Regentschaftskönigreich Polen

Das Regentschaftskönigreich Polen (polnisch Królestwo Regencyjne) bestand de facto i​m Ersten Weltkrieg v​om 5. November 1916 b​is zum 11. November 1918 a​uf dem u​nter der Kontrolle d​er Mittelmächte stehenden Gebiet d​er seit d​em Wiener Kongress 1815 z​um Russischen Kaiserreich gehörenden Provinz Weichselland bzw. „Kongresspolens“. Nachfolger w​ar ab d​em 11. November 1918 d​ie Zweite Polnische Republik.

Regentschaftskönigreich Polen
Królestwo Regencyjne
1916–1918
Flagge Wappen
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Amtssprache Polnisch, Deutsch
Hauptstadt Warschau
Staatsform Königreich
Regierungssystem Konstitutionelle Monarchie
Staatsoberhaupt
– 1916 bis 1917
– 1917 bis 1918

Kronmarschall Wacław Niemojowski
Regentschaftsrat
Regierungschef Ministerpräsident
Währung Polnische Mark
Existenzzeitraum 1916–1918
Zeitzone UTC+1 MEZ

Vorgeschichte

Mitglieder des Regentschaftsrates des Regentschaftskönigreichs Polen, v.l.: Józef Ostrowski, Erzbischof Kakowski und Fürst Lubomirski (September oder Oktober 1917)
Erzherzog Karl Stephan mit seiner Familie (um 1895)

Bereits z​u Beginn d​es Ersten Weltkrieges fasste d​er deutsche Kaiser Wilhelm II. d​en Entschluss, d​as eventuell z​u erobernde Gebiet Kongresspolens b​ei einem etwaigen Friedensschluss n​icht an Russland zurückzugeben, sondern e​inen eng m​it dem Königreich Preußen verbundenen polnischen Staat z​u schaffen. Die Verwaltung d​es Landes sollte i​n polnischen Händen liegen, d​er deutsche Kaiser u​nd preußische König sollte jedoch d​as militärische Oberkommando über d​ie Armee ausüben. Das n​eue Polen sollte e​ine Eisenbahngemeinschaft m​it Preußen bilden u​nd durch Handels- u​nd Schifffahrtsverträge d​en Absatz seiner Waren über Danzig garantiert bekommen. Eine Annexion d​es Gebietes v​on Kalisch (Kalisz) d​urch Preußen w​urde erwogen, ebenso kleinere Gebietsabtretungen a​n Österreich-Ungarn. Polen sollte e​in Königreich sein. Die aussichtsreichsten Thronkandidaten w​aren Erzherzog Karl Stephan v​on Österreich, d​er in Saybusch (Żywiec) wohnte, s​owie dessen ältester Sohn Erzherzog Karl Albrecht v​on Habsburg-Altenburg, d​er von seinem Vater a​uf den polnischen Thron vorbereitet worden war. Beide sprachen fließend Polnisch.

Nach d​er Eroberung g​anz Kongresspolens d​urch deutsche u​nd österreichisch-ungarische Truppen i​m Spätsommer 1915 w​urde das Land v​on den Mittelmächten i​n zwei z​ivil verwaltete Generalgouvernements aufgeteilt, e​in deutsch verwaltetes m​it Sitz i​n Warschau u​nter Generaloberst Hans v​on Beseler u​nd in e​in österreichisch-ungarisch verwaltetes m​it Sitz i​n Lublin u​nd General Karl Kuk a​n der Spitze. Kleinere nördliche Gebiete Polens u​m Suwałki u​nd Augustów k​amen zum Gebiet Ober Ost, d​as deutscher Militärverwaltung unterstellt war.[1]
Beseler verfasste i​n den Jahren 1915 u​nd 1916 mehrere Denkschriften, i​n denen e​r zwar d​ie Errichtung e​ines unabhängigen polnischen Staates befürwortete, a​ber gleichzeitig – u​nter dem Einfluss Ludendorffs – n​icht unbedeutende Gebietsabtretungen a​n Preußen (das Industriegebiet östlich v​on Oberschlesien u​nd das Gebiet u​m Łomża unweit d​er ostpreußischen Grenze) s​owie an Litauen u​nd Österreich-Ungarn postulierte. Gegen d​iese Vorschläge wandte s​ich der bedeutende Diplomat Gerhard v​on Mutius, Vetter d​es deutschen Reichskanzlers Theobald v​on Bethmann Hollweg u​nd Vertreter d​es Auswärtigen Amtes b​ei Beseler, i​ndem er betonte: „[…] Teilung u​nd selbst Abtrennungen, soweit irgend m​it den militärischen Interessen vereinbar, s​ind zu vermeiden. […] Nur s​o kann d​ie antirussische Tendenz d​es neuen Polen für absehbare Zeit festgelegt werden.“ Gleichzeitig zeigten s​ich starke Habsburger Tendenzen, d​as Land i​n seiner Ganzheit z​u übernehmen u​nd in Vereinigung m​it Galizien a​ls polnisches Königreich i​n Personalunion m​it Cisleithanien z​u regieren; d​iese Überlegungen riefen jedoch w​egen einer befürchteten Übermacht d​er Slawen i​n einer d​ann trialistisch gewordenen Doppelmonarchie d​ie heftige Gegnerschaft d​er Deutschösterreicher u​nd der Ungarn hervor.

