Baltische Flotte
Die Baltische Flotte bzw. Baltische Rotbannerflotte[2] (russisch Балтийский флот; transkribiert Baltijskij flot) ist eine von vier Hochsee-Flotten der russischen Marine. Sie ist in der Ostsee stationiert. Ihr Hauptstützpunkt ist Baltijsk bei Kaliningrad, das Hauptquartier befindet sich in Kaliningrad.
Baltische Flotte | |
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Verbandsabzeichen | |
Aufstellung | 1696 |
Staat | Russisches Reich (1696–1917) Sowjetunion (1917–1991) Russland (seit 1991) |
Streitkräfte | Russische Streitkräfte |
Teilstreitkraft | Russische Marine |
Typ | Flotte |
Standort | Baltijsk |
Auszeichnungen | Rotbannerorden (2×) |
Befehlshaber | |
Vizeadmiral | Alexander Nossatow[1] |
Geschichte
Zarenzeit
Die Baltische Flotte ist der älteste Teil der russischen Marine und wurde 1696 durch Zar Peter I. gegründet, erster Oberkommandierender wurde 1704 Cornelius Cruys. In ihrer langen Geschichte war sie erst Teil der zaristischen, dann der sowjetischen und heute der russischen Marine.
Im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 wurde ein großer Teil der Flotte als „Zweites Pazifik-Geschwader“ zur Unterstützung der Pazifischen Flotte in den Pazifik geschickt und dort in der Schlacht von Tsushima vernichtet. Dadurch wurde nicht nur Russlands Macht in Ostasien gebrochen, sondern auch seine Seemacht in der Ostsee. Als Folge kam es zur Russischen Revolution von 1905, an der auch meuternde Matrosen der Baltischen Flotte beteiligt waren.
Obwohl sie zahlenmäßig überlegen war, trat sie im Ersten Weltkrieg entgegen den Vorstellungen ihres ersten Befehlshabers Admiral Nikolai von Essen nie zur Offensive in der Ostsee an, sondern wurde von deutschen Kräften unter Prinz Heinrich von Preußen bis zum Kriegsende weitgehend blockiert und so zur Untätigkeit gezwungen. Dies war einerseits den naturräumlichen Gegebenheiten geschuldet (die nördliche Ostsee friert ab November bis zu fünf Monate zu) und andererseits den defensiven Vorstellungen des Genmor (Generalstabs der Marine), der auf einer defensiven Kriegsführung mit Rückhalt der Seefestung Imperator Peter der Große abzielte. Zudem sollten die modernen großen Einheiten nicht unnötigen Risiken ausgesetzt werden. Der Seekrieg in der Ostsee erschöpfte sich entsprechend den Vorgaben damit hauptsächlich in sporadischen Aktionen von Zerstörern sowie dem Handelskrieg mit U-Booten. Diesen gelang es nicht, die für das Deutsche Reich lebensnotwendige Eisenerz-Zufuhr aus Schweden zu unterbinden. Seit 1915 gab es Probleme mit der Disziplin der Mannschaften; häufiger ermordeten Mannschaftsdienstgrade Offiziere. An der Oktoberrevolution 1917 waren Matrosen der Baltischen Flotte maßgeblich beteiligt. Den Startschuss feuerte am 25. Oktober der Kreuzer Aurora ab, der noch heute als Museumsschiff in Sankt Petersburg liegt.
Sowjetzeit
Die Flotte wurde Teil der Sowjetischen Marine und erhielt 1935 aufgrund der Verleihung des Rotbannerordens die Bezeichnung Baltische Rotbannerflotte. Im April 1939 wurde Wladimir Tribuz (russisch Влади́мир Три́буц) bis 1947 ihr Oberbefehlshaber.
Im Winterkrieg gegen Finnland 1939/40 hatte sie wegen Nachschubproblemen, technischen Unzulänglichkeiten, schlechtem Ausbildungsniveau und mangelnder Aufklärung keinen Einfluss auf den Verlauf der Kämpfe. So warfen Flugzeuge der Flotte rund 64,5 Tonnen Bomben auf Inseln im Finnischen Meerbusen ab, die jedoch größtenteils evakuiert worden waren. Die einzige Küstenbatterie der Finnen auf den Inseln wurde durch diese Angriffe nicht ausgeschaltet. Ende Dezember kamen die Flottenoperationen durch Packeis weitgehend zum Stillstand.[3]
Im Frieden von Moskau (März 1940) wurde die Hanko-Halbinsel, die im Südwesten Finnlands günstig am Eingang des Finnischen Meerbusen liegt, für 30 Jahre als Flottenbasis an die Sowjetunion verpachtet.
