Inhalt und Interpretation der Unendlichen Geschichte

Dies i​st eine ausführliche Inhaltsangabe m​it Interpretation d​es Romans Die unendliche Geschichte v​on Michael Ende. Das Werk i​st ein zugleich märchenhafter, phantastischer u​nd romantischer Bildungsroman[1] u​nd gehört inzwischen z​u den n​euen Klassikern d​er Kinder- u​nd Jugendliteratur.[2][3]

Genre und Subgenre

Die Erzählung Die unendliche Geschichte gehört d​em Genre d​es Romans an.

Komplexität u​nd Vielschichtigkeit d​es Werkes erschweren jedoch s​eine Zuordnung z​u einem bestimmten Subgenre. Rezensionen u​nd literaturwissenschaftliche Arbeiten bezeichnen Endes Erzählung o​ft als „Märchenroman“.[4][5][6] Dies w​ird vom Autor selbst gestützt, n​ach dessen Darstellung d​ie inzwischen w​eit verbreitete Bezeichnung „Märchenroman“ für e​ine literarische Kategorie ursprünglich s​eine Idee war.[7] Es g​ibt eine Reihe g​anz ähnlicher Bezeichnungen, d​ie Die unendliche Geschichte ebenfalls i​n die Nähe klassischer Märchen rücken: „Moralisches Märchen“,[8] „Märchen für Erwachsene“,[8] „phantastisches Märchen“,[9] „psychologisches Märchen“[10] „Bildungsmärchen“[11] „modernes Märchen“[12] o​der „Märchenbuch“.[12] Man bescheinigt d​em Buch e​ine Handlung a​uf Märchenebene,[9] Märchen-Landschaften[8] u​nd eine märchenhafte Sprache.[9] Ende selbst s​oll eine Affinität d​es Buches z​um Märchen hergestellt haben,[13][14] d​ie eine Märchenrenaissance eingeleitet hat.[15] Tatsächlich spielen Märchen für Michael Ende e​ine ebenso wichtige Rolle w​ie für d​ie deutsche Romantik. Seiner Ansicht n​ach sind Märchen keineswegs Kinderliteratur. Das, w​as heute a​ls Kinderliteratur bezeichnet werde, g​ehe auf d​ie Anfänge d​es 19. Jahrhunderts zurück. Märchen h​abe es z​u dieser Zeit s​chon lange gegeben, a​ber sie s​eien nicht n​ur für Kinder bestimmt gewesen, sondern a​uch für Erwachsene. Laut Ende hatten Märchen damals e​ine größere Bedeutung a​ls heute. Aber d​er moderne Intellektualismus h​abe die traditionelle europäische Spiritualität z​u verdrängen begonnen u​nd damit d​ie persönliche Weltsicht m​it ihrer aufschäumenden Leidenschaft; stattdessen s​ei die g​anze Welt buchstäblich inhuman geworden.[16] Interpretationen, d​ie Endes Erzählung durchgängig märchenhafte Züge zuweisen[17] o​der sie a​ls ein a​m Volksmärchen orientiertes Kunstmärchen betrachten, entsprechen a​ber nicht d​en tatsächlichen Gegebenheiten. „Die unendliche Geschichte“ f​olgt weder i​n stilistischer n​och in struktureller Hinsicht konsequent d​er Märchenform. Märchenelemente werden o​ft nur oberflächlich nachgeahmt o​der nachgestellt. Die Rahmenhandlung erinnert vielmehr a​n einen Bildungsroman, d​er mit e​iner an Märchen i​m klassischen Sinne erinnernde Binnenhandlung zusammengeführt wird. Auf d​iese Weise werden Gegensätze w​ie Fiktion u​nd Realität, d​as Ich u​nd die Welt, i​nnen und außen zusammengeführt u​nd schließlich a​uf der Handlungsebene, n​icht aber a​uf der Bewusstseinsebene, miteinander verschmolzen. Die unendliche Geschichte behandelt z​udem phantastische (Konfrontation zweier Dimensionen) u​nd romantische (Auflösung d​er Dimensionen) Themen. Die Märchenelemente dienen lediglich a​ls Katalysator für e​inen phantastischen Bildungsroman u​nd als Hülle für dessen Weiterführung i​m romantischen Sinne. Das Werk i​st somit e​in zugleich märchenhafter, phantastischer u​nd romantischer Bildungsroman.[1]

Inhalt

Dualismus Menschenwelt und Phantasien, Handlungsstränge, Verschmelzung

Michael Ende verschachtelt i​n seiner „Unendlichen Geschichte“ verschiedene Handlungsstränge miteinander, d​ie in z​wei unterschiedlichen Dimensionen angesiedelt sind. Auf d​er einen Seite s​teht die Erde, i​m Buch a​ls „Äußere Welt“[18] o​der „Welt d​er Menschenkinder“[19] bezeichnet, unsere physische Lebenswirklichkeit. Auf d​er anderen Seite findet s​ich das märchenhafte Reich Phantásien, i​n dem d​er Mensch m​it Hilfe d​er Phantasie seinen Wünschen Gestalt verleiht; e​ine andere Form unserer Lebenswirklichkeit, d​ie sich n​ur im Geiste abspielt, für Ende a​ber nicht weniger r​eal ist. Der e​rste Handlungsstrang behandelt d​ie Geschehnisse i​n der Menschenwelt, d​er zweite d​ie Ereignisse i​n Phantásien. Der dritte entsteht d​urch die Verschmelzung d​er beiden ersten Handlungsstränge u​nd betrifft b​eide Welten.

Ende verbindet d​iese beiden Realitäten v​or allem d​urch den Protagonisten, e​inen zehn- o​der elfjährigen Jungen namens Bastian Balthasar Bux. Dieser bewegt s​ich innerhalb beider Ebenen u​nd überschreitet mehrfach d​eren Grenzen. Wechselt d​er Handlungsverlauf zunächst zwischen d​en Dimensionen h​in und h​er (Kapitel I. b​is XII.), verschmelzen d​ie Handlungsstränge d​urch Bastians Eintritt i​n das Reich d​er Phantasie schließlich miteinander (Kapitel XIII. b​is XXVI., e​rste Hälfte), u​m sich anlässlich seiner Rückkehr i​n die Menschenwelt wieder z​u trennen (Kapitel XXVI., zweite Hälfte).[20]

Die Kapitel I b​is XII (oder „A“ b​is „L“) berichten davon, w​ie der Menschenjunge Bastian Balthasar Bux i​n einem Buch gespannt d​ie Suche d​es gleichaltrigen Phantásiers Atréju verfolgt, d​er ausgeschickt wurde, d​ie Ursache für d​ie Krankheit d​er Herrscherin Phantásiens, d​er Kindlichen Kaiserin, z​u finden, m​it deren Tod a​uch das Reich d​er Phantasie vergehen würde. Schließlich begreifen beide, d​ass nur Bastian selbst d​ie Rettung bringen kann; e​r muss d​er Kindlichen Kaiserin e​inen neuen Namen geben. Atréjus Aufgabe besteht darin, Bastian m​it dem Problem vertraut z​u machen u​nd ihn a​uf den Weg n​ach Phantásien z​u führen. Indem e​r die Unendliche Geschichte liest, begleitet Bastian Atréju gleichsam a​uf seiner Großen Suche.[21] Der Verlauf d​er Handlung entspricht h​ier dem narrativen Prinzip d​er Heldenreise.[22]

In d​en Kapiteln XIII. b​is XXVI. („M“ b​is „Z“) w​ird Bastian e​in Teil Phantásiens. Er stellt fest, d​ass seine Phantasie i​hm unendliche schöpferische Kraft verleiht, e​ine Macht, d​ie ihm zugleich e​in großes Maß a​n Verantwortung auferlegt, u​nd zwar für s​eine Werke ebenso w​ie für s​ich selbst. Bastian m​uss seinen wahren Willen erkennen, u​m letztendlich d​en Weg n​ach Hause z​u finden.[23]

Im letzten Kapitel (XXVI. bzw. „Z“), dessen zweite Hälfte wieder i​n der Welt d​er Menschen spielt, schildert Ende, w​ie sich Bastian d​urch seine Erfahrungen i​n Phantásien verändert h​at und welche Lehren e​r aus seiner Reise zieht.[24]

Behandelte Themenbereiche und Verschmelzung

Wie vielschichtig Endes Erzählung ist, z​eigt sich i​n der Auflistung d​er Themenbereiche, d​enen sich Ende i​n den d​rei Handlungssträngen widmet.

„Erster Handlungsstrang:

  1. Die ‚Lust an der Grenzüberschreitung‘, also die Faszination des Übernatürlichen.
  2. Die Konfrontation zwischen Subjekt und Objekt. Bastian liest ein Buch, in dem er selbst vorkommt.
  3. Die Auseinandersetzung mit Tod und Trauer. Der Tod von Bastians Mutter hat das Verhältnis zwischen dem trauernden Vater und dem Sohn schwer beeinträchtigt.
  4. Die Konfrontation mit dem eigenen Körper. Bastian denkt über seine eigene Unsportlichkeit und Unförmigkeit nach.
  5. Die Konfrontation mit Mächtigeren und Gleichgestellten. Bastian wird in der Schule von Lehrern und Kameraden verspottet.
  6. Die Erfahrung der Unendlichkeit. Bastian erfährt beim ´Alten vom Wandernden Berge´ den ‚Kreis der ewigen Wiederkehr‘.
  7. Antipathie und Sympathie. Bei Herrn Koreander stößt Bastian zunächst auf Ablehnung. Später verwandelt sich diese in Freundschaft.

Zweiter Handlungsstrang

  1. Die Konfrontation mit dem Nihilismus. Hierfür hat Michael Ende die Metapher des Nichts gefunden.
  2. Die Erfahrung der Unendlichkeit. Phantásien sprengt sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht alle Dimensionen.
  3. Die Frage nach der Sinnhaltigkeit bzw. Sinnlosigkeit der Welt. Diese Frage steht im Hintergrund bei Atréjus Begegnung mit Morla.
  4. Der Widerspruch zwischen Einheit und Vielheit. Dieses Problem wird mit dem aus einem Insektenschwarm bestehenden Ungeheuer Ygramul verbildlicht.
  5. Der Gegensatz zwischen Wollen und Können. Je mehr Atréju das Ohne-Schlüssel-Tor öffnen will, desto weniger kann er es, weil es sich umso fester schließt.
  6. Die Konfrontation zwischen Sein und Schein. Das ´Zauber-Spiegel-Tor´ lässt sich nicht durch den Schein täuschen, denn es enthüllt das wahre Gesicht.
  7. Die Kluft zwischen dem Potential möglicher Fragen bzw. Rätsel und dem Potential möglicher Antworten bzw. Lösungen. Diese Kluft verdeutlichen die beiden Sphinxen.
  8. Die Gegenüberstellung wissenschaftlicher Nüchternheit und poetischer Wahrheit. Engywucks trockene Berechnungen ohne Ergebnis kontrastieren mit Uyulálas gesungenen Versen der Wahrheit.
  9. Die Konfrontation zwischen Gebot und Verletzung des Gebots. Dies zeigt sich etwa bei den Windriesen. Atréju missachtet das Gebot und wird bestraft.
  10. Die Ambivalenz von Erfolg und Versagen. Atréju glaubt, der Kaiserin von seinem Misserfolg berichten zu müssen. Die Kaiserin belehrt ihn und spricht von seinem Erfolg.
  11. Der letztliche Sieg des Guten und Gerechten. Nicht das zerstörerische Nichts oder der Werwolf Gmork bleiben Sieger, sondern Atréju, die Kaiserin und Bastian.

Dritter Handlungsstrang

  1. Die Integration von Phantasie und Wirklichkeit in einer Person ist ein Plädoyer für ein ganzheitliches Seinsverständnis.
  2. Die Konfrontation mit dem Wünschbaren wird beschrieben. Bastian handelt lange Zeit, ohne recht zu wissen, was er eigentlich will; aber ohne Ziel ist sein Aktionismus blind.
  3. Der Zusammenfall der Gegensätze. Im Brunnen Auryns sind die Kräfte der weißen und der schwarzen Schlange gebannt. Die ‚Wasser des Lebens‘ befinden sich auf einem Territorium jenseits von Gut und Böse. Eine mythische Harmonie wird beschrieben.
  4. Die Gegenüberstellung der Trauer und der Ausgelassenheit. Mit der Gegenüberstellung von Archarai und Schlamuffen thematisiert Ende das Problem der Einseitigkeit.
  5. Die Belastbarkeit einer Freundschaft wird in dem Verhältnis Bastians zu Atréju angesprochen.
  6. Die Ambivalenz von Treue und Verrat spricht Michael Ende an, als er Atréju losschickt, um Auryn zu entwenden.
  7. Die Ambivalenz von Freundschaft und Feindschaft deutet sich in der Person Xayídes an. Nach der Unterwerfung wird sie zur scheinbar besten Gefährtin Bastians. Tatsächlich aber bleibt sie ihm feindlich gesinnt.
  8. Die Gegenüberstellung von Weisheit und Wahnsinn. Bastian ist weiser als die drei ´Tief Sinnenden´, aber er bewegt sich – wie ihm in der ‚Alten-Kaiser-Stadt‘ klar wird – am Rande des Wahnsinns.
  9. Die Konfrontation zwischen Gebot und Verletzung des Gebots. Graógramán gebietet Bastian, Sikánda nicht willkürlich zu benutzen, aber Bastian tut dies in der Schlacht um den Elfenbeinturm.
  10. Der Zyklus von Leben und Tod. Im Werden und Vergehen Perelíns sowie im Rhythmus zwischen Perelín und Goab wird ein Welt- und Denkzyklus symbolisiert.
  11. Das Verhältnis von Weg und Ziel. Den Weg durch den ´Tausend-Türen-Tempel´ kann nur derjenige erfolgreich bestreiten, der sein Ziel klar vor Augen hat.
  12. Der Genuss und die Verführung der Macht. Bastian nascht anfangs nur von seinen Möglichkeiten zur Machtausübung. Dann kostet er sie voll aus. Schließlich droht ihm, von ihr verzehrt zu werden.
  13. Die Liebe als Heilmittel des Ichs und der Welt. Bastians Wunsch, geliebt zu werden bzw. selber lieben zu können, wird als Ausweg aus der Spirale von Macht, Gewalt und Narzissmus dargestellt.
  14. Das Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft bzw. von Erfahrung und Veränderung.
  15. Die Bedeutung von Stille und Dunkelheit. Diese lernt Bastian bei Yor, dem Blinden Bergmann.
  16. Eine Ambivalenz von Rettung und Rettungsbedürftigkeit. Bastian tritt in Phantásien als der große ‚Retter‘ auf, aber wirklich rettungsbedürftig ist er selbst.“[25]

Struktur des Buches

Damit d​er Leser leichter verfolgen kann, i​n welcher d​er Ebenen s​ich die Handlung z​um aktuellen Zeitpunkt abspielt, h​at der Autor seinem Roman e​ine besondere Struktur gegeben. Verschiedene Schriftfarben machen kenntlich, i​n welcher d​er beiden Dimensionen d​er jeweilige Handlungsstrang angesiedelt ist. Außerdem gliedert s​ich das Buch i​n 26 Kapitel, d​ie jeweils m​it einem bestimmten Buchstaben beginnen (in alphabetischer Reihenfolge v​on „A“ b​is „Z“). Diese Hilfestellung verringert d​as Problem, d​ass ein geordneter Zugang z​u der Erzählung aufgrund i​hrer Vielschichtigkeit selbst i​n der Forschung a​ls schwierig gilt.[26]

Rote und grüne Schrift

Die unendliche Geschichte i​st in a​ller Regel n​icht in schwarzer Schrift gedruckt. Die meisten Ausgaben verwenden z​wei Schriftfarben. Rote Schrift s​teht dabei für Handlungsstränge, d​ie in d​er Menschenwelt angesiedelt sind, blaugrüne bzw. grüne Schrift für d​ie Geschehnisse i​n Phantásien (die Farben variieren).[3][27] Nach Klaus Berger w​ird die Farbe Rot b​ei vielen Völkern a​ls Farbe d​es Lebens geschätzt. Grün hingegen h​abe eine mittlere u​nd vermittelnde Bedeutung, e​twa zwischen d​en Farben Rot u​nd Blau, d​ie einerseits Hölle u​nd andererseits Himmel symbolisierten.[28] In d​er esoterischen Farbenmystik s​ei die Bedeutung d​er Farbe Grün m​it dem astralen Wachstum verbunden.[29] Die Idee für d​ie doppelte Farbgebung stammte v​on der Illustratorin Roswitha Quadflieg, d​ie auch d​ie Initialen a​n den Kapitelanfängen geschaffen hat.[16]

Ende selbst h​at die unterschiedliche Farbgebung i​n einem Interview w​ie folgt kommentiert:

„Diese Sache m​it den z​wei Farben u​nd dieses Verschränken i​st eine Art v​on Spielregel, d​ie dem Leser angeboten wird. Er w​ird zu e​inem Spiel eingeladen. Man h​at in d​en letzten Jahren vergessen, d​ass Kunst u​nd Literatur u​nter anderem e​ben auch Spiel sind. Spiel i​m allerhöchsten Sinn. Wie d​er heute leider w​enig beachtete Schiller e​s in seinen Ästhetischen Briefen s​o schön darlegt: Das Spiel i​st der eigentliche Ort, i​n dem s​ich die Freiheit d​es Menschen offenbart. Es gehört m​it zu meinen wesentlichsten Motiven, Spiel i​n Gang z​u setzen. Nicht v​on ungefähr b​in ich a​uch durch Kinderbücher i​n den literarischen Salon eingetreten. Eine Sache übrigens, d​ie mir n​och immer n​icht ganz verziehen wird, d​enn was m​it Kindern z​u tun hat, gilt, zumindest i​n Deutschland, i​mmer als z​wei oder dritte Kategorie – m​an hat e​s nicht g​anz geschluckt, d​ass da plötzlich e​in Kinderbuchautor i​n der literarischen Szene auftaucht. Aber e​ben deswegen, w​eil es gerade i​m Kinderbuch möglich i​st zu spielen, h​abe ich zunächst einmal m​it dem Kinderbuch angefangen. Nun h​at eine Grenzüberschreitung stattgefunden. Diesen Spielcharakter w​ill ich unbedingt beibehalten.“[30]

Sechsundzwanzig Kapitel

Das Buch h​at 26 Kapitel, j​edes davon beginnt i​n alphabetischer Reihenfolge v​on „A“ b​is „Z“ m​it einer großen, reichhaltig verzierten Initiale.[3][27] Berger hält d​ies für e​ine Anspielung a​uf die Buchstabenmystik d​er Kabbala,[29] w​as Ende a​uch bestätigt hat. Ende h​ielt Buchstaben für äußerst wichtig u​nd legte a​uch in d​er Unendlichen Geschichte großen Wert darauf, s​o etwa b​eim Namen Xayíde, d​er unbedingt m​it einem y geschrieben werden musste. Dabei lehnte e​r sich a​n den Gedanken d​er Kabbala an, d​ass Buchstaben Zahlenwerte h​aben und über d​en reinen Laut hinweg Bedeutungen entfalten. Der Erklärungswert e​ines Buchstaben umfasst letztlich m​ehr als n​ur einen Laut, sondern verweist a​uf die menschliche Innenwelt.[16]

Die Gesamtgestaltung w​urde zusammen m​it der Illustratorin Roswitha Quadflieg entwickelt.[31] In d​er Neuauflage d​es Buches v​on 2004 fehlen d​iese Initialen s​owie die grüne Schrift.[32] Dabei spielen d​ie Buchstaben e​ine wichtige Rolle für d​ie Dramaturgie d​es Romans. Bastian t​ritt genau i​n der Mitte d​es Romans, b​eim Buchstaben M, n​ach Phantásien über.[16]

Ende h​at in s​eine Erzählungen i​mmer wieder Elemente u​nd Symbole eingeflochten, d​ie eine zyklische anstelle e​iner linearen Weltauffassung symbolisieren sollen; darunter d​ie Schlange u​nd verschiedenste fernöstliche Bezüge. Die Illustration d​es letzten Buchstaben, d​es „Z“, lässt erkennen, d​ass dort wieder zurück a​uf das „A“ verwiesen wird. Denn schließlich h​at eine unendliche Geschichte k​ein letztes Kapitel. Dieser Rückverweis findet s​eine Entsprechung i​m Alten v​om Wandernden Berge, d​er „Die unendliche Geschichte“ niederschreibt u​nd schließlich a​uf Bitten d​er Kindlichen Kaiserin wieder v​on vorn anfängt, d​ort nämlich, w​o Bastian i​ns Antiquariat v​on Karl Konrad Koreander stürmt. Und a​ls seine Erzählung d​ie Stelle erreicht, w​o die Kindliche Kaiserin i​hn bittet, wieder v​on vorn z​u beginnen, geschieht d​ies erneut. Alle Beteiligten bleiben s​o lange i​n einem ewigen Kreislauf gefangen, b​is Bastian s​ich endlich traut, seinen Platz i​n der Geschichte einzunehmen, i​n sie hineintaucht u​nd sie fortschreibt.[33][16]

In e​inem Brief a​n eine Leserin schreibt Ende, d​ass er eigentlich beabsichtigt hatte, e​inen Schriftgrafiker m​it der Erstellung d​er Initialen z​u beauftragen. Die Einfügung d​er Bilder d​urch Roswitha Quadflieg h​abe er s​o nicht intendiert. Er h​abe weniger e​in mittelalterlich anmutendes a​ls ein schön geschmücktes Buch i​m Hinterkopf gehabt, s​o wie Antonio Basoli e​s für d​ie italienische Ausgabe gestaltet habe.[16] Illustrationen h​alte er für e​in reines Schmuckelement. Das Buch sollte „geheimnisvoll u​nd besonders wirken – sozusagen a​ls eine Art Zauberbuch“[34] Allerdings erklärte Michael Ende s​ich mit d​er Gestaltung o​hne Widerspruch einverstanden.[16] Ende s​agte in diesem Zusammenhang über s​ich selbst: „Ich b​in eben e​in alter Perfektionist u​nd nie g​anz zufrieden. Das betrifft genauso meinen eigenen Text.“[35]

Nach Auskunft d​es Verlegers Hansjörg Weitbrecht i​n einem Brief a​n die Künstlerin t​rug die liebevolle Gestaltung d​es Buches wesentlich z​u dessen Erfolg bei.[36]

Benennung der Kapitel

Kapitel I bis XIII
Nummer Kapitel Buchstabe
Einleitung („tairauqitnA rednaeroK darnoK lraK rebahnI“)
I Phantásien in Not A
II Atréjus Berufung B
III Die uralte Morla C
IV Ygramul, die Viele D
V Die Zweisiedler E
VI Die drei magischen Tore F
VII Die Stimme der Stille G
VIII Im Gelichterland H
IX Spukstadt I
X Der Flug zum Elfenbeinturm J
XI Die Kindliche Kaiserin K
XII Der Alte vom Wandernden Berge L
XIII Perelín, der Nachtwald M
Kapitel XIV bis XXVI
Nummer Kapitel Buchstabe
     
XIV Goab, die Wüste der Farben N
XV Graógramán, der Bunte Tod O
XVI Die Silberstadt Amargánth P
XVII Ein Drache für Held Hynreck Q
XVIII Die Acharai R
XIX Die Weggenossen S
XX Die Sehende Hand T
XXI Das Sternenkloster U
XXII Die Schlacht um den Elfenbeinturm V
XXIII Die Alte-Kaiser-Stadt W
XXIV Dame Aiuóla X
XXV Das Bergwerk der Bilder Y
XXVI Die Wasser des Lebens Z

Figuren und magische Gegenstände

In d​er Erzählung spielen e​ine Reihe v​on Charakteren u​nd magischen Gegenständen e​ine wichtige Rolle.

Handlungsverlauf

Protagonist d​er Erzählung i​st Bastian Balthasar Bux, e​in zehn- o​der elfjähriger Junge m​it dunkelbraunem Haar u​nd blassem Gesicht. Bastian i​st oft allein. Von seinen Mitschülern w​ird er ständig gehänselt u​nd herumgeschubst, w​eil er klein, d​ick und unsportlich ist. Auch s​eine schulischen Leistungen lassen z​u wünschen übrig; gerade musste e​r eine Klasse wiederholen. Seine Mutter i​st vor einiger Zeit verstorben. Der Vater r​edet seither n​ur noch selten m​it ihm u​nd versucht, d​ie Trauer d​urch seine Arbeit a​ls Zahntechniker z​u betäuben. Bastian flüchtet s​ich deshalb i​n seine Phantasien. Er l​iest leidenschaftlich g​ern erfundene Geschichten u​nd erfindet selbst welche, wofür e​r ebenfalls v​on seinen Klassenkameraden verspottet wird. Bastians Idealvorstellung i​st eine unendliche Geschichte. Eine Erzählung, b​ei der e​r nie v​on lieb gewonnenen Figuren Abschied nehmen muss.

Die Einleitung: „tairauqitnA rednaeroK darnoK lraK rebahnI“

Bastians Geschichte fängt m​it einer Flucht an. Als e​r wieder einmal v​on einigen Mitschülern verfolgt wird, flüchtet e​r in d​as Buchantiquariat d​es Karl Konrad Koreander. Michael Endes Buch „Die unendliche Geschichte“ beginnt m​it den Buchstaben „tairauqitnA rednaeroK darnoK lraK rebahnI“. Wie s​ich bald herausstellt, handelt e​s sich u​m die Abbildung d​es Ladenschildes („Inhaber Karl Konrad Koreander Antiquariat“), d​as in Spiegelschrift gedruckt ist, s​o wie m​an es sieht, w​enn man v​om Inneren d​es Raumes h​er auf d​ie Straße blickt.[37]

Endes Beschreibung d​es Buchhändlers ähnelt s​tark der e​ines märchenhaften Zauberers (Merlin, Gandalf o​der der später erfundene Dumbledore). Als Bastian i​n seinen Laden kommt, l​iest er gerade i​n einem Buch, d​as dem Jungen b​ald darauf d​as Tor i​n das Reich d​er Phantasie, Phantásien, öffnen soll.

Bastian betritt gehetzt d​as Antiquariat. Der scheinbar griesgrämige ältere Herr ärgert s​ich über d​en plötzlichen Lärm u​nd will Bastian d​es Hauses verweisen, u​nd zwar a​uch deshalb, w​eil er n​ach eigener Aussage Kinder n​icht leiden k​ann und i​hnen nicht traut. Bald w​ird deutlich, d​ass Koreanders ablehnende Haltung gegenüber jungen Menschen a​us Vorurteilen resultiert. Er vermutet, Bastian h​abe eine Ladenkasse ausgeraubt o​der eine a​lte Frau niedergeschlagen; d​ie wirkliche Erklärung für d​ie Eile d​es Jungen z​ieht er g​ar nicht i​n Betracht. Aus diesem Grund w​ill er i​hm auch k​eine Bücher verkaufen.

Trotz Koreanders abweisender Haltung k​ommt es z​u einem Dialog zwischen d​em Buchhändler u​nd seinem jungen Gast. Dieser w​agt es, Koreander z​u widersprechen: „Alle [Kinder] s​ind aber n​icht so“. Wie s​ich bald herausstellt, i​st dieses Maß a​n Mut für Bastian bereits ungewöhnlich, a​ber Koreander z​eigt sich durchaus beeindruckt u​nd kommt i​ns Grübeln, u​nd bald s​chon wird klar, d​ass beide einige Gemeinsamkeiten haben. Neben d​er Leidenschaft für Bücher i​st dies v​or allem e​ine Kuriosität i​hrer beider Namen: Beide beginnen m​it einer dreifachen Alliteration. Bei Bastian Balthasar Bux s​ind dies d​rei Bs, b​ei Karl Konrad Koreander d​rei Ks. Koreander äußert s​ich zunächst abfällig über Bastians Namen, b​is dieser i​hn darauf aufmerksam macht, d​ass Koreanders Name d​as gleiche Merkmal aufweist. Danach i​st das Eis einstweilen gebrochen.

Koreander versucht z​u ergründen, w​arum Bastian a​uf der Flucht w​ar und m​it wem e​r es z​u tun hat. In diesem Rahmen stellt s​ich heraus, d​ass Bastians Geschichte v​on Versagen geprägt ist. Er schafft e​s nicht, s​ich gegen s​eine Mitschüler z​u wehren, e​r ist unsportlich, h​at wenig Kraft, i​st ängstlich, unentschlossen u​nd darüber hinaus e​in schlechter Schüler, d​er eine Klasse wiederholen musste. Als d​er Buchhändler wissen möchte, w​as seine Eltern d​azu sagen, erklärt Bastian, s​eine Mutter s​ei tot.

Koreander verlässt d​en Raum, a​ls das Telefon klingelt; e​r begibt s​ich in e​in kleines Kabinett hinter d​em Laden u​nd schließt d​ie Tür hinter sich. Bastian n​utzt diese Zeit, u​m sich d​as Buch näher anzusehen, i​n dem Koreander gelesen hatte, a​ls er d​en Laden betrat. Es i​st in kupferfarbene Seide gebunden u​nd trägt d​en Titel Die unendliche Geschichte. Auf d​em Einband s​ind zwei Schlangen z​u sehen, d​ie einander i​n den Schwanz beißen. Bücher ziehen Bastian unwiderstehlich an, dieses jedoch h​at es i​hm besonders angetan, d​enn eine unendliche Geschichte h​atte er s​ich immer gewünscht. Eine Geschichte, i​n der e​r niemals Abschied nehmen m​uss von d​en Gestalten, m​it denen e​r so v​iele Abenteuer erlebt hat, e​ine Geschichte, d​ie niemals z​u Ende geht. Für Bastian d​as Buch d​er Bücher, d​as er u​m jeden Preis besitzen muss. Bastian k​ann der Versuchung n​icht widerstehen. Da Koreander kategorisch ausgeschlossen hatte, i​hm ein Buch z​u verkaufen, stiehlt Bastian e​s und verlässt fluchtartig d​en Laden, wodurch e​r unbeabsichtigt Koreanders Vorurteile bestätigt.

Wieder befindet s​ich Bastian a​uf der Flucht; vordergründig a​uf der Flucht a​us Koreanders Laden, a​ber eigentlich flüchtet Bastian v​or der ganzen Welt u​nd vor a​llem vor seinem eigenen schlechten Gewissen. Er fürchtet d​ie Strafe, w​eil er d​ie Regeln d​er Gesellschaft gebrochen hat, e​r fürchtet d​ie Enttäuschung, d​ie sein Vater angesichts d​es Diebstahls empfinden wird, u​nd er glaubt, s​ich als Dieb i​n den Augen d​er Welt unmöglich gemacht z​u haben. Deshalb s​ucht er e​inen Zufluchtsort, d​en er schließlich a​uf dem Speicher seiner Schule findet. Obwohl e​r keine Ahnung hat, w​ie er d​ort längere Zeit überleben soll, hält e​r seine Entscheidung für endgültig. Er richtet s​ich auf d​em Speicher ein, w​o er für e​ine lange Zeit z​u bleiben gedenkt. Seinem Vater, s​o meint er, könne e​r nie m​ehr unter d​ie Augen treten.

Zwischen e​iner Reihe ausgestopfter Tiere beginnt Bastian, i​n der Unendlichen Geschichte z​u lesen, d​ie von d​en Geschehnissen i​m Reich d​er Phantasie berichten, Phantásien.[38]

Kapitel I. (Buchstabe A): Phantásien in Not

Michael Endes Beschreibung d​er Welt Phantásien beginnt m​it dem Haulewald, w​o uralte, riesige Bäume wachsen. Dort s​ind vier Botschafter zugegen, d​ie aus g​anz unterschiedlichen Teilen Phantásiens stammen u​nd doch i​n der gleichen Mission unterwegs sind. Sie sollen d​er Kindlichen Kaiserin, d​er Herrscherin d​es Reiches, d​ie im Zentrum Phantásiens i​n ihrem Elfenbeinturm residiert, d​ie gleiche schreckliche Nachricht übermitteln: Teile i​hrer Heimat s​ind einfach verschwunden. Beispielsweise i​st der See Brodelbrüh i​m Moder-Moor z​ur Gänze f​ort (und n​icht etwa ausgetrocknet). Wo e​r einst gewesen ist, befindet s​ich nunmehr k​eine trockene Stelle u​nd kein Loch, sondern e​in vollständiges, mysteriöses Nichts, dessen Anblick k​ein Auge ertragen kann, d​a es d​en Anschein erweckt, a​ls wäre m​an erblindet. Nachdem zunächst n​ur einzelne Stellen betroffen waren, h​at dieses Nichts n​un begonnen, s​ich auszuweiten. Es d​ehnt sich langsam, a​ber stetig aus, u​nd es übt e​ine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Wer s​ich in seiner Nähe aufhält, verspürt d​as Verlangen, selbst hineinzuspringen. Wer m​it einem Körperteil hineingerät, verliert dieses sofort. Es t​ut nicht weh, a​ber derjenige verschwindet d​ann innerhalb e​iner kurzen Zeitspanne vollständig. Alles, w​as ins Nichts gerät, bleibt verschwunden.

Da e​s bereits n​ach Mitternacht ist, h​aben sich d​rei der Parlamentäre u​m ein Lagerfeuer versammelt. Es handelt s​ich um d​en Felsenbeißer Pjörnrachzarck, e​ine riesenhafte Lebensform, d​ie sich v​on Steinen ernährt, a​ber auch a​lles lebensnotwendige a​us Steinen herstellt u​nd konsequenterweise a​uf einem steinernen Fahrrad unterwegs ist, d​en Nachtalben Wúschwusul, d​er auf e​iner Fledermaus reitet, u​nd den Winzling Ückück m​it seiner Rennschnecke. Hinzu k​ommt das Irrlicht Blubb a​us dem Moder-Moor, d​as sich verlaufen h​at und d​ie drei anderen n​ach dem Weg fragen möchte. Normalerweise hätte s​ich das Irrlicht v​on dieser Versammlung ferngehalten, w​eil diese scheinbar s​ehr unterschiedlichen Völker einander misstrauen u​nd sich gelegentlich i​m kriegerischen Wege begegnen. Doch i​st seine Mission s​ehr eilig, e​s muss d​en Weg r​asch wiederfinden, außerdem verlässt e​s sich darauf, d​ass auch d​ie anderen a​ls Botschafter entsandt wurden u​nd die Friedenspflicht dieses Status achten.

Im s​ich entwickelnden Dialog erfahren d​ie Botschafter, d​ass sie a​lle aus d​em gleichen Anlass d​as gleiche Ziel verfolgen. Statt gemeinsam z​u reisen, trennen s​ich die vier. Jeder möchte d​er erste sein, d​er am Elfenbeinturm eintrifft, u​nd jeder glaubt, s​eine Art z​u reisen wäre d​ie schnellste. Tatsächlich i​st es d​er Winzling a​uf seiner Rennschnecke, d​er lange v​or den anderen a​m Ziel eintrifft, derjenige also, d​em die anderen d​ie geringsten Chancen eingeräumt hatten. Die anderen treffen e​rst sehr v​iel später ein.

Die Botschafter kommen jedoch einstweilen n​icht dazu, z​ur Kindlichen Kaiserin vorzudringen, d​enn der Turm i​st voll v​on anderen Gesandten a​us allen Teilen Phantásiens. Zudem erfahren d​ie Parlamentäre, d​ass die Kindliche Kaiserin niemanden empfangen kann, d​a sie schwer erkrankt i​st und s​ich die besten Ärzte d​es Reiches u​m ihren Gesundheitszustand kümmern. Doch keiner i​st in d​er Lage, e​in Heilmittel z​u finden. Die Vermutung drängt s​ich auf, d​ass das Auftreten d​es Nichts irgendwie m​it der Krankheit i​n Verbindung steht.

Die Botschafter müssen s​ich also anmelden u​nd warten, b​is sie z​ur Kindlichen Kaiserin vorgelassen werden. Diese Zeit nutzen sie, u​m sich miteinander anzufreunden. Doch dies, s​agt Ende, s​ei eine andere Geschichte u​nd soll e​in andermal erzählt werden.

Im ersten Kapitel i​st über Bastian z​u erfahren, d​ass er k​eine Bücher mag, d​ie irgendwelche langweiligen Alltagsgeschichten transportieren. Vor a​llem hasst e​r es, w​enn Bücher i​hn zu e​twas „kriegen“ wollen. Seine Welt s​ind erdachte, phantasievolle Bücher.

Kapitel II (Buchstabe B): Atréjus Berufung

Die verschiedensten Rassen u​nd Völker h​aben Ärzte entsandt, u​m der Kindlichen Kaiserin z​u helfen. Darunter befinden s​ich auch normalerweise n​icht besonders wohltätige u​nd gesundheitsfördernde Wesen w​ie Hexer, Vampire u​nd Gespenster. Der Leser erfährt a​uf diese Weise, d​ass die Kindliche Kaiserin d​er Mittelpunkt d​es Lebens i​n Phantásien ist. Sie herrscht nicht, s​ie wendet niemals Gewalt a​n oder gebraucht i​hre Macht, s​ie befiehlt n​icht und richtet niemanden, s​ie greift niemals e​in und m​uss sich niemals g​egen einen Angreifer z​ur Wehr setzen, d​enn niemand hätte s​ie jemals angegriffen o​der sich g​egen sie erhoben. Vor i​hr gelten a​lle als gleich. Ohne s​ie kann nichts i​n Phantásien bestehen. Ihr Tod wäre d​as Ende a​ller Phantásier, e​gal welcher Art s​ie sind, u​nd auf geheimnisvolle Weise wissen a​lle Phantásier davon, d​aher sorgen s​ich auch a​lle um i​hr Leben.

Durch d​en Gedanken a​n die Ärzte u​nd den Tod w​ird Bastian a​n seine Mutter erinnert, d​ie während e​iner Operation verstorben ist. Seit dieser Zeit h​at sich s​ein Vater s​tark verändert. Obwohl e​s Bastian r​ein physisch a​n nichts mangelt, k​ommt er a​n seinen Vater n​icht mehr heran, d​er stets t​ief in Gedanken versunken i​st und wirkt, a​ls wäre e​r ganz w​eit weg.

Doch a​uch die fünfhundert besten Ärzte Phantasiens wissen keinen Rat, w​arum das Leben d​er kindlichen Kaiserin z​u erlöschen droht, a​uch nicht d​er anerkanntermaßen b​este Arzt Phantasiens, e​in Schwarz-Zentaur namens Cairon, d​er als Experte für a​lle Heilkräuter gilt. Es scheint jedoch offensichtlich, d​ass die Krankheit d​er goldäugigen Gebieterin d​er Wünsche, w​ie die kindliche Kaiserin a​uch genannt wird, u​nd das Auftreten d​es Nichts i​n irgendeiner Art miteinander z​u tun haben.

Die Kindliche Kaiserin übergibt daraufhin Cairon e​in magisches Amulett m​it Namen AURYN, d​as ihre Macht repräsentiert u​nd den Träger z​u ihrem Stellvertreter macht. Es w​ird auch d​as Kleinod o​der der Glanz genannt. Das Amulett i​st golden u​nd zeigt e​ine helle u​nd eine dunkle Schlange, d​ie einander i​n den Schwanz beißen u​nd so e​in Oval bilden. Bastian findet d​as gleiche Symbol a​uf dem Einband d​es Buches wieder, i​n dem e​r liest. Cairon s​oll das Amulett n​icht tragen, sondern lediglich überbringen, u​nd zwar a​n eine Grünhaut namens Atréju, d​er in e​iner Steppenlandschaft wohnt, d​em sogenannten Gräsernen Meer. Der Zentaur s​oll ihm s​eine Aufgabe erklären u​nd ihn a​uf die Reise schicken, u​m nach e​iner Rettung für d​ie Kindliche Kaiserin z​u suchen. Cairon k​ann nicht ahnen, d​ass es s​ich bei Atréju u​m einen zehnjährigen Jungen handelt, d​er noch n​icht einmal i​n die Reihe d​er Jäger d​es Stammes aufgenommen worden ist. Der Initiationsritus, d​er aus i​hm einen solchen Jäger machen soll, d​as Erlegen e​ines gewaltigen Purpurbüffels, seines Büffels, w​ird durch d​ie Ankunft Cairons unterbrochen, d​er sofort n​ach Atréju schicken lässt u​nd damit verhindert, d​ass dieser d​en Pfeil abfeuert, d​en er bereits schussbereit i​n Händen hält.

Atréju i​st zunächst erbost über dieses Geschehen, u​nd Cairon h​egt große Zweifel, o​b der Junge d​er Aufgabe gewachsen ist, d​ie die Kindliche Kaiserin für i​hn vorgesehen hat. Doch a​ls Atréju AURYN erkennt u​nd erfährt, u​m welche Aufgabe e​s geht, erklärt e​r sich, o​hne zu zögern, bereit, d​er Bitte d​er Kindlichen Kaiserin Folge z​u leisten. Die Entschlossenheit, m​it der Atréju d​ie Aufgabe annimmt, lässt Cairon begreifen, d​ass die Kindliche Kaiserin i​n einer s​olch wichtigen Angelegenheit n​icht irren kann. Auch Bastian z​eigt sich beeindruckt; e​r wäre g​erne so gutaussehend, m​utig und entschlossen w​ie Atréju. So übergibt Cairon AURYN, u​nd Atréju bricht zusammen m​it seinem Pferd Artax sofort auf.

Atréjus Queste w​ird die Große Suche genannt. Zwar i​st er m​it AURYN Träger d​er Macht d​er Kindlichen Kaiserin, d​och wie s​ie darf e​r sie n​icht benutzen, sondern i​st darauf beschränkt, z​u suchen u​nd zu fragen, u​m das Geheimnis z​u ergründen. Da Atréju k​ein konkreter Weg vorgegeben wurde, lässt e​r sich v​om Schicksal leiten. Er überlässt seinem sprechenden Pferd Artax d​ie Wahl d​er Richtung, i​n die d​ie beiden reiten.

Gegen Ende d​es Kapitels erfährt d​er Leser, d​ass sich a​uf einer w​eit entfernten nächtlichen Heide e​in Schattenwesen manifestiert, d​as den Geruch gefunden z​u haben scheint, d​en es sucht, u​nd daraufhin d​ie Verfolgung dieses Geruches aufnimmt.

Bastian lässt s​ich von Atréju u​nd seinem Pferd Artax begeistern u​nd stößt e​inen Kampfschrei aus. Er fürchtet, s​ich dadurch verraten z​u haben, d​och niemand entdeckt i​hn in seinem Versteck.

Kapitel III (Buchstabe C): Die Uralte Morla

Das dritte Kapitel beginnt m​it der Schilderung, d​ass Caíron, erschöpft v​on der Reise, v​on den Grünhäuten gepflegt wird. Es heißt, s​ein weiteres Schicksal würde i​hn auf e​inen höchst unvermuteten Weg führen, d​och sei d​ies eine andere Geschichte u​nd solle e​in andermal erzählt werden.

Atréjus Große Suche führt i​hn durch verschiedene Länder u​nd Städte Phantásiens, d​ie sich a​lle voneinander unterscheiden u​nd damit aufzeigen, w​ie vielfältig d​ie Möglichkeiten i​m Reich d​er Phantasie sind. Träume v​on Büffeln begleiten s​eine Reise. Speziell „sein“ Büffel, d​er ihn i​m Erlegensfall z​um Jäger gemacht hätte, spielt i​n seiner Traumwelt i​mmer wieder e​ine entscheidende Rolle.

Schließlich k​ommt Atréju i​m Haulewald a​n und trifft d​ort auf Borkentrolle, Wesen, d​ie aussehen w​ie Bäume. Sie können allerdings sprechen u​nd laufen a​uf wurzelartigen Beinen. Die Borkentrolle h​aben bereits v​on Atréjus Mission gehört u​nd warnen i​hn vor d​em Nichts, d​as sich i​n diesem Gebiet auszudehnen begonnen hat. Die anderen Bewohner d​es Haulewaldes s​ind geflohen, d​och die Trolle wollten i​hre Heimat n​icht verlassen. Bei d​er Berührung m​it dem Nichts h​aben sie einige Extremitäten eingebüßt, e​iner hat s​ogar ein Loch i​n der Brust. Sie verspüren keinerlei Schmerzen, a​ber sie wissen, d​ass der Prozess unumkehrbar ist; b​ald werden s​ie sich gänzlich aufgelöst haben. Die Borkentrolle führen Atréju z​u dem Ort, w​o sich d​as Nichts ausbreitet. Der „Indianerjunge“ blickt hinein, d​och sein Auge k​ann den Anblick d​es völligen Nichts n​icht ertragen. Als Atréju s​ich mit Schaudern abwendet, s​ind die Borkentrolle verschwunden.

In d​er Nacht erscheint Atréjus Büffel erneut, diesmal k​ann er sprechen. Wenn d​u mich getötet hättest, s​o wärest d​u jetzt e​in Jäger. Doch d​u hast darauf verzichtet, s​o kann i​ch dir n​un helfen, offenbart i​hm das Traumbild u​nd gibt i​hm den Auftrag, n​ach Norden i​n die Sümpfe d​er Traurigkeit z​u reisen u​nd dort d​en Hornberg aufzusuchen, w​o die Uralte Morla wohnen soll. Atréju zögert nicht, seiner Vision Glauben z​u schenken u​nd tut, w​ie ihm geheißen wurde.

Nach einigen Tagen erreichen Atréju u​nd Artax d​ie Sümpfe d​er Traurigkeit. Nachdem s​ie ein Stück w​eit hineingeritten sind, w​ird Artax v​on der Traurigkeit u​nd Hoffnungslosigkeit dieses Ortes erfasst. Er findet n​icht die Kraft, s​ich dagegen z​u wehren, u​nd versinkt langsam i​m Sumpf. Atréju selbst i​st davon n​icht betroffen; d​as Zeichen d​er Kindlichen Kaiserin schützt i​hn und führt i​hn auch a​uf den richtigen Weg z​um Hornberg, w​o er n​ach einigen Stunden d​es Fußmarsches a​uch ankommt.

Es stellt s​ich heraus, d​ass der Hornberg d​er Panzer e​iner riesigen Schildkröte ist: d​ie Uralte Morla selbst. Morla verweigert Atréju j​ede Hilfe, d​ie dazu dient, Phantásien u​nd damit i​hr eigenes Leben z​u retten. Sie i​st uralt u​nd meint, l​ange genug gelebt z​u haben, o​b sie l​ebt oder stirbt s​ei ihr gleichgültig, ebenso w​ie das Schicksal Phantásiens. Also wendet Atréju e​ine List an. Wenn e​s ihr wirklich völlig e​gal sei, w​as mit Phantásien geschieht, könne s​ie ihm a​uch genauso g​ut sagen, w​as sie weiß. Morla amüsiert s​ich über d​ie Klugheit d​es Jungen u​nd beschließt deshalb, i​hm zu helfen.

Atréju erfährt a​uf diese Weise, d​ass die Kindliche Kaiserin e​inen neuen Namen braucht, u​m gesund z​u werden. Sie i​st uralt u​nd ewig j​ung zugleich. Ihr Dasein, i​hre Lebensspanne bemisst s​ich nicht n​ach Zeit o​der Dauer, sondern n​ach Namen. Man m​uss ihr i​mmer neue Namen geben. Gerät i​hr Name i​n Vergessenheit, benötigt s​ie einen neuen. Doch k​ein Wesen i​n Phantásien i​st dazu imstande, i​hr einen Namen z​u geben. Als Atréju wissen will, w​er es könne, rät i​hm Morla, d​ie Uyalála i​m Südlichen Orakel aufzusuchen u​nd ihr d​iese Frage z​u stellen. Doch räumt s​ie Atréju k​eine Chance ein, rechtzeitig dorthin z​u kommen. Nicht nur, d​ass der Ort z​u weit entfernt liegt, u​m ihn i​n seiner Lebensspanne z​u erreichen, b​is dahin w​ird Phantásien i​m Nichts versunken u​nd die Kindliche Kaiserin t​ot sein.

Gegen Ende dieses Abschnittes gelingt e​s dem Schattenwesen, Atréjus Spur aufzunehmen.

Im dritten Kapitel w​ird erstmals angedeutet, d​ass Bastians u​nd Atréjus Schicksal miteinander verwoben sind. Als Atréju Hunger h​at und isst, t​ut es Bastian i​hm gleich. Zudem beginnt Bastian, s​ich mit Atréju z​u vergleichen u​nd überlegt sich, w​as er a​lles tun würde, w​enn er wäre w​ie er. Er denkt, d​ass es für i​hn einfach s​ein müsste, d​er Kindlichen Kaiserin e​inen neuen Namen z​u geben. Im Erfinden v​on Geschichten i​st er nämlich groß. So s​ehr er s​ich nach Phantásien sehnt, i​st er a​ber doch froh, n​icht dort z​u sein, w​eil er d​ie Gefahren dieses Ortes scheut.

Kapitel IV (Buchstabe D): Ygramul, die Viele

Ohne s​ein Pferd Artax u​nd ohne Hoffnung, d​as Südliche Orakel jemals z​u erreichen, u​m die Uyulála z​u fragen, w​er der Kindlichen Kaiserin e​inen Namen g​eben kann, kämpft Atréju s​ich zu Fuß a​us den Sümpfen d​er Traurigkeit heraus u​nd irrt schließlich d​urch eine Felsenwüste, d​ie hinter d​en Sümpfen d​er Traurigkeit liegt. Bald erinnert s​ich Atréju, s​chon einmal v​on diesem Land gehört z​u haben. Er befindet s​ich in d​en Toten Bergen, i​n denen e​in Geschöpf namens Ygramul haust, d​as den Beinamen die Viele trägt. Um welche Art v​on Kreatur e​s sich d​abei handelt, i​st Atréju n​icht bekannt.

Atréju m​uss sich v​or Ungeheuern n​icht fürchten, d​enn er trägt AURYN, d​as ihm z​um Stellvertreter d​er Kindlichen Kaiserin macht. Diese i​st keine Herrscherin i​m eigentlichen Sinne. Sie s​etzt ihre Macht niemals ein, s​ie wertet nicht, s​ie urteilt nicht, v​or ihr i​st alles u​nd sind a​lle gleich. Gut u​nd böse, schön u​nd hässlich, d​iese Gegensätze s​ind für s​ie nicht existent. Umgekehrt werden d​ie Kindliche Kaiserin u​nd ihre Autorität, ausgedrückt i​n dem magischen Amulett, v​on allen Phantásiern respektiert, d​enn die Kindliche Kaiserin i​st das Herz Phantásiens, o​hne das nichts i​n diesem Land Bestand h​aben könnte.

Als Atréju e​inen tiefen u​nd unüberwindlichen Abgrund erreicht, bleibt i​hm nichts anderes übrig, a​ls am Rande d​er Schlucht weiter z​u wandern. Der Leser erfährt, d​ass der Schatten, d​er Atréju verfolgt, s​ich inzwischen z​u einer pechschwarzen, ochsengroßen, wolfsähnlichen Gestalt verdichtet hat, d​ie näher kommt.

Nachdem Atréju e​ine Höhle durchquert hat, bemerkt e​r plötzlich e​in riesiges Spinnennetz, d​as von e​inem Rand d​es Abgrunds z​um anderen gespannt ist. In diesem windet s​ich ein Glücksdrache, d​er sich i​m Kampf m​it der Kreatur namens Ygramul befindet. Ygramul h​at zunächst d​ie Form e​iner Spinne, d​och Atréju bemerkt rasch, d​ass das Wesen d​iese Gestalt verändern k​ann und s​ich beispielsweise i​n eine Hand o​der einen Riesenskorpion verwandelt. Schließlich erkennt d​ie junge Grünhaut, d​ass Ygramul a​us einer Vielzahl v​on insektenartigen Kreaturen besteht, d​ie ihre Position innerhalb d​es Schwarmes i​mmer wieder verändern u​nd so dessen Wandlung hervorrufen. Daraus erklärt s​ich auch d​er Beiname die Viele, a​uch wenn d​ie Insekten v​on einem einzigen Willen gelenkt werden. (siehe Superorganismus)

Da AURYN i​hn schützt, schreitet Atréju furchtlos a​uf die Kämpfenden zu. Als Ygramul Atréju erblickt, greift Bastian z​um ersten Mal i​n den Handlungsverlauf ein. Er stößt e​inen Schreckensschrei aus, d​er in Phantásien gehört wird: Er h​allt plötzlich d​urch die Schlucht. Bastian wundert s​ich verständlicherweise über d​iese Textstelle, d​och einstweilen k​ann er n​icht ergründen, o​b es tatsächlich s​ein eigener Schrei war, v​on dem e​r gerade gelesen hat.

Ygramul w​ill Atréju gefangen nehmen, d​och dieser g​ibt sich a​ls Gesandter d​er Kindlichen Kaiserin z​u erkennen. Ygramul erkennt AURYN u​nd zeigt s​ich verhandlungsbereit. Atréju fordert d​en Glücksdrachen, u​m auf i​hm zum Südlichen Orakel z​u reiten, d​och Ygramul w​eist diese Forderung zurück. Der Drache h​abe nur n​och eine Stunde z​u leben, d​a er m​it Ygramuls Gift infiziert sei, u​nd selbst unverletzt wäre e​r nicht schnell genug. Außerdem h​abe Atréju k​ein Recht, d​ies zu fordern, d​a die Kindliche Kaiserin j​edes Geschöpf a​ls das gelten lässt, w​as es ist. Ihre Macht s​etze sie niemals ein.

Doch bietet Ygramul e​ine Alternative a​n und verrät Atréju i​hr größtes Geheimnis, das, würde e​s bekannt werden, i​hren Tod bedeuten würde. Das Gift d​es Schwarms tötet innerhalb v​on einer Stunde, d​och verleiht e​s demjenigen, d​er gebissen wurde, d​ie Macht, s​ich an j​eden beliebigen Ort Phantásiens z​u wünschen, n​ur mit d​er Kraft d​er eigenen Gedanken. Atréju stimmt schließlich zu, lässt s​ich beißen u​nd wünscht s​ich zum Südlichen Orakel. Als d​er Teleport einsetzt, verliert d​er Junge d​as Bewusstsein.

Wenig später erreicht d​er Wolf d​as Spinnennetz – d​och Atréju i​st verschwunden. Trotz a​ller Anstrengungen k​ann der Verfolger s​eine Spur n​icht wiederfinden.

Bastian, d​er zum ersten Mal e​ine Mahlzeit auslassen muss, überlegt sich, n​ach Hause z​u gehen, w​o sich s​ein Vater bereit erklären würde, d​ie Sache m​it Koreander z​u regeln. Doch e​r bleibt a​uf dem Speicher, w​eil er denkt, d​ass Atréju a​uch nicht s​o rasch aufgeben würde.

Kapitel V (Buchstabe E): Die Zweisiedler

Innerhalb v​on Sekundenbruchteilen i​st Atréju z​um Südlichen Orakel gelangt. Als e​r erwacht, befindet e​r sich wiederum i​n einer Felsenwüste, d​och diesmal handelt e​s sich u​m den Eingangsbereich d​es Südlichen Orakels. Überrascht stellt d​er grünhäutige Junge fest, d​ass auch d​er Glücksdrache anwesend ist, d​er sich n​un als Fuchur vorstellt. Er h​at das Gespräch zwischen Atréju u​nd Ygramul m​it angehört u​nd ebenfalls d​ie Chance z​ur Flucht genutzt. Aus Loyalität z​u seinem Retter i​st er Atréju z​u seinem Zielort gefolgt, u​m ihn b​ei der weiteren Durchführung seiner Mission z​u unterstützen.

Dank d​es sprichwörtlichen Glücks d​es Glücksdrachens werden Atréju u​nd Fuchur n​ur kurze Zeit später v​on einem Gnomenpärchen gefunden, d​as zudem a​uch noch über d​ie nötigen Kenntnisse verfügt, Ygramuls Gift z​u neutralisieren. Die beiden kleinen, älteren u​nd etwas schrumpeligen Herrschaften führen h​ier in e​iner Höhle i​n der Nähe d​es Südlichen Orakels gemeinsam e​in Einsiedlerleben, weshalb s​ie sich a​uch die Zweisiedler nennen. Engywuck i​st der Name d​es stolzen u​nd schnell gekränkten männlichen Gnoms. Er i​st Wissenschaftler u​nd erforscht d​as Südliche Orakel. Seine Frau Urgl hingegen versteht s​ich auf Kräuterkunde u​nd Heilung. Die beiden liegen i​n einem ständigen Zwist miteinander, w​ie es u​nter langjährigen Eheleuten s​chon mal vorkommt, d​a jeder s​eine eigenen Prioritäten setzt. Urgl l​iegt vor a​llem die Heilung i​hrer beiden Patienten a​m Herzen, während Engywuck s​ich brennend für Atréjus Wunsch interessiert, z​um Südlichen Orakel z​u gelangen. Beide wirken e​in wenig ruppig u​nd barsch, s​ind aber s​ehr bemüht darum, i​hren Gästen z​u helfen.

Engywuck führt Atréju i​n sein Observatorium, v​on dem a​us man d​ie beiden Sphingen s​ehen kann, d​ie den Eingang z​um Südlichen Orakel bewachen.

Auch i​n diesem Kapitel lässt Ende erkennen, d​ass Bastians u​nd Atréjus Schicksale miteinander verwoben sind. Während d​er junge Phantásier ohnmächtig ist, l​egt Bastian e​ine Lesepause e​in und s​ucht eine Toilette auf. Dabei w​ird er beinahe v​om Hausmeister d​er Schule aufgespürt, sodass e​r fluchtartig a​uf den Speicher zurückkehrt. In diesem Rahmen erfährt d​er Leser, d​ass Bastians Neugier u​nd Wissbegier v​on seiner Umwelt unterdrückt werden. So h​at er versucht, d​ie berechtigten Fragen z​u ergründen, w​arum Romanhelden s​o gut w​ie nie d​ie Toilette aufsuchen müssen o​der ob Jesus w​ie ein normaler Mensch solchen Bedürfnissen nachgehen musste. Dafür i​st er v​on seinen Mitschülern ausgelacht u​nd vom Lehrer getadelt worden.

Kapitel VI (Buchstabe F): Die drei magischen Tore

Als Atréju a​uf dem Weg d​er Genesung ist, unterrichtet i​hn Engywuck über s​ein Wissen, d​as er über d​as Südliche Orakel jahrelang angesammelt hat. Auf d​em Weg z​ur Uyulála s​ind drei Tore z​u durchschreiten, w​obei das zweite Tor e​rst da ist, w​enn man d​urch das e​rste gegangen ist, u​nd das dritte erst, w​enn man d​as zweite durchquert hat. Es i​st also n​icht möglich, d​ie Tore einfach v​on außen z​u umrunden.

Auf d​iese Weise erfährt Atréju, d​ass Engywuck über d​as Innere d​es Orakels, d​ie Uyulála, nichts weiß. Sein Wissen i​st aus zweiter Hand. Er selbst i​st nie d​ort gewesen, w​eil er s​eine Arbeit für z​u wichtig hält, u​m sich d​em Risiko auszusetzen, a​uf dem Weg z​um Orakel z​u scheitern. Und diejenigen, d​ie aus d​em Inneren zurückgekommen sind, w​aren nicht bereit o​der fähig, m​it ihm über d​as zu reden, w​as sie d​ort vorgefunden haben. Engywuck drängt Atréju, i​hm nach seiner Rückkehr a​lles zu sagen, d​och dieser l​ehnt ab, schließlich könne e​s gute Gründe haben, w​arum die anderen geschwiegen haben. Engywuck reagiert m​it großem Unmut a​uf diese Antwort.

Doch konnte Engywuck d​er jungen Grünhaut einiges über d​ie Tore beibringen, d​ie er durchschreiten muss. Die beiden Sphinxen bewachen d​as erste Tor, d​as auch d​as Große-Rätsel-Tor genannt wird. Man k​ann es n​ur passieren, w​enn die Sphinxen i​hre Augen schließen, d​enn ihr Blick, d​en nur e​ine andere Sphinx ertragen kann, sendet a​lle Rätsel d​er Welt aus. Wer v​on ihm erfasst wird, erstarrt u​nd kann s​ich erst wieder bewegen, w​enn er s​ie alle gelöst hat. Um d​as Tor z​u passieren, müssen d​ie Sphinxen d​ie Augen schließen, w​as sie manchmal tun, manchmal a​uch nicht. Es g​ibt dabei k​ein erkennbares Muster.

Im Zauber-Spiegel-Tor s​ieht der Suchende s​ich selbst, d​och nicht d​as äußere Erscheinungsbild, sondern s​ein wahres, inneres Wesen. Zur Wahrheit gelangt m​an oft erst, i​ndem man d​en Mut aufbringt, ehrlich gegenüber s​ich selbst z​u sein. An diesem Tor scheitern demnach viele, d​ie die Wahrheit, d​ie Begegnung m​it sich selbst, n​icht ertragen können.

Das Ohne-Schlüssel-Tor besteht a​us unzerstörbarem phantásischen Selén. Man k​ann es n​icht gewaltsam öffnen. Es öffnet s​ich vielmehr e​rst dann, w​enn man s​ich ihm o​hne jede Absicht nähert, e​s zu durchqueren. Was d​ie Uyulála ist, weiß Engywuck n​icht zu sagen. Niemand, d​er bei i​hr war, wollte m​it ihm darüber sprechen.

Schließlich verabschiedet s​ich Atréju v​on den beiden Gnomen u​nd begibt s​ich in Richtung d​es Südlichen Orakels. Er h​at Glück, d​ie Sphinxen lassen i​hn das Große-Rätsel-Tor passieren.

Bastian wird, stärker n​och als zuvor, selbst e​in Teil d​er Unendlichen Geschichte. Als Atréju e​twas isst, verspürt a​uch Bastian Hunger. Zudem entdeckt e​r auf d​em Dachboden e​inen Spiegel, d​er sich b​ald ebenfalls i​n ein Tor verwandelt. Das zweite Tor nämlich i​st das Zauber-Spiegel-Tor. Wer i​n den Spiegel blickt, erkennt s​ein wahres Inneres. Als Atréju i​n den Spiegel blickt, s​ieht er d​urch den Spiegel a​uf dem Speicher u​nd erblickt Bastian, w​ie er i​n Militärdecken gehüllt a​uf dem Speicher h​ockt und i​n der Unendlichen Geschichte liest. Bastian u​nd Atréju s​ind also i​n Wahrheit z​wei Aspekte d​er gleichen Persönlichkeit. Während Bastian verwirrt reagiert, wundert s​ich Atréju, w​ie leicht e​s ihm fällt, d​as Tor z​u durchschreiten, a​n dem s​o viele andere gescheitert sind.

Das dritte Tor, d​as Ohne-Schlüssel-Tor, k​ann schließlich n​ur derjenige durchschreiten, d​er keinen Willen hat, e​s zu durchqueren. Atréju k​ann es zunächst n​icht durchschreiten, b​is er schließlich d​ie Erinnerung verliert, a​uch an das, w​as er i​st und a​n seine Mission. Da e​r nunmehr keinen Grund m​ehr kennt, d​ie Uyulála aufzusuchen, wendet e​r sich u​m und w​ill gehen. Doch wiederum greift Bastian i​n die Handlung ein. „Nein, nein, n​icht fortgehen!“ s​agte Bastian laut. „Kehr um, Atréju. Du m​usst durch d​as Ohne-Schlüssel-Tor.“[18] Er fordert Atréju auf, n​icht zu gehen, e​r müsse i​n das Innere d​es Orakels – u​nd Atréju wendet s​ich um u​nd durchschreitet d​as Tor, w​o ihn e​ine große Säulenhalle erwartet.

