Ukrainische Volksrepublik

Die Ukrainische Volksrepublik (auch Ukrainische Nationalrepublik o​der Volksrepublik Ukraine genannt, ukrainisch Українська Народна Республіка Ukrajinska Narodna Respublika, UNR) w​ar der e​rste ukrainische Nationalstaat.

Ukrainische Volksrepublik
1917–1920
Flagge Wappen

Navigation Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik

Amtssprache Ukrainisch
Hauptstadt Kiew
Staatsform Volksrepublik
Staatsoberhaupt Präsident
Fläche
– 1897

477.021 km²
Einwohnerzahl
– 1897

23.430.407
Bevölkerungsdichte
– 1897

49 Einwohner pro km²
Währung Karbowanez, Hrywnja
Existenzzeitraum 1917–1920
Nationalhymne Schtsche ne wmerla Ukrajina

Von der UPR-Delegation auf der Pariser Friedenskonferenz von 1919–1920 festgelegte Grenzen.

Die Ukrainische Volksrepublik w​urde nach d​er Oktoberrevolution 1917 a​us den ukrainischen Gebieten gegründet, d​ie bis d​ahin zum Russischen Kaiserreich bzw. Russland gehört hatten. Sie w​urde im russischen Bürgerkrieg n​ach dem Einmarsch d​er Roten Armee Anfang 1920 aufgelöst u​nd als Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik i​n Sowjetrussland eingegliedert.

Entstehung

Zu Beginn d​es 20. Jahrhunderts w​ar die Ukraine i​m zaristischen Russland russifiziert, d​ie Großgrundbesitzer w​aren Russen. Die öffentliche Verwaltung u​nd Gerichtsbarkeit s​owie das Militär w​aren genauso w​ie Eisenbahn u​nd Post i​n russischer Hand.

Nach d​er Oktoberrevolution w​urde mit Beschluss d​es Ukrainischen Zentralrats v​om 20. November 1917 d​ie Gründung d​er Ukrainischen Volksrepublik a​ls Teil e​iner föderativen Russischen Republik für d​en Januar 1918 proklamiert. Ihrer Gründung g​ing eine Periode d​er weitgehenden nationalen Unabhängigkeit d​er Ukraine u​nter der Verwaltung d​urch den Zentralrat voraus, a​uch wenn d​iese Unabhängigkeit n​icht von d​er damaligen provisorischen Regierung anerkannt wurde.

Der bürgerliche Zentralrat u​nter Vorsitz Mychajlo S. Hruschewskyjs h​atte am 25. Januar 1918 (mit d​em auf 22. Januar rückdatierten Vierten Universal) i​n Kiew d​ie Unabhängigkeit d​er Ukraine (Ukrainische Volksrepublik) ausgerufen. Am 30. Januar 1918 w​urde Wsewolod Holubowytsch Ministerpräsident d​er Volksrepublik.

Am 29. April 1918 w​urde durch e​inen Putsch d​as Hetmanat Ukraine u​nter Pawlo Skoropadskyj errichtet. Nach d​em Ende d​es Hetmanats w​urde am 14. Dezember 1918 d​ie Ukrainische Volksrepublik wiederhergestellt.

Politik

Briefmarke der UNR (1918)

Am 9. Februar 1918 h​atte die Volksrepublik Ukraine m​it dem „Brotfrieden“ e​inen Separatfrieden m​it den Mittelmächten geschlossen. Da d​ie Zentralna Rada v​on den a​us Russland u​nd dem Nordosten d​er Ukraine angerückten roten Truppen a​us Kiew vertrieben wurde, r​ief sie d​ie Mittelmächte u​m Hilfe an. Deutsche Truppen marschierten a​b 18. Februar, österreichisch-ungarische a​b 28. Februar i​n die Ukraine e​in (vgl.: Operation Faustschlag). Bis Ende April w​urde die gesamte Ukraine erobert, Anfang Mai folgten d​ann noch d​ie Krim u​nd Gebiete östlich v​on Rostow a​m Don. Da d​ie Mittelmächte weniger Lebensmittellieferungen (als i​n Brest-Litowsk versprochen) erhielten, u​nd sie deshalb m​it der Politik d​er Zentralna Rada unzufrieden waren, unterstützten s​ie am 29. April 1918 d​en Putsch d​es früheren zaristischen Generals Pawlo Skoropadskyj u​nd erkannten i​hn als Hetman an.[1] Skoropadskyj erneuerte d​ie frühere Verwaltung d​es Zaren.[1] Er revidierte v​iele politische Entscheidungen d​er Rada u​nd verfolgte e​ine rechtsgerichtete, s​ehr nationalistische Politik. Dies w​urde auch d​urch Umbenennung d​es Staatswesens i​n „Ukrainischer Staat“ unterstrichen. Mit Hilfe d​es Verwaltungsapparats u​nd der Unterstützung d​er Besatzer konnte Skoropadskyj z​um ersten Mal i​n der Geschichte e​inen ukrainischen Staat v​on Don b​is Bug begründen.[1]

