Koepchenwerk
Das Koepchenwerk ist eines der beiden ersten, gleichzeitig verwirklichten großen Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland. Es befindet sich am Hengsteysee in der Stadt Herdecke in Nordrhein-Westfalen.
Koepchenwerk | |||
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Lage | |||
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Koordinaten | 51° 24′ 41″ N, 7° 27′ 14″ O | ||
Land | Deutschland | ||
Gewässer | Hengsteysee (Ruhr) | ||
Daten | |||
Typ | Pumpspeicherkraftwerk | ||
Leistung | 153 MW | ||
Eigentümer | RWE | ||
Betreiber | RWE | ||
Projektbeginn | 1927 | ||
Betriebsaufnahme | 28. Januar 1930 (Altes Werk) 8. August 1989 (Neues Werk) | ||
Stilllegung | 1994 (Altes Werk) | ||
Turbine | Francis-Pumpturbine | ||
Website | www.rwe.com |
Eigentümer des nach seinem Planer Arthur Koepchen benannten und 1930 in Betrieb genommenen Kraftwerks war bis Ende 2016 der Konzern RWE. In den Jahren 1985 bis 1989 wurde direkt angrenzend ans alte Werk am Seeufer das moderne Kraftwerk gebaut.
Seit Januar 2017 befindet sich dieses Denkmal im Besitz der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur.[1]
Im Sommer 2021 wurden Pläne bekannt, hier Weinbau zu betreiben.[2]
Geschichte
Bau
Gebaut wurde das Pumpspeicherkraftwerk 1927 bis 1930 vom Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk Essen (RWE) zur Stromversorgung des nahen Ruhrgebietes am Steilhang des Ardeygebirges direkt am Hengsteysee an der Ruhr. Planer des Herdecker Kraftwerks war der Namensgeber Arthur Koepchen.
Mit dem sächsischen Pumpspeicherwerk Niederwartha leisteten sich zur Bauzeit die Ingenieure des Koepchenwerks einen wahren Wettlauf um die erste Inbetriebnahme. Schließlich ging das PSW Niederwartha bereits am 27. November 1929 mit einer Maschine ans Netz, seine endgültige Fertigstellung und die Inbetriebnahme des letzten Maschinensatzes erfolgte jedoch erst im März 1930. Das Koepchenwerk wurde am 28. Januar 1930 vollständig mit 132 Megawatt in Betrieb genommen. Folgerichtig wurden damals – je nach Betrachtungsweise – beide Kraftwerke als „Erste ihrer Art“ und „große technische Neuerung“ gefeiert.
Zweiter Weltkrieg
Unter der Zielnummer „B 28“ (ab 1941: GO 1123) stand das Koepchenwerk bereits vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf den Ziellisten des britischen Bomber Command. Bis April 1940 war es ein wichtiges potentielles Angriffsziel im „Ruhr Plan“. Durch die Zerstörung von Kraftwerken im Rheinland und Ruhrgebiet sollte die deutsche Rüstungsindustrie ausgeschaltet werden.
Der „Ruhr Plan“ verlor im Frühjahr 1940 an Bedeutung, weil man erkannte, dass kleine Ziele wie Kraftwerke in der Nacht nicht lokalisiert werden konnten. Dennoch unternahmen britische Bomber vor allem im Herbst mindestens vier gezielte Luftangriffe auf das Koepchenwerk. Dabei konnte Ende Oktober 1940 eine Wasserleitung beschädigt werden.
Um das Koepchenwerk vor Luftangriffen zu schützen, wurde es ab 1942 unter Tarnnetzen verdeckt. In der Umgebung des Hengsteysees wurden zahlreiche Flak-Batterien stationiert. Sperrballone sollten das Werk vor Tiefflugangriffen schützen.
Durch die Überflutung des Turbinenhauses kam es nach der Bombardierung der Möhnetalsperre am 17. Mai 1943 zu einem mehrwöchigen Ausfall. Ein amerikanischer Luftangriff am 23. März 1945 auf den benachbarten Verschiebebahnhof Hagen-Hengstey führte zur Zerstörung von Freilandanlagen auf dem Gelände der Verteilerstation und dem Brand der Tarnnetze.
