Anthophyllit
Das Mineral Anthophyllit (früher Antophyllit) ist ein häufig vorkommendes Kettensilikat aus der Gruppe der orthorhombischen Amphibole. Es kristallisiert im Orthorhombischen Kristallsystem mit der chemischen Zusammensetzung (Mg,Fe2+)7[OH|Si4O11]2[2] und entwickelt meist körnige, faserige und radialstrahlige Aggregate, aber auch langprismatische Kristalle in verschiedenen Farben, wobei Braun jedoch vorherrschend ist. Andere Farben wie Gelb, Grau, Weiß, Grün sind eingemischt, treten aber auch für sich auf. Die Kristalle zeigen Glasglanz, Spaltflächen dagegen Perlmuttglanz. Bei Verwitterung wird Anthophyllit matt.
Anthophyllit | |
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Allgemeines und Klassifikation | |
Andere Namen |
Antophyllit |
Chemische Formel | (Mg,Fe2+)7[OH|Si4O11]2 |
Mineralklasse (und ggf. Abteilung) |
Silikate und Germanate – Ketten- und Bandsilikate |
System-Nr. nach Strunz und nach Dana |
9.DE.05 (8. Auflage: VIII/D.06) 66.01.02.02 |
Kristallographische Daten | |
Kristallsystem | orthorhombisch |
Kristallklasse; Symbol | orthorhombisch-dipyramidal; 2/m 2/m 2/m[1] |
Raumgruppe | Pnma (Nr. 62)[2] |
Gitterparameter | a = 18,56 Å; b = 18,01 Å; c = 5,28 Å[2] |
Formeleinheiten | Z = 4[2] |
Physikalische Eigenschaften | |
Mohshärte | 5,5 bis 6[3] |
Dichte (g/cm3) | gemessen: 2,9 bis 3,5; berechnet: 3,09[3] |
Spaltbarkeit | vollkommen nach {210}[3] |
Bruch; Tenazität | uneben bis muschelig |
Farbe | weiß, grau, hellbraun, gelb, hellgrün |
Strichfarbe | weiß |
Transparenz | durchsichtig bis durchscheinend |
Glanz | Glasglanz, Perlglanz auf Spaltflächen[3] |
Kristalloptik | |
Brechungsindizes | nα = 1,598 bis 1,674[4] nβ = 1,605 bis 1,685[4] nγ = 1,615 bis 1,697[4] |
Doppelbrechung | δ = 0,017 bis 0,023[4] |
Optischer Charakter | zweiachsig positiv |
Achsenwinkel | 2V = gemessen: 57 bis 90°; berechnet: 82 bis 90°[4] |
Etymologie und Geschichte
Namensgebend waren wegen ihrer dunkelbraunen Farbe die Früchte der Gewürznelke, auch Mutternelke genannt, deren lateinischer Name Anthophylli lautet. Dieser Name leitet sich wiederum aus dem griechischen ἄνθος ánthos für „Blume“ und φύλλον phyllon für „Blatt“ her.
Erstmals beschrieben wurde Anthophyllit 1801 durch Christian Friedrich Schumacher, dem als Fundort nur die Gegend um Kongsberg in Norwegen bekannt war.[5]
Klassifikation
Bereits in der veralteten 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Anthophyllit zur Klasse der „Silikate und Germanate“ und dort zur Abteilung der „Kettensilikate und Bandsilikate (Inosilikate)“, wo er zusammen mit Ferrogedrit, Gedrit und Holmquistit die zu den Orthoamphibolen gehörende „Anthophyllit-Reihe“ mit unendlichen Doppel-Zweierketten (Bändern) [Si4O11]6− und der System-Nr. VIII/D.06 innerhalb der Amphibol-Familie bildete.
