Sillimanit
Das Mineral Sillimanit ist ein sehr häufig vorkommendes Inselsilikat aus der Gruppe der Alumosilikate und hat die chemischen Zusammensetzung Al2SiO5 bzw. Al2[O|SiO4]. Es kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem und bildet prismatische bis faserige Kristalle geringer Größe. Nicht selten kann man im Sillimanit einen geringen Anteil an Fe2O3 vorfinden.
Sillimanit | |
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Allgemeines und Klassifikation | |
Andere Namen | |
Chemische Formel | Al2[O|SiO4] |
Mineralklasse (und ggf. Abteilung) |
Inselsilikate (Nesosilikate) mit zusätzlichen Anionen; Kationen in [4]-, [5]- und/oder nur [6]-Koordination |
System-Nr. nach Strunz und nach Dana |
9.AF.05 (8. Auflage: VIII/B.02) 52.02.02a.01 |
Ähnliche Minerale | Andalusit, Kyanit |
Kristallographische Daten | |
Kristallsystem | orthorhombisch |
Kristallklasse; Symbol | orthorhombisch-dipyramidal 2/m 2/m 2/m[2] |
Raumgruppe | Pnma[2] |
Gitterparameter | a = 7,484 Å; b = 7,672 Å; c = 5,77 Å[2] |
Formeleinheiten | Z = 4[2] |
Häufige Kristallflächen | {010}, {110} |
Zwillingsbildung | keine |
Physikalische Eigenschaften | |
Mohshärte | 6,5 bis 7,5 |
Dichte (g/cm3) | 3,24 |
Spaltbarkeit | vollkommen nach {010} |
Bruch; Tenazität | uneben, spröd |
Farbe | farblos, weiß, gelblichgrau, graugrün, hellbraun |
Strichfarbe | weiß |
Transparenz | durchsichtig bis durchscheinend |
Glanz | Glasglanz, seidig |
Kristalloptik | |
Brechungsindizes | nα = 1,653 bis 1,661 nβ = 1,654 bis 1,670 nγ = 1,669 bis 1,684[3] |
Doppelbrechung | δ = 0,016 bis 0,023[3] |
Optischer Charakter | zweiachsig positiv[3] |
Achsenwinkel | 2V = 21 bis 30°[4] |
Pleochroismus | schwach (meist farblos); ansonst X: zartbraun oder gelblich Y: braun oder graugrün Z: dunkelbraun oder blau |
Weitere Eigenschaften | |
Chemisches Verhalten | durch HF nicht zersetzbar |
Besondere Merkmale | nicht körnig oder derb; subparallel in Quarz eingewachsen: Faserkiesel |
Sillimanit hat eine hohe Härte von 6,5 bis 7,5 und eine weißgraue bis grüngraue Farbe, ist manchmal aber auch farblos. Die Strichfarbe ist weiß. Ähnliche Minerale mit der gleichen oder ähnlichen chemischen Zusammensetzung sind Andalusit, Kyanit und Mullit, die ebenfalls zu den Alumosilikaten zählen.
Etymologie und Geschichte
Sillimanit wurde nach dem US-amerikanischen Chemiker Benjamin Silliman benannt. Ein Sillimanitmineral mit Fundort in Chester, Connecticut, war 1824 zum ersten Mal wissenschaftlich von George T. Bowen beschrieben worden. Sillimanit wird manchmal auch als Bucholzit bezeichnet – nach dem deutschen Pharmazeuten und Chemiker W.H.S. Bucholz. Er ist auch als Glanzspat bekannt.
Klassifikation
In der alten (8. Auflage) und neuen Systematik der Minerale (9. Auflage) nach Strunz gehört Sillimanit zur Abteilung der „Inselsilikate mit tetraederfremden Anionen (Neso-Subsilikate)“. Die neue Strunz’sche Mineralsystematik unterteilt hier allerdings präziser nach der Position der Kationen im Kristall, so dass das Mineral jetzt der Unterabteilung der „Inselsilikate mit zusätzlichen Anionen und Kationen in [4]-, [5]- und/oder nur [6]-Koordination“ zugeordnet ist, wo er als einziges Mitglied die unbenannte Gruppe 9.AF.05 bildet.
Die im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Sillimanit ebenfalls in die Klasse der Silikate, dort allerdings in die Abteilung der „Inselsilikate mit SiO4-Gruppen und O, OH, F und H2O mit Kationen in [4] und >[4]-Koordination“, wo er als namensgebendes Mineral zusammen mit Mullit die „Al2SiO5 (Sillimanit-Untergruppe)“ mit der System-Nr. 52.2.2a bildet.