Im Sommer 1940 besetzte die Sowjetunion die baltischen Staaten und gewann dadurch die schon ab 1939 durch Kooperationsverträge genutzten Häfen Tallinn in Estland und Liepāja (deutsch Libau) in Lettland.
Zweiter Weltkrieg
Die Baltische Rotbannerflotte band im Zweiten Weltkrieg „beträchtliche“ deutsche Seestreitkräfte. Allein zum Minensuchen und zur U-Boot-Jagd mussten 9 Flottillen in die Ostsee verlegt werden. Mit Minenlegern waren dies über 100 Fahrzeuge, was etwa ein Drittel der in westlichen Küstengewässern eingesetzten Kräfte entsprach.[4] Drei Jahre lang führte sie eine „energische und wirkungsvolle Rolle“ bei der Verteidigung Leningrads, Kronstadts und des Brückenkopfes Oranienbaum. Nach sowjetischen Angaben vernichtete sie, mit U-Booten, Torpedobooten und der Marine-Luftwaffe 624 Transportschiffe in der Ostsee mit zusammen 1.598.411 BRT. Zusammenstellungen westlicher Fachleute kommen auf etwa eine halb so große Zahl.[5]
Im Juni 1941 bestand die Flotte aus folgenden Schiffen:
- 2 Schlachtschiffe der Gangut-Klasse: Oktjabrskaja Rewoljuzija und Marat
- 2 Kreuzer der Kirow-Klasse: Kirow und Maxim Gorki
- 1 unfertiger Kreuzer der deutschen Admiral-Hipper-Klasse: Petropawlowsk
- 2 Flottillenführer der Leningrad-Klasse: Leningrad und Minsk
- 12 moderne Zerstörer
- 7 alte Zerstörer: Jakow Swerdlow, Kalinin, Wolodarski, Artjom, Engels, Lenin und Karl Marx
- 66 U-Boote: 14 der S-Klasse, 3 der L-Klasse, 21 der M-Klasse, 17 der Schtsch-Klasse, 4 der K-Klasse, 3 der P-Klasse, 2 der Kalev-Klasse (Kalev und Lembit) und 2 der Ronis-Klasse
- 7 Kanonenboote (u. a. Krasnoje Snamja, Krasnaja Swesda )
- 39 Minensuchboote
- 48 Torpedoboote
Der schnelle deutsche Vormarsch entzog ihr 1941 die erst kurz zuvor in Besitz genommenen Flottenstützpunkte im Baltikum. Zu sehr großen Verlusten kam es bei der Evakuierung von Tallinn ab dem 27. August 1941. Die Sowjetarmee zog ihre 25.000 Soldaten aus Hanko ab und im Dezember rückten finnische Truppen ein. Die meisten Schiffe waren ab September in Leningrad eingeschlossen und halfen mit ihren Geschützen bei der Verteidigung der belagerten Stadt. Das Schlachtschiff Marat sank nach schweren Bombentreffern am 23. September 1941 in Kronstadt am Kai, konnte aber noch als feste Batterie verwendet werden und bildete den ganzen Krieg hindurch das Rückgrat der sowjetischen Verteidigung.[6]
Am 4. und 5. April 1942 griffen Teile des Kampfgeschwaders 1, zusammen mit Teilen der Sturzkampfgeschwader 1 und 2, des Kampfgeschwaders 4 und des Jagdgeschwaders 54 Kriegsschiffe der Baltischen Flotte im Leningrader Hafen an. Dabei wurden beschädigt das Schlachtschiff Oktjabrskaja Rewoljuzija durch vier Bombentreffer, der Kreuzer Maksim Gorki durch sieben Treffer mittleren Kalibers, die Kreuzer Kirow und Petropawlowsk und der Zerstörer Silny durch je einen schweren Treffer, sowie der Zerstörer Grosjaschtschi, der Minenleger Marti und das Schulschiff Swir durch leichtere Treffer. Beschädigt wurden außerdem die Zerstörer Stoyki und Swirepy sowie die Unterseeboote M-79, P-2 und P-3.[7] Die Ausschaltung gelang jedoch nie. In einer Lagebesprechung am 10. März 1943 im Hauptquartier der Heeresgruppe Süd in Saporoshje äußerte Hitler:
„Das ist ja alles lächerlich! Man sollte es kaum für möglich halten, aber es ist doch so, daß die Luftwaffe es bisher nicht verhindern konnte, daß der Russe seit nun 1 1/2 Jahren mit seinen Kriegsschiffen und der Artillerie aus dem 12 km entfernt liegenden Kronstadt nach wie vor fröhlich auf unsere Stellungen schießt.“[8]
Friedrich Ruge schreibt, dass es etwas „überrascht“, dass die Artillerie keines der Schiffe, die so oft die deutschen Stellungen beschossen, ausschalten konnte.[9]
Erst nach dem Ende der Belagerung im Januar 1944 begannen einzelne Operationen gegen schwächere deutsche Kräfte im Baltikum. Bekannt wurden die Versenkungen der Flüchtlingsschiffe Wilhelm Gustloff, Steuben und Goya 1945 durch sowjetische U-Boote, bei denen bis zu 20.000 Menschen ums Leben kamen.