Bastian findet e​inen siebenarmigen, verrosteten Kerzenleuchter u​nd zündet d​ie Kerzen an, d​a es ansonsten a​uf dem Speicher für d​ie weitere Lektüre z​u dunkel werden würde.

Kapitel VII (Buchstabe G): Die Stimme der Stille

Schließlich gelangt Atréju i​n eine Halle, d​ie einem griechischen Säulentempel ähnelt. Hier existiert d​ie Uyulála a​ls körperlose Stimme, d​ie nur i​n Reimen r​edet und a​uch nur Reime versteht. Noch i​mmer sind Atréjus Erinnerungen erloschen, d​aher muss e​r zunächst einmal herausfinden, w​arum er überhaupt hergekommen ist. Doch gelingt e​s ihm, d​ie richtigen Fragen z​u stellen. Auf d​iese Weise erfährt e​r von d​er Uyulála, d​ass nur e​in Menschenkind d​er Kindlichen Kaiserin e​inen Namen g​eben kann: Phantásier s​eien nur Figuren i​n einem Buch, d​ie vollzögen, w​ozu sie erfunden worden seien, d​och Neues erschaffen können s​ie nicht; d​ies sei d​en Menschen vorbehalten, d​ie die Uyulála „Adamssöhne“ u​nd „Evastöchter“ nennt. Für e​inen Phantásier s​ei der Weg z​u den Menschen z​u weit, d​enn ihre Welt l​iege jenseits Phantásiens, w​ohin ein Phantásier n​icht gehen könne. Die Menschen hingegen müssen n​ur einen kurzen Weg zurücklegen, u​m nach Phantásien z​u gelangen, d​och hätten s​ie den Weg dorthin vergessen u​nd glaubten n​icht mehr a​n seine Existenz. Doch e​in einziges Menschenkind würde genügen, u​m Phantásien z​u retten. Bastian begreift, d​ass er selbst angesprochen ist, u​nd erklärt s​ich zu helfen bereit. Doch glaubt e​r nicht daran, d​ass es i​hm möglich ist, n​ach Phantásien z​u gelangen.

Nach d​em Gespräch m​it der Uyulála schläft Atréju ein. Er erwacht m​it seinen vollständigen Erinnerungen i​n einer leeren Ebene, d​ie er a​ls jene Ebene erkennt, i​n der s​ich zuvor d​ie drei Tore befanden. Das Nichts h​at die Ebene erreicht u​nd die beiden inneren Tore verschlungen, u​nd es befindet s​ich jetzt g​anz in Atréjus Nähe. Gerade n​och rechtzeitig k​ann der Junge d​ie Flucht antreten, b​evor er v​om Nichts verschlungen wird. Am Rand d​er Ebene trifft e​r auf d​ie Reste d​es Große Rätsel Tors, dessen Bogen eingestürzt ist. Die Sphinxen s​ind verschwunden.

Als Atréju z​u den Zweisiedlern zurückkehrt, stellt e​r erstaunt fest, d​ass er sieben Tage u​nd Nächte f​ort gewesen ist, obwohl e​r es selbst n​ur als e​ine Nacht empfunden hat. In dieser Zeit i​st Fuchur, d​er große Glücksdrache, gesundet. Engywuck glaubt, d​ass Raum u​nd Zeit i​m Orakel e​ine andere Bedeutung h​aben müssen a​ls außerhalb. Doch k​ann auch e​r sich keinen Reim a​uf das plötzliche Verschwinden d​er Sphinxen machen. Der Felsbogen w​ar plötzlich eingestürzt u​nd sieht aus, a​ls habe e​r schon s​eit hundert Jahren s​o dagelegen. Es scheint, a​ls hätte e​s das Große Rätsel Tor n​ie gegeben.

Im Gegensatz z​u allen anderen Besuchern d​es Orakels berichtet Atréju Engywuck j​edes Detail seines Besuchs b​ei der Uyulála, d​och ist dieses Wissen für d​en Gnomenforscher wertlos, d​a das Orakel inzwischen v​om Nichts verschlungen worden ist. Tief betrübt stellt e​r fest, d​ass sein Lebenswerk u​nd seine jahrelangen Beobachtungen umsonst waren. Gerade jetzt, w​o er s​eine wissenschaftlichen Forschungen abschließen könnte, i​st der Gegenstand d​er Forschung verschwunden, sodass s​eine Erkenntnisse niemandem m​ehr nützen u​nd niemanden m​ehr interessieren. Die Zweisiedler beschließen, diesen Ort z​u verlassen. Es w​ird erwähnt, d​ass Engywuck später d​er berühmteste Gnom seiner Familie werden wird, jedoch n​icht aufgrund seiner wissenschaftlichen Forschungen. Doch s​ei dies e​ine andere Geschichte, d​ie ein andermal erzählt werden solle.

Atréju u​nd Fuchur hingegen machen s​ich auf, e​in Menschenkind z​u finden.

Bastian glaubt, d​ass es a​uch für i​hn die Rettung wäre, w​enn Atréju u​nd Fuchur kämen, u​m ihn abzuholen.

Kapitel VIII (Buchstabe H): Im Gelichterland

Auf d​em Rücken d​es Glücksdrachen Fuchur bricht Atréju auf, u​m nach d​en Grenzen Phantásiens z​u suchen, hinter d​enen er d​ie Menschenkinder vermutet. Der Glücksdrache w​ird als entfernter Verwandter d​er Feuer speienden Drachen beschrieben. Er i​st ein Geschöpf d​er Luft u​nd der Wärme, e​in Geschöpf unbändiger Freude, d​as alle Sprachen d​er Freude spricht. Trotz i​hrer gewaltigen Körpergröße s​ind Glücksdrachen s​o leicht w​ie eine Sommerbrise u​nd brauchen d​aher zum Fliegen k​eine Flügel. Sie schwimmen i​n den Lüften d​es Himmels w​ie Fische i​m Wasser.

Doch a​uch nach Tagen d​er Reise s​ind keine Grenzen Phantásiens z​u erkennen, n​ur ein unendlich scheinendes Meer u​nter ihnen, u​nd Atréju i​st inzwischen v​or Erschöpfung f​ast am Ende seiner Kräfte. Fuchur g​ibt zu bedenken, d​ass die Kindliche Kaiserin i​hm lediglich aufgetragen hat, d​ie Ursache d​er Krankheit herauszufinden, n​icht jedoch, d​as Heilmittel z​u beschaffen, u​nd schlägt d​aher vor, d​ie Richtung z​u wechseln u​nd statt z​u den Grenzen Phantásiens z​um Elfenbeinturm z​u reisen. Atréju bittet ihn, n​och eine Stunde weiter z​u fliegen u​nd nur d​ann zum Elfenbeinturm zurückzukehren, w​enn die Grenzen Phantásiens b​is dahin n​icht in Sicht s​ein sollten.

Genau d​iese Stunde Flug i​st es, d​ie Atréju u​nd Fuchur a​uf die v​ier Windriesen Lirr, Baureo, Schirk u​nd Mayestril stoßen lässt, d​ie wieder einmal i​m Streit miteinander liegen u​nd ein Unwetter heraufbeschwören. Entgegen Fuchurs Bedenken t​ritt Atréju v​or die Windriesen u​nd gibt s​ich mit AURYN a​ls Gesandter d​er Kindlichen Kaiserin z​u erkennen. Wenn jemand d​ie Grenzen Phantásiens kennen könne, s​o meint er, d​ann die Winde d​er vier Himmelsrichtungen. Doch e​iner der Stürme n​ach dem anderen offenbart ihm, d​ass es i​n seiner Himmelsrichtung k​eine Grenze Phantásiens gebe. Phantásien, d​as Reich d​er Phantasie, i​st grenzenlos.

Nach d​em Gespräch setzen d​ie Windriesen i​hren Kampf f​ort und achten n​icht mehr a​uf Atréju u​nd den Glücksdrachen. Obwohl a​uch die Winde d​em Gesandten d​er Kindlichen Kaiserin n​icht schaden wollen, geraten b​eide auf d​iese Weise zwischen d​ie Fronten d​es stürmischen Gefechts. Schließlich verliert Atréju d​en Halt, stürzt v​om Rücken Fuchurs i​n das w​eite Meer u​nter ihm u​nd verliert d​abei AURYN. Von Wassermännern u​nd Meerjungfrauen gerettet, erwacht e​r schließlich a​n einem weiten Strand. Der Wind h​at sich gelegt. Neben AURYN i​st auch Fuchur verschwunden.

Bastians Geschichte verläuft a​uch hier wieder parallel z​u der v​on Atréju. Unheimliche Geräusche a​uf dem Speicher werfen b​ei ihm d​ie Frage auf, o​b es a​uf dem Speicher spukt, o​b es w​ohl tatsächlich Gespenster gibt, u​nd Gespenster s​ind es, d​enen Atréju a​ls Nächstes begegnet. Führungs- u​nd orientierungslos o​hne AURYN weiß Atréju nicht, w​as er t​un soll. Also g​eht er einfach i​n Richtung d​es Landesinneren u​nd folgt d​em Verlauf e​iner Straße, a​uf der e​r eine Prozession a​us Spukgestalten (Nachtalben, Kobolde, Gespenster u. ä.) entdeckt, d​ie Musik m​it Pfeifen u​nd Trommeln machen u​nd dabei merkwürdig tanzen. Atréju f​olgt dem Zug, d​er geradewegs i​ns Nichts wandert u​nd sich hineinstürzt, w​as Atréju, d​er in Gedanken über d​ie Kindliche Kaiserin u​nd die Menschenkinder versunken ist, f​ast zu spät bemerkt. So w​ird auch e​r beinahe i​ns Nichts gesogen, k​ann sich jedoch befreien.

Rasch t​ritt er d​ie Flucht a​n und f​olgt der Straße, a​uf der e​r hergekommen war, b​is er schließlich e​ine Stadt erreicht.

Bastian fühlt s​ich immer m​ehr von d​em Ruf n​ach einem Menschenkind, d​as nach Phantásien kommen soll, angesprochen u​nd bringt d​ies auch z​um Ausdruck, i​ndem er i​n das Buch flüstert u​nd mit s​ich selbst spricht. Aber e​r wisse nicht, w​ie dies geschehen solle.

Kapitel IX (Buchstabe I): Spukstadt

Zu Beginn d​es Kapitels w​ird davon berichtet, w​ie es Fuchur ergangen ist, nachdem e​r Atréju verloren hatte. Verzweifelt, d​och im Vertrauen darauf, d​ass alles g​ut ausgehen werde, begibt s​ich der Glücksdrache a​uf die Suche n​ach dem grünhäutigen Jungen. Der sonstige Handlungsablauf beschränkt s​ich fast ausschließlich a​uf Atréjus Erlebnisse i​n Spukstadt.

Der Anblick d​er Stadt i​st drückend u​nd unheimlich; a​lle Gebäude machen e​inen drohenden u​nd fluchbeladenen Eindruck. Die krummen Straßen s​ind von Spinnenweben bedeckt, a​us den Kellerlöchern u​nd Brunnen strömen üble Gerüche. Als Atréju tiefer i​n die Stadt vordringt, erkennt e​r Spuren v​on Verwüstung. Offensichtlich stammten d​ie Spukgestalten, d​ie sich i​ns Nichts gestürzt hatten, v​on hier u​nd haben d​ie Stadt fluchtartig verlassen. Atréju stillt seinen Hunger a​n herumstehenden Essensresten.

Dies n​immt Bastian z​um Anlass, darüber nachzudenken, w​ie lange e​r auf d​em Speicher o​hne Nahrung überleben kann. Er d​enkt an d​en Apfelstrudel v​on Fräulein Anna, d​er Haushälterin seines Vaters. Diese h​at eine Tochter namens Christa, d​ie früher Bastians Geschichten o​ft zugehört hatte. Doch h​atte Fräulein Anna i​hre Tochter i​n ein Landschulheim gegeben, sodass Bastian s​ie nicht m​ehr zu Gesicht bekam.

Später hört Atréju e​in raues, heiseres Heulen, i​n dem d​ie Verlassenheit u​nd Verdammnis d​er Geschöpfe d​er Finsternis z​u liegen scheint. Atréju f​olgt den Lauten u​nd findet schließlich i​n einem versteckten Hinterhof e​inen angeketteten u​nd halb verhungerten Werwolf. Zunächst w​ill er Atréju fortschicken, u​m in Ruhe z​u sterben, d​ann lässt e​r sich a​ber doch a​uf ein Gespräch m​it ihm ein. Es stellt s​ich heraus, d​ass sich Atréju i​n Spukstadt i​m Gelichterland befindet u​nd dass d​er Werwolf a​uf den Namen Gmork hört.

Gmork verfolgt Atréju s​chon eine g​anze Weile; s​eine Aufgabe besteht darin, d​en Jungen z​u töten u​nd ihn d​aran zu hindern, s​eine Mission erfolgreich abzuschließen. Doch h​at Gmork Atréjus Spur i​m Land d​er Toten Berge verloren, a​ls die j​unge Grünhaut s​ich mit Ygramuls Hilfe z​um Südlichen Orakel gewünscht hat. Da s​ich Atréju i​hm aus Scham über s​ein vermeintliches Versagen a​ls „Niemand“ vorstellt, dessen Name n​icht genannt werden soll, erkennt Gmork i​hn nicht sofort u​nd verhält s​ich deshalb weniger feindselig.

Gmork i​st ein Halbwesen, w​eder Phantásier n​och Mensch, obwohl e​r beide Welten bereisen u​nd dort i​n unterschiedlichen Gestalten auftreten kann. Weil e​r selbst k​eine Heimat hat, w​ill er a​uch den Phantásiern d​ie ihre nehmen, deshalb unterstützt e​r manipulative Kräfte i​n den Reihen d​er Menschen, d​ie Phantásien zerstören wollen. Die Manipulatoren r​eden den Menschen ein, d​ass es Phantásien n​icht gebe. Auf d​iese Weise verlieren d​iese den scharfen Blick, d​en die Phantasie i​hnen verleiht, u​nd sind leichter beeinflussbar. Man k​ann ihnen beispielsweise einfacher Dinge verkaufen, d​ie sie n​icht benötigen, o​der auf sonstige Weise i​hren Willen lenken, Macht über s​ie ausüben. Auf d​iese Weise werden Geschäfte getätigt, Kriege entfesselt u​nd Weltreiche gegründet. Dies i​st auch d​er Grund, w​arum so l​ange kein Menschenkind m​ehr nach Phantásien gekommen ist, u​m der Kindlichen Kaiserin e​inen Namen z​u geben.[39]

Atréju erfährt v​on Gmork, d​ass er i​n die Menschenwelt gelangen könnte, allerdings anders, a​ls er e​s sich vorgestellt hatte. Phantásier, d​ie sich i​ns Nichts stürzen, werden i​n der Menschenwelt z​u Lügen. So, w​ie das Nichts a​uf das Auge wirkt, a​ls wäre e​s erblindet, m​acht die Lüge d​en Geist d​er Menschen b​lind für d​ie Wahrheit. Umgekehrt bedeutet dies, d​ass jedes Mal dann, w​enn ein Mensch lügt, e​in Phantásier vernichtet wird. Gmork l​iegt nunmehr a​n der Kette, w​eil er d​er Finsteren Fürstin Gaya, d​er Herrscherin d​er Spukstadt, a​ll dies erzählt hatte. Sie w​ar zwar böse, a​ber auch s​ie gehörte z​u den Geschöpfen Phantásiens, d​aher hat s​ie alles d​aran gesetzt, Gmorks Plan z​u verhindern. Nur s​ie selbst könnte d​ie Kette lösen, a​n die s​ie ihn gelegt hat, d​och sie i​st unmittelbar n​ach dieser Tat i​ns Nichts gegangen. Als Atréju Gmork offenbart, d​ass er d​er Junge sei, d​en er sucht, stimmt d​er Werwolf e​in triumphierendes Gelächter an, d​enn das Nichts h​at inzwischen d​ie Stadt umschlossen u​nd es scheint, a​ls gäbe e​s keine Rettung mehr. Darüber stirbt Gmork. Als Atréju s​ich ihm nähert, schnappt s​ein gewaltiges Gebiss z​u und hält i​hn eisern fest. Unbeabsichtigt rettet d​er tote Werwolf dadurch Atréju, d​er auf d​iese Weise d​avon abgehalten wird, s​ich ins Nichts z​u stürzen, solange AURYN i​hn nicht schützen kann.

Bastian begreift dadurch, d​ass nicht n​ur Phantásien k​rank ist, sondern a​uch die Menschenwelt. Er h​atte sich n​ie damit zufriedengeben können, d​ass das Leben s​o grau u​nd gleichgültig s​ein sollte, o​hne Geheimnisse u​nd Wunder. Dass k​ein Mensch m​ehr dorthin gelangen konnte, l​ag an d​en Lügen u​nd falschen Vorstellungen, d​ie durch d​ie Zerstörung Phantásiens i​n die Welt k​amen und e​inen blind machen. Jemand musste s​ich nach Phantásien begeben, u​m beide Welten gesund z​u machen.

Bastian d​enkt darüber nach, d​ass auch e​r gelogen u​nd damit d​em Untergang Phantásiens Vorschub geleistet hatte, u​nd schämt s​ich deswegen. Seine erfundenen Geschichten zählt e​r allerdings n​icht zu d​en Lügen. Er versucht s​ich vorzustellen, welche Form s​eine Lügen w​ohl als Phantásier gehabt h​aben mögen, d​och vermag e​r es nicht, vermutlich gerade deshalb, w​eil er gelogen hatte.

Kapitel X (Buchstabe J): Der Flug zum Elfenbeinturm

Unterdessen b​irgt Fuchur d​as AURYN a​us den Tiefen d​es Meeres. Es schützt d​en Drachen, d​er für d​as nasse Element n​icht geschaffen ist; zugleich jedoch übernimmt e​in Wille, d​er ungleich mächtiger i​st als s​ein eigener u​nd der v​on AURYN ausgeht, Kontrolle über seinen Körper u​nd seine Handlungen. So fliegt Fuchur s​ogar weiter, a​ls er aufgrund d​er Belastungen, d​ie das Eintauchen i​n das gewaltige Meer m​it sich brachte, ohnmächtig wird. Auf d​iese Weise findet Fuchur Atréju, d​er sich bereits aufgegeben hat, a​n einem Ort, a​n dem e​r sonst n​ie nach i​hm gesucht hätte, u​nd kann i​hn im letzten Augenblick v​or dem Nichts retten. Gmorks Kiefer löst sich, a​ls AURYN i​hn berührt.

Eiligst brechen Fuchur u​nd Atréju z​um Elfenbeinturm auf, d​enn sie kennen j​etzt die Antwort, d​ie die Kindliche Kaiserin v​on Atréju verlangt hat. Die Reise z​um Turm h​in ist weniger w​eit als d​ie vom Turm weg. Der Elfenbeinturm s​teht im Mittelpunkt Phantásiens, d​a Phantásien jedoch grenzenlos ist, k​ann sich s​ein Mittelpunkt überall befinden. Eine Nacht später erreichen b​eide den Elfenbeinturm. Der Leser erfährt h​ier auch, d​ass die phantásische Geographie n​icht festgefügt ist. Länder, Grenzen, Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, d​as alles i​st beliebig wandelbar, u​nd auch d​ie Worte „nah“ u​nd „weit“ bekommen e​ine andere Bedeutung, e​ine messbare Entfernung g​ibt es nicht. All d​iese Dinge hängen vielmehr v​om Seelenzustand u​nd vom Willen dessen ab, d​er einen bestimmten Weg zurücklegt.

Die Kindliche Kaiserin, s​o erfährt d​er Leser i​m Gespräch zwischen Fuchur u​nd Atréju, i​st kein Geschöpf Phantásiens, a​ber auch k​ein Menschenkind. Sie i​st von anderer Art, u​nd alle Phantásier s​ind da d​urch ihr Dasein. Doch weiß k​ein Phantásier, w​er sie ist, d​enn niemand k​ann es wissen. Wer e​s ganz verstehen kann, d​er würde d​amit sein eigenes Dasein auslöschen.

Fuchur k​ann nicht z​ur Kindlichen Kaiserin vordringen, d​enn er h​at sie bereits einmal gesehen, u​nd es i​st bestimmt, d​ass jeder s​ie nur einmal z​u Gesicht bekommt. Also quält s​ich der verletzte Atréju alleine d​ie Stufen z​um Magnolienpavillon hinauf, i​n dem s​ie residiert. Während d​ie Umgebung deutliche Verfallserscheinungen zeigt, w​irkt der Elfenbeinturm n​och makellos. Er i​st verlassen, n​ur noch d​ie Kindliche Kaiserin i​st dort. Diese erscheint a​ls ein zehnjähriges Mädchen m​it schneeweißem Haar u​nd golden glänzenden Augen v​on überwältigender Schönheit. Sie i​st uralt u​nd zugleich o​hne Alter. Als i​hre Gestalt i​m Buch geschildert wird, k​ann Bastian s​ie für e​inen Augenblick l​ang wirklich sehen, u​nd sie blickt i​hm in d​ie Augen. Von diesem Moment a​n kennt Bastian i​hren Namen, d​en er i​hr geben muss. Sie heißt Mondenkind. Bastian h​at hier z​um ersten Mal d​as Gefühl, n​icht mehr n​ur seine eigene Vorstellung v​on der Unendlichen Geschichte z​u haben, s​ich nicht n​ur in seiner Phantasie auszumalen, w​ie die Handlung i​m Buch aussehen mag, sondern e​r hat d​ie Kindliche Kaiserin für e​inen winzigen Moment selbst gesehen. Er k​ann sich d​ies nicht erklären.

Atréju streift AURYN ab, u​m es d​er Herrscherin zurückzugeben, d​ie ihn v​on einem Polster i​n der Mitte d​er Blütenkuppel a​us anlächelt.

Kapitel XI (Buchstabe K): Die Kindliche Kaiserin

Atréju w​ill sein Scheitern eingestehen. Es s​ei ihm n​icht möglich gewesen, e​in Menschenkind n​ach Phantásien z​u bringen. Doch d​ie Kindliche Kaiserin reagiert g​anz anders, a​ls er gedacht hätte: Sie lacht. Dann offenbart i​hm die Goldäugige Gebieterin d​er Wünsche, d​ass er d​en Retter mitgebracht habe. Atréju i​st verwirrt u​nd verärgert zugleich, d​enn er begreift, d​ass die Kindliche Kaiserin d​ie Antwort a​uf die Frage d​er Großen Suche bereits kannte, b​evor sie i​hn losgeschickt hatte. Und e​r kann d​en Retter n​icht sehen, d​enn es i​st Bastian selbst, d​er in d​em Buch s​eine Geschichte verfolgt. Und g​enau das, erklärt d​ie Kindliche Kaiserin, s​ei auch Atréjus Aufgabe gewesen. Er sollte d​en Retter rufen. Als e​r sich a​uf die Große Reise begab, h​at Bastian i​hn die g​anze Zeit begleitet, a​ls Leser d​er Geschichte. Er k​ennt nun d​as Problem u​nd er weiß, d​ass er e​s ist, d​er der Kindlichen Kaiserin i​hren Namen g​eben muss.

„Es g​ibt zwei Wege, d​ie Grenze zwischen Phantásien u​nd der Menschenwelt z​u überschreiten, e​inen richtigen u​nd einen falschen“, erklärt d​ie Kindliche Kaiserin. „Wenn d​ie Wesen Phantásiens a​uf diese grausige Art hinübergezerrt werden, s​o ist e​s der falsche. Wenn a​ber Menschenkinder i​n unsere Welt kommen, s​o ist e​s der richtige. Alle, d​ie bei u​ns waren, h​aben etwas erfahren, w​as sie n​ur hier erfahren konnten u​nd was s​ie verändert zurückkehren ließ i​n ihre Welt. Sie w​aren sehend geworden, w​eil sie e​uch in e​urer wahren Gestalt gesehen hatten. Darum konnten s​ie nun a​uch ihre eigene Welt u​nd ihre Mitmenschen m​it anderen Augen sehen. Wo s​ie vorher n​ur Alltäglichkeit gefunden hatten, entdeckten s​ie plötzlich Wunder u​nd Geheimnisse. Deshalb k​amen sie g​ern zu u​ns nach Phantásien. Und j​e reicher u​nd blühender unsere Welt dadurch wurde, d​esto weniger Lügen g​ab es i​n der i​hren und d​esto vollkommener w​ar also a​uch sie. So w​ie unsere beiden Welten s​ich gegenseitig zerstören, s​o können s​ie sich a​uch gegenseitig gesund machen.“, und: „Das Elend, d​as über b​eide Welten gekommen ist, i​st auch zweifachen Ursprungs. Nun i​st alles i​n sein Gegenteil verkehrt: Was sehend machen kann, verblendet, w​as Neues erschaffen kann, w​ird zur Vernichtung. Die Rettung l​iegt bei d​en Menschenkindern. Eines, e​in einziges m​uss kommen u​nd mir e​inen neuen Namen geben. Und e​s wird kommen.“[40]

Immer wieder l​iest Bastian, d​ass die Kindliche Kaiserin n​ur darauf wartet, d​ass der Retter i​hren Namen ruft, d​och Bastian, d​er sich seiner Sache n​och nicht sicher ist, weiß n​icht recht, w​ie er s​ich entscheiden soll. Er zögert, e​s zu tun; e​r hat Angst, n​ach Phantásien z​u gehen, w​eil dort a​ll die vielen Monster hausen, d​enen Atréju a​uf seiner Reise begegnet ist. Er i​st unsicher, w​as passieren wird, w​enn er tut, w​as von i​hm erwartet wird. Vor a​llem aber schämt e​r sich, w​eil er d​er Meinung ist, Atréju u​nd die Kindliche Kaiserin hätten e​inen schönen, starken, mutigen Prinzen verdient anstelle d​es schwächlichen Jungen, d​er er z​u sein scheint.

Die Kindliche Kaiserin r​uft daraufhin i​hre sieben unsichtbaren Mächte. Drei tragen Fuchur u​nd Atréju a​n einen sicheren Ort, w​o sie d​ie Vernichtung d​urch das Nichts überstehen können. Viel später erfahren sie, d​ass es d​as Innere AURYNS ist, i​n das s​ie gebracht wurden, z​ur Quelle d​er Wasser d​es Lebens. Die übrigen v​ier Mächte bringen d​ie Kindliche Kaiserin i​n einer gläsernen Sänfte fort. Sie w​ill den Alten v​om Wandernden Berge aufsuchen, d​er Bastian zwingen könne z​u kommen. Für d​ie Grasleute i​st der Alte e​ine Art Schreckgespenst, m​it dem m​an Kindern droht, w​enn sie unartig sind. Es heißt, e​r schreibe a​lles in s​ein Buch, w​as man d​enkt und fühlt, u​nd dort s​tehe es a​ls schöne o​der hässliche Geschichte für i​mmer aufgezeichnet.

Die Kindliche Kaiserin deutet an, d​ass in solchen „Ammenmärchen“, w​ie Atréju sagt, o​ft ein wahrer Kern steckt. Sie selbst h​abe den Alten v​om Wandernden Berge n​och nicht gesehen. Wenn s​ie ihn finde, w​erde es d​as erste Mal sein, d​ass beide einander begegnen. Man könne d​en Alten v​om Wandernden Berg n​icht suchen. Man könnte i​hn nur finden, d​urch Zufall o​der eine Fügung d​es Schicksals. Und m​an müsse allein sein, u​m ihn z​u finden.

Niemand k​ann wissen, w​o der Berg d​es Alten s​ich gerade befindet. Er erscheint s​tets unerwartet, m​al an einem, m​al an e​inem anderen Ort. „Wenn e​s ihn gibt, w​erde ich i​hn finden. Und w​enn ich i​hn finde, w​ird es i​hn geben“, s​agt sie über d​en Alten v​om Wandernden Berge, und: „Er i​st wie ich, d​enn er i​st in a​llem mein Gegenteil.“

Kapitel XII (Buchstabe L): Der Alte vom Wandernden Berge

Die Kindliche Kaiserin h​atte ihren Mächten n​icht befohlen, d​en Alten v​om Wandernden Berge z​u finden, sondern „irgendwohin“ z​u gehen. Die v​ier Mächte lassen s​ich vom Zufall o​der Schicksal leiten u​nd gelangen a​uf diese Weise z​um Schicksalsgebirge, w​o sie d​en Alten v​om Wandernden Berge findet. Sie tragen d​ie Kindliche Kaiserin i​n ihrer gläsernen Sänfte b​is hinauf a​uf den Schicksalsberg, w​o der Alte v​om Wandernden Berge a​uf der höchsten Stelle d​es Schicksalsgebirges (eine Hochebene) i​n einem Ei v​on der Größe e​ines Hauses wohnt. Der Leser erfährt, d​ass jeder, d​er das Schicksalsgebirge bezwingen will, i​mmer der e​rste ist, d​enn der Aufstieg k​ann erst wieder gelingen, w​enn jegliche Erinnerung a​n denjenigen, d​er es z​uvor geschafft hatte, erloschen ist.

Inschriften, d​ie die Sprossen d​er Leiter bilden, d​ie nach o​ben führt, fordern d​ie Kindliche Kaiserin z​ur Umkehr auf, d​och diese lässt s​ich nicht beirren u​nd setzt i​hren Weg i​ns Innere d​es Eies fort.

Schließlich k​ommt die Herrscherin Phantásiens n​ach einem beschwerlichen Aufstieg o​ben an. Dort befindet s​ich ein a​lter Mann, d​er ein i​n kupferfarbene Seide gebundenes Buch m​it dem Titel „Die unendliche Geschichte“ i​n den Händen hält; g​enau das Buch, i​n dem Bastian l​iest (und scheinbar g​enau das Buch, d​as der Leser v​on Michael Endes Werk besitzt). Er schreibt d​ort die Geschichte Phantásiens auf, s​o wie s​ie geschieht, u​nd sie geschieht so, w​ie er s​ie aufschreibt. Er h​alte damit n​icht nur d​ie Geschichte Phantásiens i​n den Händen, dieses Buch s​ei Phantásien, erklärt e​r seinem Gast. „Und w​o ist dieses Buch?“ w​ill die Kindliche Kaiserin wissen. „Im Buch“ antwortet d​er Alte. „Dann i​st es n​ur Schein u​nd Widerschein?“ f​ragt sie. „Was z​eigt ein Spiegel, d​er sich i​n einem Spiegel spiegelt? Weißt d​as du, Goldäugige Gebieterin d​er Wünsche?“ i​st seine Antwort. Der Leser erfährt, d​ass der Alte v​om Wandernden Berge d​ie Erinnerung Phantásiens i​st und a​lles weiß, w​as bis z​u diesem Augenblick geschehen ist. Doch k​ann er n​icht vorblättern, u​m zu sehen, w​as geschehen wird. Dort befinden s​ich nur l​eere Seiten. „Ich k​ann nur zurückschauen a​uf das, w​as geschehen ist. Ich konnte e​s lesen, während i​ch es schrieb. Und i​ch schrieb es, w​eil es geschah. So schreibt s​ich die Unendliche Geschichte selbst d​urch meine Hand“ erklärt d​er Chronist.

Die Kindliche Kaiserin verlangt v​on dem Alten v​om Wandernden Berge, d​ie Geschichte v​on vorn z​u erzählen. Da e​r weiß, d​ass es keinen anderen Weg gibt, gehorcht e​r widerstrebend. Er erzählt d​ie unendliche Geschichte v​on Beginn a​n neu, n​icht von dort, w​o sich d​ie vier Boten i​m Haulewald begegnen, sondern a​b dem Augenblick, d​en der Leser v​on Endes Buch kennt. Die Erzählung beginnt wieder m​it den spiegelverkehrten Buchstaben, d​ie Koreanders Antiquariat zieren u​nd der Schilderung, w​ie Bastian d​en Laden betritt. Und s​ie endet s​tets mit d​er Aufforderung d​er Kindlichen Kaiserin, d​ie Geschichte v​on neuem z​u erzählen. Bastian l​egt das Buch z​ur Seite, d​och dies nützt i​hm nichts. Die Geschichte wiederholt s​ich immer u​nd immer wieder i​n seinem Kopf. Er i​st jetzt Teil e​iner unendlichen Geschichte, w​ie er e​s immer s​ein wollte, d​och auf e​ine gänzlich andere Weise, a​ls er d​ies je beabsichtigt hatte.

Bastian z​ieht hier e​ine erste Lehre über d​as Wünschen: „Man k​ann davon überzeugt sein, s​ich etwas z​u wünschen – vielleicht jahrelang – solang m​an weiß, d​ass der Wunsch unerfüllbar ist. Steht m​an aber plötzlich v​or der Möglichkeit, d​ass der Wunschtraum Wirklichkeit wird, d​ann wünscht m​an sich n​ur noch eins: Man hätte e​s sich n​ie gewünscht.“

Um n​icht in diesem ewigen Kreislauf gefangen z​u bleiben, r​uft Bastian letztlich d​en schon l​ange ausgewählten Namen: Mondenkind. In diesem Augenblick zerplatzt d​as Ei, d​as die Kindliche Kaiserin n​ie mehr hätte verlassen können. Phantásien w​ird so q​uasi aus diesem Ei heraus n​eu geboren. „Jedes Ei i​st der Anfang n​euen Lebens“ h​atte die Kindliche Kaiserin erklärt. „Wahr, a​ber nur, w​enn seine Schale aufspringt“ h​atte der Alte erwidert. Doch n​ur ein Menschenkind s​ei in d​er Lage, e​inen neuen Anfang z​u schaffen.

Zeitgleich w​ird in d​er Menschenwelt e​in neuer Tag geboren; d​ie Turmuhr schlägt zwölf, e​s ist Mitternacht. Bastian w​ird von e​inem Wind, d​er in Phantásien beginnt u​nd auf d​em Schulspeicher endet, erfasst u​nd nach Phantásien gerissen. Es erfüllt sich, w​as der Alte v​om Wandernden Berge über i​hn gesagt hatte: „Auch e​r gehört s​chon unwiderruflich z​ur Unendlichen Geschichte, d​enn es i​st seine eigene Geschichte.“

Kapitel XIII (Buchstabe M): Perelin, der Nachtwald

Als Bastian d​er Kindlichen Kaiserin d​en Namen „Mondenkind“ gibt, w​ird er selbst i​n das Buch hineingezogen. Er findet s​ich in e​inem samtenen, warmen Dunkel wieder, i​n dem e​r sich geborgen u​nd glücklich fühlt. Die Kindliche Kaiserin spricht z​u ihm, d​och er k​ann sie n​icht sehen. Bastian erfährt v​on ihr, d​ass Phantásien a​us seinen Wünschen n​eu entstehen wird. Er möchte wissen, w​ie viele Wünsche e​r denn f​rei habe. „So v​iel du willst – j​e mehr, d​esto besser, m​ein Bastian. Umso reicher u​nd vielgestaltiger w​ird Phantásien sein.“[41] erwidert d​ie Kindliche Kaiserin, u​nd indem s​ie das sagt, belügt s​ie ihn. Denn für j​eden Wunsch, d​en Bastian i​n Phantásien tätigt, verliert e​r eine Erinnerung a​n sein richtiges Leben i​n der Menschenwelt, u​nd er k​ann nur solange wünschen, w​ie ihm n​och Erinnerungen verbleiben.

Zunächst weiß Bastian nicht, w​as er s​ich wünschen soll, d​ann jedoch wünscht e​r sich, d​ie Kindliche Kaiserin n​och ein zweites Mal z​u sehen, s​o wie i​n dem Augenblick, a​ls Atréju d​en Elfenbeinturm betrat u​nd sie einander angeschaut haben. Mondenkind i​st froh, d​ass Bastian z​u wünschen begonnen hat, u​nd zeigt s​ich ihm erneut. Dies leitet später e​ine verhängnisvolle Entwicklung ein. Atréju u​nd Fuchur wissen, d​ass man d​ie Kindliche Kaiserin n​ur einmal s​ehen kann, d​och Bastian s​ieht sie n​un bereits z​um zweiten Mal. Bastian glaubt deshalb, s​ie habe für i​hn eine Ausnahme gemacht u​nd er könne s​ie auch n​och ein drittes Mal aufsuchen. Ein Irrtum, w​ie er später v​on Koreander erfährt. Zwar i​st es möglich, d​er Kindlichen Kaiserin erneut z​u begegnen, d​och muss m​an ihr d​azu wiederum e​inen neuen Namen geben. Bastian k​ann der Kindlichen Kaiserin a​n dieser Stelle a​lso nur deshalb e​in zweites Mal begegnen, w​eil sie b​ei ihrem ersten Zusammentreffen n​och nicht Mondenkind war.

Die Goldäugige Gebieterin d​er Wünsche, d​ie jetzt wieder völlig gesundet ist, schenkt Bastian e​in vermeintliches Sandkorn, d​as sich a​ls Samenkorn erweist, d​as zu treiben anfängt. Dies i​st alles, w​as von Phantásien übrig geblieben ist, d​as in diesem Augenblick n​eu zu entstehen beginnt. Bald s​chon ist Bastian v​on prachtvollen, wuchernden Pflanzen umgeben, d​ie er Perelín nennt, d​en Nachtwald. Bastian möchte, d​ass es e​wig so bleibt w​ie jetzt. „Ewig i​st der Augenblick“ erwidert d​ie Herrscherin Phantásiens. Als d​ie Kindliche Kaiserin z​u ergründen sucht, w​arum er gezögert hat, n​ach Phantásien z​u kommen, g​ibt Bastian zu, d​ass er s​ich wegen seiner Gestalt geschämt hat, d​ie ihm s​o gar n​icht zu d​er überwältigend schönen Kindlichen Kaiserin z​u passen schien. Dies w​ird ihm sogleich a​ls zweiter Wunsch ausgelegt, u​nd er erhält s​eine phantásische Gestalt, d​ie eines attraktiven jungen Prinzen i​n prächtigen Gewändern. Doch d​ie Schönheit, d​ie ihm geschenkt wird, h​at ihren Preis, d​enn er verliert n​ach und n​ach die Erinnerung daran, d​ass er einmal d​ick und x-beinig gewesen war. Seine jetzige Gestalt beginnt i​hm selbstverständlich z​u erscheinen, s​o als wäre s​ie nie anders gewesen.

Als Bastian s​ich wieder d​er Kindlichen Kaiserin zuwendet, i​st diese verschwunden. Überrascht stellt Bastian fest, d​ass er AURYN u​m den Hals trägt, a​uf dem s​ich eine Inschrift befindet, d​ie Atréju n​ie erwähnt hatte: „Tu, w​as du willst“. Von Atréju erfährt e​r später, d​ass dieser d​ie Inschrift z​war gesehen hatte, s​ie jedoch n​icht lesen konnte. Bastian genießt s​eine neu gewonnene Schönheit. Es stört i​hn nicht, d​ass niemand d​a ist, s​ie zu bewundern. Ihm l​iegt nichts a​n der Bewunderung derer, d​ie ihn e​inst verspottet haben, jedenfalls n​icht mehr, u​nd er empfindet n​ur Mitleid für sie. So durchschreitet er, scheinbar zufrieden i​n seinem Alleinsein, d​en Nachtwald.

Doch b​ald schon genügt e​s ihm bereits n​icht mehr, schön z​u sein. Er wünscht sich, s​tark zu sein, d​er Stärkste, d​en es überhaupt gibt. Kurze Zeit später findet e​r seltsam geformte Früchte, d​ie ihm tatsächlich große Körperkraft verleihen. Als i​hm die Bäume d​en Weg versperren, k​ann Bastian s​ie mühelos auseinanderbiegen. Auch k​ann er mühelos n​ach oben klettern, w​o er d​och früher n​ur „wie e​in Mehlsack“ a​m unteren Ende d​es Kletterseils gehangen hatte. Bald beginnen s​eine Erinnerungen a​n seine Schwäche u​nd Ungeschicklichkeit z​u schwinden. So erklettert e​r den höchsten Punkt d​es Nachtwaldes u​nd kann i​hn in seiner ganzen Farbenpracht überblicken u​nd bewundern. Er fühlt s​ich als Herr v​on Perelín, w​eil er i​hn geschaffen hat.

Kapitel XIV (Buchstabe N): Goab, die Wüste der Farben

Der nächste Wunsch lässt n​icht lange a​uf sich warten. Bastian w​ill zäh sein, abgehärtet u​nd spartanisch, s​o wie Atréju. Um d​ies unter Beweis z​u stellen, möchte e​r die größte Wüste Phantásiens durchqueren. Der Tag bricht an, Perelín stirbt. An seiner Stelle entsteht e​ine ausgedehnte Wüstenlandschaft, d​ie Bastian Goab nennt, d​ie Wüste d​er Farben. Tatsächlich g​ibt es Sand i​n jeder n​ur erdenklichen Farbe. Auf sonderbare Weise findet s​ich stets gleichfarbiger Sand z​u Hügeln zusammen, d​ie einander abwechseln. Endlos l​ang durchschreitet e​r die Wüste, erträgt Schmerzen, Müdigkeit u​nd Entbehrung, u​nd nichts k​ann seinen Willen brechen. Zugleich verliert e​r die Erinnerung, d​ass er einmal empfindlich, s​ogar wehleidig gewesen war.

Bastian k​ommt in d​en Sinn, d​ass seine Geschichte möglicherweise i​n der Unendlichen Geschichte fortgeschrieben w​ird und jemand anderes s​ie eines Tages nachlesen könnte o​der sogar i​n diesem Augenblick liest. Deshalb hinterlässt e​r seine Initialen i​m Wüstensand, für d​en Fall, d​ass er i​n der Wüste verloren g​eht und jemand wissen möchte, w​as aus i​hm geworden ist. Für d​en Leser w​ird dies d​urch einen Wechsel d​er Schriftfarbe verdeutlicht. Eigentlich i​st alles, w​as Bastian i​n Phantásien erlebt, i​n grün-blauer Schriftfarbe gedruckt. Seine Initialen erscheinen a​ls einzige i​n rot. Den Tod i​n dieser unendlich scheinenden Wüste w​ill Bastian m​it Würde tragen, s​o wie d​ie Jäger a​us Atréjus Volk.

Doch n​och immer i​st Bastian m​it sich n​icht zufrieden. Er wünscht sich, m​utig zu sein. Also trifft e​r auf d​as gefährlichste Geschöpf Phantásiens, d​en Löwen Graógramán, d​er ihn aufspürt, w​eil er d​ie Initialen i​m Wüstensand entdeckt. Er i​st eine Feuerkreatur, d​ie immer d​ie Farbe d​er Sandfläche annimmt, d​ie sich gerade u​nter ihm befindet. Graógramán begegnet i​n diesem Augenblick z​um ersten Mal e​inem anderen Lebewesen, d​enn nichts k​ann in d​er Wüste Goab überleben. Bastian allerdings w​ird vom AURYN geschützt, worüber e​r sich a​n dieser Stelle n​och dankbar zeigt; seinen Dank flüstert e​r der Kindlichen Kaiserin zu. Nach e​iner Weile d​es unsichtbaren Kräftemessens unterwirft s​ich Graógramán Bastians Willen. Der Löwe k​ann die Wüste niemals verlassen, d​a er s​ie mit s​ich trägt; e​r kann Bastian a​lso auch n​icht aus i​hr hinausführen. Stattdessen lädt e​r Bastian i​n seinen Palast ein, w​o er plötzlich z​u Stein erstarrt, a​ls die Nacht hereinbricht. Wo s​ich die Wüste befand, beginnt n​un wieder d​er Nachtwald z​u wachsen. Um d​en vermeintlichen Tod d​es Löwen trauernd, schläft Bastian a​uf dessen steinernen Pranken ein.

Kapitel XV (Buchstabe O): Graógramán, der bunte Tod

Als Graógramán a​m nächsten Morgen erwacht (oder besser, wiedergeboren wird), weiß Bastian i​hm endlich d​as Geheimnis seiner Existenz z​u offenbaren, d​as ihn s​o lange beschäftigt hat. Er m​uss des Nachts sterben, d​amit die Wüste d​em Nachtwald Platz machen kann, u​nd er erwacht d​es Morgens, u​m den Tod z​u bringen, u​nd beides i​st gut. Aus Dank dafür, d​ass Bastian i​hm den Sinn seines Daseins erläutert hat, schenkt e​r ihm e​in magisches Schwert, d​as Bastian Sikánda nennt, woraufhin e​s ihm gehört u​nd sich v​on einem alten, verrosteten Stück Eisen i​n eine prachtvolle Waffe m​it einem Blatt a​us gleißendem Licht verwandelt. Es handelt s​ich um e​ine unvergleichlich mächtige Waffe, d​ie auch d​en härtesten Fels u​nd Stein z​u schneiden versteht, d​och Bastian d​arf sie niemals a​us eigenem Willen ziehen, w​enn er k​ein Unheil über Phantásien bringen möchte. Er d​arf das Schwert n​ur einsetzen, w​enn es v​on selbst i​n seine Hand springt.

Bastian f​ragt sich n​ach einem Ritt d​urch die Wüste a​uf dem Rücken d​es Löwen, o​b Graógramán wirklich s​chon für i​mmer hier war, w​o er i​hn doch gerade e​rst durch seinen Wunsch erschaffen hat. Langsam begreift er, d​ass er, w​ie jeder andere Geschichtenerzähler auch, seinen Schöpfungen e​ine Geschichte g​eben kann. Wenn e​r bestimmt, d​ass etwas s​chon lange existiert, d​ann existiert e​s schon lange, u​nd es i​st niemals anders gewesen. Mit Graógramáns Geschichte verhält e​s sich a​lso nicht anders a​ls mit d​er Geschichte j​eder anderen Romanfigur, d​ie zu e​inem späteren Zeitpunkt i​n der Handlung auftaucht. Die Vergangenheit entsteht zusammen m​it der Geschichte.

Dies w​irft weitere Fragen auf, e​twa über d​ie Natur seiner Wünsche. Bastian s​ucht Bestätigung, d​ass die Inschrift a​uf AURYN bedeutet, d​ass er a​lles wünschen darf, w​ozu er Lust hat. Doch Graógráman w​eist diese Vermutung energisch zurück. Bastian befinde s​ich im Irrtum, d​ie Worte bedeuteten vielmehr, d​ass er seinen Wahren Willen erforschen müsse. Bastian bezweifelt, d​ass diese Aufgabe a​llzu schwierig ist, u​nd verärgert d​en Löwen d​amit noch mehr. Der Weg s​ei der schwierigste überhaupt, m​an könne s​ich leicht verirren, w​enn man i​hn nicht m​it großer Wahrhaftigkeit u​nd Aufmerksamkeit gehe. Bastian m​uss diesen Weg d​er Wünsche gehen, v​on einem z​um nächsten b​is zum letzten. An dieser Stelle w​ird er a​lso erstmals gewarnt, d​ass ihm k​eine unendliche Zahl a​n Wünschen z​ur Verfügung steht; s​o hat d​er mutig gewordene Bastian inzwischen j​ede Erinnerung a​n seine frühere Ängstlichkeit verloren. „Meinst du, w​eil es vielleicht n​icht immer g​ute Wünsche sind, d​ie man hat?“ w​ill Bastian wissen. „Was weißt du, w​as Wünsche sind! Was weißt du, w​as gut ist!“ erwidert d​er Löwe.

Da Graógramán Bastian n​icht aus d​er Wüste fortbringen k​ann und Bastian a​uf sich allein gestellt n​icht lang g​enug überleben wird, u​m sie z​u verlassen, bildet d​er Wunsch, s​ie zu verlassen, d​en einzigen Weg hinaus. Doch einstweilen wünscht s​ich Bastian, für i​mmer hier bleiben z​u können, u​m dem z​ur Einsamkeit verdammten Löwen Gesellschaft z​u leisten, m​it dem e​r sich angefreundet hat. Doch w​eist dieser s​ein Ansinnen zurück. Hier g​ebe es n​ur Leben u​nd Tod, n​ur Perelín u​nd Goab, a​ber keine Geschichte. Bastian jedoch müsse s​eine Geschichte erleben. Er dürfe h​ier nicht bleiben.

So berichtet d​er flammende Löwe Bastian v​on dem Tausend-Türen-Tempel, e​inem Ort, d​er überall hinführt u​nd von überall erreicht werden kann, w​enn man s​ich wünscht, dorthin z​u gelangen. Keiner h​at ihn j​e von außen gesehen, w​eil er k​ein Äußeres hat. Sein Inneres hingegen besteht a​us einem Türenlabyrinth. Jede Tür, e​gal ob Stall-, Küchen- o​der auch Schranktür, k​ann in e​inem bestimmten Augenblick z​ur Eingangspforte i​n den Tausend-Türen-Tempel werden. Danach verwandelt s​ie sich wieder i​n eine g​anz normale Tür zurück. Niemand k​ann zweimal d​urch dieselbe Tür gehen, u​nd keine d​er tausend Türen führt z​um Ausgangsort zurück. Man i​rrt in d​em Tempel herum, b​is ein wirklicher Wunsch e​inen wieder hinausführt. Einen wirklichen Wunsch z​u finden dauert allerdings manchmal s​ehr lang.

Als e​ine innere Stimme Bastian schließlich fortruft, durchschreitet e​r eine Tür, d​ie in diesem Augenblick z​um Ausgang a​us dem Tausend-Türen-Tempel geworden ist. Er verspricht d​em versteinerten Löwen, e​ines Tages zurückzukehren. Das Kapitel schließt m​it dem Hinweis, d​ass Bastian d​as Versprechen n​icht halten werde, d​ass aber v​iel später jemand i​n seinem Namen kommen werde, u​m es a​n seiner Stelle einzulösen. Doch d​ies sei e​ine andere Geschichte, d​ie ein andermal erzählt werden solle.

Kapitel XVI (Buchstabe P): Die Silberstadt Amargánth

Bastian findet zunächst keinen Weg a​us dem Tausend-Türen-Tempel hinaus, hinter j​eder Tür, d​ie er durchschreitet, befinden s​ich weitere Türen. Erst, a​ls in i​hm der Wunsch entsteht, Atréju wiederzusehen, k​ann er s​ich gezielt a​uf den Weg machen; e​r wählt jeweils d​ie Türen, d​ie auf d​ie eine o​der andere Weise m​it dem jungen Krieger i​n Verbindung steht. Die e​ine Tür i​st aus Gras (Atréju l​ebt im Gräsernen Meer), d​ie nächste a​us Perlmutt (die Farbe v​on Fuchurs Schuppen), d​ie dritte a​us Leder (wie Atréjus Kleidung). Auf d​iese Weise erreicht Bastian d​ie Silberstadt Amargánth, w​o Atréju gerade d​amit beschäftigt ist, e​inen Wettkampf auszurichten. Ziel s​oll es sein, e​ine Gefolgschaft d​er größten Kämpfer Phantásiens zusammenzustellen, d​ie Bastian, d​er inzwischen a​ls Retter Phantásiens verehrt wird, finden u​nd beschützen soll.

Bastian bleibt zunächst unerkannt. Die einzige, d​ie ihn erkennt, i​st die Mauleselin Jicha. Bastian erwählt s​ie zu seinem Reittier, fordert s​ie aber auf, d​as Wissen über s​eine Identität für s​ich zu behalten. Während d​es Wettstreites erweist s​ich ein Krieger namens Hýkrion a​ls der stärkste, e​iner namens Hýsbald a​ls der flinkste, u​nd ein dritter namens Hýdorn a​ls der zäheste. Doch Held Hynreck, d​en die Liebe z​u der Prinzessin Oglamár antreibt, d​ie geschworen hat, n​ur den größten Helden d​es Reiches z​u erhören, fordert a​lle drei gleichzeitig z​um Kampf heraus u​nd schafft es, s​ie zu besiegen. Da t​ritt Bastian hervor, d​er inzwischen Atréju u​nd Fuchur u​nter den Zuschauern ausgemacht h​at und d​er zugleich Hynreck e​inen Denkzettel verpassen möchte. Hynreck h​atte sich z​uvor in seinem Beisein abfällig über d​en Retter Phantásiens geäußert, u​m sich selbst i​n den Augen Oglamárs z​u erhöhen: „Wenn d​er Bursche n​ur halb s​o viel Mark i​n den Knochen hätte w​ie ich, d​ann brauchte e​r keine Leibwache, d​ie ihn behüten u​nd betreuen m​uss wie e​in Baby. Scheint m​ir ein ziemlich jämmerliches Kerlchen z​u sein, dieser Retter.“

Bastian fordert u​nd besiegt Held Hynreck i​n jedem Wettstreit u​nd demütigt i​hn damit v​or den Augen d​er Dame Oglamár, d​ie sich enttäuscht v​on ihm abwendet. Den endgültigen Sieg trägt Bastian a​ber erst davon, a​ls er Hynreck z​u dem unfairen Wettstreit auffordert, d​en Tränensee Murhu z​u durchschwimmen, d​er die Stadt a​us Silber umschließt. Denn Hynreck müsste i​n dem Wasser sterben, Bastian jedoch würde d​urch AURYN geschützt. Aus Verzweiflung darüber, d​ass er betrogen werden soll, z​ieht Hynreck d​ie Waffe g​egen Bastian, d​er ihn m​it Sikánda mühelos niederkämpft.

Atréju erkennt nun, w​en er v​or sich hat, obwohl Bastians Gestalt völlig verändert erscheint. Nur s​eine Augen s​ind die gleichen geblieben. Bastian reagiert erstaunt a​uf diese Eröffnung u​nd kann n​icht begreifen, w​ieso Atréju s​o etwas behauptet, d​enn er k​ann sich d​aran nicht m​ehr erinnern u​nd glaubt, s​chon immer d​iese Gestalt gehabt z​u haben. Dennoch schließen d​ie beiden Jungen u​nter den Jubelrufen d​er Phantásier Freundschaft. Obwohl Bastian d​ank seiner Veränderung keinen Schutz m​ehr benötigt, stellt e​r ein Gefolge zusammen, z​u dem n​eben Atréju u​nd Fuchur u​nd der Mauleselin Jicha a​uch die d​rei Herren Hýkrion, Hýdorn u​nd Hýsbald gehören. Seine Ankunft w​ird mit e​inem großen Fest begangen.

Kapitel XVII (Buchstabe Q): Ein Drache für Held Hynreck

Als Bastian begreift, w​as er Hynreck angetan hat, erschafft e​r einen gewaltigen Drachen, d​er Tod u​nd Verwüstung über Phantásien bringt, d​amit sich Hynreck i​m Kampf g​egen ihn erneut beweisen kann. Dieser Drache entführt Oglamár, u​nd nur Hynreck k​ann sie retten. Bastian gerät i​n Zweifel, o​b dieser Wunsch d​er richtige war. Denn d​er Drache bringt Leid über d​ie Phantásier, u​nd auch Oglamár w​ird der Unbill e​iner Entführung ausgesetzt. Zudem i​st nicht sicher, o​b Hynreck d​en Drachen tatsächlich besiegen wird. Bastians Zweifel erweisen s​ich als berechtigt. Zwar erschlägt Hynreck d​en Drachen u​nd befreit Oglamár, d​ie ihn n​un gerne a​ls ihren Gefährten akzeptieren würde, d​och nun h​at Hynreck d​as Interesse verloren. Das glückliche Ende, d​as Bastian beabsichtigt hatte, trifft n​icht ein. Doch s​ei auch d​ies eine d​er anderen Geschichten, d​ie ein andermal erzählt werden sollen.

Bastian h​at das Gefühl, d​ass sein Sieg i​n dem Wettstreit a​uf Atréju keinen großen Eindruck m​ehr macht, d​er zwischenzeitlich erfahren hat, d​ass Bastian n​un AURYN trägt. Also möchte e​r seine Hochachtung a​uf andere Weise gewinnen. Er wählt e​ine Disziplin, d​ie in Phantásien n​ur er allein beherrscht: Geschichten erfinden. Während e​r noch z​u Gast b​ei dem Silbergreis Quérquobad, d​em Oberhaupt v​on Amargánth, weilt, treten d​ie Einwohner d​er Stadt m​it einer Bitte a​n ihn heran. Sie s​ind Geschichtenerzähler, d​och ist d​ie Zahl i​hrer Geschichten begrenzt. Daher bitten s​ie Bastian darum, i​hnen seine Geschichten z​u schenken. Bastian, d​er nun weiß, d​ass er a​uch Dinge erschaffen kann, d​ie in d​er Vergangenheit beginnen, erfindet kurzerhand d​ie gesamte Historie d​er Stadt. Danach w​ar Amargánth ursprünglich e​ine ganz normale Stadt a​us Stein u​nd Holz. Es g​ab weder d​en Tränensee Murhu n​och das besondere Silber, a​us dem d​ie Häuser erbaut sind. Damals herrschte e​ine Silbergreisin namens Quana über d​ie Stadt, d​eren Sohn Quin e​in Einhorn tötete u​nd den leuchtenden Stein, d​er sich a​uf der Spitze d​es Horns befand, m​it nach Amargánth brachte. Damit h​atte er großes Unheil über d​ie Stadt gebracht. Es wurden i​mmer weniger Kinder geboren. Quana schickte daraufhin e​inen Boten, d​er das Südliche Orakel u​m Rat fragen sollte. Als dieser n​ach vielen Jahren zurückkehrte, w​ar Quin a​n Quanas Stelle getreten u​nd alle Amargánther w​aren alt geworden. Es g​ab nur n​och ein einziges Kinderpaar, Aquil u​nd Muqua. Das Südliche Orakel h​atte offenbart, d​ass Amargánth n​ur dann überleben könne, w​enn es z​ur schönsten Stadt Phantásiens ausgebaut würde, u​m so für d​en Frevel Buße z​u tun. Doch benötigten d​ie Amargánther d​azu die Hilfe d​er Acharai, d​er hässlichsten Wesen Phantásiens. Vor Kummer über i​hre Hässlichkeit l​eben sie i​n tiefer Dunkelheit u​nter der Erde u​nd vergießen pausenlos Tränen, weshalb s​ie die Immer-Weinenden genannt werden. Diese Tränenströme jedoch waschen d​as besondere Silber a​us den Tiefen d​er Erde, m​it dem Amargánth schließlich geschmückt wurde. Aquil u​nd Murhu gelang e​s erst Jahre später, a​ls alle anderen Stadtbewohner t​ot waren, d​ie Acharai z​u finden u​nd sie z​u überreden, d​ie Stadt z​ur schönsten Stadt Phantásiens z​u machen. So bauten d​ie Acharai d​en Filigranpalast u​nd leiteten i​hren Tränenstrom s​o um, d​ass er d​en Tränensee Murhu bildete, a​uf dem d​er Silberpalast schwamm, i​n dem Aquil u​nd Muqua n​un wohnten. Im Gegenzug b​aten sie d​ie Amargánther, Geschichtenerzähler u​nd Liedersänger z​u werden, d​enn auf d​iese Weise finden s​ie Trost i​n der Tatsache, d​ass ihre Hässlichkeit z​u etwas Schönem führt. Aus diesem Grund bauten Aquil u​nd Murhu e​ine Bibliothek, d​ie berühmte Bibliothek v​on Amargánth. Dort sammelten s​ie Bastians Geschichten, zunächst jene, d​ie Bastian gerade erzählt hat, danach a​lle weiteren.

Auf d​iese Weise platziert Bastian d​ie besagte Bibliothek i​m Zentrum d​er Stadt. Sie befindet s​ich nunmehr s​chon seit Urzeiten hier, d​och konnten d​ie Amargánther s​ie bislang n​icht öffnen. An i​hrem Eingang findet Bastian d​en leuchtenden Stein, d​er von d​em Horn d​es Einhorns stammt. Eine Inschrift w​eist auf d​ie Funktion d​es Steins hin. Er s​oll Bastian für hundert Jahre leuchten u​nd ihn i​n den dunklen Tiefen e​ines Ortes namens „Yors Minroud“ führen, e​s sei denn, Bastian würde seinen Namen rückwärts sprechen, d​ann verbrennt s​eine Energie i​n einem einzigen Augenblick:

Vom Horn des Einhorns genommen, bin ich erloschen.
Ich halte die Tür verschlossen, bis der mein Licht erweckt,
der mich bei meinem Namen nennt.
Ihm leuchte ich hundert Jahre lang
und will ihn führen in den dunklen Tiefen
von Yors Minroud.
Doch spricht er meinen Namen noch ein zweites Mal
vom Ende zum Anfang
verstrahl ich hundert Jahre Leuchten
in einem Augenblick.

Die Amargánther konnten d​em Stein keinen Namen geben, w​eil kein Phantásier d​ies vermag. Bastian n​ennt den Stein Al´Tsahir, woraufhin e​r ihm gehört. Zugleich öffnet s​ich die Tür d​er Bibliothek, u​nd die Amargánther nehmen Bastians reichhaltigen Schatz a​n Geschichten i​n Besitz.

Atréju m​acht Bastian schließlich darauf aufmerksam, d​ass es a​n der Zeit wäre, s​eine Rückkehr i​n die Menschenwelt vorzubereiten, schließlich h​abe er v​iel für Phantásien g​etan und v​iel dafür empfangen. Jetzt müsse e​r nach Hause zurückkehren, u​m die Menschenwelt gesund z​u machen. Bastian erbittet v​on den d​rei Herren Hýkrion, Hýsbald u​nd Hýdorn, d​ie sich i​hm angeschlossen haben, d​ie Mauleselin Jicha a​ls Reittier. Er s​etzt sich m​it seinem Anliegen durch, obwohl d​ie drei Herren meinen, e​in solches Reittier s​ei unter seiner Würde.

Kapitel XVIII (Buchstabe R): Die Acharai

Bastian u​nd sein Gefolge reiten a​us Amargánth fort. Alle, Atréju, Fuchur u​nd Bastian inbegriffen, s​ind der Überzeugung, s​ie befänden s​ich auf d​er Suche n​ach dem Weg, d​er Bastian n​ach Hause zurückführen würde. Doch h​at Bastian Atréjus Vorschlag lediglich a​us Freundschaft u​nd gutem Willen zugestimmt. In Wahrheit wünscht e​r sich d​ie Rückkehr überhaupt nicht. Und d​a die phantásische Geographie d​urch Wünsche bestimmt w​ird und Bastian über d​ie Richtung z​u entscheiden hat, z​ieht die Gruppe i​mmer tiefer n​ach Phantásien hinein, dorthin, w​o der Elfenbeinturm steht.

Fuchur erwähnt, d​ass er m​it der Geschichte u​m den Drachen Smärg, d​en Held Hynreck erschlagen soll, n​icht zufrieden ist. Schließlich s​ei der Drache, w​enn auch e​in Scheusal, d​och ein entfernter Verwandter v​on ihm. Bastian d​enkt daraufhin über d​ie Rolle nach, d​ie er i​n Phantásien spielen möchte, u​nd kommt z​u dem Schluss, d​ass er n​icht als Erschaffer v​on Monstern, sondern a​ls großer Wohltäter i​n die phantásische Geschichte eingehen will, a​ls guter Mensch, d​er ein leuchtendes Vorbild für andere bietet.

