Mannesmannröhren-Werke
Mannesmannröhren-Werke AG lautete von 1908 bis zur Liquidation nach dem Zweiten Weltkrieg der Name des alten Mannesmann-Stahlkonzerns mit Sitz in Düsseldorf. 1969 wurden die Mannesmannröhren-Werke als Tochtergesellschaft des Mannesmann-Konzerns neu gegründet. Die Mannesmannröhren-Werke waren damit – als Tochtergesellschaft der bereits 1955 neu entstandenen Mannesmann AG – eines der weltweit größten Unternehmen zur Herstellung von Stahlrohren. Die heute noch bestehende Mannesmannröhren-Werke GmbH ist die Führungsgesellschaft der operativen Gesellschaften des Geschäftsbereichs Mannesmann des Salzgitter-Konzerns. Sie bieten ihren Kunden ein breites Sortiment an hochwertigen geschweißten und nahtlosen Stahlrohren für unterschiedliche Anwendungsbereiche. Hier befinden sich heute die Rechte an der Marke Mannesmann.
Entwicklung zum Stahlkonzern und Nationalsozialismus
1890 als Zusammenschluss mehrerer Röhrenwerke der Remscheider Brüder Max und Reinhard Mannesmann unter dem Namen Deutsch-Österreichische Mannesmannröhren-Werke AG mit Sitz in Berlin gegründet, wurden 1893 die Verwaltung und später der Unternehmenssitz nach Düsseldorf verlegt, das damals das Zentrum der deutschen Stahlröhrenindustrie war.[2] 1908 erhielt das Unternehmen den neuen Namen Mannesmannröhren-Werke AG und entwickelte sich in der Folge über die Röhrenproduktion hinaus zu einem der großen deutschen Stahlkonzerne mit eigener Stahlproduktion.
Wie viele deutsche Unternehmen beteiligte sich auch Mannesmann vor und während des Zweiten Weltkriegs an der Enteignung von jüdischem Besitz („Arisierung“). 1938 übernahm Mannesmann die Wolf-Netter-&-Jacobi-Werke und formte daraus die Mannesmann-Stahlblechbau-AG. Die „Arisierung“ des ursprünglich in niederländischem Besitz befindlichen, französischen Behälterbauers van Leer war Thema einer ausführlichen strukturellen Untersuchung durch französische Historiker. Die Untersuchung zeigt, wie dutzende Beteiligte aus beiden Ländern und von allen möglichen politischen und wirtschaftlichen Institutionen bei diesem Vorgang mit- und gegeneinander wirkten. Letztlich gelang es der französischen Seite, die vollständige Vereinnahmung durch Mannesmann zu verhindern.[3]
Von 1940 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs setzte der Konzern in seinen Werken systematisch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene ein. Im Gelsenkirchener Lager Hubertusstraße waren während des Zweiten Weltkrieges mindestens 623 Menschen interniert, die für das Stahl- und Walzwerk Grillo Funke Zwangsarbeit verrichten mussten.[4] Die Mannesmann-AG betrieb in Schalke-Nord weitere Lager an der König-Wilhelm-Straße (heute Kurt-Schumacher-Str.), wo Franzosen und Ukrainer untergebracht waren. In Duisburg verfügten die Mannesmannröhren-Werke mit 1243 Bewohnern über ein großes sogenanntes Ostarbeiterlager.[5]
Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der alte Mannesmann-Konzern von den Alliierten entflochten und in die drei selbstständigen Unternehmen Mannesmann AG, Consolidation Bergbau AG und Stahlindustrie und Maschinenbau AG aufgeteilt. Im Jahre 1955 schlossen sich die drei Gesellschaften aus wirtschaftlichen Gründen unter Führung der Mannesmann-AG erneut zu einem Konzern zusammen.[6] 1969 erfolgte auf Grund eines Arbeitsteilungsabkommens mit Thyssen unter dem Konzerndach von Mannesmann die Neugründung der Mannesmannröhren-Werke AG, um dort die deutsche Stahlrohrproduktion zu konzentrieren. Damit entstand einer der weltgrößten Röhrenproduzenten.
1990 stieg die Konzernmutter, nachdem sie sich in mehreren Technologiebereichen bereits breit diversifiziert hatte, in den Mobilfunk ein und entwickelte sich dort schnell zu einem führenden Unternehmen. Ende der 1990er begannen Planungen, sich auf diesen zukunftsträchtigen Bereich zu konzentrieren und die übrigen Geschäftsfelder abzustoßen.