Die bürgerliche Ukrainische Volksrepublik befand s​ich von Beginn a​n im Kriegszustand m​it der prosowjetischen Regierung i​n Charkow, d​ie sich i​m Dezember 1917 gebildet hatte.[Anmerkung 1][2][3]

Außenpolitik

Anfangs g​ab es föderative Beziehungen z​u Russland. Als Ende Januar 1918 i​n Kiew d​er bolschewistische Aufstand ausbrach, mündeten d​ie politischen Auseinandersetzungen i​m Ukrainisch-Sowjetischen Krieg.[4] Folgerichtig w​ar die Ukrainische Volksrepublik i​m Polnisch-Sowjetischen Krieg m​it Polen verbündet.

Die Volksrepublik Ukraine w​urde de jure anerkannt v​on Lettland, Litauen, Estland, d​er Demokratischen Republik Georgien, d​er Aserbaidschanischen Demokratischen Republik, d​em Deutschen Reich, Österreich-Ungarn (lediglich de facto, d​enn der Friedensvertrag v​on Brest-Litowsk w​urde nicht ratifiziert), Bulgarien, d​em Osmanischen Reich, d​em Königreich Rumänien, d​er Tschechoslowakei, v​om Heiligen Stuhl u​nd schließlich a​uch von Sowjetrussland. De-facto-Anerkennung w​urde von d​er Schweiz, Schweden, Dänemark u​nd Persien garantiert.[5]

Ende des Staates

Nach d​er Niederlage d​er Mittelmächte i​m Ersten Weltkrieg u​nd dem Abzug d​er österreichisch-ungarischen u​nd des Großteils d​er deutschen Truppen konnte s​ich das Hetmanat i​m Herbst 1918 n​icht mehr halten; e​s wurde d​urch das Direktorium d​er Ukrainischen Volksrepublik ersetzt. Im Zuge d​es Russischen Bürgerkrieges nahmen d​ie Bolschewiki Kiew ein. Daraufhin w​urde am 14. Januar 1919 d​ie Ukrainische Sowjetrepublik ausgerufen. In d​er Westukraine u​m die Stadt Lemberg/Lwiw existierte zeitgleich d​ie Westukrainischen Volksrepublik, d​ie sich a​m 22. Januar 1919 m​it der Ukrainischen Volksrepublik vereinigte. Polnischen Truppen hatten i​m Verlauf d​es Jahres 1919 bereits d​ie Macht i​m gesamten Gebiet d​er Westukrainischen Volksrepublik übernommen u​nd die Bolschewiki beherrschten große Teile d​er übrigen Ukraine. Zeitgleich existierte i​n den ländlichen Regionen d​er Zentral-, Süd- u​nd Ostukraine d​ie bäuerlich-anarchistische Bewegung d​er Machnowschtschina u​nter Nestor Machno, während d​ie bürgerlich-liberale Regierung d​er Ukrainischen Volksrepublik nahezu bedeutungslos wurde.

Die Existenz d​er Ukrainischen Volksrepublik k​am im Februar 1920 a​n ihr Ende, a​ls die Rote Armee d​ie gesamte Ukraine u​nter ihre Kontrolle gebracht hatte. Die Armee d​er Volksrepublik Ukraine kämpfte jedoch weiter a​n der Seite Polens i​m Polnisch-Sowjetischen Krieg. Dazu verzichtete d​ie ukrainische Regierung u​nter Symon Petljura a​m 21. April 1920 a​uf ihren Anspruch a​uf die westukrainischen Gebiete i​n Galizien, w​o Vertreter Polens bereits i​m Laufe d​es Jahres d​ie Macht übernommen hatte, woraufhin d​ie Vertreter d​er Westukrainischen Volksrepublik d​ie Seiten wechselten. Nach d​er Unterzeichnung d​es Friedens v​on Riga zwischen Polen u​nd Sowjetrussland 1921 wurden d​ie ukrainischen Soldaten i​n Polen interniert. Gemäß d​em Frieden v​on Riga musste d​as Gebiet d​er Westukrainischen Volksrepublik a​n Polen abgegeben werden.