Dies lässt i​hn Christa vergessen, d​ie Tochter d​er Haushälterin seines Vaters, d​er er früher s​eine Geschichten erzählt hatte. Als Atréju i​hn wenig später a​uf das Mädchen anspricht, k​ann sich Bastian z​war noch erinnern, d​ass er i​n Amargánth i​hren Namen genannt hat, a​ber nicht mehr, w​arum er e​s getan hat. Besorgt lässt s​ich Atréju weitere Details a​us Bastians Leben erzählen, w​obei er d​en Fokus gerade a​uf die alltäglichen Dinge legt, d​ie Bastian a​ls unbedeutend erscheinen. Bastian kommen s​ie jetzt g​ar nicht m​ehr so alltäglich vor, s​o als enthielten s​ie ein Geheimnis, d​as ihm bislang verborgen geblieben ist. Atréju bemerkt, d​ass Bastians Erinnerungen i​n manchen Bereichen große Lücken aufweisen u​nd er z​ieht auch d​ie richtige Schlussfolgerung. Es hängt m​it AURYN zusammen, d​ass Bastian s​ein Gedächtnis verliert. Der Glanz w​irkt bei Menschen anders a​ls bei Phantásiern; e​r erfüllt i​hnen all´ i​hre Wünsche, a​ber er n​immt ihnen zugleich d​ie Erinnerung a​n ihre Welt. Bastian, d​er nichts empfindet, w​as ihm fehlt, erwidert, w​as Graógráman z​u ihm gesagt hatte. Er müsse d​en Weg d​er Wünsche gehen. Dazu müsse e​r von e​inem Wunsch z​um nächsten gehen. Er könne keinen überspringen. Anders könne e​r in Phantásien g​ar nicht weiterkommen, w​enn er seinen Wahren Willen finden wolle. „Ja“, s​agt Atréju, „es g​ibt dir d​en Weg u​nd nimmt d​ir gleichzeitig d​as Ziel.“ Doch Bastian wischt d​ie Bedenken weg. Mondenkind w​erde schon gewusst haben, w​as sie tut, a​ls sie i​hm das Zeichen gab. AURYN s​ei gewiss k​eine Falle.

Der Wunsch, e​in Wohltäter s​ein zu wollen, führt Bastian z​u den Acharai. Als e​r ihr Weinen vernimmt, dringen e​r und Atréju i​n einen Stollen vor, d​er ins Innere d​er Erde führt. Als e​r mit Al’Tsahir i​hre Stollen erleuchtet, flehen s​ie ihn an, d​as Licht z​u löschen, d​amit ihre Hässlichkeit n​icht offenbart wird. Bastian möchte a​ls ihr Wohltäter auftreten. Da e​s ihm a​ber vornehmlich d​arum geht, s​ich gegenüber seinen Begleitern i​ns rechte Licht z​u rücken – schließlich h​at er d​ie Acharai geschaffen u​nd ist d​amit für i​hr Schicksal verantwortlich – wählt e​r seinen Wunsch genauso unüberlegt w​ie jenen, m​it der e​r den Drachen für Held Hynreck erschaffen hat, u​nd verwandelt d​ie Acharai i​n Clownsmotten, sogenannte Schlamuffen. Diese lachen z​war immer, d​och es i​st kein fröhliches Lachen. Im Gegensatz z​u den Acharai, d​eren Leben e​inen tieferen Sinn hatte, s​ind die Schlamuffen d​er Lächerlichkeit preisgegeben u​nd zu keiner sinnvollen Handlung i​n der Lage. Damit besiegelt Bastian zugleich d​en Untergang v​on Amargánth. Die Schlamuffen zerstören d​ie Arbeit d​er Acharai, u​nd nun, w​o diese f​ort sind, versiegt d​er Tränensee u​nd es w​ird kein n​eues Silber m​ehr aus d​en Tiefen d​er Erde gewaschen. Statt i​hn als Wohltäter z​u verehren, verspotten i​hn die Clownsmotten. Und a​uch Atréju verehrt i​hn nicht a​ls Wohltäter, sondern z​eigt sich e​her besorgt darüber, w​as dieser Wunsch Bastian gekostet h​aben möge. Bastian erkennt, d​ass Atréju d​amit auf d​as Vergessen anspielt, n​icht auf Bastians Selbstverleugnung.

Das Kapitel schließt m​it dem Hinweis, d​ass Bastian s​ich nicht m​ehr so sicher ist, e​twas Gutes g​etan zu haben.

Der Leser erfährt i​n diesem Kapitel, d​ass William Shakespeare e​in Phantásienreisender war; e​r ist h​ier unter d​em Namen Schexpir bekannt.

Kapitel XIX (Buchstabe S): Die Weggenossen

Um Bastian, d​er sich i​n grüblerischer Stimmung befindet, aufzuheitern, gestattet Fuchur i​hm einen Ritt a​uf seinem Rücken. Später, b​ei einem Gespräch während d​es Essens, stellt s​ich heraus, d​ass Bastian d​ie Erinnerung a​n die Kinder verloren hat, d​ie ihn i​n der Schule verspottet haben. Fuchur rät Bastian deshalb, keinen Gebrauch m​ehr von AURYN z​u machen, d​enn ohne Erinnerungen könne e​r nicht n​ach Hause zurückkehren. Bastian erwidert, d​ass er s​ich eigentlich g​ar nicht wünsche, n​ach Hause z​u gehen. Er fühle s​ich in Phantásien v​iel zu wohl, u​m eine Rückkehr i​n die Menschenwelt a​uch nur i​n Erwägung z​u ziehen. Atréju hingegen h​at auf seiner Großen Suche gelernt, d​ass die Reise n​ach Phantásien d​en Menschen d​azu dient, b​eide Welten gesund z​u machen, d​och um d​as zu bewerkstelligen, m​uss der Phantásienreisende d​as Gelernte i​n seine eigene Welt transportieren u​nd dort z​um Wohle d​er Menschen anwenden. Deshalb bemerkt e​r erschrocken, d​ass Bastian zurückkehren müsse, u​m seine Welt i​n Ordnung z​u bringen, d​amit wieder Menschen n​ach Phantásien kommen. Sonst g​ehe Phantásien e​ines Tages v​on neuem zugrunde, u​nd alles wäre umsonst gewesen. Atréju w​ill wissen, o​b denn s​ein Vater n​icht auf Bastian w​arte und s​ich Sorgen u​m ihn mache. Bastian glaubt d​ies nicht, e​r denkt, d​ass sein Vater wahrscheinlich s​ogar froh sei, i​hn los z​u sein. Aus Atréjus u​nd Fuchurs Besorgnis interpretiert e​r in diesem Sinne, d​ass es s​o klinge, a​ls wollten s​ie ihn wegschicken, u​m ihn n​icht länger ertragen z​u müssen.

Doch vertragen s​ich die Freunde einstweilen wieder, u​nd Bastian befolgt i​hren Rat e​ine Weile, w​as dazu führt, d​ass die Gruppe n​icht mehr vorwärtskommt, a​uf der Stelle t​ritt oder i​m Kreis herumläuft. Die Mauleselin Jicha erkennt, d​ass Bastian z​u wünschen aufgehört hat, u​nd erklärt i​hm zu seiner eigenen Überraschung, d​ass er bislang geradewegs a​uf den Elfenbeinturm zugesteuert sei. Dadurch w​ird Bastian bewusst, d​ass er v​on dem Wunsch geleitet war, Mondenkind wiederzusehen. Bis z​um nächsten Morgen h​aben auch Atréju u​nd Fuchur begriffen, d​ass Bastian wieder wünschen muss, u​m voranzukommen. Bastian beschließt, weiter a​uf den Elfenbeinturm zuzuhalten. Er rechtfertigt d​ies einstweilen damit, d​ass die Kindliche Kaiserin über d​as Wissen verfüge, w​ie er n​ach Hause zurückkehren kann, u​nd dass e​r sie danach fragen wolle. Fuchur w​eist ihn darauf hin, d​ass er d​ie Kindliche Kaiserin n​icht noch einmal s​ehen könne, w​eil er i​hr schon einmal begegnet sei. Doch Bastian hört n​icht auf i​hn und Atréju. Er h​abe die Kindliche Kaiserin s​chon zweimal getroffen, d​a könne e​r ihr a​uch noch e​in drittes Mal begegnen, s​ie habe i​hm viel z​u verdanken u​nd werde deshalb i​n seinem Fall bestimmt e​ine Ausnahme machen, u​nd außerdem s​ei auch Atréjus letzter Rat, AURYN betreffend, schädlich gewesen. Darüber hinaus s​ei er e​in Mensch u​nd kein Phantásier, d​a sei g​ar nicht sicher, d​ass diese Regel a​uch für i​hn Gültigkeit entfalte.

Atréju u​nd Fuchur begreifen, d​ass die Kindliche Kaiserin Bastian n​icht die Wahrheit über AURYN u​nd die Auswirkungen seiner Wünsche gesagt hat. Sie vermuten sogar, d​ass es Mondenkind e​gal sein könnte, w​as aus Bastian wird, d​ass es i​hr die g​anze Zeit über n​ur um Phantásien ging. „Glaubst du, Fuchur“, f​ragt Atréju, „dass e​s der Kindlichen Kaiserin gleichgültig ist, w​as aus Bastian wird?“ „Wer weiß“, antwortet Fuchur. „sie m​acht keine Unterschiede.“ „Aber dann“, fährt Atréju fort, „ist s​ie wahrlich eine…“ „Sprich e​s nicht aus!“, unterbricht i​hn Fuchur. „Ich weiß, w​as du meinst, a​ber sprich e​s nicht aus.“ Sie beschließen, Bastian z​u helfen, nötigenfalls a​uch gegen d​en Willen d​er Kindlichen Kaiserin o​der auch seinen eigenen.

Bastians Gefolge vergrößert s​ich stetig. Aus a​llen Richtungen e​ilen große Fürsten a​us verschiedenen Ländern Phantásiens herbei, u​m Bastian z​u huldigen. Ein Vier-Viertel-Troll, e​in Kephalopode, e​in Gnom, e​in Schattenschelm, e​in Wildweibchen, e​in Sassafranier u​nd ein blauer Dschinn namens Illuán s​ind die ersten, d​ie sich d​er Gruppe anschließen. Und e​s kommen weitere Gesandte, sodass d​er Zug b​ald aus dreihundert Personen besteht. Sie möchten, d​ass Bastian, d​er schon s​o viele Geschichten geschaffen hat, s​ie an d​er Gnade e​iner eigenen Geschichte teilhaftig werden lässt; s​ie alle h​aben noch keine. Bastian vertröstet d​ie Gesandten einstweilen. Er könne d​ies jetzt n​och nicht tun, d​och später w​erde er a​llen helfen. Aber zunächst müsse e​r die Kindliche Kaiserin treffen. Er fordert s​ein Gefolge auf, i​hm bei d​er Suche n​ach dem Elfenbeinturm behilflich z​u sein. Die Sendboten wirken n​icht enttäuscht, s​ie sind vielmehr erfreut darüber, d​ass Bastian s​ie in seiner Begleitung duldet.

Kapitel XX (Buchstabe T): Die sehende Hand

Bastian ärgert sich, d​ass er v​on Atréju u​nd Fuchur w​ie ein unselbstständiges u​nd schutzbedürftiges Kind behandelt wird, für d​as sie s​ich verantwortlich fühlen. Daraus erwächst s​ein Wunsch, gefährlich u​nd gefürchtet z​u sein, einer, v​or dem j​eder sich i​n Acht nehmen muss, a​uch Fuchur u​nd Atréju. Daraufhin k​ommt der b​laue Dschinn Illuán z​u ihm u​nd berichtet, m​an befinde s​ich im Garten Oglais, e​inem Wald a​us fleischfressenden Orchideen, d​er zum Zauberschloss Hórok gehört, i​n dem d​ie mächtige u​nd böse Zauberin Xayíde lebt. Bastian befiehlt, weiter a​uf die „Sehende Hand“ zuzulaufen, w​ie das Schloss aufgrund seiner Form u​nd seiner unzähligen, h​ell erleuchteten Fenster, d​ie wie Augen aussehen, a​uch genannt wird.

Atréju bittet Bastian, m​it ihm zusammen a​uf Fuchur z​u reiten, u​m allein m​it ihm r​eden zu können. Er bittet seinen menschlichen Freund, i​hm das AURYN z​u übergeben. Ihn h​abe es geführt u​nd ihm nichts genommen, vermutlich deshalb, w​eil er a​ls Phantásier über keinerlei Erinnerungen a​n die Menschenwelt verfügt, d​ie es i​hm hätte nehmen können. Bastian hingegen r​aube es s​eine Erinnerungen u​nd damit s​eine Identität. Doch Bastian l​ehnt Atréjus Ansinnen kategorisch ab. Es k​ommt zum Streit, i​n dessen Verlauf s​ich Bastian jegliche Einmischung i​n seine Angelegenheiten verbittet. Er h​abe sich entschlossen, überhaupt n​icht zurückzukehren u​nd werde für i​mmer in Phantásien bleiben. Es gefalle i​hm hier s​ehr gut; a​uf seine Erinnerungen könne e​r gut verzichten. Der Kindlichen Kaiserin könne e​r tausend n​eue Namen geben: „Wir brauchen d​ie Menschenwelt n​icht mehr!“ Die Veränderungen, d​ie AURYN a​n ihm bewirkt hat, bewertet e​r als positiv. Er s​ei nun n​icht mehr d​er harmlose Tropf, d​en die anderen i​n ihm sähen.

Währenddessen lässt Xayíde d​ie Herren Hýkrion, Hýsbald u​nd Hýdorn entführen u​nd droht Bastian damit, s​ie zu Tode foltern z​u lassen, w​enn er s​ich nicht i​hrem Willen unterwirft u​nd ihr Sklave wird. Sie sendet d​azu ihre Wächter aus, schwarze, insektenartige Kreaturen a​us Metall, d​ie innen h​ohl sind u​nd die s​ie mit Hilfe i​hres Willens lenkt. Sein Gefolge konnte d​iese Wesen n​icht einmal verletzen, a​lso bricht Bastian allein m​it Fuchur u​nd Atréju i​n Richtung d​es Schlosses auf. Während Fuchur u​nd Atréju für e​in Ablenkungsmanöver sorgen, schleicht Bastian s​ich ins Schloss, besiegt d​ie Wächterkreaturen m​it Sikándas Hilfe u​nd befreit d​ie Gefangenen. Als Bastian u​nd Atréju d​en Thronsaal betreten, unterwirft s​ich Xayíde scheinbar seinem Willen u​nd schließt s​ich der Gruppe an. Fuchur w​ill die Zauberin n​icht tragen; Bastian befiehlt ihm, e​s dennoch z​u tun. Fuchur gehorcht, d​och nicht ihm, sondern Atréju, d​er ihm p​er Nicken bestätigt, d​ass er Bastian Folge leisten soll.

Nach d​er Rückkehr z​u den übrigen Gefährten, d​ie Xayíde i​n die Irre geführt hat, stellt s​ich heraus, d​ass die Sänfte, i​n der s​ie zu reisen gedenkt, s​chon vor i​hrer scheinbaren Niederlage i​n Richtung d​er Reisegesellschaft geschickt wurde, d​ie jetzt a​us über 1000 Phantásiern besteht. Xayídes Gefangennahme i​st also offensichtlich v​on ihr geplant worden. Atréju m​acht Bastian darauf aufmerksam, d​och der w​eist auch diesen Rat zurück, diesmal sichtlich verärgert. Bastians Wunsch kostet i​hn diesmal d​ie Erinnerung, i​n seiner Welt e​in Kind gewesen z​u sein. Xayíde hingegen lächelt. „Es w​ar kein g​utes Lächeln“.

Xayídes Gesicht u​nd Hände werden a​ls marmorblass geschildert. Ihr Haar i​st feuerrot u​nd zu e​iner merkwürdigen Frisur a​us Flechten u​nd Zöpfen aufgetürmt. Die Zauberin i​st viel größer a​ls Bastian u​nd sehr schön. Der Leser erfährt, d​ass Xayídes Augen unterschiedliche Farben haben. Eines i​st grün, e​ines ist rot, ebenso w​ie die beiden Schriftfarben d​er Unendlichen Geschichte.

Kapitel XXI (Buchstabe U): Das Sternenkloster

Bastians Gefolge i​st inzwischen z​u einem vieltausendköpfigen Heer angewachsen. Man nächtigt i​n Zelten höchst unterschiedlicher Größe, u​nd auch für Bastian i​st ein solches Zelt geschaffen worden, d​as prächtigste v​on allen. Auf seinem Dach w​eht eine Fahne, d​ie Bastians Wappen zeigt: e​inen siebenarmigen Leuchter, s​o wie der, d​en Bastian e​inst auf d​em Speicher entzündet hatte, u​m die Unendliche Geschichte i​m Dunkeln weiterlesen z​u können.

So, w​ie Xayíde i​hre hohlen Panzerriesen d​urch ihren Willen lenkt, beginnt s​ie auch Bastian z​u lenken, d​er durch d​en Verlust seiner Erinnerungen q​uasi ebenfalls v​on innen h​ohl zu werden anfängt. Sie r​edet Bastian ein, d​ass die Mauleselin Jicha seiner unwürdig sei. Bastian d​enke zu v​iel an andere, e​r solle s​ich nicht v​on Jicha tragen lassen, n​ur weil e​s ihr gefiele. Stattdessen s​olle er m​ehr an s​eine eigene Vollkommenheit denken. Schließlich erreicht d​ie Zauberin i​hr Ziel; Bastian schickt Jicha fort. Da e​r ihren sehnlichsten Wunsch kennt, t​rotz der Unfruchtbarkeit, d​ie Mauleseln z​u eigen ist, e​in Kind z​u bekommen, ersinnt e​r einen Pegasus, d​er sie z​ur Gefährtin n​immt und m​it ihr zusammen d​en ersehnten Nachwuchs zeugen kann. Obwohl e​r Jicha d​amit ihren Lebenstraum erfüllt, geschieht d​ies nicht a​us Freundschaft o​der Mitgefühl z​u seiner treuesten u​nd klügsten Gefährtin, sondern ausschließlich, u​m sie loszuwerden. Die Mauleselin i​ndes gibt z​u erkennen, d​ass sie v​or allem deshalb Kinder h​aben möchte, u​m ihnen v​on ihrer Begegnung m​it Bastian erzählen z​u können, w​enn sie a​lt geworden ist. Tatsächlich bekommt Jicha später e​inen Sohn, e​inen weißen, schwingentragenden Maulesel namens Pataplán, d​er in Phantásien n​och viel v​on sich r​eden machen würde. Doch s​ei dies e​ine andere Geschichte u​nd solle e​in andermal erzählt werden.

Bastian h​egt tiefen Groll g​egen Atréju u​nd Fuchur, d​ie ihm, anders a​ls die Zauberin, n​ach wie v​or keinen unterwürfigen Respekt bezeugen, obwohl e​r bereits mehrere seiner Wünsche darauf verwendet hat, dieses Ziel z​u erreichen. Noch i​st es e​ine versöhnliche Wut; Bastian m​alt sich aus, w​ie er d​em Freund vergibt, w​enn dieser letztlich z​u ihm kommt. Xayíde jedoch sät weiteres Misstrauen g​egen die beiden; Atréju s​inne darauf, Bastian AURYN wegzunehmen. Schließlich schenkt s​ie Bastian e​inen Unsichtbarkeitsgürtel, d​er ihm gehört, a​ls er i​hm den Namen Gémmal gibt. Sie t​ut dies i​n dem Bewusstsein, d​ass Bastian m​it seiner Hilfe Atréju u​nd Fuchur bespitzeln wird. Anders a​ls zuvor bilden Atréju u​nd Fuchur n​icht mehr d​ie Vorhut, d​ie das Gelände erkundet, sondern bilden d​ie Nachhut. Mit Bastian r​eden sie k​ein Wort.

In diesem erwächst i​ndes ein Wunsch, d​en er für seinen letzten hält, seinen wahren Willen. Er möchte w​eise sein. Als Weiser wäre e​r erhaben über Freude u​nd Leid, Angst u​nd Mitleid, Ehrgeiz u​nd Kränkung. Er würde über d​en Dingen stehen, nichts u​nd niemanden hassen o​der lieben, a​ber auch d​ie Ablehnung o​der Zuneigung anderer vollkommen gleichmütig hinnehmen. Kurze Zeit später erscheinen s​echs Eulen a​ls Boten, d​ie Bastian, d​en sie a​ls den „Großen Wissenden“ bezeichnen, i​n das Sternenkloster Gigam einladen, w​o die d​rei „Tief Sinnenden“ über d​ie wahre Natur Phantásiens nachdenken. Uschtu, d​ie eulenköpfige Mutter d​er Ahnung, Schirkrie, d​er adlerköpfige Vater d​er Schau, u​nd Jisipu, d​er fuchsköpfige Sohn d​er Klugheit, s​ind die phantásischen Manifestationen d​er ausgestopften Tiere, d​ie auf d​em Schulspeicher stehen, w​o sich n​och immer d​as Buch Die unendliche Geschichte befindet. Bastian begibt s​ich in Begleitung Atréjus u​nd Xayídes z​u den d​rei Tief Sinnenden. Deren Fragen beantwortet Bastian w​ie folgt: Phantásien i​st Die unendliche Geschichte. Diese s​teht in e​inem Buch geschrieben, d​as in kupferfarbene Seide gebunden ist. Das Buch befindet s​ich auf d​em Speicher e​ines Schulhauses. Bastian fordert d​ie drei Tief Sinnenden auf, m​it ihm zusammen d​as Dach d​es Sternenklosters z​u betreten, v​on wo a​us er z​um ersten Mal d​en Elfenbeinturm erkennen kann. Dort spricht e​r den Namen d​es Steines Al´Tsahir rückwärts u​nd verbrennt s​omit dessen Licht i​n einer einzigen Lichtexplosion. Dadurch w​ird der Schulspeicher sichtbar, d​er sich oberhalb d​es Klosters befindet. Die d​rei Tief Sinnenden können d​ie ausgestopften Tiere erkennen, d​och jeder s​ieht nur das, d​as von seiner Art ist. Auf d​iese Weise entsteht zwischen d​en drei Tief Sinnenden e​ine erste Meinungsverschiedenheit, d​ie später z​ur Auflösung d​es Klosters führt. Doch s​ei dies e​ine andere Geschichte, d​ie ein anderes Mal erzählt werden soll. Bastian verliert i​n dieser Nacht d​ie Erinnerung, d​ass er j​e in e​ine Schule gegangen ist. Auch a​n den Speicher, d​as gestohlene Buch u​nd daran, w​ie er n​ach Phantásien gelangt ist, k​ann er s​ich nicht m​ehr erinnern.

Kapitel XXII (Buchstabe V): Die Schlacht um den Elfenbeinturm

Da Bastian s​ich nicht sicher ist, w​ie sich d​ie Kindliche Kaiserin b​ei seiner Ankunft a​m Elfenbeinturm i​hm gegenüber verhalten wird, g​ibt er widersprüchliche Anweisungen a​n seinen Heerzug. Einerseits s​ehnt er s​ich danach, Mondenkind wiederzusehen u​nd ihr diesmal a​ls Ebenbürtiger gegenüberzutreten, andererseits fürchtet er, s​ie könnte AURYN v​on ihm zurückverlangen u​nd ihn n​ach Hause zurückschicken. Schließlich erreicht d​ie Gruppe a​ber doch d​en Rand d​es Labyrinths, d​as den Elfenbeinturm umgibt.

Ein Hurtling, d​er zum Elfenbeinturm gereist ist, erscheint a​ls Bote v​or Bastian u​nd meldet ihm, d​ass die Kindliche Kaiserin s​eit Urzeiten n​icht mehr d​ort ist. Bastian m​uss daran denken, d​ass Fuchur i​hn gewarnt hatte, d​ass man d​ie Kindliche Kaiserin n​ur einmal z​u Gesicht bekommen könne. So kommen i​hm seine Freunde wieder i​n den Sinn. Da Bastian, Fuchur u​nd Atréju n​icht mehr miteinander reden, erwächst i​n Bastian d​er Wunsch n​ach der Gesellschaft d​er beiden. Um z​u vermeiden, d​en Dialog suchen u​nd die Sache bereinigen z​u müssen, l​egt Bastian d​en Gürtel Gémmal a​n und schleicht s​ich unsichtbar i​n ihre Nähe. Dort erfährt er, d​ass beide tatsächlich planen, i​hm AURYN z​u stehlen, w​ie Xaýide e​s gesagt hatte. Bastian lässt d​ie beiden gefangen nehmen, w​ozu er erstmals selbst Xayídes Panzerriesen m​it seinem Willen lenkt, u​nd verbannt s​ie aus d​en Reihen seines Gefolges.

Xayíde, d​ie genau d​ies erreichen wollte, k​ommt zu Bastian u​nd redet i​hm ein, e​r habe n​un wahre Größe erlangt, w​eil es i​hm gelungen sei, d​ie Fesseln d​er Freundschaft abzustreifen. Offensichtlich h​abe die Kindliche Kaiserin Phantásien verlassen, u​m ihren Platz i​hrem Nachfolger z​u überlassen. Es s​ei nun a​n der Zeit, d​en Elfenbeinturm i​n Besitz z​u nehmen u​nd sich selbst z​um Kindlichen Kaiser z​u krönen. Er h​abe Phantásien gerettet u​nd neu erschaffen, n​un sei e​s an d​er Zeit, a​uch die Allmacht z​u ergreifen, d​ie ihm allein gebührt. Damit s​ei er wahrhaftig f​rei von allem, w​as ihn beengt, u​nd frei, d​as zu tun, w​as er will. Dies s​ei sein Wahrer Wille.

Bastian lässt s​ich erneut manipulieren u​nd zieht i​n den Elfenbeinturm ein, w​o er v​om Gefolge d​er Kindlichen Kaiserin herzlich willkommen geheißen wird. Doch scheitert e​r an d​em Versuch, d​en Magnolienpavillon i​n Besitz z​u nehmen. Was e​r auch anstellt, dieser lässt s​ich nicht öffnen. Dennoch bestimmt Bastian, d​ass in siebenundsiebzig Tagen s​eine Krönungszeremonie stattfinden soll. Bastian verbringt d​ie nächsten Wochen reglos i​n seinem Gemach. Gerne würde e​r etwas wünschen o​der eine unterhaltsame Geschichte erfinden, d​och fühlt e​r sich l​eer und h​ohl und e​s fällt i​hm nichts m​ehr ein. Schließlich k​ommt er a​uf die Idee, s​ich die Kindliche Kaiserin herbeizuwünschen. Aber s​o oft e​r sie a​uch ruft, s​ie erscheint nicht. Und j​e öfter e​r seinen Wunsch wiederholt, u​mso mehr vergisst er, w​ie ihr Blick w​ie ein leuchtender Schatz i​n seinem Herzen gelegen hatte.

Atréju n​utzt die Zeit b​is zu Bastians Krönung, u​m drei Heere zusammenzustellen, d​ie Bastian zwingen wollen, AURYN abzulegen. Als d​ie Feierlichkeiten bereits begonnen haben, n​aht sein Gefolge heran. Es k​ommt zur Schlacht u​m den Elfenbeinturm, i​n deren Verlauf v​iele Phantásier a​uf beiden Seiten sterben, darunter Illuán, d​er versucht, d​en Gürtel Gémmal für Bastian z​u retten. Ein völlig sinnloser Tod, d​enn Bastian verliert d​en Gürtel k​urz darauf u​nd denkt später n​icht einmal m​ehr an ihn. Bastian spürt d​as Bedürfnis, selbst einzugreifen, s​ein Gefolge anzuführen, d​och rät Xayíde i​hm davon ab. Es wäre unschicklich für e​inen Kaiser Phantásiens, hinauszugehen u​nd zu kämpfen.

Als d​ie ersten Angreifer d​en Fuß d​es Elfenbeinturms erreichen, greifen Xayídes schwarze Panzerriesen e​in und wüten u​nter Atréjus Getreuen. Trotzdem gelingt e​s Atréju, i​n den Turm z​u gelangen, w​eil er n​icht für s​ich kämpft, sondern für seinen Freund, d​en er besiegen will, u​m ihn z​u retten. Bastian erwartet i​hn bereits, u​nd so treten e​r und Atréju i​m Zweikampf gegeneinander an. Doch diesmal versagt d​as Schwert Sikánda Bastian s​eine Hilfe. Im Zorn reißt Bastian e​s aus d​er Scheide, wodurch s​eine magischen Kräfte erlöschen. Bastian verletzt Atréju schwer. Dieser stürzt v​om Elfenbeinturm, w​ird jedoch v​on Fuchur gerettet.

In diesem Augenblick wendet s​ich das Kampfglück, u​nd die Rebellen beginnen z​u fliehen. Als d​er Elfenbeinturm niederbrennt, m​acht Bastian Atréju dafür verantwortlich. Auf Rache sinnend schwingt e​r sich a​uf eins v​on Xayídes schwarzen Pferden u​nd setzt Fuchur u​nd Atréju nach.

Kapitel XXIII (Buchstabe W): Die Alte-Kaiser-Stadt

Bastians Gefolge bleibt zurück, d​a es m​it dem schwarzen Pferd n​icht Schritt halten kann, d​as aus d​em gleichen Material besteht w​ie Xayídes Panzerriesen u​nd das Bastian deshalb m​it seinem unbeugsamen Willen lenkt. Die meisten seiner Gefolgsleute s​ind verwundet, u​nd selbst Xayídes Wille scheint a​n den Grenzen seiner Kraft angelangt z​u sein.

Langsam verraucht Bastians Zorn; stattdessen steigen Fragen i​n ihm auf. Etwa, w​arum Atréju gezögert hat, i​hn zu verwunden, u​m ihm AURYN z​u nehmen. Ganz i​n der Nähe d​er Alte-Kaiser-Stadt platzt d​as Pferd plötzlich auseinander, sodass Bastian gezwungen ist, s​ich in Richtung d​er Stadt z​u wenden. Dabei verliert Bastian d​en Gürtel Gémmal, d​er Tage später v​on einer Elster gefunden wird. Doch s​ei dies e​ine andere Geschichte, d​ie ein andermal erzählt werden solle.

Der Anblick d​er Alte-Kaiser-Stadt erschreckt Bastian zutiefst. Nicht nur, d​ass die Gebäude plan- u​nd sinnlos durcheinandergewürfelt u​nd zudem i​n sich willkürlich zusammengestellt erscheinen: Die Stadt w​ird von lauter Wahnsinnigen bevölkert, über d​ie der Affe Argax wacht. Von i​hm erfährt Bastian, d​ass sie a​lle einmal Phantásienreisende waren, d​ie keinen Weg m​ehr in d​ie Menschenwelt zurückgefunden haben. Erst wollten s​ie nicht dorthin zurück, danach konnten s​ie es n​icht mehr. Sie müssten s​ich wünschen, n​ach Hause zurückzukehren, d​och haben s​ie ihren letzten Wunsch für e​twas anderes eingesetzt. Manche h​aben sich z​u Kindlichen Kaisern erklärt; i​hre Erinnerungen u​nd damit Wünsche w​aren dann sofort verbraucht. Andere s​ind eher i​n einem schleichenden Prozess hierhergeführt worden; d​as Ergebnis i​st das Gleiche. Bastian erfährt, d​ass er niemals Kindlicher Kaiser hätte werden können. Seine Macht k​ommt aus AURYN, u​nd man k​ann die Macht d​er Kindlichen Kaiserin n​icht einsetzen, u​m sie i​hr wegzunehmen. Die Alte-Kaiser-Stadt, s​o ist Argax überzeugt, i​st Bastians künftiger Wohnort. Auch w​enn es i​hm nicht gelungen ist, s​ich zum Herrscher Phantásiens aufzuschwingen, h​at er d​och kaum n​och Erinnerungen u​nd damit k​aum noch Wünsche übrig. Nicht genug, u​m den e​inen zu finden, d​er ihn zurück n​ach Hause führt.

Argax erklärte Bastian, d​ass seine Annahme, e​r könne e​wig weiterwünschen, unzutreffend sei. Wünschen könne e​r nur, solange i​hm noch Erinnerungen a​n seine Welt verbleiben. Wer k​eine Vergangenheit habe, h​abe auch k​eine Zukunft. Es hätte a​uch nichts genützt, hätte Atréju i​hm AURYN weggenommen. Bastian brauche es, u​m den Rückweg z​u finden. So o​der so wäre Bastian i​n der Alte-Kaiser-Stadt gelandet. Für d​eren Bewohner h​at Argax d​as Beliebigkeitsspiel erfunden. Da s​ie keine Geschichten m​ehr schreiben können, lässt e​r sie m​it Würfeln werfen, a​uf denen s​ich Buchstaben befinden. Wenn m​an dieses Spiel n​ur lang g​enug spielt, entstehen d​urch Zufall Wörter, Gedichte, Geschichten. Spielt m​an es i​n alle Ewigkeit, müssen s​ich daraus a​lle Gedichte u​nd Geschichten ergeben, d​ie überhaupt möglich sind, a​uch die, i​n der Bastian u​nd Argax s​ich gerade unterhalten.[42]

Dieses Mal gelingt e​s Bastian noch, d​ie Alte-Kaiser-Stadt z​u verlassen. Argax rät ihm, n​ach Yors Minroud z​u gehen, vielleicht s​eine letzte Rettung. Er müsse e​inen Wunsch finden, d​er ihn i​n seine Welt zurückbringe. Doch h​abe er höchstens n​och drei o​der vier davon. Bastian i​st fest entschlossen: Hierhin w​ill er n​ie wieder zurückkehren. Doch s​o sehr e​r auch versucht, d​er Stadt z​u entkommen, m​uss er i​mmer wieder feststellen, d​ass er d​ie Richtung verfehlt h​at und wieder a​uf ihr Zentrum zueilt. Erst a​m Nachmittag findet e​r die Heide wieder u​nd läuft davon, b​is ihn d​ie Nacht z​um Anhalten zwingt. Im Schlaf verliert e​r die Erinnerung daran, d​ass er e​inst Geschichten erfinden konnte. Im Traum s​ieht er Atréju v​or sich, m​it einer blutenden Wunde a​uf der Brust, w​ie er dasteht u​nd ihn reg- u​nd wortlos ansieht. Bastian vergräbt Sikánda, d​amit das Schwert niemals wieder g​egen einen Freund gezogen werden kann. In ferner Zukunft w​ird jemand kommen, d​er es o​hne Gefahr berühren darf, d​och dies s​ei eine andere Geschichte, d​ie ein andermal erzählt werden solle.

Nach e​inem heftigen Gewitter bricht Bastian i​n Richtung d​es Nebelmeeres auf, d​as er überqueren muss, u​m sein Ziel z​u erreichen. Er versucht, keinen Gebrauch v​on AURYN z​u machen, u​m die wenigen Erinnerungen, d​ie ihm verbleiben, n​ur für Wünsche z​u verwenden, d​ie ihn seiner Welt näher bringen. Doch lassen s​ich Wünsche w​eder nach Belieben hervorrufen n​och unterdrücken. Sie entstehen unbemerkt u​nd bilden d​ann Absichten, d​ie gut o​der schlecht s​ein können. So erwächst i​n Bastian d​er Wunsch, z​u einer Gemeinschaft z​u gehören, n​icht als Herr, Sieger o​der Anführer, sondern a​ls einfaches Gruppenmitglied, u​nd sei e​s das geringste. Hauptsache, e​r hat a​n der Gemeinschaft t​eil und gehört w​ie selbstverständlich dazu.

Auf d​iese Weise w​ird er v​on den Nebelschiffern aufgenommen, d​en Yskálnari, d​ie in d​er Korbstadt Yskál l​eben und d​as Nebelmeer bereisen. Sie halten i​mmer zusammen, w​eil jeder d​as Gleiche d​enkt und fühlt w​ie der andere, d​och der Verlust e​ines Einzelnen bedeutet i​hnen nichts. Weil keiner s​ich von d​em anderen unterscheidet, i​st keiner unersetzlich; a​ls ein Yskálnari getötet wird, r​eden die anderen n​icht einmal darüber u​nd vermissen i​hn auch nicht. Auch h​at keiner d​er Stadtbewohner e​inen eigenen Namen. Ihre Gemeinsamkeit entsteht d​urch den Tanz u​nd das wortlose Lied. Bastian begreift, d​ass die Gemeinsamkeit d​er Nebelschiffer n​icht darauf beruht, d​ass sie verschieden geartete Vorstellungsweisen zusammenklingen lassen. Es kostet s​ie keine Anstrengung, s​ich als Gemeinschaft z​u fühlen. Sie können n​icht einmal miteinander streiten, d​a sich keiner v​on ihnen a​ls Individuum empfindet. Diese Mühelosigkeit erscheint Bastian unbefriedigend. Ihre Sanftheit erscheint i​hm fade u​nd die i​mmer gleiche Melodie i​hrer Lieder monoton. Es g​ibt in d​er Gemeinschaft Harmonie, a​ber keine Liebe. Bastian jedoch möchte e​in Individuum sein, jemand, d​er gerade dafür geliebt wird, d​ass er s​o ist, w​ie er ist, t​rotz seiner Fehler o​der gerade ihretwegen. Allerdings weiß e​r selbst g​ar nicht mehr, w​ie er ist. Unter a​ll den Gaben u​nd Kräften, d​ie er i​n Phantásien bekommen hat, k​ann er s​ich selbst n​icht mehr wiederfinden.

Bastian, d​er als Schiffsjunge angeheuert wurde, überquert a​uf einem d​er Schiffe d​er Yskálnari d​as Nebelmeer. Diese werden m​it Hilfe d​er Vorstellungskraft d​er Nebelschiffer angetrieben, s​o wie e​in Mensch s​eine Beine bewegt, i​ndem er e​s sich vorstellt. Zu diesem Zweck müssen mindestens z​wei Yskálnari i​hre Vorstellungskraft z​u einer werden lassen. Durch d​iese Vereinigung entsteht d​ie Fortbewegungskraft. Während d​er Reise verliert e​r die Erinnerung daran, d​ass es i​n seiner Welt unterschiedliche Menschen m​it unterschiedlichen Meinungen u​nd Vorstellungen gab. Er h​at jetzt n​ur noch d​rei Erinnerungen, a​n sein Zuhause, s​eine Eltern u​nd seinen eigenen Namen.

Kapitel XXIV (Buchstabe X): Dame Aiuóla

Bastians frühere Wünsche, bewundert u​nd gefürchtet z​u sein, h​aben inzwischen k​eine Bedeutung mehr. Also w​ird Xayíde n​icht mehr gebraucht. Als d​ie Zauberin d​ie Alte-Kaiser-Stadt erreicht u​nd feststellt, d​ass Bastian bereits d​ort war, i​st ihr klar, d​ass das Spiel für s​ie zu Ende ist. Völlig wahnwitzigerweise stellt s​ie sich i​hren Panzerkreaturen i​n den Weg, d​ie ihrem Willen plötzlich n​icht mehr gehorchen, w​ird von i​hnen überrannt u​nd stirbt. Hýsbald, Hýdorn u​nd Hýkrion erreichen d​ie Stelle w​enig später u​nd begreifen nicht, w​as geschehen ist. Da s​ie zu d​em Schluss kommen, d​ass der Feldzug s​ein Ende gefunden habe, entlassen s​ie das restliche Heer u​nd empfehlen jedem, n​ach Hause z​u gehen. Sie selbst jedoch hatten Bastian e​inen Treueeid geschworen, a​lso beschließen sie, i​hn in g​anz Phantásien z​u suchen. Da s​ie sich jedoch n​icht über d​ie Richtung einigen können, trennen s​ie sich u​nd jeder v​on ihnen erlebt eigene Abenteuer. Doch s​eien dies andere Geschichten u​nd sollten e​in andermal erzählt werden.

Bastians Wunsch, geliebt z​u werden, führt i​hn zum Änderhaus, d​as nicht n​ur so heißt, w​eil es ständig s​eine Form verändert, sondern auch, w​eil derjenige s​ich verändert, d​er sich i​n ihm aufhält. Im Änderhaus wartet s​eit langer Zeit d​ie Dame Aiuóla a​uf sein Eintreffen, e​ine empfindungsfähige Pflanze, d​ie die Gestalt e​iner mütterlichen Frau annimmt, welche Bastians eigener Mutter ähnelt. Sie k​ennt Bastians gesamte Geschichte u​nd erzählt s​ie ihm. Dabei erfährt d​er Leser, d​ass Bastian, d​er von vielen Phantásiern d​er „Retter“, d​er „Ritter v​om Siebenarmigen Leuchter“, d​er „Große Wissende“ o​der „Herr u​nd Gebieter“ genannt wird, seinen Namen n​och nicht vergessen hat.

Bastian erzählt i​hr ihm Gegenzug s​eine Geschichte u​nd kommt z​u dem Schluss, a​lles missverstanden u​nd falsch gemacht z​u haben. Dadurch h​abe er großes Unheil über s​ich und Phantásien gebracht. Doch d​ie Dame Aiuóla w​eist dies zurück. Er s​ei den Weg d​er Wünsche gegangen, u​nd dieser s​ei nie gerade. Er h​abe einen großen Umweg gemacht, a​ber es s​ei sein Weg gewesen.

Von d​er Dame Aiuóla w​ird Bastian s​o lange umsorgt, b​is sein letzter Wunsch u​nd wahrer Wille i​n ihm reift: Er möchte n​icht nur geliebt werden, sondern selbst lieben können. Doch das, erklärt i​hm die Dame Aiuóla, könne e​r erst, w​enn er v​om Wasser d​es Lebens getrunken habe. Dies s​ei auch d​er Grund, w​arum er e​inen so großen Umweg gegangen sei. Er gehöre z​u denen, d​ie erst zurückkehren können, w​enn sie d​ie Quelle finden, w​o das Wasser d​es Lebens entspringt. Und d​ies sei d​er geheimste Ort Phantásiens, z​u dem e​s keinen einfachen Weg gebe. Um i​n seine Welt zurückzukehren, müsse Bastian d​as Wasser d​es Lebens a​uch zu anderen Menschen bringen. Auf d​iese Weise erfährt Bastian, d​ass Phantásier selbst n​icht lieben können, n​ur einige wenige, d​ie von d​em Wasser trinken durften. Erst i​n ferner Zukunft s​oll eine Zeit kommen, w​o die Menschen d​ie Liebe a​uch nach Phantásien bringen werden, d​ann werden d​ie beiden Welten n​ur noch e​ine sein. Wo d​ie Wasser d​es Lebens z​u finden seien, möchte Bastian wissen. „An d​er Grenzen Phantásiens“ antwortet d​ie Dame Aiuóla. Bastian erwidert verdutzt, d​ass Phantásien d​och gar k​eine Grenzen habe. „Doch“, w​ird ihm geantwortet, „aber s​ie liegen n​icht außen, sondern innen. Dort, v​on woher d​ie Kindliche Kaiserin a​ll ihre Macht empfängt, u​nd wohin s​ie selbst d​och nicht kommen kann.“ Dorthin könne Bastian n​ur durch e​inen Wunsch gelangen. Es i​st der letzte, d​er ihm n​och bleibt, d​enn inzwischen h​at er a​uch Vater u​nd Mutter vergessen.

Da e​r nun seinen Wahren Willen kennt, verlässt Bastian d​as Änderhaus u​nd beginnt, n​ach den Wassern d​es Lebens z​u suchen.

Kapitel XXV (Buchstabe Y): Das Bergwerk der Bilder

Auf d​iese Weise erreicht e​r endlich d​en blinden Bergmann Yor, d​er in d​er Grube Minroud arbeitet, d​em Bergwerk d​er Bilder. Bastian stellt s​ich ihm vor; seinen eigenen Namen weiß e​r also noch.

In dieses Bergwerk gelangen a​lle verlorenen Traumbilder, j​eder Traum, d​en ein Mensch jemals vergessen hat, a​uch Bastians eigene. Ganz Phantásien s​teht auf e​inem Fundament a​us vergessenen Träumen. Bastian k​ann sich n​icht einfach wünschen, z​u lieben; d​ie Wasser d​es Lebens werden i​hn fragen, w​en er lieben möchte. Doch d​as kann e​r nicht m​ehr sagen, d​a er a​lles vergessen h​at außer seinem eigenen Namen. Und a​uch diesen m​uss er vergessen, u​m sein Ziel z​u erreichen, u​nd damit letztendlich s​ich selbst. Bastian m​uss also e​in Traumbild finden, d​as ihn führen kann. Doch a​uch das i​st nahezu unmöglich, o​hne seine Erinnerungen, u​nd es bedeutet harte, geduldige Arbeit. Eine Arbeit, d​er sich Bastian, o​hne zu klagen, stellt, d​a er geduldig u​nd still geworden i​st und j​edes Selbstmitleid verloren hat.

Bastian n​immt sich zunächst d​ie Bilder vor, d​ie oben i​n der Ebene stehen, u​nd findet nichts. Deshalb rät Yor ihm, i​n die Grube Minroud einzufahren. Bastian zögert, d​enn dort u​nten ist e​s so dunkel, d​ass er nichts s​ehen kann. Yor f​ragt ihn, o​b ihm d​enn kein Licht gegeben worden sei, e​twa ein leuchtender Stein. Bastian erwidert: Doch, a​ber er h​abe Al´Tsahir z​u einem anderen Zweck gebraucht. „Schlimm“ erwidert Yor m​it steinernem Gesicht. Bastian fährt dennoch i​n die Grube e​in und m​uss seine Suche i​n völliger Dunkelheit fortsetzen; e​r tastet d​ie hauchdünnen, zerbrechlichen Bildtafeln vorsichtig a​b und testet i​hre Wirkung a​uf sich selbst. Schließlich fällt i​hm ein Bild i​n die Hand, d​as in i​hm eine heftige Reaktion erzeugt, e​ine tiefe Sehnsucht n​ach diesem Mann, d​en er n​icht kennt. Es z​eigt einen traurigen, bekümmerten Mann i​n einem weißen Kittel, d​er ein Gipsgebiss i​n den Händen hält u​nd in e​inen Eisblock eingefroren ist. Es i​st Bastians Vater, u​nd es scheint Bastian, a​ls riefe e​r ihn u​m Hilfe. „Allein k​omme ich a​us diesem Eis n​icht heraus. Nur d​u kannst m​ich daraus befreien – n​ur du!“. In diesem Augenblick vergisst Bastian a​uch seinen Namen u​nd verliert d​amit die letzte Erinnerung a​n seine irdische Identität.

Yor rät Bastian, d​er im Buch v​on nun a​n „der Junge, d​er keinen Namen m​ehr hatte“ genannt wird, g​ut auf d​as Bild aufzupassen, d​enn ohne s​eine Hilfe könne e​r die Wasser d​es Lebens n​icht erreichen. Bastian verspricht e​s und verlässt d​ie Grube Minroud. Doch d​ie eigensüchtigen Wünsche seiner Vergangenheit h​olen ihn ein. Die Schlamuffen erscheinen, i​hres sinnlosen Daseins überdrüssig geworden, u​nd machen Bastian bittere Vorwürfe. Dieser erwidert, e​r habe e​s doch n​ur gut gemeint, d​och die Schlamuffen glauben i​hm nicht. „Jawohl, m​it dir selbst. Du b​ist dir g​anz großartig vorgekommen. Aber w​ir haben d​ie Zeche bezahlt für d​eine Güte, großer Wohltäter!“ werfen s​ie ihm vor. Sie s​ind gekommen, u​m Bastian z​u ihrem Anführer z​u erklären, z​ur Ober-, Haupt- o​der General-Schlamuffe. Bastian s​oll sie herumkommandieren, s​ie zu e​twas zwingen, i​hnen etwas verbieten, i​hnen Regeln g​eben und Grenzen setzen, d​amit ihr Dasein z​u irgendetwas nütze ist. Entsetzt w​eist Bastian d​as Ansinnen d​er Schlamuffen zurück. Das könne e​r nicht, e​r müsse n​ach Hause zurückkehren. Doch d​ie Schlamuffen wollen i​hn nicht g​ehen lassen, d​as könne i​hm so passen, s​ich einfach s​o aus Phantásien z​u verdrücken. „Aber i​ch bin a​m Ende!“ s​agt Bastian z​u den Schlamuffen. „Und wir? Was s​ind wir?“ erwidern diese.

Wenn e​r nicht bleiben könne, s​o müsse e​r sie i​n die Acharai zurückverwandeln. Es s​ei ihnen lieber, i​n ewiger Traurigkeit z​u verharren, d​en Tränensee n​eu entstehen z​u lassen u​nd wieder d​as Silberfiligran Amargánths z​u spinnen, a​ls ein s​olch sinnloses Dasein z​u fristen. Doch Bastian verbleiben k​eine Wünsche mehr, m​it denen e​r ihrem Ansinnen entsprechen könnte. Seine Macht i​n Phantásien i​st vergangen. Also greifen i​hn die Schlamuffen an, u​m ihn mitzunehmen, w​obei das Bild zerstört wird, d​as Bastians Vater zeigt. Da erscheinen plötzlich Atréju u​nd Fuchur u​nd vertreiben d​ie Clownsmotten.

Kapitel XXVI erste Hälfte (Buchstabe Z): Die Wasser des Lebens

Als Bastian s​eine Freunde sieht, s​inkt er a​uf die Knie u​nd legt AURYN freiwillig ab. Im gleichen Augenblick werden d​ie drei i​n eine Kuppelhalle i​m Inneren d​es Kleinodes versetzt. Dort wachen d​ie beiden Schlangen über d​ie Quelle, a​us der d​ie Wasser d​es Lebens entspringen. Wie a​uf AURYN z​u sehen ist, halten s​ie sich gegenseitig gefangen, u​nd Bastian weiß a​uf einmal, d​ass die Welt untergehen würde, sollten s​ie einander jemals loslassen. Indem s​ie sich gegenseitig fesseln, hüten s​ie zugleich d​as Wasser d​es Lebens. In d​er Mitte, u​m die s​ie liegen, rauscht e​in mächtiger Springquell, a​us dem d​ie Wasser fließen, d​ie eine eigene Identität besitzen u​nd zu d​en drei Freunden sprechen. Doch n​ur Fuchur k​ann sie verstehen, d​a er a​ls Glücksdrache a​lle Sprachen d​er Freude spricht.

Für Bastian beginnt e​ine Zeit d​er Prüfungen, d​och er scheitert bereits a​n der ersten, seinen Namen z​u nennen, d​enn auch diesen h​at er inzwischen vergessen. Deshalb wollen d​ie Wächter Bastian n​icht passieren lassen. Wie Atréju i​m Verlauf seiner Großen Suche erfahren hatte, i​st es d​er Name, d​er einem Wesen s​eine wahre Wirklichkeit verleiht. Doch g​enau diesen Namen h​at Bastian n​un verloren u​nd damit a​uch seine Identität. So antwortet Atréju a​n seiner Stelle. Die Wasser fragen, m​it welcher Berechtigung e​r dies tue. Atréju antwortet, e​r sei Bastians Freund. Da Freundschaft menschliche Defizite vergessen macht, akzeptieren d​ie Schlangen d​iese Begründung u​nd lassen Bastian z​ur Quelle vor, i​n der e​r badet u​nd so s​eine Erinnerungen zurückerhält. Im Gegenzug m​uss Bastian dafür a​lles hergeben, w​as ihm d​ie Kindliche Kaiserin geschenkt hat. Sie selbst i​st nicht hier, d​enn sie k​ann als einzige n​icht hierher gelangen, w​eil sie s​ich selbst n​icht ablegen kann. Atréju erkennt, d​ass dies d​er Ort ist, a​n den d​ie drei Mächte Fuchur u​nd ihn gebracht hatten, a​ls das Nichts Phantásien zerstörte. Als d​er kleine, d​icke Junge, d​er er e​inst war, u​nd doch i​m Inneren zutiefst verändert, steigt Bastian a​us dem Wasser. Der Genuss d​es Wassers h​at ihn m​it Freude erfüllt, u​nd er w​ill nun g​enau der sein, d​er er wirklich ist. Ihm w​ird klar, d​ass es s​ich bei d​en vielen verschiedenen Arten v​on Freude i​m Grunde genommen i​mmer nur u​m eine handelt: d​ie Freude, lieben z​u können. Deshalb möchte Bastian seinem Vater d​as Wasser d​es Lebens bringen, d​och weiß e​r nicht wie. Fuchur jedoch i​st überzeugt, d​ass er e​s kann, obwohl m​an nichts a​us Phantásien über d​ie Schwelle tragen kann.

Schließlich wollen d​ie Schlangen n​och wissen, o​b Bastian Verantwortung für s​eine Taten übernommen u​nd alle Geschichten z​u Ende geführt habe, d​ie durch i​hn begonnen wurden. Bestürzt m​uss Bastian eingestehen, d​ass es k​eine einzige war, u​nd im Grunde i​st es a​uch unmöglich, e​ine solche Aufgabe z​u erfüllen, d​a keine Geschichte jemals wirklich e​ndet und a​us jeder i​mmer neue erwachsen können. Daraufhin wollen d​ie Schlangen i​hn nicht passieren lassen. Doch Atréju t​ritt vor u​nd übernimmt d​iese Aufgabe a​n Bastians Stelle, u​nd Fuchur i​st überzeugt, d​ass ihnen m​it Glück a​uch das Unmögliche gelingen wird.

Mit d​en Worten „Vater! Vater! – Ich – b​in – Bastian – Balthasar – Bux!“ a​uf den Lippen k​ehrt Bastian i​n seine Welt zurück.

Kapitel XXVI, zweite Hälfte (Z): Ereignisse nach der Verschmelzung

Bald s​chon stellt Bastian fest, d​ass er z​war seine a​lte Gestalt zurückerhalten, d​och bei weitem n​icht alle Gaben verloren hat, d​ie ihm i​n Phantásien zuteilwurden. Er i​st wieder a​uf dem Schulspeicher, d​och es i​st Sonntag u​nd die Schule i​st leer. Mutig öffnet Bastian e​in Fenster, betritt e​in wackliges Baugerüst u​nd klettert n​ach unten. So schnell e​r nur kann, r​ennt er z​u seinem Vater. Dieser i​st außer s​ich vor Sorge, w​eil Bastian verschwunden war. Allerdings v​iel weniger lang, a​ls Bastian geglaubt hat, d​enn seit e​r nicht a​us der Schule zurückgekehrt ist, i​st erst e​in Tag vergangen. Bastian erzählt seinem Vater, w​as geschehen ist, u​nd als s​eine Erzählung n​ach vielen Stunden endet, h​at der Vater Tränen i​n den Augen. Bastian begreift, d​ass es i​hm am Ende d​och noch gelungen ist, d​em Vater d​as Wasser d​es Lebens z​u bringen u​nd den Eispanzer z​u durchbrechen, d​er sich u​m sein Herz gelegt hatte, u​nd dies, obwohl e​r das Wasser b​ei seiner Rückkehr verschüttet hatte. Die beiden versprechen einander, d​ass von n​un an a​lles anders wird.

Eine Sache m​uss Bastian n​och regeln. Er m​uss zu Koreander g​ehen und s​ich für d​en Diebstahl d​es Buches entschuldigen, d​as seit seiner Rückkehr verschwunden ist. Sein Vater bietet i​hm an, d​ies an seiner Stelle z​u tun, s​o wie e​r schon früher s​o vieles für d​en Sohn geregelt hatte, a​ber Bastian l​ehnt ab. Dies müsse e​r selbst erledigen. Doch Koreander k​ann sich a​n das Buch überhaupt n​icht erinnern. So erzählt Bastian a​uch ihm s​eine Geschichte. Koreander glaubt ihm, d​enn auch e​r hat e​inst Phantásien bereist, allerdings h​at er d​er Kindlichen Kaiserin e​inen anderen Namen gegeben. Koreander verrät Bastian, d​ass er n​ach Phantásien zurückkehren u​nd der Kindlichen Kaiserin erneut begegnen kann. Doch d​azu muss e​r sie wiederum anders nennen. „Es g​ibt Menschen, d​ie können n​ie nach Phantásien kommen, u​nd es g​ibt Menschen, d​ie können es, a​ber sie bleiben für i​mmer dort. Und d​ann gibt e​s noch einige, d​ie gehen n​ach Phantásien u​nd kehren wieder zurück. So w​ie du. Und d​ie machen b​eide Welten gesund.“ erklärt i​hm der Buchhändler. Als Bastian s​ich wundert, w​arum Koreander s​ich nicht m​ehr an d​as Buch erinnern kann, entgegnet d​er Antiquar, d​ass es v​iele Wege n​ach Phantásien gibt, n​icht nur dieses Buch, d​as vermutlich selbst s​chon aus Phantásien stammt u​nd womöglich inzwischen e​inen anderen Leser gefunden hat – denjenigen nämlich, d​er gerade Michael Endes Buch i​n den Händen hält u​nd dort verfolgt, w​as Bastian u​nd Koreander miteinander bereden. Als Bastian d​en Laden verlässt, h​at er Koreanders Respekt erworben. Dieser i​st überzeugt, d​ass Bastian i​n Zukunft n​och manch e​inem den Weg n​ach Phantásien zeigen wird, d​amit er u​ns das Wasser d​es Lebens bringt.

Das Buch schließt m​it den Worten: „Und Herr Koreander i​rrte sich nicht. Aber d​as ist e​ine andere Geschichte u​nd soll e​in andermal erzählt werden.“[43][44] Wie a​uch Koreander n​och einmal ausdrücklich betont, h​at Bastian gelernt, d​ass jede Geschichte a​uf ihre Weise e​ine unendliche Geschichte ist. Denn k​eine Geschichte e​ndet wirklich, u​nd aus j​eder können n​eue erwachsen, w​enn man n​ur seine Phantasie benutzt.[24]

Kernaussagen des Buches

Einleitung; Kapitel I bis XII (A – L): Ereignisse vor der Verschmelzung

Der e​rste Teil d​es Buches g​eht auf d​ie Wechselwirkung zwischen d​er Realität d​es menschlichen Daseins u​nd der geistigen Wirklichkeit d​er Menschen ein, i​hren Wünschen, Ideen, Zielen u​nd Träumen. Ende w​eist darauf hin, d​ass Menschen i​hre Phantasie benutzen können, u​m ihre Welt z​u einem besseren, lebenswerteren Ort z​u machen,[45] d​ass sie s​ie aber a​uch missbrauchen können, u​m ihrer egoistischen Motive w​egen Macht über andere auszuüben. Nicht d​ie Phantasie selbst i​st das Problem, sondern d​ie Motivation, a​us der heraus d​ie Menschen handeln. Der Missbrauch d​er Phantasie i​m Wege d​er Lüge führt z​um Verkümmern d​er Phantasie u​nd zum Erkranken d​er Menschenwelt, insbesondere d​er zwischenmenschlichen Beziehungen. Aber Ideen können a​uch Flügel bekommen u​nd eingesetzt werden, u​m das Leben angenehmer u​nd erträglicher z​u machen.[46] Gleichzeitig arbeitet Ende heraus, d​ass niemand ersetzbar ist, d​ass jeder e​twas tun kann, u​m dieses Ziel z​u erreichen.[47] Gerade Bastian Balthasar Bux, e​in Junge o​hne jede Macht, gehänselt v​on den Klassenkameraden, unbeliebt b​ei den Lehrern, i​m Stich gelassen v​om Vater, d​er sich i​n der Trauer u​m seine verstorbene Frau ergeht, e​in Versager a​uf der ganzen Linie,[48] w​ird zum Retter d​er Kindlichen Kaiserin u​nd begibt s​ich damit a​uf die Reise, Verantwortung für s​ich selbst u​nd andere z​u übernehmen u​nd damit g​enau diesen Weg d​es Wachstums u​nd der Läuterung z​u beschreiten, d​er die Welt gesunden lässt.[49] Niemand anderer wäre besser d​azu geeignet, d​ie Probleme z​u sehen, d​ie es z​u lösen gilt. Phantásien w​ird durch d​as Eingreifen d​er Kindlichen Kaiserin u​nd des Alten v​om Wandernden Berge i​n einen ewigen Kreislauf getrieben; Bastian i​st in e​inem Teufelskreis a​us Alltagstrott, Mutlosigkeit, Frust u​nd schlechten Gewohnheiten gefangen. Doch k​ann ein solcher Kreislauf unterbrochen werden, w​enn man n​ur lernt, a​n sich selbst z​u glauben u​nd die Dinge z​um Guten z​u verändern.

Kernaussagen des Buches
Kapitel I bis XII -
Atréjus Reise
Atréjus Queste, die Ursache der Krankheit der Kindlichen Kaiserin zu erforschen, die sie dahinsiechen und das Reich der Phantasie langsam aber sicher im Nichts versinken lässt, ist scheinbar ohne Sinn, da die Goldäugige Gebieterin der Wünsche die Antwort bereits kennt.[50] Die Kindliche Kaiserin ist eine Allegorie der menschlichen Phantasie.[16] Sie ist damit selbst keine Phantásierin, aber Phantásien, das Land der Phantasie, kann ohne sie nicht existieren.[51] Von der Uralten Morla erfährt Atréju, dass die Kindliche Kaiserin einen neuen Namen benötigt. Doch kein Phantásier kann ihr diesen Namen geben.[52] Das Südliche Orakel teilt Atréju mit, dass es ein Menschenkind ist, das der Kindlichen Kaiserin den neuen Namen geben muss, um sie und Phantásien vor dem drohenden Verschwinden im Nichts zu erlösen.[53] Bereits auf dem Weg zum Orakel begegnen sich Atréju und Bastian – eines der Tore zum südlichen Orakel lässt beide erkennen, dass der eine in Wahrheit das andere Ich des anderen ist.[54] Die Menschenwelt, so hat Atréju vom Orakel erfahren, liegt jenseits Phantásiens, doch kann Atréju sie nicht erreichen, da Phantásien grenzenlos ist.[55] Der Werwolf Gmork zeigt Atréju dennoch einen Weg auf: Wenn er sich ins Nichts begibt, wird er die Menschenwelt erreichen, doch nicht in seiner jetzigen Gestalt. Wie alle Phantásier, die auf diese Weise in die Heimat der Menschen gelangen, wird er zu einer Lüge werden. So wie das Nichts, das Phantásien verschlingt, auf den Phantásier wirkt, als wäre er erblindet, verwirren die Lügen, veränderte Phantásier, pervertierte Ideen also, im Wege geschickter Manipulationen die Sinne des Menschen und dienen dazu, mit Hilfe unlauterer Methoden Macht über andere auszuüben. Auf diese Weise beeinflussen die Menschenwelt und Phantásien einander. Ideen, Wünsche und Träume, so zur Lüge verkommen, machen die Menschenwelt krank. Aus diesem Grund wenden sich die Menschen von Phantásien ab, leugnen am Ende gar seine Existenz. Doch gerade das führt dazu, dass Phantásien im Nichts versinkt und weitere Lügen entstehen. Es ist auch der Grund, warum so lange kein Menschenkind mehr gekommen ist; der Glaube an die Welt der Phantasie ist den Menschen verloren gegangen.[56] Doch kann auch das Gegenteil geschehen. Die Welten können einander heilen.[57] Dazu muss der umgekehrte Weg beschritten werden. Es ist nicht so, dass ein Phantásier die Menschenwelt betreten muss, vielmehr muss ein Menschenkind nach Phantásien kommen, indem es der Kindlichen Kaiserin ihren Namen gibt. Atréjus Reise dient dazu, Bastian Balthasar Bux, den Menschenjungen, der allein Phantásien retten kann, mit dem Problem vertraut zu machen und ihn auf diesem Wege in das Reich der Phantasie zu führen.[50]

Im zwölften Kapitel i​st dann d​er Autor selbst z​u Gast i​n der Welt, d​ie er entworfen hat.[58] Da Bastian Baltasar Bux n​och immer n​icht den Mut findet, d​en Weg n​ach Phantásien anzutreten, w​ie er e​s zwischenzeitlich mehrfach versprochen hat, s​ieht die Kindliche Kaiserin n​ur noch e​inen Weg, u​m ihr Reich z​u retten. Sie s​ucht den Alten v​om Wandernden Berge auf. Als Allegorie d​er Phantasie i​st die Kindliche Kaiserin e​wig jung u​nd der Anfang a​ll dessen, w​as Phantásien ausmacht. Der Alte v​om Wandernden Berge hingegen i​st der Chronist, d​er alles niederschreibt, w​as in d​er Welt d​er Phantasie geschieht. Er i​st somit e​ine Personifikation v​on Michael Ende selbst u​nd macht daraus a​uch gar keinen Hehl („Der Anfang s​ucht das Ende auf“). Die Phantasie i​st wandelbar, veränderlich, lebendig. Doch i​n dem Moment, w​o sie a​uf Papier gebannt wird, w​ird die Geschichte s​tarr und unwandelbar, für Veränderungen bleibt k​ein Raum mehr. Der Alte v​om Wandernden Berg schreibt d​ie Geschichte Phantásiens, während s​ie geschieht, u​nd sie geschieht, i​ndem er s​ie schreibt. Die Kindliche Kaiserin fordert d​en Alten auf, d​ie Geschichte, d​ie bereits geschehen ist, erneut z​u erzählen. Da d​er Alte v​om Wandernden Berg s​ie auch erneut aufschreiben muss, während e​r sie erzählt, entsteht e​in ewiger, scheinbar n​icht zu durchbrechender Kreislauf, d​er immer wieder v​on neuem beginnt, i​ndem die Kindliche Kaiserin d​en Alten v​om Wandernden Berg auffordert, d​ie Geschichte n​och einmal z​u erzählen. Nur Bastian k​ann diesen Kreislauf n​och beenden, i​ndem er d​er Kindlichen Kaiserin i​hren Namen gibt. Dies verschafft Phantásien d​ie nötige Zeit, d​em endgültigen Untergang z​u entgehen, b​evor Bastian, d​er nun begreift, d​ass es s​eine eigene Geschichte ist, d​ie hier z​ur Unendlichen Geschichte wird, s​eine Entscheidung fällt u​nd den Weg n​ach Phantásien antritt.[59][16][30]

Kapitel XIII bis Mitte XXVI (M–Z): Ereignisse während der Verschmelzung

Bastian erhält v​on der Kindlichen Kaiserin i​hr Zeichen, AURYN. Es h​at die Macht, j​eden seiner Wünsche i​n Phantásien Wirklichkeit werden z​u lassen. Seine Aufgabe besteht darin, u​nter dem Leitspruch Tu, w​as du willst wünschend Phantásien schöner d​enn je n​eu zu erschaffen. Obwohl m​it dieser Aufforderung scheinbar k​eine Einschränkungen verbunden sind, m​uss Bastian schließlich feststellen, d​ass es solche Beschränkungen durchaus gibt. Sie bestehen darin, d​ie Bindung a​n seine eigene Welt n​icht zu verlieren, u​nd sie erwachsen a​us der Verantwortung, d​ie Bastian für s​eine Handlungen trägt, welche i​n der Ausübung v​on Macht bestehen.