1997 wurde das französisch-deutsche Joint Venture Vallourec & Mannesmann Tubes gegründet, in dem beide Partner ihre gesamten Aktivitäten für nahtlos warmgefertigte Rohre und Ölfeldrohre konzentrierten.[7] Die Mannesmannröhren-Werke wurden im Jahr 2000 nach der spektakulären feindlichen Übernahme des Mannesmann-Konzerns durch das britische Telekommunikationsunternehmen Vodafone im Jahr 2000 an die Salzgitter AG verkauft. 2005 wurde die Beteiligung an dem Joint Venture Vallourec & Mannesmann Tubes vollständig durch Salzgitter an die französische Vallourec abgegeben.[7]
Die inzwischen in eine GmbH umgewandelten Mannesmannröhren-Werke produzieren heute hauptsächlich geschweißte Rohre. Das Großrohrwerk in Mülheim ist seit 2019 Bestandteil der Route der Industriekultur.
Rohre für den Fahrradrahmenbau
Mannesmann stellte in den 1980er bis Anfang der 1990er Jahre Rahmenrohre für den Fahrradrahmenbau her. Mannesmann lieferte die Rohre an die italienische Firma Oria, vertrieb seine Rohre aber teilweise auch unter eigenem Namen. Die Firma Oria ist neben Reynolds, Tange International und Columbus Tubi bis heute einer der führenden Hersteller von Rahmenrohren. In den 1980er Jahren versuchte das Unternehmen, dem Traditionshersteller Columbus Konkurrenz zu machen. Oria verbaute verschiedene Stahlrohlinge; neben Mannesmann auch von anderen Rohrherstellern. Teilweise waren die Oria-Rahmen mit dem Zusatz „Ein Produkt von Mannesmann“ gelabelt („Prodotto base Mannesmann“) bzw. Mannesmann Oria.[8]
Wie bei anderen Rahmenrohr-Herstellern wurden Rohre in unterschiedlichen Qualitätsstufen produziert, was sich vor allem auf das Gewicht auswirkte. Verbaut wurden die Rohre von namhaften Herstellern, wie in Deutschland von Enik, Albuch Kotter; in Italien von Francesco Moser, Guerciotti, Tommasini, Luigi Montagner, Olmo, Dancelli, Daccordi, Ciöcc und Pinarello (erster Rahmen aus Oria tubing 1993).
Weblinks
- Salzgitter AG: Ausführliche Unternehmensgeschichte, als PDF-Datei Mannesmann-Geschichte (PDF; 68 kB)
- Fotodokumentation des Werkes Mülheim
- Familie Mannesmann
- Beschreibung aller Standorte auf dieser Themenroute als Teil der Route der Industriekultur
- Frühe Dokumente und Zeitungsartikel zur Mannesmannröhren-Werke in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
Einzelnachweise
- Jörg Nimmergut: Historische Wertpapiere – Sinnvoll sammeln – garantiert gewinnen, S. 92f, ISBN 3-89441-042-6
- Mannesmann-Geschichte Salzgitter AG. Salzgitter AG, archiviert vom Original am 9. April 2014; abgerufen am 24. Dezember 2012.
- Franzosen erhielten eine Minderheits-Beteiligung von 25 %. – Aurélie Audeval, Martin Jungius, Marie Muschalek, Jörg Raab: „Arisierungsnetzwerke“. Akteurskonstellationen, Arbeitsteilung und Interessenkonflikte bei der ‚Arisierung‘ größerer Unternehmen in Frankreich 1940–1944. in Francia (Zeitschrift) Jg. 32, Nr. 3, 2005, S. 112ff. Online
- Zwangsarbeiter in Gelsenkirchen. In: Gelsenzentrum. Abgerufen am 17. August 2019.
- Harald Küst: 30.000 Zwangsarbeiter in Duisburg. 10. Oktober 2014, abgerufen am 17. August 2019.
- Die Gebrüder Mannesmann (Memento vom 19. Juli 2011 im Internet Archive)
- VALLOUREC & MANNESMANN TUBES: Unternehmensprofil. Abgerufen am 5. Juni 2010.
- http://www.fahrradmonteur.de/Oria