1945 bis 1990
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Baltische Rotbannerflotte Teil der Streitkräfte des Warschauer Pakts. Sie bezog ein neues Hauptquartier in Baltijsk bei Kaliningrad. Mit der Polnischen Seekriegsflotte und der Volksmarine der DDR bildete die Baltische Flotte die Verbündeten Ostseeflotten, die im Kriegsfall als Vereinigte Ostseeflotte aktiv werden sollten. Die Führung der Verbündeten Ostseeflotten lag bei der Baltischen Flotte. Ihre Aufgabe war außer dem Schutz eigener Küsten hauptsächlich offensiv. Insbesondere war sie dafür ausgestattet, amphibische Operationen gegen die Küsten Westdeutschlands, Dänemarks oder anderer Ostseeanliegerstaaten auszuführen. Dafür stand ihr eine große Zahl von Landungsschiffen und anderen Kriegsschiffen zur Verfügung.
Da die Staaten der NATO mit ihren Marinen die Ostseeausgänge beherrschten (siehe auch Bundesmarine), war die Baltische Flotte während des Kalten Krieges weitgehend von einem auch im Kriegsfall freien Zugang zum Atlantik abgeschnitten. Die Sowjetunion sah sich deshalb spätestens nach der deutschen Wiederbewaffnung 1956 gezwungen, die Basen für einen Teil ihrer Schiffe – insbesondere der strategischen U-Boote – in das Nordmeer zu verlegen. In dem Maße, wie die Bedeutung der Nordflotte wuchs, sank die der Baltischen Flotte. Allerdings blieben die Häfen in der Ostsee mit ihren leistungsfähigen Werften auch für die Nordflotte wichtig, deren Schiffe hier ihre Grundinstandsetzungen erhielten.
Russische Föderation
Als Folge der Auflösung der Sowjetunion wurden die Basen der Baltischen Flotte in Estland, Lettland und Litauen geräumt, so dass nur die Oblast Kaliningrad als weitgehend eisfreier Zugang zur Ostsee übrig blieb. Diese zwischen Polen und Litauen gelegene Exklave ist seither allerdings von Russland abgeschnitten – in ihr ist die leistungsfähige Jantar-Werft beheimatet. Die größten und wichtigsten Marinewerften befinden sich auch weiterhin im Raum Sankt Petersburg. Dazu befinden sich zwei große Stützpunkte der Baltischen Flotte in Kronstadt, einer auf der Insel Kotlin im Finnischen Meerbusen gelegenen Satellitenstadt etwa 29 km nordwestlich von Sankt Petersburg und dort selbst.
Als Russland 1992–1994 alle seine Truppen aus Polen und den Baltischen Staaten zurückzog, wurden einige Luft-, Marine- und Bodeneinheiten in Kaliningrad stationiert, angeblich wegen Versorgungsengpässen in Russland. Das russische Beharren, Kaliningrad als schwer bewaffnete Garnison zu erhalten, rief internationale Kritik, besonders von Polen, hervor.
1996 bestanden die Operationskräfte aus neun U-Booten, drei Kreuzern, zwei Zerstörern, 18 Fregatten und 56 kleineren Schiffen.
Mitte 2000 bestand die Baltische Flotte aus über 100 Kampfschiffen verschiedener Typen; ihre Marinefliegergruppe war mit 112 Kampfflugzeugen ausgestattet.
