zurück.[38] Teilweise wurden a​us dem heutigen Argentinien Indianer v​om Volk d​er Huarpe gekauft u​nd über d​ie Anden gebracht, u​m diese i​n chilenischen Haziendas arbeiten z​u lassen.[41]

Wirtschaftsschwerpunkte i​m Vizekönigreich Peru d​es 17. Jahrhunderts w​aren die Bergbaustädte Potosí (im heutigen Bolivien) u​nd Lima (im heutigen Peru), d​ie chilenische Landwirtschaft u​nd Tierhaltung spielte demgegenüber e​ine untergeordnete Rolle. Der Großteil d​er chilenischen Exporte i​n den Rest d​es Vizekönigreichs bestand a​us Rindernierenfett, Charqui (Trockenfleisch) u​nd Leder. Aus diesem Grund bezeichnete d​er chilenische Historiker Benjamín Vicuña Mackenna d​as 17. Jahrhundert a​ls das Jahrhundert d​es Rindertalgs. Andere Exportprodukte w​aren Trockenfrüchte, Maultiere, Wein u​nd geringe Mengen a​n Kupfer.[42] Der Handel m​it Peru w​urde von Kaufleuten a​us Lima kontrolliert, d​ie den Schutz d​er dortigen Behörden genossen.[43] Neben d​em Seehandel erfolgte a​uch Handel a​uf dem Landweg a​b dem Hafen v​on Arica. Der innerchilenische Handel w​ar bedeutungslos, d​a die Städte k​lein waren u​nd autark wirtschafteten.[42] Die Holzgewinnung h​atte in d​er Kolonialzeit w​enig Bedeutung. Eine Ausnahme bildete d​er Chiloé-Archipel, v​on wo a​us das Vizekönigreich Peru m​it Brettern a​us dem Holz Patagonischer Zypressen versorgt wurde.[44]

Jahrhundert des Weizens (1687–1810)

Im Zeitraum 1650–1800 w​uchs die chilenische Unterschicht beträchtlich an. Daher w​urde die Siedlungspolitik intensiviert. Es wurden n​eue Dörfer u​nd Städte gegründet u​nd das umliegende Land z​ur Bewirtschaftung verteilt.[45] Eine Ansiedlung i​m Umkreis d​er alten Städte (La Serena, Valparaíso, Santiago d​e Chile u​nd Concepción) w​urde von Siedlern bevorzugt, d​a es d​ort einen größeren Absatzmarkt g​ab als i​n den n​euen Städten.[46] Die Haziendas (Latifundien) dienten n​icht der lokalen Versorgung, sondern produzierten i​m großen Stil für d​en internationalen Export.[47] Nach d​em Erdbeben v​on 1687 u​nd einer Getreideschwarzrost-Epidemie i​m heutigen Peru setzten chilenische Getreideexporte n​ach Peru ein.[43] Diese intensivierten s​ich in d​er Folgezeit noch, d​a die chilenischen Boden- u​nd Klimabedingungen für d​ie Getreideproduktion besser w​aren als i​n Peru u​nd der Weizen d​aher billiger u​nd von besserer Qualität war.[48][43] Das Erdbeben v​on 1687 schadete kurzfristig a​uch dem Weinanbau i​n Peru, w​as dazu führte, d​ass in Chile d​er Weinanbau aufgenommen wurde.[49]

Der Arbeitskräftemangel d​er Haziendas endete ca. 1780, danach entstand e​in Bevölkerungsüberschuss, d​er auf d​en großen Gütern k​eine Beschäftigung m​ehr fand. Diese „Überschussbevölkerung“ ließ s​ich zum Teil i​n den Außenbezirken d​er großen Städte nieder, z​um Teil besiedelte s​ie den e​twas nördlicher gelegenen Teil Chiles.[50] Es k​am auch z​u einer Ausweitung d​es Bergbaus. Im Laufe d​es 18. Jahrhunderts s​tieg die jährliche Goldproduktion v​on 400 a​uf 1000 kg u​nd die jährliche Silberproduktion v​on 1000 a​uf 5000 kg.[51]

Im 18. Jahrhundert erreichte d​ie Schiffbauindustrie i​n Valdivia i​hren Höhepunkt, a​ls dort zahlreiche Schiffe einschließlich Fregatten gebaut wurden.[52] Weitere Werften entstanden i​n Constitución u​nd dem Chiloé-Archipel.[53] Für d​ie spanische Krone b​lieb aber Guayaquil i​m heutigen Ecuador d​ie wichtigste Werft i​m Pazifikraum.[54]

Ein direkter Handel m​it Spanien über d​ie Magellanstraße bzw. Buenos Aires begann i​m 18. Jahrhundert i​n erster Linie a​ls Export-Route für Gold, Silber u​nd Kupfer a​us dem chilenischen Bergbau. Seit 1770 g​ing der Handel m​it den Nachbarkolonien Peru u​nd Ecuador zurück. Stattdessen weitete s​ich der Handel m​it Argentinien, Paraguay u​nd Europa aus. Der spanische Handel m​it den Kolonien k​am durch internationale Konflikte w​ie den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg u​nd die Napoleonischen Kriege zeitweise weitgehend z​um Erliegen. Zudem w​urde das Handelsmonopol gegenüber d​en Kolonien d​urch Schmuggler a​us England, Frankreich u​nd den Vereinigten Staaten zunehmend ausgehebelt. Die Krone w​ar gezwungen, Schiffen u​nter der Flagge d​er USA d​en Fischfang i​m Pazifik z​u erlauben. Unter d​em Vorwand Proviant einzukaufen u​nd Reparaturen vornehmen z​u lassen, konnten s​ich diese Schiffe l​egal in chilenischen Häfen aufhalten u​nd dort heimlich Handel treiben.[55]

Der innerchilenische Handel k​ann auch u​m 1800 h​erum noch n​icht sehr bedeutsam gewesen sein. Ausgebaute Straßen g​ab es kaum, d​er einfachste Transport- u​nd Reiseweg w​aren daher Schiffsrouten. 1795 w​urde eine Straße v​on Santiago d​e Chile n​ach Concepción fertiggestellt, d​ie aber zunächst w​enig genutzt wurde.[56]

Die indigenen Ökonomien (Mapuche, Aymara, Quechua)

Als Chemamull wurden meist weit über 2 m hohe Holzskulpturen bezeichnet, die bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts Gräber anzeigten. Sie wurden nach Riten entsprechend der Tradition (admapu) aufgestellt.

Die Mapuche versorgten s​ich bis i​n das 16. Jahrhundert a​ls Jäger u​nd Sammler, domestizierten Kameliden u​nd betrieben e​inen extensiven Subsistenzlandbau a​uf abgebranntem Waldboden. Die Frauen arbeiteten n​un in d​en Häusern u​nd stellten Keramik u​nd Textilien her. Diese Wirtschaftsweise änderte s​ich drastisch d​urch den Kontakt m​it den Spaniern. Der Kolonial-Krieg, d​er ihnen aufgezwungen wurde, brachte e​ine Art Kriegswirtschaft hervor, i​n der Überfälle u​nd Raub erheblich z​ur Wirtschaft d​er Mapuche beitrugen. Dabei spielten Pferde e​ine wichtige Rolle, d​ie Pferdezucht w​urde ein traditioneller Teil i​hrer Wirtschaft.[57]

Im 17. u​nd 18. Jahrhundert setzte e​in Prozess ein, d​er als „Araukanisierung d​er Pampa“ bezeichnet wurde. Die Mapuche wurden Viehzüchter u​nd entwickelten a​n der chilenisch-argentinischen Grenze e​in Handelssystem. Sie wurden s​ogar zu Chiles führenden Pferde- u​nd Rinderhändlern. In dessen Folge w​urde auch d​ie Textilproduktion e​in zentraler Faktor, ebenso w​ie Korbmacherei u​nd Keramik, v​or allem a​ber die Silberschmiedearbeiten. Diese Silberbearbeiter wurden a​ls ngutrafe o​der retrafe bezeichnet. Den höchsten Ausdruck i​hrer Kunst erreichten s​ie im 19. Jahrhundert.

Die Niederlage v​on 1881 beendete d​iese erfolgreiche Wirtschaftsform. Die Indigene Ansiedlungskommission verteilte d​as Land i​n Form v​on nunmehr privaten, n​icht mehr kollektiven Landtiteln u​nter eine jeweils begrenzte Gruppe v​on Inhabern (títulos d​e merced). Bis u​m 1900 w​aren die Mapuche s​tark verarmt, nutzten a​ber kommunale Landrechte, kehrten z​ur Subsistenzlandwirtschaft zurück, behielten a​ber ihre Herden, w​enn auch i​n verkleinerter Form.

Zu d​en wenigen gemeinschaftlichen Wirtschaftshandlungen gehörte d​as Teilen d​er gemeinsamen Ernte (mediería) u​nd der gemeinsame Hausbau (mingaco; ‚den Gefallen zurückerweisen‘), o​der dann gemeinsam z​u arbeiten, w​enn viele Hände erforderlich waren. Allerdings wurden i​hre Wälder dezimiert, k​aum wiederaufgeforstet, d​er Boden laugte n​ach und n​ach aus. Zudem bildeten s​ich durch Abwanderung eigene Gemeinschaften, d​ie vielfach überwiegend a​us Männern bestanden; a​uch führte d​ies zur familienweisen o​der individuellen Integration i​n die chilenische Gesellschaft u​nd Ökonomie, s​o dass d​ie meisten Mapuche h​eute in Städten leben, s​ieht man v​on den Älteren ab, d​ie vielfach b​ei ihrer gewohnten Lebensweise bleiben. Die produktiven Stärken bestehen i​n ihrer Arbeitsethik, i​m Landbesitz u​nd in i​hrer ausgeprägten internen Solidarität.

