Schiffshebewerk Henrichenburg
Das alte Schiffshebewerk Henrichenburg von 1899 und das neue von 1962 liegen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt und gehören zur Kanalstufe Henrichenburg der Bundeswasserstraße Dortmund-Ems-Kanal in Waltrop-Oberwiese. Sie sind benannt nach der früheren Gemeinde Henrichenburg, heute nördlichster Stadtteil Castrop-Rauxels, der von Süden bis nah an das Gelände reicht. Zuständig ist seit dem 26. November 2020 das neue Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Westdeutsche Kanäle.
Das alte Schiffshebewerk wurde 1914 durch die Schachtschleuse Henrichenburg mit zwei mal fünf Sparbecken ergänzt. In den Jahren 1958 bis 1962 errichtete man das neue Hebewerk, so dass 1969 die Stilllegung des alten Hebewerks erfolgte. Die alte Schachtschleuse wurde 1989 durch eine neue Schleuse mit zwei Sparbecken ersetzt. Bis ins Jahr 2005 lief der Betrieb des neuen Hebewerks und der neuen Schleuse parallel. Seitdem fließt der Schiffsverkehr nur noch durch die neue Schleuse. Alle vier Bauwerke sind Teil des Schleusenparks Waltrop.
Das alte Schiffshebewerk
Das alte Schiffshebewerk war ein Schlüsselbauwerk des Dortmund-Ems-Kanals, denn erst mit seiner Fertigstellung konnte der Kanal bis zum Dortmunder Hafen befahren werden. Dieses Hebewerk ist das größte und spektakulärste Bauwerk der ersten Bau-Periode des Dortmund-Ems-Kanals. Es wurde zusammen mit dem Dortmund-Ems-Kanal am 11. August 1899 in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. in Betrieb genommen.
- Altes Schiffshebewerk (Ansicht von Westen)
- Schleusenpark aus der Luft
- Altes Schiffshebewerk, Postkarte von 1912
- Nächtliche Impressionen während der Extraschicht 2003
Technik
Das Hebewerk war in der Lage, den damals üblichen Dortmund-Ems-Kanal-Normalkahn von 67 m Länge, 8,2 m Breite und 2 m Tiefgang um 14 m auf die Wasserhaltung des Dortmunder Hafens zu heben. Ende der 1950er Jahre wurde das Unterwasser um 50 cm angehoben, dadurch verringerte sich die Fallhöhe auf 13,50 m. Ein vollständiger Senk- oder Hebevorgang, einschließlich Ein- und Ausfahrt, dauerte etwa 45 Minuten. Der eigentliche Senk- oder Hebevorgang dauerte etwa 2,5 Minuten. Das war deutlich schneller als mit den zur gleichen Zeit üblichen Schleusen. Zudem verbrauchte der Hubvorgang kaum Wasser aus der Dortmunder Haltung, deren gesamtes Wasser aus der unteren Haltung durch Pumpen bereitgestellt werden musste.
Die technisch interessante Konstruktion kam mit vergleichsweise niedriger Antriebsleistung zum Heben des 3100 t schweren wassergefüllten Trogs aus. Die Lösung lag im Auftrieb der insgesamt fünf Schwimmer (mit Luft gefüllte Hohlzylinder), die in wassergefüllte, 33 m tiefe Schächte eintauchten. Ihr Auftrieb war genauso groß wie das Gewicht des Trogs – das unabhängig von der Größe des Schiffs immer gleich bleibt, denn das Schiff verdrängt im Trog so viel Wasser wie es wiegt. Somit genügte ein relativ kleiner elektrischer Motor mit etwa 110 kW zum Überwinden der Reibungswiderstände, um den Trog aufwärts oder abwärts in Bewegung zu setzen. Den Bewegungsablauf steuerten vier über 20 m lange Gewindespindeln aus Stahl mit einem Außendurchmesser von 280 mm. Die Spindeln erhielten eine Längsbohrung von 110 mm Innendurchmesser, um eventuelle Fehler im Material aufzuspüren und um sie bei Frosttemperaturen mit Abdampf vor dem Einfrieren zu schützen.