Deutschland s​tand nach d​em Scheitern d​es Angriffs a​uf Verdun u​nd dem Beginn d​er Somme-Schlacht s​eit Mitte 1916 a​n der Westfront u​nter schwerem Druck d​er Entente, u​nd die Truppen d​er Donaumonarchie hatten i​n der Südtiroloffensive 1916 Misserfolge a​n der italienischen Front hinzunehmen. Zusätzlich z​ur bedrohlichen Lage a​n der Ostfront musste d​as Reich d​en Kriegseintritt Rumäniens hinnehmen. Deshalb änderte d​ie Oberste Heeresleitung (OHL) i​hre ursprüngliche Einstellung – Paul v​on Hindenburg u​nd Erich Ludendorff wären nämlich bereit gewesen, Kongresspolen u​m den Preis e​ines Sonderfriedens a​n Russland zurückzugeben – u​nd postulierte v​on nun a​n die Schaffung e​ines unabhängigen Polens, w​ohl in d​er Hoffnung, d​ass die n​eu zu schaffende polnische Armee z​ur Unterstützung d​er Mittelmächte herangezogen werden könne. Schließlich einigte m​an sich i​m Oktober 1916 während d​er Verhandlungen m​it Österreich-Ungarn i​m Großen Hauptquartier i​n Pleß, d​en Prozess d​er Proklamation d​es neuen Staates z​u beschleunigen. In d​er Zwischenzeit gelang e​s Beseler, e​ine pro-deutsche polnische Partei z​u schaffen, d​en Klub d​er Anhänger d​es polnischen Staatswesens u​nter Władysław Studnicki, d​er sich entschieden z​ur Errichtung e​ines an d​as Deutsche Kaiserreich angelehnten polnischen Staates bekannte.

Anfangs gewann e​r sogar d​ie austrophilen (österreich-ungarisch-freundlichen) Kräfte u​nd die Anhänger v​on Józef Piłsudski für s​eine Ideen. Nach d​em Besuch e​iner polnischen Delegation u​nter der Führung d​es Gelehrten Józef Brudziński i​n Berlin b​eim Kaiser u​nd Reichskanzler Ende Oktober 1916 wurden schließlich d​ie letzten Einzelheiten festgelegt.