Neubau und Modernisierung
In der Nachkriegszeit arbeitete das Koepchenwerk weitgehend störungsfrei. Im Dezember 1980 kam es jedoch zu einem Störfall, als das Gehäuse einer der Pumpen riss. Die Aufmerksamkeit der Betriebsmannschaft verhinderte zwar einen Folgeschaden, jedoch zeigten die Untersuchungen die unmittelbare Gefahr ähnlicher Schäden an zwei weiteren Pumpen. Das RWE entschied daher 1981, am gleichen Standort ein neues Pumpspeicherkraftwerk, das PSW Herdecke,[3] zu bauen und das alte Werk stillzulegen.
In den Jahren 1985 bis 1989 wurde direkt angrenzend ans alte Werk am Seeufer das moderne Kraftwerk gebaut. Dieses nutzt weiterhin das gleiche Prinzip. Auffälligster Unterschied ist abgesehen vom neuen Kraftwerksgebäude, dass die Druckrohre nun unterirdisch verlaufen und nicht mehr sichtbar sind.
Im Jahr 2007 investierte der Eigner RWE 25 Millionen Euro in die Modernisierung des Kraftwerks in Herdecke. Die Arbeiten dauerten von Mai bis September 2007.
Am 12. Januar 2015 stellte die RWE bei der Stadt Herdecke als untere Denkmalbehörde einen Abrissantrag für die denkmalgeschützten Anlagen. 2016 übernahm die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur das Werk in ihr Stiftungseigentum. Darauf erfolgte ab 2017 eine denkmalgerechte Sicherung des Objekts. Im Februar 2020 wurde das Kraftwerk von der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen als Denkmal des Monats in Westfalen-Lippe ausgezeichnet.[4]
Technik
Die in den 1980er Jahren gebaute neue Kraftwerksanlage ist genauso wie das alte Werk ein Spitzenlast-Wasserkraftwerk. Während Zeiten mit geringerem Strombedarf (überwiegend nachts) wird Wasser aus dem Stausee in das gut 160 Meter höher auf einem Berg gelegene Speicherbecken gepumpt. Während Zeiten mit erhöhtem Strombedarf (überwiegend tagsüber) strömt das Wasser dann durch Rohrleitungen und eine große reversible Francis-Pumpturbine in den See zurück. Dadurch können heute bis zu 153 MW elektrische Leistung bis zu vier Stunden lang produziert werden. Innerhalb von 70 Sekunden kann die Turbine von Stillstand auf Volllast gefahren werden. Die Turbine selbst befindet sich 42 Meter unterhalb des Wasserspiegels des Sees in einem Schacht.
Der große Höhenunterschied ergibt sich aus der Notwendigkeit, im Pumpbetrieb jegliche Kavitationsgefahr auszuschließen. Die Welle von Turbine und Generator ist senkrecht angeordnet, der Läufer des Generators wiegt über 300 Tonnen. Die Verbindung zum Oberwasser wird durch einen in den Felsen gesprengten 396 Meter langen Stollen bereitgestellt, durch den eine einzelne Rohrleitung der Nennweite DN 4750 führt. Am Einlauf zur Pumpturbine befindet sich ein Kugelhahn der Nennweite DN 3300, der zur Zeit seiner Herstellung der größte seiner Art weltweit war. Die Armatur kann mit Hydraulikzylindern innerhalb von 32 Sekunden geschlossen werden.
Das Anfahren der gesamten Anlage in den Pumpbetrieb wird über einen Frequenzumrichter mit 20 MW Leistung ermöglicht. Dieser Frequenzumrichter ist zurzeit immer noch der größte in Europa.
Das der Bergkuppe angepasste Speicherbecken hat bei einer Länge von ca. 600 Meter und einer Breite von ca. 250 Meter gut 1,5 Mio. m³ Fassungsvermögen. Die Betonoberflächen im und am Speicherbecken wurden 2007 saniert.