Urheberschaft
Um die Frage, wer als technisch-konstruktiver Schöpfer des Hebewerks anzusehen ist, entbrannte schon 1899 eine vor allem in den Fachzeitschriften ausgetragene Kontroverse. Die staatliche Bauverwaltung benannte bei der Fertigstellung öffentlich (anscheinend auf einer bronzenen Inschrifttafel am Bauwerk selbst) lediglich drei Baubeamte: Geheimer Oberbaurat Adolf Dresel (als vortragender Rat im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten in Berlin) sowie Regierungs- und Baurat Alexander Hermann (1849–1918; Vorstand der staatlichen Kanalbauverwaltung in Münster) und Wasserbauinspektor Karl Offermann (vermutlich mit der örtlichen Bauleitung betraut).[1] Auch wenn diese drei gegenüber dem preußischen Staat als Bauherrn eine hohe Verantwortung für den auf 2,5 Millionen Mark veranschlagten Bau trugen, übten sie erst in der Phase der Bauausführung Einfluss auf das Projekt aus.
Der Ingenieur Friedrich Jebens veröffentlichte im März 1890 in der Deutschen Bauzeitung einen zweiteiligen Aufsatz über ein Schwimmer-Hebewerk („schwimmende Schleuse“), bei dem das Gewicht des Trogs durch den Auftrieb eines Schwimmkörpers ausgeglichen wird.[2] Auch das wegweisende Prinzip der gleichmäßigen und sicheren Führung des Trogs durch Schraubenspindeln geht auf ihn zurück, diese Idee wurde ihm 1892 patentiert (D.R.P. 80.531). Während die Idee des Schwimmer-Hebewerks von der preußischen Bauverwaltung aufgenommen wurde, hielt man die patentierte Trogführung dort zunächst für unnötig. Als das Ministerium der öffentlichen Arbeiten beschloss, für detaillierte Pläne und deren Bauausführung einen beschränkten Wettbewerb durchzuführen, wandte sich Jebens an das in Düsseldorf ansässige Stahlbau-Unternehmen Haniel & Lueg. Dort fand sein Patent Anerkennung und wurde in den zu entwickelnden Entwurf integriert, der am Ende den Wettbewerb für sich entschied. Jebens wurde aktiv in die Planung einbezogen; wie er selbst 1899 schilderte, wurde der Entwurf von ihm „auf dem Bureau von Haniel & Lueg in Düsseldorf ausgearbeitet“.[3] Allerdings wird auch der damalige Leiter des Konstruktionsbüros (und später Vorstandsmitglied) von Haniel & Lueg, Oberingenieur Barthold Gerdau (1852–1917), im Zusammenhang mit Planung und Ausführung des Schiffshebewerks vielfach erwähnt. Begutachtet wurden die eingereichten Entwürfe auch durch die Preußische Akademie des Bauwesens, woran als deren Mitglied der Schiffbauingenieur Rudolph Haack beteiligt war. Das Centralblatt der Bauverwaltung gab dagegen in der Urheberfrage die „amtliche“ Perspektive auf das Projekt wieder, indem es darauf hinwies, dass der aus dem Wettbewerb hervorgegangene Entwurf von Haniel & Lueg noch keineswegs ausführungsreif gewesen, sondern durch die Angehörigen der staatlichen Bauverwaltung in vielen Aspekten weiterentwickelt worden sei. Dabei wurde auch angemerkt, dass bei den ausführenden Unternehmen (Haniel & Lueg, AG für Eisen-Industrie und Brückenbau vorm. Johann Caspar Harkort, Elektrizitäts-AG vormals W. Lahmeyer & Co.) wohl noch weitere Ingenieure nennenswerten Anteil am Gelingen des Projekts hätten und weitere entsprechende Inschriften möglich seien.[4]
Zur architektonischen Gestaltung und bildhauerischen Ausschmückung des Hebewerks wurden in diesem Zusammenhang keine Urheber erwähnt. Für die Schiefe Brücke in Olfen und andere Brückenbauwerke des Kanals wird der Architekt und (wie Adolf Dresel im Ministerium der öffentlichen Arbeiten tätige) Baubeamte Karl Hinckeldeyn genannt; er dürfte auch an dem am meisten beachteten Bauwerk des Kanalprojekts mitgearbeitet haben.