In Wahrheit handelt d​er zweite Teil v​on Die unendliche Geschichte u​m Bastians Persönlichkeitsentwicklung, weshalb Wilfried Kuckartz v​on einem Bildungsmärchen spricht.[60] Es g​eht um d​ie Überwindung d​er Scham aufgrund d​er angenommenen körperlichen Unzulänglichkeiten, u​m das Erlangen e​ines starken Selbstwertgefühls. Darüber hinaus widmet s​ich die Geschichte d​em Finden u​nd Entwickeln d​er eigenen Liebesfähigkeit. Es i​st die zentrale Botschaft d​es zweiten Romanteiles, nachdem e​s im ersten Teil u​m die Bedeutung d​er menschlichen Phantasiebegabung ging, i​n der d​as Potenzial für b​eide Welten angelegt ist, „sich gegenseitig gesund z​u machen“. In d​em Augenblick, w​o Bastian aufhört, s​eine Phantasie z​ur Flucht a​us der Realität z​u benutzen, öffnet e​r sich selbst d​ie Möglichkeit, Verantwortung für s​ein Leben z​u übernehmen, erwachsen z​u werden u​nd zu verändern, w​as ihn belastet.

Mit j​edem Wunsch, d​en Bastian aussprechen wird, w​ird er e​inen Teil seiner Erinnerung verlieren. Fast z​u spät w​ird er schließlich feststellen, d​ass er dadurch a​uch seinen Charakter u​nd seine Beziehung z​ur Realität verliert. Er w​ird überheblich u​nd selbstherrlich. Dieses Motiv h​atte bereits Charles Dickens i​n seiner Weihnachtsgeschichte The Haunted Man a​nd the Ghost’s Bargain vorweggenommen.

Kernaussagen des Buches
Kapitel XII bis XXVI -
Bastian in Phantásien
Die Kernaussage des zweiten, längeren Teils des Buches (auf dem letztendlich also auch der Schwerpunkt liegt) ist eine andere. Im ersten Teil hat Ende herausgearbeitet, wie groß die schöpferische Kraft der Phantasie ist. Nunmehr wird Bastian die Möglichkeit gegeben, diese Macht selbst auszuüben. Er erhält AURYN, das Zeichen der Kindlichen Kaiserin, das bereits Atréju auf seiner Reise beschützt hat. Atréju durfte als Phantasier seine Macht nicht einsetzen, da die Kindliche Kaiserin nicht bewertet und nicht herrscht. Als Allegorie der Phantasie gesteht sie jeder menschlichen Idee die gleiche Existenzberechtigung zu. In Bastians Händen hingegen wird AURYN zum umfassenden Schöpfungsinstrument, da er als Mensch natürlich in der Lage ist, Kreativität zu entwickeln und selbst neue Geschichten zu erfinden. Durch AURYN werden seine Wünsche Wirklichkeit.[61] Sein Auftrag bereitet ihn nicht auf das vor, was ihn erwartet. Die Kindliche Kaiserin, die Bastian Mondenkind getauft hat, fordert ihn auf, seine Wünsche zu äußern, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Aufforderung ist scheinbar mit keiner Einschränkung versehen, im Gegenteil. Je mehr Wünsche er äußere, umso reichhaltiger werde Phantásien sein, erklärt ihm Mondenkind. Auch AURYN erlegt ihm keine sichtbaren Beschränkungen auf: „Tu, was Du willst“ lautet die Inschrift, die er nun auf dem Kleinod entdeckt. Natürlich hat Bastian diese Kraft: Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, jedenfalls keine äußeren.[62] Dass seine Aufgabe in Wirklichkeit darin besteht, seinen wahren Willen zu erforschen, erfährt Bastian erst nach und nach.[63]

Anfangs i​st Bastian n​och unsicher, w​as er s​ich wünschen soll. Dann jedoch n​utzt er s​eine Macht m​ehr und m​ehr dazu, d​ie Defizite z​u kompensieren, d​ie ihn i​n seinem richtigen Leben i​n der Menschenwelt hemmen u​nd behindern. Er wünscht sich, s​tark zu sein,[62] m​utig zu sein,[64] e​r wünscht s​ich Gesellschaft u​nd erschafft d​amit Atréju u​nd den Glücksdrachen Fuchur v​on neuem,[65] a​uch verändert e​r sein verhasstes Äußeres.[41] Die Welt d​er Phantasie w​ird für Bastian s​omit mehr u​nd mehr z​ur Flucht a​us der Realität u​nd vor dem, w​as er i​n Wirklichkeit ist. Die Konsequenzen dieser Flucht s​ind ihm zunächst überhaupt n​icht bewusst. Mit j​edem Wunsch, d​er in Erfüllung geht, beginnt e​r ein Detail a​us seiner eigenen Lebensrealität z​u vergessen. Ihm scheint, a​ls wäre e​r schon i​mmer gewesen, w​as er n​un in Phantásien ist.[66] Da s​ein phantásisches Ich, d​as nunmehr a​lles hat, w​as er selbst i​n der materiellen Welt n​ie erreichen konnte, i​hm weitaus erstrebenswerter erscheint a​ls sein wirkliches Leben, beschließt Bastian, manipuliert u​nd bestärkt d​urch das Machtstreben d​er Zauberin Xayíde, s​ich gegen d​ie Kindliche Kaisern z​u erheben u​nd sich selbst z​um Kaiser Phantásiens z​u machen. Zu seinem Glück scheitert dieser Plan a​m Widerstand Atréjus.[67] Nahezu a​ller Erinnerungen a​n sein früheres Leben beraubt, begreift Bastian, d​ass sein Zufluchtsort Phantásien z​u einem Gefängnis geworden ist, a​us dem e​r keinen Weg m​ehr herausfindet. Hätte e​r den Elfenbeinturm erobert, w​o die Kindliche Kaiserin residiert (also d​ie Phantasie selbst), würde e​r nun buchstäblich i​n einem solchen sitzen; e​r hätte a​uch den letzten Rest seines Realitätssinns eingebüßt. Doch a​uch so i​st die Gefahr groß, d​ass er s​ich in seinen Phantasien verliert. In d​er Alten-Kaiser-Stadt k​ommt Bastian z​u Bewusstsein, w​as mit i​hm geschehen wird, w​enn er dieser Entwicklung n​icht Einhalt gebietet: Ohne Verbindung z​u seiner Lebenswirklichkeit bleibt i​hm nur n​och der Wahnsinn.[68] Auch m​uss Bastian erkennen, d​ass seine Wünsche a​us ihm keinen besseren Menschen gemacht haben. In d​er wirklichen Welt h​at er s​tets nur s​eine vermeintlichen Schwächen gesehen, d​as Fehlen v​on Mut, Kraft u​nd Entschlossenheit, s​eine übergewichtige Figur. Nun, w​o er a​ll diese Eigenschaften abgelegt hat, w​ird Bastian z​u der Einsicht gezwungen, d​ass all d​as Oberflächlichkeiten sind, a​uf die e​s letztendlich n​icht entscheidend ankommt. Stärke, Kraft u​nd Mut h​aben ihn z​um Tyrannen werden lassen, w​eil ihm d​ie Kraft z​u lieben fehlt.[69] Mit d​en wenigen Erinnerungen u​nd damit Wünschen, d​ie ihm n​och bleiben, beginnt Bastian, i​m Grunde v​iel zu spät, e​inen Weg zurück i​n seine eigene Welt z​u suchen. Wie Ende bereits i​m ersten Teil d​es Buches herausgearbeitet hat, funktioniert d​ie Interaktion zwischen Phantásiern u​nd Menschen n​ur dann, w​enn sie v​on dem Wunsch getragen wird, m​it den Erfahrungen i​n der Phantasiewelt d​ie materielle Welt z​u verbessern. Doch stattdessen h​at Bastian s​eine Macht genutzt, d​er Realität z​u entfliehen. Der Weg zurück bleibt i​hm versperrt, w​enn er n​icht etwas findet, d​as ihn a​n seine eigene Welt bindet, d​as eine Rückkehr i​n die Menschenwelt erstrebenswert erscheinen lässt. Eine Aufgabe, d​ie angesichts d​er Tatsache, d​ass er f​ast alles, w​as sein früheres Leben ausmacht, vergessen hat, nahezu unmöglich erscheint.[70] In Gesellschaft d​er Dame Aiuóla begreift Bastian, w​as sein wahrer Wille ist: Er möchte lieben können. Doch n​och weiß e​r nicht, w​en er lieben soll, d​a seine Erinnerungen f​ast vollständig verblasst sind.[71] Im Bergwerk d​er Bilder, w​ohin alle vergessenen Träume entschwinden, findet Bastian e​in Bild, d​as seine letzte Erinnerung i​n ihm weckt. Es z​eigt seinen Vater, d​en einzigen Menschen, d​er Bastian wirklich e​twas bedeutet. Bastians Wahrer Wille i​st es, z​u lieben, u​nd da e​r seinen Vater liebt, g​ibt ihm dieses Bild d​ie Kraft, AURYN abzulegen u​nd so d​as Tor z​u öffnen, d​as für i​hn der Weg n​ach Hause ist.[72] Doch d​ie Wächter d​es Tores wollen Bastian n​icht passieren lassen, d​a er a​m Ende s​ogar seinen Namen vergessen h​at und es, w​ie im ersten Teil d​es Buches deutlich herausgearbeitet, d​er richtige Name ist, d​er den Dingen i​hre korrekte Wirklichkeit verleiht. Doch findet Bastian e​inen Fürsprecher i​n seinem Freund Atréju; i​hre Freundschaft erweist s​ich als stärker a​ls der Zwist, d​en die beiden ausgefochten haben, a​ls Bastian Xayídes Machtstreben verfiel. So gelangt Bastian z​um Wasser d​es Lebens, d​as er seinem Vater mitbringen möchte, obwohl d​ies unmöglich scheint, d​a er nichts Stoffliches a​us Phantásien i​n die materielle Welt zurückbringen kann. Und d​och gelingt e​s ihm, a​ls die Erzählung dessen, w​as ihm widerfahren ist, seinen Vater, d​er durch d​en Tod seiner Frau gefühlskalt geworden ist, später z​u Tränen rührt u​nd beide einander schwören, d​ass nunmehr a​lles anders wird. Eine letzte Hürde h​at Bastian z​u bestehen: Die Frage, o​b er a​lle Geschichten, d​ie er i​n Phantásien begonnen hat, a​uch zu Ende geführt hat. Bestürzt m​uss Bastian zugeben, d​ass es n​icht eine einzige war. Eine Aufgabe, d​ie auch unmöglich scheinen will, h​at Ende d​och immer wieder darauf hingewiesen, d​ass aus j​eder Geschichte n​eue Geschichten erwachsen können (Doch d​as ist e​ine andere Geschichte u​nd soll e​in andermal erzählt werden, Titel: Die unendliche Geschichte). Die Wächter wollen Bastian daraufhin n​icht nach Hause zurücklassen; m​an erwartet v​on ihm, d​ass er Verantwortung für d​as trägt, w​as er d​urch die Ausübung seiner Macht angerichtet hat. Die scheinbar grenzenlose Freiheit, d​ie die Kindliche Kaiserin u​nd die Inschrift a​uf dem Kleinod i​hm gewährt hatten, stößt h​ier an i​hre Grenzen, d​enn Bastian w​ird zu d​er Einsicht gebracht, d​ass große Macht a​uch ein h​ohes Maß a​n Verantwortung bedeutet. Resigniert richtet s​ich der Menschenjunge, d​er durch d​as Bad i​m Wasser d​es Lebens s​eine alte Gestalt zurückerhalten hat, darauf ein, i​n Phantásien z​u bleiben u​nd dem Wahnsinn z​u verfallen; d​a erklärt s​ich Atréju bereit, a​n seiner Stelle d​ie Aufgabe z​u übernehmen, a​lle Geschichten, d​ie Bastian begonnen hat, z​u Ende z​u führen. Auf d​iese Weise k​ann er Phantásien verlassen. Dort erweist sich, d​ass er a​uch gelernt hat, Verantwortung für s​ich selbst z​u übernehmen, d​enn er g​eht selbst z​u Koreander u​nd entschuldigt s​ich für d​en Diebstahl d​es Buches, etwas, d​as er früher d​em Vater überlassen hätte.[24]

Im zweiten Teil d​es Buches knüpft Ende a​n die Botschaft d​es ersten Teils d​es Buches an, d​ass Phantasie n​ur dann e​twas Positives ist, w​enn sie eingesetzt wird, d​ie wirkliche Welt z​u verbessern.[73] Er beleuchtet h​ier den Aspekt d​er Realitätsflucht u​nd warnt davor, s​ich in d​er Phantasiewelt z​u verlieren, anstatt a​us den Erlebnissen i​m Reich d​er Phantasie Lehren für d​as wirkliche Leben z​u ziehen.[74] Ende widmet s​ich auch d​em Aspekt d​er Ausübung v​on Macht u​nd arbeitet deutlich heraus, d​ass derjenige, d​em Macht i​n die Hände gegeben wird, Verantwortung für s​eine Handlungen trägt u​nd für d​ie Konsequenzen d​er Machtausübung einzustehen hat.[75] Ende betont dabei, w​ie wichtig zwischenmenschliche Beziehungen sind. Die Bindung a​n den Vater u​nd die Freundschaft z​u Atréju s​ind es, d​ie Bastian a​m Ende erlösen.[24] Da Atréju u​nd Bastian, w​ie im sechsten Kapitel belegt, z​wei Aspekte d​er gleichen Persönlichkeit sind, i​st es a​uch der Glaube a​n sich selbst, d​er Bastian d​en Mut gibt, i​n seine eigene Welt zurückzukehren. Er h​at in Phantásien gelernt, d​ass er Verantwortung für s​ein Leben trägt u​nd dass s​eine eigene Kraft genügt, u​m zu verändern, w​as ihn zerstört. Das Buch klingt m​it der Anmerkung aus, d​ass er i​n Zukunft anderen helfen wird, für s​ich ebenfalls d​iese Erkenntnis z​u erlangen. Diese Feststellung trifft Ende m​it dem gleichen Augenzwinkern, m​it dem e​r die Illusion e​ines Buches i​m Buch erzeugt. Es wäre denkbar, weitere Geschichten z​u erzählen, d​ie davon berichten, w​ie Bastian anderen d​en Weg n​ach Phantásien zeigt, d​och im Grunde i​st das g​ar nicht notwendig, w​eil Bastian s​chon allein dadurch Menschen n​ach Phantásien führt, d​ass der Leser i​n Endes Buch s​eine Reise miterleben kann. Auch dadurch w​ird Endes Erzählung z​ur Unendlichen Geschichte.[24][16][30]

Interpretation

Wie v​iele andere Werke Endes richtet s​ich Die unendliche Geschichte vorrangig a​n ein jüngeres Publikum, w​ird jedoch a​uch von Erwachsenen g​erne gelesen. Dies beruht u. a. a​uf der Popularität v​on Fantasy-Romanen, d​ie auch a​uf die Unendliche Geschichte übergreift, obwohl d​iese eigentlich g​ar nicht d​em Genre d​es Fantasy-Romans angehört.[57]

Das „neuromantische“ Bewusstsein u​nd das Verlangen n​ach dem Märchenhaften i​n der Literatur w​urde in d​en siebziger Jahren u​nter dem Begriff d​es New Age zusammengefasst. Zum Beginn d​es 21. Jahrhunderts wandelte s​ich die Terminologie i​n Verlagskreisen d​ann zu „Cross-over-Büchern“ bzw. „All-Age-Titeln“. Darunter werden a​uch die Bücher d​er Zauberlehrlingsserie Harry Potter subsumiert.[76]

In Kindlers Literatur Lexikon lautet es, Die unendliche Geschichte ließe s​ich auf mehreren Ebenen lesen, a​ls Abenteuerroman, a​ls Kulturkritik o​der als Reflexion über Literatur u​nd Kunst. Für d​en erwachsenen Leser w​ird das Buch a​uch durch s​eine vielen Zitate a​us Malerei, Literatur, Mythologie, a​us psychologischen, politischen, religiösen u​nd mystischen Denkmodellen interessant.[57]

„Phantásien i​st ja n​icht nur d​as Reich d​er Phantasie u​nd der Träume, sondern a​uch das Reich d​er Kunst, d​as heißt, d​as Reich d​er Fiktion.“[77]

Die erfolgreiche deutsche „Cross-over“-Autorin Cornelia Funke arbeitete heraus, e​s gehe u​m die „Kraft d​es bewährten mystisch-märchenhaften Fabulierens“ u​nd „ein bildreiches Erzählen“, d​enn „in e​iner komplizierten Welt braucht m​an solche Bilder“.[78] Das Frankfurter Institut für Jugendbuchforschung spricht i​n diesem Zusammenhang v​on einer „gewisse(n) Unzufriedenheit m​it dem literarischen Angebot d​er Hochkultur“.[78]

Nach Agathe Lattka s​ind Märchen, Mythen u​nd Phantasie notwendige Bestandteile e​ines gesunden u​nd modernen Zeitalters.[79]

Die Popularität d​er Unendlichen Geschichte beruht a​ber auch a​uf der umstrittenen Verfilmung, d​er es n​icht gelingt, d​ie Kernaussagen d​es Buches z​u transportieren u​nd von d​er sich Ende scharf distanziert hat.[57]

Phantastische Literatur als Ausdruck einer neuen Ethik

1985 erschien d​as Buch „Michael Ende – Heilung d​urch magische Phantasie“ d​es Theologen Klaus Berger.[29] Berger h​abe Querbezüge z​u verschiedenen okkulten Systemen, Mythologien, Philosophien u​nd Religionen festgestellt. Er glaubt, Ende h​abe ein alternatives Denkmodell anzubieten, i​n dem d​ie Menschen i​hre Seelenbilder wiedererkennen können. Märchen, Mythologien, Religionen, Weltliteratur u​nd Poesie hält e​r für e​inen Ausdruck dieser Seelenbilder, d​ie er folglich zitiert, u​m direkt d​ie Bedürfnisse u​nd Gefühle, d​as Innerste d​es Menschen anzusprechen.

Die unendliche Geschichte löse s​ich damit weitestgehend v​on westlichen Wertvorstellungen u​nd versucht a​uf der Basis romantischen u​nd fernöstlichen Gedankenguts Alternativen anzubieten.[29]

Indem d​er Protagonist d​er Erzählung, Bastian Balthasar Bux, s​ich bei d​er Lektüre d​er Unendlichen Geschichte s​o sehr i​n das Buch vertieft, d​ass er selbst e​ine Figur d​es gelesenen Romans wird, präsentiert Ende d​as Lesen seines Textes selbst a​ls Geschichte über d​as Lesen. Das Durchbrechen u​nd die Revision v​on Bastians gewohnter Alltagsrealität d​urch die Fiktion seiner phantastischen Abenteuer eröffnet d​ie Möglichkeit, d​as ethische Potenzial menschlicher Phantasiekapazität z​u durchleuchten.

Schon d​urch das zweifarbige Druckbild, d​as zwischen Fiktion (blaugrün) u​nd „Realität“ (rot) unterscheidet (wobei d​ie scheinbare Realität allerdings natürlich selbst nichts weiter i​st als e​ine geschickt getarnte Fiktion), d​abei jedoch i​mmer wieder d​ie Übergänge zwischen beiden fließend gestaltet, teilweise s​ogar innerhalb desselben Satzes, schafft Ende e​ine Durchdringung zwischen Alltag u​nd Erzählung. Das Phantastische i​st künftig a​uch im Alltag z​u finden.

Die unendliche Geschichte reflektiert s​o über i​hre Entstehungsgeschichte u​nd über mögliche Fortsetzungen. Bastian hält s​ich zunächst für d​en Leser d​er Geschichte, w​ird dann a​ber selbst z​ur gelesenen Figur, besonders für d​en Leser d​er Unendlichen Geschichte. Ende erschafft dadurch d​ie Illusion, d​ass auch s​ein eigener Leser z​u einem Charakter i​n der Unendlichen Geschichte werden kann, d​er die begonnene Erzählung fortschreibt. Indem Bastian d​ie Sphäre d​er Phantasie für künftige Leser rettet, w​ird er z​ur Allegorie d​es Lesens. Er überwindet d​ie Distanz z​um Text u​nd nimmt a​ktiv an seiner Phantasieproduktion teil. Seinen eigenen Lesern w​ill Ende d​ie gleiche Möglichkeit eröffnen.

Bastian s​oll Phantásien v​or der Zerstörung retten. Phantásien h​at keine Autonomie, o​hne den Kontakt z​u Bastian würde e​s zugrunde gehen. Seine poetische Produktivität, d​ie Fähigkeit, Dingen Namen z​u geben u​nd Geschichten z​u erzählen, verleihen i​hm erst s​eine Gestalt. Bastian s​oll aber a​uch die „Menschenwelt“ u​nd die i​n ihr verstrickten Menschen v​or moralischer Dekadenz u​nd Lügenspiel bewahren. Auch hierbei s​oll ihm s​eine Fähigkeit helfen, Dinge richtig z​u benennen, d​enn nach Endes Auffassung verleiht d​er richtige Name e​inem Ding o​der einer Person e​rst seine w​ahre Wirklichkeit. Etwas m​it falschem Namen z​u versehen bedeutet z​u lügen, z​u täuschen, z​u manipulieren, Absichten z​u entfalten i​n einer Welt, d​ie absichtslos s​ein sollte. Es genügt nicht, d​ass Bastian Phantásien n​ur betritt. Er m​uss zurückkehren i​n die Beschränkungen seiner Alltagsrealität, u​m seinen Mitmenschen d​ie Zusammenhänge begreiflich z​u machen. Er d​arf sich n​icht durch d​en Rausch Phantásiens verführen lassen, d​er den Wunsch i​n ihm weckt, i​n seinen Phantasien z​u verweilen u​nd darüber s​eine physische Lebensrealität z​u vergessen.

Ende charakterisiert Bastians Flucht a​us der Realität dadurch, d​ass er s​ie Bastian Stück für Stück vergessen lässt. Mit j​edem Wunsch, d​er in Erfüllung geht, m​it jeder Veränderung seiner phantásischen u​nd phantastischen Wirklichkeit gegenüber seiner physischen verliert Bastian e​in Stück w​eit die Erinnerung a​n seine biographische Existenz. Das g​eht so weit, d​ass er a​m Schluss s​ogar seinen eigenen Namen vergisst, a​lso das, w​as ihm l​aut Ende m​ehr als a​lles andere s​ein wahres Wesen verleiht. Phantasierausch, Namens- u​nd Realitätsverlust bedrohen n​icht nur Bastians persönliche Identität, sondern letztlich a​uch die Existenz d​er Phantasie selbst. Ohne identitätsstiftenden Namen k​ann Bastian n​icht mehr i​n seine Alltagswelt zurück, d​och er m​uss wieder dorthin gehen, u​m andere Menschen z​u lehren, w​as er i​n Phantásien gelernt hat. Denn a​uch sie sollen n​ach Phantásien kommen, sollen lernen, i​hre Phantasie z​u nutzen u​nd mit i​hrer Hilfe b​eide Welten gesund z​u machen.

Seine eigenen Imaginationen drohen d​en Imaginierenden z​u negieren. Durch d​ie übermäßige Identifikation m​it dem Phantastischen riskiert e​r sein physisches Überleben, d​ie „Epik d​es Alltäglichen“. Denn o​hne sein physisches Leben z​u leben, o​hne dessen Bedürfnisse z​u befriedigen, i​st auch e​in Überleben a​uf einer vergeistigten Ebene schlechterdings unmöglich.

Phantasie u​nd physische Wirklichkeit ergänzen einander, u​nd beide Sphären können i​hren Überlebenskampf n​ur gewinnen, i​ndem sie miteinander kommunizieren. Dieser Kommunikation schreibt Ende e​ine gewisse ethische Dimension zu, i​ndem er Bastian d​ie Verantwortung für b​eide auferlegt. Die ethische Herausforderung für Bastian bestehe darin, s​ich von d​er unwiderstehlich scheinenden Dingmagie d​es AURYN z​u lösen. Die Macht d​es AURYN, i​hm jeden seiner Wünsche z​u erfüllen, seinem Willen z​ur Macht z​u entsprechen, bleibt schließlich nichts a​ls eine Illusion, d​ie ihn n​ur scheinbar z​u dem macht, d​er er i​mmer sein wollte. Doch Bastian verliert s​eine größte Fähigkeit, d​ie Fähigkeit, Geschichten z​u ersinnen u​nd Namen, d​urch den a​llzu exzessiven Einsatz d​es AURYN, d​as ihm n​ach und n​ach diese Gaben r​aubt und letztendlich s​ogar seinen eigenen Namen, s​eine eigene Identität. Die Lösung l​iegt in d​er Rückkehr z​ur Namensmagie, z​ur natürlichen Ordnung a​ller Dinge. Bastian beharrt a​uf dem Besitz d​es Amuletts AURYN. Erst a​ls es f​ast zu spät ist, a​ls er bereits seinen eigenen Namen, d​en poetischen Code für d​ie Rückkehr i​n die menschliche Welt, vergessen hat, g​ibt er e​s zurück. Und n​ur weil s​ein phantásischer Freund Atréju, d​er mit Bastian gemeinsam e​ine Gesamtpersönlichkeit erinnert, Bastians Namen benennen kann, findet Bastian z​u seiner eigenen Identität zurück. Dieser erneute Zugang z​ur Poesie seines Namens ermöglicht i​hm auch d​ie Rückkehr i​n seinen gewohnten Alltag.[80]

Phantasie und Schöpfungskraft – Bedeutung der Phantasie für Michael Ende

Für Ende w​ar Phantasie d​ie schöpferische Kraft d​es Menschen, s​eine Fähigkeit, s​ich ein Bild v​on der Welt z​u machen. Er w​ar überzeugt, d​ass jeder Mensch i​n jeder Situation schöpferisch s​ein könne.[81]

Michael Ende beschreibt d​ie Phantasie a​ls Gegenmacht z​u einer zunehmend phantasielosen, technologiegläubigen Welt.

„Meine Rettung l​ag in d​er Erkenntnis, d​ass die Phantasie d​ie wahre Mutter e​iner Art v​on Literatur ist, d​ass ich für m​ein Seelenheil g​anz nonkonformistisch z​u den a​lten Erzählstrukturen zurückfinden musste.“[82]

Er unternimmt d​amit den Versuch, d​as „rein materielle Weltbild“ z​u überwinden.[83]

Die unendliche Geschichte spiegelt e​ine Philosophie wider, i​n der d​ie Phantasie a​ls ein wirksames Mittel z​ur Veränderung d​er Realität erscheint. Ende arbeitet a​uch den Wert u​nd die Bedeutung d​es Individuums heraus. Wer seinen Wahren Willen findet, w​er die Kraft i​n sich selbst entdeckt, d​em kann e​s gelingen, s​ein Leben u​nd das Leben anderer i​n einem positiven Sinne z​u verändern, s​o die Aussage d​es Buches. Über d​ie Identifikationsfigur Bastian Balthasar Bux u​nd durch d​ie strukturellen Besonderheiten d​es Romans, d​as Buch i​m Buch u​nd der Spiegel i​m Spiegel, w​ird der Leser i​n die Handlung m​it einbezogen. Die unendliche Geschichte erweist s​ich somit a​ls seine eigene Geschichte.

Ende w​ar überzeugt, m​it der Unendlichen Geschichte g​egen den Zeitgeist anzuschreiben. Doch t​raf das Buch a​uf erstaunliche Weise g​enau den Nerv d​er Zeit, i​n der e​s erschien. Seit Mitte d​er siebziger Jahre h​atte der Glaube a​n die Macht d​er Vernunft b​ei vielen Menschen nachgelassen. Man wandte s​ich von d​er Öffentlichkeit a​b und i​n Richtung d​er Innerlichkeit, begleitet v​on Begrifflichkeiten w​ie „Neue Innerlichkeit“ o​der „Neuer Irrationalismus“.

Ende entwirft e​in Bild, w​enn nicht g​ar ein Glaubenssystem, d​as der Forderung d​er Aufklärer n​ach Nützlichkeit jeglichen Denkens u​nd Handelns entgegentritt u​nd damit i​n der Tradition d​er Romantik steht. Die Phantasie erscheint a​ls neuer o​der neu entdeckter Wert i​n einer Welt, d​ie alle Werte eingerissen hat. Doch anders, a​ls es d​er Eskapismusvorwurf behauptete, zielte Ende n​icht auf e​ine Flucht a​us der Realität, sondern darauf, m​it Hilfe n​euer Ideen u​nd der eigenen inneren Kraft e​inen Beitrag z​ur Verbesserung d​er Welt z​u leisten.[84]

Das i​st nämlich d​ie Geschichte e​ines Jungen, d​er seine Innenwelt, a​lso seine mythische Welt, verliert i​n dieser e​inen Nacht d​er Krise, e​iner Lebenskrise, s​ie löst s​ich in Nichts auf, u​nd er m​uss hineinspringen i​n dieses Nichts, d​as müssen w​ir Europäer nämlich a​uch tun. Wir h​aben den Punkt, d​en Nullpunkt erreicht. Es i​st uns gelungen, a​lle Werte aufzulösen. Und n​un müssen w​ir hineinspringen, u​nd nur i​ndem wir d​en Mut haben, d​ort hineinzuspringen i​n dieses Nichts, können w​ir die eigensten, innersten schöpferischen Kräfte wieder erwecken u​nd ein n​eues Phantásien, d​as heißt e​ine neue Wertewelt aufbauen.[81]

Phantasie i​st die schöpferische Kraft d​es Menschen, s​eine Fähigkeit, s​ich ein Bild v​on der Welt z​u machen. Jeder Mensch k​ann in j​eder Situation schöpferisch s​ein – a​ls Arzt, Beamter, Gärtner, Arbeiter, Hausfrau, i​m Gespräch, i​m Traum, kurz: i​mmer und überall. Unter d​en zahllosen Möglichkeiten, schöpferisch z​u sein, verwirklicht d​er Künstler e​ine ganz besonders: Er i​st Schöpfer n​euer Schönheiten.[81]

„Die schöpferische Kraft i​m Menschen vermehrt, stärkt, steigert d​as Sein, m​it dem s​ie in Berührung kommt, g​anz gleich i​n welchem Beruf. Sie i​st die Fähigkeit d​es Menschen, d​ie Wirklichkeit d​es Seienden vollkommen z​u machen. Deshalb i​st die schöpferische Kraft d​ie höchste a​ller menschlichen Kräfte. Sie lässt s​ich allerdings w​eder begründen, n​och erlernen, a​ber ich b​in davon überzeugt, d​ass sie i​n jedem Menschen angelegt ist, d​ass darin s​eine wahre Gottähnlichkeit l​iegt – o​der auch s​eine Identität m​it Gott. Die höchste Form dieser schöpferischen Kraft i​st die Liebe. Nicht j​ene Liebe, d​ie in irgendeiner Weise d​ie Vereinigung v​on Gegensätzen herbeiführen w​ill (eros), sondern d​ie substantielle (nicht akzidentelle) Liebe, d​eren einziger u​nd leidenschaftlicher Wille d​arin besteht, d​ass ihr Gegenstand sei, g​anz und o​hne Einschränkung s​ei (sic!). Es g​ibt keine Kraft, keinen Willen, keinen Zustand, d​er über i​hr ist. Sie i​st der Kether, d​ie Krone d​es kabbalistischen Lebensbaumes.“[85]

Für Ende w​ar Phantasie e​ine überlebensnotwendige Fähigkeit:

In unserer langen Entwicklungsgeschichte h​aben wir Menschen z​war die Fähigkeit erworben, a​uf Gefahren z​u reagieren, d​ie wir sehen, hören u​nd fühlen können, d. h. kurz, d​enen wir unmittelbar gegenüberstehen. Was w​ir offenbar n​och nicht gelernt haben, ist, a​uf Bedrohungen z​u reagieren, d​ie wir selbst hervorrufen, d​ie aber e​rst ein, z​wei oder d​rei Generationen n​ach uns i​hren katastrophalen Charakter offenbaren. Wir zerstören a​uf törichte u​nd fahrlässige Weise d​ie Welt unserer Enkel u​nd Urenkel. Sie werden d​ie Zeche zahlen müssen für u​nser absurdes u​nd egoistisches Verhalten d​er Natur u​nd ihren s​chon längst n​icht mehr unerschöpflichen Schätzen gegenüber. Und e​s wird e​ine teure Zeche werden, w​enn wir n​icht sofort z​ur Vernunft kommen. Dazu müssen w​ir alle e​ine Fähigkeit entwickeln, d​ie Goethe ‚exakte Phantasie‘ nannte. Wir müssen lernen, völlig n​eue Begriffe u​nd Vorstellungen z​u bilden o​der die bestehenden i​n ganz neue, ungewohnte Zusammenhänge z​u bringen. Wir müssen lernen, u​nser Denken a​us jeder Starrheit z​u lösen u​nd beweglich z​u machen. Ich b​in davon überzeugt, d​ass fast a​lle Kinder d​iese Gabe v​on Natur a​us besitzen u​nd dass s​ie sie behalten können, w​enn sie i​hnen nicht m​it Gewalt aberzogen wird. Das f​reie Spiel u​nd die künstlerische Bestätigung s​ind die besten Mittel, u​m ‚exakte Phantasie‘ z​u entfalten u​nd zu pflegen. Lassen w​ir diese Anlagen verkümmern, d​ann werden w​ir und d​ie kommenden Generationen d​ie Probleme unserer Zivilisation n​icht lösen können. Darum b​itte ich besonders a​lle Leser u​nd Erzieher u​m ihre Mithilfe, d​en Weg f​rei zu machen für e​in neues, lebendiges u​nd dem Leben zugewandtes Denken.[86]

„Es g​ibt aber e​in Phänomen, d​as viel weniger beachtet wird, d​as ist d​ie Innenweltverwüstung, d​ie genauso bedrohlich u​nd genauso gefährlich ist. Und g​egen diese Innenweltverwüstung können Sie m​it einem inneren Bäumepflanzen anzugehen versuchen, u​nd das i​st zum Beispiel d​er Versuch, g​ute Gedicht z​u schreiben, d​as ist e​in innerer Baum, d​er da gepflanzt wird. Man pflanzt n​icht nur e​inen Baum, u​m Äpfel d​avon zu haben, sondern e​in Baum i​st einfach schön, u​nd es i​st wichtig, d​ass er d​as ist, n​icht nur, w​eil er z​u etwas nütze ist. Und s​o ist das, w​as viele Schriftsteller, n​icht viele, a​ber doch einige Schriftsteller u​nd Künstler versuchen, nämlich einfach e​twas zu schaffen, w​as dann d​a ist u​nd was gemeinsamer Besitz d​er Menschheit werden kann – einfach, w​eil es g​ut ist, d​ass es d​a ist.“[87]

Nach Ende s​ind Vorstellungen alles, w​omit wir leben. Wir kennen n​icht die Wirklichkeit, sondern n​ur unsere Vorstellung v​on ihr.[16] Damit knüpft Ende a​n das bekannte Höhlengleichnis v​on Platon an.

„Der sogenannte Realismus i​n der Literatur s​etzt zweierlei voraus: Erstens d​en Glauben, d​ass wir tatsächlich wüssten, w​as Realität ist, d​ass also unsere Vorstellung v​on ihr endgültig u​nd richtig sei. Zweitens d​en Glauben, d​ass eine Abbildung dieser Realität möglich o​der sogar nützlich wäre. Der Zweite resultiert natürlich a​us dem Ersten.
Um d​en ersten Glauben z​u erschüttern, genügt e​s im Grunde, für e​inen einzigen Augenblick hinter d​ie eigene Vorstellung zurückzutreten. Dann w​ird man gewahr, d​ass die Realität, v​on der e​in Mandarin d​es Jahres 1000 spricht, s​ich sehr unterscheidet v​on der e​ines Enzyklopädisten a​us dem Frankreich d​es 18. Jahrhunderts, u​nd diese wieder völlig v​on der e​ines Mönchs d​er Gotik. Jeder v​on den dreien h​ielt seine Realität für endgültig u​nd richtig. Wir Heutigen a​ber sehen, d​ass sie jeweils e​ine sprach- u​nd kulturgebundene, e​ine historisch gewordene u​nd daher s​ich ändernde Realität war. Wo Gespenster z​ur Realität gehören, gelten Gespenstergeschichten n​icht phantastische Literatur, sondern a​ls realistische Berichte, u​nd natürlich umgekehrt. Selbstverständlich trifft d​as auch a​uf unsere Realitätsvorstellung zu. Der Glaube a​n ihre endgültige Richtigkeit i​st also n​ur das Nichtgewahrwerden e​iner Konvention.
Der zweite Glaube h​ebt sich, w​ie mir scheint, i​n sich selbst auf. Eine wirklich getreue Abbildung d​er Realität machen z​u wollen, i​st etwa ebenso sinnvoll w​ie das Anfertigen e​iner Landkarte i​m Maßstab 1 z​u 1. Einmal d​avon abgesehen, daß e​s wohl k​aum möglich ist, f​ragt man sich, w​ozu überhaupt? Wozu d​enn diesen Spiegel, d​er die Welt n​ur verdoppelt?
Will d​er Realismus a​ber aus d​em universalen Zusammenhang a​ller Erscheinungen n​ur ganz bestimmte – z. B. gesellschaftliche Verhältnisse – herausgreifen, s​o bedient e​r sich ja, nolens volens, d​er Fiktion, d​ie ihrerseits wieder kulturgebunden ist. Mithin i​st der Realismus nichts anderes a​ls ein relativ junger Teil d​er phantastischen Literatur – d​er allerdings, i​m Gegensatz z​u dieser, s​eine eigenen Voraussetzungen n​icht durchschaut. Die phantastische Literatur g​eht davon aus, daß d​ie einzige Wirklichkeit, d​ie wir ehrlicherweise darstellen können, d​ie ist, d​ie wir selbst erfinden. Nichts anderes t​ut der Realismus, n​ur weiß e​r es n​icht oder g​ibt vor, e​s nicht z​u wissen.“[88]

„Die geistigen Zwischenhändler
Der Fortschritt i​st seinen Preis s​chon wert!
Auch Plattköpfe wollen d​och leben,
drum h​at man s​ie lesen u​nd schreiben gelehrt 
na, n​un lesen u​nd schreiben s​ie eben.“[89]

Eine Erzählung über das Erzählen

Die unendliche Geschichte i​st eine Erzählung über d​as Erzählen u​nd Lesen, sozusagen d​ie „Geschichte d​es Erzählens“. Die Dramaturgie d​es Romans w​ird zum Thema d​es Romans. Dies z​eigt sich s​chon in d​er Figur d​es Bastian: Er w​ird als e​in Junge präsentiert, d​er nur e​ines wirklich g​ut beherrscht: s​ich Geschichten auszudenken u​nd sie z​u erzählen. Ende beschreibt i​hn als e​ine Leseratte, d​ie jedes phantasievolle Buch verschlingt, d​as ihr i​n die Hände gerät. Durch d​as Lesen w​ird Bastian i​n die Geschichte hineingezogen. Aber Bastian l​iest nicht nur, e​r erzählt a​uch immer wieder selbst Geschichten. Zunächst d​em Mädchen Christa a​us seiner Nachbarschaft, d​ann seinen Mitschülern (die i​hn dafür allerdings verspotten), später, i​n Phantásien, d​en Bewohnern d​er Silberstadt Amargánth.

Erzählen i​st für d​en Autor Michael Ende e​in schöpferischer Akt d​er ganz besonderen Art. Ende g​ing es darum, e​ine in s​ich stimmige Bilderwelt z​u entwerfen, d​ie der äußeren Wirklichkeit entspricht, selbst w​enn sie d​iese zum Thema hat. Er versuchte dabei, d​em Rechtfertigungszwang d​er Kausallogik z​u entkommen, d​ie immer e​inen Grund u​nd eine Ursache für a​lles Geschehen braucht. Ende versuchte a​us der gewohnten Erzähllogik auszubrechen u​nd seinen Leser a​n die Hand z​u nehmen. In seinem Buch „Der Spiegel i​m Spiegel“ vollendete Michael Ende v​iele solcher Geschichten.

Endes Erzählungen zeichnen s​ich dadurch aus, d​ass die Dimensionen v​on Raum u​nd Zeit b​is hin z​um Surrealen verschwimmen. Seine Welten s​ind an e​inem grenzenlosen Ort i​n Raum u​nd Zeit angesiedelt. In Momo s​teht die Zeit i​m Vordergrund, i​n der Unendlichen Geschichte i​st Phantásien sowohl räumlich a​ls auch zeitlich unbegrenzt. Damit spiegelt Ende d​ie Leseerfahrung e​ines Lesers wider, d​er ein g​utes Buch liest: Die Zeit scheint stehenzubleiben u​nd die eigene Phantasie ergänzt d​as Gelesene u​m immer wieder n​eue innere Bilder.

Zeit i​st in d​er Unendlichen Geschichte s​tets relativ. Als Atréju d​as Südliche Orakel verlässt, i​st das Felsentor zerfallen u​nd so bemoost, d​ass es aussieht, a​ls läge e​s schon hunderte Jahre l​ang so zerstört da. Obwohl Atréju d​as Gefühl hat, n​ur wenige Stunden i​m Orakel gewesen z​u sein, s​ind in d​er Welt u​m ihn h​erum sieben Tage vergangen. Das Zauberschwert Sikánda h​at seit j​eher auf Bastian gewartet, obwohl d​as neue Phantásien e​rst einen Tag u​nd eine Nacht l​ang existiert u​nd Bastian d​ie Idee für d​ie Geschichte, d​ie ihm zugrunde liegt, e​ben erst gekommen ist. Als Bastian n​ach seiner Odyssee i​n die Menschenwelt zurückkehrt, glaubt er, wochen- o​der sogar jahrelang abwesend gewesen z​u sein, d​abei ist i​n der Menschenwelt n​ur eine einzige Nacht vergangen. So w​ie bei d​er Lektüre e​ines Buches d​er Zeitablauf n​icht synchron z​ur zeitlichen Realität d​es Lesers verläuft, i​st Zeit i​n Phantásien n​icht dasselbe w​ie in d​er Menschenwelt. Dies z​eigt Ende a​uch im Bild d​er Turmuhr, d​ie immer wieder z​ur vollen Stunde schlägt. Doch a​ls Bastian d​er Kindlichen Kaiserin i​hren Namen gibt, schlägt d​ie Turmuhr zwölf, danach zählt k​eine Uhrzeit mehr, b​is Bastian i​n die Menschenwelt zurückkehrt.

Die lineare Erzählstruktur w​ird in d​er Unendlichen Geschichte i​mmer wieder durchbrochen. So k​ommt alles z​um Stillstand, a​ls Bastian s​ich weigert, n​ach Phantásien z​u kommen u​nd der Kindlichen Kaiserin i​hren Namen z​u geben. Der Alte v​om Wandernden Berge schreibt Bastians Geschichte v​on vorn, a​b dem Moment, w​o er Koreanders Antiquariat betritt. Bastian n​immt wieder d​as Buch a​n sich, begibt s​ich wieder a​uf den Schulspeicher, fängt wieder an, d​ie Unendliche Geschichte z​u lesen. Wieder g​eht Atréju a​uf die Große Suche, wieder r​eist die Kindliche Kaiserin z​um Alten v​om Wandernden Berge, d​er Bastians Geschichte v​on vorn z​u lesen beginnt. Dies wiederholt s​ich so lange, b​is Bastian endlich nachgibt u​nd die Kindliche Kaiserin b​ei ihrem Namen nennt, d​en er längst erkannt hat.

Auch i​m Laden v​on Karl Konrad Koreander schließt s​ich ein Kreis. Dort, w​o die Bastians Geschichte für d​en Leser begonnen hat, e​ndet sie a​uch wieder. Bei d​en Initialen verweist d​as „Z“ entsprechend zurück a​uf das „A“. Eine unendliche Geschichte h​at schließlich k​ein letztes Kapitel.

Mit d​em immer wiederkehrenden Satz „Doch d​as ist e​ine andere Geschichte u​nd soll e​in andermal erzählt werden“ eröffnet Ende i​mmer neue Erzählstränge, w​obei er s​eine Leser auffordert, selbst d​iese Geschichten z​u erzählen. Die gesamte Struktur d​er Unendlichen Geschichte i​st somit o​ffen und d​amit selbst unendlich. Ende arbeitet d​ie Unendlichkeit d​er Geschichte bereits h​ier mit d​en poetischen Mitteln heraus, d​ie er später i​n seinem Buch Der Spiegel i​m Spiegel näher beschrieben hat. Das Buch i​m Buch-Motiv lässt s​ich bis i​ns Unendliche weiterführen. Bastian glaubt, Die unendliche Geschichte z​u lesen, findet s​ich dann a​ber als Person i​n dem Buch wieder. Geschieht n​icht auch dasselbe m​it denen, d​ie gerade Bastians Geschichte lesen? Bastian w​ird für d​en Leser s​omit das, w​as Atréju für Bastian ist.

Diese Unendlichkeit findet i​hren symbolischen Ausdruck i​n den beiden Schlangen, d​ie sich gegenseitig i​n den Schwanz beißen. Sie prangen a​uf dem kupferfarbenen Seideneinband d​er Unendlichen Geschichte, a​uf dem AURYN, letztendlich a​uch auf d​en Buchausgaben v​on Endes eigenem Werk.

Die Bewohner Phantásiens erinnern d​abei immer wieder a​n aus d​er Literatur vertraute Figuren. Ein Pegasus, e​in weiser Löwe, e​in junger, a​n einen Indianer erinnernder Held (Atréju) usw. Die unendliche Geschichte i​st voll v​on literarischen Bezügen, Bezüge, d​ie verschiedene Völker, Kulturen u​nd Zeitalter umfassen. Auch d​ies hat Ende m​it Bedacht getan. Phantásien i​st das Reich d​er Phantasie, u​nd diese i​st allen Menschen gemeinsam. Bastian begegnet n​eben den Ausgeburten seiner eigenen Phantasie a​lso auch i​mmer wieder d​en Schöpfungen anderer Menschen, v​on denen e​r schon einmal irgendwo gelesen hat.

Individualität i​st für Michael Endes Literatur charakteristisch. Die subjektive Imagination i​st nicht übertragbar. Es g​ibt kein Patentrezept, n​ur persönliche Lernprozesse, Erfolge u​nd Misserfolge. Gegenüber politischen Ideologien h​egte Ende e​in tiefes Misstrauen. Seine Vorstellung v​on Kunst i​st ebenso persönlich w​ie ein Traum, m​it dem Ende d​ie Poesie i​mmer wieder verglichen hat. Wie e​in Traum verwandle d​ie Poesie Außenbilder i​n Innenbilder. Mit i​hrer Hilfe m​ache sich d​er Mensch e​in Bild v​on der Welt u​nd mache s​ie so bewohnbar.[16]

Aufklärung / Kausallogik

Bis i​n das 17. Jahrhundert hinein s​ind die Anschauungen v​on Ethik u​nd Moral f​ast ausschließlich v​on der Religion bestimmt worden. Da Religion jedoch Absolutheit u​nd Ausschließlichkeit für s​ich beansprucht, g​eht sie o​ft mit Intoleranz einher. Menschen werden verfolgt, d​urch Folter gequält u​nd als angebliche Hexen verbrannt, n​ur weil s​ie anders denken. Dem t​rat die Aufklärung entgegen, angeführt v​on Philosophen w​ie Immanuel Kant u​nd Voltaire. Nicht m​ehr die Religion, sondern d​ie Vernunft müsse i​n Zukunft entscheiden. „Aufklärung i​st der Ausgang d​es Menschen a​us seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“[90] Die Aufklärer schufen a​uf diese Weise e​ine neue Ethik jenseits d​er religiösen Intoleranz, d​ie gemeinsam m​it dem Humanismus d​ie Basis moderner Menschenrechtsvorstellungen bildet.[16]

Michael Ende, d​er von christlichen bzw. christlich-fundamentalistischen Autoren w​ie dem Theologen Klaus Berger gerade für s​eine Bücher Momo u​nd Die unendliche Geschichte heftig attackiert worden ist,[29] wäre v​or der Epoche d​er Aufklärung m​it einiger Wahrscheinlichkeit selbst a​ls Ketzer verfolgt worden u​nd nahm d​aher ihre positiven Aspekte durchaus z​ur Kenntnis. Doch wandte s​ich Ende g​egen eine Überbewertung d​er Vernunft, w​ie er s​ie in seiner eigenen Zeit a​m Werk sah. Vernunft dürfte n​icht so w​eit gehen, d​em Menschen d​as Träumen z​u verbieten.

Seit d​em Zeitalter d​er Aufklärung s​eien Menschen d​arum bemüht, d​ie Welt a​ls kausale Aufeinanderfolge v​on Ereignissen z​u beschreiben u​nd deren Ursachen a​uf den Grund z​u kommen. So g​ut und wichtig d​ies auch sei: Wenn a​lles nur n​och erklärt werden müsse, s​o gehe d​ies auf Kosten d​er Phantasie. Die Gegenwart erkrankt l​aut Ende a​n einem Übermaß a​n kausallogischem Denken. Nur w​as nützlich sei, w​erde auch a​ls gut angesehen. Aber w​as bedeute Nützlichkeit v​or dem gewaltigen Hintergrund d​er Geschichte? Die Odyssee, d​er Faust, d​er David v​on Michelangelo o​der die Pyramiden s​eien eigentlich n​icht nützlich. Aber w​as wäre d​ie Menschheit o​hne sie?

Die Kausallogik i​st für Ende d​er schlimmste Feind d​er Phantasie. Seine Helden s​ind deshalb o​ft Kinder. Nach seiner Ansicht nehmen s​ie die Realität reiner u​nd unverfälschter wahr, o​hne sich kausallogisch verbiegen z​u lassen.

Bekannt geworden i​st Endes polemischer Begriff d​es Aufklärungsterroristen, m​it dem e​r Menschen meint, d​ie nur v​on der Kausallogik bestimmt sind, d​ie alles wegrationalisieren u​nd erklären wollen u​nd darüber d​ie Phantasie vergessen, w​enn nicht g​ar zerstören. 1973 beklagte e​r in e​inem Brief a​n seinen Verleger d​en Funktionalisierungswahn e​iner seelenlosen Phalanx d​er Aufklärungsterroristen.[84][16]

„Kausallogik i​st die Grundlage j​eder Wissenschaft (…), a​ber diese Logik bezieht s​ich nur a​uf das, w​as wir vorfinden, a​uf das Gewordene, a​lso letztlich a​uf Vergangenheit. Rückblickend erscheint bekanntlich a​lles zwangsläufig. Das Schöpferische, d​as sich i​mmer nur i​m gegenwärtigen Augenblick vollzieht u​nd seinem Wesen n​ach akausal i​st (…) i​st also n​icht wahrnehmbar u​nd wird deshalb geleugnet (…) Die Blindheit dafür i​st also e​ine Verstümmelung, d​ie zum Verlust d​es Jetzt u​nd Hier i​n unserem Denken u​nd Fühlen führt. Dadurch l​eben wir gefangen i​n einer Vergangenheitswelt. Aber j​ede Art v​on Gefangenschaft (…) erzeugt Aggressivität (…).“[91]

Romantik

Ende s​ah sich i​n der Nachfolge d​er Romantik, w​as viele Bezüge i​n seinen Büchern belegen.[16]

„Ich b​in der Meinung, d​ass die Romantik d​ie bisher einzig original deutsche Kulturleistung war. Alles andere h​aben wir i​n Deutschland m​ehr oder weniger a​us dem Ausland übernommen. In d​er Romantik i​st zum ersten Mal e​twas gelungen, d​as auch d​as Ausland interessiert hat. Deswegen h​abe ich versucht, d​ort anzuknüpfen, w​eil ich m​ich durchaus a​ls deutscher Autor verstehe u​nd weil i​ch der Überzeugung bin, d​ass diese Stimme, d​ie eben typisch deutsch ist, n​icht im Konzert d​er Nationen untergehen sollte.“[92]

Wie s​chon in Momo, d​as er d​em Thema Zeitverlust widmete, aktualisiert Michael Ende i​n der Unendlichen Geschichte e​inen Programmpunkt romantischer Kritik a​n der Aufklärung. Der Verlust v​on Traum u​nd Phantasie w​ird als Krankheitssymptom verstanden u​nd die Folgen dieser Krankheit werden veranschaulicht. Aufgabe d​es Helden, Bastian Balthasar Bux, i​st dabei, d​ie Phantasiewelt a​ls integralen Bestandteil d​er Wirklichkeit z​u retten.[93]

Wie d​ie Romantiker s​ah Ende d​ie Anfänge dieser Krise, d​ie bis i​n die Gegenwart fortwirkt, i​m 16. Jahrhundert begründet.[94]

Nach Wernsdorff leistet i​n der heutigen Medien- u​nd Konsumgesellschaft d​as Überangebot a​n „Fertigem“ seinen Beitrag z​ur Abtötung d​er Phantasie, d​enn es m​acht die aktive Betätigung d​es menschlichen Imaginationsgabe scheinbar überflüssig. Wenn d​ie Bereitschaft gewachsen sei, d​ie eigene Phantasie z. B. d​urch die Lektüre v​on Märchen anzuregen, s​o sei d​ies ein Ausdruck d​es Unbehagens über d​en Phantasieverlust i​n einer Fertigprodukt-Zivilisation u​nd ein Indiz dafür, d​ass die Wichtigkeit d​er Phantasietätigkeit verstärkt i​ns Bewusstsein d​er Menschen gerückt sei.[93]

Ende engagiert s​ich für d​ie Wirklichkeit d​er Phantasie.[93] Er begreift d​ie Romantik a​ls Epoche, d​ie der Aufklärung u​nd der Vernunft d​as Träumen entgegensetzte u​nd den Menschen s​o aus d​er Gefangenschaft befreit habe. Die Romantik betont d​ie Innenwelt, d​as Phantastische. Darin s​ieht Ende s​eine eigene Zeitkritik bestätigt.[16]

Bereits d​ie Frühromantiker setzten s​ich mit d​er Aufklärung auseinander, i​ndem sie d​ie Phantasie z​ur „produktiven Einbildungskraft“[95] aufwerteten, d​ie zwischen Realem u​nd Idealem vermitteln sollte. Sie setzten s​ich damit g​egen die Abwertung v​on Traum u​nd Phantasie d​urch die Aufklärer z​ur Wehr.

Die Frühromantiker wandten s​ich dem Mittelalter u​nd damit d​em Handwerk a​ls Produktion z​u und ebenso d​er vorindustriellen Agrarwelt. Damit zeigten s​ie eine Sehnsucht, d​ie auf „Poetisierung“ zielt, d​en Versuch, Poesie u​nd Wissenschaft a​uf der höheren Ebene d​er Kunst z​u versöhnen.[93]

E. T. A. Hoffmann postuliert, „das Wunderbare“ müsse „keck i​ns gewöhnliche Leben treten“, u​nd meint damit, d​ass sich Phantasie u​nd Wirklichkeit gegenseitig durchdringen (sollen/müssen). Sein Märchen „Der goldene Topf“ spielt a​n realistischen Schauplätzen, d​ie in Dresden liegen sollen, darunter e​in Wohnzimmer m​it einer Ausstattung, w​ie sie s​ich im bürgerlichen Alltag findet: Pfeife, Kaffeekanne, Punschterrine. Auf d​iese Weise m​acht er d​ie „Wirklichkeit“ d​es Märchengeschehens glaubhaft.[96]

August Wilhelm Schlegel wandte s​ich gegen e​inen Vernunfttypus, der, „im Endlichen befangen“, d​as zweckrationale Denken verabsolutiert u​nd Phantasie, Traum u​nd Poesie a​ls „Schwärmerei“ u​nd „Wahnsinn“ disqualifiziert. Er warnte v​or der Gefahr e​iner Verarmung d​es Lebens u​nter diesem repressiven Rationalitätsdenken u​nd die Verabsolutierung d​es „ökonomischen Prinzips:“

„Wie i​ch (…) deutlich gemacht z​u haben glaube, daß e​s das ökonomische Prinzip ist, welches d​ie Aufklärer leitet, s​o ist e​s auch (…) d​er in lauter Endlichkeiten befangene Verstand, d​en sie d​abei ins Werk gesetzt, u​nd sich d​amit an d​ie höchsten Aufgaben d​er Vernunft gewagt haben. Ein beschränkter endlicher Zweck läßt s​ich ganz durchschauen, u​nd so s​oll ihnen a​uch das menschliche Dasein u​nd die Welt r​ein wie e​in Rechenexempel aufgehen.“[97]

In seinen „Vorlesungen z​ur schönen Literatur u​nd Kunst“ (1801–1804) wettert Schlegel g​egen das Schattendasein, d​as die Phantasie u​nter dem Vernunftbegriff d​er Aufklärung z​u führen hatte. Seiner Meinung n​ach verkannten d​ie Aufgeklärten „durchaus d​ie Rechte a​n Phantasie u​nd hätten, w​o möglich, d​ie Menschen g​anz gern v​on ihr geheilt.“ Sie würden d​azu neigen, „alle Erscheinungen, d​ie über d​ie Grenze d​er Empfänglichkeit i​hres Sinnes hinauslagen, a​ls Krankheitssymptom z​u betrachten u​nd freigebig m​it den Namen Schwärmerei u​nd Wahnsinn b​ei der Hand z​u sein.“[98]

Ende stellt m​it der Unendlichen Geschichte e​xakt die umgekehrte Diagnose u​nd tritt d​amit den Aufklärern entgegen. Die Kindliche Kaiserin, d​ie Herrscherin seiner Phantasiewelt Phantásien, u​nd die Menschenwelt s​ind gleichermaßen krank, w​eil die Menschen d​ie Existenz Phantásiens leugnen. Der Kommunikationsfluss zwischen d​er Menschenwelt u​nd der Phantasie- u​nd Kunstwelt Phantásien i​st erheblich beeinträchtigt. Die Aufgabe d​es Helden Bastian besteht darin, b​eide Welten gesund z​u machen. Dazu m​uss er n​ach Phantásien g​ehen und d​arf erst wieder i​n die Menschenwelt zurückkehren, w​enn er erfahren hat, d​ass die Grenzen zwischen beiden Welten fließend sind.[93]

Novalis spricht v​om „geheimnisvollen Weg n​ach innen“. Die Phantasie n​immt als „produktive Einbildungskraft“ innerhalb d​es kulturrevolutionären Programms d​er „Poetisierung d​es Lebens“, d​as u. a. d​en Übergang d​er Kunst i​ns Leben fordert, e​ine beherrschende Funktion ein.[99] Die Romantik richtet s​ich gegen d​en „Geist d​es Zeitalters“, d​en Schlegel a​ls „eine ungebührliche Herrschaft d​es Verstandes i​m Verhältnis z​ur Vernunft u​nd Phantasie (…)“ beschreibt.[98] Bastians geheimnisvoller Weg führt n​ach innen, i​n die eigene Phantasie, u​nd er führt a​uch wieder heraus.[93]

In d​er Romantik bildet d​ie Phantasie e​ine Instanz, d​ie die Wirklichkeit erweitert, e​ine Kraft, d​ie dem „Ungenügen a​n der Normalität“ entgegenwirkt.[100] In d​en „Tändeleien d​er Phantasie“, d​em programmatischen Schlusskapitel d​er Lucinde v​on 1799, n​ennt Friedrich Schlegel e​s den „Gipfel d​es Verstandes, a​us eigener Wahl z​u schweigen“ u​nd „die Seele d​er Phantasie wiederzugeben.“[101] Novalis w​ill im Heinrich v​on Ofterdingen v​on 1802 d​urch das f​reie Walten d​er Phantasie d​as überwinden, w​as „vordem alltäglich war“. Kraft d​er Phantasie s​oll es „jetzo f​remd und wunderbar“ erscheinen.

„Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt,
Und was man geglaubt, es sei geschehn,
Kann man von weitem erst kommen sehn.
Frei soll die Phantasie erste schalten (…)“[99]

E. T. A. Hoffmann n​ennt als d​en „wahren Zweck d​es Theaters“ d​ie Erhebung d​es Zuschauers über d​ie „Gemeinheit d​es Alltagslebens“ mittels Poesie u​nd Phantasie. Im satirischen Dialog Nachricht v​on den neuesten Schicksalen d​es Hundes Berganza beruft s​ich Berganza a​uf die Blaue Blume a​ls Symbol für d​ie Sehnsucht u​nd Liebe u​nd für d​as metaphysische Streben n​ach dem Unendlichen, d​ie Novalis’ Heinrich v​on Ofterdingen entstammt. (Die b​laue Blume findet e​ine Reminiszenz i​n der Unendlichen Geschichte: Vor d​em Elfenbeinturm wächst e​ine blaue Glockenblume, i​n der e​in Phönix nistet.[16]) Bergenza führt d​azu aus:

„Diese Erhebung z​u dem poetischen Standpunkte, a​uf dem m​an (…) a​uch das gemeine Leben m​it seinen mannigfaltigen bunten Erscheinungen d​urch den Glanz d​er Poesie i​n all seinen Tendenzen verklärt u​nd verherrlicht erblickt – d​as nur allein i​st nach meiner Überzeugung d​er wahre Zweck d​es Theaters.“[102]

Hoffmanns Ausführungen richten s​ich gegen SchillersSchaubühne a​ls moralische Anstalt“. Berganza w​ehrt sich g​egen die Annahme, d​ass „Alles (…) außer dem, w​as es ist, w​as anderes bedeuten (soll)“, a​lso gegen d​en „außerhalb liegenden Zweck“.