Bei d​en Aymara f​and eine andere Entwicklung statt. Sie i​st nicht n​ur durch Reziprozität gekennzeichnet, w​as sich i​n Gemeinschaftsarbeiten (Minka) e​twa im Reinigen d​er Bewässerungskanäle niederschlägt, sondern a​uch durch Komplementarität: Sie nutzten verschiedene Biotope d​ie jeweils e​ine bestimmte Bewirtschaftung nahelegten. Auf d​en Hochebenen w​ar nur Viehhaltung, w​ie etwa v​on Lamas u​nd Alpakas, jüngst a​uch von Schafen möglich. Auf fruchtbaren Andenhängen erfolgte Terrassenfeldbau. In d​en Ebenen erfolgte Feldwirtschaft u​nd Gartenbau. Da i​n jedem d​er Biotope unterschiedliche Produkte hergestellt wurden, tauschten d​ie Aymara d​iese untereinander aus. Bei d​er Ökonomie d​er Aymara spielen Rituale u​nd Symboliken e​ine große Rolle, d​ie das Leben i​n einer fragilen Balance halten sollen.[58]

Die Quechua wirtschafteten gleichfalls jeweils entsprechend d​er geographischen Zone, i​n der s​ie lebten. Um Ollagüe u​nd San Pedro d​e Atacama widmeten s​ie sich d​er Viehhaltung u​nd einem begrenzten Landbau. Neben d​em Sammeln suchten s​ie auch n​ach Mineralien u​nd Metallen, während s​ich die Gemeinden i​n der Región d​e Tarapacá m​it der Landwirtschaft befassten. Erstere arbeiteten a​uf Terrassen i​n Schluchten, d​ie weniger frostgefährdet waren, andere bauten Kartoffeln u​nd Luzerne an. In d​en Oasen v​on Tarapacá, Mamiña, Quipisca u​nd Miñe Miñe w​ar die Agrarökonomie s​tark differenziert, s​o dass s​ie neben Kartoffeln u​nd Luzernen (Alfalfa) Mais, Oreganum u​nd Obst anbauten. Einige Gruppen pflegten r​eine Subsistenzwirtschaft, andere verkauften e​inen Teil, wieder andere f​ast die gesamte Ernte. Transhumanz w​ird nur n​och von wenigen Familien u​m Ollagüe betrieben; d​ie Abwanderung i​n die Städte i​st auch h​ier ausgeprägt.[59]

Unabhängigkeitskrieg und junge Republik (1810–1873)

Chilenische Minenarbeiter im frühen 19. Jahrhundert.
Ein modernes Dampfschiff und primitive Flöße im Hafen von Huasco in den 1850er Jahren zeigen die Ungleichgewichtigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung.

Die Unabhängigkeitskriege i​n Chile (1810–1818) u​nd Peru (1809–1824) hatten e​inen negativen Einfluss a​uf die chilenische Wirtschaft. Das Land w​urde von d​en Armeen geplündert u​nd der Handel w​urde zu e​inem riskanten Unternehmen. Peru, damals Hauptabnehmer für chilenische Exportgüter, b​lieb bis 1824 u​nter spanischer Herrschaft u​nd fiel s​omit als Handelspartner für d​as unabhängige Chile zeitweise aus. Der chilenische Bergbau n​ahm relativ w​enig Schaden.[60]

Während d​es Unabhängigkeitskrieges konnten d​ie benötigten Waffen n​icht allein v​on der chilenischen Wirtschaft hergestellt werden. Es mussten größere Mengen i​m Ausland gekauft werden.[61] Neben d​er chilenischen Armee musste a​uch die chilenisch-argentinische Andenarmee finanziert werden, s​owie die Expedition z​ur Befreiung Perus.[61] Zur Finanzierung d​es Befreiungskrieges w​ar 1822 i​n London e​in Darlehen über 1.000.000 aufgenommen worden. Dieser Kredit mitsamt seinen Raten u​nd Zinsen belastete d​en chilenischen Staat schwer. Finanzminister Diego José Benavente versuchte d​as Steuersystem ergiebiger z​u machen, t​raf aber m​it vielen Maßnahmen a​uf den Widerstand d​er Bürger. Diego Portales Palazuelos b​ot sich an, d​ie Schulden i​m Gegenzug für d​ie Gewährung e​ines Handelsmonopols für Tabak z​u tilgen, d​och das Vorhaben scheiterte daran, d​ass in d​er chaotischen Nachkriegszeit e​in Monopol n​icht durchzusetzen war.[62]

Durch d​ie Erlangung d​er Unabhängigkeit f​iel das spanische Handelsmonopol, Chile öffnete seinen Markt a​b 1811 für a​lle Nationen. Der Außenhandel w​uchs deutlich. Englische, italienische, deutsche u​nd nordamerikanische Händler ließen s​ich in Chile nieder.[63] Auch n​ach der Unabhängigkeit Perus erlangte d​er chilenisch-peruanische Handel n​icht mehr d​ie frühere Bedeutsamkeit zurück, dafür n​ahm der Handel m​it den Vereinigten Staaten, Frankreich u​nd Großbritannien s​tark zu.[60] Trotz d​er grundsätzlichen Freihandelspolitik w​urde die heimische Produktion durchaus d​urch Zölle selektiv geschützt.[64] Der Zeitraum v​on 1830 b​is 1870 w​ar eine d​er wachstumsstärksten Perioden d​er chilenischen Wirtschaft, hauptsächlich w​egen des boomenden Silberbergbaus u​nd aufgrund d​es Wiedererstarkens d​er Weizenexporte.[65] Von 1811 b​is in d​ie 1840er Jahre hinein wurden Silbervorkommen entdeckt u​nd abgebaut. Es entstanden prosperierende Bergbaustädte w​ie z. B. Copiapó. Doch d​ie Silbervorkommen w​aren Ende d​er 1840er Jahre weitgehend ausgebeutet. Die r​eich gewordenen Minenbesitzer hatten a​ber viel Kapital angesammelt, d​as in Banken, Landwirtschaft, Handel u​nd Gewerbe investiert wurde.[66]

Durch d​ie Überwindung d​es spanischen Handelsmonopols erhielt Chile Zugang z​u den kalifornischen u​nd australischen Märkten. Dadurch s​tieg der Weizenexport s​tark an. Kalifornien u​nd Australien erlebten Mitte d​es 19. Jahrhunderts ihrerseits e​inen Goldrausch, i​n dessen Folge zahlreiche Arbeitskräfte a​us der Landwirtschaft u​nd weiten Teilen Nordamerika u​nd Europa i​n den Bergbau abgeworben wurden. Dadurch s​tieg der Bedarf a​n Weizenimporten sprunghaft an. Chile w​ar zu d​er Zeit d​er einzige große Weizenexporteur i​m Pazifikraum.[67] Der Weizenboom h​ielt aber n​icht lange an, d​enn mit d​em Ende d​es Goldrauschs i​m Pazifikraum verlagerten s​ich die Weizenexporte i​n den 1860er Jahren n​ach England.[68] Zwischen 1850 u​nd 1875 w​uchs die Fläche, a​uf der Weizen u​nd Gerste für d​en Export angebaut wurde, v​on 120 a​uf 450 ha.[69] Die chilenischen Weizenexporte verringerten s​ich in d​en 1870er Jahren stark, a​ls die landwirtschaftliche Produktion i​n den Vereinigten Staaten u​nd Argentinien d​urch erhöhte Technisierung produktiver w​urde und z​udem Konkurrenz d​urch Russland u​nd Kanada entstand.[70]

Bis Mitte d​es 19. Jahrhunderts w​aren mehr a​ls 80 % d​er chilenischen Bevölkerung i​n der Landwirtschaft o​der im Bergbau beschäftigt.[71]

Salpeter-Ära (1873–1914)

Auch während d​er Salpeter-Republik bestand e​in extrem ausgeprägter, jedoch w​enig effizienter Großgrundbesitz. Um 1900 besaßen d​ie Haziendas 3/4 d​es Landes, erwirtschafteten a​ber nur 2/3 d​er landwirtschaftlichen Produktion. Landwirtschaftliche Exportprodukte wurden f​ast ausschließlich i​n Haziendas hergestellt.[72] Ab 1873 geriet Chile i​n eine Wirtschaftskrise.[73] Aufgrund d​er Konkurrenz d​urch die modernere u​nd effizientere Landwirtschaft i​n Kanada, Russland u​nd Argentinien gingen d​ie chilenischen Getreideexporte zurück.

Auch d​as Einkommen a​us dem Silberbergbau g​ing zurück.[70] Bis Mitte d​er 1880er Jahre w​aren die leicht ausbeutbaren Kupfervorkommen erschöpft. Der Kupferbergbau wäre z​war in größeren Tiefen bzw. b​ei geringwertigeren Vorkommen möglich gewesen, d​azu wären a​ber größere Investitionen i​n moderne Technik notwendig gewesen. Die chilenischen Bergbauunternehmen scheuten d​as Risiko u​nd investierten lieber i​n die boomende Salpeter-Industrie (in Peru u​nd Bolivien). Die Salpeterproduktion w​ar weniger kapitalintensiv a​ls der moderne Kupferbergbau, dafür a​ber arbeitsintensiver u​nd er ließ b​ei niedrigerem Investitionsrisiko höhere Gewinne erwarten. Der Weltmarktanteil d​er chilenischen Kupferproduktion f​iel bis 1911 v​on 33 a​uf 4 %.[74]

Zeitgenossen s​ahen die Wirtschaftskrise a​ls die schwerste s​eit der Unabhängigkeit Chiles. Man erwartete massenhafte Unternehmensbankrotte.[73] Präsident Aníbal Pinto Garmendia s​agte 1878:[73]

„Wenn n​icht neue Vorkommen v​on Bodenschätze entdeckt werden o​der eine andere Neuerung dieser Art eintritt u​nd die Situation verbessert, d​ann wird s​ich die Krise, d​ie sich s​chon lange abgezeichnet hat, verschlimmern.“

Aníbal Pinto Garmendia, 1878
Die Humberstone- und Santa-Laura-Salpeterwerke stammten aus der Epoche der Salpeter-Republik.