Museum
Nach der Inbetriebsetzung des neuen Hebewerkes wurde das alte Hebewerk 1969 endgültig stillgelegt. Danach verfiel es. Auch ein Abriss wurde zunächst erwogen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) beschloss jedoch 1979, das technische Denkmal als Standort des Westfälischen Industriemuseums zu nutzen, heute LWL-Industriemuseum. Nach Restaurierung und Rekonstruktion ist das alte Schiffshebewerk ohne Wiederherstellung der ursprünglichen Funktion zusammen mit seinem unteren Vorhafen (Unterwasser), dem oberen Vorhafen und einem Stück Kanal (Oberwasser) Museum. Der untere Vorhafen wird auch als Marina genutzt.
Das alte Schiffshebewerk ist eine Stahlfachwerkkonstruktion mit fünf Schwimmerschächten. Der Trog und die steinernen Oberhaupt- und Unterhaupttürme sind begehbar. Im ehemaligen Kessel- und Maschinenhaus sind Maschinen, Modelle und Bilder zu sehen. Im oberen Vorhafen liegen das Polizei- und Feuerlöschboot Cerberus von 1930 und im unteren Vorhafen das Motorgüterschiff Franz-Christian von 1929 mit der Ausstellung Ein Arbeitsleben an Bord im Laderaum. Auf einem 400 m langen Kanalabschnitt im Anschluss an den oberen Vorhafen zeigt das Museum eine europaweit einzigartige Sammlung historischer Schiffe, darunter der Dampfschlepper Fortuna und das einzige europaweit noch existierende Dampftankschiff Phenol. Dazu befinden sich hier schwimmende Arbeitsgeräte, eine Anlege- und Verladestelle für Güterschiffe, eine Hellinganlage zur Schiffsreparatur mit historischem Drehkran von 1906 und der Kanaldurchlass mit altem Klapptor von 1914 sowie eine historische Hubbrücke von 1897. Im rekonstruierten Hafengebäude sind wechselnde Sonderausstellungen zu sehen.[5]
Das Schiffshebewerk liegt an den Radwegen Dortmund-Ems-Kanal-Route, Emscher-Weg und an der Route der Industriekultur per Rad. Das Alte Schiffshebewerk Henrichenburg ist heute zentraler Ankerpunkt der Route der Industriekultur.
Das neue Hebewerk
Das neue Hebewerk wurde 1962 eröffnet und hat eine Troglänge von 90 m bei einer Breite von 12 m und 3 m Wassertiefe. Die Nutzgröße beträgt 85 m × 11,40 m × 2,50 m (Nutzlänge × Nutzbreite × Tiefgang). Diese Abmessungen ermöglichten dem damals aufkommenden Europaschiff die Durchfahrt.
Technisch gesehen besitzt das neue Hebewerk das gleiche Bauprinzip wie das alte, jedoch wurde die Konstruktion vereinfacht. Die Zahl der Schwimmer in 52,5 m tiefen Schächten wurde für den Ausgleich des Troggewichtes von 5000 t auf zwei reduziert und ein Unterhaupt entfällt, weil Trog- und Haltungstor als Drehsegmenttore ausgeführt sind (sie drehen nach unten weg). Die Spindeln befinden sich in vier einzeln stehenden Türmen, auf ein verbindendes Hebewerksgerüst wurde verzichtet.