Chronik der Ereignisse

1916

Staatenbildung auf dem Gebiet des Russischen Reiches
Zehn Polnische Mark aus der Zeit des Regentschaftskönigreiches
  • 12./13. August: Die Oberste Heeresleitung (OHL) schlägt die Angliederung eines polnischen Grenzstreifens an Preußen vor.
  • 5. November: Im Säulensaal des Warschauer Königsschlosses gibt von Beseler den Beschluss der Kaiser Deutschlands und Österreich-Ungarns zur Einrichtung eines Königreichs Polen bekannt – ohne einen König und ohne genauere Bestimmung der Grenzen. Auf dem Schloss werden zum ersten Mal seit 1831 polnische Fahnen ausgehängt. Gleichzeitig veröffentlicht der österreichische Generalgouverneur Kuk dieselbe Proklamation in Lublin. Die ausgesprochen deutschfeindliche Bewegung Narodowa Demokracja (Nationale Demokratie), die ihre Hochburg in der Provinz Posen hat, und deren Führer Roman Dmowski in Paris weilt, lehnt nach wie vor jede Zusammenarbeit mit den Mittelmächten ab. Die Oberste Heeresleitung verordnet die zwangsweise Einreihung der polnischen Arbeitslosen in Arbeiterbataillone, die nach Deutschland gehen sollen, um dort deutsche Arbeiter zu ersetzen, die zum Kriegsdienst einberufen worden waren. Unter dem Eindruck der polnischen Proteste gibt Beseler nach, aber nur in Warschau. Im Lande gibt es eine rücksichtslose Zwangseintreibung der Arbeitslosen.
  • 9. November: Die Behörden machen den ersten Versuch, eine Armee aufzustellen. Ein Werbeaufruf wird in den beiden Generalgouvernements angeschlagen. Große Proteste der polnischen Unabhängigkeitsorganisationen, da der Aufruf vor der Bildung einer polnischen Regierung ergangen ist.
  • 1. Dezember: Die Piłsudski-Legionen (aber nicht ihre 1., sondern die 2. Brigade unter General Szeptycki) ziehen in Warschau ein. Die Legionen sollen das Offizierskorps der neuen Polnischen Armee stellen, aber Beseler will das Oberkommando selbst führen. In diesem Monat wird auch eine provisorische Regierung des Regentschaftskönigreiches ins Leben gerufen, der Staatsrat mit 25 Mitgliedern, dessen Vorsitzender den Titel Kronmarschall tragen soll.
  • 9. Dezember: Der Verwaltungschef Wolfgang von Kries gründet eine polnische Notenbank, die eine neue Währung, die polnische Mark, einführt.

1917

  • 14. Januar: Der Staatsrat konstituiert sich mit Waclaw Niemojowski, einem Großgrundbesitzer, als Kronmarschall. Zu den Mitgliedern gehört auch Józef Piłsudski, der von den Österreichern berufen wurde. In seiner ersten Proklamation bekennt sich der Staatsrat zur monarchischen Staatsform und fordert eine Ausdehnung nach Osten und eine Freiwilligenarmee. Auch eine Art Parlament, der Nationalrat, entsteht. In diesem Monat setzt sich Dr. Ernst Scholtz, Oberbürgermeister von Danzig, im preußischen Herrenhaus für die Schaffung eines polnischen Freihafens in seiner Stadt ein.
  • 22. Januar: Präsident Woodrow Wilson spricht sich im amerikanischen Senat für ein geeinigtes, unabhängiges und selbständiges Polen aus. Diese Botschaft stärkt diejenigen polnischen Kräfte, die jedes Zusammenwirken mit den Mittelmächten ablehnen.
  • März: Die Februarrevolution in Russland bricht aus, der Zar wird abgesetzt. Dies führt in Polen die Stimmung des Neutralismus herbei.
  • 21. April: Beseler übergibt dem Staatsrat das Schulwesen, die Justiz und die Propaganda. Dieser entschließt sich mit großer Mehrheit, den deutscherseits dringend geforderten Werbeaufruf zur Polnischen Wehrmacht zu erlassen. Piłsudski und Niemojowski enthalten sich der Stimme. Zum Chef der Inspektion des Meldewesens wird Oberst Władysław Sikorski ernannt. In den in Polnisches Hilfskorps umbenannten Legionen sollen nur ehemalige russische Untertanen, genannt Nationalpolen, bleiben, die österreichisch-ungarischen sollen in die k. u. k. Armee einverleibt werden. Dies ruft größte Unruhe hervor.
  • 3. Mai: Am polnischen Nationalfeiertag bricht ein Studentenstreik an den beiden Warschauer Hochschulen und fünf kleineren Privathochschulen aus. Die Studenten fordern wirkliche Übergabe der Schulverwaltung an polnische Behörden und innere Autonomie der Hochschulen. Am 1. Juni werden alle Hochschulen bis auf Abruf geschlossen.
  • 2. Juli: Piłsudski und drei linksstehende Mitglieder des Staatsrats legen ihre Mandate nieder wegen falscher Behandlung der Heeresfragen.
  • 3. Juli: Der Staatsrat bestätigt die von Beseler und Kuk ausgearbeitete Eidesformel des Heeres: „Ich schwöre zu Gott dem Allmächtigen, dass ich meinem Vaterlande, dem Polnischen Königreich und meinem künftigen König zu Lande und zu Wasser und an welchen Orten es immer sei, getreu und redlich dienen, in gegenwärtigem Kriege treue Waffenbrüderschaft mit den Heeren Deutschlands und Österreich-Ungarns und der ihnen verbündeten Staaten halten […] werde.“ Es kommt das Gerücht auf, die Polnischen Legionen wollten wegen der Formulierung über die Waffenbrüderschaft den Eid nicht leisten, zumal der Eid auf eine noch gar nicht benannte Person, nämlich den polnischen König, abgelegt werden sollte; zudem stünde es nur der Regierung zu, Bündnisse zu schließen, und kein Heer werde auf „Waffenbrüderschaft“ vereidigt. Die Legionäre, die den Eid verweigern, werden interniert.
  • 22. Juli: Piłsudski wird zusammen mit seinem nächsten Mitarbeiter, dem späteren General Kazimierz Sosnkowski, vom schlecht beratenen Beseler in Schutzhaft genommen, nach Deutschland verbracht und in der Festung Wesel, später in Magdeburg interniert.
  • 6. August: Niemojowski tritt als Kronmarschall zurück. Die Reste der Legionen (600 Offiziere und 10.250 Mann) werden an die Ostfront transportiert.
  • 12. September: Die erste provisorische Verfassung Polens, genannt „Patent“ wird veröffentlicht: Polen soll eine konstitutionelle Monarchie mit demokratischem Abgeordnetenhaus und einem Senat werden, ohne politische Verantwortlichkeit der Minister. Das Schul- und Justizwesen wird endgültig an polnische Behörden übergeben, die deutsche Minderheit bekommt jedoch gegen Proteste der Polen ein gesondertes Schulwesen. Die oberste Staatsgewalt wird bis zu ihrer Übernahme durch einen König einem Regentschaftsrat übertragen.
Der Regentschaftsrat: Ostrowski, Kakowski, Lubomirski