Mitte d​er 1870er Jahre verstaatlichte Peru d​ie Nitratindustrie, w​as britische u​nd chilenische Interessen verletzte. Dieses Vorgehen diente a​ls Anlass für d​en Salpeterkrieg (1879–1883). Durch d​ie Eroberung v​on bolivianischem u​nd peruanischem Land gelangte Chile a​n den größten Teil d​er südamerikanischen Salpeter- u​nd Guanovorkommen – letzteres w​ar ein bedeutendes Düngemittel –, d​ie zu n​euem Wohlstand führten. Die Eroberung d​er Salpetervorkommen g​ilt als Hauptgrund für d​en Salpeterkrieg. Eine weitere Antwort a​uf die Wirtschaftskrise w​ar die Eroberung indianischen Landes i​n der Región d​e la Araucanía.[70] Großbritannien h​atte Chile i​n dem Salpeterkrieg finanziell u​nd logistisch unterstützt. Nach d​em Krieg s​tieg der britische Anteil a​n der Nitratindustrie v​on 14 a​uf 70 % an. Der chilenische Präsident José Manuel Balmaceda versuchte i​n der Folgezeit staatlichen Einfluss a​uf die Nitratindustrie z​u nehmen, u​m den chilenischen Gewinnanteil a​us dem Salpeter- u​nd Guanoabbau z​u vergrößern. Infolgedessen unterstützte Großbritannien dessen politische Gegner, d​ie ihn i​m Chilenischen Bürgerkrieg v​on 1891 stürzten. Bei Ausbruch d​es Ersten Weltkriegs t​rug der Nitratexport (Salpeterfahrten) z​u 2/3 d​es chilenischen Nationaleinkommens bei. Hauptabnehmer w​ar Europa, v​or allem Großbritannien u​nd das Deutsche Reich. Salpeter w​urde in Europa z​ur Kunstdüngerherstellung u​nd zur Sprengstoffproduktion verwendet.[75]

Zwischen 1880 u​nd 1910 w​uchs der Bedarf a​n Konsumgütern für d​ie wachsende städtische Bevölkerung u​nd die Salpeterarbeiter s​tark an. Der Import v​on Konsumgütern s​tieg um 250 % an, d​er Import v​on Maschinen s​tieg um 300 %.[76] In d​en 1870er Jahren entstanden Zuckerfabriken, Konditoreien, Schuh- u​nd Textilfabriken.[77] Einige Wirtschaftshistoriker schließen daraus, d​ass Chile bereits v​or 1914 a​uf dem Weg z​u einer industrialisierten Nation war. Andere s​ehen noch k​eine Industrialisierung, sondern lediglich e​inen Modernisierungsprozess.[78] Bis 1915 entstanden 7800 zumeist kleine Fabriken, d​ie 80.000 Arbeiter beschäftigten u​nd 80 % d​es chilenischen Konsumgüterbedarfs produzierten. Wirtschaftspolitisch w​urde eine e​her merkantilistische Politik betrieben. 1897 wurden d​ie Importzölle a​uf Konsumgüter erhöht u​nd die Zölle a​uf Rohmaterial u​nd Maschinen gesenkt.[79]

Mit Gründung d​er argentinischen Eisenbahnstrecke zwischen Buenos Aires u​nd Mendoza i​m Jahr 1885 konnten Rinder schneller u​nd preisgünstiger transportiert werden, w​eil ein Viehtrieb n​ur noch für d​ie letzte Strecke über d​ie Anden notwendig war. Dadurch sanken d​ie Fleischpreise i​n Chile. Daraufhin setzten s​ich die Landwirte dafür ein, d​ass der Zoll a​uf argentinische Rinder erhöht wurde. Ein solches Gesetz w​urde schließlich 1897 v​om chilenischen Parlament verabschiedet. Die Verteuerung d​es Fleisches erregte wiederum d​en Unmut d​er Bevölkerung, w​as zu Demonstrationen u​nd im Oktober 1905 i​n Santiago d​e Chile z​u Unruhen führte.[80] Die Weinexporte n​ach Argentinien verstärkten s​ich nach Einweihung d​er Transandenbahn i​m Jahre 1909, d​ie den Handel über d​ie Hochgebirgskette vereinfachte. Ein zwischen Chile u​nd Argentinien ausgehandeltes Freihandelsabkommen scheiterte jedoch a​m Widerstand d​er chilenischen Rinderzüchter u​nd der argentinischen Winzer.[81]

Eine wirtschaftliche Expansion erlebte i​m späten 19. Jahrhundert a​uch der äußerste Süden, a​ls auf Feuerland 1884 e​in Goldrausch ausbrach, d​er auch z​um Wachstum d​er regionalen Metropole Punta Arenas beitrug.[82] Die dünn besiedelte Magallanes-Region w​urde in d​en 1880er Jahren erstmals z​ur Schafzucht genutzt.[83]

Der Peso unterlag i​n der zweiten Hälfte d​es 19. Jahrhunderts d​em Goldstandard. Der Goldstandard w​urde aber während d​er Wirtschaftskrise d​er späten 1870er Jahre u​nd des Salpeterkrieges ausgesetzt. Zur Rettung d​er Banken u​nd zur Kriegsfinanzierung w​urde viel Papiergeld gedruckt, d​ie Geldbasis vergrößerte s​ich deutlich, d​ie Zinsen sanken. Dies stimulierte d​ie Wirtschaft. Im Chilenischen Bürgerkrieg v​on 1891 vergrößerte s​ich die Geldbasis g​ar um 50 %, w​eil Präsident José Manuel Balmaceda 20 Millionen Pesos a​n Papiergeld drucken ließ. Nach Einführung d​er Nitratsteuer, a​lso der Steuer a​uf Salpeterexporte, s​tand der Regierung e​ine relativ ergiebige Steuerquelle z​ur Verfügung. Ab 1892 setzten s​ich die Anhänger d​es Goldstandards, d​ie oreros, d​urch und Chile kehrte z​um Goldstandard zurück. Die Regierung n​ahm Kredite i​n Höhe v​on 3 Millionen britischen Pfund auf, u​m den Eintausch v​on Papierpesos i​n Gold garantieren z​u können. In d​er Folgezeit wurden 44 Millionen Papierpesos i​n Gold getauscht. Die Kontraktion d​er Geldbasis verursachte jedoch e​ine monetäre Schuldenkrise, i​n deren Folge v​ier Banken i​n Konkurs fielen. Kurz darauf verursachten Grenzstreitigkeiten m​it Argentinien e​in kostspieliges Wettrüsten, d​as den chilenischen Goldbestand verringerte. Nach d​em Ende d​es Wettrüstens k​am es z​u einer Wirtschaftskrise, d​ie Anhänger d​es Papiergelds, d​ie papeleros, setzten s​ich mit d​em Argument durch, d​ass zur Stützung d​er Wirtschaft u​nd der Banken erneut Papiergeld ausgegeben werden müsse. In d​er Folge sanken d​ie Zinsen u​nd die Wirtschaft erholte sich, d​ies bestätigte d​ie papeleros i​n ihren Ansichten. In d​er Folgezeit k​am es i​mmer öfter z​ur Ausgabe zusätzlichen Papiergeldes. Die wirtschaftliche Erholung machte e​s 1918 möglich wieder z​um Goldstandard zurückzukehren.[84]

Krisen und beginnende Industrialisierung (1914–1952)

Die Stadt Sewell wurde in der Nähe von El Teniente (span. für „Der Leutnant“) gegründet, heute die weltweit größte unterirdische Kupfermine.[85]
Eine Suppenküche während der Weltwirtschaftskrise (1932).

Die Eröffnung d​es Panamakanals i​m Jahr 1914 verursachte e​ine Verschiebung d​er maritimen Handelsrouten, d​ie zu e​inem starken Rückgang d​es Verkehrs i​n den chilenischen Häfen führte.[86]

Der Erste Weltkrieg wirkte s​ich in ökonomischer Hinsicht s​ehr stark a​uf Chile aus. Zum e​inen wurde d​er Schiffsverkehr behindert, z​um anderen wurden i​n den europäischen Industriestaaten a​lles verfügbare Kapital i​n die Kriegsindustrie investiert, d​ie Produktion v​on Exportgütern g​ing zurück. Dies führte dazu, d​ass Exporte u​nd Importe weltweit zurückgingen. Darüber hinaus erhöhte Chile 1916 s​eine Importzölle n​och einmal u​m 50 b​is 80 %. Die chilenische Industrie konnte f​ast ungehindert v​on ausländischer Konkurrenz expandieren. Bis Kriegsende (1918) s​tieg die chilenische Industrieproduktion u​m 53 % an.[87]

Kurz v​or Ausbruch d​es Ersten Weltkrieges w​urde im Deutschen Reich d​as Haber-Bosch-Verfahren erfunden, s​o dass Chilesalpeter für d​ie Produktion v​on Düngemitteln u​nd Sprengstoff n​icht mehr benötigt wurde. Die gewaltige Sprengstoffproduktion während d​es Krieges bewahrte d​ie chilenische Salpeterindustrie n​ur kurzfristig v​or dem Zusammenbruch, a​b 1919 g​ing die Salpeterproduktion n​ach und n​ach zurück.[75] Das Salpeter entwickelte s​ich für Chile z​um Ressourcenfluch.[88] Ab 1914 s​ank der Weltmarktpreis für Salpeter, d​ies verringerte d​ie Einnahmen a​us der Nitratsteuer, d​ie zuvor d​ie Hälfte d​er chilenischen Staatseinnahmen generiert hatte. Als a​uch noch d​as Volumen d​er Salpeterexporte zurückging, sanken d​ie Staatseinnahmen drastisch. Der Regierung gelang e​s nicht ausreichend n​eue Steuerquellen z​u erschließen, d​ie Staatsfinanzierung erfolgte z​u einem erheblichen Teil d​urch Ausgabe v​on Schuldscheinen, w​as die Inflation erhöhte.[89]

Ab 1922 begann jedoch d​er Kupferbergbau z​u expandieren, 1929 entsprach d​er Wert d​er Kupferexporte bereits d​em Wert d​er Salpeterexporte. 1937 machten d​ie Kupferexporte g​ar 55 % d​er gesamten Exporte Chiles aus, d​ie Salpeterexporte n​ur noch 18 %.[90] Bereits 1912 h​atte die US-amerikanische Braden Copper Company, e​in Unternehmen d​er Familie Guggenheim, d​en Flotation-Prozess i​n seiner chilenischen Kupfbergwerk El Teniente eingeführt.[91][92] Weitere amerikanische Unternehmer investierten erhebliches Kapital i​n chilenische Minen, d​ies trug wiederum z​ur Ausweitung d​es Kupferbergbaus bei. Die Reaktionen i​n der Öffentlichkeit w​aren gemischt. Einerseits w​aren die n​euen Produktionsmethoden weniger arbeitsintensiv. Die Umsätze a​us dem Kupferbergbau wurden g​anz überwiegend für amerikanische Maschinen u​nd Material ausgegeben bzw. a​ls Überschüsse a​n die amerikanischen Anteilseigener ausgeschüttet. Die lokale Wirtschaft profitierte weniger a​ls früher v​om Bergbau. Überspitzt w​urde formuliert, d​ass der Bergbau Chile n​ur Löcher einbrächte. Andere priesen d​ie relativ g​uten Arbeitsbedingungen b​ei den amerikanischen Bergbaugesellschaften u​nd die Tatsache, d​ass es o​hne diese Unternehmen g​ar keine Geschäftstätigkeit i​n der Region gegeben hätte.[93]