Kristallstruktur
Sillimanit kristallisiert im orthorhombisch-dipyramidalen Kristallsystem in der Raumgruppe Pnma (Raumgruppen-Nr. 62) mit den Gitterparametern a = 7,484 Å; b = 7,672 Å und c = 5,77 Å sowie vier Formeleinheiten pro Elementarzelle.[2]
Die grundlegenden Baueinheiten der Sillimanitstruktur sind:
- [SiO4]- und [AlO4]-Tetraeder in Viererkoordination und
- [AlO6]-Oktaeder in Sechserkoordination.
Aluminium tritt folglich in einer Doppelrolle, d. h. in zwei verschiedenen Koordinationsstufen auf, als Al[4] und als Al[6], eine genauere Formel für Sillimanit lautet daher auch: Al[6][O|Al[4]Si[4]O4].
Die Oktaeder sind über ihre parallelen Seitenkanten miteinander verknüpft, in Endlosketten aufgereiht und verlaufen parallel zur c-Achse. Ein Strang liegt im Zentrum der Elementarzelle, vier weitere bilden die zur c-Achse parallelen Seitenkanten. Auch die Tetraeder bilden vier Endlosketten in c-Richtung, wobei sich die Zentralatome Si und Al regelmäßig miteinander abwechseln. Diese Si-Al-Si-Al....-tetraederketten liegen zwischen den Oktaederketten und verknüpfen sich über ihre Sauerstoffatome (OD-Atome) mit den Oktaederketten. Die Tetraederketten sind jedoch keine Einereinfachketten, sondern Einerdoppelketten, d. h., sie verknüpfen sich zusätzlich über ihre freien Spitzen (OC-Atome) nochmals mit der gegenüberliegenden Tetraederkette der benachbarten Elementarzelle.
Aufgrund dieser Anordnung kann Sillimanit auch als ein Kettensilikat (Inosilikat) betrachtet werden; dies erklärt auch sehr gut seinen langgestreckten, nadeligen, faserigen Habitus.
Zur Veranschaulichung der Sillimanitstruktur nebenstehende Abbildung[5]:
Dargestellt ist die Projektion einer halben Elementarzelle (von Z = 0 bis Z = 1/2) entlang der c-Achse auf die ab- bzw. (001)-Ebene. Die Elementarzelle ist rot umrandet. Die [AlO6]-Oktaeder sind hellgrün, die der [SiO4]- und [AlO4]-Tetraeder beige markiert. Diese Form der Darstellung wurde aus Übersichtlichkeitsgründen gewählt, da nur die Zentralatome der Oktaeder (Al1-Atome) sowie die OD-Atome strikt ihre Parallelität zur c-Achse beibehalten; alle anderen Atome sind in der oberen Hälfte der Elementarzelle in ihrer Position leicht verschoben.
Die linksstehende Abbildung[5] ist ein vereinfachter Aufriss der Elementarzelle parallel zur c-Achse. Sie zeigt sehr schön die Verknüpfung der Tetraeder-Einerdoppelketten mit der Oktaederkette sowie die Parallelität der Atompositionen Al1 und OD. Beachtenswert der Dimensionsunterschied der Siliziumtetraeder und der Aluminiumtetraeder (2,696 bzw. 3,074 Å), die aufsummiert die Dimension der c-Achse in der Elementarzelle ergeben (5,77 Å).
Die Elementarzelle von Sillimanit
Atomposition | a-Achse | b-Achse | c-Achse |
---|---|---|---|
Al1 | 0,0000 | 0,0000 | 0,0000 |
Al2 | 0,1418 | 0,3449 | 0,2500 |
Si | 0,1535 | 0,3402 | 0,7500 |
OA | 0,3600 | 0,4088 | 0,7500 |
OB | 0,3563 | 0,4340 | 0,2500 |
OC | 0,4765 | 0,0017 | 0,7500 |
OD | 0,1256 | 0,2232 | 0,5144 |
Die Atompositionen der Elementarzelle von Sillimanit sind wie folgt[6]:
Diese Angaben sowie 13 daran anschließende Symmetrieoperationen sind hinreichend, um die Elementarzelle vollständig zu definieren.
Bemerkenswert die nahezu identische Dimension der a- und der b-Achse, Sillimanit verfehlt eine tetragonale Symmetrie somit nur geringfügig.