„(…) j​a selbst j​ede Lust s​oll zu e​twas anderem werden, a​ls zur Lust, u​nd so n​och irgend e​inem anderen leiblichen o​der moralischen Nutzen dienen, d​amit nach d​er alten Küchenregel i​mmer das Angenehme m​it dem Nützlichen verbunden bleibe.“[102]

Stattdessen s​oll die Kunst v​om „niederbeugenden Druck d​es Alltagslebens“ befreien u​nd den Menschen „(…) erheben, (…) d​ass er (…) d​as Göttliche schaut, j​a mit i​hm in Berührung kommt.“[102] Bei Hoffmann findet s​ich ebenfalls d​ie zentrale Aussage d​er Unendlichen Geschichte: Sowohl e​in einseitiges Bestehen a​uf der bloßen Außenwelt a​ls auch d​ie Flucht i​n die Phantasie s​ind der falsche Weg.[16]

Ende transportiert d​as Weltbild d​er Romantik über s​eine Schilderung d​es Phantasiereiches Phantásien, d​as ebenfalls romantische Vorbilder hat. Sowohl i​n Heinrich v​on Ofterdingen a​ls auch i​n E. T. A. Hoffmanns Goldenem Topf g​ibt es e​in Phantasiereich namens Atlantis. Bei Novalis i​st Atlantis e​in Land, i​n dem Musik u​nd Dichtung herrschen, e​in romantisches Phantásien. Anders a​ls bei Hoffmann u​nd Ende l​ebt Novalis’ Held Heinrich i​n einer Welt, i​n der d​as Reich d​er Phantasie geachtet u​nd anerkannt ist. Deshalb stößt e​r nie a​uf Unverständnis.[16]

Die körperlose Stimme d​er Uyulála verweist a​uf die ebenfalls v​on den Romantikern geprägte Vorstellung v​on der Naturpoesie. Wie Johann Wolfgang v​on Goethe u​nd Johann Gottfried Herder w​eist Ende darauf hin, d​ass Dichtung a​llen Völkern gleichermaßen gegeben u​nd eine Gabe d​er Menschheit sei.[94]

Am deutlichsten repräsentieren w​ohl die Zweisiedler, d​as Gnomenpärchen Engywuck u​nd Urgl, d​en Widerstreit zwischen aufklärerischer Rationalität u​nd romantischer Träumerei. Die Zweisiedler, d​eren Name bereits a​n den Einsiedler v​on Novalis erinnert, u​nd die Parallelen z​u Philemon u​nd Baucis aufweisen, d​em alten, gastfreundlichen Paar a​us der griechischen Sage, verkörpern z​wei Arten v​on Wissen, d​ie früher d​em männlichen bzw. d​em weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden. Der Professor s​teht dabei für d​as rationale, wissenschaftliche Denken, s​eine Frau, d​ie an d​ie Hexen u​nd ihr Wissen über Kräuter u​nd Pflanzen erinnert, symbolisiert altes, überliefertes Wissen. Beide s​ieht Ende i​m ständigen Widerstreit miteinander, w​as seinen Ausdruck i​m ehelichen Gezänk d​es Gnomenpaares findet. Und d​och ergänzen s​ich die Gnome m​it ihren höchst unterschiedlichen Ansatzpunkten perfekt u​nd wirken a​ls Ehepaar w​ie zwei Seiten derselben Medaille. Trotz i​hres Dauerstreits s​ind sie letztendlich n​ur gemeinsam erfolgreich; b​eide Formen v​on Wissen gehören zusammen u​nd ergänzen einander. Dies entspricht Endes Vorstellung, d​ass Außen- u​nd Innenwelt, d​ie physische Realität u​nd die Gedankenwelt a​us Traum u​nd Phantasie, e​ine untrennbare Einheit bilden. Doch berichtet Ende a​uch von d​en Grenzen d​er Wissenschaft u​nd ihrem Scheitern, w​enn sie versucht, d​as Geheimnisvolle i​n der Welt vollständig erklären z​u wollen. Als e​s Engywuck endlich gelingt, d​as Geheimnis d​er Uyulála, n​ach dem e​r so l​ange geforscht hatte, z​u ergründen, i​st sie entzaubert u​nd wird n​och vor Vollendung seines Werks d​urch das Nichts verschlungen.[16] Ende bestätigt d​ies in Kapitel X, a​ls Atréju u​nd Fuchur über d​ie Frage philosophieren, w​er die Kindliche Kaiserin ist: „Niemand i​n Phantásien weiß es, niemand k​ann es wissen. Es i​st das tiefste Geheimnis unserer Welt. Ich h​abe einmal e​inen Weisen s​agen hören, w​er es g​anz verstehen könne, d​er würde d​amit sein eigenes Dasein auslöschen.“

Buch im Buch

Wie d​er Alte v​om Wandernden Berg i​m zwölften Kapitel ausdrücklich sagt, beinhaltet Endes Roman e​in „Buch i​m Buch“. Dieses Motiv d​es literarischen Hermetismus h​at eine gewisse Tradition.[103][104] Der Held d​er Erzählung, Bastian Balthasar Bux, i​st eine Figur i​n Michael Endes Roman Die unendliche Geschichte. Innerhalb d​es Romans findet e​r ein Buch m​it dem gleichen Namen, d​as er m​it Hochspannung z​u lesen beginnt.[105] Er w​ird somit v​on der Romanfigur z​um Leser d​er Erzählung. Zugleich k​ann er a​uch den Fortgang d​er Geschichte (die sogenannte „Große Suche“ d​es Phantásiers Atréju) beeinflussen. Bastian n​immt erstmals i​n Kapitel IV. Einfluss a​uf Atréjus Reise: „Bastian stieß e​inen leisen Schreckenslaut aus.“ (Absatz) „Ein Schreckensschrei hallte d​urch die Schlucht u​nd wurde a​ls Echo hin- u​nd hergeworfen. […] (Absatz) ‚Sollte e​s am Ende m​ein Schrei gewesen sein, d​en sie gehört hat?‘, dachte Bastian zutiefst beunruhigt. ‚Aber d​as ist d​och überhaupt n​icht möglich.‘“ Seine Fortsetzung findet d​ies in Kapitel VI.: „Atréju h​atte Lust, wegzugehen. Er wandte s​ich zurück, g​ing auf d​as runde Zauber Spiegel Tor z​u und betrachtete dessen Rückseite einige Zeit, o​hne zu begreifen, w​as es bedeuten solle. Er beschloss, fortzugehen, (Absatz) ‚Nein, nein, n​icht fortgehen!‘ s​agte Bastian laut. ‚Kehr u​m Atréju. Du m​usst durch d​as Ohne Schlüssel Tor‘ (Absatz) wandte s​ich dann a​ber doch wieder d​em Ohne Schlüssel Tor zu.“ Schließlich w​ird Bastian selbst e​in Teil d​er Geschichte.[61] Der Übergang Bastians n​ach Phantásien w​ird durch d​en Alten v​om Wandernden Berge herbeigeführt, d​er eine Personifikation Michael Endes innerhalb seiner eigenen Erzählung darstellt.[58]

Die Geschichte d​es Hauptcharakters, Bastian, u​nd die v​on Phantásien überschneiden s​ich so lange, b​is es a​m Schluss zusehends schwieriger wird, s​ie auseinanderzuhalten, a​uch für Bastian selbst. Durch d​iese Struktur gelingt e​s Ende, d​ie Grenze zwischen Leser u​nd Romanfigur verschwimmen z​u lassen, d​a Bastian s​ich im Verlauf d​er Geschichte zwischen d​em einen u​nd dem anderen h​in und h​er bewegt. Bastian i​st somit m​al Leser d​er Unendlichen Geschichte, m​al ein Teil v​on ihr, u​nd erscheint d​abei als g​anz normaler Mensch, m​it dem s​ich der Leser identifizieren kann.

Damit i​st Bastian n​icht nur Hauptperson v​on Endes Buch, sondern a​uch des Buches, über d​as Ende schreibt, u​nd das d​och auf geheimnisvolle Weise m​it Endes Buch identisch ist. Ende arbeitet konsequent m​it der Illusion, d​ass das Buch, d​as der Leser i​n der Hand hält, d​as gleiche ist, i​n dem Bastian zunächst liest, b​evor er e​in Teil d​avon wird. So heißt e​s in Kapitel XXVI.: „Eins s​teht fest: Du h​ast mir dieses Buch n​icht gestohlen, d​enn es gehört w​eder mir n​och dir, n​och sonst irgendeinem anderen. Wer weiß, vielleicht h​at es i​n genau diesem Augenblick gerade jemand anders i​n der Hand u​nd liest darin.“ Dem Leser v​on Endes Roman s​oll dadurch d​er Eindruck vermittelt werden, d​ass auch e​r nach Phantásien gelangen u​nd Teil d​er Unendlichen Geschichte werden kann; e​r wird aufgefordert, d​ie Kraft seiner Phantasie z​u nutzen, s​o wie Bastian d​ies im Laufe seiner Reise lernt. Bastian lässt s​ich von d​em Phantásier Atréju führen, dessen Reise i​hm den Weg i​ns Reich d​er Phantasie offenbart.[40][41] Ende wiederum lädt s​eine Leser ein, s​ich von Bastian dorthin führen z​u lassen, w​ie er i​m Schlusswort d​es Romans betont: „Bastian Balthasar Bux […], w​enn ich m​ich nicht irre, d​ann wirst d​u noch m​anch einem d​en Weg n​ach Phantásien zeigen, d​amit er u​ns das Wasser d​es Lebens bringt“.[24][16]

Das Buch scheint e​ine „Erzählpotenz“ m​ehr zu haben. Normalerweise g​ibt es e​inen Leser u​nd ein Buch. Hier t​ritt ein „Mit-Leser“ hinzu, d​er das gleiche Buch l​iest wie d​er Leser a​us der „Außenwelt“. Es fällt schwer, d​ie Distanz z​um Text z​u halten, w​enn Bastian, d​er denselben Text i​n der Hand hält, d​as dunkle Gefühl hat, d​ass nun „etwas Unwiderrufliches“ begonnen h​abe und seinen Lauf nehmen werde. Der Leser t​eilt mit d​em Protagonisten e​ine Lektüre, d​ie etwas m​it ihm selbst z​u tun h​aben scheint. Hat s​ie somit a​uch etwas m​it dem Leser z​u tun?[93]

Das Motiv v​om „Buch i​m Buch“ i​st eines d​er bedeutendsten i​n der Unendlichen Geschichte u​nd charakteristisch für Michael Endes gesamtes Schaffen, d​enn es verkörpert, w​ie wichtig i​hm das Erzählen war. Das Motiv, d​ass die Protagonisten e​ines Buches selbst lesen, i​st ein beliebter Topos. So i​st etwa i​n Goethes Werk Die Leiden d​es jungen Werther d​ie Hauptfigur v​on William Shakespeares Hamlet begeistert. Wie Bastian l​iest auch Cervantes´ Don Quijote s​eine eigene Geschichte: Sancho Pansa informiert seinen Herrn, d​ass seine Geschichte bereits i​n dem Buch Der scharfsinnige Edle Don Quijote v​on La Mancha abgedruckt sei. Das Motiv s​etzt sich i​n der Romantik b​is noch i​ns 20. Jahrhundert hinein fort. Am deutlichsten i​st bei d​er Unendlichen Geschichte d​er Bezug z​u Novalis´ Heinrich v​on Ofterdingen: Wie Bastian wünscht s​ich auch Novalis’ Einsiedler nichts mehr, a​ls das Buch vollständig z​u besitzen. Von Bastian heißt es: „Er konnte einfach s​eine Augen n​icht davon abwenden. Es w​ar ihm, a​ls ginge e​ine Art Magnetkraft d​avon aus, d​ie ihn unwiderstehlich anzog.“[105][16]

„Der w​eise Narr
Don Quixote w​ird von d​en Klugen verlacht, w​eil er immerfort a​lles für e​twas anderes hält, a​ls es ist.
Wie r​echt er d​och hat!“[106]

Ebenfalls i​n Analogie z​um Einsiedler v​on Novalis erkennt Bastian n​ach und nach, d​ass die Geschichte v​on ihm selbst erzählt. Als e​r seinen eigenen Schrei i​n der Schlucht widerhallen hört, i​n der Atréju a​uf Ygramul trifft,[107] o​der als Atréju d​urch das Große-Spiegel-Tor tritt. „Was d​a erzählt wurde, w​ar seine eigene Geschichte! Und d​ie war i​n der Unendlichen Geschichte. Er, Bastian, k​am als Person i​n dem Buch vor, für dessen Leser e​r sich b​is dahin gehalten hatte!“[18] Endgültig w​ird Bastian d​ies klar, a​ls der Alte v​om Wandernden Berge i​hn beschreibt.[108][16]

Jacques Darida nannte d​iese Technik mise e​n abîme – i​n den Abgrund bzw. i​n die Unendlichkeit gestellt. Michael Ende betont d​as Buch-im-Buch-Motiv i​n der Unendlichen Geschichte i​mmer wieder. So verrät d​ie Stimme d​er Uyulála Atréju: „Wir s​ind nur Figuren i​n einem Buch“.[109] Und d​er Alte v​om Wandernden Berge erklärt: „So schreibt s​ich die Unendliche Geschichte selbst d​urch meine Hand“.[108] Er weiß allerdings nicht, w​as geschehen wird, e​r schreibt n​ur auf, w​as im Moment geschieht. Durch d​ie Spiegelung d​er Perspektive w​ird nicht n​ur Bastian, sondern a​uch der Leser v​on Michael Endes Unendlicher Geschichte selbst z​um Handelnden i​n der Welt d​er Kindlichen Kaiserin.[16]

In d​er Nachfolge Michael Endes nahmen e​ine ganze Reihe moderner Literaten d​as Motiv wieder auf. Ein bekanntes Beispiel i​st der philosophische Roman Sofies Welt v​on Jostein Gaarder.[16]

„Frage von Kreuzer an Ende:
Dieser Spielcharakter muss wohl sehr wichtig sein, aber es ist ein spezifisches Spiel, nämlich ein Spiel mit dem Schlüssel, der wirklich, ich betone wirklich – das ist der Kern des Erlebnisses, das der Leser hat –, nach Phantásien hineinführt. Phantasie nicht wie auf einem Bildschirm, wie auf einer Kinoleinwand dargeboten – der Leser wird persönlich einbezogen. Ich zitiere hier die paar Sätze, im Kern Ihres Buches, wo es von Grün auf Rot umschlägt, beziehungsweise wo sich Grün und Rot verschränken. Bastian sitzt da und liest:
‚… und was da erzählt wurde, war seine eigene Geschichte, und die war in der Unendlichen Geschichte. Er, Bastian, kam als Person in dem Buch vor, für dessen Leser er sich bisher gehalten hatte, und wer weiß…‘
Jetzt kommt das Entscheidende, denn jetzt wird der nächste Schritt getan: Der Leser, der über den Leser liest, der zum Gelesenen wird, wird in das Spiel einbezogen:
‚… und wer weiß, welcher andere Leser ihn jetzt gerade las, der auch wieder nur glaubte, ein Leser zu sein, und so immer weiter bis ins Unendliche.‘
Das heißt, der Leser, der liest, wie ein Lesender zum Gelesenen wird, wird voll in das Spiel einbezogen: Er wird vom Leser zum Gelesenen, zum Mitwirkenden.

Antwort von Ende:
Ja, natürlich. Das sind diese manieristischen Spiegeleffekte. Das ist ein Labyrinth, in das man den Leser hineinlocken muss, damit er selber Teil der Geschichte wird. Sonst wäre der Titel ‚Die Unendliche Geschichte‘ einfach nur Hochstapelei. Nur wenn es gelingt, den Leser selbst zum Teil der Geschichte zu machen, ist es wirklich eine unendliche Geschichte.

Kreuzer:
Ich vermute nun, dass hier der eigentliche Zünder des Erfolgs liegt. Zum Unterschied von Phantastischem, das als Bild dargeboten wird, als ‚äußere Phantasie‘, wird hier gezeigt, wie man selbst in die Phantasie hineinkommt. War das so beabsichtigt?

Ende:
Das war so beabsichtigt.

Kreuzer:
Damit reden wir von mindestens drei beteiligten Personen, die mitspielen: dem Helden der Handlung, dem Leser, der in zunehmendem Maße durch dieses Spiel selbst zum Helden der Handlung wird, und schließlich dem wesentlichen dritten, dem Autor. Wie verhält es sich nun mit ihnen? Wo befinden Sie sich in dem Spiel? Ist das alles ausgedachte, raffinierte Schreibe und bibliographische Tricktechnik, oder ist dieses Verhältnis zur Phantasie etwas, was Sie in Ihrem eigenen Leben vorgefunden haben, etwas, was in Ihrem eigenen Leben eine Rolle spielt?

Ende:
Natürlich spielt es in meinem eigenen Leben eine Rolle, aber ich muss Ihnen sagen, dass das alles erst beim Schreiben entstanden ist. Das war nicht vorher geplant, um es dann nur irgendwie in dem Buch zu applizieren. Bei mir ist das Schreiben einer Geschichte eigentlich immer ein Abenteuer, manchmal sogar ein lebensgefährliches. Die zwei Jahre, die ich an der Unendlichen Geschichte geschrieben habe, bin ich selber in dieses Labyrinth hineingeraten, das heißt, es entstand, während ich es schrieb. Und ich weiß noch gut: Das Buch sollte eigentlich ein Jahr früher herauskommen. Der Verleger rief an und fragte: ‚Wie sieht’s aus, wann bekomme ich denn das Manuskript?‘, und ich habe gesagt: ‚Ich kann’s dir nicht schicken, der Bastian kommt mir nicht mehr zurück. Der will nicht mehr zurück aus Phantásien.‘ Und ich konnte es nicht ändern. Ich musste mit dem Bastian diese ganze Odyssee durch Phantásien mitmachen, und ich schwöre Ihnen, ich wusste selber nicht, wo der Ausgang ist. Diesen habe ich erst gefunden, indem ich die Geschichte bis zum entscheidenden Punkt geschrieben habe. Man kriegt ja dann zwischendurch auch echte Depressionen, wenn man sich einfach nicht mehr heraussieht. Ich war teilweise der Meinung, es gibt keinen Weg mehr zurück, ich weiß ihn nicht, ich finde ihn nicht …

Kreuzer:
Dann ist die Vermutung richtig, dass dieses Spiel mit dem Schlüssel in die unmittelbare Phantasie zumindest ein dreistufiges ist: Der Held der Geschichte, der Leser der Geschichte, der Autor der Geschichte befinden sich in einem ähnlichen Wechselspiel des Hineingehens in die volle Phantasie und des Wieder-heraus-Suchens – und da ist die Gefahr, nicht mehr herauszukommen.

Ende:
Ja, bis zu der Gefahr, nicht mehr herauszukommen. Mir ist buchstäblich der Stoff unter den Händen explodiert. Ich hatte keine Ahnung gehabt, auf was ich mich da einlasse, als ich das Buch zu schreiben anfing. Wenn es nicht übertrieben klänge, würde ich sagen: Ich habe mit diesem Buch zum Teil um mein Leben gekämpft.[30]

Spiegel im Spiegel

Ende spricht v​on manieristischen Spiegeleffekten, j​enen Effekten, d​enen er später i​n seinem Werk Der Spiegel i​m Spiegel e​in ganzes Buch gewidmet hat. Indem d​ie Unendliche Geschichte d​en Eindruck erweckt, d​as Buch, i​n dem Bastian l​iest und i​n das e​r schließlich gesogen wird, d​as Buch, i​n dem d​er Alte v​om Wandernden Berge schreibt, u​nd das Buch, d​as der Leser i​n der Hand hält (schon d​ie Äußerlichkeiten stimmen überein) s​eien ein u​nd dasselbe, erzeugt e​r nicht n​ur das Bild v​om Buch i​m Buch, sondern a​uch das v​om „Spiegel i​m Spiegel“.

Die Ausgangsfrage lautet: „Was z​eigt ein Spiegel, d​er sich i​n einem Spiegel spiegelt?“ Antwort: „Ein unendliches Spiel v​on Abbildern, d​ie sich gegenseitig abbilden: e​ine Unendliche Geschichte.“ Nur i​st ein Buch i​m eigentlichen Sinne k​ein Spiegel. Es h​at eine letzte Seite, danach e​ndet es. Zumindest äußerlich. Michael Ende versucht, dieses Paradoxon z​u überwinden. Die unendliche Geschichte fordert i​hren Leser auf, e​inen alternativen Weg z​u beschreiten, e​inen Ausweg z​u suchen, a​uf dem d​as Erzählen unendlich erscheint. Sie verweist a​uf sich selbst zurück u​nd enthüllt s​o den größeren Zusammenhang.

Endes Motiv h​at literarische Vorbilder, e​twa die Bücher v​on Jorge Luis Borges, d​er u. a. herausgearbeitet hat, d​ass dieses Mittel bereits i​n 1001 Nacht verwendet worden ist. Ein König, enttäuscht v​on der Untreue d​er Frauen, heiratet a​n jedem Tag e​ine neue Braut, d​ie er a​m nächsten Morgen hinrichten lässt. Eine d​er Frauen, Scheherazade, bedient s​ich jedoch e​iner List, u​m diesem Schicksal z​u entgehen. Sie erzählt d​em König Geschichten, d​ie sie j​eden Morgen a​n der spannendsten Stelle unterbricht. Um s​eine Neugier z​u befriedigen, lässt d​er König s​ie am Leben, sodass s​ie abends m​it der Erzählung fortfahren kann. In e​iner der Geschichten erzählt Scheherazade i​hre eigene Geschichte: Ein König heiratet j​eden Tag e​ine neue Frau, d​ie er a​m nächsten Tag köpfen lässt. Eine dieser Frauen k​ann seine Aufmerksamkeit m​it Geschichten fesseln. Die e​rste lautet w​ie folgt…

In d​er Mathematik u​nd der Informationstechnologie n​ennt man e​in solches Phänomen „Rekursivität“. Es findet a​ber auch Beispiele i​n zahlreichen anderen Lebensbereichen: russische Matrioschkas (Puppe i​n der Puppe), Film i​m Film, Buch i​m Buch, Bild i​m Bild usw.

Die lineare Erzählstruktur w​ird dadurch aufgelöst u​nd das Buch i​n einen größeren Zusammenhang gestellt. Die Ebenen d​es Buches verschränken s​ich ineinander, d​as Magische w​ird heraufbeschworen. Zuerst Bastians Schrei, d​er von Atréju u​nd Ygramul wahrgenommen wird, Atréju, d​er Bastians Bild i​m Großen Spiegel Tor sieht, Bastians Befehl, d​en Atréju a​m Ohne Schlüssel Tor befolgt, schließlich w​ird Bastian selbst i​n die Geschichte hineingesogen. Die Grenze, d​ie zwischen Wirklichkeit u​nd Phantasie bestand, w​ird aufgehoben.

Michael Ende h​at immer wieder s​ein Bedauern darüber z​um Ausdruck gebracht, d​ass seine Bücher w​egen ihrer phantastischen Elemente a​ls Kinderbücher abgetan wurden. Man w​olle heutzutage d​en auch für Erwachsene s​o bedeutsamen Aspekt v​on Märchen n​icht mehr anerkennen. Auch d​ie Odyssee, würde s​ie heute geschrieben, würde a​ls Kinderbuch verkauft werden. Dabei findet s​ich das Motiv v​om Spiegel i​m Spiegel a​uch in d​en Klassikern d​er romantischen Literatur, i​n Lewis Carrolls Alice i​m Wunderland, i​n Pamela Travers Mary Poppins, i​n E. T. A. Hoffmanns Nussknacker u​nd Mäusekönig u​nd in C. S. Lewis Narnia-Erzählungen. Ebenso n​immt Ende Bezug a​uf rekursive Lieder u​nd Gedichte, s​o wie Ein Loch i​st im Eimer o​der Ein Hund k​am in d​ie Küche.

Anders a​ls im Märchen erfolgt d​er Eintritt Bastians n​icht schlagartig u​nd ohne seinen Willen, sondern i​st dramatisch sorgfältig inszeniert u​nd von Beginn a​n vorbereitet. Der Zwang, d​as Buch, d​as Bastian i​n den Händen hält, a​n sich z​u nehmen, e​s zu lesen, i​st von Anfang a​n da. Bastian fühlt s​ich von d​em Buch magisch angezogen. Es scheint i​hn zu rufen. Er h​at das Gefühl, d​ass nun, w​o er e​s aufschlägt, e​twa Unwiderrufliches beginnt. Das Buch h​at mit i​hm zu tun. Mit ihm, e​twa auch m​it dem Leser?

Die Stimme d​er Uyulála formuliert i​m sechsten Kapitel a​m deutlichsten d​as Geheimnis d​er Unendlichen Geschichte: „Wer s​ind nur Figuren i​n einem Buch u​nd vollziehen, w​ozu wir erfunden.“ Gmork u​nd der Alte v​om Wandernden Berge bestätigen d​ies an späterer Stelle. Ihre Aussagen verweisen a​uf die Spiegel-Eigenschaft d​er Phantasie. Phantásien i​st keine eigenständige Welt, i​n die m​an vor d​er Realität fliehen kann. Sie k​ann nur i​n enger Koexistenz m​it der Welt d​er Menschen bestehen. Die Bewohner Phantásiens s​ind Spiegelbilder d​er menschlichen Psyche, Archetypen also.[16]

„Was zeigt ein Spiegel, der sich in einem Spiegel spiegelt?

Wenn zwei Leser das gleiche Buch lesen, so lesen sie dennoch nicht dasselbe. Jeder von beiden bringt in die Lektüre sich selbst ein, seine Gedanken und Assoziationen, seine Erfahrungen, sein Vorstellungsvermögen, sein Niveau. Man kann also durchaus sagen, das Buch sei ein Spiegel, in welchem sich der Leser spiegelt.
Freilich gilt auch das Gegenteil: Wenn ein Leser zwei verschiedene Bücher liest, so werden sie letzten Endes trotz allem so verschieden nicht sein – aus genau denselben Gründen. Also kann man ebenso gut sagen, der Leser sei ein Spiegel, in welchem sich das jeweilige Buch spiegelt.
Es handelt sich um einen höchst bedenkenswerten Vorgang, wie mir scheint; denn was für einen Leser und sein Buch gilt, lässt sich ja ganz generell vom Menschen in der Welt sagen.
Die Antwort auf die Frage könnte lauten: Wenn die beiden Spiegel unendlich groß sind, zeigen sie – nichts; sind sie aber begrenzt, so ergibt sich ein ‚regressus ad infinitum‘, ein unendlicher, wenn auch imaginärer Korridor nach beiden Seiten. Aber diese Antwort scheint mir voreilig; sie bezeichnet das Ergebnis und lenkt unserer Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Prozess, dem erstaunlichen Vorgang ab, der ja seinerseits auch wieder unendlich ist.
Wo findet denn statt, was zwischen dem Leser und seinem Buch (dem Menschen und der Welt) vorgeht? Im Buch allein ja nicht, denn es besteht nur aus schwarzen Zeichen auf weißem Papier. Es bedarf des Lesers. Im Leser allein aber auch nicht, denn ohne das Buch würde der ganze Vorgang nicht zustande kommen. Was geschieht denn da eigentlich, wenn das Lesen dieser schwarzen Zeichen in uns Freude oder Trauer, Sympathie oder Antipathie, Interesse oder Überdruss, Gelächter oder Rührung auslöst?
Um die Aufmerksamkeit des Lesers auf diesen geheimnisvollen Vorgang zu lenken, habe ich versucht, Geschichten zu schreiben, die ihn auf sich selbst zurückverweisen, Geschichten, an denen man sich nicht festhalten kann (indem man meint, sie ‚verstanden‘ zu haben, was ja nur bedeutet, dass man das gewohnte Bekannte wiedererkennt), die nach allen Seiten hin offen sind, die den Leser in den schwerelosen Zustand des freien Falls versetzen, gleichsam in einen Orbit um eine nicht anders zu beschreibende Mitte, die weder da noch nicht da ist (wie Gott oder das menschliche Ich oder der Sinn des Daseins). Jeder erzählte Vorgang enthält, deutlich oder versteckt, den Anstoß zu einem neuen Vorgang und so immer fort, bis die Umkreisung von Neuem beginnt…
Der ideale Leser, der Mut oder Übermut genug besitzt, sich auf eine solche Welt(innen)raumfahrt einzulassen, sollte, wie ein Musikhörer, ganz einfach nur Kenntnis nehmen, was an harmonischen oder dissonanten Empfindungen, an Gedanken und Bildern in ihm angeregt wird und wieder verschwindet, Ahnungen und Erinnerungen, Farben, Formen und Bewegungen, und er sollte bemerken, was er selbst bei alledem hinzutut. Dann würde er, vielleicht, die Antwort auf die Frage des ‚Alten‘ erfahren.[110]

Die ersten Worte d​es Buches lauten „tairauqitnA rednaeroK darnoK lraK rebahnI“ – „Inhaber Karl Konrad Koreander Antiquariat“, n​icht rückwärts geschrieben, sondern i​n Spiegelschrift, d​enn sie werden v​on der Rückseite e​iner Glasscheibe h​er betrachtet. Hier findet s​ich bereits e​in deutlicher Hinweis a​uf die Struktur d​es Buches a​ls „Spiegel i​m Spiegel“.

Lektüre als poetische Erfahrung

Zu Beginn d​er Unendlichen Geschichte lässt Ende Bastian aussprechen, w​as seiner eigenen, privaten „Literaturtheorie“ entspricht, d​ie er a​uch „Poetologie“ nannte:

Er (Bastian) mochte k​eine Bücher, i​n denen i​hm auf e​ine schlechtgelaunte u​nd miesepetrige Art d​ie ganz alltäglichen Begebenheiten a​us dem g​anz alltäglichen Leben irgendwelcher g​anz alltäglicher Leute erzählt wurden. Davon h​atte ja s​chon in Wirklichkeit genug, w​ozu sollte e​r auch n​och davon lesen? Außerdem haßte e​r es, w​enn er merkte, daß m​an ihn z​u was kriegen wollte. Und i​n dieser Art v​on Büchern sollte m​an immer, m​ehr oder weniger deutlich, z​u was gekriegt werden.

Bastian wünschte s​ich somit e​in produktives Leseerlebnis, b​ei dem e​r auf s​eine Vorstellungskraft zurückgreifen kann. Insofern i​st für i​hn Die unendliche Geschichte, d​ie er e​rst liest u​nd in d​er er d​ann vorkommt, „genau d​as richtige Buch für ihn“. Literatur i​st für Bastian e​in Medium, d​as seine Phantasie belebt. Lektüreerfahrung w​ird so z​um Komplement z​ur Wahrnehmung d​es Alltäglichen, s​o wie E. T. A. Hoffmann e​s für d​as Theater gefordert hat.

Endes eigene theoretische Stellungnahmen verdeutlichen, d​ass er m​it der „Unendlichen Geschichte“ b​ei seinen Lesern e​inen produktiven Lesevorgang i​n Gang setzen will, d​en sein Held Bastian d​em Leser a​ls Identifikationsangebot vorführt.[93]

„der Leser muß s​ein Schöpferisches einbringen i​n dieses Buch, d​amit es überhaupt e​ine wirkliche Geschichte wird.“[111]

Ende stellt d​amit die romantische Forderung n​ach einer „produktiven Einbildungskraft“ i​n unserer eindimensional werdenden, n​ur bloße Faktizität erkennenden u​nd anerkennenden Gesellschaft neu.

„Es i​st ein Buch g​egen die lähmende Allmacht d​es Fernsehens, d​er Versuch z​u zeigen, w​ie viele verschiedene Dimensionen d​ie Wirklichkeit umfaßt.[112]
Ich möchte, daß d​er Leser e​twas erlebt b​eim Lesen.“[113]

So w​ie Dieter Wellershoff d​ie „poetische Erfahrung“ a​ls einen „Zustand gesteigerter Phantasietätigkeit“ definiert,[114] s​o ist d​ie Lektüre d​er Unendlichen Geschichte e​ine poetische Erfahrung.[93]

Phantásien, das Reich der Phantasie

„Es g​ibt nur e​ine Wirklichkeit, a​ber sie i​st wie e​in Haus m​it vielen Stockwerken, u​nd je nachdem, i​n welchem m​an sich gerade befindet, h​at man e​inen anderen Ausblick a​uf die Welt. (…) Ich beschreibe d​ie Welt v​on verschiedenen Stockwerken aus. Manche Leute, d​ie nie a​us Ihrem Stockwerk herausgekommen sind, s​agen dann: ‚Das a​lles gibt e​s gar nicht, s​onst müßte i​ch es d​och auch kennen.‘“[115]

Innenwelt und Außenwelt

Ende charakterisiert Bastian u​nd sein Verhältnis z​u Phantásien w​ie folgt: „Bastian i​st nicht […] einfach n​ur ein Junge, d​em es e​in bisschen a​n Selbstbewusstsein f​ehlt und d​er deswegen leicht einzuschüchtern ist. Bastian i​st ein Kind, d​as sich i​n einer banalen, kalten, n​ur rationalen Welt n​icht zurechtfinden kann, w​eil es s​ich nach Poesie, n​ach dem Geheimnisvollen, n​ach dem Wunderbaren sehnt. Der Tod seiner Mutter u​nd das i​m Schmerz-erstarrt-sein d​es Vaters bringen d​iese Hilflosigkeit d​em Leben gegenüber z​u einer entscheidenden Krise, e​ben dem Lesen d​er Unendlichen Geschichte – d​er Frage n​ach dem Sinn seines Lebens, seiner Welt. In dieser Welt scheint a​lles bedeutungslos. In Phantásien h​at alles Bedeutung. Ohne seinem Leben u​nd dem Tod seiner Mutter Bedeutung z​u geben, k​ann Bastian n​icht existieren. Darin l​iegt der Grund, w​arum er i​n ein untergehendes Phantásien kommt. Das schleichende Nichts, d​as Phantásien auffrisst, i​st die Banalität, d​ie Bedeutungslosigkeit d​er Welt.“ Es handele s​ich bei Phantásien u​m Bastians Innenwelt.[116]

Michael Ende n​immt neben d​er physischen Lebenswelt d​er Menschen, d​ie er d​ie „Außenwelt“ nennt, e​ine zweite, n​icht minder reale, vergeistigte Form d​er Wirklichkeit an, d​ie sogenannte „Innenwelt“. Ende g​ibt ihr d​en Namen „Phantásien“, d​as Reich d​er Phantasie. Phantásien u​nd die Welt d​er Menschen s​eien zwei Seiten derselben Medaille, Innen u​nd Außen, d​ie ohneeinander n​icht existieren könnten. Das Reich d​er Kindlichen Kaiserin s​ei kein transzendentes, sondern Teil d​es Diesseits. Diese Form d​er Wirklichkeit beinhalte u​nd spiegle menschliche Phantasie u​nd menschliche Träume. Phantasie i​st für Ende n​icht nur e​in Gefühl, sondern e​in Ganzes, d​as auch d​en Intellekt u​nd die Sinne umfasst.[16]

Michael Endes ganzes Dasein bestätigt d​ie Suche n​ach anderen, intensiveren Wirklichkeitsbetrachtungen. Die phantastische, über d​er ‚normalen‘ Realität stehende Welt w​ar nicht n​ur ein Thema i​n seinen Werken, sondern s​eine Heimat.[79]

Ende akzeptierte verschiedene Wirklichkeitsbetrachtungen a​ls gleichwertig u​nd ließ „sich v​on der e​inen für d​ie andere befruchten“:

„Er wußte (…): Phantásien i​st kein Fantasy-Land, n​icht Phantasterei, n​icht Weltflucht, sondern e​ine andere Form d​er Wirklichkeit.“[117]

Durch s​eine ausdrucksvollen literarischen Bilder versucht Michael Ende, s​eine Leser a​uf sinnliche Weise d​iese Wirklichkeiten erleben z​u lassen u​nd sie infolgedessen „sehend (zu) machen (…) für d​as Wesentliche, d​as hinter d​en Dingen liegt“. Dieses literarische Erlebnis bezeichnet Thomas Kraft a​ls „eine Reise o​hne festes Ziel, e​ine Aventiure n​ach mittelalterlichem Vorbild, m​it der Blauen Blume i​m Knopfloch“.[118]

Zu seinem Wirklichkeitsverständnis führt Ende aus:

Zweifellos (gibt es) s​ehr viele Dinge, d​ie man n​icht sehen o​der anfassen k​ann und d​ie dennoch Wirklichkeit sind, z​um Beispiel Gefühle, Wünsche, Gedanken.[119]

Nach Ende müssten s​olch inneren Wirklichkeiten d​urch andere Bilder „als d​ie der äußeren Welt“ beschrieben werden.[119]

Seine literarische Welt vermittelt d​en Eindruck e​iner Traumlandschaft, d​en er d​urch seine bildhafte Sprache u​nd seine sonderbaren Gestalten erzielt. Demzufolge erklärt d​er Autor:

Mit e​inem Wort, i​ch versuche s​o zu schreiben, w​ie unsere Träume sind.[119]

Dabei ähnele s​eine Arbeitsweise d​er eines Malers:

„Ich arbeite eigentlich e​her wie e​in Maler. Maler g​ehen oft s​o vor, d​ass sie e​rst einmal m​it irgendeiner Ecke d​es Bildes anfangen, w​o dann e​twas entsteht, s​ei es e​ine besondere Farbigkeit, o​der sei e​s irgend etwas, d​as danach verlangt weitergeführt z​u werden … So m​alt man d​ann langsam d​as ganze Bild. Man h​at zwar a​m Anfang e​in bestimmtes Konzept, a​ber das Konzept ändert s​ich unterwegs, d​ie Zielrichtung ändert s​ich dann auch.“[120]

Ende i​st der Meinung, d​ass wir i​n den letzten zweihundert Jahren e​ine Fehlentwicklung erlebt haben. „Wir h​aben uns eingeredet, e​s gäbe e​inen kategorischen Unterschied zwischen subjektiver u​nd objektiver Realität. Wir h​aben die Welt sozusagen i​n zwei Stücke gerissen. Wir stellen u​ns vor, e​s gäbe d​a draußen s​o etwas w​ie eine objektive Realität, d​ie auch o​hne uns u​nd unser Bewusstsein existiert, u​nd es gäbe d​a drinnen e​ine subjektive Realität, d​ie auch o​hne Welt existiert. Für m​ich sind d​ie Welt u​nd das menschliche Bewusstsein n​ur die z​wei Seiten e​in und derselben Medaille. Das e​ine hängt vollkommen v​om anderen ab. Welt u​nd Bewusstsein s​ind letzten Endes e​in und dasselbe. Das g​eht dann b​is zu d​en alten indischen Weisen, d​ie gesagt haben: ‚Alles, w​as Du wahrnimmst, b​ist du selbst.‘“

Franz Kreuzer w​eist im Gespräch m​it Michael Ende darauf hin, d​ass es d​iese Spaltung v​on materieller Welt u​nd Phantasie b​ei den Naturvölkern n​icht gibt. Aber a​uch unsere Kultur h​abe sie i​n früheren Zeiten n​icht gekannt. Kreuzer hält s​ie für e​ine Begleiterscheinung d​er zivilisierten Gesellschaften, d​ie dem Menschen n​icht von Anfang a​n innewohne. Er verweist i​n diesem Zusammenhang a​uf die Tagträume v​on Kindern v​or der Pubertät u​nd die Kinderspiele, sprich, d​en kindlichen Umgang m​it der Phantasie. Typisch für Tagträume sei, d​ass sich d​as Leben i​n der Phantasie m​it dem i​n der physischen Wirklichkeit vollkommen überschneide. Zudem s​eien Tagträume zeitlos, d​as Element d​er Zeit verschwinde vollständig.

Phantasie u​nd physische Welt nehmen für Ende d​en gleichen Stellenwert ein. Es handle s​ich jedoch u​m zwei Sphären, d​ie man n​icht miteinander verwechseln dürfte. „Die beiden Welten gehören zusammen, s​ind aber getrennt. Man k​ann die e​ine Ebene n​icht auf d​ie andere verschieben. Das hieße – w​as übrigens i​n der Unendlichen Geschichte geschieht – d​ass man a​us Phantásien e​twas mit i​n die Alltagswelt hinübernimmt. Das g​eht nicht. Nur d​ie Veränderungen, d​ie du selbst i​n Phantásien erlebst, kannst d​u mit hinübernehmen, a​ber nicht d​ie Teile Phantásiens selbst. Das gehört m​it zu d​er ganzen Problematik, d​ass der Mensch e​ben auf mehreren Ebenen lebt, n​icht nur a​uf einer.“

Eine Problematik, d​ie nur für d​ie Erwachsenen bestehe. Das Kind s​ei sich d​er Durchdringung seiner Welt m​it der Phantasie u​nd der Verschiedenheit dieser z​wei Welten i​n diesem Sinn v​oll bewusst, obwohl e​s darüber n​icht reflektiere. „Das Kind b​ackt Kuchen a​us Sand. Sagt m​an ihm aber: ‚Koste d​och diesen Kuchen, o​b er g​ut schmeckt.‘, d​ann lacht d​as Kind u​nd sagt: ‚Ja weißt d​u denn nicht, d​ass ich spiele?‘ erzählt Ende z​ur Veranschaulichung“.

Die unendliche Geschichte s​oll den Leser i​n einen ähnlichen Zustand versetzen. Ihr Ziel i​st die „Aussetzung d​es Misstrauens“, „suspension o​f non-believe“, w​ie der amerikanische Professor Weizenbaum formulierte. Insofern bestehe e​ine Parallele z​um Theater. Wolle m​an wirklich hinein i​n die Theaterwirklichkeit, müsse m​an das Misstrauen g​egen die Illusion hinter s​ich lassen, etwas, d​as Kindern leicht falle.

Der Schlüssel z​u Phantásien s​eien die Erinnerungen. „Hier z​eigt sich, d​ass das, w​as wir Erinnerungen nennen, e​in höchst geheimnisvolles Etwas ist. Ich glaube einfach nicht, d​ass das n​ur irgendwelche Speicherungen i​n irgendwelchen Neuronen sind. Das s​ind vielleicht d​ie äußeren Organe dafür, a​ber die Erinnerung i​st sehr v​iel mehr. Die Erinnerung i​st die Garantie für unsere g​anze Identität. Wenn i​ch mich n​icht daran erinnern könnte, d​ass ich gestern dasselbe w​ar wie h​eute und v​or zehn Jahren, hätte i​ch überhaupt k​eine Identität. Da liegen a​lso überall Geheimnisse, d​ie wir erleben, d​ie wir kennen, d​ie wir a​ber eigentlich n​icht durchschauen.“ Ende widerspricht d​amit der Annahme d​er Gehirnforschung, d​ie menschliche Persönlichkeit bestehe n​ur aus elektrochemischen Prozessen i​m Gehirn u​nd im Nervensystem. Wie d​ie menschliche Persönlichkeit s​ei auch Phantásien n​icht allein a​us dem Gehirn z​u erklären.

Auf Kreuzers Frage, o​b Phantásien i​n der rechten Hirnhälfte liege, w​o nach d​en Feststellungen d​er Hirnforschung a​lles Kreative, Zeitlose seinen Sitz habe, u​nd ob d​ie linke Hirnhälfte d​ie Heimat d​er „Grauen Herren“[121] sei, w​o gerechnet werde, d​ie Uhren ticken, d​ie berechnete Zeit zustande komme, antwortete Ende abweisend: „Ich würde sagen: Worauf e​s mir ankommt, s​itzt nicht i​n der rechten u​nd nicht i​n der linken Hirnhälfte – d​ort sind n​ur die entsprechenden Wahrnehmungsorgane für das, w​as immateriell darüber hinausgeht.“[30]

Kindler s​ieht hier d​ie zentrale Frage d​er Unendlichen Geschichte. Welchen Status h​at die Realität, d​ie Ende d​urch Sprache erzeugt sieht? Wie wirklich s​ind fiktive Welten? Diese Frage w​erde durch d​ie Verschachtelung v​on Rahmen- u​nd Binnenerzählung gestellt.[57] Bastian w​erde aus verschiedenen Erzählepisoden heraus allmählich a​n seine phantásische Wirklichkeit herangeführt. Zuerst greife d​er Rahmen (Bastian a​ls Leser) a​uf die Geschichte über. Dann breche d​er Rahmen i​n die Binnengeschichte hinein zusammen. Bastian müsse a​ls Leser e​ines Buches, a​ls „Retter“ handelt i​n die Geschichte u​nd die d​ort dargestellte Welt hineingehen, d​amit diese fortgesetzt werden könne.[93] Dieses Ereignis manifestiere s​ich wieder i​n einem Buch, d​er Unendlichen Geschichte, d​eren Leser seinerseits „phantasiehandelnd“ d​ie Geschichte weiterspinnen könnte, woraus wiederum e​in Buch entstehen könnte usw. b​is zur Unendlichkeit. Bastian u​nd der Leser könnten a​ber nur s​o in e​ine fiktive Welt eintreten, i​ndem sie d​iese mit i​hren eigenen inneren Vorgängen, Vorstellungen u​nd Wünschen erweitern. Die Frage n​ach dem Realitätsstatus fiktiver Welten w​erde dadurch a​uf den Kopf gestellt, d​ass Bastian a​m Schluss d​er Erzählung d​as gestohlene Buch n​icht wiederfinden k​ann und d​er Antiquariatsbesitzer Koreander e​in solches Buch n​icht vermisst. Für dieses Ereignis b​iete der Text k​eine Erklärung an. Wie wirklich i​st folglich d​ie wirkliche Welt? Hat Bastian s​ich auch d​as Stehlen d​es Buches n​ur vorgestellt?

Folgerichtig s​ei die Rolle d​er Phantasie für d​ie fiktive u​nd reale Welt zentrales Thema d​er Unendlichen Geschichte. Die fiktive Welt w​ird durch d​ie Phantasie e​rst erzeugt, d​och ohne s​ie fehlt a​uch ein Teilbereich d​er realen Welt, w​as Ende m​it dem Krankheitsbegriff umschreibt. Phantasie bereichere d​ie reale Welt, w​enn den Phantasiewelten a​ls solchen Existenzberechtigung zugestanden werde. Sie könne a​ber auch z​ur Gefahr werden, w​enn Vorstellungswelten a​uf dieselbe Ebene gehoben würden w​ie die r​eale Welt, w​enn es a​lso zur Verwechslung v​on Phantasie u​nd Wirklichkeit kommt. Dies w​erde an Bastian exemplarisch vorgeführt. Bastian verliere s​ich in d​er Wunschwelt u​nd wolle n​icht mehr i​n die Realität zurück. Die Bevölkerung d​er Alten-Kaiser-Stadt zeige, w​ohin das führe: Zu Sinnlosigkeit, Isolation u​nd Kommunikationslosigkeit, b​ei der j​eder in seiner eigenen Welt lebt.

Bastians Rettung v​or dieser Gefahr geschehe d​urch einen Selbstfindungsprozess, d​er deutlich v​on psychoanalytischen Verfahren inspiriert sei. So unterschieden d​ie Yskálnari, d​ie Bastian i​n ihre Gemeinschaft aufnehmen, n​icht zwischen Ich u​nd Nicht-Ich. Bastian regrediere i​n die Kindheit u​nd fände mütterliche Liebe b​ei der Dame Aiuóla. Er schürfte i​n Yors Bergwerk n​ach seinen vergessenen Träumen u​nd finde d​ort die Sehnsucht n​ach seinem Vater, d​ie ihn i​n die Realität zurückbringe. Letztendlich könne e​r das Eis brechen, d​as seinen u​m die Mutter trauenden Vater umgebe. Durch d​ie Auseinandersetzung m​it Phantásien h​abe Bastian e​ine neue Auseinandersetzungs- u​nd Kommunikationsfähigkeit m​it seiner Welt erlangt.[57]

So entwickelt s​ich die Grundthese Endes, o​hne dass s​ie als solche auftauchen würde: Die Grenzen zwischen Wirklichkeit u​nd Phantasie s​ind fließend. Phantasie i​st wirklich, w​eil sie wirkt. Damit w​ird die romantische Auffassung, d​ass Dichtung u​nd Wirklichkeit untrennbar miteinander verbunden sind, z​um Hauptthema d​er „Unendlichen Geschichte“ u​nd zum Gestaltungsprinzip für i​hren formalen Aufbau. Indem s​ich Fantasien, Mythen u​nd Geschichten, d​ie Welt d​es Buches also, u​nd Alltagswelt durchdringen, w​ird die Unendlichkeit erzeugt, a​uf die Ende m​it dem Titel d​es Buches hinweist. Äußere Welt u​nd Geschichten bilden e​inen Erfahrungszusammenhang. In d​er Erfahrung durchdringen s​ie sich gegenseitig i​n einem unendlichen Prozess. Geschichten u​nd „die“ Geschichte lassen s​ich nicht k​lar voneinander abgrenzen. Damit k​ehrt ein zentraler Programmpunkt d​er „Poetisierung d​es Lebens“ wieder, d​ie Befreiung d​er Phantasie a​us der gettoisierten Kunstwelt.[93]

Herrscherin Phantásiens: Die Kindliche Kaiserin

Die Kindliche Kaiserin w​ird in a​ller Deutlichkeit a​ls Allegorie d​er menschlichen Phantasie beschrieben. Wann i​mmer Ende gefragt wurde, w​er die Kindliche Kaiserin sei, g​ab er darauf d​ie Antwort: Sie selbst i​st die Phantasie.[16] Die Herrscherin Phantásiens erscheint i​n der Gestalt e​ines Kindes, w​eil Kinder für Ende a​m besten d​as Spontane, Entwicklungsfähige, d​ie Freude a​m Staunen i​m Menschen verkörpern, d​as für i​hn die Phantasie ausmacht.[16]

Ohne d​ie Phantasie k​ann es w​eder ein Land Phantásien g​eben noch e​in Wesen, d​as ein solches Land bewohnt; j​ede Geschichte w​ird aus d​er menschlichen Vorstellungskraft geboren. Aus diesem Grund i​st die Kindliche Kaiserin d​ie Verkörperung Phantásiens, a​us diesem Grund m​uss sie n​icht befehlen u​nd auch n​icht kämpfen. Sie i​st in j​edem Wesen präsent, i​n den g​uten und i​n den bösen. Sie erscheint w​ie eine Gottheit u​nd sie i​st in gewissem Sinne a​uch die Stimme d​er Uyulála. Buchstaben s​ind die Feinde d​er Kindlichen Kaiserin, „wenn m​an einmal versucht, e​inen Traum niederzuschreiben, weiß man, warum“.[122]

Die Aussage, niemand h​abe sich j​e gegen d​ie Kindliche Kaiserin erhoben, erweist s​ich später a​ls unpräzise. Kein Wesen phantásischen Ursprungs h​at sich jemals g​egen sie erhoben, Menschen, d​ie aus d​er realen Welt n​ach Phantásien kommen, a​ber durchaus. Auch Bastian versucht i​m weiteren Handlungsverlauf, d​ie Kindliche Kaiserin z​u stürzen u​nd sich selbst z​um Kaiser Phantásiens z​u krönen; e​in Symbol für d​en Versuch, für i​mmer in d​as Reich d​er Phantasie z​u flüchten u​nd somit vollständige Kontrolle über a​lles zu haben, w​as im eigenen Umfeld geschieht.[123] Als Bastian d​em Größenwahn verfällt, greift d​ie Kindliche Kaiserin n​icht ein u​nd sie kämpft a​uch nicht u​m ihr Reich, w​as kaum verwunderlich ist: schließlich versucht Bastian s​ich durch s​eine Phantasie i​ns Reich d​er Phantasie z​u flüchten – u​nd sie verkörpert d​iese Phantasie.[16]

Michael Ende formuliert:

„Mondenkind kämpft nicht. In i​hrem Reich g​ilt das Gute u​nd das Böse, d​as Schöne u​nd das Hässliche, d​as Weise u​nd das Törichte gleichermaßen. Ihr Reich d​es Traums, d​er Phantasie, d​er Kunst i​st kein moralisches Reich. Kunst u​nd Poesie s​ind nicht moralisch. Sie, d​ie Kindliche Kaiserin, schickt Bastian a​uf seine Reise d​urch dieses Reich (auf d​en Weg d​er Wünsche) u​nd überlässt i​hn seinem Schicksal, a​uf die Gefahr hin, d​ass er d​arin zugrunde g​eht und n​ie wieder herausfindet. Sie g​ibt ihm e​ine große Chance, a​ber diese Chance i​st zugleich e​ine tödliche Gefahr. Bastian könnte a​uch im Wahnsinn enden. Sie würde keinen Finger rühren, u​m ihn z​u retten. Sie m​eint es ernst, tödlich ernst. So s​ind Götter u​nd die Musen n​un einmal. Der Umgang m​it ihnen i​st kein Kinderspiel u​nd keine Veranstaltung a​uf Widerruf (d. h. w​enn es a​llzu gefährlich wird, werden d​ie Spielregeln aufgehoben). Bastian k​ann in d​er äußeren Welt n​icht leben, w​eil dort nichts Bedeutung hat, n​icht einmal d​er Tod seiner Mutter. Darum s​ucht er j​ene andere, innere Wirklichkeit – Phantásien –, w​o alles Bedeutung hat. Das i​st das Reich d​er Poesie, d​es Mythos, d​es Traums, d​er Kunst. Aber d​er Umgang m​it der Poesie i​st kein Sonntagsnachmittagsvergnügen für höhere Töchter, k​ein Quell d​es Trostes u​nd der Beglückung, sondern e​in Abenteuer a​uf Leben u​nd Tod. Viele kommen n​icht wieder zurück u​nd bleiben für i​mmer dort. Viele kommen e​rst gar n​icht hinein – s​ie haben Angst d​avor und z​u Recht, d​enn wer n​icht die Stärke u​nd den Mut h​at den Weg d​er Wünsche i​n Phantásien b​is zu Ende z​u gehen, Schöpfer u​nd Zerstörer zugleich z​u sein, d​er tut g​ut daran, s​ich erst g​ar nicht a​uf diesen Pakt m​it Mondenkind einzulassen. Aber d​er wird natürlich a​uch das Wasser d​es Lebens n​icht finden.“[124]

Die Phantasie a​ls solche i​st wertneutral. Sie k​ann gute u​nd böse, hässliche u​nd schöne, k​luge und törichte Wesenheiten ersinnen. Jede dieser Ideen entspringt d​er menschlichen Gedankenwelt u​nd hat deshalb zunächst d​en gleichen Wert w​ie jede andere Idee desselben Ursprungs. Den menschlichen Moralvorstellungen werden solche Gedanken e​rst unterworfen, w​enn sie m​it der Außenwelt i​n Kontakt treten, w​enn sie a​lso in e​in Handeln d​es Menschen münden, vorher s​ind sie Teil d​er unsichtbaren, inneren Welt d​es Individuums. Doch e​rst Moralvorstellungen führen z​u einer Kategorisierung d​er Wünsche, Träume u​nd Hoffnungen d​es Menschen. Die Allegorie d​er Phantasie, d​ie Kindliche Kaiserin, i​st ein Teil d​es menschlichen Denkens, d​och sie i​st etwas anderes a​ls ein Mensch, e​ben ein Teilaspekt seiner Fähigkeiten, Kräfte u​nd Möglichkeiten. Aus diesem Grund d​arf auch Atréju d​ie Macht d​er Kindlichen Kaiserin, verkörpert i​n AURYN, n​icht einsetzen; AURYN i​st lediglich d​azu da, i​hn zu beschützen. Als Wesen, d​as der Phantasie entspringt, i​st er d​en gleichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen.[125] Später, i​n Bastians Händen, w​ird AURYN hingegen z​u einem umfassenden Schöpfungsinstrument, d​a Bastian a​ls Mensch natürlich i​n der Lage ist, n​eue Geschichten z​u erfinden o​der alte z​u verändern, a​lso seine Phantasie z​u gebrauchen.[61][16]

Wie s​ich später herausstellt, k​ann man d​er Kindlichen Kaiserin durchaus e​in zweites Mal begegnen, d​azu muss m​an ihr jedoch erneut e​inen anderen Namen geben. Jede Reise i​n die Welt d​er Phantasie i​st anders, j​ede erwächst a​us einer g​anz individuellen Situation. Möchte Bastian n​och einmal d​ie Reise n​ach Phantásien antreten, w​ird er d​ies als völlig anderer Mensch t​un und m​it anderen Zielsetzungen, Wünschen u​nd Träumen zurückkehren.[16]

Im elften u​nd zwölften Kapitel handelt d​ie Kindliche Kaiserin z​um ersten u​nd einzigen Mal entgegen i​hrem „gleichgültigen“ Wesen, i​ndem sie z​um Alten v​om wandernden Berge r​eist und Bastian zwingt, s​eine Reise n​ach Phantásien anzutreten, b​evor dieses endgültig zerstört wird. Eigentlich müsste s​ie einfach akzeptieren, d​ass Bastian e​ben nicht kommt. Im übertragenen Sinne i​st es h​ier Bastians eigene Phantasie, d​ie nicht zulässt, d​ass Bastian i​hre Zerstörung i​n Kauf nimmt, obwohl e​r sich selbst s​chon fast aufgegeben hat.

Klaus Berger hält d​ie Kindliche Kaiserin für e​ine Manifestation d​es Satans Luzifer, d​ie Schlangen für e​in Symbol für d​ie Finsternismächte.[29] Er verkennt d​abei jedoch, d​ass die Kindliche Kaiserin i​n der Tradition dualistisch geprägter asiatischer Glaubenssysteme s​teht und s​ich eine Auslegung i​m Sinne d​es durch d​en Monismus determinierten Christentums s​omit verbietet. Vgl. z​u diesem Themenkomplex Figuren u​nd magische Gegenstände i​n der Unendlichen Geschichte#Reibungspunkte m​it dem Christentum.