Im Sommer 2016 wurde der bisherige Oberkommandierende der baltischen Flotte, Wiktor Krawtschuk, samt Stabschef und 36 weiteren Offizieren, überraschend abgelöst. Als Gründe wurden „ernsthafter Versäumnisse in der Organisation der Gefechtsbereitschaft“, „fehlende Sorge um Untergebene“ und „Verzerrungen der tatsächlichen Lage“ genannt.[1] Nebenher hatte man unter anderem illegal Bernstein auf dem der Marine gehörigem Gelände abgebaut. Neuer Oberkommandierender wurde Alexander Nossatow und Vizeadmiral Muchametschin ist zu seinem Stabschef ernannt worden.
Status der Flotte 2019
Hauptstützpunkt der Baltischen Flotte ist Baltijsk.
Zur Baltischen Flotte gehören (Stand: 2019) unter anderem folgende Schiffseinheiten[10]:
- ein Zerstörer der Sowremenny-Klasse (Nastoychivyy, Flottenflaggschiff)
- zwei Fregatten der Neustraschimy-Klasse
- vier Korvetten der Stereguschtschi-Klasse
- vier Korvetten der Nanuchka-Klasse
- eine Korvette der Karakurt-Klasse
- zwei Korvetten der Bujan-Klasse
- sechs Korvetten der Parchim-Klasse
- sechs Korvetten der Tarantul-Klasse
- vier Landungsschiffe der Ropucha-Klasse
- zwei Landungsschiffe der Pomornik-Klasse
- drei Landungsboote der Dyugon-Klasse
- drei Landungsboote der Serna-Klasse
- drei Landungsboote der Ondatra-Klasse
- 11 Minenräumboote
- ein U-Boot der Kilo-Klasse
Baltische Flotte und Baltikum
Seit Mitte März 2015 störte die Baltische Flotte der russischen Kriegsmarine in der Ostsee viermal den Bau der Stromverbindung Nordbalt, die 700-MWe-Leitung von Klaipėda (Litauen) nach Nybro in Schweden. Schwedens Außenministerin Margot Wallström bezeichnete die Zwischenfälle als inakzeptabel. Litauen bestellte den russischen Botschafter in Vilnius ins Außenministerium ein, erhielt aber offenbar keine direkten Erklärungen.[11]
Admiräle der Flotte
- Dmitri Nikolajewitsch Senjawin (1763–1831)
- Sinowi Petrowitsch Roschestwenski (1848–1909)
- Nikolai Ottowitsch von Essen (1860–1915)
- Alexander Wladimirowitsch Raswosow (1879–1920); letzter Befehlshaber der Baltischen Flotte vor der Oktoberrevolution
- Michail Wladimirowitsch Wiktorow (1892–1938)
- Iwan Stepanowitsch Issakow (1894–1967)
- Wladimir Filippowitsch Tribuz (1900–1977); Befehlshaber der Baltischen Flotte im Zweiten Weltkrieg
- Konstantin Walentinowitsch Makarow (1931–2011)
- Wladimir Prokofjewitsch Walujew (* 1947)
- Wiktor Petrowitsch Krawtschuk (* 1961)
- Alexander Michailowitsch Nossatow (* 1963)
Ehemalige Schiffe und Unterseeboote im Dienste der Flotte
- Sowjetisches U-Boot M-256
- Sowjetisches U-Boot S-13
Einzelnachweise
- Friedrich Schmidt: Vergilbter Ruhm. FAZ.net, 9. Juli 2016, abgerufen am 30. Juli 2016.
- Meyers Universallexikon. 3. Auflage 1982, Best.-Nr.: 5769737, Liz.-Nr. 433130/182/82, Band IV, S. 129.
- van Dyke S. 47ff, 65ff, 78ff; Trotter, S. 54
- Friedrich Ruge: Die Sowjetflotte als Gegner im Seekrieg 1941–1945. Stuttgart 1981, S. 36.
- Ruge: Sowjetflotte als Gegner. S. 78.
- Ruge: Sowjetflotte als Gegner. S. 31.
- Jürgen Rohwer, Gerhard Hümmelchen: Chronik des Seekrieges 1939–1945, April 1942, abgerufen am 14. Juli 2013.
- Eberhard Schwarz: Die Stabilisierung der Ostfront nach Stalingrad. Göttingen 1985, S. 263.
- Ruge: Sowjetflotte als Gegner. S. 44.
- Russianships.info, abgerufen 19. August 2019
- Proteste Schwedens und Litauens
Weblinks
- Baltic Fleet (englisch)
- Russian Baltic Fleet List, March 1917 (englisch)