Röntgendiffraktometrie
Intensität (I/I0) | Gitterabstand (d) in Å | Winkel (2-Theta) | Fläche (hkl) |
---|---|---|---|
100 (auch 65) | 3,365 | 26,48° | (210) |
79,65 (auch 100) | 3,417 | 26,08° | (120) |
67,37 | 2,206 | 40,91° | (122) |
49,66 | 2,543 | 35,29° | (112) |
41,88 | 1,519 | 60,96° | (332) |
Röntgendiffraktometrische Untersuchungen an Sillimanit-Kristallen haben folgende Ergebnisse geliefert[7]:
Die beiden ersten Maximalwerte liegen recht eng zusammen und werden oft miteinander vertauscht. Der Beugungswinkel (2-Theta) ist für Cu K-alpha Strahlung angegeben.
Eigenschaften
In der Petrologie der metamorphen Gesteine nimmt Sillimanit als Gradmesser für die Stärke der Umwandlungen eine wichtige Stellung ein. Als so genanntes Indexmineral definiert sein Erstauftreten die Sillimanitzone oder den Sillimanit-Isograd, sein Stabilitätsbereich wird hierbei durch die thermodynamischen Transformationen Andalusit ⇔ Sillimanit und Kyanit ⇔ Sillimanit eingegrenzt. Dieser Bereich liegt bei relativ hohen Temperaturen (> 540 °C) und kann mittlere Drucke (bis ~ 1 GPa, entsprechend einer Tiefe von 36,5 Kilometer) erreichen.[8] Er umspannt größtenteils die Amphibolit- und Granulitfazies sowie die hochtemperierte Kontaktmetamorphose.
Im Verlauf der Metamorphose kommt es zur Neubildung von Sillimanit durch polymorphe Transformation aus Andalusit oder Kyanit bzw. durch Umwandlungsreaktionen von Biotit und Muskovit. Als Beispiel hierfür sei die folgende Reaktion angeführt:
- 1 Muskovit + 1Quarz ⇒ 1 Sillimanit + 1 Alkalifeldspat + 1 Wasser
- 1 KAl2[(OH)2|AlSi3O10] + 1 SiO2 ⇒ 1 Al2SiO5 + 1 KAlSi3O8 + 1 H2O
Diese Reaktion ist sehr wichtig, da sie das Stabilitätsfeld von Sillimanit in zwei Bereiche aufteilt – die Sillimanitzone wird deswegen auch in zwei Subzonen untergliedert, in die etwas niedriger temperierte und druckbetonte Sillimanit-Muskovit-Subzone sowie in die höhertemperierte Sillimanit-Alkalifeldspat-Subzone. Die Reaktion beginnt ab 630 °C wirksam zu werden und bedingt das völlige Verschwinden von Muskovit.
Reaktionen zwischen Staurolith und Biotit bzw. zwischen Staurolith und Quarz.
Mit Erreichen und Überschreiten anatektischer Temperaturen erfolgen Reaktionen, in denen Sillimanit wieder abgebaut wird. Als Beispiele die Biotit-Dehydratationen:
Sillimanit + Biotit ⇒ Granat + Alkalifeldspat + Flüssigkeit oder
Sillimanit + Biotit ⇒ Granat + Cordierit ± Flüssigkeit
Aber auch im Verfauf der Retromorphose verschwindet Sillimanit allmählich wieder, bei sinkenden Temperaturen und Druckabfall wird z. B. Andalusit polymorph rückgebildet.
Sillimanit ist ein recht verwitterungsbeständiges Mineral, zersetzt sich aber dennoch unter Bildung von Kaolinit und Muskowit bzw. Serizit (epizonale Serizitisierung).
Modifikationen und Varietäten
Sillimanit ist die Hochtemperatur-Niederdruck-Modifikation der Al2SiO5-Gruppe und trimorph mit den weiteren Mitgliedern Andalusit und Kyanit.
Fibrolith ist ein büscheliges Aggregat langgezogener Sillimanitkristalle (Comte de Bournon, 1802). Faserkiesel sind hingegen subparallele, nadelige Schwärme und Strähnen von Sillimanit in Quarz oder Cordierit (beschrieben 1792 von Lindacker in Böhmen). Weitere lokale Varietäten sind Monrolit (nach der Stadt Monroe im Bundesstaat New York) und Bamlit (nach Bamle bei Brevik in Norwegen).
Bildung und Fundorte
Sillimanit findet sich in Form stängelig-faseriger oder säuliger Kristalle oder auch massiv in aluminiumreichen, pelitischen, regionalmetamorphen Gesteinen. Er tritt meist in zwei Metamorphosetypen auf:
- Im Abukuma-Typ bei relativ niedrigen Drucken in Glimmerschiefern.