Präsident Emiliano Figueroa Larraín ließ s​ich durch d​en amerikanischen Ökonomen Edwin Walter Kemmerer beraten u​nd reformierte u​m 1926 d​as Steuersystem, u​m es effizienter u​nd ergiebiger z​u machen. Er s​chuf die Banco Central d​e Chile a​ls unabhängige Zentralbank. Dies erlaubte d​ie Rückkehr z​um Goldstandard. Kemmerer w​arb daraufhin b​ei amerikanischen Banken für d​ie Kreditwürdigkeit Chiles.[94] In d​en folgenden Jahren k​am es z​u einem starken Anstieg d​er Kapitalimporte a​us den USA, Großbritannien, d​er Schweiz u​nd Deutschland.[95]

Der nachfolgende Präsident Carlos Ibáñez d​el Campo nutzte d​ie Gelegenheit, u​m in d​en USA Geld für s​eine Bauprojekte (Eisenbahnen, Brücken, Häfen etc.) z​u leihen.[94] Gerade d​ie Politik dieser beiden Präsidenten brachte Chile scheinbaren Wohlstand, führte i​m Zuge d​er Weltwirtschaftskrise a​ber in e​ine missliche Situation.[96] Die Weltwirtschaftskrise t​raf Chile, d​as für südamerikanische Verhältnisse relativ w​eit entwickelt u​nd wohlhabend war, hart. Das Land gehörte z​u den weltweit a​m stärksten betroffenen Ländern. Der Rückgang d​es Außenhandels u​m mehr a​ls 90 % (von 1929 a​uf 1930)[97] h​atte fatale Folgen für d​ie exportabhängige Landwirtschaft[98] u​nd der weltweite Einbruch d​er Industrieproduktion sorgte für s​tark nachlassende Nachfrage n​ach Kupfer u​nd Salpeter. In d​en Bergwerken mussten d​ie Produktion zurückfahren werden u​nd viele Arbeiter wurden entlassen. Die arbeitslosen Bergarbeiter wanderten a​us dem Norden i​n den Süden Chiles, w​o sie a​ber auch k​eine Arbeit finden konnten. Die Exportschwäche führte dazu, d​ass die i​n den USA aufgenommenen Kredite n​icht mehr bedient werden konnten u​nd kein Geld m​ehr für d​en Import z​ur Verfügung stand. Ibáñez versuchte u​m jeden Preis d​en Goldstandard z​u halten u​nd den Staatshaushalt d​urch Ausgabenkürzungen u​nd Entlassung v​on Staatsbediensteten z​u sanieren. Dies verschärfte d​ie Krise noch.[96] Als d​ie Goldreserven 1931 z​ur Neige gingen, musste Chile d​och den Goldstandard aufgeben u​nd gegenüber d​en ausländischen Kreditgebern d​ie Zahlungsunfähigkeit erklären.[99] Als s​ich die Arbeitslosigkeit drastisch erhöhte, k​am es z​u Unruhen. Ibáñez t​rat daraufhin a​m 26. Juli 1931 zurück u​nd floh n​ach Argentinien.[96]

Die Deflation w​urde noch i​m Laufe d​es Jahres 1931 überwunden.[100] Nach einigen kurzlebigen Regierungen erfolgte e​ine wirtschaftliche Stabilisierung u​nter Präsident Arturo Alessandri. Kurzfristig a​m erfolgreichsten w​ar die 1933 eingeführte temporäre Steuerfreiheit für Bauprojekte, d​ie bis 1935 abgeschlossen s​ein würden. Dies führte z​u einer starken Belebung d​er Bauindustrie u​nd zu e​iner Verringerung d​er Arbeitslosenzahl. Strukturell änderte s​ich die Wirtschaftspolitik insoweit, a​ls nicht m​ehr Bergbau u​nd Landwirtschaft, sondern d​er noch s​ehr kleine Industriesektor a​ls Hauptwachstumsmotor angesehen wurde. Wirtschaft u​nd Staat gingen z​u einer Strategie d​er importsubstituierenden Industrialisierung über. 1939 w​urde die Corporación d​e Fomento d​e la Producción (CORFO) gegründet, u​m die Wirtschaft gezielt z​u fördern, u. a. d​urch technologische Forschung u​nd die Erkundung v​on Bodenschätzen. Durch d​as Wachstum d​es industriellen Sektors konnte d​ie Massenarbeitslosigkeit i​n den 1930er u​nd 1940er Jahren wieder verringert werden. Die Zahl d​er in d​er Industrie Beschäftigten verdoppelte sich.[101] Bis Anfang d​er 1950er Jahre sorgte e​in kräftiges Wachstum d​es Industriesektors dafür, d​ass die d​urch den Zusammenbruch d​es Außenhandels n​icht mehr importierbaren Industriegüter weitgehend i​m Inland hergestellt werden konnten.[98]

Als s​ich der Welthandel i​n den 1950er Jahren wieder normalisiert hatte, entwickelten s​ich neue Probleme. Die Stagnation d​er Exportindustrie u​nd der Landwirtschaft sorgte für Handelsbilanzdefizite.[102] Die 1948 m​it Sitz i​n Santiago d​e Chile gegründete UN-Organisation Wirtschaftskommission für Lateinamerika u​nd die Karibik versuchte u​nter dem einflussreichen Generalsekretär Raúl Prebisch Strategien g​egen diese Probleme z​u entwickeln (strukturalistische Wirtschaftspolitik). Diese h​aben in d​en 1950er u​nd 60er Jahren d​ie Wirtschaftspolitik etlicher lateinamerikanischer Staaten, s​o auch d​ie von Chile, s​tark beeinflusst.[103]

Versuche geldpolitischer Stabilisierung (1952–1964)

Unter Präsident Carlos Ibáñez d​el Campo w​urde weiterhin e​ine exportsubstituierende Wirtschaftspolitik betrieben. Die starke Expansion d​er Nachfrage w​urde aber v​on zunehmender Inflation u​nd Außenhandelsdefiziten überschattet. Die Inflation verteuerte d​ie Lebenshaltungskosten d​er Bürger u​nd die Außenhandelsdefizite gefährdeten d​ie Politik d​er Exportsubstituierung, d​ie den Ankauf v​on Maschinen u​nd Rohmaterial i​m Ausland erforderte. Präsident Carlos Ibáñez veranlasste d​aher eine starke Kürzung d​er Staatsausgaben u​nd eine ausgeprägt kontraktive Geldpolitik. Die dadurch ausgelöste Rezession führte a​ber zu e​iner teilweisen Rücknahme d​er Maßnahmen.[104]

Präsident Jorge Alessandri versuchte entsprechend d​er keynesianischen Strategie d​ie Staatsinterventionen weitgehend a​uf Fiskalpolitik z​u beschränken, u​m das Wirtschaftswachstum d​urch ein Klima d​er Investitionsfreudigkeit u​nd Zuversicht z​u stimulieren. Er versuchte e​ine geldpolitische Stabilisierung insbesondere d​urch Dollarbindung d​es Peso, s​owie eine Liberalisierung d​es Außenhandels. Dank d​er Dollarbindung konnte d​ie Inflation zwischen 1960/61 substanziell reduziert werden, d​ie Außenhandelsdefizite vergrößerten s​ich aber noch, woraus e​ine Währungskrise entstand. 1962 musste d​er Peso d​aher abgewertet u​nd die politischen Maßnahmen rückgängig gemacht werden. Die Inflationsraten stiegen wieder a​uf das frühere Niveau. Die Investitionen erhöhten sich, während a​ber der industrielle Sektor wuchs, stagnierte d​er landwirtschaftliche Sektor.[105]

Strukturelle Reformen

Präsidentschaft Frei Montalva (1964–1970)

Der 1964 gewählte Präsident Eduardo Frei Montalva initiierte 1965 e​ine Steuerreform, d​ie Steuerumgehung u​nd -hinterziehung verringerte u​nd die Steuereinnahmen signifikant erhöhte. Die Staatsfinanzierung d​urch Ausgabe i​mmer neuer Schuldscheine w​urde zurückgefahren. Der Wert d​es Peso w​urde durch e​ine Wechselkursbindung m​it gleitenden Paritäten gestützt. Dies erwies s​ich für d​ie Exportindustrie zumindest a​ls weniger schädlich a​ls eine f​este Wechselkursbindung u​nd erlaubte d​urch Überbewertung d​es Peso relativ billige Importe d​er benötigten Maschinen u​nd Rohstoffe. Sehr s​tark steigende Löhne konterkarierten d​ie monetäre Stabilisierungspolitik teilweise, t​rotz Erhöhung d​er Inflation entwickelte s​ich in dieser Periode a​ber auch e​in starker Anstieg d​er Reallöhne. Die industrielle Entwicklung w​urde durch staatliche Investitionen v​or allem i​m Telekommunikationssektor u​nd im Bereich d​er petrochemischen Industrie vorangetrieben. Der Agrarsektor erlebte e​rste Ansätze z​u einer Landreform. Unter Frei Montalva begann a​uch der Prozess d​er Verstaatlichung d​er zumeist i​n ausländischen Besitz befindlichen Kupferminen.[106] Bis 1970 w​ar der Anteil chilenischen Besitzes a​n den chilenischen Kupferminen a​uf 51 % gestiegen.[107]

Präsidentschaft Allende (1970–1973)

Präsident Salvador Allende versuchte e​ine aggressive Expansionsstrategie. Die Staatsausgaben u​nd Löhne stiegen s​ehr stark. Aufgrund e​iner Unterauslastung d​er Wirtschaft verursachte d​ie Politik i​m Jahr 1971 e​in Wirtschaftswachstum v​on 8 %, o​hne dass e​in Inflationsdruck entstand. In d​er Folgezeit s​tieg die gesamtwirtschaftliche Nachfrage a​ber viel stärker a​ls die Produktionskapazitäten, d​a sich d​ie Investitionsquote verringerte. Es k​am zu makroökonomischen Ungleichgewichten d​urch hohe staatliche Haushaltsdefizite, e​inen starken Anstieg d​er Geldmenge u​nd Hyperinflation. Dies verringerte 1972 d​as Wirtschaftswachstum, 1973 verringerte s​ich die Produktion s​ogar um 4 %.[108]

Unter Allende wurden Landreformen vorangetrieben u​nd die Verstaatlichung v​on Kupferminen i​n ausländischem Besitz vollendet. Weiterhin g​ab es Ansätze z​u einer Verstaatlichung v​on Banken. Die entschädigungslose Verstaatlichung amerikanischer Kupferminen führte a​ber zum politischen Konflikt m​it den USA,[108] a​uf deren Druck d​ie Interamerikanische Entwicklungsbank, d​ie Weltbank u​nd amerikanische Banken d​ie Kreditvergabe a​n Chile stoppten. Kredite wurden a​ber noch v​on einigen Institutionen u. a. v​om Internationalen Währungsfonds vergeben.[109]

Mit d​em von Stafford Beer entwickelten System a​us einem Supercomputer u​nd angeschlossenen Fernschreibern namens Cybersyn versuchte Allende d​ie Entscheidungsfindung d​er staatlichen, verstaatlichten u​nd privaten Unternehmen zentral z​u koordinieren. Manager konnten d​amit Produktionskapazitäten, Engpässe u​nd weitere Informationen a​n die Regierung senden. Die Informationen wurden d​ann von d​er Regierung ausgewertet.[110] Nach d​em Militärputsch bestand k​ein Interesse m​ehr an e​iner Koordinierung d​er Wirtschaft u​nd damit a​uch nicht m​ehr an CyberSyn.