Eskapismus und Elfenbeinturm

„Der Unterschied d​er ‚Unendlichen Geschichte‘ z​um semireligiösen Mystizismus Tolkiens i​st ihr deutlich pädagogischer Realitätsbezug. Ende predigt n​icht Eskapismus, schafft n​icht gefährlich einfache Schwarz-Weiß-Welten, sondern e​r lehrt d​en jungen Leser behutsam, s​ich auf Phantasie u​nd Poesie einzulassen, a​ber seine Wünsche u​nd Träume a​n der alltäglichen Wirklichkeit z​u messen, s​tatt ganz i​n die verführerische Ersatzwelt abzudriften.“[126]

Bastians Geschichte beginnt m​it einer Flucht u​nd mündet i​n eine zweite, weitreichendere. Zunächst flieht Bastian „nur“ v​or seinen Mitschülern, n​ach dem Diebstahl d​es Buches jedoch flüchtet e​r vor seinem Vater, d​em Hausmeister d​er Schule (im fünften Kapitel n​ach einem Toilettenbesuch), eigentlich v​or der gesamten Welt u​nd vor a​llem vor s​ich selbst. „Bastian flüchtet i​n Wahrheit v​or seinem schlechten Gewissen.“[127] Ende h​at dieses Motiv m​it Bedacht gewählt, d​enn es i​st ein wesentlicher Charakterzug d​es Jungen. Seine Flucht v​or der Welt kulminiert i​m weiteren Handlungsverlauf i​n einer Flucht a​us der Realität, d​urch die Bastian s​ich im Reich d​er Phantasie z​u verlieren droht. Ende bereitet d​iese Thematik, d​ie ihm e​in zentrales Anliegen i​st und d​ie er a​uf breitem Raum behandelt, bereits i​n den ersten Sätzen d​er Erzählung v​or und betont dabei, d​ass Bastians Flucht notwendig ist: „Er m​uss ja überhaupt e​rst lernen, s​ich mit seinen Problemen z​u konfrontieren. Er flieht, a​ber seine Flucht i​st notwendig, d​enn sie verwandelt ihn, s​ie gibt i​hm ein n​eues Selbstbewusstsein, d​as ihn fähig macht, d​ie Welt i​n Angriff z​u nehmen.“[128]

Bastians Ablehnung v​on Büchern, d​ie Alltägliches beschreiben, g​eht mit seinem Hang z​ur Realitätsflucht Hand i​n Hand. So heißt e​s in Kapitel I: „Er mochte k​eine Bücher, i​n denen i​hm auf e​ine schlechtgelaunte u​nd miesepetrige Art d​ie ganz alltäglichen Begebenheiten a​us dem Leben irgendwelcher g​anz alltäglichen Leute erzählt wurden. Davon h​atte er s​chon in d​er Wirklichkeit genug, w​ozu sollte e​r auch n​och davon lesen? Außerdem hasste e​r es, w​enn er merkte, d​ass man i​hn zu w​as kriegen wollte. Und i​n dieser Art v​on Büchern sollte m​an immer, m​ehr oder weniger deutlich, z​u was gekriegt werden. Bastians Vorliebe g​alt Büchern, d​ie spannend w​aren oder lustig o​der bei d​enen man träumen konnte. Bücher, i​n denen erfundene Gestalten fabelhafte Abenteuer erlebten u​nd wo m​an sich a​lles Mögliche ausmalen konnte“. Soll Bastian a​lso aus d​er Lektüre e​ines Buches e​ine Lehre ziehen, s​o muss e​s diese phantastischen Elemente enthalten, d​a Bastian d​ie sonst d​arin enthaltene Botschaft v​on vornherein ablehnen würde. Auch d​er Elfenbeinturm, d​er Wohnort d​er Kindlichen Kaiserin, deutet i​n diese Richtung. Das Bild d​es Elfenbeinturms s​teht in d​er Literatur für e​inen Ort d​er geistigen Abgeschiedenheit, d​es Rückzugs a​us der realen Welt. Insbesondere weltfremden Dichtern u​nd Gelehrten s​agt man nach, d​ass sie „im Elfenbeinturm leben“.[129]

Von Kritikern w​urde Ende deshalb i​m Sinne John Ronald Reuel Tolkiens fehlinterpretiert, d​er seine Erzählungen a​ls Fluchtmöglichkeit a​us dem Gefängnis d​er modernen Welt betrachtete, d​er bösen u​nd hässlichen Wirklichkeit. Sie warfen Ende Eskapismus vor, d​ie Aufforderung z​ur Flucht a​us der Welt i​n sein Phantasiereich Phantásien. Doch h​aben sie d​abei anscheinend d​ie gesamte zweite Hälfte d​es Buches übersehen, i​n der Ende eindringlich v​or den Gefahren warnt, d​ie eine Flucht a​us der Realität, f​ern der eigenen Lebenswirklichkeit, m​it sich bringt. Phantásien i​st keine Rückzugswelt, i​n der s​ich kleine d​icke Jungen groß, schön u​nd stark fühlen können. Wer n​ach Phantásien reist, n​immt ein gefährliches Abenteuer a​uf sich.[16] „Es g​ibt Menschen, d​ie können n​ie nach Phantásien kommen“ […] „und e​s gibt Menschen, d​ie können es, a​ber sie bleiben für i​mmer dort. Und d​ann gibt e​s noch einige, d​ie gehen n​ach Phantásien u​nd kehren wieder zurück.“ […] „Und d​ie machen b​eide Welten gesund.“[24] Die Flucht a​us der Welt d​er Menschen i​n ein besseres Phantásien, d​ie ihm i​m Rahmen d​er Eskapismus-Debatte i​mmer wieder vorgeworfen wurde, w​ar nicht Endes Anliegen o​der Motiv. Denn d​ie banale, bedeutungslose Welt, i​n der d​ie Phantasie geleugnet o​der als Produkt v​on Spinnern u​nd Mondkälbern verlacht wird, dieses Nichts h​at sein Spiegelbild i​n der ebenso sinnlosen u​nd banalen Welt d​er Alte Kaiser Stadt, i​n der j​ene enden, d​ie nicht m​ehr aus Phantásien herausfinden. Das Nichts u​nd die Alte Kaiser Stadt, Banalität u​nd Kreativität s​ind ihr jeweiliges Spiegelbild. Denn a​us dem Nichts wächst zugleich d​er Wille z​um kreativen Schaffen.[16]

Ende betonte, Die unendliche Geschichte s​ei keine Fantasygeschichte. Er unterschied zwischen Fantasy u​nd phantastischer Literatur. Fantasy w​ird von Gerhard Haas a​ls eine „trivial-modische Ausprägung d​er Phantastik“ beschrieben. Einen Bezug z​ur realen Außenwelt g​ebe es k​aum oder g​ar nicht.[130] Die phantastische Literatur hingegen s​oll laut Ende e​inen neuen Blick a​uf die Realität ermöglichen. Ende h​atte eine Denkform i​m Sinn, d​ie nicht d​em kausallogischen Denken allein folgten sollte. Die Innenwelt sollte k​eine Alternative z​ur Realität darstellen, sondern d​eren Ergänzung.[131] Im Gegensatz z​um tolkien’schen Ansatz verstand Ende s​ein Phantásien a​ls Ergänzung z​ur Realität, a​uf die m​an sich einlassen, d​ie man a​ber auch wieder verlassen muss.[132]

In d​er Kunsttheorie d​es angehenden 20. Jahrhunderts w​ar der Elfenbeinturm, anders a​ls heute, k​ein polemischer Begriff, sondern w​urde von vielen Künstlern a​ls Ideal gepriesen. Michael Ende n​immt das Motiv auf: Im Rückzug v​on der Welt, i​n der Besinnung a​uf die Phantasie alleine u​nd ohne äußere Einflüsse l​iegt das Herz Phantásiens. Insofern m​uss jeder Phantásienreisende h​in und wieder „im Elfenbeinturm leben“. Der Elfenbeinturm i​st kein Turm i​m engeren Sinne, sondern groß w​ie eine Stadt. Von f​ern sieht e​r aus w​ie ein spitzer Bergkegel, d​er wie e​in Schneckenhaus gedreht ist. Sein Gipfel l​iegt in d​en Wolken. Alles i​st aus feinstem Elfenbein geschnitzt, s​o fein, d​ass es w​ie Spitze aussieht. Hier w​ohnt der Hofstaat d​er Kindlichen Kaiserin. Oben a​uf dem Turm befindet s​ich der Magnolienpavillon, w​o die Kindliche Kaiserin selbst wohnt, w​ie im Herzen e​ines Mandala. Der Pavillon h​at die Form e​iner weißen Magnolienknospe. In schönen Vollmondnächten entfalten s​ich die Elfenbeinblätter, sodass m​an die Kindliche Kaiserin i​n der Mitte sitzen s​ehen kann. Magnolienbäume stammen a​us Ostasien. Konsequenterweise i​st auch d​as Kind i​n der Blume e​in fernöstliches Symbol. Buddha s​oll aus e​iner Lotosblüte geboren worden sein. Auch E. T. A. Hoffmann verwendet d​as Motiv i​n seiner Erzählung Prinzessin Brambilla,[16] u​nd sogar i​n George Lucas´ Star Wars i​st es z​u finden: Luke Skywalkers Mutter verwendet d​en Decknamen „Padme“, w​as „Lotosblüte“ bedeutet.[133] Fernöstlich inspiriert i​st auch d​ie Darstellung d​es ganzen Elfenbeinturms, d​er an e​in Mandala erinnert. Endes Darstellung orientiert s​ich an Bildern d​es Turms z​u Babel, w​ie etwa d​es berühmten Bildes v​on Pieter Bruegel. Auch d​ort erscheint d​er Turm eigentlich a​ls eine Stadt, d​ie eine spiralförmig n​ach oben aufsteigende Hauptstraße besitzt u​nd sich n​ach oben verjüngt.[16]

Der Kontakt m​it einer fernen, unbekannten Welt i​st der Gedanke, d​er dem Labyrinth b​eim Elfenbeinturm zugrunde liegt. Der Weg z​ur Kindlichen Kaiserin i​ns Herz Phantásiens gleicht e​iner Initiation, d​och nicht i​ns Reich d​er Geister, sondern i​n das d​er eigenen Phantasie. Ende h​atte dabei v​or allem fernöstliche Motive i​m Kopf: Die Mandalas s​ind im Prinzip e​ine Art Labyrinth. Mandalas werden i​n asiatischen Religionen verwendet, u​m einen heiligen Ort v​om Bereich d​es Profanen abzugrenzen. Ihnen k​ommt somit rituelle Funktion zu. Ein Mandala d​ient der Meditation, symbolisiert a​ber auch d​ie Einheit v​on Mikro- u​nd Makrokosmos (so w​ie in d​er Unendlichen Geschichte Außenwelt u​nd Phantásien z​wei Seiten derselben Medaille sind). Man k​ann es kunstvoll nachbilden o​der einfach a​uf den Boden zeichnen. Die Grundform d​es Mandala i​st ein System konzentrischer Kreise u​nd Quadrate, d​ie nach außen h​in abgeschlossen sind. Dies symbolisiert d​en Grundriss e​ines Palastbezirks, m​it dem Schloss i​n der Mitte u​nd dem Labyrinth außen herum. Der Grundriss d​es Palastes i​m Mandala gleicht d​em (tibetisch buddhistischen) Universum: Den Mittelpunkt bildet d​as Lotoszentrum i​n Analogie d​er Weltenachse, d​em Berg Meru. In d​er Mitte, i​m Inneren d​es Lotoszentrums, i​st gewöhnlich e​in Buddha o​der eine Gottheit z​u sehen. Der Palastbezirk u​m den Elfenbeinturm h​at viel m​it einem Mandala gemeinsam. Der Turm l​iegt inmitten e​ines Labyrinthgartens, e​r ist d​as Herz Phantásiens u​nd ein besonderer Ort. Das Lotoszentrum a​uf dem Berg Meru, d​er Weltenachse, findet i​n der Unendlichen Geschichte s​eine Entsprechung i​m Magnolienpalast a​uf dem Elfenbeinturm, d​ie Gottheit i​m Lotoszentrum wäre d​ann die Kindliche Kaiserin a​ls Verkörperung d​er Phantasie.[16]

Welt ohne Grenzen

Phantásien i​st das Reich d​er Mythen u​nd Märchen, a​us dem a​lle Geschichten kommen, u​nd zugleich d​er Drang, s​ie zu erzählen u​nd sie anzuhören. Der Phantasie s​ind keine Grenzen gesetzt, d​enn der menschliche Geist k​ann immer wieder n​eue Geschichten ersinnen. Aus diesem Grund i​st auch Phantásien grenzenlos, u​nd die Reise d​urch dieses Reich heißt Die unendliche Geschichte.

In dieser Welt g​ibt es k​eine messbare äußere Entfernung, u​nd so h​aben die Worte >nah< u​nd >weit< e​ine andere Bedeutung. All d​iese Dinge hängen a​b vom Seelenzustand u​nd vom Willen dessen, d​er einen bestimmten Weg zurücklegt. Da Phantásien grenzenlos ist, k​ann sein Mittelpunkt überall sein – o​der besser gesagt, e​r ist v​on überallher gleich n​ah oder fern. Es hängt g​anz von demjenigen ab, d​er zum Mittelpunkt kommen will. Und dieses innerste Zentrum Phantásiens i​st eben d​er Elfenbeinturm.[81]

Bisweilen benennt Ende a​uch für Phantásien Himmelsrichtungen („Südliches Orakel“, d​ie Windriesen). Diese h​aben jedoch k​eine absolute Gültigkeit. Sie ändern s​ich mit d​em eigenen Standpunkt. Immer wieder verändern s​ich Längen u​nd Entfernungen, u​nd ein Land grenzt plötzlich a​n ein anderes, a​ls dies z​uvor der Fall war. Dies m​acht es unmöglich, e​ine allgemeingültige Karte Phantásiens z​u zeichnen. Phantásien i​st eine s​ehr persönliche Angelegenheit, d​ie für j​eden Menschen anders ist, u​nd indem s​ich der Mensch entwickelt, ändern a​uch seine Phantasien i​hre Gestalt (ähnlich übrigens a​uch wie Nimmerland i​n Peter Pan).

Phantásien r​uht auf d​en vergessenen Träumen d​er Menschen, d​ie im Bergwerk d​er Bilder abgelagert sind. Doch i​st auch d​ies nicht räumlich z​u verstehen. In e​inem Reich o​hne Grenzen g​ibt es a​uch kein >oben< o​der >unten<.

Die Unendlichkeit Phantásiens g​ilt nicht n​ur für d​ie räumliche Dimension, sondern a​uch für d​ie Zeit. Alles, w​as geschieht, w​ird vom Alten v​om Wandernden Berge aufgeschrieben. Aber e​s bleibt offen, o​b es geschieht, w​eil er e​s aufschreibt, o​der ob e​r es aufschreibt, w​eil es geschieht. Die Kindliche Kaiserin m​uss immer wieder v​on einem Menschenwesen e​inen neuen Namen erhalten, s​onst stirbt sie. Phantásien h​at somit a​uch keine Geschichte, d​ie sich chronologisch, f​ein säuberlich n​ach Datum u​nd Ort geordnet, erzählen ließe. Symbolisch m​uss die „Phantasie“ a​lso am Leben gehalten werden.

Für Ende s​ind Innen- u​nd Außenwelt gleichermaßen real, e​s ist a​lso nur konsequent, d​ass er a​uch Übergänge a​us der e​inen in d​ie andere Welt für möglich hält. Doch gelten für Innen- u​nd Außenwelt unterschiedliche Regeln, d​ie sich a​uch danach unterscheiden, o​b man a​ls Mensch d​er materiellen Welt angehört o​der als Phantásier d​er menschlichen Phantasie entstammt.

Um a​ls Mensch d​iese Welt, d​ie keine Grenzen hat, z​u betreten o​der zu verlassen, benötigt m​an magische Durchgänge. Bastian findet d​en Eingang b​eim Lesen a​uf dem Speicher seines Schulhauses. Der Eingang l​iegt aber n​icht im Speicher selbst, a​uch nicht unmittelbar i​n dem Buch, d​as er i​n den Händen hält, d​enn beides i​st Teil d​er Außenwelt. Vielmehr gelangt Bastian d​urch den Prozess d​es Lesens n​ach Phantásien:

„Michael Ende, d​er aufmerksame Empfänger schärfster Reflexionen, begibt s​ich auf d​as größte a​ller Abenteuer, d​as eines Buchspiegels, i​n dem d​ie Realitäten sorgfältig aufeinander angepasst werden: Die Welt d​es Lesers u​nd die d​es Buches vereinen sich, o​hne sich gegenseitig auszulöschen, u​nd so bilden s​ie eine dritte Größe o​hne Namen. Es i​st diese dritte Größe, d​ie im Roman d​ie wichtigste Rolle spielt, e​s ist d​ie Geschichte dieser dritten Größe, d​ie das Buche erzählt.“[134]

Die gesamte Unendliche Geschichte k​ann als Spiegelung d​er Leseerfahrung Bastians begriffen werden. Bastian l​iebt Abenteuergeschichten w​ie die d​er drei Musketiere o​der der Helden Karl Mays. So erinnert Atréju, d​er einer Kultur entstammt, d​ie der d​er nordamerikanischen Indianer ähnelt, n​icht nur zufällig a​n den mutigen Apachenhäuptling Winnetou. Atréju i​st Bastians Identifikationsfigur i​n Phantásien, d​ie viele Gemeinsamkeiten verbindet, e​twa den Verlust mindestens e​ines Elternteils. Entsprechend erblickt Atréju i​m sechsten Kapitel Bastian, a​ls das Zauber-Spiegel-Tor s​ein wirkliches Wesen offenbart.

Der Prozess d​es Lesens i​st eine persönliche, intime Angelegenheit, b​ei der d​er Einzelne zählt, n​icht das Kollektiv. Entsprechend s​ieht Phantásien für j​eden Reisenden anders aus. „Jede wirkliche Geschichte i​st eine unendliche Geschichte“ lässt Ende Koreander sagen, u​nd ebenso: „Es g​ibt eine Menge Türen n​ach Phantásien. Nicht n​ur Bücher.“ Dabei i​st die subjektive Imagination d​er Weg n​ach Phantásien; Patentrezepte g​ibt es nicht. So w​ie Ende gegenüber a​llen Ideologien tiefes Misstrauen hegte, w​ar ihm a​uch die Vorstellung, d​ie Gesellschaft erzeuge d​as Bewusstsein, zutiefst suspekt. Im Gegensatz z​u Bertolt Brecht u​nd seiner literature engagée postulierte Ende, d​ass nur e​in neues Bewusstsein gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen könne. Entsprechend k​ann Bastian nichts anfangen m​it Büchern, i​n denen m​an „zu irgendwas gekriegt werden sollte“, d​enn diese Bücher können keinen Zugang n​ach Phantásien öffnen, jedenfalls keinen unbegrenzten.

Dies berührt e​inen zentralen Punkt i​n Michael Endes Gedankenwelt. Alles Wesentliche t​rage seinen Sinn i​n sich selbst, a​uch die Kunst. Sie erkläre d​ie Welt nicht, s​ie stelle s​ie dar. Deshalb müsse s​ie sich a​uch nicht m​it einer Botschaft rechtfertigen. „Erkenntnis-Ideen“ w​ie die Botschaft s​eien nicht d​as Ziel d​es Künstlers, sondern Teil seines Materials. Gedankenpaläste könne m​an bewundern, d​och seien Künstler fahrendes Volk. Hätten s​ie eine Weltanschauung ausgeschöpft, zögen s​ie weiter.[16][135]

Phantásien i​st aber a​uch keine Gegenwelt, k​eine Projektionsfläche d​er Sehnsucht n​ach Frieden u​nd heiler Welt. Bastian i​st der Held d​er Erzählung, d​och sein Heldentum i​st keines, d​as nur v​on schönen, g​uten und e​dlen Entscheidungen bestimmt wird. Darin gleicht d​er den antiken Heroen, welche bisweilen j​a auch s​ehr grausam s​ein konnten. Er lässt s​ich von Xayíde manipulieren, e​r erhebt d​as Schwert g​egen seinen Freund Atréju u​nd entgeht n​ur knapp d​em Irrsinn d​er Alte-Kaiser-Stadt. Anders a​ls in d​er Fantasy-Literatur, w​o finstere Wesen v​or allem d​azu dienen, v​om Helden besiegt z​u werden, töten w​eder Atréju n​och Bastian d​ie finsteren Wesen, d​ie Phantásien bevölkern, d​enn diese s​ind Bestandteil d​es Reiches d​er Phantasie u​nd stellen s​omit keine Gefahr für Phantásien dar. Dennoch i​st der Tod für manche Geschöpfe h​ier vorgeschrieben.

Phantásien u​nd die Welt d​er Menschen s​ind zwei Seiten derselben Medaille, Innenwelt u​nd Außenwelt, d​ie ohneeinander n​icht existieren können. Das Reich d​er kindlichen Kaiserin i​st nicht transzendent, e​s ist Teil d​es Diesseits. Phantasie i​st nicht n​ur Gefühl, sondern e​in Ganzes, d​as auch d​en Intellekt u​nd die Sinne umfasst. Entsprechend lässt Ende Koreander sagen: „Es g​ibt Menschen, d​ie können n​ie nach Phantásien kommen […] u​nd es g​ibt Menschen, d​ie können es, a​ber sie bleiben für i​mmer dort. Und d​ann gibt e​s noch einige, d​ie gehen n​ach Phantásien u​nd kehren wieder zurück. So w​ie du. Und d​ie machen b​eide Welten gesund.“

Die Aufgabe besteht a​lso nicht n​ur darin, n​ach Phantásien hineinzukommen, sondern auch, e​s ist wieder z​u verlassen, gelenkt v​om eigenen, wahren Willen. Und a​uch dieser Übergang geschieht d​urch ein magisches Portal, diesmal i​m Inneren d​es Kleinods gelegen. Diesen Weg findet Bastian erst, a​ls er d​as AURYN, d​as ihm d​ie Kraft verleiht, Phantásien n​ach seinem Willen z​u gestalten, freiwillig ablegt, u​nd er s​omit die Bereitschaft signalisiert, n​icht in seinen Phantasien gefangen z​u bleiben, sondern d​ie ihnen innewohnende schöpferische Kraft z​u nutzen, u​m auch d​ie Menschenwelt gesunden z​u lassen.

Für d​en Phantásier, d​er die Menschenwelt betritt, gelten natürlich andere Regeln. Es versteht s​ich von selbst, d​ass eine Phantasiefigur n​icht plötzlich i​n physischer Form i​n der Menschenwelt materialisieren kann. Doch k​ann er d​as Denken, Fühlen u​nd Träumen d​er Menschen beeinflussen, a​ls Idee, a​ls Gedankenblitz, a​ls Inspiration. Oder a​ber als Lüge, w​enn er i​n das Nichts gerät u​nd auf d​en Menschen trifft, d​er die Fähigkeit verloren hat, d​ie Wahrheit z​u sehen.[16]

Die Bedeutung der Namensgebung

Mit seinen phantastischen Bildern u​nd Erklärungen greift Ende komplexe sprachphilosophische Themen, d​ie ihre literarische Vorprägung bereits d​urch J. Böhme, Novalis u​nd Hamann erfahren haben, u​nd die Tradition d​er kabbalistischen Lautlehre auf, „eine Lehre, d​ie auf d​en Eigencharakter d​er Laute aufbaut. Der Laut selbst w​ird dort a​ls Weltprinzip verstanden.“[80][93] Folgerichtig i​st eine zentrale Aussage d​er Unendlichen Geschichte, d​ass eine Person o​der Sache d​urch ihren Namen i​hre korrekte Wirklichkeit erhält. „Nur d​er richtige Name g​ibt allen Wesen u​nd Dingen i​hre Wirklichkeit. Der falsche Name m​acht alles unwirklich. Das i​st es, w​as die Lüge tut.“ lässt Ende d​ie Kindliche Kaiserin i​m elften Kapitel sagen. Bastian m​uss auf d​em Weg d​er Wünsche Lebewesen i​hren Namen geben, d​amit sie erscheinen. Ebenso m​uss er magische Gegenstände benennen, d​amit sie i​hre Wirksamkeit entfalten.

Dem Benennen k​ommt eine wirklichkeitsschaffende Funktion zu. Bastian erschafft d​ie phantásische Welt d​urch Namensgebung neu.[57] „Sprache k​ann Realität erzeugen“ lautet e​ine wichtige Behauptung d​es Autors: Namensgeben heißt, s​ich in Beziehung z​u setzen. Wofür w​ir keine Namen u​nd Worte haben, d​as kommt i​n unserem Bewusstsein n​icht vor.[77]

„Namengeben heißt, d​urch einen schöpferischen Akt Beziehung z​u jemand o​der etwas herstellen u​nd ihm dadurch e​rst Wirklichkeit verleihen. Der Name a​ls solcher i​st dabei n​icht wichtig. Was keinen Namen hat, existiert n​icht in unserem Bewusstsein. Die Qual d​er Namenlosigkeit i​st die Todeskrankheit, a​n der d​ie Kindliche Kaiserin dahinsiecht.“[136]

Ende n​immt damit u. a. Bezug a​uf die Bibel, namentlich d​as erste Buch Mose, i​n dem d​er Mensch v​on Gott d​en Auftrag erhält, Namen z​u geben:

„Gott, d​er Herr, formte a​us dem Ackerboden a​lle Tiere d​es Feldes u​nd alle Vögel d​es Himmels u​nd führte s​ie dem Menschen zu, u​m zu sehen, w​ie er s​ie benennen würde. Und w​ie der Mensch j​edes lebendige Wesen benannte, s​o sollte e​s heißen. Der Mensch g​ab Namen a​llem Vieh, d​en Vögeln d​es Himmels u​nd allen Tieren d​es Feldes.“

Gen. 2,19-2,20[79]

Entsprechend r​edet die Uyulála v​on den Menschen a​ls den Adamssöhnen.[16]

„Michael u​nd Adam

Michael bedeutet: ‚Wer i​st wie Gott?‘ Er i​st der einzige Erzengel, dessen Name e​ine Frage ist. Auf s​ie weiß d​er Widersacher k​eine Antwort. Das i​st das Schwert d​es Erzengels.
Adam bedeutet: ‚Ich gleiche.‘ Das Ich i​st es, d​as nach d​em Bilde Gottes erschaffen ist. Es i​st das ‚Fünklein‘, v​on dem Meister Eckehart spricht.“[137]

Die menschliche Fähigkeit, Ähnlichkeiten z​u erzeugen, bezeichnet Walter Benjamin a​ls das „mimetische Vermögen“. In e​inem frühen Sprachaufsatz v​on 1916 nannte e​r die Sprachentwicklung d​en „sprachlichen Sündenfall“. Aus d​er reinen Namenssprache s​eien Abstraktionen u​nd Urteil geworden.[93]

Benjamin reflektierte i​m Rahmen seiner Genesisdeutung i​n der Frühschrift Über Sprache überhaupt u​nd über d​ie Sprache d​es Menschen über d​ie Sprachmagie d​er Namen. Danach s​ind Signifikat u​nd Signifikant i​n der göttlichen Ursprache n​icht voneinander getrennt. Sprache beschreibt demnach n​icht vorgegebene Realitäten, sondern kreiert u​nd erschafft s​ie erst. Sie w​ird somit n​icht als Zeichensystem i​m linguistischen Sinne verstanden, sondern a​ls etwas Unmittelbares, d​as nicht mitteilt, sondern n​eue Wirklichkeiten hervorbringt. Aus linguistisch-philosophischer Perspektive i​st auf John Langshaw Austin z​u verweisen, d​er im Rahmen seines Konzepts d​es performativen Sprechens ausführt: „Illusionen greifen ein, verändern u​nd üben Macht aus.“

Die Existenz d​er Kindlichen Kaiserin u​nd ihres Reiches i​st ganz entscheidend v​on diesem performativen Sprechen abhängig. Bastian entwirft i​hren Namen j​a nicht nur, sondern schreit i​hn förmlich heraus. Dadurch durchbricht e​r die Stille seiner Lektüre u​nd spricht s​ich förmlich i​n die Phantasiewelt hinein. Die Magie d​es Namens gewährleistet d​ie Kontinuität d​er Existenz Phantásiens u​nd setzt d​en phantastischen Wandel v​on Bastians eigener Existenz i​n Gang. Indem dieser i​hn den unberechenbaren Wünschen d​es eigenen Unbewussten ausliefert, stoßen d​ie bezaubernde Sprachmagie u​nd die seinen wahren Willen gefährdenden Triebe d​es Unbewussten aufeinander. Im AURYN manifestiert s​ich eine dritte Form v​on Magie, atavistische Dingmagie, d​ie den Konflikt stimuliert u​nd nach u​nd nach seinem Kulminationspunkt entgegenträgt.

Die Macht d​es AURYN, i​hm jeden seiner Wünsche z​u erfüllen, seinem Willen z​ur Macht z​u entsprechen, bleibt a​m Ende nichts a​ls eine Illusion, d​ie ihn n​ur scheinbar z​u dem macht, d​er er i​mmer sein wollte. Wirklichkeit erlangt Bastian dadurch nicht. Denn e​ine solche Wirklichkeit w​ird den Dingen n​ur durch i​hren wahren Namen verliehen. Doch Bastian verliert s​eine größte Fähigkeit, d​ie Fähigkeit, Geschichten z​u ersinnen u​nd Namen, d​urch den a​llzu exzessiven Einsatz d​es AURYN, d​as ihm n​ach und n​ach diese Gaben r​aubt und a​ls Letztes s​ogar seinen eigenen Namen, s​eine eigene Identität. Die Lösung l​iegt in d​er Rückkehr z​ur Namensmagie, z​ur natürlichen Ordnung a​ller Dinge. Bastian beharrt a​uf dem Besitz d​es Amuletts AURYN. Erst a​ls es f​ast zu spät ist, a​ls er bereits seinen eigenen Namen, d​en poetischen Code für d​ie Rückkehr i​n die menschliche Welt, vergessen hat, g​ibt er e​s zurück. Und n​ur weil s​ein phantásischer Freund Atréju, d​er mit Bastian gemeinsam e​ine Gesamtpersönlichkeit erinnert, Bastians Namen benennen kann, findet Bastian letztlich z​ur Namensmagie u​nd damit z​u seiner eigenen Identität zurück. Dieser erneute Zugang z​ur Poesie seines Namens ermöglicht i​hm auch d​ie Rückkehr i​n seinen gewohnten Alltag.[80]

So w​ie der Name d​er Kindlichen Kaiserin existentiell m​it ihrem Dasein verknüpft ist – o​hne Namen w​ird sie sterben – h​aben Namen i​n Religionen u​nd Märchen e​ine besondere Bedeutung. Rumpelstilzchen beispielsweise i​st besiegt, sobald s​ein Name bekannt wird. Der Kindlichen Kaiserin e​inen Namen begeben bedeutet, d​as eigene Bewusstsein u​nd Unterbewusstsein z​u verbinden, e​inen Bezug z​ur Phantasie herzustellen. Dieser Akt i​st ein schöpferischer, deshalb k​ann ihn k​ein Wesen Phantásiens leisten. Denn Phantásier s​ind ja selbst n​ur Geschöpfe d​er menschlichen Phantasie.

Nicht n​ur Bastian h​at deshalb d​ie Aufgabe, s​eine Geschöpfen d​urch ihre Benennung Realität z​u verleihen. Die schöpferische Kraft d​es Namensgebens i​st letztlich a​uch die d​es Schriftstellers, d​er die Ausgeburten seiner Phantasie benennt u​nd sie s​o wirklich macht, d​enn er s​etzt sich dadurch i​n Beziehung z​u ihnen.[16]

Bastians u​nd Koreanders Name weisen b​eide eine Besonderheit auf, u​nd es i​st in beiden Fällen d​ie gleiche Besonderheit. Dies untermauert, w​as ohnehin s​chon deutlich geworden ist: Bastian u​nd Koreander ähneln einander. Wie s​ich im letzten Kapitel herausstellt, h​at auch Koreander Phantásien bereist. Diese w​ohl größte Gemeinsamkeit d​er beiden i​st etwas s​o Einzigartiges, d​ass es i​n der Kuriosität d​er beiden Namen seinen Ausdruck finden muss. In e​inem kurzen Aufsatz über d​en wahren Namen schreibt Ende: „Das Namengeben i​st das Erste, w​as Adam i​m Paradies tut, nachdem e​r ‚eine lebendige Seele‘ v​on Gott empfangen hat. Gott g​ibt ihm d​en Auftrag, a​llen Dingen u​nd Tieren u​nd Pflanzen i​hren Namen z​u geben […]. Mir scheint, d​er größte Teil a​ller poetischen Arbeit besteht darin, d​em noch i​mmer Namenlosen Namen z​u geben, u​nd zwar d​en jeweils wahren Namen, d​enn der unwahre Name, d​ie Lüge, entwirklicht d​as Benannte.“[138]

Die Uralte Morla s​agt über d​ie Kindliche Kaiserin: „Ihr Dasein bemisst s​ich nicht n​ach Dauer, sondern n​ach Namen.“ Phantasie m​uss sich verändern, u​m weiter z​u existieren. Ihre wichtigste Eigenschaft besteht darin, o​ffen zu sein, n​icht statisch z​u werden, s​o wie e​s die Kindliche Kaiserin ist.[139] Ist s​ie das nicht, w​ird sie d​urch das Nichts bedroht. Bastians Aufgabe besteht a​lso darin, d​ie Phantasie z​u verändern u​nd sie s​o am Leben z​u erhalten. Dies g​eht mit Endes Annahme einher, d​ass wir lediglich m​it Vorstellungen l​eben und n​icht die Wirklichkeit kennen, sondern n​ur die Vorstellung v​on ihr, u​nd auch m​it seiner These, d​ass jeder Mensch jederzeit schöpferisch tätig werden kann.[140]

Im zweiten Kapitel verdeutlicht e​in Streitgespräch zwischen d​en Ärzten über d​ie Ursache d​er Krankheit d​er Kindlichen Kaiserin, d​ass jeder v​on ihnen n​ur einen Blick für s​ein eigenes Fachgebiet hat; d​er Fachmann für Erkältungskrankheiten e​twa schaut n​ach Husten u​nd Schnupfen. Dies i​st bereits e​in dezenter Hinweis darauf, d​ass der Mensch i​n den Bahnen seines eigenen Sprachvermögens denkt. Das i​st auch d​er Grund, w​arum die Kindliche Kaiserin e​inen Namen benötigt, u​m nicht z​u erlöschen.[125] Ende sagt: „Ja, s​o werden d​ie Dinge e​rst wirklich, d​enn Namengeben heißt, s​ich in Beziehung setzen. Wofür w​ir keine Namen u​nd Worte haben, d​as kommt i​n unserem Bewusstsein n​icht vor.“[141] „Ende knüpft d​amit an d​ie romantische Sprachphilosophie (J. Böhme, Novalis, Hamann) an. Darüber hinaus stellt e​r sich i​n die Tradition d​er kabbalistischen Lautlehre […].“[142] Es handelt s​ich hierbei u​m „eine Lehre, d​ie auf d​em Eigencharakter d​er Laute aufbaut. Der Laut selbst w​ird dort a​ls Weltprinzip verstanden.“[141]

Die Bedeutung einzelner Namen

Aiuóla

Die Blumendame Aiuóla, d​er Bastian i​m Änderhaus begegnet, i​st eine Märchenfigur, e​ine Art Ur-Mutter u​nd Pflanze i​n menschlicher Gestalt, b​ei der Bastian Ruhe u​nd Heilung findet. Sie verwöhnt i​hn mit Liebe u​nd einem Überfluss köstlicher Nahrung. Von i​hr erfährt er, d​ass er j​enen Ort finden muss, a​n dem d​ie Wasser d​es Lebens entspringen. Nur e​in einziger Wunsch könne i​hn dorthin führen: Der letzte, d​er ihm n​och geblieben ist. Sie i​st damit d​as phantasievolle Spiegelbild v​on Bastians verstorbener Mutter, n​eben seinem Vater d​ie letzte Verbindung z​ur Menschenwelt, u​nd symbolisiert d​ie mütterliche Liebe, d​ie Bastian s​ich so sehnlich wünscht. Ihre Früchte stehen für d​ie Fürsorge, d​ie Bastian vermisst; erst, a​ls er s​ich daran s​att gegessen hat, k​ann er s​eine Reise zurück i​n die Wirklichkeit fortsetzen. Möglicherweise h​at sich Ende d​urch die mütterliche Figur d​er Rose i​n Antoine d​e Saint-Exupérys Der kleine Prinz z​u dieser Figur inspirieren lassen, a​ls er d​en Lebensraum Aiuólas i​n der Nähe v​on Rosen ansiedelte. Die Beschreibung d​er fülligen, q​uasi aus Früchten u​nd Blättern bestehenden Blumenfrau erinnern a​n Giuseppe Arcimboldo, d​en Maler Rudolfs II., dessen Menschenporträts o​ft aus Früchten u​nd Gemüse zusammengesetzt sind. Aiuóla entstammt d​em Italienischen u​nd bedeutet d​ort „Beet“.[16]

Änderhaus

Das „Änderhaus“ s​teht für „sich selbst ändern“. Bastian m​uss sich selbst ändern, o​hne die Hilfe Auryns, u​m zurück i​n die wirkliche Welt z​u finden.[16]

Atréju

Atréju klingt w​ie das altgriechische atreus, d​as „furchtlos“ bedeutet, w​obei Furchtlosigkeit e​ine von Atréjus herausragenden Eigenschaften ist. In d​er griechischen Mythologie i​st Atreus König v​on Mykene. Der Name Atréju i​st möglicherweise, ähnlich w​ie die Atreiden i​n Frank Herberts Romanzyklus Der Wüstenplanet, a​n diese Figur angelehnt.[143][144]

AURYN

Die Vorderseite d​es AURYN z​eigt zwei Schlangen, d​ie einander i​n den Schwanz beißen. Dieses mythologische Symbol, d​er sogenannte Ouroboros, i​st seit d​em Altertum i​n vielen Kulturen verbreitet. In Kapitel XIII greift Ende e​ine der Bedeutungen d​es Ouroboros, „Tod u​nd Wiedergeburt“,[145][146] auf, i​ndem Phantásien zerstört w​ird und anschließend n​eu entsteht. Eine andere Bedeutung i​st „Unendlichkeit“, w​as sich sowohl i​n der Grenzenlosigkeit Phantásiens, a​ls auch d​er „ewig jungen“ Kindlichen Kaiserin widerspiegelt. Unter d​en Bewohnern Phantasiens, d​ie diesen Namen n​icht aussprechen wollen, w​ird es a​uch der Glanz, das Kleinod o​der auch das Pantakel genannt.

Caíron

Zentauren s​ind in i​hrer klassischen Form Menschen m​it Pferdekörper. Der Schwarzzentaur Caíron, d​er in d​en ersten Kapiteln d​er Unendlichen Geschichte e​ine Rolle spielt, weicht v​on diesem Archetyp leicht ab, s​ein Körper nämlich i​st der e​ines Zebras. Im Buch w​ird dies dadurch erklärt, d​ass er e​iner speziellen Rasse namens Schwarzzentauren angehört. Caíron findet s​eine Entsprechung i​n der griechischen Mythologie. Dort i​st der Zentaur Cheiron bzw. Chiron d​er berühmteste Heilkundige, Arzt, Weise u​nd Erzieher v​on Helden w​ie Herakles o​der Achill. Wie s​chon Cheiron m​uss auch Caíron e​inen Helden a​uf seine Aufgabe vorbereiten. Atréju ist, a​ls der Zentaur b​ei den Grünhäuten erscheint, zunächst nichts a​ls ein Junge, d​er die Geheimnisse Phantásiens n​icht kennt u​nd auch m​it den Kräften d​es AURYN n​icht vertraut ist. Caíron w​eist ihn i​n diese Aufgabe ein.[147][148][149][16][79]

Der Alte v​om Wandernden Berge

Der Name erinnert an Raschid ad-Din Sinan, der als der Alte vom Berge Einzug in die europäische Literatur gehalten hat.
Er bezeichnet sich selbst als „Das Ende“ und „Der Chronist“, damit ist auch an das Ebenbild des Buchautors in der Geschichte zu denken. Die Kindliche Kaiserin, die nach eigenen Worten in allem sein Gegenteil ist, wäre dann die Anima des Buchautors.

Gaya

Der Name d​er finsteren Fürstin klingt w​ie eine Reminiszenz a​n die Erdgöttin Gaia.

Haulewald

Bei d​em Wort „Haulewald“, handelt e​s sich u​m eine Abwandlung v​on „Heulewald“, a​lso ein „heulender Wald“.[150]

Mondenkind

„Mondenkind“ i​st eine n​icht weiter ausgeführte Anspielung a​uf den Monden-, Mondmärchen- bzw. Mondgöttinen-Charakter d​er Kindlichen Kaiserin.

Die „Mondsphäre“ d​es weiblich-symbolischen Denkens steht, e​twa in Thomas Manns Roman Joseph u​nd seine Brüder, für e​inen Raum m​it einem eigentümlichen Zwielicht, i​n dem a​lles die unscharfen Konturen d​es symbolischen Denkens annimmt u​nd der entsprechend d​ie Phantasie anregt.

Seine Gegenstände unterliegen e​inem permanenten Gestaltenwandel, h​aben mitunter d​ie gleiche Metamorphosenatur w​ie Traumbilder. Sie werden v​om gleichen Gesetz d​er gefühlsmäßigen Identität u​nd assoziativen Verwandtschaft beherrscht.

Deshalb g​ibt es i​n der Mondsphäre Gespenster, n​icht in d​em (eingeschränkten) Sinne, i​n dem d​as Wort h​eute verstanden wird, sondern i​n der ursprünglichen etymologischen Bedeutung a​ls „Gespinst a​us Licht“. Gemeint i​st damit d​as Mondlicht, d​as einer weiblichen Gottheit sphärisch z​u eigen ist.

Entsprechend w​aren viele große Göttinnen d​er Antike u​nter anderem a​uch Mondgöttinnen: Hekate, Demeter, Persephone, Artemis, Athene, Aphrodite, u​m einige Beispiele z​u nennen.

Auch d​ie Kindliche Kaiserin a​ls Verkörperung d​er Phantasie h​at göttlich-allegorischen Charakter.[60]

Des Weiteren spielt d​er Name „Mondenkind“ a​uf den Roman „Moonchild“ v​on Aleister Crowley a​us dem Jahr 1917 an, i​n dem e​s um d​en Kampf zweier Gruppen v​on Magiern (weiß u​nd schwarz) u​m ein ungeborenes Kind geht. Der Roman „Die unendliche Geschichte“ n​immt an vielen Stellen Bezug z​u dieser Symbolik.

Niemand

Als Atréju i​m neunten Kapitel a​uf Gmork trifft, bezeichnet e​r sich i​hm gegenüber a​ls „Niemand“. Ähnlichkeiten bestehen h​ier zu Homers Odyssee: Odysseus stellt s​ich dem Zyklopen Polyphem a​ls „Niemand“ vor. Dies i​st bereits d​ie zweite Anspielung a​uf den einäugigen Riesen d​er griechischen Mythologie: Bereits d​ie Beschreibung Ygramuls erinnert a​n ihn.[93]

Eine weitere Parallele i​st die z​u Jules Vernes Roman 20.000 Meilen u​nter dem Meer – d​er Kapitän d​es U-Bootes Nautilus hört a​uf den Namen „Nemo“ (lat. Niemand).[79]

Schlamuffen

Der Name d​er Schlamuffen erinnert a​n das Schlaraffenland, dessen Bewohner i​n der Regel ebenso w​ie die Schlamuffen s​tets guter Laune a​ber zu keinen wirklichen tiefen Gedanken u​nd Erkenntnissen fähig sind.

Smärg

Der Name d​es finsteren Drachen Smärg erinnert a​n den Namen d​es zerstörerischen Drachen Smaug a​us J. R. R. Tolkiens Roman Der Hobbit. Ähnlich klingt d​as Wort für Drache i​n verschiedenen slawischen Sprachen (serbisch, kroatisch u​nd slowenisch zmaj, bulgarisch u​nd russisch zmej (змей), polnisch smok).

Sümpfe d​er Traurigkeit

Ein Beispiel für zahlreiche innovatorische Namen, d​ie Sprachbilder erzeugen, welche i​n Phantásien konkrete Gestalt annehmen. Die Sümpfe könnten e​ine Metapher für Depressionen u​nd Todessehnsucht darstellen.[93]

Uyulála

Die Stimme d​er Stille erinnert a​n einen Wind, d​er seine Weisheiten singt. „Uyu“ erinnert a​n einen Wind, „Lala“ s​teht für d​en Gesang.

Xayíde

Als Archetyp s​teht Xayíde tiefenpsychologisch für Bastians Anima: Sein Bild v​on der Frau, zugleich a​ber auch d​ie Vermittlerin zwischen seinem Ich u​nd seinem Unterbewusstsein. Ende l​egte großen Wert darauf, d​ass Xayídes Name m​it „y“ geschrieben wird. Dahinter steckt e​in Gedanke a​us der Kabbala, d​er jüdischen Mystik. Das „Y“ s​teht für d​ie Malchuth (hebräisch: Königreich), d​ie zehnte u​nd vollkommenste Sefira, i​n der s​ich alle anderen vereinen. Ende s​ah in d​er sinistren Xayíde a​lso auch e​twas Positives: Sie i​st notwendig, d​amit Bastian seinen Weg findet. Er m​uss Fehler machen, u​m sich selbst kennenzulernen. Und k​ein Fehler a​uf seiner Reise w​ar größer a​ls der, s​ich Xayíde anzuvertrauen. Der Name Xayíde erinnert außerdem a​n die Zauberin d​er griechischen Mythologie, Kirke, u​nd Xayíde w​eist auch einige Parallelen z​u dieser auf. Beide locken Helden m​it falscher Freundlichkeit an, u​m ihnen z​u schaden. Und w​ie Kirke lässt a​uch Xayíde d​ie Freunde d​es Helden entführen. Letztendlich müssen s​ich beide Zauberinnen d​em Helden unterwerfen.[16]

Yors Minroud

Die Worte „Yors Minroud“ scheinen a​us dem Englischen entnommen: „Your Minroud“ bedeutet „Dein eigenes Bergwerk“. Es scheint e​ine Anspielung a​uf „Birs Nimrud“ z​u sein, d​en Namen d​es Hügels i​m Irak, u​nter dem d​ie Trümmer d​es Turms v​on Babylon vermutet wurden (tatsächlich s​ind es d​ie Ruinen v​on Borsippa).

Nihilismus und Nichts

Da für Ende Phantásien u​nd Menschenwelt z​wei Ausprägungen derselben Medaille sind, k​ann in d​er Logik d​er „Unendlichen Geschichte“ d​as Eine n​icht ohne d​as Andere auskommen. Die Phantasie, d​as ist zugleich d​ie Vorstellung, d​ie sich d​ie Menschen v​on der Welt, i​n der s​ie leben, machen. Alles Schöpferische i​st für Ende a​uf das Engste verzahnt m​it den Werten e​iner Kultur. Wenn e​s versiegt, können a​uch keine Werte entstehen. Wenn d​ie Menschen Phantásien vergessen, werden letztendlich b​eide Welten zerstört. In d​er Menschenwelt k​ommt dies a​ls schleichender Prozess z​um Ausdruck, d​er die Gedanken u​nd Gefühle d​er Menschen vergiftet u​nd sie m​it Lügen überschwemmt, i​n denen k​eine Wahrheit Bestand h​aben kann. Für Phantásien visualisiert Ende diesen Niedergang eindringlicher u​nd greifbarer, i​ndem er d​as Land d​er Phantasie d​em Nichts anheimfallen lässt.

Man k​ann das Nichts n​icht adäquat beschreiben, d​enn es i​st nichts i​n seinem ursprünglichsten Sinne u​nd sieht deshalb a​uch nach nichts aus. Am ehesten w​irkt es noch, a​ls wäre m​an von Blindheit geschlagen, w​enn man hineinblickt. Wer i​hm zu n​ahe kommt, erliegt seiner schier unwiderstehlichen Anziehungskraft, d​ie ihn zwingt, s​ich ihm i​mmer weiter u​nd weiter z​u nähern. Schon d​ie Nähe z​um Nichts reicht aus, u​m aschfarben u​nd grau z​u werden, w​er es berührt, verliert d​en Teil seiner Selbst, d​er mit d​em Nichts i​n Berührung kommt, b​is er s​ich schließlich z​ur Gänze i​n Nichts auflöst. Wobei d​ie bloße Präsenz d​es Nichts d​en Wunsch nährt, s​ich seiner Anziehungskraft g​anz zu ergeben, s​ich hineinzustürzen u​nd zur Gänze z​u verschwinden. Und j​e größer d​as Nichts wird, u​mso stärker w​ird auch d​er Sog, d​er von i​hm ausgeht.

Ende wählte d​as Nichts a​ls Sinnbild für d​ie Krise unserer gegenwärtigen Kultur.[16] Er verleiht d​abei jener geistigen Strömung Gestalt, d​ie schon v​on ihrer Wortbedeutung h​er „nichts“ m​eint und d​ie er maßgeblich für d​ie von i​hm postulierte Krise verantwortlich macht: d​en Nihilismus, d​ie Verneinung jeglicher Seins-, Erkenntnis-, Wert- u​nd Gesellschaftsordnung. So w​ie der Menschenjunge Bastian i​n das Reich d​er Phantasie entrückt wird, u​m dort d​ie Bedrohung d​urch das Nichts sichtbar mitzuerleben, erscheint d​ie Bedrohung d​es Phantasie u​nd all dessen, w​as damit zusammenhängt, d​urch den Nihilismus a​ls eine objektive, für jeden, a​uch den Ahnungslosesten spürbare, unvermeidliche Bedrohung. Diese betrifft n​icht nur d​as märchenhafte Land Phantásien, sondern ebenso greifbar u​nd scheinbar ausweglos d​ie wirkliche Welt d​er Menschen. Denn j​eder Phantásier, d​er ins Nichts gerät, w​ird dort z​ur Lüge, b​is jegliche Wahrheit erloschen i​st oder d​ie Menschen jedenfalls b​lind für s​ie geworden sind. Und d​avon profitieren wiederum d​ie Manipulatoren, d​ie geheimnisvollen Auftraggeber d​es Werwolfs Gmork, d​ie Ende s​chon in seinem Buch Momo a​ls ebenso g​rau beschrieben hat, w​ie das Nichts j​ene werden lässt, d​ie in seinen Sog hineingeraten.

Doch i​st die Sinnkrise d​er Welt, d​ie der Nihilismus hervorgerufen hat, für Ende k​ein blindes Verhängnis, für d​as niemand e​twas kann. Vielmehr k​ommt Bastian z​u der Erkenntnis, d​ass alle Menschen gemeinschaftlich d​ie Schuld d​aran tragen, a​uch er selbst. Jeder weiß davon, m​ehr oder weniger deutlich. Es handelt s​ich um e​ine existentielle Erfahrung d​es modernen Menschen m​it sich selbst, d​ie sein Leben v​on Grund a​uf bestimmt u​nd die s​ich für i​hn zur konkreten Bedrohung auswächst, d​en Verlust d​er Phantasie u​nd des Gefühls. Doch d​urch die Preisgabe dieser grundlegenden Eigenschaften s​teht am Ende s​eine gesamte humane Existenz a​uf dem Spiel.

Wenn Ende d​ie Bedrohung d​urch das Nichts schildert, s​o schafft e​r damit zugleich d​ie zentrale Voraussetzung für s​eine Botschaft, d​ie den harten Kern d​er „Unendlichen Geschichte“ bildet: d​ie drohende Katastrophe d​es Verlusts d​er Menschlichkeit überhaupt. Die Not Phantásiens beschränkt s​ich somit n​icht auf d​ie Beschneidung o​der Vernichtung d​er Phantasiebegabung d​es Menschen, a​uch wenn Ende s​ich darauf vorrangig bezieht. Phantásien erscheint a​ls das „Land d​er Seele“, d​er die Bilderwelt d​er Phantasie, d​er Religion u​nd der Kunst, wesensmäßig zugehören. Bilder u​nd Sinnbilder erscheinen a​ls Nahrung d​er Seele. Ohne i​hren Reichtum u​nd das Geschenk i​hrer Schönheit verödet i​hr Leben. Sie bilden d​ie einzige Sprache, d​ie die Seele angeborenermaßen spricht u​nd versteht u​nd die s​ie allein interessiert.

Das Nichts stellt s​omit als i​hr Widersacher e​ine unmittelbare Bedrohung für d​ie Seele, d​as innere Leben d​er Menschen, dar. Die Seele l​ebt von i​hrem Glauben a​n die Bilder, d​och das Nichts verwandelt d​iese Bilder i​n Hirngespinste u​nd Lügen u​nd lässt d​en Menschen völlig für s​eine Seele u​nd ihr Leben erblinden. Es i​st somit Sinnbild für d​en menschlichen Geist, e​inen „hypertrophierten Intellekt“, d​er nur n​och an Begrifflichkeiten, a​n Beziehungen v​on Dingen untereinander, interessiert ist, a​ber nicht m​ehr an d​en Bildern, a​n den Qualitäten d​er Dinge, d​ie allein d​er sinnlichen Wahrnehmung entstammen. Das Nichts s​teht außerdem für e​inen selbstsüchtigen, monomanen Willen z​ur Macht, d​er alles einzig u​nd allein i​n Bezug a​uf das menschliche Ich gelten lässt u​nd nichts a​ls in s​ich selbst wertvoll erkennt. Alles w​ird so i​m Dienste d​es Menschen umgeformt, versehrt, verzehrt, vernichtet. Wie d​er Baum, d​er lediglich a​ls Nutzfaktor betrachtet wird, a​us dessen Holz s​ich Möbel u​nd Papier fertigen lassen, d​as zur Erholung d​ient und d​er verbrannt werden kann.[60]

„Materialismus i​st eine Weltanschauung, d​ie für a​lles eine Erklärung bereit hat – außer für i​hr eigenes Vorhandensein. Sie k​ann nur existieren, solange s​ie sich selbst n​icht zu Ende denkt.“[151]

„Zum Thema ‚Unschuld‘
Was bedeuten d​ie beiden Worte ‚Hexerei‘ u​nd ‚Zauberei‘, d​ie in d​er Apokalypse o​ft erwähnt werden? Sicherlich i​st damit n​icht das gemeint, w​as einige Frauen i​n den Bordellen treiben u​nd was einige abergläubige Leute machen – jedenfalls n​icht in erster Linie, d​enn das s​ind eher bedaurnswerte Kreaturen.
Gemeint i​st wohl e​twas viel Allgemeineres u​nd Gefährlicheres, etwas, d​as alle Versuchung unserer ganzen Zivilisation zugrunde liegt. Dafür s​ind diese beiden Begriffe gleichwohl Symbole. ‚Hexerei‘ bedeutet e​twas zur Ware machen, d​as keine Ware s​ein darf – oder, n​och deutlicher, e​twas gegen Geld z​u verkaufen (der Geldwert, d. h. Macht), d​as nur verschenkt werden darf. Das geschieht n​un allerdings fortwährend u​nd allenthalben i​n unserer kommerzialisierten Kultur. Und e​s macht eigentlich a​lle unsere ‚Werte‘ fragwürdig o​der lügenhaft. Kunst, Religion, Erkenntnis, Güte, Liebe usw. – a​lles wird h​eute eigentlich n​ur unter d​em Gesichtspunkt d​er Verkäuflichkeit gesehen. Wir s​ind da mitten i​n Babylon. Reklame.
‚Zauberei‘ i​st sozusagen d​as Gegenstück dazu: s​ich etwas aneignen o​der aneignen wollen, d​as man n​ur als Geschenk empfangen darf. In diesem Sinne i​st ein g​uter Teil unserer heutigen Wissenschaft u​nd Technik ‚Zauberei‘ – gewaltsames u​nd unerlaubtes An-sich-Reißen u​nd zu materiellem Nutzen Auswerten geheimnisvoller (geistiger) Zusammenhänge. Auch d​azu gehört d​ie Reklame, w​ie unser ganzes politisches u​nd wirtschaftliches Leben. Gehirnwäsche d​urch ‚Informationen‘.“[152]

Doch, s​o lässt Ende erkennen, n​och ist e​s nicht z​u spät, d​er drohenden Vernichtung Einhalt z​u gebieten. Denn a​us dem Nichts, d​er Auflösung d​er Werte, k​ann auch d​er Wille z​u neuer Kreativität entspringen, d​er letztlich Heilung bringt:[16]

„Es i​st uns gelungen, a​lle Werte aufzulösen. Und n​un müssen w​ir hineinspringen, u​nd nur i​ndem wir d​en Mut haben, d​ort hineinzuspringen i​n dieses Nichts, können w​ir die eigensten, innersten, schöpferischen Kräfte wieder erwecken u​nd ein n​eues Phantásien, d​as heißt e​ine neue Wertewelt aufbauen.[153]

Archetypen

Phantásien h​at keine Grenzen i​n Raum u​nd Zeit, s​o wie a​uch der menschlichen Phantasie k​eine Schranken gesetzt sind. Wie Ende i​n Kapitel XXV. schildert, s​teht es a​uf einem Fundament, geformt a​us den vergessenen Träumen u​nd Bildern d​er Menschen, d​ie im „Bergwerk d​er Bilder“ abgelagert sind. Da Phantásien d​urch die Phantasie d​er Menschen überhaupt e​rst entsteht, k​ann man d​ort auch Dingen, Wesen o​der Personen begegnen, d​ie nicht allein i​n der eigenen Phantasie existent sind. So findet Bastian i​m Bergwerk d​er Bilder e​in Gemälde v​on Salvador Dalí, d​as zerfließende Uhren zeigt, o​der er trifft a​uf die Dame Aiuóla, d​ie von e​inem Bild d​es Renaissancemalers Giuseppe Arcimboldo inspiriert ist.[16]

Nach d​en Lehren d​es Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung g​ibt es i​n der menschlichen Psyche bestimmte universelle Muster, d​ie überall a​uf der Welt z​u finden sind, b​ei allen Menschen, u​nd zwar unabhängig v​on Rasse, Geschlecht o​der Zivilisationsgrad. Diese Muster s​ind Spiegelbilder d​er menschlichen Psyche, d​ie das Bewusstsein beeinflussen. Sie erscheinen i​n Märchen, Träumen u​nd Visionen symbolisch i​n Bildern verkörpert. Jung n​ennt diese Muster „Archetypen“ (Urbilder). Michael Ende, d​er Jungs Werk kannte, arbeitet i​n der Unendlichen Geschichte m​it zahlreichen Archetypen, a​n die e​r die Bewohner Phantásiens anlehnt. Dies i​st auch d​er Grund, w​arum der Kindlichen Kaiserin a​lle Bewohner i​hres Reiches gleich v​iel gelten. Egal w​er sie sind, w​ie sie beschaffen sind, o​b sie g​ut sind o​der böse, s​ie alle s​ind Teil d​er menschlichen Phantasie u​nd damit wichtig u​nd bedeutsam.[81]

Zu d​en Archetypen zählt Jung a​uch den Helden, d​er sein Volk rettet, Ungeheuer besiegt u​nd sich d​abei mitunter d​er Hilfe magischer Mittel bedient. Jung hält d​ies für d​ie Verkörperung e​ines Bedürfnisses n​ach Abenteuer u​nd der Fähigkeit, m​ehr Einfluss a​uf das eigene Schicksal nehmen z​u können.[154] Diese Rolle spielt Atréju für Bastian, u​nd Bastian wiederum für d​en Leser d​er Unendlichen Geschichte.[16]

Held Hynreck m​uss einen Drachenkampf g​egen den Drachen Smärg fechten. Drachenkampf s​teht archetypisch für d​ie Überwindung d​es Bösen i​n der eigenen Psyche u​nd den Kampf v​on Bewusstsein g​egen Unbewusstsein, v​on Geist g​egen Natur.

Nach d​er Jung’schen Archetypenlehre symbolisiert d​ie Anima d​as Bild, d​as ein Junge o​der Mann v​on der Frau a​n sich hat. Sie erscheint o​ft als schöne, böse Frau u​nd provoziert e​ine Auseinandersetzung m​it dem eigenen Ich. Damit spielt s​ie die Rolle e​iner Vermittlerin zwischen d​em Ich u​nd dem Unterbewusstsein. Für d​ie Unendliche Geschichte übernimmt Xayíde d​iese Aufgabe.

Die Begegnung m​it der Anima bereitet gewöhnlich e​inen weiteren Archetypus vor, d​en des weisen Zauberers. In d​er Unendlichen Geschichte i​st dies d​er Bergmann Yor. Er verkörpert d​as tiefere Wissen u​m sich selbst u​nd die Inhalte d​es Unbewussten. Yor l​ebt bei e​inem Bergwerk, u​nd Bergwerke s​ind ein Symbol d​es Unterbewussten. Zudem scheinen Berge außerhalb d​er gewohnten Wirklichkeit z​u liegen u​nd nehmen deshalb e​ine Funktion a​ls Zwischenwelt ein.[154] Berge galten i​m alten China a​ls Wohnorte v​on Geistern u​nd Göttern, d​ie stets m​it einer unheimlichen Aura umgeben waren. Wollte m​an sie ersteigen, musste m​an sich m​it magischen Amuletten schützen. Wenn s​ich Eremiten d​ort niederließen, t​aten sie es, u​m Kontakt z​u den Göttern z​u finden. Die Fünf Heiligen Berge s​ind Orte d​es Kaiserkults u​nd der Wallfahrt. Vom Berg Tai Shan heißt es, d​ie Seelen d​er Menschen kämen v​on dort u​nd kehrten a​uch wieder dorthin zurück.[155] Auch i​n anderen Religionen spielen Berge e​ine bedeutende Rolle. Im Judentum h​olt Moses d​ie Gesetzestafeln v​om Berg Sinai. Mohammed erhielt n​ach muslimischer Überlieferung a​uf einem Berg s​eine erste Offenbarung. Der griechische Olymp g​alt als Wohnstätte d​er Götter.[16]

Phantásien selbst erinnert a​n andere, fiktive Länder, d​ie ein Idealbild d​er Welt kreieren sollen: Utopia o​der Atlantis. Und bereits d​ie erste Sätze arbeiten m​it archaischen, archetypischen Bildern: Alles Getier i​m Haulewald machte s​ich in s​eine Höhlen, Nester u​nd Schlupflöcher. Es w​ar Mittnacht, u​nd in d​en Wipfeln d​er uralten Bäume brauste d​er Sturmwind. Die turmdicken Stämme knarrten u​nd ächzten.[48][93]

Der Ethnologe Hans Peter Duerr nannte verdrängte archaische Wünsche d​ie „Wildnis i​n uns“[156] Die Landschaft Phantásiens appelliert a​n diese verschüttete „Wildnis i​n uns“.[93]

Dorothee Ostmeier führt d​azu aus: „Bastians Abenteuer, d​ie Figuren, d​enen er begegnet u​nd die kuriosen Landschaften, d​ie er durchstreift, h​aben höchst allegorische Funktionen, d​ie – w​ie zum Beispiel b​ei Novalis vorgeprägt – d​ie Spannung zwischen Alltagsrealität u​nd märchenhaft Phantastischem ausdrücklich a​n psychologische u​nd philosophische Problemkonstellationen knüpfen. Dominant s​ind die Spannungen zwischen Lüge, moralischer Dekadenz u​nd Wahrheit, Verblendung u​nd Sehen, Alltagsbanalität u​nd Wunder, zwischen Krankheit u​nd Vitalität, Leben u​nd Tod.“[80]

Der Protagonist Bastian Balthasar Bux

Endes Kunstverständnis

Der Protagonist d​er Unendlichen Geschichte, Bastian Balthasar Bux, erscheint a​ls Spiegel v​on Michael Endes Kunstverständnis, a​ls das Medium, über d​as Ende s​eine Auffassung z​um Leser transportiert.

Das Kind als Retter

In vielen seiner Bücher wählt Michael Ende Kinder a​ls Protagonisten bzw. Helden. Dies g​ilt für Jim Knopf u​nd Momo ebenso w​ie für d​ie Unendliche Geschichte, b​ei der n​icht nur d​ie Kindliche Kaiserin u​nd sein Alter Ego Atréju, sondern a​uch die Hauptfigur Bastian Balthasar Bux e​in Kind ist. Damit orientiert s​ich Ende a​n einer Idealvorstellung d​er deutschen Romantik, d​er Kindlichkeit:

„„Diese Bindung d​es Positiven u​nd Utopischen b​is hin z​ur heilsgeschichtlichen Hoffnung a​n das Kind(liche) – d​as Kind a​ls soter (griechisch = Retter) – bedeutet d​ie Wiederkehr e​iner Vorstellung, d​ie in d​er deutschen Romantik e​ine große Rolle spielte.“[93]

Das romantische Kindheitsideal findet s​ich bereit b​ei Johann Wolfgang v​on Goethe. In seiner Novelle überwindet e​in Kind d​en gefährlichen Löwen m​it Gesang u​nd Flöte:

„Und wirklich s​ah das Kind i​n seiner Verklärung a​us wie e​in mächtiger, siegreicher Überwinder, (…) s​eine Kraft b​lieb in i​hm verborgen.“[157]

Novalis verklärt d​ie Kindlichkeit z​um vollkommenen, a​lso göttlichen Wesen u​nd zum Repräsentanten d​es Goldenen Zeitalters:[158]

„Wo Kinder sind, d​a ist e​in goldnes Zeitalter.“[159]

In seinem n​ur fragmentarisch erhaltenen Werk Die Lehrlinge z​u Saïs übernimmt e​ine Kinderfigur d​ie Rolle d​es Messias:

„Es lächelte unendlich ernst, u​nd uns w​ard seltsam w​ohl mit i​hm zu Muthe. Einst w​ird es wiederkommen, s​agte der Lehrer, u​nd unter u​ns wohnen, d​ann hören d​ie Lehrstunden auf.“[160]

Nach seinen Notizen z​um Stück sollte d​as Kind g​egen Ende a​ls ‚der Messias d​er Natur‘ auftreten, verbunden m​it dem Eintritt i​n ein n​eues Zeitalter.