Begleitmineral ist meist Andalusit. - Im Barrow-Typ bei mittleren Drucken in Gneisen.
Begleitminerale sind Kyanit und Cordierit.
Kontaktmetamorph kommt Sillimanit in der höchsttemperierten Sanidinit-Fazies vor.
Als Mineral magmatischen Ursprungs ist er Bestandteil von peraluminosen Granitoiden. Nur recht selten findet man Sillimanit in Amphiboliten und Eklogiten, relativ selten in Pegmatiten, recht häufig jedoch in Granuliten. Man trifft ihn auch gelegentlich als Detritus in Sedimenten.
Begleitminerale sind Alkalifeldspat, Almandin, Andalusit, Biotit, Cordierit, Enstatit (bei höheren Temperaturen) Korund, Kyanit, Muskovit, Plagioklas, Quarz und/oder Spinell.
Die Typlokalität für Sillimanit ist Sušice in Tschechien. Fundorte in Deutschland sind der Laacher See, der Spessart und Bodenmais im Bayerischen Wald. Weltweit: Sellrain (Österreich), Auvergne (Frankreich), Meghalaya (Nordostindien),[9] Myanmar, Sri Lanka, Enderbyland (Antarktis) und Brandywine Springs (Delaware, USA).
Verwendung
Sillimanit findet bei guter Qualität als Schmuckstein Verwendung, ist allerdings bisher wenig bekannt. Klare Varietäten werden meist in verschiedenen Facettenschliffen wie im Brillant- oder facettierten Ovalschliff angeboten. Undurchsichtige Steine und solche mit optischen Effekten wie Chatoyance (Katzenaugeneffekt) oder Asterismus (Sterneffekt) erhalten dagegen einen cabochonförmigen Glattschliff.[10]
Industriell dient Sillimanit zur Herstellung feuerfester Werkstoffe (Tragrohre für Heizwendeln im Elektro-Ofenbau, Zündkerzen usw.).
Siehe auch
Einzelnachweise
- Eintrag zu SILLIMANITE in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 22. Oktober 2021.
- Webmineral – Sillimanite (engl.)
- Sillimanite bei mindat.org (engl.)
- W.E. Tröger: Optische Bestimmung der gesteinsbildenden Minerale.4. neubearbeitete Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, 1971, ISBN 3-510-65011-5 (S. 51)
- Burnham,C.W. (1963a). Refinement of the crystal structure of sillimanite. Z. Kristallogr., 118, 127-148
- Peterson, R.C. & McMullan, R.K. (1986). Neutron diffraction studies of sillimanite. Am. Min., Vol.71, p742-745
- Database-of-Raman-spectroscopy – Sillimanite
- Spear, F.S., Kohn, M.J., and Cheney, J.T., 1999, P-T paths from anatectic pelites: Contributions to Mineralogy and Petrology, v. 134, p. 17–32, doi:10.1007/s004100050466. Enthält Daten zur Lage des Alumosilikat-Tripelpunktes.
- Wildlife Institute of India: Table 2.2: Minerals of Meghalaya und Fig 2.3: Mineral Map of Meghalaya In: The Meghalaya State Biodiversity Strategy and Action Plan (2016–2026; Draft). Ministry of Environment Forest and Climate change, Government of India 2017 (englisch, ohne Seitenzahlen; hier PDF-Seiten 28/29; Volltext: PDF: 15,4 MB, 350 Seiten auf megbiodiversity.nic.in); Zitat: „The Sonapahar sillimanite area of West Khasi Hills District is the only area in the state [Meghalaya] where lensoid bodies of massive sillimanite mineral are found. Total reserve of 55 MTs (GSI, 2009), which is about 95 % of India’s total reserve.“
- realgems.org – Sillimanit (mit Darstellungen verschiedener Roh- und facettierter Steine)
Literatur
- Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien Enzyklopädie. Nebel Verlag GmbH, Eggolsheim 2002, ISBN 3-89555-076-0, S. 201.
- Martin Okrusch, Siegfried Matthes: Mineralogie: Eine Einführung in die spezielle Mineralogie, Petrologie und Lagerstättenkunde. 7. Auflage. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York 2005, ISBN 3-540-23812-3, S. 84.
- Walter Schumann: Edelsteine und Schmucksteine. Alle Arten und Varietäten der Welt. 1600 Einzelstücke. 13. überarbeitete und erweiterte Auflage. BLV Verlags GmbH, München u. a. 2002, ISBN 3-405-16332-3, S. 234.
Weblinks
- Mineralienatlas:Sillimanit (Wiki)