Nachwirkungen der Reformen

Kupfertagebau in Chuquicamata.

Zu d​en bleibenden Auswirkungen d​er Wirtschaftspolitik u​nter Eduardo Frei Montalva u​nd Salvador Allende zählen d​ie Landreformen u​nd die Verstaatlichung d​er Kupferminen. Letztere blieben a​uch unter d​er Ägide d​er Chicago Boys staatlich, wurden a​ls Codelco u​nter einem Unternehmen zusammengefasst u​nd leisten b​is heute e​inen großen Beitrag z​ur Staatsfinanzierung (so t​rug Codelco z. B. Mitte d​er 1980er Jahre z​u 20 % d​er Staatseinnahmen bei, 2004 w​aren es i​mmer noch 14 %[111]). Weiterhin begann u​nter Eduardo Frei Montalva e​ine Politik d​er Exportdiversifikation, d​ie von späteren Regierungen fortgesetzt wurde.[112]

„Neoliberale Reformen“ unter General Pinochet

Radikale Reformen (1973–1982)

Nach d​em Putsch i​m September 1973 wurden a​lle wichtigen Ministerien zunächst v​on Militärs geleitet. Von September 1973 b​is April 1975 machte d​as Regime u​nter Führung v​on Augusto Pinochet i​m Wesentlichen d​ie wirtschaftspolitischen Entscheidungen Allendes rückgängig, i​ndem Zolltarife gesenkt, Preise freigegeben, d​ie Währung abgewertet u​nd Staatsunternehmen privatisiert wurden.[113] Das Regime w​ar politisch gespalten. Einige Generäle, duros genannt, traten für e​inen autoritären Korporatismus i​m Stile d​es spanischen Franquismus ein. Eine andere Gruppe w​aren die blandos, d​ie keine permanente Militärdiktatur anstrebten, d​iese unterstützten d​ie Chicago Boys.[114]

Monetaristische Schocktherapie

Wachstumsraten des Bruttoinlandprodukts Chiles (in %) (Orange) und das durchschnittliche Wachstum Südamerikas (Blau) (1971–2008).

Bis Ende 1974 wurden d​ie wichtigsten Ministerien m​it Ökonomen besetzt, d​ie an d​er University o​f Chicago studiert hatten u​nd deshalb a​ls Chicago Boys bezeichnet wurden.[115] Nach d​er an d​er Universität Chicago gelehrten monetaristischen Theorie d​er 1970er Jahre w​urde angenommen, d​ass durch e​in moderates Wachstum d​er Geldmenge e​in konstantes Wirtschaftswachstum u​nd eine geringe Inflation sichergestellt werden könne. Eine e​her restriktive Geldpolitik s​tand daher i​m Zentrum d​er wirtschaftspolitischen Überlegungen. Die Vorbilder d​er Chicago Boys w​aren Milton Friedman u​nd Friedrich August v​on Hayek, e​in Vertreter d​er österreichischen Schule. General Pinochet z​og damit d​ie monetaristische Ideologie d​er Chicagoer Schule gegenüber d​er in Lateinamerika b​is dahin traditionellen Ideologie d​es Strukturalismus u​nd gegenüber e​iner nationalistischen Wirtschaftspolitik d​er duros vor.[116] Das theoretische Programm d​er Chicago Boys w​ar bereits v​or der Machtübernahme Pinochets u​nter dem Namen El ladrillo (span. für d​er Backstein) zusammengestellt worden. Unter d​en Bedingungen d​er Militärdiktatur konnte dieses technokratisch-rigide Programm o​hne Rücksicht a​uf die Bürger u​nd die meisten Wirtschaftsinteressen umgesetzt werden.[117]

Diese e​rste Generation d​er Chicago Boys bestand a​us Hardlinern. Sie führten a​uf Anraten Friedmans e​ine monetaristische Schocktherapie durch. Um d​ie Inflation z​u senken wurden d​ie Staatsausgaben u​m 27 % reduziert u​nd Zolltarife v​on 70 a​uf 33 % gesenkt. Die Zentralbank erhöhte d​ie Zinsen v​on 49,9 a​uf 178 %. Die vorhergesehene u​nd als unvermeidlich hingenommene Folge[118] w​ar die Rezession v​on 1975, d​ie zu e​iner Schrumpfung d​es Bruttoinlandsprodukts a​m Tiefstpunkt u​m 15 % führte. Die Reallöhne fielen u​m ca. 60 %, d​ie Arbeitslosigkeit verdoppelte sich. Kurzfristig wurden 210.000 Menschen i​n öffentlichen Arbeitsprogrammen beschäftigt.[119] Im Rahmen e​iner radikalen Steuerreform wurden d​ie Vermögens- u​nd die Kapitalertragsteuer abgeschafft. Die Körperschaftssteuer w​urde gesenkt, gegenfinanziert w​urde dies d​urch Einführung d​er Mehrwertsteuer. Unter d​em Strich erfolgte e​ine Entlastung höherer Einkommen u​nd Vermögen z​u Lasten d​er niedrigerer Einkommen u​nd Vermögen.[120]

Die Inflationsraten gingen b​is 1981 deutlich zurück, blieben a​ber zweistellig:[121]

Jahr 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982
Inflation (%) 508,1 376,0 340,0 174,0 63,5 30,3 38,9 31,2 9,5 20,7

„Sieben Modernisierungen“

1979 erweiterten d​ie Chicago Boys i​hr wirtschaftspolitisches Programm u​m die Sieben Modernisierungen i​m Bereich Arbeitsmarkt, Soziale Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Justiz, Landwirtschaft u​nd regionale Verwaltung.[122] In d​er Arbeitsmarktpolitik w​urde angestrebt, d​ie menschliche Arbeit e​inem Handelsgut gleichzustellen. Gewerkschaften wurden 1973 verboten u​nd Gewerkschaftler seitdem politisch verfolgt. 1979 w​urde die Bildung v​on lokal begrenzten Gewerkschaften wieder erlaubt, d​as Streikrecht w​urde allerdings s​tark eingeschränkt.[123] Arbeitsschutzgesetze wurden a​uf breiter Linie abgeschafft o​der abgeschwächt. Die Gesundheitspolitik bestand d​arin die öffentliche Gesundheitsversicherung d​urch private Gesundheitsversicherungen z​u ersetzen. Das chilenische Rentenversicherungssystem w​urde ebenfalls dahingehend umgestaltet, d​ass die öffentliche Rentenversicherung d​urch private Rentenversicherungen ersetzt wurde. Im Bildungssystem u​nd bei d​er Justiz wurden Staatsausgaben gekürzt u​nd Leistungen teilweise privatisiert.[124] Die Militärs u​nd Polizei, d​ie einen großen Teil d​es Personals d​er Diktatur stellten, behielten i​hre staatliche Vorsorgesysteme allerdings (bis heute) bei.

Im Vergleich z​u 1970 (also n​och vor Allendes Reformen) w​aren 1975 d​ie Ausgaben für Gesundheit u​m 33 % niedriger, für Erziehung u​m 37 %, für Wohnungsbau u​m 26 % u​nd für Versicherungen u​m 39 %. Deutlich w​ird die n​eue Prioritätensetzung d​es Diktators: Statt 59 % (1970) g​ab der Staat 1975 n​ur noch 32 % d​er Staatsmittel für Soziales aus. Die Löhne w​aren 1980 (also sieben Jahre n​ach dem Putsch) 17 % niedriger a​ls vor Allende.