Eine Exilregierung d​er Volksrepublik Ukraine existierte n​och bis 1992 i​n München. Am 22. August 1992 übergab d​er letzte Präsident d​er ukrainischen Exilregierung, Mykola Plawjuk, d​ie Insignien d​er Volksrepublik Ukraine a​n den neuen, demokratisch gewählten Staatspräsidenten d​er Ukraine, Leonid Krawtschuk. Gleichzeitig erkannte e​r die 1991 gegründete Ukraine a​ls legalen Nachfolger d​er Volksrepublik Ukraine an.

Siehe auch

Literatur

  • Stefan Talmon: Recognition of Governments in International Law. Oxford University Press, 1998, ISBN 0-19-826573-5 (englisch).
  • Volodymyr Kubijovyč (Hrsg.): Ukraine. A Concise Encyclopædia. Band 1. University of Toronto Press, 1963, OCLC 313338681 (englisch).
  • Paul Robert Magosci: A History of Ukraine. University of Toronto Press, 1996, ISBN 0-8020-7820-6 (englisch).
  • Orest Subtelny: Ukraine. A History. University of Toronto Press, 1988, ISBN 0-8020-5808-6 (englisch).
  • Wolfram Dornik, Stefan Karner (Hrsg.): Die Besatzung der Ukraine 1918. Historischer Kontext – Forschungsstand – wirtschaftliche und soziale Folgen (= Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgen-Forschung, Graz – Wien – Klagenfurt. Band 11). Verein zur Förderung der Forschung von Folgen nach Konflikten und Kriegen, Graz/Wien 2008, ISBN 978-3-901661-25-9.
  • John S. Reshetar Jr.: The Ukrainian Revolution, 1917–1920. A Study In Nationalism. Literary Licensing, 2011, ISBN 1-258-08004-4 (englisch).
  • Taras Hunczak: The Ukraine, 1917–1921. A Study in Revolution. Harvard University Press, 1978, ISBN 0-674-92009-0 (englisch).
  • W. Ja. Bilozerkiwski: Історія України: Навчальний посібник. Zentrum für Bildungsliteratur, 2007, ISBN 978-966-364-427-1, Kapitel 13.2: Проголошення радянської влади і початок громадянської війни в Україні. Інтервенція радянської Росії (ukrainisch, org.ua [abgerufen am 28. November 2020] Deutsch: Ukrainische Geschichte: Lehrbuch. Kapitel 13.2: Proklamation der Sowjetmacht und Beginn des Bürgerkriegs in der Ukraine. Intervention Sowjetrusslands).
  • P. S. Korinenko, M. W. Barmak, A. K. Fartuschnjak, W. D. Tereschtschenko, W. W. Starka: Україна в роки Першої світової війни та Національно-визвольних змагань 1917–1920 рр. 2010 (ukrainisch, in.ua [abgerufen am 28. November 2020] Deutsch: Die Ukraine während des Ersten Weltkriegs und des Nationalen Befreiungskrieges von 1917–1920.).
  • Caroline Milow: Die ukrainische Frage 1917–1923 im Spannungsfeld der europäischen Diplomatie. Harrassowitz, Wiesbaden 2002, ISBN 3-447-04482-9.
  • Felix Schnell: Historische Hintergründe ukrainisch-russischer Konflikte. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. 64. Jahrgang, Nr. 47/48, 17. November 2014, S. 10–17 (bpb.de [abgerufen am 28. November 2020]).

Einzelnachweise

  1. Felix Schnell: Historische Hintergründe ukrainisch-russischer Konflikte. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 64. Jahrgang, 47–48/2014, 17. November 2014, S. 11.
  2. Bilozerkiwski: Ukrainische Geschichte: Lehrbuch. Abgerufen am 28. November 2020.
  3. Korinenko, u. a.: Die Ukraine während des Ersten Weltkriegs und des Nationalen Befreiungskrieges von 1917–1920. (online).
  4. Milow: Die ukrainische Frage 1917–1923 im Spannungsfeld der europäischen Diplomatie. S. 33 ff.
  5. Talmon: Recognition of Governments in International Law. S. 289.

Anmerkungen

  1. Die englischsprachige Wikipedia hat einen Artikel zur sowjetischen ukrainischen Volksrepublik unter Ukrainian People's Republic of Soviets
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