Auch das neue Hebewerk wurde bald zu klein für die Anforderungen der Kanalschifffahrt. So wurde 1989 unmittelbar nebenan die heutige Sparschleuse mit einer Länge von 190 m, 12 m Breite und einer Drempeltiefe von 4 m errichtet.
Das neue Hebewerk wurde bis Dezember 2005 genutzt, dann wegen technischer Probleme außer Betrieb genommen. Eine erneute Inbetriebnahme ist aus Kostengründen fraglich, zumal der Dortmunder Hafen heute nicht mehr das Frachtaufkommen früherer Tage hat. Kommt es allerdings – wie im Frühjahr 2006 – zu Problemen oder Wartungsarbeiten an der modernen Schleuse, kann der Dortmunder Hafen nicht mehr angelaufen werden.
Um für den Erhalt des Hebewerks zu „kämpfen“, hat sich zwischenzeitlich ein Förderverein gegründet. Er möchte das Hebewerk nicht nur als Bauwerk erhalten, sondern auch in betriebstüchtigem Zustand.
Seit dem 5. Dezember 2005 ist das neue Hebewerk als Baudenkmal in Teil A der Denkmalliste der Stadt Waltrop eingetragen.
Einzelnachweise
- Deutsche Bauzeitung, 33. Jahrgang 1899, Nr. 73 (vom 13. September 1899), S. 459.
- Deutsche Bauzeitung, 24. Jahrgang 1890, Nr. 24 (vom 22. März 1890), S. 144–147 / Nr. 26 (vom 29. März 1890), S. 154–158.
- Deutsche Bauzeitung, 33. Jahrgang 1899, Nr. 74 (vom 16. September 1899), S. 467.
- Centralblatt der Bauverwaltung, 19. Jahrgang 1899, Nr. 74 (vom 20. September 1899), S. 452.
- Frühere Ausstellungen
Literatur
- Eckhard Schinkel: Schiffshebewerke in Deutschland. Münster 1991, ISBN 3-921980-37-2.
- E. Junker: Der Bau des neuen Hebewerkes bei Henrichenburg. In: Wasser- und Schiffahrtsdirektion Münster (Hrsg.): Zur Freigabe des vollausgebauten Dortmund-Ems-Kanals am 2. April 1959. Münster 1959, DNB 451354028.
- Wolfgang R. Krabbe: Arbeitssituation und soziale Lage der Arbeiter beim Bau des Dortmund-Ems-Kanals. In: Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.): Das Schiffshebewerk Henrichenburg. Hagen 1985.
- Hans-Friedrich Schierk: Konstruktion und Bau des Mehrschwimmerhebewerks bei Henrichenburg. In: Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.): Das Schiffshebewerk Henrichenburg. Hagen 1985.
- M. Eckoldt (Hrsg.): Flüsse und Kanäle. Die Geschichte der deutschen Wasserstraßen. DSV-Verlag, 1998, DNB 954164873.
- LWL-Industriemuseum (Hrsg.): Museumsführer Schiffshebewerk Henrichenburg. Klartext, Essen 2011, ISBN 978-3-89861-131-2.
- Herbert Niewerth: Das Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop. Das wichtigste Einzelbauwerk des Dortmund-Ems-Kanals. In: Michael Braun u. a. (Hrsg.): Der Schleusenpark Waltrop. Waltrop 2010, ISBN 978-3-936083-18-7.
- o. V.: Beschreibung des Schiffshebewerkes bei Henrichenburg am Dortmund-Ems-Kanal. Crüwell, Dortmund 1897. (Digitalisat bei der Universitäts- und Landesbibliothek Münster)
Weblinks
- Beschreibung dieser Sehenswürdigkeit und Ankerpunkt als Teil der Route der Industriekultur
- Offizielle Website
- Schleusen-Park
- Kanalstufe Henrichenburg bei Medienwerkstatt Wissenskarten
- Bilder des Schiffshebewerks und des Schleusenwerks im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums für Westfalen
- Historisches Bildarchiv der Bundeswasserstraßen