1918

  • 6. Januar: Der Regentschaftsrat kommt nach Berlin zu einem offiziellen Besuch beim Kaiser und Reichskanzler. Außer feierlichen Reden und Antworten steht die Teilnahme Polens an den Friedensverhandlungen mit Russland (wo unterdessen die Oktoberrevolution stattgefunden hat) in Brest-Litowsk im Vordergrund. Diese Frage steht im Mittelpunkt der polnischen Politik, die Regenten erhalten jedoch nur die Zusage des neuen Reichskanzlers Georg von Hertling, dass die polnische Regierung als Berater und Sachverständiger zugelassen sein wird. Der Empfang in Berlin ist wenig ehrend, der polnischen Delegation wird nicht einmal eine Wohnung in einem der kaiserlichen Schlösser zugewiesen, sie muss sich mit einem Hotel begnügen.
  • 9. Januar: Die Delegation reist nach Wien, wo man den Regenten fürstliche Ehren erweist und sie in der Hofburg wohnen lässt, aber auch hier erhalten die Regenten keine bestimmten Zusagen hinsichtlich der Brester Verhandlungen. Indessen weisen die Bolschewiki den Vorschlag der Teilnahme einer polnischen Delegation an den Verhandlungen zurück, mit der Begründung, dass der polnische Staat nicht selbständig und seine Regierung nicht rechtmäßig seien, und fordern, dass auch polnische Kommunisten aus Russland zugezogen werden müssten.
  • 9. Februar: Der Friedensvertrag mit der Ukraine wird in Brest-Litowsk unterzeichnet. Die polnische Provinz von Chełm, 1913 von Kongresspolen abgetrennt und in ein russisches Gouvernement umgewandelt, soll an die Ukraine abgetreten werden. In Polen wird dies als der Anfang einer vierten Teilung angesehen; der Ministerrat des Königreiches tritt zurück.
  • 14. Februar: In Warschau bricht ein politischer Generalstreik aus. Der Polenklub im Wiener Reichsrat geht zur Opposition über und leitet dadurch den Untergang der Doppelmonarchie ein. Ein Teil des Polnischen Hilfskorps der ehemaligen Legionen unter dem späteren General Józef Haller von Hallenburg bricht durch die Front nach der Ukraine durch und vereinigt sich dort mit polnischen Soldaten der ehemaligen Zarenarmee (dieses Korps Haller wird später eine bedeutende Rolle im polnisch-sowjetischen Krieg spielen).
General Haller von Hallenburg mit seinen Truppen – Blaue Armee
  • 5. März: Die Armee von August von Mackensen besiegt Rumänien und macht dadurch dem Krieg im Osten ein Ende. Die OHL wird in ihrer Macht bestärkt, Ludendorff hat freie Hand für die Erfüllung seiner Randstaatenpolitik, die auf Kosten Polens geht. Die Reichsregierung billigt grundsätzlich die Annexion eines „Schutzstreifens“ auf polnischen Gebiet. Gleichzeitig, aus Furcht vor dem Bolschewismus, macht sich eine Wendung der polnischen Politiker nach Deutschland, dem einzigen „Bollwerk der Ordnung“, sichtbar. Das in Belarus stehende Korps des Generals Józef Dowbor-Muśnicki, das aus polnischen Soldaten der ehemaligen Zarenarmee besteht, stellt sich unter den Regentschaftsrat.
  • 22. März: Der deutsche Reichstag beschließt eine Resolution, in der verlangt wird, dass der Aufbau der einheimischen Zivilverwaltung in Polen, Kurland und Litauen sofort in die Wege geleitet wird.
  • 13. April: In seinem Immediatbericht an den Kaiser stellt sich Beseler entschieden gegen die Annexionspläne. Gleichzeitig verlangt das preußische Herrenhaus energisches Festhalten an der polenfeindlichen Politik in Preußen und eine Vorschiebung der deutschen Ostgrenze. In Warschau übernimmt Jan Kanty Steczkowski den Posten des Ministerpräsidenten.
  • 10. Mai: Die deutschen Behörden lehnen aus verschiedensten Gründen die Übernahme der Verwaltung durch die Polen ab und wollen polnische Beamtenkandidaten nur zur Einarbeitung bei deutschen Dienststellen zulassen.
