Polnisch-Litauischer Krieg
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Rückzug der Roten Armee aus Litauen kam es durch einen Angriff polnischer Truppen auf Litauen im Oktober 1920 zum Polnisch-Litauischen Krieg.
Vorgeschichte
Polen hatte im Vertrag von Suwałki vom 7. Oktober 1920 auf gemischtsprachige Gebiete rund um Vilnius offiziell verzichtet.
Militärischer Konflikt
Trotz des Vertrages von Suwałki marschierten polnische Truppen bereits zwei Tage nach Vertragsabschluss unter General Żeligowski ein und besetzten im Oktober 1920 Vilnius. Nach eigenen Angaben bestanden die Truppen Żeligowskis aus Freischärlern. Nicht nur Vilnius wurde 1920 ohne Kriegserklärung angegriffen, die polnischen Truppen annektierten auch große Teile des neu gegründeten Staates Litauen wie Ašmena (heute: Aschmjany in Weißrussland) und Švenčionys. Die Okkupation des Vilniuser Landes wurde von Polen mit dem Schutz der polnischen Minderheit in Litauen begründet, die auf diesem Gebiet mit 70,6 % die eindeutige Bevölkerungsmehrheit darstellte.
Bei den eingesetzten Soldaten handelte es sich vor allem um polnische Freiwillige aus Litauen und Weißrussland. Der Militärcoup wurde offiziell als von der Führung Polens unabhängiger Aufstand der örtlichen polnischen Bevölkerung deklariert.[1] Żeligowski proklamierte sofort den formal unabhängigen Marionettenstaat Republik Litwa Środkowa mit der Hauptstadt Vilnius und beherrschte den Marionettenstaat als Militärdiktator. Danach installierte er ein „mittellitauisches Parlament“, das als erste Amtshandlung am 20. Februar 1922 den „Anschluss“ Mittellitauens an Polen beschloss. Polen akzeptierte diesen Beschluss umgehend, annektierte das litauische Gebiet und verleibte es am 20. April 1922 in sein Staatsgebiet ein.
Völkerrechtlich war der polnische Überraschungsangriff eine Verletzung der territorialen Integrität Litauens und ein Bruch des Vertrags von Suwałki.[2]
Literatur
- Vilenas Vadapalas: Lietuvos Respublikos suverenitetas Vilniaus kraštui (The Lithuania’s sovereignty to the Vilnius region) in Lietuvos rytai; straipsnių rinkinys (The east of Lithuania; the collection of articles) Vilnius 1993, ISBN 9986-09-002-4, S. 142.
- Ferdinand Seibt: Handbuch der europäischen Geschichte, 1987, S. 1072–1073, ISBN 3-12-907540-2.
- Norman Davies: God’s Playground, Columbia University Press. 2005, ISBN 0-231-12819-3, Digitalisat bei Google Books.
- Arūnas Bubnys: Der litauisch-polnische Konflikt 1919–1923 aus völkerrechtlicher Sicht. In: Erwin Oberländer (Hrsg.): Polen nach dem Kommunismus. Stuttgart 1993, S. 106–114, ISBN 3-515-06213-0.
- Piotr Łossowski: Konflikt polsko-litewski 1918–1920. Warszawa 1996, ISBN 83-05-12769-9.
Einzelnachweise
- Jörg Zägel, Reiner Steinweg: Vergangenheitsdiskurse in der Ostseeregion: Die Sicht auf Krieg, Diktatur, Völkermord und Vertreibung in Russland, Polen und den baltischen Staaten. Lit, Münster 2007, ISBN 3825802035, S. 90.
- Tomas Balkelis: War, revolution, and nation-making in Lithuania, 1914–1923. Oxford University Press, Oxford 2018, ISBN 978-0-19-966802-1, S. 136–157.