Im überarbeiteten und aktualisierten Lapis-Mineralienverzeichnis nach Stefan Weiß, das sich aus Rücksicht auf private Sammler und institutionelle Sammlungen noch nach dieser klassischen Systematik von Karl Hugo Strunz richtet, erhielt das Mineral die System- und Mineral-Nr. VIII/F.12-60. In der „Lapis-Systematik“ entspricht dies ebenfalls der Abteilung „Ketten- und Bandsilikate“, wo Anthophyllit zusammen mit Ferro-Anthophyllit, Ferro-Gedrit, Ferroholmquistit, Gedrit, Holmquistit, Natrium-Anthophyllit, Natrium-Ferro-Anthophyllit, Natrium-Ferrogedrit, Natrium-Gedrit, Proto-Anthophyllit, Proto-Ferro-Anthophyllit, Proto-Ferro-Suenoit die Gruppe „Orthorhombische Amphibole“ bildet (Stand 2018).[6]
Auch die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) bis 2009 aktualisierte[7] 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Anthophyllit in die Abteilung der „Ketten- und Bandsilikate“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der Art der Kettenbildung, so dass das Mineral entsprechend seinem Aufbau in der Unterabteilung „Ketten- und Bandsilikate mit 2-periodischen Doppelketten, Si4O11; Amphibol-Familie, Klinoamphibole“ zu finden ist, wo es zusammen mit Cummingtonit (Rd), Ferri-Klinoferroholmquistit, Ferri-Pedrizit, Ferro-Anthophyllit, Ferro-Gedrit, Ferroholmquistit, Ferro-Pedrizit, Fluor-Pedrizit, Gedrit, Grunerit, Holmquistit, Klinoferroholmquistit, Manganocummingtonit, Manganogrunerit, Natrium-Anthophyllit, Ferri-Pedrizit (Rn), Natrium-Ferri-Ferro-Pedrizit, Natrium-Ferrogedrit, Natrium-Ferropedrizit (H), Natrium-Ferro-Anthophyllit (H), Natrium-Gedrit, Natrium-Pedrizit (H), Pedrizit (H), Permanganogrunerit (H), Proto-Anthophyllit, Proto-Ferro-Anthophyllit, Protomangano-Ferro-Anthophyllit die „Mg,Fe,Mn-Klinoamphibole, Cummingtonitgruppe“ mit der System-Nr. 9.DE.05 bildet.
Die im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Anthophyllit in die Abteilung der „Kettensilikate mit doppelten, unverzweigtem Ketten, W=2“. Hier ist er in der unbenannten Gruppe 66.01.02 innerhalb der Unterabteilung der „Kettensilikate: Doppelte unverzweigte Ketten, W=2 Amphibol-Konfiguration“ zu finden.
Kristallstruktur
Anthophyllit kristallisiert orthorhombisch in der Raumgruppe Pnma (Raumgruppen-Nr. 62) mit den Gitterparametern a = 18,56 Å; b = 18,01 Å und c = 5,28 Å sowie 4 Formeleinheiten pro Elementarzelle.[2]
Eigenschaften
Vor dem Lötrohr wird Anthophyllit grünlichschwarz, verliert seinen Glanz und wird mürbe, schmilzt aber nicht. Die Boraxperle wird dabei nur wenig aufgelöst und färbt sich grünlichgelb oder lauchgrün bis olivgrün.[5]
Modifikationen und Varietäten
Als Hermanover Kugel wird ein eiförmiges Mineral-Aggregat aus Phlogopit-Kern und Anthophyllit-Kruste aus Heřmanov in Tschechien bezeichnet.
Die Bezeichnung Kupfferit, benannt nach dem deutsch-baltischen Physiker, Mineralogen und Physikochemiker Adolph Theodor Kupffer, ist ein Synonym für zwei verschiedene Varietäten von Anthophyllit:
- Magnesio-Anthophyllit wurde von Allen and Clement erstbeschrieben und stellte sich bei späteren Analysen als magnesiumhaltige Varietät heraus[8]
- eine chromhaltige Varietät wurde erstmals von Koksarov beschrieben[9]
Bildung und Fundorte
Anthophyllit bildet sich durch Kontakt- oder Regionalmetamorphose in Gneisen, Pegmatiten und Serpentiniten. Begleitminerale sind unter anderem Cordierit, Talk, Chloriten, Sillimanit, verschiedene Glimmer, Olivin, Hornblende und Gedrit, Magnesio-Cummingtonit, Granate, Staurolith und Plagioklasen.