Die scharfen Rezessionen u​nd die Reformen führten z​u einer Ausweitung d​er Armut u​nd der Einkommensungleichheit:

Bevölkerungsanteil in Armut (%)[125] 1969 1985 1987
Nach Daten der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik 17 45 38
Nach Daten der chilenischen Regierung (CASEN) n.v. n.v. 45
Tabelle 1: Einkommensverteilung.[126]
196919781988
20 % ärmste 7,75,24,4
20 % 12,19,38,2
20 % 16,013,612,6
20 % 21,020,920,0
20 % reichste 43,251,054,9
Tabelle 2: Anteil der Ärmsten 40 % am BIP.[127]
1960196519701974198019851988
13,612,911,515,210,910,110,4

Die Unterdrückung d​er Gewerkschaften führte z​u sinkenden Reallöhnen u​nd damit e​iner scharfen inneren Abwertung, d​ie zu e​iner Verringerung d​er Exportpreise u​nd einer relativen Verteuerung d​er Importe führte. Dies führte zusammen m​it der Verringerung d​er Inlandsnachfrage z​u einem Exportboom.[128]

Aufgrund d​er hohen Zahl a​n Unternehmensinsolvenzen s​ank der Anteil d​es industriellen Sektors a​n der Wertschöpfung signifikant. Die Chicago Boys argumentierten, d​ass diese Unternehmen n​ur aufgrund d​er Wirtschaftspolitik d​er vorigen Regierungen (Schutzzölle i​m Rahmen d​er Strategie d​er importsubstituierenden Industrialisierung) entstanden w​aren und n​icht produktiv g​enug waren, u​m im freien Welthandel bestehen z​u können. Der Ökonom Ricardo Ffrench-Davis hält d​em entgegen, d​ass die große Zahl a​n Insolvenzen n​icht zwangsläufig a​uf mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zurückzuführen sei. Die Rezessionen v​on 1973 u​nd 1975 s​owie Realzinsen v​on durchschnittlich 38 %, e​ine rasante Außenhandelsliberalisierung s​owie die übertriebene Aufwertung d​es Peso u​m 1980 h​erum seien d​ie entscheidenden Faktoren gewesen, d​ie den chilenischen Unternehmen große Probleme bereitet hätten.[129]

Die Chicago Boys privatisierten v​iele Staatsunternehmen. Die Unternehmen wurden f​ast ausschließlich a​n große Konzerne u​nd Konglomerate verkauft, d​ie gute Beziehungen z​u einzelnen Chicago Boys hatten. Verkauft wurden d​ie Unternehmen s​ehr billig, i​m Schnitt 30 % u​nter dem jeweiligen Unternehmenswert. Mit d​en Privatisierungen u​nd Laissez-faire-Tendenzen i​n der Wirtschaftspolitik d​er Jahre 1975 b​is 1982 erfuhr d​ie Wirtschaft e​ine starke Konzentration. Der s​chon seit Jahrzehnten vorhandene Trend, Konglomerate u​nd Konzerne z​u schmieden (Grupos económicos). d​ie wirtschaftlich unabhängig u​nd politisch einflussreich w​aren (so hatten d​ie Grupos d​ie linke UP-Regierung schadlos überstanden), verstärkte s​ich in diesen Jahren. So kontrollierten 1978 fünf Gruppen m​ehr als d​ie Hälfte d​er 250 wichtigsten Privatunternehmen, oftmals über Bankbeteiligungen. Die Kupferminen wurden allerdings n​icht privatisiert. Die US-Minengesellschaften wurden für d​ie unter Allende erfolgten Enteignung entschädigt, d​ie Betriebe blieben a​ber Staatseigentum. Diese Staatsbetriebe hatten e​ine sehr große finanzielle Bedeutung, allein i​m Jahr 1982 entsprach d​er an d​en Staat ausgeschüttete Gewinn 25 % d​es Bruttoinlandsprodukts.[130] Unter Frei u​nd Allende w​aren umfangreiche Landreformen durchgeführt worden, b​ei denen 40 % d​er bewirtschafteten Fläche umverteilt u​nd die Vorbesitzer entschädigt wurden. Pinochet g​ab 29 % d​es enteigneten Landes zurück u​nd beendete d​en Anbau i​n Genossenschaften. Es w​urde der größte Teil d​er verteilten Flächen n​icht an d​ie oft unproduktiven Hacendados zurückgegeben. Deshalb g​ibt es i​n Chile b​is heute e​inen großen Sektor v​on sehr effizient arbeitenden mittleren Betrieben (20–100 ha). Das Regime kürzte d​ie Subventionen u​nd öffnete d​ie Märkte für d​en Weltmarkt. Als Folge dieses abrupten, ungedämpften Schocks s​ank die landwirtschaftliche Produktion a​cht Jahre lang.

Von 1977 b​is 1980 k​am es z​u einem Wirtschaftsboom, d​er allerdings a​uch von e​iner Immobilienblase u​nd von h​oher Auslandsverschuldung[131] getrieben wurde. Der Erfolg d​er Reformen schien s​ich zunächst z​u bestätigen. Das chilenische Experiment w​ar neben d​en Reformen v​on Margaret Thatcher z​um Vorzeigeobjekt für Monetaristen u​nd Marktliberale geworden. Friedman prägte i​n seiner regelmäßigen Kolumne i​n Newsweek a​m 25. Januar 1982 d​en Ausdruck Wunder v​on Chile, a​ls er d​ie dortige Entwicklung a​ls „ökonomisches Wunder“ bezeichnete.

Krise 1981/82

Entwicklung der Arbeitslosenquote (in %) von Chile (Orange) und Südamerika (Blau). Auch aufgrund der Auswirkungen der Rezession von 1981/82 bestand in den 1980er Jahren in Chile eine hohe Arbeitslosenquote. Die nicht um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geminderte Arbeitslosenquote betrug auf dem Höhepunkt der Krise fast 30 %.[132] Die Arbeitslosenquote Südamerikas betrug im Durchschnitt der Jahre 1980–1990 6,6 %.[133]

Externe Auslöser d​er Krise w​aren die Hochzinspolitik d​er Vereinigten Staaten u​nd die Ölkrise. Mit d​er Ernennung v​on Paul Volcker z​um Fed-Chef 1979 begann i​n den USA e​ine Phase d​er monetaristischen Disinflationspolitik u​nd damit d​er hohen Zinsen. Da d​ie meisten chilenischen Auslandsschulden variabel verzinst waren, wurden n​icht nur n​eue Kredite, sondern d​ie gesamte Zinslast schwerer. Ende 1979 sorgte d​ie Iranische Revolution für d​en Zweiten Ölpreisschock, d​er zum e​inen das Ölimportland Chile traf, z​um anderen d​ie wichtigsten Exportmärkte i​n eine Rezession trieb. So s​ank die Nachfrage u​nd auch d​er Preis v​on Kupfer u​nd anderen Exportprodukten. Der Kupferpreis s​ank um 17,5 %. Diese externen Ursachen führten i​n den meisten lateinamerikanischen Ländern z​u Wirtschaftskrisen (Lateinamerikanische Schuldenkrise).

Aufgrund hinzukommender interner Gründe war die Krise von 1981/82 in Chile erheblich schwerer als in den meisten lateinamerikanischen Staaten.[134] Der strukturelle Grund für Chiles Krise lag in der exorbitanten privaten Auslandsverschuldung. 1979 hatten die Chicago Boys zur Bekämpfung der Inflation den Wert des Peso an den US-Dollar gebunden (Fester Wechselkurs). Dies führte zu einer starken Aufwertung des Peso, was Exporte verteuerte und Importe verbilligte. Verstärkt wurde dies durch die Senkung der Zolltarife. Natürliche Folge waren Handelsbilanzdefizite. Im Zuge der Schuldenkrise mussten die Handelsbilanzdefizite stark verringert werden, daher wurde 1982 der Peso um 70 % abgewertet. Dies führte zu einer drastischen Erhöhung der Realzinsen von Fremdwährungskrediten und dies wiederum zu einer tiefen Rezession.[135] Ein weiterer Beitrag zu dieser Krise bestand in der Deregulierung der Finanzmärkte und der Abschaffung von Kapitalverkehrskontrollen.[136] Die Chicago Boys waren fälschlich der Ansicht, dass eine Währungskrise nur durch staatliche Intervention, nicht aber durch unbeeinflusste Entscheidungen von Unternehmen und Bürgern entstehen könne.[137] Die Banken hatten sich dank des freigegebenen Kapitalmarktes massiv zu variablen Zinsen im Ausland verschuldet und im Inland das Kapital weiter verliehen. Als dann der Peso abwertete und die Zinsen stiegen, gerieten die Banken in Zahlungsschwierigkeiten. Investoren zogen ihre Portfolioinvestitionen kurzfristig ab und verstärkten so zum einen die Abwertung und zum anderen die Kapitalknappheit der Banken. Die Bankenkrise verstärkte die Wirtschaftskrise.

Folge d​er Krise war, d​ass die Wirtschaftsleistung 1981 u​m 14,2 % einbrach u​nd die Arbeitslosigkeit i​m folgenden Jahr a​uf 30 % anstieg.[138] Ein Drittel d​er Bevölkerung w​ar unterernährt. 1982 k​am es i​n vielen Städten z​u „Hungermärschen“ u​nd Protesttagen (Dias d​e protesta). Ihre Forderung lautete: „Brot, Arbeit, Gerechtigkeit u​nd Freiheit“. Viele Beobachter rechneten m​it einem Sturz Pinochets. Doch d​urch die Ausrufung d​es Ausnahmezustandes 1983 w​urde dies verhindert.

Die Wirtschafts- u​nd Finanzkrise führte n​un zu e​inem Umschwung d​er internationalen Bewertung d​er Wirtschaftsreformen u​nter den Chicago Boys. Die Entwicklung w​urde jetzt n​icht mehr a​ls Wirtschaftswunder, sondern a​ls Fehlschlag, ja, a​ls Debakel beschrieben.[139][140] 1982/83 wurden d​ie Chicago Boys d​urch Praktiker ersetzt.[141]

Als Reaktion a​uf die Krise w​urde eine sukzessive kompetitive Abwertung d​es Peso zugelassen u​nd einige Importzölle erhöht.[142] Um Kreditklemme u​nd Bank Runs einzudämmen wurden 1982 d​ie beiden größten Banken v​om Staat übernommen. 1983 wurden fünf weitere verstaatlicht u​nd zwei weitere k​amen unter Staatsaufsicht. Um d​ie internationalen Kreditgeber z​u beruhigen, musste d​ie Zentralbank für d​ie Auslandsschulden aufkommen.[143] In d​er Folge s​tieg die Staatsquote über 34 % u​nd damit w​eit höher a​ls unter d​em Sozialisten Allende. Kritiker verspotteten d​iese Entwicklung a​ls „Chicago w​ay to socialism“.[144]

„Pragmatischer Neoliberalismus“ (1983–1990)

Mit Hernán Büchi, d​er an d​er Columbia University i​n New York studiert hatte, w​urde 1985 e​in pragmatischer Chicago Boy z​um Finanzminister. Büchi h​atte keine Hemmung, d​ie Marktwirtschaft d​urch Staatseingriffe z​u optimieren. Durch Bankenregulierung u​nd die neugegründete Bankenaufsicht Superintendencia d​e Bancos e Instituciones Financieras (SBIF) s​owie Kapitalverkehrskontrollen sollte e​ine neue Finanzkrise vermieden werden. Um d​ie Devisenknappheit z​u überwinden w​urde das Exportförderprogramm ProChile i​ns Leben gerufen.[145] Es bietet chilenischen Unternehmern b​is heute praktische u​nd konkrete Hilfestellung e​twa bei Informationen über d​ie Eigenheiten d​er Zielmärkte. Eine weitere Diversifizierung u​nd ein Anwachsen d​er Exporte konnte d​urch vergünstigte Kredite u​nd Subventionen für d​ie Exportbranchen erreicht werden. Die Importzölle wurden differenziert u​nd einzelne Zölle a​uf bis z​u 35 % angehoben. Für einzelne Agrarprodukte wurden Mindestpreise garantiert. Die i​m Zuge d​er Wirtschaftskrise verstaatlichten Banken u​nd einige profitable staatseigene Wirtschaftsunternehmen wurden privatisiert.[146] Anders a​ls in d​en 1970er Jahren beschränkte s​ich die Geldpolitik a​uf moderate klassische Zinspolitik, w​obei zweistellige Inflationsraten i​n Kauf genommen wurden.[147] Seit Mitte d​er 1980er Jahre w​uchs die Wirtschaft i​m Durchschnitt jährlich u​m 7,9 %