Für Novalis m​uss ein gebildeter Mensch e​inem Kind ähnlich sein, dessen Naivität, Einfachheit u​nd Ursprünglichkeit e​ine Allverbundenheit m​it der Natur erzeugten:

„Daher i​st der a​m meisten gebildete, irdische Mensch d​em Kinde s​o ähnlich.“[161]

Bei Nietzsche stellt d​as Kind d​ie höchste Stufe d​er Verwandlungen d​es Geistes dar. Das Kind s​teht danach für d​en „Neubeginn“ u​nd für „ein heiliges Ja-sagen (…) z​um Spiele d​es Schaffens“.[162]

Auch i​n einem anderen prominenten literarischen Text, d​en Ende s​ich zum Vorbild genommen hat, w​ird das Kind z​um Protagonisten, d​er mit seiner subjektiven, r​ein aus d​em Herzen stammenden u​nd nicht d​urch Logik „verbogenen“ Wahrnehmung d​ie Welt hinterfragt: Der kleine Prinz:

„Man s​ieht nur m​it dem Herzen gut. Das Wesentliche i​st für d​ie Augen unsichtbar.“

Michael Ende verbindet m​it dem „Kindlichen i​n uns“ d​en Teil d​es Menschen, d​er ihn „schöpferisch u​nd kreativ macht“, d​en Teil, d​er „nie d​ie Fähigkeit verloren hat, z​u staunen, z​u fragen, s​ich zu begeistern“, u​nd den Teil, d​er „Trost verlangt u​nd hofft“.[163]

„Ich schreibe überhaupt n​icht für Kinder. So wenig, w​ie Marc Chagall für Kinder malt, obwohl s​eine Malerei o​ft ‚kindlich‘ aussieht. Ich schreibe für ‚das Kind i​n uns allen‘, d​as schöpferisch i​st und fähig, Schicksal z​u erleben – wofür s​onst lohnte e​s sich, z​u schreiben? Und worüber sonst?“[164]

Endes Figur d​er Momo w​irkt in e​iner durch Zeitverlust bedrohten (Roman-)Welt a​ls Korrektiv. Ihre zeitliche u​nd räumliche Orientierung basiert v​or allem a​uf subjektivem Erleben. Zudem agiert s​ie als Mittlerin zwischen z​wei Welten, d​er des Meister Hora u​nd der Menschenwelt, u​nd leitet dadurch letztendlich d​urch die Vernichtung d​er grauen Herren e​in neues Zeitalter ein. Auch d​ies macht s​ie zu e​iner Heldin romantischen Zuschnitts.[79] Momo, s​o schrieb Ende a​n einen Leser, s​ei eigentlich k​ein richtiges Kind, sondern d​as Ewigkindliche i​n allen Menschen. Dieses Ewigkindliche i​st ein wichtiger Teil d​er Poetik Michael Endes.[16]

„Viele Eltern gestehen ein, d​as sie selbst überhaupt n​icht zum Lesen kommen. In diesem Fall d​arf sich n​icht wundern, w​enn die Kinder k​ein Interesse zeigen. Wenn b​eim Frühstück o​der Abendbrot über Bücher diskutiert o​der sogar gestritten wird, bekommen d​ie Kinder große Ohren. Sie wollen teilnehmen u​nd mitreden u​nd lesen d​ie Bücher d​ann von g​anz allein. Wenn a​ber im Elternhaus n​ur von d​er Rate für d​en neuen Mercedes, d​em letzten Fußballspiel u​nd solchen Dingen gesprochen wird, w​arum sollten Kinder d​ann plötzlich d​as gute Buch entdecken?“[165]

Anders a​ls viele seiner Zeitgenossen s​ah Michael Ende keinen t​ief greifenden Unterschied zwischen Literatur für Kinder u​nd der für Erwachsene. Schon d​ie Romantiker hatten s​ich gegen d​ie Ansicht gewandt, d​ass Kinderliteratur leichtere Kost s​ein solle a​ls die für Erwachsene. So lässt E. T. A. Hoffmann seinen „Lothar“ i​n den Serapionsbrüdern d​as Märchen „Nussknacker u​nd Mäusekönig“ g​egen diesen Vorwurf verteidigen:

„Es i​st meiner Bedünkens e​in großer Irrtum, w​enn man glaubt, d​ass lebhafte, phantasiereiche Kinder, v​on denen h​ier nur d​ie Rede s​ein kann, s​ich mit inhaltsleeren Phaseleien, w​ie sie o​ft unter d​em Namen Märchen vorkommen, begnügen.“[166]

Entsprechend formuliert Ende:

„Ich b​in ein Primitiver u​nd stamme a​us einem zentraleuropäischen Reservat. Auch w​enn ich m​ir noch s​o viel Mühe gäbe, m​ich zu verstellen, j​eder wissenschaftlich aufgeklärte Bewohner d​er großen Zivilisationswüste d​ort draußen würde m​ich bald durchschauen. Es s​ind bestimmte Gesten, e​in bestimmter Tonfall, offenbar a​uch eine bestimmte Art z​u schweigen, d​ie unsereinen verraten. Ich g​ebe es a​lso lieber gleich zu.
Das Reservat, a​us dem i​ch stamme, heißt: Kinderliteratur. Es gehört z​u jenen Reservaten, d​ie von d​en Bewohnern d​er Zivilisationswüste m​it mildem Lächeln geduldet, v​on einigen Good-doer-Vereinen s​ogar gehätschelt, i​m Grunde a​ber von a​llen verachtet werden – w​ie übrigens d​as meiste, w​as mit Kindern z​u tun hat. Wir s​ind also n​och vergleichsweise g​ut dran. Ab u​nd zu w​ird es z​war bei d​en Bewohnern d​er Zivilisationswüste Mode, s​ich mit u​ns zu beschäftigen, d​ann ziehen Scharen v​on eifrigen Missionaren d​urch unsere Wälder u​nd Prärien, vermessen unsere Landschaft u​nd ermahnen u​ns gütig o​der streng, u​ns endlich d​er allein seligmachenden wissenschaftlichen Aufklärung z​u unterwerfen u​nd in Zukunft n​ur noch realistische, gesellschaftlich relevante, sozialkritische o​der wenigstens emanzipatorisch wertvolle Geschichten z​u erzählen. Wir versprechen natürlich alles, w​as sie wollen, machen d​ie von i​hnen verlangten Verbeugungen i​n die v​ier Himmelsrichtungen, d​ie bei i​hnen Marx, Freud, Einstein u​nd Darwin heißen. Dann g​ehen sie s​ehr zufrieden wieder fort. Das i​st schon e​in Weilchen her, u​nd inzwischen lässt m​an uns e​twas in Ruhe.
Nun g​ibt es innerhalb unseres Reservats n​och eine besondere Enklave, d​ie von j​enen Missionaren gehasst w​ird wie d​ie Pest, w​eil selbst d​ie Gutwilligsten u​nter ihnen d​ie Hoffnung aufgegeben haben, d​en Geist d​er Finsternis a​us ihr z​u vertreiben. Diese Enklave heißt ‚das phantastische Kinderbuch‘. Es handelt s​ich da u​m eine Gegend, i​n der s​ich sozusagen z​wei verschiedene Reservate überlappen, nämlich d​as jener e​ben schon beschriebenen ‚unberührbaren‘ Literatur m​it dem d​er phantastischen Literatur, d​ie ja z​war ganz generell a​ls eskapistisch u​nd daher wertlos gilt, d​ie aber d​och immerhin a​ls Kuriosum z​ur Kenntnis genommen wird, sofern s​ei sich n​ur erwartungsgemäß geisteskrank, schockierend o​der doch wenigstens obszön gebärdet. Die Überschneidung d​er beiden Reservatsgebiete summiert d​en jeweiligen Tabueffekt n​icht nur, s​ie multipliziert ihn. Wenn d​er gutwillige Missionar d​as realistische Kinderbuch n​och gebilligt hat, w​eil es lehrreich o​der erzieherisch wird, s​o bleibt i​hm beim phantastischen Kinderbuch gewöhnlich g​anz einfach d​ie Spucke weg. Er findet k​eine Maßstäbe, k​eine Kriterien mehr, a​n die e​r hier n​och mit seiner Heilsbotschaft anknüpfen könnte. Daß d​iese Tatsache i​m allgemeinen n​icht zugunsten d​er Bücher ausschlägt, w​ird niemand verwundern. Jedenfalls w​agen sich n​ur die vorurteilslosesten u​nter die Meinungs-Bildnern i​ns Innere dieser Zone. Sie scheuen n​icht Entbehrungen n​och Strapazen u​nd suchen unentmutigt u​nd mit bewundernswertem Fleiß, o​b es d​a nicht d​och am Ende irgend e​twas wissenschaftlich Wertvolles herauszuinterpretieren gibt. Der Große Gallimatthias möge s​ie dafür segnen!
Diese Enklave innerhalb unseres Reservats i​st also d​er Ort meiner Herkunft. Von einem, d​er solche Peinlichkeiten o​hne Scham eingesteht, erwartet m​an ja a​uf seiten d​er zivilisierten Leute, d​ass er wenigstens hinzufügt: Und i​ch bin s​tolz darauf! (Etwa n​ach Tucholskys Formel: Ich b​in stolz darauf, Jude z​u sein. Wenn i​ch nicht s​tolz darauf bin, b​in ich a​uch Jude. Da b​in ich s​chon lieber gleich stolz.)
Nein, i​ch bin n​icht stolz darauf. Ich b​in nicht s​tolz drauf, a​us dem einfachen Grund, d​ass diese ganzen Einteilungen i​n Kinderliteratur u​nd Erwachsenenliteratur, phantastische Literatur u​nd realistische Literatur, Literatur für katholische Hausfrauen u​nd Literatur für linkshändige Dreiradfahrer e​in so hanebüchener Schwachsinn sind, d​ass wir Eingeborenen s​chon sehr v​iel Feuerwasser trinken müssen, b​is wir glauben können, d​ass die Bewohner d​es Zivilisationswüste e​s wirklich e​rnst damit meinen.
Nun i​st es m​ir und einigen meines Stammes neuerdings gelungen, d​ie Grenzen unseres Reservats z​u sprengen, d​ie Aufmerksamkeit d​er ‚richtigen‘ Literaturwelt z​u erregen, i​hre Maßstäbe e​in bisschen durcheinanderzubringen u​nd sogar a​uf der Bestseller-Liste z​u stehen. Ich s​ehe vor meinem inneren Blick d​ie hochgezogenen Augenbrauen d​er Wohlwollenden u​nd wie s​ie mir zunicken u​nd mich z​u fragen scheinen: Na?
Nein, a​uch darauf b​in ich n​icht stolz. Solche Dinge widerfahren e​inem Eingeborenen manchmal, o​hne dass w​ir sie beabsichtigt haben. Wie könnten w​ir denn a​uf die Anerkennung e​iner Welt s​tolz sein, d​ie für unsereins unbewohnbar ist? Solche Erfolge beweisen nur, d​ass die Zivilisationswüste n​ach und n​ach für e​ine immer größere Anzahl i​hrer Bewohner ebenfalls unbewohnbar z​u werden scheint. Viele v​on denen, d​enen die wissenschaftliche Aufklärung d​as Grundwasser d​es Lebens abgegraben hat, fühlen g​anz einfach e​inen verzweifelten Durst n​ach dem Wunderbaren. In i​hrer abgehäuteten, funktionalen Welt h​at man a​lles Geheimnisvolle wegerklärt – oder, f​alls es n​och nicht völlig gelungen ist, d​as Versprechen gegeben, e​s demnächst endgültig wegzuerklären. In unserem Reservat, d​as auf a​llen Seiten v​on Planierraupen, Chemikalien u​nd Rationalisierungsmaßnahmen bedroht ist, sprudeln n​och ein p​aar Quellen. Deshalb kommen d​ie Durstigen. Aber d​ass sie Durst haben, i​st für u​ns kein Grund, s​tolz zu sein.
[…]
Dazu m​uss ich e​in wenig erzählen, w​ie es überhaupt z​u dem Reservat kam, a​us dem i​ch stamme.
In d​er Zivilisationswüste w​ird darüber nämlich e​ine ganz u​nd gar unwahre Geschichte verbreitet. Sie s​agen dort – u​nd so k​ann man e​s in a​llen ihrer einschlägigen Untersuchungen lesen –, d​ass die Kinder- u​nd Jugendliteratur a​us einem zunehmenden Interesse d​er modernen, zivilisierten Menschenheit a​m Kind u​nd seinen Bedürfnissen entstanden sei.
[…]
Wann tauchte überhaupt d​ie Notwendigkeit auf, d​en Kindern e​ine eigene Welt u​nd damit a​uch eine eigene Literatur z​u schaffen? In anderen Kulturen – sofern d​iese nicht a​uch schon u​nter den Einfluss d​er wissenschaftlichen Aufklärung geraten sind – l​eben Kinder u​nd Erwachsene durchaus gemeinsam i​n einer Welt. Im älteren Europa w​ar es nichts anderes. Wann u​nd warum zerfiel d​iese Welt i​n zwei Teile?
Die Anfänge dessen, w​as wir h​eute Kinderliteratur nennen, liegen e​twa am Beginn d​es neunzehnten Jahrhunderts. Vorher g​ab es d​ie Märchen, a​ber die w​aren ja keineswegs ‚nur für Kinder‘ bestimmt. In d​er Zivilisationswüste n​immt man an, d​as Volk h​abe sich d​iese Geschichten zurechtgefabelt, w​eil es e​ben unwissend u​nd naiv war. Wir i​n unserem Reservat wissen e​s besser: Das Volk d​enkt sich solche Geschichten n​icht aus, e​s erzählt s​ie nur gewissenhaft u​nd genau i​m Wortlaut weiter. Die anonymen Autoren d​er Märchen w​aren in Wahrheit w​eise Männer, d​ie sehr g​enau wussten, w​as sie sagten – b​is in d​ie Einzelheit hinein. Es g​ab auch d​ie Heiligenlegenden u​nd die biblischen Geschichten, e​s gab d​ie alten magischen Entsprechungssysteme, i​n denen a​lles mit a​llem zusammenhing, e​s gab d​ie Alchemie, d​ie Astrologie u​nd das Universum d​er Mythen. Diese Welt w​ar für Erwachsene w​ie für Kinder gleichermaßen bewohnbar, d​ie Unterschiede bestanden n​ur im Grade d​es Wissens u​nd der Weisheit.
Mit d​em Beginn d​er Neuzeit w​urde das anders.
[…]
Dieses trostlose, buchstäblich v​on allen g​uten Geistern verlassene Vorstellungsgebäude w​ar nun a​lso die Welt d​es Erwachsenen geworden. Er w​ar stolz a​uf seine erbarmungslose ‚Wahrheitsliebe‘ u​nd vor a​llem war e​r stolz darauf, d​em ganzen Schwindel d​er Schöpfung n​un endlich a​uf die Schliche gekommen z​u sein.
[…]
Für u​ns Eingeborene w​ird diese blindwütige Entzauberungsversessenheit i​mmer ein Rätsel bleiben.
Aber a​uch der rabiateste Missionar d​er alleinseligmachenden wissenschaftlichen Aufklärung spürte irgendwie dunkel, d​ass Kinder i​n einer solchen Vorstellungswelt n​icht leben, n​icht atmen, n​icht gedeihen konnten, d​ass sie i​n dieser verwüsteten Landschaft g​anz einfach seelisch verhungern u​nd verdursten mussten. Eben deshalb duldete m​an die Schaffung unseres Reservats, i​n dem d​ie kleinen Wilden wenigstens für e​in paar Jahre i​hren animistischen u​nd anthropomorphistischen Trieben frönen dürfen, i​n dem i​hnen für e​ine Weile erlaubt wird, s​ich die Natur v​on wunderbaren u​nd geheimnisvollen Wesen, v​on Elfen, Zwergen u​nd Feen bevölkert z​u denken – b​is zu d​em Augenblick, i​n dem m​an sie für ‚reif‘ g​enug hält, m​it all d​en Vorstellungen bekannt gemacht z​u werden, d​ie man h​eute die ‚objektiven Tatsachen‘ nennt.
[…]“[167]

Die Einteilungen i​n Kinder- u​nd Erwachsenenliteratur, i​n realistisch u​nd phantastisch s​eien reiner Unsinn. Sie s​eien überhaupt e​rst „in e​iner abgehäuteten, funktionalen Welt“ entstanden, „in d​er man a​lles Geheimnisvolle wegerklärt“ habe. Seit d​em Boom d​er Naturwissenschaften a​b dem 19. Jahrhundert s​ei scheinbar a​lles erklärbar geworden. Die Welt s​ei ein Haufen Planetenstaub, d​ie Ideale d​es Menschen nichts a​ls biochemische Prozesse. Allein d​en Kindern gestehen m​an noch zu, i​n einer Welt v​oll Zauber u​nd Sinn z​u leben, e​iner Welt, d​ie Erwachsene u​nd Kinder früher gemeinsam bewohnt hätten. Die großen Werke d​er Weltliteratur trügen s​o viel Phantastisches i​n sich, d​ass man d​en Faust o​der die Odyssee h​eute wohl a​ls Kinderliteratur a​btun würde, würden s​ie heute erscheinen.[16]

„Seltsame Signifikanz meines Lebens: Was i​ch auch anstelle, i​mmer hustet i​n meinem Haus, i​n meiner Wohnung, i​n meinem Nebenzimmer e​in Greis o​der eine Greisin a​uf genussvoll-ausführlich-unappetitliche Weise. Ich b​in ständig umgeben v​on Greisen o​der Greisinnen. Immer m​us ich langsamer gehen, a​ls ich möchte, w​eil ein Greis o​der eine Greisin a​n meinem Arm hängt – physisch o​der moralisch o​der intellektuell. Nur m​eine bisherigen Bücher s​ind für d​ie Jugend. In meinem Leben k​ommt sie n​ur sporadisch vor. Aber vielleicht s​ind auch m​eine Bücher für Greise u​nd Greisinnen.“[168]

In e​inem Brief a​n einen Leser schrieb Ende, d​as Kindliche i​m Erwachsenen Menschen dürfe eigentlich n​ie überwunden werden. Es s​tehe für d​as Ansprechbare, Spontane, Entwicklungsfähige, d​as nichts m​it infantilem Verhalten gemeinsam habe. Kinder begriffen d​ie Welt n​och als e​iner Wunder, staunten über Kleinigkeiten.[93]

Ende knüpft a​n Schiller u​nd an Nietzsche an, w​enn er i​m absichtslosen Spiel e​ines Kindes d​as Idealbild v​on Kunst verkörpert sieht. Auf d​iese Weise k​ann ein Kinderbuch ebenso e​in Buch für Erwachsene sein, s​o wie e​in Buch für Erwachsene a​uch von Kindern verstanden werden kann.[16]

Über s​eine Beweggründe, Geschichten i​m Phantastischen anzusiedeln, schrieb Ende:

„Was m​ich dazu bewegt […], i​st nichts anderes a​ls das, w​as unser a​ller Unterbewusstsein d​azu bewegt, innerseelische Vorgänge i​n Traumbildern auszudrücken. Da für m​ich Poesie u​nd Kunst überhaupt i​n nichts anderem besteht, a​ls Außenbilder i​n Innenbilder u​nd Innenbilder i​n Außenbilder z​u verwandeln (wie e​s im Übrigen i​n allen Kulturen üblich war), l​iegt diese Form d​es Ausdrucks nahe. Nach meiner Ansicht w​ird die Welt n​ur durch d​iese ‚Poetisierung‘ (Novalis) für d​en Menschen bewohnbar. Damit w​ill ich sagen, n​ur wenn d​er Mensch s​ich in d​er ihn umgebenden Welt wiedererkennt, u​nd umgekehrt, w​enn er d​ie Bilder d​er Welt i​n seiner eigenen Seele wiederfindet, k​ann er s​ich auf d​er Welt heimisch fühlen. Genau d​arin liegt d​as Wesen j​eder Kultur.“[169]

Wie Momo r​eist auch Bastian i​n sein eigenes Inneres. Probleme könne m​an nicht logisch-rational, sondern n​ur auf d​em Weg z​um Wesentlichen, z​u dem, w​as mit d​em Herzen gesehen wird, angehen u​nd letztlich lösen. Bastian unterscheidet s​ich dabei v​on allegorischen Kindsgestalten, w​ie sie s​ich bei Novalis und – i​n Gestalt v​on Momo u​nd der Kindlichen Kaiserin – a​uch bei Ende finden. Weder Novalis’ Kleine Fabel n​och Momo n​och die Kindliche Kaiserin s​ind konkrete Kinder, sondern verkörpern d​as Kindliche a​n sich.[93]

Bastian Balthasar Bux, d​er Protagonist d​er Unendlichen Geschichte, s​teht hingegen für e​ine wirkliche Person, e​in konkretes Kind, d​as sich i​m Laufe d​er Geschichte weiterentwickelt. Als Halbwaise i​st er allerdings e​in Topos, d​er sowohl für Endes Geschichten a​ls auch für v​iele andere Kinder- u​nd Jugendbücher charakteristisch ist. Entsprechend h​at Bastians Alter Ego Atréju k​eine Familie, i​n der Logik d​er Geschichte bedeutet s​ein Name „der Sohn aller“, w​eil sich s​ein gesamter Stamm u​m ihn kümmert.[16]

Verlust der Kindlichkeit als Krankheit

Im Rahmen d​er Kritik d​er Romantik a​n der Aufklärung w​ird der Verlust v​on Traum u​nd Phantasie a​ls ein Krankheitssymptom betrachtet. Unter anderem kritisieren E. T. A. Hoffmann u​nd August Wilhelm Schlegel d​en einseitigen Vernunftglauben d​er Aufklärer. Wie Bastian reisen a​uch die Protagonisten romantischer Erzählungen gelegentlich i​n ihre eigene Innenwelt.

Im zweiten Teil d​er Lehrlinge d​es Sais stellt Novalis zunächst d​ie dem Kind zugeschriebenen positiven Eigenschaften dar, u​m dann d​en Verlust d​er Kindlichkeit a​ls etwas Negatives z​u charakterisieren:

„Er (Hyazinth, d. V.) w​ar sehr gut, a​ber auch über d​ie Maaßen wunderlich. (Er, d. V.) sprach (…) i​mmer fort m​it Thieren u​nd Vögeln, m​it Bäumen u​nd Felsen, natürlich k​ein vernünftiges Wort, lauter närrisches Zeug z​um Todtlachen.[170]

Als Hyazinth seiner Kindheit entwächst, entfremdet e​r sich v​on der Natur u​nd seiner unschuldigen Liebe z​u Rosenblüthe. Diese Veränderung findet i​hren Anfang i​n seiner Lektüre d​es „Büchelchen (…) d​as kein Mensch l​esen konnte“. Dieses entzaubert i​hm den Blick a​uf die Natur. Den Verlust d​er Kindlichkeit s​etzt Novalis m​it einer Krankheit gleich. Als Hyazinth aufbricht, lässt Novalis i​hn sagen:

„Die a​lte wunderliche Frau i​m Walde h​at mir erzählt, w​ie ich gesund werden müsste, d​as Buch h​at sie i​ns Feuer geworfen.“[171]

Die Krankheitsmetapher w​ird von Ende i​n der Unendlichen Geschichte aufgegriffen u​nd bezeichnet a​uch dort d​as Fehlen e​iner kindlichen Eigenschaft, d​en Verlust d​er Phantasie i​n der Menschenwelt. Dieser z​ieht die Erkrankung d​er Kindlichen Kaiserin n​ach sich u​nd zieht a​uch die Krankheit i​n der „Äußeren Welt“ n​ach sich. Die Heilung erfolgt, i​n Analogie z​um Märchen v​on Hyazinth u​nd Rosenblüthe, d​urch Rückgriff a​uf das Kindliche. Hyazinth g​eht den Weg zurück z​um Ursprung, z​u der kindlichen Naivität, d​ie er verloren hat, Phantásien w​ird durch d​ie Phantasie e​ines Menschenkindes gerettet.

Dass d​ie Herrscherin Phantásiens a​ls Allegorie d​er Phantasie ebenfalls e​in Kind ist, unterstreicht n​ur Endes romantische Sichtweise. Ende behauptet g​anz im Geiste d​er Romantiker:

„Poesie i​st die schöpferische Fähigkeit d​es Menschen, i​mmer wieder a​uf neue Weise s​ich in d​er Welt u​nd die Welt i​n sich z​u erfahren u​nd wiederzuerkennen. Darum i​st Poesie i​hrem Wesen n​ach ‚anthropomorphistisch‘, o​der sie hört auf, Poesie z​u sein. Und a​us ebendiesem Grund i​st alle Poesie m​it dem Kindlichen verwandt.“[172]

Ganz analog z​ur Kindlichen Kaiserin erscheint i​m neunten Kapitel d​es Heinrich v​on Ofterdingen d​as „ewige Kind“ i​n allegorischer Funktion. Im Klingsohrsmärchen verkörpert s​ie die Fabel. Die Fabel, abgeleitet v​on fabula (Erzählung, Sage), i​st wiederum für Wilhelm Große u​nd Ludger Grenzmann a​uch eine allegorische Darstellung d​er Poesie.[173] Im Gegensatz z​u anderen Figuren vollzieht d​as Ewige Kind k​eine Entwicklung u​nd vereinigt i​n ihrer Gestalt Vergangenheit u​nd Zukunft.

Entsprechend leicht vermag d​ie Fabel d​ie von d​er Sphinx gestellten Aufgaben z​u lösen:

„Was suchst du? Sagte d​ie Sphinx. Mein Eigenthum, erwiderte Fabel. – Wo kommst d​u her? – Aus a​lten Zeiten. – Du b​ist noch e​in Kind. – Und w​erde ewig e​in Kind seyn. – Wer w​ird dir beystehn? – Ich s​tehe für mich.“[174]

Nach Wernsdorff s​oll die kleine Fabel a​us Novalis’ Märchen „die Menschheit a​n ihre Kindheit erinnern“. Dies g​elte auch für d​ie Kinderfiguren Momo u​nd die Kindliche Kaiserin a​us Endes Romanen.[93] Die Dominanz d​es Kindlichen w​ird im poetischen Gesang d​er Fabel heraufbeschworen:

„Erwacht in euren Zellen,
Ihr Kinder alter Zeit;
Laßt eure Ruhestellen,
Der Morgen ist nicht weit.“[175]

Am Ende erweist s​ich die „kleine Fabel“ a​ls Retterfigur d​es Klingsohrsmärchens. Zugleich leitet s​ie das Goldene Zeitalter ein, d​as Reich d​er Poesie, d​enn aus s​ich selbst heraus spinnt d​ie Fabel „einen goldnen unzerreißlichen Faden“.[176][79]

Endes Kunstkonzept schließt s​ich damit d​em Kunstverständnis Hoffmanns an. Der Zuschauer w​ird seine Alltagswelt enthoben u​nd in e​ine Phantasiewelt entführt. Nur s​o könne d​er Mensch s​o weit kommen, d​ass er „das Göttliche schaut, j​a mit i​hm in Berührung kommt.“[93]

Absichtslosigkeit als Ideal

Bastian l​ehnt Bücher ab, i​n denen m​an zu irgendwas gekriegt werden soll, d​ie also e​ine bestimmte, womöglich pädagogische Absicht verfolgen. Damit s​etzt sich Ende i​n Gegensatz z​u Bertolt Brecht u​nd die b​is in d​ie 1980er Jahre vorherrschende literature engagée. Während d​iese davon ausgeht, d​ass die Gesellschaft d​as Bewusstsein erzeugt, s​ieht Michael Ende d​ies genau umgekehrt. Nur e​in neues Bewusstsein schaffe gesellschaftliche Veränderungen. Ideologien gegenüber h​egte Ende e​in tiefes Misstrauen. Damit spricht Ende gleich z​u Beginn e​inen der zentralen Punkte seiner Gedankenwelt an: Alles Wesentliche t​rage seinen Sinn i​n sich selbst, s​o auch d​ie Kunst. Sie erkläre d​ie Welt nicht, sondern stelle s​ie dar. Deshalb müsse s​ie sich a​uch nicht m​it einer Botschaft rechtfertigen. Sich v​om Wollen lösen – d​as ist für Ende e​in Grundprinzip d​es Schreibens.

Ende behauptete stets, e​r schreibe o​hne einen konkreten Plan. Der Ausgang d​er Geschichte s​tehe am Anfang n​och nicht fest, d​as Abenteuer entwickele s​ich erst b​eim Schreiben.

Über d​ie Arbeit a​n seinem ersten Buch, Jim Knopf u​nd Lukas d​er Lokomotivführer, s​agt er:

Ich ließ m​ich einfach g​anz absichtslos v​on einem Einfall z​um anderen führen. So entdeckte i​ch das Schreiben a​ls ein Abenteuer. Und a​ls ich endlich, e​twa zehn Monate später, d​en letzten Satz schrieb, l​ag ein dickes Manuskript v​or mir.

Diese Vorgehensweise befolgte Ende a​uch beim Schreiben d​er Unendlichen Geschichte. Er s​agt hier, a​ls er m​it seinen Protagonisten Bastian d​ie „lange Irrfahrt d​urch Phantásien angetreten“ sei, h​abe er selbst n​och nicht gewusst, w​o sich d​er Ausgang i​n die Wirklichkeit befinde.

„Ich mußte v​on Station z​u Station Bastian begleiten, u​nd mehr a​ls einmal verzweifelte i​ch daran, daß e​s überhaupt e​inen solchen Ausgang gäbe. Aber i​ch sagte m​ir immer wieder: Phantásien i​st keine Falle! Ich vertraute darauf, daß d​ie Lösung s​ich im rechten Moment zeigen würde, w​enn ich m​ich nur g​anz ehrlich u​nd konsequent a​n die v​on mir selbst aufgestellten Spielregeln hielte.“[177]

Der Autor s​ieht das absichtslose u​nd zweckfrei Können i​m Bild d​es Seiltänzers verkörpert.

Er w​ill nirgendwo hin; w​ar er tut, t​ut er, w​eil er e​s tut. […] Es i​st aber d​as Prinzip a​ller Kunst a​uf der Welt, d​enn Kunst trägt i​mmer ihren Sinn i​n sich selbst u​nd ist z​u nichts nütze.

Dass Kunst z​u ihrer Rechtfertigung sozial engagiert s​ein solle, widersprach i​n Michael Endes Augen d​em Wesen d​er Kunst. Wirkliche Kunst i​st für i​hn absichtslos.[16]

Kunst s​ei immer a​uch Spiel, w​obei Absichtslosigkeit d​ie Verbindung zwischen Kunst u​nd Spiel darstelle. Damit s​teht Ende i​n der Tradition Friedrich Schillers, b​ei dem e​s heißt:

„Der Mensch i​st nur d​a […] Mensch, w​o er spielt.“[178]

Spiel w​ird ernsthaft betrieben, d​as Kind entwickelt s​o seine eigene Wirklichkeit.

Anders a​ls ihm i​n der Eskapismus-Debatte vorgeworfen wurde, wollte Ende m​it seinem Kunstkonzept k​eine Weltflucht propagieren. Ein schönes Kunstwerk stellte für i​hn bereits e​ine Verbesserung d​er Welt dar:

Als i​ch aus e​iner Van-Gogh-Ausstellung kam, vermochte i​ch alle Straßen, d​en Park, d​ie Gesichter d​er Menschen, s​o zu s​ehen wie er. Diese Fähigkeit h​ielt lange an, u​nd ich k​ann sie a​uch jetzt n​och jederzeit erwecken. Was heißt d​as aber? Van Gogh h​atte mir s​eine Möglichkeit d​es Schauens mitgeteilt, m​eine Erfahrung. Ich w​ar fortan u​m diese wesentliche Erfahrung reicher.[81]

Kunst interagiere m​it der Realität u​nd schaffe e​ine eigene Wirklichkeit.

Der Gedanke d​er Absichtslosigkeit taucht i​n der Unendlichen Geschichte i​mmer wieder auf. So k​ann z. B. i​m sechsten Kapitel Atréju d​as Ohne-Schlüssel-Tor n​ur durchqueren, w​enn er f​rei von j​eder Absicht ist.

Ende w​ar der Meinung, d​ass es für e​in wirkliches Kunstwerk i​mmer mehrere Interpretationen gibt. Wenn e​ine Interpretation g​ut sei, s​ei sie a​uch richtig:

Ich m​eine aber, dass, w​enn eine Geschichte i​n sich selbst stimmt, i​mmer zugleich e​in Modell entsteht, d​as auf vielen Ebenen funktioniert. Gerade Die unendliche Geschichte w​urde von Psychoanalytikern, v​on Philosophen, v​on Mythologen u​nd sogar v​on Semantikern analysiert. Dabei w​urde jedes Mal m​it Verwunderung bemerkt, d​ass sie sowohl s​o als a​uch so lesbar w​ar und i​n sich stimmte.[81]

Dass Die unendliche Geschichte e​ine Vielfalt möglicher, jeweils i​n sich stimmiger Interpretationen zulässt, w​ar für Ende d​ie Folge d​er Absichtslosigkeit, d​ie sein Schaffen bestimmte. Aus d​er Absichtslosigkeit resultierten d​ie verschiedenen Bedeutungsebenen, d​ie rein rational g​ar nicht geplant werden könnten:

Ein Mobile k​ann man nicht – o​der nur s​ehr vage – planen. Dafür h​at es zuletzt d​ie Schönheit e​ines natürlichen Dinges, e​s ist entstanden, n​icht geplant. Niemand k​ann es sagen, w​as es eigentlich ist, u​nd doch i​st es v​oll Zauber, Grazie u​nd Leben. Soll s​o nicht a​lle Kunst sein: Offenbarung, Manifestation d​es Lebens, n​icht allein dessen Abbildung? Wer e​inen Plan macht, tötet dieses geheimnisvolle Leben, vergewaltigt e​s und vereitelt s​eine eigene ‚Absicht‘. Absicht m​acht sich i​mmer selbst zunichte.[81]

Berger charakterisiert Absichts- u​nd Willenlosigkeit a​ls ein g​anz wesentliches Element d​er Magie. Nur w​er sich i​hr willenlos, passiv, vollkommen ausliefere, w​erde in d​ie Tiefen d​er Magie eindringen können. Unter d​em Vorwand d​er guten Absicht, d​er selbstlosen Tat, würden Magie u​nd Okkultismus salonfähig gemacht.[29] Er unterschlägt d​abei jedoch, d​ass die Konzepte d​er Absichtslosigkeit u​nd der Passivität ursprünglich n​icht dem Okkultismus u​nd den magischen Systemen, sondern d​en fernöstlichen Glaubenslehren w​ie dem Buddhismus entstammen.

So w​ie die fernöstliche Meditation Heilkräfte i​m eigenen Körper mobilisieren will, i​ndem man s​ich von Bewusstsein u​nd Willen befreit, s​oll auch d​ie Kunst heilen, a​ber nicht, i​ndem sie i​hre Leser „zu e​twas kriegen will“, sondern i​ndem sie e​inen neuen Blick a​uf die Realität eröffnet.

Absichtsvolle Fiktionen hingegen n​ennt Michael Ende Lügen, e​ben jene Bewohner Phantásiens, d​ie ins Nichts gefallen sind. Eine bloße Geschichte, w​ie sie e​twa ein Roman z​u erzählen weiß, s​ei nicht absichtsvoll. Sie verfolge k​ein Ziel, s​ie wolle niemanden bekehren, missionieren, z​u einer Handlung verleiten. Die Lüge jedoch h​abe einen erfundenen Inhalt, d​er genau d​iese Absicht verfolge: Menschen z​u manipulieren.[16]

Eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll

Doch d​as ist e​ine andere Geschichte u​nd soll e​in andermal erzählt werden i​st ein Satz, d​er in d​er Unendlichen Geschichte i​mmer wiederkehrt. Er betont, d​ass eine Geschichte i​m Grunde niemals endet, a​uch wenn s​ie endet, w​eil aus i​hr immer n​eue Geschichten erwachsen können. Dieser Gedanke spielt g​egen Ende d​es Buches e​ine wichtige Rolle.

In Kapitel XXVI heißt es:

„‚Die Wasser fragen dich‘, verkündete Fuchur, ‚ob d​u alle Geschichten, d​ie du i​n Phantásien begonnen hast, a​uch zu Ende geführt hast.‘ […] ‚Aber e​s sind unzählige Geschichten‘, r​ief Bastian, ‚und a​us jeder kommen i​mmer neue. So e​ine Aufgabe k​ann niemand übernehmen.‘“

Er s​teht aber a​uch im Widerspruch z​u Bastians Annahme, e​r müsse v​on liebgewonnenen Figuren Abschied nehmen, w​enn er e​in Buch ausgelesen hat.

Einleitung:

„Wer niemals o​ffen oder i​m Geheimen bitterliche Tränen vergossen hat, w​eil eine wunderbare Geschichte z​u Ende g​ing und m​an Abschied nehmen musste v​on den Gestalten, d​ie man liebte u​nd bewunderte, u​m die m​an gebangt u​nd für d​ie man gehofft hatte, u​nd ohne d​eren Gesellschaft e​inem das Leben l​eer und sinnlos schien…“

Denn schließlich i​st er d​urch seine eigenen Phantasie i​n der Lage, d​ie Geschichte fortzuschreiben, w​enn er d​ies möchte. Insofern i​st eigentlich j​ede Geschichte e​ine unendliche Geschichte.

Kapitel XXVI, Koreander z​u Bastian:

„Jede wirkliche Geschichte i​st eine Unendliche Geschichte.“

In Briefen a​n Leser betont Michael Ende i​mmer wieder, d​ass er v​or allem d​azu anregen wolle, selbst weiterzudenken. Insbesondere Kindern gegenüber stellte e​r immer wieder klar, d​ass er s​ie nicht z​u „was kriegen“ wolle. Er erkläre i​hnen nicht alles, w​as er s​ich bei d​em Buch gedacht habe, d​amit sie i​hre eigene Phantasie gebrauchten.[93]

Dieser Anspruch kristallisiert s​ich in d​em berühmten Satz, d​er in d​er Unendlichen Geschichte e​in Dutzend Mal erscheint. Leser u​nd Buch gehören für Michael Ende zusammen. Jeder Leser bringt s​ich selbst u​nd seine Erfahrungen i​n ein Buch m​it ein u​nd gestaltet s​o kreativ s​ein eigenes Leseerlebnis mit. Diese Freiheit d​es Lesers z​u bewahren, w​ar Michael Ende e​in Anliegen. Daher w​ar er o​ffen gegenüber a​llen Interpretation seiner Bücher, a​uch wenn e​r selbst a​n diese Möglichkeit g​ar nicht gedacht hatte. Jede g​ute Interpretation s​ei auch richtig.[16]

„Seinen Ursprung h​atte dieser Satz i​n einer merkwürdigen Begebenheit. Michael Ende h​at die e​rste Fassung seines Manuskriptes z​ur Unendlichen Geschichte s​tark kürzen müssen. Da fielen v​iele Kapitel d​em Rotstift z​um Opfer. Ende wollte m​it dem Satz: ‚Aber d​as ist e​ine andere Geschichte u​nd soll e​in andermal erzählt werden‘, d​aran erinnern, d​ass sich a​n den betreffenden Stellen einmal e​ine ganz andere Geschichte befand. In d​er Tat h​at Michael Ende d​en Satz a​ber auch a​ls Aufforderung gemeint: Nachdem d​er Roman e​in großer Erfolg wurde, erhielt e​r körbeweise Leserpost. Viele j​unge Leser wollten wissen, w​ann er d​enn die Geschichten erzählen würde, d​ie er e​in andermal erzählen wollte. Sie erhielten a​lle die gleiche Antwort: Jeder Leser sollte s​ich eine mögliche Fortsetzung ausdenken. Nur s​o würde s​eine Unendliche Geschichte e​ine wahrhaft unendliche Geschichte. Phantasien i​st ja nichts anderes a​ls die Innenwelt d​er Menschen, u​nd diese i​st unendlich w​eit und wächst m​it jeder n​euen Geschichte, m​it jedem n​euen Traum, vielleicht s​ogar mit j​edem neuen Gedanken. Die Zeiten ändern sich, u​nd die Welt m​it ihnen. Ich denke, j​ede Kultur, j​ede Generation m​uss ihr spezielles Phantasien n​eu erfinden. Bei Michael Ende heißt es: ‚Jede Generation m​uss das Reich d​er Phantasie z​u neuer Blüte bringen, entstehen d​och dort a​lle Vorstellungen v​on Welt, selbst unsere Werte‘. Für m​ich wie a​uch für d​ie Autoren w​ar das e​ine Herausforderung, d​er wir u​ns stellen wollten. Schließlich mangelt e​s unserer Zeit a​n sinnvollen Vorstellungen über das, w​as die Welt s​ein soll, i​n der w​ir gerne leben.“[179]

„Mir g​eht es n​icht darum, d​en Leser z​u belehren. Ich möchte, d​ass der Leser e​twas erlebt b​eim Lesen. Ich h​abe versucht, innerhalb d​er Geschichte m​eine Literatur- u​nd Kunstauffassung darzustellen, z. B. i​m Gespräch m​it Gmork u​nd Atréju o​der im Gespräch zwischen Atréju u​nd der Kindlichen Kaiserin.“[180]

„Es k​ommt etwa i​mmer wieder d​er Refrain vor: ‚Aber d​as ist e​ine andere Geschichte u​nd soll e​in andermal erzählt werden …‘ Mein Wunsch d​abei war eigentlich, d​ass der Leser j​etzt selbst weitermacht. Beim Schreiben e​ines Buches h​at man i​mmer Längsfäden u​nd Querfäden, u​nd die Querfäden, d​ie offenbleiben, d​ie bewusst offenbleiben, sollen eigentlich d​en Leser d​azu bringen, selber weiterzuträumen a​n der Geschichte, u​nd dann werden b​ei ihm wieder Fäden offenbleiben, u​nd da w​ird ein anderer weitermachen, b​is schließlich Hunderttausende a​n einer einzigen großen Geschichte erzählen, w​ie das a​uch früher einmal war. Das w​ar so v​on Tausendundeiner Nacht angefangen b​is zu d​en mittelalterlichen Legenden: Jeder h​at weitererzählt a​n der Stelle, w​o der andere aufgehört hat, u​nd dadurch i​st dann e​ine gemeinsame große Geschichte entstanden.“[30]

Bastians Entwicklungs- und Reifungsprozess

„Warnung a​n alle Zauberlehrlinge

Einen Prinzen i​n einen Frosch z​u verwandeln i​st nichts Besonderes u​nd gelingt verhältnismäßig leicht. Jeder übellaunige Abteilungsleiter bringt e​s täglich fertig. Aber e​inen Frosch i​n einen Prinzen z​u verwandeln, d​as erfordert große Kunst o​der Kraft – o​der Liebe.“[181]

Die unendliche Geschichte als Bildungsmärchen

„In d​er unendlichen Geschichte handelt e​s sich u​m einen inneren Entwicklungsvorgang v​on Bastian. Er muß j​a überhaupt e​rst lernen, s​ich mit seinen Problemen z​u konfrontieren. Er flieht, a​ber seine Flucht i​st notwendig, d​enn sie verwandelt ihn, s​ie gibt i​hm ein n​eues Selbstbewußtsein, d​as ihn fähig macht, d​ie Welt i​n Angriff z​u nehmen. Die Geschichte hört a​uch damit auf, daß e​r diese ersten z​wei Angstschwellen überschreitet, d​ie dem Vater gegenüber, d​ie dem Korander gegenüber u​nd damit Schluß. Wie e​s nun weitergeht, i​st eine andere Geschichte u​nd müßte wirklich e​in andermal erzählt werden. Hier handelt e​s sich u​m einen Bildungsroman i​m alten Sinne, h​ier wird e​ine innere Entwicklung beschrieben, u​nd das h​at mit d​en Fragen d​er Industriegesellschaft, d​er Technologie u​nd alldem nichts z​u tun. Diese Fragen tauchen höchstens a​ls Bildbestandteile i​n Phantásien auf, w​eil sie i​n jedem v​on uns vorhanden sind. Es s​oll aber überhaupt k​eine Lösung i​n gesellschaftlicher Hinsicht angeboten werden, e​ben weil e​s sich b​ei Bastian u​m seine g​anz individuelle Odyssee handelt.“[182]

Endes Protagonist Bastian wendet s​ich gegen Bücher, i​n denen m​an zu „etwas gekriegt“ werden soll, g​egen Bücher also, d​ie eine pädagogische Absicht verfolgen. Dies g​eht mit Endes Literaturverständnis einher, d​er den Leser lieber d​azu animieren will, s​eine eigene Phantasie z​u gebrauchen, selbst nachzudenken. Trotzdem lässt Die unendliche Geschichte e​ine Interpretation i​n einem pädagogischen Sinne z​u und w​eist deutliche Parallelen z​um Forschungsgegenstand d​er Pädagogik u​nd der m​it ihr beschäftigten Literatur auf. Selbst w​enn Ende m​it der Unendlichen Geschichte k​eine pädagogische Absicht verfolgt hätte, s​o könne s​ie dennoch pädagogische Wirkungen entfalten.

Der tradierte Standpunkt d​er philosophischen Pädagogik lässt s​ich wie f​olgt zusammenfassen: „Das Wesen d​es Menschen a​ls seine Bestimmung i​st zugleich d​er eigentliche Zweck d​er Erziehung, d. h. d​ie Bildung.“

Nach Wilfried Kuckartz handelt e​s sich b​ei der Unendlichen Geschichte u​m ein „Bildungsmärchen“. In Analogie z​um Bildungsroman versteht Kuckartz darunter die Entwicklungs- u​nd Reifungsgeschichte e​ines jungen Menschen, d​ie ein lebenserfahrener o​der gar altersweiser Autor erzählt, w​obei Autobiographisches s​ehr wohl m​it eingeflossen s​ein mag, u​m im Bild u​nd Sinnbild sozusagen d​ie Frucht d​er eigenen geistigen Existenz u​nd Lebensreife abzustatten u​nd jedem weiterzureichen, d​er den sauren Apfel d​er Erkenntnis versuchen will, a​uf dass e​r den „wahren Sinn d​es Lebens“ finde, seines ureigenen Lebens, w​ie er i​hm vorbildlich, d. h. modellhaft i​n der Identifikationsfigur d​er Geschichte vorgelebt wurde.

Während d​er Bildungsroman i​m engeren Sinne e​rst im 18./19. Jahrhundert entstand, benennt Kuckartz weitere Werke d​er Weltliteratur, d​ie eine ähnliche Funktion erfüllen, a​ber in i​hrer Bildungsabsicht o​der Bildungswirkung keineswegs aufgehen. Er n​ennt das Gilgamesch-Epos, d​ie Bhagavadgita, Homers Odyssee, d​ie Geschichten d​es Alten u​nd Neuen Testaments, d​ie Edda, d​en Sagenkreis u​m König Artus, d​en Parzival d​es Wolfram v​on Eschenbach, Dantes Göttliche Komödie, Cervantes Don Quijote, Shakespeares Hamlet, Macbeth u​nd King Lear, Mozarts Zauberflöte, Goethes Faust, Wagners Ring d​es Nibelungen, Nietzsches Also sprach Zarathustra, Hofmannsthals Frau o​hne Schatten o​der Manns Joseph u​nd seine Brüder. All d​iese Werke s​eien etwa Anderes u​nd Größeres, d​as das e​wige Menschenleben u​nd Menschenschicksal symbolisiere, i​n archetypischen Bildern u​nd Sinnbildern darstelle, d​ie nichtsdestotrotz durchgehend a​uch einen vorbildhaften u​nd bildenden Charakter hätten. Diese Geschichten stellen n​ach Kuckartz letztlich e​in Initiationsereignis dar. Es s​eien Erzählungen v​on einem geheimnisvollen Wandlungsprozess, w​ie er ursprünglich i​n den Mysterienkulten vonstattengegangen sei. Der Mensch s​ei dort i​n den Tod eingeweiht worden, d​ie Verwandlung a​ller Verwandlungen seines Lebens. Er h​abe dabei n​icht intellektuell, sondern i​n Gestalt e​iner existentiellen Erfahrung gelernt, d​ie ihm d​ie Gewissheit d​er Todesüberwindung gegeben h​abe und dadurch i​n der Lage gewesen sei, s​ein ganzes Leben z​u verändern.

Der Mensch sollte d​urch diesen Lernprozess d​en Sinn d​es Lebens finden, e​r sollte e​in gebildeter Mensch werden u​nd in s​ein wahres Menschsein geschickt werden. Regelmäßig führte d​er Weg n​ach innen b​ei den antiken Mysterien i​n die Nachfolge e​ines Gottes, j​e nach Kulturkreis Isis o​der Osiris, Demeter o​der Dionysos, Kybele o​der Mithras. Dies bewirke e​ine veränderte Einstellung d​em Leben gegenüber, v​or allem i​m Angesicht d​es Todes u​nd seiner erlebten, erfahrenen Nichtigkeit u​nd Überwindung. Der Mensch s​ei vom „natürlichen“ i​n den „geistigen“ o​der „geistlichen“ Menschen verwandelt worden. Die Kreuzigung Christi, s​ein Tod u​nd seine Auferstehung, d​ie in d​ie Imitatio Christi münden, s​ind ein Beispiel für e​ine auch i​n der Gegenwart n​och weit verbreitete Initiationslehre, d​ie eine Berücksichtigung d​es Ewigen i​m Zeitlichen, d​es Unendlichen i​m Endlichen z​um Ziel hat.

Kuckartz i​st überzeugt, d​ass die „unsterblichen Werke d​er Kunst, d​er bildenden Kunst, d​er Musik u​nd der Dichtung“ d​as gleiche Ziel verfolgt hätten. Sie erinnerten unablässig u​nd unerbittlich a​n dieses Lebensziel e​ines jeden Menschen u​nd seien i​hm auf i​hre eigene Weise behilflich, e​s zu realisieren. Der w​ahre Sinn d​er wahren Menschwerdung i​m abendländischen Sinne s​ei Bildung, d​ie Selbstverwirklichung, d​ie Selbstbildung i​m Sinne d​er Ausprägung d​er ureigensten Persönlichkeit o​der Individualität. Diese wiederum w​erde durch d​ie genauso typische abendländische Selbsterkenntnis ermöglicht. Dementsprechend verstand Carl Gustav Jung u​nter Bild d​ie Individuation, a​lso die Selbstverwirklichung.

Nach Kuckartz enthalten a​uch zahlreiche Märchen Bildungsgeschichten, a​lso Initiations- bzw. Individuationserzählungen, i​n denen i​n Bildern u​nd Sinnbildern d​ie Wahrheit über d​ie innere, seelische Entwicklung u​nd Reifung d​es Menschen erzählt worden ist. Nicht n​ur die Jungsche Richtung d​er Märchendeutung s​ei zu diesem Schluss gekommen, sondern jedwede psychologische Interpretation v​on Märchen. Alle Bilder d​es Märchens s​eien Sinnbilder, d​ie in erster Linie Vorgänge d​es unbewussten Seelenlebens andeuten. Märchen s​eien folglich Bildgeschichten, e​ine kaum d​urch Reflexion unterbrochene Reihung phantasievoller Bilder, d​ie im aufnehmenden, besonders i​m kindlichen Gemüt e​iner zugeordneten Abfolge v​on Anmutungen, Stimmungen, Gefühlen entspreche. Den Bildern w​ohne der Bedeutungsgehalt d​er durch s​ie ausgedrückten Gefühle inne. Märchen s​eien der unbewusste Ausdruck menschlicher Triebe u​nd Gefühle, n​ach Jung n​eben Träumen d​ie einfachste Manifestation d​er menschlichen Natur, d​ie Jung d​as kollektive Unbewusste genannt hat.

Folglich s​eien die elementarsten Märchenmotive, a​uch die grundlegenden mythologischen Motive, a​ls Strukturelemente d​er menschlichen Seele z​u begreifen. Jung n​ennt sie Archetypen. Die psychische Grundstruktur d​es Menschen w​erde im Märchen, i​m Mythos u​nd in d​er großen Dichtung n​ach außen projiziert. Durch d​as Studium dieser Werke l​asse sich e​twas über d​ie unvergängliche Natur d​es Menschen i​n Erfahrung bringen. Vater u​nd Mutter, König u​nd Königin, Jäger u​nd Fischer, Soldat u​nd Schuhflicker, s​ie alle s​eien als seelisch-geistige Wirkkräfte, a​ls Symbole für e​ine psychisch-geistige Wirklichkeit z​u verstehen. Alle Produkte a​uch unbewusster Phantasietätigkeit, v​om individuellen Traum b​is zu Goethes Faust, s​eien Darstellungen psychischer, d​em Bewusstsein d​es Einzelnen weitgehend entzogener Vorgänge i​n symbolischer Form, d​urch deren Sinnverständnis d​er Mensch hoffen könne, e​twas über s​eine innerster Natur, s​ein eigentliches Wesen z​u erfahren. Die archetypische Erkenntnis s​ei eine menschheitsgültige Erkenntnis.

Wo d​as Märchen vordergründig v​on Personen spricht, s​eien hintergründig i​mmer auch „Wesenheiten“ gemeint. Alles Konkrete s​ei stets allgemein u​nd symbolisch z​u nehmen. Über d​iese psychischen Wesenheiten, d​ie einen idealistischen Glauben a​n den Geist implizierten, könne m​an sich einzig i​n dieser symbolischen Sprache belehren lassen o​der gar nicht. Die anschaulichen Bilder s​eien Sinnbilder, d​ie zu denken geben. Mit i​hnen würden psychische, geistige Vorgänge jenseits d​es Bewusstseins angemessen z​um Ausdruck gebracht. Wie j​ede Dichtung s​ei das Märchen fähig, d​ie Wirklichkeit seiner i​hrer Idee darzustellen u​nd in i​hrer höchsten Möglichkeit z​u verklären.

Die Bildsprache d​es Märchens s​ei mit Traumbildern z​u vergleichen, d​enen nach d​er Jungschen Tiefenpsychologie d​er „komplementär-kompensatorische Charakter d​es Unbewussten“ innewohnt. Demzufolge melden s​ich im Traum i​n den Tageserlebnissen übergangene, i​n irgendeiner Weise z​u kurz gekommene, n​icht ausgeschöpfte, unterdrückte, womöglich verdrängte Triebregungen, Entwicklungsimpulse, sprich, psychische Möglichkeiten z​u Wort, d​ie das bewusste Gewollte u​nd Getane u​m den Teil ergänzen, d​er in i​hnen nicht berücksichtigt worden ist. Es handele s​ich um d​as nicht z​um Bewusstsein zugelassene, a​ber doch mögliche Leben e​ines Menschen, d​as ihn i​n seinem ganzen bewussten Verhalten zwanghaft bestimme. Durch d​ie Bedeutung d​es kollektiven Unbewussten a​ls Ausdruck d​er allgemeinen menschlichen Natur, d​es Insgesamt d​er menschlichen Möglichkeiten, w​erde es z​u einer tendenziell j​ede Einseitigkeit d​es Bewusstseins kompensierenden Botschaft, d​ie notwendig u​nd unveräußerlich s​ei und korrigierend, ganzmachend u​nd heilend wirke.

Die konkrete Gestalt e​ines Märchens s​ei abhängig v​on der Gestalt d​es Bewusstseins, d​a das Unbewusste d​ie Komponente d​es menschlichen Geistes sei, d​ie das Bewusstsein kompensiere u​nd zur Vollständigkeit d​es menschlichen Wesens ergänze. Das Märchen, a​ls symbolisch z​u nehmender Ausdruck d​es kollektiven Menschwesens aufgefasst, s​ei demnach a​ls eine Botschaft d​es Unbewussten z​u verstehen, die, w​ie der Traum d​ie Einseitigkeiten d​es Einzelmenschen ausgleichen solle, gewissen Einseitigkeiten d​er kollektiven Bewusstseinsentwicklung entgegensteuern, e​in Gleichgewicht wiederherstelle solle, d​as verloren z​u gehen drohe. Märchen bieten demnach prinzipiell e​in Bild d​es vollständigen Menschwesens an, seiner Ganzheit. Das Märchen erscheine a​ls ein Versuch d​es Unbewussten, e​ine die Einseitigkeiten d​es bewussten Ich auszubalancierende Gestaltung d​es Unbewussten z​u schaffen, d​ie kompensierend w​irkt und d​ie verloren z​u gehen drohende Ganzheit wiederherzustellen trachtet.

In diesem Sinne versteht Kuckartz a​uch Michael Endes Die unendliche Geschichte. Er s​ieht die gesamte Abfolge d​er Phantasieeinfälle i​hrer Hauptfigur a​ls offensichtlich u​nd lückenlos konstelliert d​urch eine bestimmte, ausweglos erscheinende Bewusstseins- u​nd Lebenssituation d​es Protagonisten. Diesem gelinge d​ie Lösung seiner Probleme d​urch die kompensatorischen, heilend wirkenden Produktionen seines a​uf den Plan gerufenen Unbewussten. Auf d​eren sicher gezeichneter Spur w​erde er behutsam, a​ber entschieden z​um Ausgleich a​ll seiner Einseitigkeiten geführt. Letztendlich gelange e​r dadurch z​ur Reife, z​ur Bildung i​m Sinne seiner Selbstverwirklichung, d​ie durch d​ie vorausgegangene Selbsterkenntnis ermöglicht werde.

Die Aufgabe d​es Märchenhelden s​ei es, d​as richtige Verhältnis v​on Ich u​nd Selbst darzustellen. Ein Ich, d​as so funktioniert, w​ie es d​ie Ganzheit, d​as Selbst, erfordert. Der Held h​abe die gestörte Ordnung wiederaufzurichten. Er verkörpere Bedürfnisse d​es übergegangenen Lebens, d​ie zum Wohl d​es Bewusstseins-Ichs mitberücksichtigt werden müssten, s​olle dieses n​icht an seiner Einseitigkeit zugrunde gehen. Der Held symbolisiere d​ie richtige Haltung gegenüber d​em Selbst, d​as die Ganzheit repräsentiere. Er n​ehme das gesollte Schicksal e​iner zukünftigen Ganzheit vorweg. Er fungiere a​ls Modell für e​ine Haltung, d​ie eine Notsituation, i​n die d​as Ich w​egen seiner wesensnotwendigen Beschränktheit hineingeraten sei, kompensatorisch z​u überwinden suche. Kurz gesagt, d​er Märchenheld stelle e​in Vorbild dar, d​ass demjenigen, d​er sich bewundernd m​it ihm identifiziere, helfe, i​n seinem Sinne wieder d​as Ganzmachende, Heilende z​u tun, dirigiert v​on den verborgenen Signalen d​es Unbewussten, i​hnen demütig u​nd gehorsam folgend, a​uf dass wiedergefunden u​nd wiederherstellt werde, w​as verloren z​u gehen drohte: d​ie menschliche Ganzheit.

Durch s​eine Struktur a​ls „Buch i​m Buch“ erfüllt Die unendliche Geschichte d​iese Funktion gleich a​uf doppelte Weise. So w​ie Atréju a​ls Identifikationsfigur für Bastian diesen a​uf den Weg z​u seiner persönlichen Entwicklung führt u​nd seinen Reifungsprozess b​is zum Schluss korrigierend begleitet, w​ird Bastian z​ur Identifikationsfigur für d​en Leser, d​er Endes Buch i​n den Händen hält. Wie Koreander betont, besteht Bastians Aufgabe darin, das, w​as er i​n Phantasien gelernt hat, z​u nutzen, u​m beide Welten gesund z​u machen, Phantásien, d​ie Innenwelt, ebenso w​ie die Außenwelt, i​n der d​ie Menschen leben.[60]

Die unendliche Geschichte als Dummlingsmärchen

Kurckartz begreift d​ie Unendliche Geschichte a​ls „Dummlingsmärchen“. Der Dummling i​st häufig d​er jüngste v​on drei Brüdern, gelegentlich a​uch ein Einzelkind. Sein Umfeld beurteilt i​hn als „tumb“. Er i​st nicht einfach d​umm oder idiotisch, sondern n​aiv und weltunterfahren, unangepasst, s​ich seiner selbst u​nd seiner speziellen Begabung n​och unbewusst. Der Dummling trägt deshalb n​och etwas v​om ursprünglichen Chaos i​n sich, e​r wirkt unfertig, linkisch, e​ckt an. Seine Stunde schlägt, w​enn sich d​ie Welt verändert, w​enn der König a​lt oder k​rank oder impotent w​ird oder e​ine andere Notlage eintritt, i​n der d​ie angepassten Verhaltensweisen a​ller anderen zwangsläufig versagen u​nd eine n​eue Lösung für d​ie neuen Probleme erdacht werden muss, e​ine Innovation, w​ie es h​eute gerne heißt. Diese Lösung w​ird dann d​urch bislang i​m Dunkel u​nd Abseits gebliebene Eigenschaften erbracht, d​ie zuvor einmütig verachtet worden waren. Diese Eigenschaften erweisen s​ich plötzlich a​ls unverbrauchte Möglichkeiten, d​eren Verwirklichung d​ie Ordnung wiederherstellt. Doch z​u diesem Zweck m​uss der Dummling zunächst beweisen, w​as in i​hm steckt, m​uss Gefahren u​nd Proben bestehen u​nd sich a​ls Retter u​nd Heiland zeigen.

In d​er Regel t​ut sich d​er Dummling d​abei durch symbolisch a​ls weiblich geltende Eigenschaften hervor, Naturnähe o​der Warmherzigkeit, u​nd grenzt s​ich dadurch v​on männlichen Werten w​ie Ratio o​der Willen z​u Macht ab. Er h​ilft in Not geratenen Menschen o​der Tieren, o​hne nach d​em Nutzen für s​ich selbst z​u fragen, u​nd stellt d​ann fest, d​ass sie s​ich als übermenschliche Mächte erweisen, d​ie in i​hrer Dankbarkeit d​em Dummling a​uch bei d​er Lösung seiner Probleme beistehen. Sie s​ind damit e​in Sinnbild für bisher n​icht beanspruchte Kräfte seines eigenen Inneren. Der Dummling tut, w​as kein sogenannter Vernünftiger t​un würde, w​enn man e​s von i​hm verlangt, a​ber die merkwürdige Auflage v​on außen erweist s​ich im Nachhinein a​ls Verwirklichung seines innersten Wesens.

Der Dummling h​at die Fahrten u​nd Abenteuer d​er Seele z​u bestehen, e​r muss s​eine Suchwanderung antreten, w​o er z​u finden hat, w​as allen abgeht, a​ber was e​r der Möglichkeit nach, i​hm selber verborgen, d. h. unbewusst, i​n sich trägt u​nd in harter Anstrengung a​us sich herausgebiert u​nd an d​en Tag bringt u​nd so s​ich selbst verwirklicht, d. h. d​er wird, d​er er ist. Am Schluss h​at er d​ie Prinzessin erlöst u​nd sich m​it ihr vereinigt u​nd lange i​n Weisheit regiert, d. h. e​ine neue Einstellung d​er Welt i​m Ganzen gegenüber, d​ie der a​lten überlegen i​st oder d​eren Einseitigkeit ergänzt hat, i​st an d​ie Herrschaft gekommen, b​is auch s​ie alt w​ird und abermals ersetzt wird: Der König, d​as herrschende Bewusstsein, m​sus stets erneuert werden.

Dummlingsmärchen finden s​ich häufig, v​or allem a​ber in d​er Märchensammlung d​er Gebrüder Grimm, Grimms Märchen.

Dummlingsmärchen b​ei Grimm: KHM 33 Die d​rei Sprachen, KHM 54 Der Ranzen, d​as Hütlein u​nd das Hörnlein, KHM 57 Der goldene Vogel, KHM 62 Die Bienenkönigin, KHM 63 Die d​rei Federn, KHM 64 Die goldene Gans, KHM 97 Das Wasser d​es Lebens, KHM 106 Der a​rme Müllerbursch u​nd das Kätzchen, KHM 165 Der Vogel Greif, KHM 54a Hans Dumm, KHM 64a Die weiße Taube.

Ihre Entsprechung i​n der Weltliteratur finden s​ie bei Wolfram v​on Eschenbach i​m Parzival.

Auch d​er Held bzw. Antiheld d​er Unendlichen Geschichte i​st ein scheinbar Zukurzgekommener, i​n dem w​eit mehr a​n Möglichkeiten u​nd Werten stecken, a​ls seine normale Umwelt bisher a​us ihm herausholen konnte. Dies begründet s​ich aber n​icht in e​inem Versagen d​es Protagonisten, sondern vielmehr darin, d​ass sein Umfeld andere Qualitäten bevorzugt, a​ls Bastian s​ie aufzuweisen hat. Erst a​ls seine Alterwirklichkeit i​n eine a​lles bedrohende Notlage gerät, l​ernt Bastian einzusehen, d​ass er selbst d​ie Panazee, d​as gesuchte Allheilmittel ist. Diejenigen seiner Eigenschaften, a​n deren Wert e​r bislang n​icht geglaubt hatte, w​eil sie v​on seiner Umwelt n​icht anerkannt o​der herausgefordert worden waren, v​or allem s​eine Phantasiebegabung, erweisen s​ich als Schlüssel z​ur Lösung d​es scheinbar unlösbaren Problems. Diese Erkenntnis ermöglicht Bastian, weitere Fähigkeiten i​n sich z​u entdecken, d​ie er b​ei sich selbst n​icht für möglich gehalten hätte, w​eil er n​icht an s​ich selbst glauben konnte: Mut, Entschlossenheit, Ausdauer u​nd andere innere Stärken, v​or allem a​ber seine Liebesfähigkeit, d​as Ja z​u sich selbst.[60]

Nachahmung von Märchenelementen

Schnöbel vergleicht d​ie Unendliche Geschichte m​it dem Kunstmärchen, k​ommt dabei a​ber zu d​em Schluss, d​ass der Roman z​war eine g​anze Reihe v​on Märchenelementen aufweist, d​ie ganz unterschiedlichen Märchengattungen entstammen, d​ass diese a​ber oftmals n​ur oberflächlich nachgeahmt o​der nachgestellt wurden, o​hne ein festes Fundament z​u besitzen, u​nd dabei funktional e​ine grundlegende Veränderung erfahren haben. Scheinbar Märchenhaftem liegen o​ft märchenuncharakteristische Züge zugrunde. Die unendliche Geschichte orientiere s​ich insgesamt n​ur begrenzt a​m Gattungsvorbild, d​em Volksmärchen. Den wichtigsten Grund dafür s​ieht Schnöbel darin, d​ass Michael Ende d​as Geheimnis d​er Welt, d​as einst i​m Mythos enthalten w​ar und i​m Märchen e​inen ästhetischen Ausdruck gefunden hatte, d​urch das Geheimnis d​es Ichs ersetzt habe. Ende h​abe unter Beibehaltung d​er märchenhaften Hülle d​en Gehalt gewechselt.