Der Netzanschluss erfolgt über die Schaltanlage Garenfeld auf der 220-kV-Höchstspannungsebene in das Netz des Übertragungsnetzbetreibers Amprion.[5]
Technische Daten des neuen Kraftwerks | |
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Inhalt des Oberbeckens: | 1.600.000 m³ |
Nutzbarer Inhalt: | 1.533.000 m³ |
Fallhöhe: | 165,2–145,5 m |
Bauzeit: | 1985–1989 |
Inbetriebnahme: | 8. August 1989 |
Ausbaudurchfluss im Pumpbetrieb: | 101,7 m³/s |
Ausbaudurchfluss im Turbinenbetrieb: | 110 m³/s |
Leistung im Pumpbetrieb: | 153,59 MW |
Leistung im Turbinenbetrieb: | 153 MW |
Arbeitsinhalt des Oberbeckens: | 649.000 kWh |
Elektrisch nutzbarer Arbeitsinhalt: | 590.000 kWh |
max. Pumpspeicher-Wirkungsgrad: | 80 % |
Drehzahl von Generator, Pumpe und Turbine: | 250 Umdrehungen pro Minute |
Ökologie
Durch den täglichen Pumpspeicherbetrieb kann der Wasserspiegel des als Unterbecken dienenden Hengsteysees innerhalb kurzer Zeit um 70 cm schwanken (zwischen +95,6 m üNN und +96,3 m üNN). Dies hat erhebliche Folgen für die Seeökologie. Der Uferbewuchs ist entsprechend reduziert und viele, üblicherweise am Ufer brütende Vögel können dies nur sehr erschwert oder nur mit künstlichen Hilfen tun. Daneben werden kleinere Lebewesen (auch Fische) trotz Siebvorrichtungen vom Sog der Pumpen erfasst und überleben die Kraftwerksvorgänge, insbesondere die hohen Drücke in den Rohren, nicht.
Denkmalschutz und Tourismus
Die Altanlage des Koepchenwerks, mit vier Maschinensätzen mit getrennten Pumpen und Turbinen sowie horizontalen Wellen, steht seit 1986 unter Denkmalschutz. 1994 wurde sie endgültig stillgelegt. Die Steuerungstechnik der Schaltwarte wurde ausgebaut und die Rohrleitungen am Speichersee mit Beton verschlossen. Einblicke in die alte Turbinenhalle sind vom Seeweg aus möglich. Informationstafeln sind während der allgemeinen Dienstzeiten zugänglich und erläutern die Funktionsweise des Werks.
Grundsätzlich ist die Halle für Besucher geschlossen, Führungen werden regelmäßig von der Stiftung angeboten.
Das Kraftwerk ist ein Standpunkt des Energiewirtschaftlichen Wanderwegs Herdecke und Bestandteil mehrerer Themenrouten der Route der Industriekultur.
Zum Speicherbecken auf dem Berg führt ein für den öffentlichen Verkehr gesperrter Stichweg (erreichbar über eine Seitenstraße der B 54), der jedoch von Fußgängern genutzt werden kann, um zu einer über dem Ruhrtal gelegenen Aussichtsplattform zu gelangen. Dort befindet sich auch eine Tafel mit einigen Informationen zum Bau des Koepchenwerks. Zwischen dem Oberbecken und dem Kraftwerk am See besteht keine öffentlich zugängliche Verbindung. Der bewaldete Steilhang um die Druckrohre ist als Betriebsgelände von RWE weiträumig abgesperrt.
Unterhalb der Wasserschlösser am Oberbecken sind drei große Leuchtbuchstaben des Betreibers RWE angebracht, die noch bis Anfang der 1990er nachts hell erleuchtet und damit als Landmarke weithin sichtbar waren, unter anderem von der A 1 aus.
Etwa einen Kilometer flussabwärts befindet sich am Ende des Hengsteysees ein weiteres Kraftwerk, das Laufwasserkraftwerk Hengstey.