Als relativ häufige Mineralbildung konnte Anthophyllit an vielen Orten nachgewiesen werden, wobei bisher rund 700 Fundorte dokumentiert sind (Stand: 2019).[10] Bekannte Vorkommen sind neben seiner Typlokalität Kongsberg in Norwegen unter anderem das Gebiet um Bodenmais in Niederbayern (Deutschland) und die Oblast Swerdlowsk im russischen Föderationskreis Ural. Anthophyllitasbest-Lagerstätten kennt man aus Paakkila (Gemeinde Tuusniemi), Rikkavesi und Usinmäki in Finnland, Hamersley in Australien sowie die Sall Mountains in den US-Bundesstaaten Georgia und North Carolina.[11]
Weitere Fundorte liegen unter anderem in Ägypten, der Antarktis, in Äthiopien, Bolivien, Brasilien, Burkina Faso, China, Frankreich, Grönland, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Neuseeland, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Simbabwe, Slowakei, Spanien, Südafrika, Tadschikistan, Taiwan, Tschechien, Ukraine, Ungarn und im Vereinigten Königreich.[12]
Verwendung
Anthophyllit fand unter dem Namen Amphibolasbest Verwendung in der Bauindustrie (Asbestzement).
Als Asbestmineral gehört Anthophyllit (CAS-Nummer 77536-67-5) zu den gefährlichen Stoffen, deren Herstellung, Inverkehrbringen oder Verwendung in der EU nach Anhang XVII der REACH-Verordnung beschränkt beziehungsweise verboten ist.[13][14]
Siehe auch
Literatur
- Christian Friedrich Schumacher: Versuch eines Verzeichnisses der in den Dänisch-Nordischen Staaten sich findenden einfachen Mineralien. Brummer, Kopenhagen 1801, S. 96 (rruff.info [PDF; 814 kB; abgerufen am 29. November 2019] siehe auch eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Friedrich Klockmann: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. Hrsg.: Paul Ramdohr, Hugo Strunz. 16. Auflage. Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 730 (Erstausgabe: 1891).
- Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien-Enzyklopädie (= Dörfler Natur). Edition Dörfler im Nebel-Verlag, Eggolsheim 2002, ISBN 978-3-89555-076-8, S. 238.
Weblinks
- Mineralienatlas: Anthophyllit (Wiki)
- Anthophyllite search results. In: rruff.info. Database of Raman spectroscopy, X-ray diffraction and chemistry of minerals (RRUFF), abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
- American-Mineralogist-Crystal-Structure-Database – Anthophyllite. In: rruff.geo.arizona.edu. Abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
Einzelnachweise
- David Barthelmy: Anthophyllite Mineral Data. In: webmineral.com. Abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
- Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 625 (englisch).
- Anthophyllite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; 81 kB; abgerufen am 29. November 2019]).
- Anthophyllite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
- Christian Friedrich Schumacher: Versuch eines Verzeichnisses der in den Dänisch-Nordischen Staaten sich findenden einfachen Mineralien. Brummer, Kopenhagen 1801, S. 96 (rruff.info [PDF; 814 kB; abgerufen am 29. November 2019] siehe auch eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
- Ernest H. Nickel, Monte C. Nichols: IMA/CNMNC List of Minerals 2009. (PDF 1816 kB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Januar 2009, abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
- Kupfferite (of Allen and Clement). In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 11. Dezember 2020 (englisch).
- Kupfferite (of Koksarov). In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 11. Dezember 2020 (englisch).
- Localities for Anthophyllite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
- Hans Jürgen Rösler: Lehrbuch der Mineralogie. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie (VEB), Leipzig 1987, ISBN 3-342-00288-3, S. 528.
- Fundortliste für Anthophyllit beim Mineralienatlas und bei Mindat, abgerufen am 29. November 2019.
- Liste der beschränkten Stoffe – Anhang XVII der REACH-Verordnung: Asbestos, anthophyllite. In: echa.europa.eu. Europäische Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 11. August 2020.
- Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates. (PDF 1,97 MB) In: eur-lex.europa.eu. 30. Dezember 2006, S. 401, abgerufen am 12. August 2020 (Amtsblatt der Europäischen Union L 396).