  • 5. Juli: Ludendorff versendet eine Denkschrift an den Reichskanzler, in welcher er vorschlägt, 20.000 km² von Polen als einen „Grenzstreifen“ abzutrennen. Von diesem Gebiet soll ein 8.000 km² umfassender Teil unverzüglich von der polnischen Bevölkerung geräumt und mit deutschen Kolonisten (Russlanddeutschen) besiedelt werden.
  • 1. August (um): Die internierten Eidesverweigerer aus den Legionen werden entlassen, einige melden sich bei der Polnischen Wehrmacht, die nach der Eideskrise nur etwa 5.000 Offiziere und Mannschaften zählt. Im August kommt der Visitator Apostolicus Achille Ratti, der spätere Papst Pius XI., als eine Art Nuntius nach Warschau, um die kirchlichen Verhältnisse zu regeln. Seine Entsendung verdankt Polen dem Reichskanzler Hertling und dem Nuntius in München, Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. Ratti soll zwei Jahre später eine große historische Rolle im polnisch-sowjetischen Krieg spielen: Als einziger Diplomat bleibt er im von der Roten Armee bedrohten Warschau. In demselben Monat erklärt der österreichische Kaiser Karl I., dass er auf keinen Fall die Kandidatur von Erzherzog Karl Stephan als König zulassen werde, dass er sich bestimmt allen deutschen Annexionsplänen widersetze und auf der Vereinigung des Regentschaftskönigreiches mit Österreich bestehe. Darauf ändert Ludendorff seine Einstellung und stimmt der Einverleibung von Wilna an Polen bei. Auch die Übergabe von Minsk wird in Aussicht gestellt. Am „Schutzstreifen“ entlang der ostpreußischen Grenze wird deutscherseits festgehalten. Die Polen sehen indessen den Erwerb von Wilna als selbstverständlich an und lehnen entschieden jede Abtretung kongresspolnischen Landes ab.
  • 1. Oktober: Beseler wird von Hindenburg nach Berlin berufen und erfährt, dass die militärische Lage sehr bedrohlich sei. Er kommt als gebrochener und kranker Mann nach Warschau zurück. Mit der deutschen Herrschaft im Regentschaftskönigreich geht es von nun an schnell abwärts. In Berlin tritt unterdessen Reichskanzler Hertling zurück. An seine Stelle wird Prinz Max von Baden berufen, der in seiner ersten Reichstagsrede verkündet, dass Deutschland das Wilson-Programm annehme. Prinz Max verspricht sofortigen Abbau der Militärverwaltung in den besetzten Ländern.
  • 6. Oktober: Der Regentschaftsrat erklärt das Wilson-Programm zur Grundlage der Staatsbildung in Polen und bittet den Reichskanzler um sofortige Entlassung Piłsudskis. Beseler übergibt jetzt die Verwaltung an polnische Beamte.
  • 15. Oktober: Die polnischen Truppenteile der k. u. k. Armee erklären sich als polnisches Heer.
  • 23. Oktober: Beseler legt den Oberbefehl über die polnischen Truppen formell in die Hände des Regentschaftsrates.
  • 6. November: Im ehemaligen k. u. k. Okkupationsgebiet in Lublin bildet sich eine „provisorische Volksregierung der polnischen Republik“ unter dem Sozialisten Ignacy Daszyński. Das Oberkommando der polnischen Truppen erhält der Legionsoberst Edward Rydz-Śmigły. Die Lubliner Regierung erklärt den Regentschaftsrat für abgesetzt, was Proteste der gemäßigten Kräfte in Warschau hervorruft.
  • 8. November: Prinz Max entsendet Harry Graf Kessler nach Magdeburg, der mit Piłsudski die Einzelheiten der Freilassung diskutiert.
  • 10. November: Piłsudski kehrt nach Warschau zurück.
  • 11. November: Die deutschen Truppen in Warschau werden von Polen entwaffnet; sie lehnen es ab, auf polnische Aufständische zu schießen. Der Regentschaftsrat und die Lubliner Regierung legen alle Staatsgewalt in die Hände Józef Piłsudskis. Die Ära des Regentschaftskönigreiches – der vierten und letzten Monarchie der polnischen Geschichte – ist damit beendet.