Zukunft des Werkes
2015 wurden Pläne von RWE öffentlich bekannt, nach denen das Koepchenwerk abgerissen werden sollte.[6] Der geplante Abriss des Denkmals wurde aber abgewendet.[7] 2016 wurde das Industriedenkmal in die Obhut der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur gegeben, die vom Bundesland Nordrhein-Westfalen und der RAG unterhalten wird.[8] Nachdem ab 2017 eine umfassende Sicherung des Werks durchgeführt wurde, soll es künftig in das lokale Freizeit- und Tourismusangebot eingebunden werden und Besuchern im Rahmen von Führungen und Veranstaltungen zugänglich sein. Eine Illumination nach historischem Vorbild ist ebenso geplant wie eine zentrale Rolle im Rahmen der Internationalen Gartenausstellung 2027.[4]
Richtfunkturm der RWE
Zur Anlage gehört auch ein 79 Meter hoher, als Stahlbetonkonstruktion ausgeführter Richtfunkturm in der Nähe des Oberbeckens.
Siehe auch
Literatur
- Hans Dieter Dörre: Speicherbecken auf dem Kleff und Hengsteysee – ein Konzept findet Anerkennung in Europa – Ein Bauwerk am Ende der 20er-Jahre in Herdecke errichtet. – Artikel in: Herdecker Blätter. Heft 3 (Mai 1993), Seiten 9–14
- Ralf Blank: Die Stadt Hagen im Bombenkrieg. In: Gerhard E. Sollbach (Hg.): Hagen 1939-1948. Krieg- und Nachkriegszeit. Hagener Stadtgeschichte(n), Bd. 4. Hagen 1994. S. 9–26.
- RWE Power AG: Pumpspeicherkraftwerk Herdecke, Essen
- Georg Maybaum: Das Bemühen um den Erhalt des Koepchenwerks in Herdecke. In: Birgit Franz, Ingrid Scheurmann (Hrsg.): Strukturwandel – Denkmalwandel. Umbau – Umnutzung – Umdeutung. (= Veröffentlichung des Arbeitskreises Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V., Bd. 25), Verlag Mitzkat Holzminden 2016, ISBN 978-3-95954-014-8, S. 120–128.
Weblinks
- 75 Jahre Kraftwerk Herdecke – Historischer Kern, moderne Technik (Juni 2005). (PDF-Datei; 329 kB)
- Metropole Ruhr: Das Koepchenwerk als Sehenswürdigkeit
- Beschreibung aller Standorte auf dieser Themenroute als Teil der Route der Industriekultur
- Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur Informationen und Termine für Führungen
Einzelnachweise
- http://www.industriedenkmal-stiftung.de/docs/20376049561666_de.php
- Susanne Riese: Weinberg entsteht über dem Hengsteysee: Biowein vom Koepchenwerk In: halternerzeitung.de, 1. August 2021, abgerufen am 23. September 2021
- http://www.rwe.com/web/cms/de/2720904/rwe-power-ag/energietraeger/wasserkraft/rwe-wasserkraftwerke/psw-herdecke/
- Claudia Reck: Denkmal des Monats: Das Pumpspeicherkraftwerk Koepchenwerk in Herdecke. LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen, abgerufen am 6. März 2020.
- Kraftwerksliste Bundesnetzagentur (bundesweit; alle Netz- und Umspannebenen) Stand 02.07.2012. (Microsoft-Excel-Datei, 1,6 MB) Archiviert vom Original am 22. Juli 2012; abgerufen am 21. Juli 2012.
- RWE will Wahrzeichen wie Buchstaben und Rohre abreißen, Artikel vom 10. März 2015 von Steffen Gerber auf Derwesten.de
- Koepchenwerk in Herdecke gerettet, Artikel vom 15. November 2016 von Susanne Schlenga auf DerWesten.de
- Koepchenwerk. Stiftung sorgt für Erhalt eines Industriedenkmals in FAZ vom 18. November 2016, Seite 9