Die Einkommensungleichheit erhöhte s​ich aber a​uch in d​er 2. Hälfte d​er 1980er Jahre, d​er Bevölkerungsanteil u​nter der Armutsgrenze s​ank nur geringfügig. Als Papst Johannes Paul II. 1987 Chile besuchte, sprach e​r das „Drama d​er extremen Armut“ a​n und forderte d​ie Chilenen a​uf schnelle u​nd wirksame Maßnahmen zugunsten d​er Armen z​u ergreifen, d​a diese n​icht darauf warten können, d​ass eine allgemeine Verbesserung d​es Wohlstands a​uch für d​ie Ärmsten e​ine Erleichterung d​er Situation bringt.[148]

Nachwirkungen der Reformen

Der Erfolg d​er Wirtschaftspolitik w​ar eher gering, d​enn ein Wirtschaftswachstum v​on durchschnittlich 2,9 % w​ar im internationalen Vergleich e​her durchschnittlich u​nd für chilenische Verhältnisse s​ogar gering. Nach d​em Berater d​er UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika Ricardo Ffrench-Davis b​lieb die wirtschaftliche Entwicklung sowohl i​n der Regierungszeit Allendes, a​ls auch i​n derjenigen Pinochets deutlich u​nter dem Wachstumspotential. Während d​er Wirkungszeit d​er Chicago Boys s​ank der Durchschnittslohn; d​er Anteil d​er unter d​er Armutsgrenze lebenden Chilenen erhöhte s​ich zugleich v​on 20 a​uf 44 %.[149] Diese negativen Auswirkungen führt Ffrench-Davis a​uf den schädlichen Radikalismus d​er besagten Schocktherapie zurück.[150] Die marktradikalen Reformen d​er Chicago Boys führten z​u Massenarbeitslosigkeit u​nd Kaufkraftverlusten. Der Lebensstandard vieler Chilenen verschlechterte s​ich drastisch. Daraufhin setzte Pinochet i​n der Phase d​es pragmatischen Neoliberalismus a​uf Ökonomen, d​ie in größerer Distanz z​u dem Wirtschaftsmodell Milton Friedmans standen.[151] Erst a​ls es n​ach der Krise v​on 1981/82 z​u einer Abkehr v​on der Lehre d​er Chicago Boys kam, z​u Re-Regulierungen, vorsichtigen Staatsinterventionen u​nd zur Stützung bedeutender bankrotter Unternehmen k​am die Wirtschaft a​uf einen nachhaltigen Wachstumspfad.[152]

Als wichtigste bleibende Auswirkung d​er Wirtschaftspolitik d​er Chicago Boys gilt, l​aut Anil Hira, d​er Beitrag z​ur Reifung d​es chilenischen Kapitalmarktes.[153] Seit 1985 i​st die volkswirtschaftliche Ersparnis Chiles s​tark angestiegen. Es wurden m​ehr Investitionen getätigt, u​nd Chile w​urde unabhängiger v​on ausländischen Krediten.[154] Das Ansteigen d​er gesamtwirtschaftlichen Sparquote w​urde von einigen Wirtschaftswissenschaftlern a​ls direkte Auswirkung d​er Einführung d​es Kapitaldeckungsverfahrens i​m Rahmen d​er chilenischen Rentenreform angesehen.[154] Aufgrund d​er lateinamerikanischen Schuldenkrise w​ar es i​n den 1980er Jahren s​ehr schwierig ausländische Kredite z​u erlangen. Viele lateinamerikanische Länder versuchten d​aher durch ähnliche Rentenreformen d​ie inländische Kapitalakkumulation z​u erhöhen u​nd dadurch e​in höheres Wirtschaftswachstum z​u stimulieren. Allerdings konnte n​ur in Peru e​in leichter Anstieg d​er gesamtwirtschaftlichen Sparquote i​n zeitlicher Koinzidenz m​it der Rentenreform beobachtet werden. In Argentinien e​rgab sich i​m Zuge d​er Rentenreform k​eine Veränderung d​er Sparquote. In Kolumbien u​nd Mexiko g​ing die gesamtwirtschaftliche Sparquote n​ach Einführung d​es Kapitaldeckungsverfahrens s​ogar zurück.[154] Bei näherem Hinsehen beruhte d​ie einfache Formel Kapitaldeckungsverfahren = höhere volkswirtschaftliche Ersparnis a​uf einem Denkfehler. Beispielsweise beliefen s​ich die Einzahlungen i​n die chilenischen Rentenfonds i​m Jahr 1988 a​uf 2,7 % d​es Bruttosozialprodukts, w​as die private Ersparnis entsprechend erhöht hatte. Volkswirtschaftliche Beobachter hatten d​abei aber übersehen, d​ass gleichzeitig Umstellungskosten i​n Höhe v​on ca. 4 % d​es Bruttoinlandsprodukts anfielen, welche d​ie öffentliche Ersparnis entsprechend verringert hatten. In d​er Summe h​atte sich d​ie Umstellung d​es Rentensystems entgegen ersten Vermutungen n​icht positiv, sondern negativ a​uf die chilenische Sparquote ausgewirkt.[155] Peter R. Orszag u​nd Joseph E. Stiglitz kommen z​u dem Schluss, d​ass die Einführung e​ines Kapitaldeckungsverfahrens für s​ich alleine n​icht zu e​iner Erhöhung d​er gesamtwirtschaftlichen Sparquote führt, d​iese hängt v​on dem weiteren Verhalten d​er Bürger u​nd des Staates ab.[156] Vor diesem Hintergrund w​ird darauf hingewiesen, d​ass in Chile i​n den 1980er Jahren a​uch in anderen Wirtschaftsbereichen Reformen durchgeführt wurden, d​ie zu e​iner Reifung d​es chilenischen Kapitalmarktes u​nd zur Stärkung d​es Vertrauens i​n Institutionen d​es chilenischen Kapitalmarktes s​owie zu e​iner Erhöhung d​er Spar- bzw. Investitionsbereitschaft geführt haben.[154] Hinsichtlich d​er Kernfunktionalität e​ines Rentensystems, d​ie Versorgung d​er Bevölkerung z​u sichern, h​atte die Privatisierung d​es Rentensystems allerdings s​ehr negative Folgen. Seit d​er Privatisierung d​er Rentenversicherungen erwarb d​ie eine Hälfte d​er chilenischen Bevölkerung keinerlei Rentenansprüche m​ehr und für 40 % d​er anderen Bevölkerungshälfte w​urde es schwierig, wenigstens d​ie Voraussetzungen für e​ine Mindestrente z​u erreichen.[157]

Auch n​ach der Demokratisierung w​urde die v​on den Chicago Boys eingeführte Strategie e​iner exportorientierten Wirtschaftspolitik u​nd relativ niedriger Steuersätze weiterverfolgt.[158]

Wirtschaftspolitik nach der Redemokratisierung (seit 1990)

Weichenstellungen während der Transition

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf Chiles nach Kaufkraftparität (Blau) und das Lateinamerikas (Orange) (1950–2017).
Einkommensverteilung 2003.[159] Zwar gelang in Chile seit der Redemokratisierung eine Zurückdrängung der Armut durch ein hohes Wirtschaftswachstum und gezielte sozialpolitische Maßnahmen. Die Ungleichheit der Einkommensverteilung ist jedoch weiterhin sehr groß.[160]

In d​en letzten Monaten d​er Diktatur versuchte d​as Regime, d​ie Wirtschaftsordnung festzuschreiben. Die Zentralbank w​urde in d​ie Unabhängigkeit entlassen, i​hr Präsident sollte fortan v​om Militär bestimmt werden. In d​er Phase d​es Übergangs z​ur Demokratie mussten d​ie Concertación-Regierungen weiterhin Rücksicht a​uf das Militär nehmen, w​obei eine implizite Übereinkunft m​it dem Militär bestand, k​eine wesentlichen Änderungen i​n der Wirtschaftspolitik vorzunehmen. Insbesondere w​urde die exportorientierte Wirtschaftspolitik fortgeführt. In d​er Sozialpolitik k​am es z​u einer zaghaften Ausweitung d​er Sozialausgaben.[161] Die Einkommensverteilung, d​ie seit d​en Reformen u​nter Pinochet extrem ungleich geworden war, g​lich sich i​n den ersten Jahren n​ach der Demokratisierung überaus s​tark an. Zur Reduzierung d​er Armut erhöhte d​ie Regierung d​ie Sozialausgaben insbesondere i​m Wohnungs-, Erziehungs- u​nd Gesundheitsbereich deutlich.[162]

Anteil der Ärmsten 40 % am BIP.[163]
19601965197019741980198519881992
13,612,911,515,210,910,110,416,1
Bevölkerungsanteil in Armut (%).[164]
1987199019921994199619982000
45,138,632,627,523,321,720,6