Weitere Entwicklung

Die Zweite Polnische Republik w​urde zum Nachfolger d​es Regentschaftskönigreiches. Am 20. Februar 1919 w​urde Piłsudski d​urch den Verfassungsgebenden Sejm i​m Amt bestätigt. Er verfolgte d​as Ziel d​er Wiederherstellung d​er Grenzen a​us der Zeit v​or den Teilungen Polens. Durch d​iese Politik k​am es zunächst z​ur durch d​en Versailler Vertrag festgelegten Integration v​on Großpolen s​owie zum Krieg m​it Sowjetrussland u​nd zum Krieg m​it Litauen w​egen des v​on beiden Seiten beanspruchten Gebietes u​m Wilna/Vilnius. Nach anfänglichen Erfolgen i​m Bündnis m​it dem ukrainischen Präsidenten Symon Petljura erlitt d​ie polnische Armee starke Verluste, s​ie konnte s​ich aber i​m „Wunder a​n der Weichsel“, b​ei dem d​ie Rote Armee d​urch ein riskantes Zangenmanöver nahezu vollständig vernichtet wurde, retten. Am 18. März 1921 unterzeichneten Polen u​nd Sowjetrussland d​en Friedensvertrag v​on Riga, b​ei dem a​uch Gebiete, d​ie nicht mehrheitlich v​on ethnischen Polen bewohnt waren, Teil d​es polnischen Staates wurden. Auch gegenüber Litauen setzte s​ich Piłsudskis Politik durch. Obwohl Polen i​m Vertrag v​on Suwałki (7. Oktober 1920) a​uf den größten Teil d​es strittigen Gebiets v​on Wilna (Vilnius) m​it seiner polnischen Bevölkerungsmehrheit verzichtet hatte, eroberten s​chon zwei Tage später polnische Truppen u​nter General Lucjan Żeligowski i​m Handstreich d​ie Stadt.

Das Inkrafttreten d​er März-Verfassung führte z​u einer demokratische Verfassung i​m parlamentarischen Stil i​n Polen.

Andere ähnliche Staaten

Während d​es Ersten Weltkrieges gründete d​as Deutsche Reich a​uf dem Gebiet d​es ehemaligen Russischen Kaiserreiches mehrere Marionettenregierungen. Diese Staaten w​aren jedoch w​eder voll unabhängig n​och souverän.

Literatur

  • Bogdan von Hutten-Czapski: Sechzig Jahre Politik und Gesellschaft. 2 Bände. Mittler, Berlin 1936.
  • Hartmut Kühn: Polen im Ersten Weltkrieg: Der Kampf um einen polnischen Staat bis zu dessen Neugründung 1918/1919, Peter Lang Verlag Berlin 2018, ISBN 9783631765302

Einzelnachweise

  1. Vejas Gabriel Liulevicius: Besatzung (Osten). In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. 2., durchgesehene Auflage. Schöningh, Paderborn u. a. 2004, ISBN 3-506-73913-1, S. 379–381.
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