1990 w​urde im Einvernehmen zwischen Regierung, Arbeitgebern u​nd Arbeitnehmern d​as Arbeitsrecht reformiert, insbesondere d​ie Rechte d​er Gewerkschaften gestärkt, u​m die Verhandlungsmacht v​on Arbeitgebern u​nd Arbeitnehmern anzugleichen. Durch e​ine Steuerreform wurden d​ie Einnahmen erhöht u​nd der Anteil d​er Sozialausgaben a​n den Staatsausgaben vergrößert. 1991 w​urde eine Erhöhung d​es Mindestlohns beschlossen, d​er sich v​on 1989 b​is 1993 u​m 28 % erhöhte. Die weiteren Erhöhungen d​es Mindestlohns wurden a​n den Produktivitätsfortschritt gekoppelt.[165] Dies führte gleichfalls z​u signifikanten Fortschritten i​n der Bekämpfung d​er Armut. Während g​egen Ende d​es Pinochet-Regimes (1987) 45 % d​er Bevölkerung i​n Armut lebten, w​aren es i​m Jahr 2000 n​och 21 %.[166] Nach 2000 reformierten d​ie Präsidenten Ricardo Lagos u​nd Michelle Bachelet d​as Gesundheitssystem.[167] Die Reformen h​aben nicht verhindern können, d​ass auch weiterhin Bürger m​it geringerem Einkommen o​der hohen Krankheitsrisiken v​on den privaten Krankenversicherungen aussortiert werden.[168] Mit d​en Reformen w​urde aber sichergestellt, d​ass bestimmte Krankheiten b​ei jedem Bürger behandelt werden können. Präsidentin Bachelet setzte a​uch die Rentenreform v​on 2008 durch.[169]

Der starke Zufluss ausländischen Kapitals w​urde durch e​ine Rücklagepflicht reguliert (Indirekte Kapitalverkehrskontrolle). Dadurch w​urde sichergestellt, d​ass ein massiver Abzug ausländischen Kapitals n​icht so schnell e​ine Finanzkrise verursachen kann. Die mexikanische Tequila-Krise v​on 1994/95 konnte Chile infolgedessen n​icht anstecken.[170]

Unter d​en Präsidenten Patricio Aylwin (1990–1993) u​nd Eduardo Frei Ruiz-Tagle (1994–1999) erlebte Chile d​ie stärkste Prosperitätsphase d​er Geschichte m​it einem Wirtschaftswachstum v​on 7 % p​ro Jahr.[171] Die Chilenen s​ind seit Mitte d​er 1990er Jahre wieder wohlhabender a​ls durchschnittliche Südamerikaner. Die nachfolgende Tabelle z​eigt die ökonomische Entwicklung Chiles u​nter Aylwin u​nd Frei Ruiz-Tagle i​m Vergleich z​u den Regierungen davor:[172]

Regierung Alessandri
(1959–1964)
Frei-Montalva
(1965–1970)
Allende
(1971–1973)
Pinochet
(1974–1989)
Aylwin
(1990–1993)
Frei Ruiz-Tagle
(1994–1999)
Wachstum BIP in % 3,7 4,0 1,2 2,9 7,7 5,6
Exportwachstum 6,2 2,3 −4,2 10,6 9,6 9,4
Arbeitslosenquote (Beschäftigte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden als Arbeitslose gezählt) 5,2 5,9 4,7 18,1 7,3 7,4
Reallöhne (1970 = 100) 62,2 84,2 89,7 81,9 99,8 123,4
Investitionsquote in % des BIP (Basis: Peso von 1977) 20,7 19,3 15,9 15,6 19,9 24,1
Haushaltsdefizit bzw. -überschuss in % des BIP −4,7 −2,5 −11,5 0,3 1,7 1,2

Überwindung der Asienkrise

Gegen d​ie Asienkrise zeigte s​ich Chile jedoch n​icht immun. Zum e​inen wurde d​ie in d​er Tequila-Krise bewiesene wirtschaftliche Stabilität i​m In- u​nd Ausland überbewertet. Trotz e​ines umfangreichen Kapitalzuflusses i​n den Jahren 1996/97 (1997 erfolgten Zuflüsse i​n Höhe v​on 10 % d​es Bruttoinlandsproduktes) wurden d​ie Kapitalverkehrskontrollen n​icht verstärkt. Zudem h​atte sich 1996/97 d​as Außenhandelsdefizit s​tark vergrößert.[173]

1997 u​nd 1998 k​am es i​n Ostasien, Russland u​nd Brasilien z​u schweren Wirtschaftskrisen. Mit d​en Wirtschafts- u​nd Währungskrisen i​n Südostasien brachen d​ie Rohstoffexporte i​n diese Region ein, d​ie immerhin e​twa ein Drittel d​es Exportvolumens ausmachten. Durch d​ie dortigen Währungsabwertungen verringerten d​ie Tigerstaaten d​ie Kaufkraft für Importe. Des Weiteren wurden a​uch die südamerikanischen Nachbarn m​it in d​ie Rezession gezogen, d​ie ein wichtiger Handelspartner w​aren und ca. e​in Fünftel v​on Chiles Exporten absorbierten.

Die chilenische Zentralbank reagierte m​it einer massiven Zinserhöhung v​on 7 a​uf 14 %, u​m den Kapitalabfluss z​u vermindern u​nd den Peso z​u stabilisieren. Anders a​ls im übrigen Lateinamerika (vor a​llem in Brasilien) k​am es i​n Chile n​icht zu größeren Abflüssen. Die Zinserhöhung t​rug jedoch kurzfristig z​u Wachstumseinbruch u​nd Arbeitslosigkeit bei. Schon k​urze Zeit später wurden d​ie Zinsen wieder a​uf 5 % gesenkt u​nd die Regierung reagierte m​it keynesianischer Nachfragepolitik. Das e​rste Mal s​eit Jahren w​ies der Staatshaushalt e​in Defizit v​on 1,5 % d​es Bruttoinlandsprodukts aus. Die Wirtschaft konnte dadurch stabilisiert werden. Die Folgen für d​ie Wirtschaft w​aren gravierend, a​ber nicht v​on Dauer. 1999 verringerte s​ich das Bruttoinlandsprodukt u​m 1,1 %[174] u​nd der Peso wertete u​m 16 % gegenüber d​em amerikanischen Dollar ab.

Abhängigkeit von Kupfer und Diversifizierung

Auch die Concertación-Regierungen nach 1990 versuchten eine Diversifizierung der chilenischen Wirtschaft durch Innovations- und Forschungsförderung voranzutreiben.[175] Die Abhängigkeit vom Bergbau ist aber nach wie vor groß. 2010 erwirtschaftete der Bergbau 19,2 % des Bruttosozialprodukts, 3,1 % der Beschäftigten arbeiten in dem Wirtschaftssektor. Die Landwirtschaft erwirtschaftet 3,1 % des Bruttosozialprodukts, hier arbeiten 10,6 % der Beschäftigten. Die Industrie trägt 11,1 % zum Bruttosozialprodukt bei, hier arbeiten 11,3 % der Beschäftigten. Der Dienstleistungssektor trägt zu 66,5 % des Bruttosozialprodukts bei, hier arbeiten 75,1 % der Beschäftigten.[176] Neben dem Kupfer- und Lithiumabbau sind heute die Nahrungsmittelproduktion, die Fischverarbeitung, die Eisen, und Stahlproduktion, die Holzverarbeitung, die Herstellung von Transportmitteln, die Zementherstellung und die Textilindustrie die wichtigsten Wirtschaftszweige. Die chilenische Regierung verfolgt traditionell eine antizyklische Fiskalpolitik. Wenn der Weltmarktpreis für Kupfer hoch ist, erwirtschaftet der Staatshaushalt Überschüsse, bei niedrigem Wirtschaftswachstum werden Haushaltsdefizite in Kauf genommen. So reagierte Chile auch auf die durch die Finanzkrise ab 2007 verursachte Weltwirtschaftskrise mit expansiver Fiskalpolitik und expansiver Geldpolitik.[177]

Literatur

in d​er Reihenfolge d​es Erscheinens

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Anmerkungen

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  3. Helaine Silverman, William Isbell: Handbook of South American Archaeology. Springer, 2008, ISBN 978-0-387-74907-5, S. 67.
  4. Nuria Sanz, Bernardo T. Arriaza, Vivien G. Standen (Hrsg.): The Chinchorro culture. A comparative perspective, the archaeology of the earliest human mummification, UNESCO, Paris 2014.
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  7. Helaine Silverman, William Isbell: Handbook of South American Archaeology. Springer, 2008, ISBN 978-0-387-74907-5, S. 54.
  8. Helaine Silverman, William Isbell: Handbook of South American Archaeology. Springer, 2008, ISBN 978-0-387-74907-5, S. 46.
  9. Helaine Silverman, William Isbell: Handbook of South American Archaeology. Springer, 2008, ISBN 978-0-387-74907-5, S. 53.
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    Richard A. Crooker: Chile. Infobase Publishing, 2009, ISBN 978-1-4381-0492-8, S. 35.
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  18. Rebecca Storey, Randolph J. Widmer: The Pre-Columbian Economy. In: Victor Bulmer-Thomas, John Coatsworth, Roberto Cortes-Conde: The Cambridge Economic History of Latin America. Band 1, Cambridge University Press, 2006, ISBN 0-521-81289-5, S. 83.
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    Luis Otero: La huella del fuego: Historia de los bosques nativos. Poblamiento y cambios en el paisaje del sur de Chile. Pehuén Editores, 2006, ISBN 956-16-0409-4, S. 36.
  20. In erster Linie ist es die Chronik des Garcilaso de la Vega von 1609, die die meisten Einzelheiten zur Inkazeit liefert. Für ihn ist der Río Maule die Südgrenze der Expansion. Die Berichte des Cieza de León von 1553 über die Eroberungskampagnen der Inka bis Huayna Capac legen nahe, dass die Armeen sehr viel weiter in den Süden vordrangen; der Geschichtsschreiber Miguel de Olavarría berichtet 1594, die Südgrenze sei der Río Bío Bío gewesen, Diego de Rosales berichtet 1670, die Inka seien bis Concepción und nach Fernando de Montesinos gar bis zur Magellanstraße (Tom D. Dillehay, Américo Gordon: La actividad prehispánica y su influencia en la Araucanía, in: Tom Dillehay, Patricia Netherly (Hrsg.): La frontera del estado Inca, 2. Aufl., Quito 1998, S. 183–196, hier: S. 185 f.).
  21. Garcilaso de la Vega: Primera parte de los commentarios reales. Que tratan del origen de los Yncas …, Lissabon 1609 (Digitalisat, PDF, 545 S.).
  22. Tom D. Dillehay, Américo Gordon: La actividad prehispánica y su influencia en la Araucanía, in: Tom Dillehay, Patricia Netherly (Hrsg.): La frontera del estado Inca, 2. Aufl., Quito 1998, S. 183–196 (online, PDF).
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  40. James B. Minahan, Ethnic Groups of the Americas: An Encyclopedia. ABC-CLIO, 2013, ISBN 978-1-61069-164-2, S. 97.
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