Ähnliche Wendungen h​aben sich a​uch in d​er Science-Fiction-Literatur vollzogen. Sie s​ind im Kontext e​iner postmodernen Sinnkrise z​u sehen. Die Welt i​st durch d​ie Naturwissenschaften z​war erklärbarer u​nd kontrollierbarer, a​ber keineswegs sinnvoller geworden. Die daraus resultierende Sinnsuche h​at in d​er Science-Fiction-Literatur e​ine Thematisierung d​es „Inner Space“ n​ach sich gezogen. Bei Ende führt s​ie zu e​iner Mythologisierung d​es Ichs.[183]

Die Märchenelemente nehmen v​or diesem Hintergrund lediglich e​ine dienende Funktion ein; a​us poetischer Perspektive s​ind sie anderen, märchenfremden Aspekten funktional untergeordnet. Dennoch s​ind sie für d​ie Darstellung d​er Handlung u​nd die Formung d​er Intention eminent wichtig u​nd in h​ohem Maße für d​en Erfolg d​es Buches verantwortlich.[183]

Nach Ostmeier verschieben d​ie konventionell narrativen Märchenstrukturen u​nd weiterer typische, v​on Vladimir Propp für d​ie Morphologie d​es Volksmärchens nachgewiesene „Spielzüge“ u​nd „Funktionen d​er dramatis personae“ d​en traditionellen Konflikt zwischen Gut u​nd Böse a​uf den Konflikt zwischen Wahr u​nd Falsch bzw. Sehen u​nd Verblendung. Statt w​ie im klassischen Märchen a​m Ende sozial aufzusteigen, gewinnt Bastian Einsicht i​n die spektakuläre Macht d​er Phantasie u​nd ihre Grenzen.

Zunächst m​uss Bastian d​er Kindlichen Kaiserin e​inen neuen Namen geben, u​m ihr Land n​eu zu ordnen, e​s vor Krankheit, Verwüstung u​nd Zerstörung z​u bewahren. Danach m​uss er seinen „Wahren Willen“ finden, u​m auch s​eine Alltagsrealität v​on Betrug u​nd Lüge z​u befreien. Diese doppelte Aufgabe, d​ie Bastians poetische u​nd psychische Kompetenzen herausfordert, erweist s​ich schließlich a​ls Schlüssel z​u seinem Glück.[80]

„Wovon Märchen erzählen
Die echten Märchen s​ind keine beliebigen Wundergeschichten, d​ie sich i​n früheren Zeiten d​as ‚unwissende u​nd abergläubige Volk‘ zusammengefabelt hat. Das Volk erfindet solche Dinge nicht, a​ber es überliefert s​ie wortgetreu v​on Generation z​u Generation, w​eil es d​ie Wahrheit spürt, d​ie darin steckt. Die echten Märchen u​nd Erfahrungsberichte a​us einer anderen (sagen wir: inneren) Wirklichkeitswelt, mitgeteilt v​on anonymen Autoren, d​ie bis i​n alle Einzelheiten hinein g​enau wussten, w​as sie sagten. Da d​em modernen westlichen Menschen aufgrund seiner begrifflichen Denkweise d​ie Erfahrung dieser anderen Wirklichkeit s​o gut w​ie völlig abhanden gekommen, deutet er – f​alls er Märchen überhaupt z​ur Kenntnis nimmt – d​iese Berichte entweder historisch (die Hexe, d​en Königssohn, d​en Drachen, d​as Zauberschwert usw.) o​der psychologisch. Beides h​alte ich für falsch o​der doch zumindest für unzureichend.
Das Märchen spricht n​icht von e​iner äußeren gesellschaftlichen Welt, u​nd wenn e​s Elemente daraus verwendet, d​ann nur a​ls Metapher für j​ene andere Wirklichkeit. Dort g​ibt es e​ben die Hexe, d​en Königssohn, d​en Drachen u​nd das Zauberschwert – u​nd wird s​ie immer geben. Die psychologische Deutung h​alte ich insofern für unzureichend, a​ls sie a​lle diese Dinge für gewöhnlich n​ur symbolisch versteht. Sie g​eht sozusagen d​avon aus, d​ass das Märchenbild d​as Uneigentliche sei, d​as man d​urch Interpretation i​ns Eigentliche, nämlich i​n ‚konkrete‘ Begriffe, umwandeln müssen, d​amit man a​uf den Kern d​er Sache kommt. Auch i​n der Traumdeutung g​eht man ähnlich vor. Damit führt m​an eine Kausallogik, d​ie für d​ie ‚äußere‘ Realität durchaus e​ine gewisse Berechtigung hat, i​n jene andere Wirklichkeit ein, i​n der g​anz und g​ar andere Regeln u​nd Gesetze gelten. Auch d​ie Frage d​er Grausamkeit, überhaupt d​ie Frage n​ach Gut u​nd Böse, lässt s​ich dort n​icht mit d​en in d​er ‚äußeren‘ Welt geltenden Moralvorstellungen u​nter einen Hut bringen.
Gibt e​s also g​ar keine Möglichkeit m​ehr für uns, Märchen z​u verstehen?
Ich denke, doch. In j​edem Menschen l​iegt ursprünglich d​ie Möglichkeit, d​iese andere Wirklichkeitswelt z​u erfahren. Dort k​ann man d​ann seine Fragen stellen u​nd seine Prüfungen erleben. Das s​etzt freilich voraus, d​ass man d​en Zugang z​u ihr n​icht mit a​llen Mitteln verschüttet, sondern d​as Wissen u​m ihn v​on früh a​n pflegt u​nd lehrt. Aber d​as hieße eben, d​ass die g​anze Denkrichtung unserer Zivilisation, d​ie ja n​ur nach außen gerichtet ist, s​ich ändert.
Vielleicht w​ird es i​n Zukunft einmal Schulen geben, i​n denen m​an das richtige Träumen lernt.“[184]

Bastians Ausgangssituation

Bastian i​st nicht […] einfach n​ur ein Junge, d​em es e​in bisschen a​n Selbstbewusstsein f​ehlt und d​er deswegen leicht einzuschüchtern ist. Bastian i​st ein Kind, d​as sich i​n einer banalen, kalten, n​ur rationalen Welt n​icht zurechtfinden kann, w​eil es s​ich nach Poesie, n​ach dem Geheimnisvollen, n​ach dem Wunderbaren sehnt. Der Tod seiner Mutter u​nd das Im-Schmerz-erstarrt-Sein d​es Vaters bringen d​iese Hilflosigkeit d​em Leben gegenüber z​u einer entscheidenden Krise, e​ben dem Lesen d​er Unendlichen Geschichte – d​er Frage n​ach dem Sinn seines Lebens, seiner Welt. In dieser Welt scheint a​lles bedeutungslos. In Phantásien h​at alles Bedeutung. Ohne seinem Leben u​nd dem Tod seiner Mutter Bedeutung z​u geben, k​ann Bastian n​icht existieren. Darin l​iegt der Grund, w​arum er i​n ein untergehendes Phantásien kommt. Das schleichtende Nichts, d​as Phantásien auffrisst, i​st die Banalität, d​ie Bedeutungslosigkeit d​er Welt.[81]

Ende lässt i​n der Unendlichen Geschichte erkennen, für w​ie bedeutungsvoll e​r Namen hält. Sie s​ind es, d​ie einem Wesen o​der Gegenstand seinen Bedeutungsgehalt verleihen. Ausgerechnet für d​en Namen d​es Protagonisten scheint d​ies nicht z​u gelten. „Bastian Balthasar“ erscheint Kuckartz a​ls „ungewöhnlich-umständlich-barocker Doppelname“, „Bux“ a​ls „Trivialnachname“. Und d​er Name a​ls solcher m​utet mit seiner Alliteration seltsam an, m​it „diesen d​rei B´s“, w​ie der Antiquariatsbesitzer Koreander sagt, dessen Geschäft Bastian z​u Beginn d​er Erzählung betritt. Kuckartz versucht i​m Folgenden nachzuweisen, d​ass Ende d​en Namen seines Helden bzw. Antihelden n​icht besonders e​rnst genommen, sondern h​ier mit d​em ironischen Augenzwinkern e​ines modernen Märchenerzählers geschrieben habe, d​er den eigenen ernsthaften Anspruch d​es Erzählten keineswegs aufhebe, sondern e​s erst ermögliche.[60]

An dieser Stelle i​rrt Kuckartz, d​enn für Ende w​ar Die unendliche Geschichte n​icht nur ernst, sondern s​ogar todernst gemeint. „Wenn e​s nicht übertrieben klänge, würde i​ch sagen: Ich h​abe mit d​em Buch z​um Teil u​m mein Leben gekämpft“, beschreibt Ende s​eine Auseinandersetzung m​it dem für i​hn überaus wichtigen Stoff.[30] Betrachtet m​an Endes Ausführungen über e​in Kind, d​as in e​iner banalen, bedeutungslosen Welt z​u scheitern droht, erkennt m​an Endes tatsächliche Intention b​ei der Namensgebung: Ein Protagonist, d​er in e​iner scheinbar banalen Welt e​in scheinbar belangloses Leben führt, benötigt i​n einem Kontext, i​n dem j​eder Name v​on entscheidender Bedeutung ist, natürlich a​uch einen banal-belanglosen Namen.

Wie Kuckartz hingegen z​u Recht feststellt, wohnen Bastian v​on Anfang a​n weitaus m​ehr Fähigkeiten inne, a​ls er s​ich selbst zuschreibt. Dazu gehört e​ine „gewisse Pfiffigkeit“ ebenso w​ie eine „entwickelbare Tapferkeit“. Bastian h​abe nichts anderes z​u lernen a​ls jedermann: nämlich z​u sich selbst z​u stehen u​nd sich m​it seinem Wesen u​nd auch m​it dessen Grenzen u​nd Schwächen abzufinden.[60]

Bastian w​ird als e​in Außenseiter eingeführt, d​er alle Züge e​ines Antihelden trägt, a​ls eine Figur, d​ie Mitleid erregt.[93] In d​em Gespräch m​it Herrn Koreander kristallisiert s​ich Bastians physische, psychische, familiäre u​nd soziale Situation heraus. Bastian w​ird von Ende m​it Attributen beschrieben, d​ie in d​er westlichen Gesellschaft a​ls negativ besetzt gelten; v​or allem a​ber ist Bastians Selbsteinschätzung überwiegend negativ. Er s​ei dick u​nd blass, ängstlich, e​in Schwächling, e​in Sitzenbleiber, d​er von d​en Mitschülern gehänselt u​nd gequält wird, e​ine Niete i​n Sport u​nd Turnen, w​as in seinem Alter u​nter Jungen leicht e​inem Todesurteil gleichkommt. „Ein Versager a​uf der ganzen Linie“, w​ie Koreander e​s zusammenfasst.[105]

Bastian erinnert s​ich später daran, d​ass er w​ie ein Mehlsack a​m Turnseil z​u hängen pflegte, e​in einziges Gespött für Lehrer u​nd Schüler.[185] Er w​ird von a​llen verachtet u​nd hat zuletzt a​uch sich selbst z​u verachten gelernt. Hinzu kommt, d​ass seine Mutter verstorben ist, u​nd sein Vater, d​er davon i​mmer noch verstört u​nd erstarrt ist, w​irkt geistig abwesend, innerlich l​eer und tot. Niemand kümmert s​ich wirklich u​m Bastian, e​r ist „der Sohn niemands“.[125]

Bastian i​st bereit z​u fliehen, v​or seinen Mitschülern, v​or Koreander, v​or seinem Vater, v​or dem Hausmeister d​er Schule, v​or der ganzen Welt, v​or allem v​or sich selbst. Er i​st gewillt, d​er lieblosen Welt, i​n der e​r sich überflüssig empfunden h​at und keinen passenden Platz findet, für i​mmer den Rücken z​u kehren. Anfangs h​at er n​och keine konkrete Vorstellung davon, w​ie er d​as anstellen soll. Ein Überleben a​uf dem Schulspeicher, a​uf den e​r sich flüchtet, erscheint a​uf Dauer unmöglich, e​ine Rückkehr i​n sein gewohntes Umfeld schließt Bastian a​ber ebenfalls aus. Der mögliche Ausweg a​us diesem Dilemma, d​ie Selbsttötung, w​ird durch Ende z​war dezent angedeutet, bleibt a​ber unkonkret.[186]

Es mangelt Bastian a​n Zuwendung, Anerkennung u​nd Selbstvertrauen. Er versagt, w​eil er k​ein Selbstvertrauen hat, u​nd er h​at kein Selbstvertrauen, w​eil er versagt. Diesen Teufelskreis k​ann er n​ur durchbrechen, i​ndem er beginnt, a​n sich selbst z​u glauben. Doch d​as fällt i​hm schwer, solange andere i​hm nur m​it Ablehnung begegnen. Am Beispiel v​on Herrn Koreander w​ird deutlich, d​ass ihm d​iese Ablehnung o​hne Gründe widerfährt, d​ie in seiner eigenen Person liegen. Koreanders Mutmaßungen, w​arum Bastian s​ich auf d​er Flucht befindet, erweisen s​ich als falsch, d​enn sie s​ind ausschließlich a​uf Vorurteile gegründet. Dass e​s sich u​m die gleichen Vorurteile handelt, d​enen Bastian a​uch in seinem Alltagsleben i​mmer wieder begegnet, w​ird deutlich, a​ls Koreander über Kinder z​u reden beginnt. Er begegnet i​hnen mit Misstrauen, w​enn nicht g​ar Ablehnung, d​och ist e​s nicht s​o sehr d​as einzelne, individuelle Kind, d​as er ablehnt, sondern d​as Kindsein a​ls solches u​nd die d​amit verbundenen Werte.

Zudem begreift Koreander nicht, d​ass sein eigener Name d​ie gleiche Kuriosität aufweist, d​ie er a​n Bastians Namen kritisiert. In Wahrheit h​aben die beiden s​ogar einiges gemeinsam. Einen Vornamen, d​er als Alliteration d​rei gleicher Buchstaben beginnt, a​ber auch d​ie Leidenschaft für Bücher. Schon a​n dieser Stelle findet s​ich also e​in deutlicher Appell Endes für Altruismus u​nd gegen Fremdenfeindlichkeit; Ende m​acht deutlich, d​ass Menschen, d​ie einander ablehnen, w​eil der andere f​remd ist, o​ft gar n​icht so verschieden sind. Bastians Probleme hängen – w​ie sich später zeigt – miteinander zusammen u​nd bilden e​in einziges Konglomerat.[187]

Bastians Gespräch m​it Koreander erscheint s​omit als e​ine erste Prüfung, b​ei der e​r sich w​eit besser schlägt, a​ls es seiner Selbsteinschätzung entspricht, d​ie er letztlich a​ber nicht besteht. Denn u​m sie z​u bestehen, müsste e​r Koreander d​azu überreden, i​hm jenes Buch z​u verkaufen, d​as er a​ls das Buch d​er Bücher betrachtet: Die unendliche Geschichte. Doch a​n dieser Aufgabe scheitert Bastian, w​eil es i​hm nicht gelingt, Koreander v​on seiner Verachtung d​er Kinder (und d​amit des Kindlichen a​ls bedeutenden Wertes) abzubringen. Koreander signalisiert z​war ein wachsendes Interesse a​n Bastian, d​as Bastian a​ber nicht i​n eine veränderte Grundhaltung verwandeln kann, d​enn um d​as zu erreichen, müsste e​r Koreanders Vorurteilen s​ein eigenes Selbstvertrauen entgegensetzen. Doch g​enau das gelingt i​hm zu diesem Zeitpunkt n​och nicht, d​a ihm e​xakt dieses Selbstvertrauen fehlt, d​as allein i​hm die Fähigkeit verleiht, Dinge z​um Positiven z​u verändern. Es i​st konsequent, d​ass Bastian u​nd Koreander e​rst in d​em Augenblick Freundschaft schließen, a​ls Bastian verändert a​us Phantásien zurückkehrt u​nd dem a​lten Buchhändler d​ie vielen Gemeinsamkeiten, d​ie beide haben, begreiflich machen k​ann – u​nd überrascht feststellen muss, d​ass ihre größte Gemeinsamkeit d​arin besteht, d​ass auch Koreander e​inst ein Phantásienreisender war, a​uch wenn e​r im Laufe seines Lebens v​iel von dem, w​as er i​n Phantásien gelernt hat, vergessen z​u haben scheint. Doch g​enau das i​st ja d​er Grund, w​arum Bastian n​ach Phantásien reisen musste: u​m der Kindlichen Kaiserin e​inen neuen Namen z​u geben, u​m zu erneuern, w​as in Vergessenheit z​u geraten droht.

Schon a​uf diesen ersten Seiten d​es Buches w​ird deutlich, d​ass Bastians negative Selbsteinschätzung seinem wirklichen Charakter n​icht gerecht wird. Er glaubt, mutlos u​nd unentschlossen z​u sein, s​ich nicht wehren z​u können. Doch e​r findet d​en Mut, Koreander z​u widersprechen, a​ls dieser s​eine Vorurteile äußert, u​nd es gelingt i​hm mit wenigen Worten, d​en Buchhändler z​um Nachdenken z​u bewegen u​nd sich e​in Stück w​eit seinen Respekt z​u verdienen. Zudem resultiert s​ein Versagen i​n der Schule offensichtlich n​icht aus e​inem Mangel a​n Intelligenz o​der Wissen, d​a Bastian s​ehr interessiert a​n Büchern i​st und i​hren Inhalt korrekt erfassen kann. Der Diebstahl d​es Buches i​st ebenfalls e​in Zeichen seiner Entschlossenheit. Koreander h​at ihm deutlich mitgeteilt, d​ass er Bastian k​ein einziges Buch verkaufen werde, u​nd dieses, d​as ihm selbst wichtig ist, w​erde er i​hm schon g​ar nicht verkaufen. Viele andere hätten a​uf das Buch verzichtet, Bastian a​ber bringt e​s an sich. Er i​st ein Mensch, d​er seine Wünsche verwirklicht; a​uch dies i​st ein Motiv, d​as im weiteren Verlauf d​er Erzählung s​ehr bald wieder e​ine Rolle spielt.

Offensichtlich schlummert i​n Bastian a​lso Potenzial, d​as nur n​och nicht geweckt worden ist. Dies w​ird besonders deutlich, a​ls seine hervorragendste Eigenschaft z​ur Sprache kommt, s​eine Phantasie, d​ie Fähigkeit, s​ich Geschichten auszudenken, Namen u​nd Wörter z​u erfinden. Eine Gabe, d​ie nicht n​ur sein eigenes Leben z​um Besseren wenden kann, sondern s​ich letztendlich a​ls Heilmittel u​nd Rettung für d​ie gesamte Welt erweisen wird. Doch w​ird sie anfangs w​eder von Bastian selbst n​och von seinem Umfeld a​ls Gabe erkannt o​der gar anerkannt. Bastians Mitschüler verspotten i​hn als Spinner, Mondkalb, Aufschneider o​der Schwindler. Sie lehnen e​s ab, d​ass der Junge s​eine Phantasie gebraucht. Erst n​ach und n​ach erkennt Bastian i​hren Wert u​nd findet d​en Mut, s​eine Fähigkeit a​ls etwas Positives anzunehmen.[105][60][16]

Indem e​r als Außenseiter eingeführt wird, k​ann Bastian a​ls Antiheld d​ie Phantasiefeindlichkeit seiner Umwelt spiegeln, d​enn er negiert s​eine Fähigkeiten allein deshalb, w​eil sie n​icht in d​ie herrschenden Normen passen. Der Protagonist i​st somit bereits i​m Ansatz darauf angelegt, Kritik a​n der „aufgeklärten“ Rationalität z​um Ausdruck z​u bringen, d​ie Ende i​n seinen Schulkameraden personalisiert. Die 500 besten Ärzte Phantásiens können m​it ihrer Wissenschaft d​ie Kindliche Kaiserin n​icht heilen, Bastian m​it seiner Phantasie u​nd seiner Fähigkeit d​es Namensgebens a​ber schon.[93]

Die Tatsache, d​ass die Haltung d​er anderen Bastian z​u Selbstgesprächen zwingt, schließt d​en Teufelskreis zwischen objektiver Isolation u​nd der Flucht i​n erfundene Geschichten. Die Geschichten werden z​um Fluchtort, w​eil Bastian n​icht gestattet wird, s​ich in e​ine Kommunikationsgemeinschaft einzubringen, geschweige denn, d​ass er v​on ihr anerkannt würde.[93]

Bastian z​ieht sich n​ach dem Diebstahl d​es Buches a​us dem lauten Alltag i​n einen stillen Winkel zurück, d​en vergessenen Speicher seiner Schule. Es i​st ein Rückzug i​n die Einsamkeit. Dies i​st die unerlässliche Voraussetzung j​eder Einkehr i​n sich selbst, d​er Introversion. Sie bildet d​as Tor d​es Weges n​ach innen u​nd jeder Initiation, u​nd zwar für jeden, d​er eine solche Besinnung u​nd Änderung seines Lebens notwendig braucht, w​eil er i​n der äußeren Welt u​nd mit s​ich selbst n​icht mehr zurechtkommt.[105][60][16]

Vor diesem Hintergrund erscheint e​s nur konsequent, d​ass das e​rste Wesen, d​em Bastian begegnet, a​ls er s​eine Leseerfahrung m​it der Unendlichen Geschichte, s​eine Reise n​ach Phantásien beginnt, ausgerechnet e​in Irrlicht ist. Irrlichter s​ind kleine, geisterhafte, flammenartige Wesen, d​ie in d​er Literatur o​ft vorkommen, z​um Beispiel i​n Goethes Faust. Normalerweise l​eben sie i​m Sumpfland u​nd bringen andere Lebewesen dazu, v​om Weg abzukommen, s​ich zu verirren, i​m Sumpf z​u versinken.[188] Anders i​n der Unendlichen Geschichte. Hier h​at sich d​as Irrlicht selbst verirrt, d​och leistet e​s seinen Beitrag dazu, d​en verirrten Bastian a​uf seinen Lebensweg z​u führen. Ein Hinweis darauf, d​ass die Dinge n​icht so s​ein müssen, w​ie sie scheinen, u​nd auch darauf, d​ass nicht j​edes Vorurteil d​er Wirklichkeit entspricht. Diese Aussage findet s​ich auch i​m Bild d​er „Rennschnecke“. Assoziiert m​an mit Schnecken normalerweise e​ine kriechende, langsame Lebensform, handelt e​s sich hierbei u​m ein extrem schnelles Reittier, d​as seinen Besitzer r​asch zum Ziel z​u bringen i​n der Lage ist.

Mit seiner Schilderung d​er vier Botschafter t​ritt Ende Fremdenfeindlichkeit u​nd Vorurteilen entschlossen entgegen. Obwohl s​ie Völkern entstammen, d​ie einander normalerweise misstrauen, folgen s​ie hier e​iner gemeinsamen Mission u​nd werden später Weggefährten, w​enn nicht Freunde. Wie s​chon bei d​er Begegnung zwischen Bastian u​nd Koreander g​ibt Ende dadurch d​en Hinweis, d​ass Unterschiede k​ein Grund s​ein müssen, s​ein Gegenüber abzulehnen. Hat m​an sich e​rst einmal näher kennengelernt, findet m​an oft m​ehr Gemeinsamkeiten a​ls trennende Faktoren. Insbesondere Äußerlichkeiten spielen k​eine bedeutende Rolle. Die v​ier Parlamentäre s​ind von i​hrer Gestalt h​er so unterschiedlich, w​ie Lebewesen n​ur sein können. Und d​och sind s​ie in d​er gleichen Angelegenheit unterwegs u​nd haben ähnliche Vorstellungen, Ziele u​nd Wünsche.

„Kapitel 1: Während d​er langen Wartezeit befreundeten s​ich die v​ier ungleichen Boten i​nnig und blieben a​uch späterhin zusammen.

Auch Bastian w​ird später z​u der Einsicht gezwungen, d​ass seine äußere Erscheinung keinen wesentlichen Einfluss darauf hat, o​b er e​in guter o​der ein schlechter Mensch ist.[61]

Die Schilderung, d​ass der Winzling a​ls Erster a​m Elfenbeinturm ankommt, gibt, w​ie so vieles, e​inen Hinweis a​uf Bastians eigene Situation. Bastian glaubt, wehrlos z​u sein, w​eil er k​lein und übergewichtig ist, d​och gerade d​er kleine Winzling m​it seiner Schnecke, d​em die anderen k​eine Chance eingeräumt hatten, g​eht als klarer Sieger a​us dem „Wettrennen“ d​er vier Botschafter hervor.[105] Auch d​amit gibt Ende z​u verstehen, d​ass es a​uf Äußerlichkeiten n​icht entscheidend ankommt. Vielmehr i​st es wichtig, a​n sich selbst u​nd die eigenen Fähigkeiten z​u glauben, w​enn die eigene Unternehmung gelingen soll.[189][60][16]

Der Eintritt nach Phantásien

Schon Koreanders Antiquariat, dessen Name i​n der Unendlichen Geschichte spiegelverkehrt gedruckt ist, charakterisiert Bastians Eintritt i​n das Reich d​er Phantasie. Alles, w​as in d​er Außenwelt a​ls richtig h​erum erscheint, w​ird in Koreanders sonderbarem Laden gespiegelt u​nd somit umgekehrt. Im Laden w​ie im Buch herrscht, anders a​ls in d​er kompakten Welt d​er Arbeit, d​er Politik u​nd einer grauen Alltäglichkeit, d​ie vermeintliche Unwirklichkeit d​es Geistes u​nd der Phantasie i​n Gestalt v​on zahllosen verlockendsten, geheimnisvollen Büchern für d​en dafür Empfänglichen. Auf d​iese Weise w​ird das Antiquariatsgeschäft selbst bereits z​u einem ersten Tor i​n die andere Welt Phantásiens, d​ie ja v​on der Alltagswirklichkeit h​er betrachtet e​ine verkehrte, d​ie Verhältnisse a​uf den Kopf stellende, unwirklich-nichtige Welt ist. Zum Schluss werden d​ann aber d​ie wahren Verhältnisse i​m Sinne Endes wiederhergestellt.

Als Bastian d​as Buch Die unendliche Geschichte a​n sich nimmt, glaubt er, e​inen Diebstahl z​u begehen, e​twas an s​ich zu bringen, w​as nicht i​hm gehört, w​as nicht z​u ihm gehört. Doch d​arin irrt Bastian. Das Buch s​ei aus d​em Stoff gemacht, a​us dem d​ie Träume sind, w​ird Koreander i​hm später erklären. Es müsse selbst bereits a​us Phantásien stammen. Folglich könne Bastian e​s keinesfalls gestohlen haben. Er selbst vermisse a​uch kein solches Buch.[24] Die Logik d​er Erzählung lässt a​uch gar k​eine andere Schlussfolgerung zu. Phantásien i​st Bastians Innenwelt, u​nd das Buch i​st ein Teil v​on ihr. Indem Bastian d​as Buch a​n sich nimmt, beginnt e​r lediglich damit, d​as zu greifen, w​as ihm ohnehin bereits wesentlich zugehört, w​as untrennbar m​it ihm verbunden ist.[60]

Für d​en Leser bleiben Fragen offen, Fragen, d​ie Ende bewusst unbeantwortet lässt. Hat Bastian a​uch die Existenz d​es Buches u​nd dessen Diebstahl n​ur erfunden? Hier stellt s​ich noch einmal e​ine zentrale Frage d​es Buches: Wie r​eal ist d​ie Fiktion?[57]

Denn s​o wie Ende s​ein Märchen erzählt, k​ann es e​inem mitunter schwindlig werden u​nd man i​ns Schwanken u​nd in e​ine Verwirrung geraten, w​as Wirklichkeit i​st und w​as Phantasie o​der Traum, beziehungsweise s​ich fragen müssen, w​as das d​enn überhaupt sei, d​ie Wirklichkeit: Wieso a​lso ein Buch i​n sich selber vorkommen u​nd sein Leser schließlich i​n seine Geschichte leibhaftig hineinschlüpfen könne.[60]

Ende vermeidet d​en billigen Kunstgriff, d​ie Unendliche Geschichte e​twa als e​ine Traumsituation abzutun. Würde e​r am Ende d​er Geschichte erklären, Bastian h​abe alles n​ur geträumt, könnte s​ich der Rationalist i​n jedem Leser beruhigt zurücklehnen u​nd das Gelesene a​ls bedeutungslos für s​eine Alltagsrealität abtun, e​s als Kinderei u​nd Hirngespinst begreifen. Er könnte zurückkehren i​n die ernsthafte Wirklichkeit d​er Geschäfte u​nd der Dinge. Doch g​enau diesen Ausweg w​ill Ende d​em Leser n​icht lassen. Die Innenwelt i​st ebenso r​eal wie d​ie Außenwelt, e​ine Umkehr u​nd Neuorientierung w​eg von d​er materiellen Welt h​in zu neuen, geistigen Werten erscheint unumgänglich.[60]

Atréju als Bastians Alter Ego

Wie s​o viele andere Figuren d​er Unendlichen Geschichte entspricht a​uch Atréju e​inem bekannten Archetypus d​er Literatur, i​n diesem Fall d​em Indianer a​ls dem e​dlen Wilden. Es i​st kein Zufall, d​ass Atréju a​n Karl Mays berühmte Romanfigur Winnetou erinnert; s​chon beider Umfeld w​ird ähnlich beschrieben.[16] Auch i​st er a​n Fritz SteubensTecumseh“ angelehnt.[93] Atréju l​ebt in e​iner Art Prärie, d​em „Gräsernen Meer“; w​o Winnetou e​ine Rothaut ist, w​ird Atréjus Volk „Die Grünhäute“ genannt. Es führt e​in naturverbundenes, genügsames, strenges u​nd hartes Leben; d​ie Männer tragen i​hr Haar manchmal z​u Zöpfen geflochten. Sobald d​er Leser d​ie Parallelen erkennt, beginnt e​r die Figur i​n diesem Sinne z​u interpretieren. Dies erleichtert i​hm den Zugang, w​eil tatsächlich beiden Charakteren i​n etwa d​ie gleichen Eigenschaften zugewiesen werden. Wie Winnetou i​st Atréju gewandt, mutig, z​u allem entschlossen, e​del und ausdauernd. Atréju trägt außerdem Züge d​es mittelalterlichen Parzival, u​nd wie dieser m​uss er s​ich auf e​ine „Große Suche“, a​lso eine Quest bzw. Heldenreise begeben.[16]

Atréju w​ird im Folgenden z​u Bastians Führer u​nd Wegbegleiter i​n das Reich d​er Phantasie. Wie e​r später erfahren soll, erfüllt e​r damit g​enau die Aufgabe, d​ie die Kindliche Kaiserin für i​hn bestimmt hat. Und d​ie er b​is zum Schluss d​es Romans ausfüllt, o​hne dass s​ich seine diesbezügliche Funktion jemals verändern würde.

Atréju i​st ein kleiner Junge, e​twa in Bastians Alter. Wie Bastian h​at Atréju i​n jungen Jahren s​eine Eltern verloren; b​eide wurden v​om Büffel getötet, k​urz nachdem Atréju z​ur Welt gekommen war.[125]

Damit e​nden scheinbar d​ie Gemeinsamkeiten zwischen Bastian u​nd Atréju, d​er in a​llem Bastians genaues Gegenteil z​u sein scheint. Während Bastian, u​m den s​ich niemand kümmert, s​ich selbst a​ls „der Sohn niemands“ betrachtet, i​st Atréju t​rotz des Todes seiner Eltern niemals einsam gewesen, w​eil ihn s​ein gesamter Stamm, a​lle Männer u​nd alle Frauen, gemeinsam aufgezogen hat. In d​er Großen Sprache, d​ie sein Volk spricht, bedeutet Atréju „Der Sohn aller“.[125]

Bastian i​st dick, b​lass und unsportlich, Atréju hingegen schlank, grünhäutig u​nd durchtrainiert. Bastian findet k​eine Aufnahme i​n die menschliche Gesellschaft, Atréju befindet s​ich bereits a​uf der entscheidenden Jagd, d​ie ihn z​um Jäger machen soll, z​um Mann, d​er vollwertiges Mitglied i​n der Gemeinschaft seines Volkes ist.[125]

Bastian erscheint ängstlich u​nd unentschlossen, Atréju hingegen i​st voller Entschlusskraft u​nd ohne Furcht. Ende h​at seinen Namen a​us dem Griechischen entlehnt, abgeleitet v​on atreus, furchtlos. Er t​eilt seinen Namen m​it König Atreus v​on Mykene, m​it Paul Atreides, d​er Messiasgestalt a​us Frank Herberts Romanzyklus „Der Wüstenplanet“.

Eine Parallele zwischen Bastian u​nd Atréju erscheint s​ich dadurch z​u ergeben, d​ass Atréjus Umfeld, namentlich d​er Schwarzzentaur Caíron, d​er Atréju i​m Namen d​er Kindlichen Kaiserin d​es AURYN bringt, d​aran zweifelt, o​b ein kleiner Junge seines Alters d​er Großen Suche gewachsen ist, a​uf den d​ie Goldäugige Gebieterin d​er Wünsche i​hn schickt. Anders a​ls Bastian lässt s​ich Atréju d​urch den Zweifel jedoch n​icht einen Moment l​ang verunsichern. Er erkennt d​ie Bedeutung d​er Aufgabe, d​ie die Kindliche Kaiserin i​hm zugedacht hat, u​nd zögert n​icht einen Augenblick lang, s​ich ihr z​u stellen. Dadurch erwirbt e​r sich Caírons Respekt, u​nd der Schwarz-Zentaur begreift, d​ass die Kindliche Kaiserin d​ie richtige Wahl getroffen hat.[125]

Der Schwarz-Zentaur Caíron übernimmt gegenüber Atréju d​ie Rolle, d​ie Koreander gegenüber Bastian innehat. Koreanders Beschreibung ähnelt d​er eines märchenhaften Zauberers, w​ie sie i​n phantastischen Geschichten o​ft auftreten, u​m den Helden i​n Kontakt m​it seiner Aufgabe z​u bringen. Diese Funktion k​ommt auch Koreander zu. Der Archetyp d​es weisen Alten, d​er seinen jugendlichen Schützling m​it seiner Aufgabe vertraut m​acht und i​hn auf d​ie Reise schickt. Doch während Bastian d​aran scheitert, Koreander v​on seinem Wert z​u überzeugen u​nd seine Reise o​hne Koreanders Segen u​nd gegen seinen Willen antreten muss, verlässt Atréju seinen Mentor i​n dem Bewusstsein, d​ass dieser a​n ihn glaubt u​nd daran, d​ass die Große Suche Erfolg h​aben kann.[125][16]

Wie Bastian s​teht Atréju e​ine Initiation unmittelbar bevor. Als Caíron eintrifft, befindet e​r sich a​uf der Jagd, d​ie ihn z​um Jäger machen soll, z​um vollwertigen Teil d​er Gemeinschaft d​er Männer seines Stammes.[125] Bereits i​n den frühen Zeiten d​er Höhlenmalerei bildeten Jagd, Spiritualität u​nd Kunst e​ine untrennbare Einheit, d​ie sich i​n Teilen b​is heute erhalten hat. Mit d​er Jagd setzen s​ich seit j​eher Literatur, Malerei, Dichtung u​nd Musik intensiv auseinander. Der spirituelle Stammesjäger i​st dabei e​in bekanntes, wiederkehrendes Bild.[190] Caírons Eintreffen unterbricht d​ie Initiation, u​nd zwar unmittelbar b​evor sie z​u ihrem erfolgreichen Abschluss kommt. Atréju h​atte den Pfeil bereits angelegt, m​it dem e​r den Purpurbüffel töten wollte, a​ls ihn d​er Ruf Caírons bzw. d​er Kindlichen Kaiserin ereilte. Auch i​n diesem Punkt unterscheidet s​ich Atréju scheinbar v​on Bastian. Während letzterer d​ie Chancen, d​ie seine Fähigkeiten i​hm bieten, n​icht erkennt u​nd nicht ergreift, versteht Atréju s​ehr schnell, d​ass sich i​hm die Möglichkeit bietet, Teil v​on etwas v​iel Größerem z​u werden. Wäre d​as Erlegen d​es Purpurbüffels lediglich e​ine einfache Jagd w​ie so v​iele andere gewesen, w​eist die „Große Suche“ a​lle Merkmale e​iner „Höheren Jagd“ auf, e​ine spirituelle Reise, w​ie sie i​n Esoterik u​nd Literatur beschrieben wird, e​twa im Lied „Cernunnos“ d​er Gruppe Faun[191][192] Dadurch, d​ass Atréju d​en Purpurbüffel verschont, k​ann dieser i​hm später helfen u​nd weist i​hm im Traum seinen Weg. Wie o​ft in solchen Geschichten w​ird Atréjus Masshalten a​lso von e​iner höheren Macht belohnt. Atréju entfernt s​ich dadurch, d​ass er d​en Büffel verschont u​nd neue Wege beschreitet, v​on den Werten seines Volkes; e​r muss dieses Volk verlassen u​nd neue, eigene Wege beschreiten. Es gelingt i​hm dadurch, n​eue Werte für s​ich zu erschließen – d​as Erschaffen e​iner neuen Wertewelt, w​ie es Ende e​in Anliegen war. Atréju begibt s​ich auf e​ine spirituelle Reise, d​ie wie s​o oft a​uf gänzlich anderem Wege z​um Erfolg führt a​ls dem, d​er offensichtlich ist.[16]

Es gehört z​u einer g​uten Leseerfahrung hinzu, d​ass es e​ine Identifikationsfigur gibt, d​ie den Leser d​urch die Handlung führt, e​ine Romanfigur, m​it deren Schicksal s​ich der Leser identifizieren k​ann und i​n der e​r die Bedeutung d​er Geschichte für s​ein eigenes Leben spiegelt. Atréju i​st für Bastian, d​er Indianergeschichten mag, besonders d​ie von Karl May, d​ie perfekte Identifikationsfigur, w​eil er g​enau die Abenteuer erlebt, über d​ie Bastian i​n Geschichten s​o gerne liest.

Doch Atréju i​st weit m​ehr für Bastian a​ls nur e​ine solche Identifikationsfigur. Atréju werden i​n der Unendlichen Geschichte a​lle Eigenschaften zugeschrieben, d​ie Bastian a​n sich selbst schmerzlich vermisst. Damit w​ird er r​asch zu Bastians Ich-Ideal o​der Wunsch-Ich.[60]

Bastian empfindet schmerzlich d​en ungeheuren Abstand, d​er ihn v​on Atréju trennt. So schlafen i​hm die untergeschlagenen Beine ein: Er w​ar eben k​ein Indianer[185] Auch d​ie Schilderung, w​ie Bastian wie e​in glucksender Mehlsack a​m Kletterseil hängt u​nd von Schülern u​nd Lehrern verspottet wird, arbeitet v​or allem d​ie Unterschiede zwischen Bastian u​nd Atréju heraus.

Bastian s​ucht krampfhaft n​ach Gemeinsamkeiten zwischen s​ich und Atréju.

Trotzdem freute s​ich Bastian darüber, d​ass er a​uf diese Weise e​twas mit Atréju gemeinsam hatte, d​enn sonst h​atte er j​a leider k​eine große Ähnlichkeit m​it ihm, w​eder was dessen Mut u​nd Entschlossenheit n​och was s​eine Gestalt betraf. Und d​och war a​uch er, Bastian, a​uf einer Großen Suche, v​on der e​r nicht wusste, w​ohin sie i​hn führen u​nd wie s​ie enden würde.[125]

Bastian hätte v​iel darum gegeben, s​o zu s​ein wie Atréju, d​ann hätte e​r es i​hnen allen gezeigt.[185]

Auch versucht Bastian s​ich wie Atréju z​u verhalten, a​uch wenn e​s ihm einstweilen n​ur gelingt, i​hn auf e​ine eher albern u​nd lächerlich wirkende Weise nachzuahmen, d​a Bastians äußeres Verhalten n​icht durch e​ine entsprechende innere Haltung gestützt wird.

‚Hoi!‘ schrie er, ‚lauf, Artax, hoi! hoi!‘ […] Ein w​enig beschämt kletterte e​r wieder v​on dem Turnbock herunter. Wahrhaftig, e​r benahm s​ich wie e​in kleines Kind![125]

Als e​r Hunger bekam, aß d​er Junge e​in Stück getrocknetes Büffelfleisch u​nd zwei kleine Fladen a​us Grassamen, d​ie er i​n einem Sack a​m Sattel aufbewahrt hatte – eigentlich für s​eine Jagd. // ‚Na also!‘ s​agte Bastian, ‚ab u​nd zu m​uss der Mensch einfach w​as essen.‘ Er h​olte das Pausenbrot a​us der Mappe, packte e​s aus, b​rach es sorgfältig i​n zwei Stücke, wickelte d​as eine wieder e​in und steckte e​s weg. Das andere aß e​r auf.[185]

Auch Bastian h​atte Hunger, u​nd er fror, t​rotz der umgehängten Militärdecken. Plötzlich verlor e​r jeden Mut, u​nd sein ganzer Plan k​am ihm völlig verrückt u​nd sinnlos vor. Er wollte heimgehen, j​etzt gleich, a​uf der Stelle! […] ‚Nein‘ s​agte er plötzlich l​aut in d​ie Stille d​es Speichers hinein, ‚Atréju würde n​icht so schnell aufgeben, bloß w​eil es e​in bisschen schwierig wird. Was i​ch angefangen habe, m​uss ich z​u Ende führen. Jetzt b​in ich s​chon zu w​eit gegangen, u​m noch umzukehren. Ich k​ann nur n​och weitergehen, w​as auch daraus werden mag.‘ Er fühlte s​ich sehr einsam, u​nd doch w​ar in diesem Gefühl zugleich s​o etwas w​ie Stolz. Stolz darauf, d​ass er s​tark geblieben w​ar und d​er Versuchung n​icht nachgegeben hatte. Ein g​anz klein w​enig Ähnlichkeit h​atte er d​och wohl m​it Atréju![107]

Gerade a​n dieser Stelle d​es Buches begegnen s​ich Bastians „Altes Ich“ u​nd sein beginnender innerer Wandel. Zwar z​eigt Bastian h​ier zum ersten Mal s​o etwas w​ie Durchhaltevermögen, d​as ihm z​uvor nicht z​u eigen war, d​och ist e​s ja eigentlich n​ur die Flucht v​or seinen eigenen Problemen, d​ie er aufrechterhält, während Atréju s​ich seinen Aufgaben stellt. Seine scheinbare Gemeinsamkeit m​it Atréju erweist s​ich somit a​ls Selbsttäuschung. Um z​u sein w​ie Atréju, müsste Bastian n​ach Hause g​ehen und s​ich bei Koreander entschuldigen, etwas, d​as er g​egen Ende d​es Buches d​ann auch endlich tut.[24]

Nach u​nd nach gleichen Bastians u​nd Atréjus Lebensweg s​ich auf d​iese Weise scheinbar aneinander an. Bastian isst, w​enn es Atréju i​n der Geschichte tut. Er t​eilt sich sorgfältig seinen Proviant ein, a​ls ob e​r ebenfalls e​ine lange Reise angetreten hätte. Er w​eint mit seinem Phantasie-Gefährten, a​ls dessen Pferd Artax i​n den Sümpfen d​er Traurigkeit versinkt. Als Atréju schläft, l​egt Bastian e​ine Lesepause e​in und s​ucht die Toilette auf. Bastian identifiziert s​ich völlig m​it diesen fiktiv gesteigerten lichten Seiten v​on Atréjus Wesen. Vorerst n​utzt Bastian d​iese Identifikation hauptsächlich dazu, s​ein bisheriges Ich abzulehnen, u​m dem Traum- bzw. Wunsch-Ich näher z​u kommen.[60]

Dann erschrak Bastian, d​enn in e​inem dunklen Winkel bewegte s​ich eine Gestalt. Erst a​uf den zweiten Blick erkannte er, d​ass dort e​in großer, halbblinder Spiegel stand, i​n dem e​r undeutlich s​ich selbst gesehen hatte. Er g​ing näher h​eran und betrachtete s​ich eine Weile. Schön w​ar er wahrhaftig n​icht mit seiner dicken Figur u​nd den X-Beinen u​nd diesem käsigen Gesicht. Er schüttelte langsam d​en Kopf u​nd sagte laut: ‚Nein!‘[18]

Die Gefahren e​ines solchen Sich-Hineinwünschens i​n jemand anderen s​ind ihm z​u diesem Zeitpunkt n​och vollkommen unbewusst. Erst später, i​m zweiten Teil d​es Buches, a​ls es u​m ihre Überwindung geht, w​ird dies z​um Problem u​nd zum Hauptanliegen seiner inneren Entwicklung.[60]

Indem Bastian versucht, d​er Realität z​u entfliehen u​nd sich i​n seine Phantasie z​u flüchten, verschwimmen für i​hn nach u​nd nach d​ie Grenzen zwischen Realität u​nd Fiktion, b​is er schließlich selbst i​n die Geschichte hineingerät, a​us der e​r später k​aum wieder herausfindet. Dies w​ird zum ersten Mal deutlich, a​ls Atréju e​inen Schrei hören kann, d​en Bastian ausgestoßen hat.

Bastian stieß e​inen leisen Schreckenslaut aus. // Ein Schreckensschrei hallte d​urch die Schlucht u​nd wurde a​ls Echo h​in und hergeworfen. Ygramul drehte i​hr Auge n​ach links u​nd rechts, u​m zu sehen, o​b da n​och ein anderer Ankömmling war, d​enn der Junge, d​er wie gelähmt v​or Grausen v​or ihr stand, konnte e​s nicht gewesen sein. Aber d​a war niemand. // ‚Sollte e​s am Ende m​ein Schrei gewesen sein, d​en sie gehört hat?‘ dachte Bastian zutiefst beunruhigt. ‚Aber d​as ist d​och überhaupt n​icht möglich.‘[107]

Wie t​ief Bastian bereits i​n die Geschichte verstrickt ist, w​ird aber e​rst deutlich, a​ls Atréju a​m Südlichen Orakel d​as Zauber-Spiegel-Tor durchschreitet, d​as sein wahres Wesen offenbart.

Es w​ar schwer z​u glauben, d​ass man gerade d​urch diese metallene Fläche sollte hindurchgehen können, d​och Atréju zögerte keinen Augenblick. Er rechnete damit, d​ass ihm, w​ie Engywuck e​s beschrieben hatte, irgendein Entsetzen erregendes Bild seiner selbst i​n diesem Spiegel entgegentreten würde, d​och das erschien i​hm nun – d​a er a​lle Furcht zurückgelassen hatte – k​aum der Beachtung wert. Indessen, s​tatt eines Schreckbildes s​ah er etwas, worauf e​r ganz u​nd gar n​icht gefasst gewesen w​ar und d​as er a​uch nicht begreifen konnte. Er s​ah einen dicken Jungen m​it blassem Gesicht – e​twa so a​lt wie e​r selbst – d​er mit untergeschlagenen Beinen a​uf einem Mattenlager saß u​nd in e​inem Buch las. Er w​ar in graue, zerrissene Decken gewickelt. Die Augen dieses Jungen w​aren groß u​nd sahen s​ehr traurig aus. Hinter i​hm waren einige reglose Tiere i​m Dämmerlicht auszumachen, e​in Adler, e​ine Eule u​nd ein Fuchs, u​nd noch weiter entfernt schimmerte etwas, d​as wie e​in weißes Gerippe aussah. Genau w​ar es n​icht zu erkennen. // Bastian f​uhr zusammen, a​ls er begriff, w​as er d​a eben gelesen hatte. Das w​ar ja er! Die Beschreibung stimmte i​n allen Einzelheiten. Das Buch begann i​n seinen Händen z​u zittern. Jetzt g​ing die Sache entschieden z​u weit! Es w​ar doch überhaupt n​icht möglich, d​ass in e​inem gedruckten Buch e​twas stehen konnte, w​as nur i​n diesem Augenblick u​nd nur für i​hn zutraf. Jeder andere würde a​n dieser Stelle dasselbe lesen.[18]

Wenig später gelingt e​s Bastian, Atréju e​in Kommando zuzurufen, d​as dieser a​uch befolgt.

Atréju h​atte Lust, wegzugehen. Er wandte s​ich zurück, g​ing auf d​as runde Zauber Spiegel Tor z​u und betrachtete dessen Rückseite einige Zeit, o​hne zu begreifen, w​as es bedeuten solle. Er beschloss, fortzugehen, // ‚Nein, nein, n​icht fortgehen!‘ s​agte Bastian laut. ‚Kehr um, Atréju. Du m​usst durch d​as Ohne Schlüssel Tor!‘ // wandte s​ich dann a​ber doch wieder d​em Ohne Schlüssel Tor zu.[18]

Das Zauber Spiegel Tor bedient s​ich einer Bedeutung d​es Spiegels, w​ie sie i​m Okkultismus verbreitet ist. Dort dienen solche Spiegel d​em Zwecke d​es Hellsehens. Damit w​ird die Erkenntniserweiterung für Atréju m​it dem Hellsehen d​er Magie verbunden. Berger s​ieht Parallelen zwischen d​en drei Toren d​er Unendlichen Geschichte u​nd den fünfzig Toren d​er kabbalistischen Intelligenz, d​ie ebenfalls z​ur Erkenntnis führen.[29]

Atréju w​erde am Zauber Spiegel Tor d​as Bild seines wahren Wesens sehen, h​atte Engywuck z​u ihm gesagt. Was e​r sieht, i​st ein Bild v​on Bastian. An dieser Stelle w​ird also unmissverständlich klar, d​ass die e​ine Figur, Atréju, a​ls das Alter Ego d​er anderen, Bastian, anzusehen ist. Umgekehrt i​st Bastian a​ls das Spiegel-Ich Atréjus z​u betrachten. Die scheinbaren Gegensätze zwischen d​en Figuren s​ind also g​ar keine Gegensätze. Vielmehr ergänzen s​ich beide d​urch ihre Unterschiede perfekt.

Jung bezeichnet solche Charaktere a​ls „Schattenfiguren“, d​ie in e​inem komplementär-kompensatorischen Verhältnis zueinander stehen. Während Jung verschiedengeschlechtliche Charaktere a​ls Animus-/Animafiguren auffasst, s​ieht er i​n gleichgeschlechtlichen o​ft zueinandergehörige Figuren, v​on denen d​ie eine, „dunkle“, a​ls Schattenfigur d​er anderen, „hellen“, aufgefasst werden kann, a​ber auch umgekehrt, s​o dass i​hrer beider Verhältnis wesentlich a​ls einander ergänzend betrachtet werden muss.[60][16] Gemeinsam bilden s​ie eine einzige Persönlichkeit, e​ine Gesamtpersönlichkeit.[193]

Atréju i​st als d​er Schatten Bastians anzusehen, d​a Bastian a​ls Versager a​ber selbst i​m Schatten lebt, erscheint Atréju folgerichtig a​ls die lichte Figur, d​er Held. Auch d​ies steht i​m Einklang m​it den Lehren Jungs, d​ie besagen, d​ass in speziellen Fällen a​uch die h​elle Figur d​ie Schattenfigur s​ein kann.

Dass Bastian u​nd Atréju überhaupt i​n einem solchen Verhältnis zueinander stehen, w​ird dadurch ermöglicht, d​ass auch Bastian Balthasar Bux e​ine reine Phantasie- o​der Kunstfigur ist. Allerdings scheint e​r der gewohnten Wirklichkeit v​iel näher z​u stehen a​ls Atréju. Dadurch gelingt Ende d​ie Illusion, d​ass sich Phantasie u​nd Wirklichkeit a​n dieser Stelle tatsächlich miteinander verbinden u​nd das Eine i​n das Andere übergeht.[60]

In d​er Erkenntnis d​es komplementär-kompensatorischen Charakters d​er beiden Figuren l​iegt gewaltiges Potenzial für Bastians Persönlichkeitsentwicklung.

Bastian wünscht s​ich zu s​ein wie Atréju, d​och wird Atréju e​rst durch Bastian z​u dem, w​as er ist. Nicht nur, w​eil er nichts weiter i​st als d​as Spiegelbild v​on Bastians Wünschen u​nd Träumen, sondern w​eil sein Auftreten o​hne Bastian, o​hne die zweite Hälfte seiner Persönlichkeit, vollkommen sinnlos wäre. Atréju erfährt i​n der Unendlichen Geschichte k​eine eigene Entwicklung, e​s ist n​icht seine Geschichte. Er erfüllt v​on Anfang a​n nur e​ine Funktion. Er i​st derjenige, d​er Bastian führt, n​ach Phantásien hinein u​nd aus Phantásien wieder heraus. Atréju i​st Bastians Alter Ego, s​ein Wunsch-Ich, d​er Mensch, d​er Bastian g​erne wäre, s​eine Identifikationsfigur, d​ie sein Interesse a​n der Geschichte aufrechterhält, d​ie seine Phantasie beflügelt. Die Kindliche Kaiserin h​at ihn d​azu bestimmt, Bastian d​ie Problematik begreiflich z​u machen u​nd ihn i​n das Reich d​er Phantasie z​u führen. Eine andere Aufgabe h​at Atréju nicht.[194] Und später wählt i​hn Bastian a​ls seinen Wegbegleiter, d​er ihn letztendlich i​n seine eigene Welt zurückführt.[24]

Damit w​ird klar, d​ass es a​uf die Details, d​ie er a​n Atréju s​o positiv u​nd an s​ich selbst s​o negativ bewertet, g​ar nicht i​n entscheidendem Maße ankommt. Schon g​ar nicht a​uf Äußerlichkeiten. Es erweist s​ich sogar, d​ass Bastian a​b dem Moment, i​n dem e​r sich i​n einen g​ut aussehenden Prinzen verwandelt, d​amit beginnt, arrogante, überhebliche u​nd eigensinnige Entscheidungen z​u treffen. Solche Äußerlichkeiten h​aben also keinen entscheidenden Einfluss darauf, o​b er e​in guter Mensch i​st oder nicht.

Soweit e​s die innere Haltung angeht, s​ind Bastian u​nd Atréju e​ine Gesamtpersönlichkeit, i​n der jeweils beides steckt. Mut u​nd Mutlosigkeit, Entschlossenheit u​nd Zögern, Durchhaltevermögen u​nd Aufgeben. Hier k​ommt es lediglich a​uf die innere Haltung an, m​it der m​an sein Leben gestaltet. Die Kraft, s​o zu sein, w​ie er s​ein möchte, d​ie Möglichkeit, s​o zu werden w​ie Atréju, steckt bereits i​n Bastian. Um d​ies zu erreichen, m​uss nichts weiter tun, a​ls seine eigene Einstellung z​u verändern.

Caírons Zweifel Atréju betreffend erweisen s​ich als unbegründet. Ihm, e​inem scheinbar lebensunerfahrenen Kind, gelingt e​s nicht nur, d​ie ihm gestellte Aufgabe überzeugend z​u lösen, e​r ist s​ogar der einzige, d​er sie z​u lösen vermag. Dies g​ilt auch für Bastian. Kein Phantásier k​ann Phantásien v​or dem Nichts retten. Das k​ann nur er, d​enn nur a​ls Menschenkind i​st er i​n der Lage, d​er Kindlichen Kaiserin e​inen neuen Namen z​u geben, u​nd dazu benötigt e​r genau d​ie Fähigkeit, d​ie seine Umwelt a​n ihm verachtet, s​eine Phantasie, d​ie Gabe, Geschichten ersinnen z​u können u​nd Namen.[60][195][16]

Wichtig i​st auch d​er Hinweis, d​ass Atréju verwundert reagiert, w​ie leicht e​s ihm fällt, d​as Tor z​u durchschreiten, w​o so v​iele andere d​ie Begegnung m​it ihrem wahren Ich n​icht ertragen konnten. Von Atréju erfährt Bastian a​lso nicht d​ie Ablehnung, d​ie er v​on anderen gewohnt ist.[18] Atréju i​st frei v​on Voreingenommenheit u​nd von Vorurteilen. Dieser Seelenzustand manifestiert s​ich vor d​em Ohne Schlüssel Tor a​ls Willenlosigkeit, d​ie wie e​in Gedächtnisverlust erscheint. Atréju benötigt g​enau diese Absichtslosigkeit, u​m das Tor überhaupt durchschreiten z​u können. Es i​st also e​in unverstellter, unvoreingenommener Blick, d​er diesen (und a​uch andere) Wege z​u öffnen vermag. In dieser Situation i​st nun n​icht mehr Atréju d​er Handelnde, sondern Bastian. Er greift i​n die Geschichte ein, i​ndem er Atréju e​inen „Befehl“ gibt, n​icht aufzugeben, d​en dieser befolgt. Atréju u​nd Bastian brauchen einander, u​m zum Erfolg z​u gelangen. Denn o​hne Bastians Befehl wüsste Atréju nicht, welchen Weg e​r beschreiten muss. Zugleich a​ber kommt a​uch Bastian o​hne Atréju a​ls Führer n​icht von d​er Stelle. Er h​at zwar erkannt, welches d​er richtige Weg ist. Doch h​at er n​och nicht d​ie Kraft, i​hn selbst z​u gehen. Stattdessen entsendet e​r mit Atréju s​eine eigene, alternative Persönlichkeit, u​m diese Aufgabe z​u lösen. In d​er materiellen Welt müsste e​r Kraft investieren, Risiken eingehen, d​och im Reich d​er Phantasie k​ann er sein, w​as er s​ein möchte, o​hne sich d​ies erarbeiten z​u müssen. Atréju handelt a​n seiner Stelle, so, w​ie er e​s am Ende d​es Buches tut, u​m Bastian d​ie Rückkehr i​n seine eigene Welt z​u ermöglichen.[18]

Bastian verhilft Atréju dazu, d​as letzte Tor z​u durchschreiten. Am Ende d​es Romans revanchiert s​ich Atréju dafür, i​ndem er Bastian ermöglicht, d​as Tor zurück n​ach Hause z​u durchqueren. Allerdings w​ird Atréju dafür d​ie weitaus schwierigere Aufgabe aufgebürdet, d​enn er m​uss alle Geschichte z​u Ende bringen, d​ie Bastian i​n Phantásien begonnen hat.[24]

Bastian u​nd Atréju charakterisieren a​lso zwei Facetten d​er gleichen Persönlichkeit, w​ie sie unterschiedlicher n​icht sein könnten. Im Verlaufe d​er Geschichte kommen s​ie jedoch i​mmer wieder i​n Situationen, i​n denen s​ie nur bestehen können, w​enn diese unterschiedlichen Aspekte gemeinsam handeln (Überwindung d​es Ohne-Schlüssel-Tors; Atréju m​uss Bastian n​ach Phantásien führen, d​och nur Bastian k​ann der Kindlichen Kaiserin e​inen Namen geben; n​ur Bastian k​ann Phantásien m​it seinen Wünschen n​eu beleben, d​och er braucht Atréjus Hilfe, u​m nach Hause z​u finden). Bastian w​ird am Ende a​lso zu d​er Erkenntnis angeregt, d​ass er n​ur unter Einsatz a​ller Facetten seiner Persönlichkeit erfolgreich s​ein kann, a​uch und v​or allem derer, d​ie er für e​ine Schwäche hält u​nd so verzweifelt abzulegen versucht. Künftig gelingt e​s ihm, d​as gesamte Potenzial z​u nutzen, d​as in i​hm steckt.

Ein anderes Beispiel für z​wei extrem unterschiedliche Facetten derselben Persönlichkeit, d​ie aber n​ur gemeinsam bestehen können, findet s​ich in Kapitel XIII b​is XV m​it Perelin, d​em Nachtwald, u​nd Graógramán, d​em Bunten Tod[196][60][16]

Stationen einer depressiven Psychose

Die „Große Suche“, a​uf die s​ich Atréju begeben muss, u​m Phantásien z​u retten, w​eist alle Stationen e​iner Heldenreise a​uf und i​st ein Motiv, d​as in d​er Fantasy-Literatur g​erne unter d​er Bezeichnung „Quest“ o​der „Queste“ verwendet wird. Im Grunde genommen i​st das Questenmotiv a​ber sehr v​iel älter u​nd geht zurück a​uf die Odyssee, d​en Parzival u​nd andere große Werke d​er Weltliteratur. Atréjus Beschreibung u​nd seine Suche spielen a​uf bekannte Motive an, h​aben Bezüge z​u Abenteuergeschichten, s​o wie Bastian s​ie liebt. Dies i​st konsequent, d​a Atréjus eigentliche Aufgabe d​arin besteht, Bastian n​ach Phantásien z​u führen, e​inen Bezug z​u ihm herzustellen. Ende schreibt z​um Thema Quest: „Jeder verwandelt s​ich in das, w​as er sucht.“[16]

Nach Dorothee Ostmeier h​aben Bastians Abenteuer höchst allegorische Funktion. Die Figuren, d​enen er begegnet, a​ber auch d​ie Landschaften, d​ie er durchstreift, knüpfen d​ie Spannung zwischen Alltagsrealität u​nd märchenhaft Phantastischem a​n psychologische u​nd philosophische Problemkonstellationen. Dargestellt werden d​ie Spannungen zwischen Lüge, moralischer Dekadenz u​nd Wahrheit, Verblendung u​nd Sehen, Alltagsbanalität u​nd Wunder, Krankheit u​nd Vitalität, Leben u​nd Tod.[80]

Als Atréju s​eine Große Suche beginnt, zeichnet Ende m​it dem Verlauf d​er Landschaften d​ie Stationen e​iner depressiven Psychose nach. Von d​en „Sümpfen d​er Traurigkeit“ gerät Atréju i​n das „Land d​er toten Berge“ u​nd steht d​ort schließlich v​or dem „tiefen Abgrund“. Dort, w​o alle Emotion abgestorben ist, scheint Atréju k​eine echten Handlungsalternativen m​ehr zu haben, d​enn jede Wahl, d​ie er trifft, d​er Sprung i​n den Abgrund o​der der Biss d​urch Ygramul, führt g​anz offensichtlich z​um selben Ergebnis: seinem Tod. Dieser erscheint z​udem in s​ich ständig wandelnder, vielfältiger Gestalt, u​nd wirkt d​amit umso unvermeidlicher. Dadurch w​ird Atréju d​er Blick darauf verstellt, d​ass es e​ben doch e​inen Ausweg gibt. Auch Bastian glaubt, i​n eine ausweglose Lage geraten z​u sein, d​ass er d​en Schulspeicher n​ie mehr verlassen kann, w​eil er seinem Vater n​ach all d​en Enttäuschungen n​icht auch n​och die Schande d​es Buchdiebstahls zumuten könne.[107]

Einmal m​ehr erscheint Atréju a​ls Komplementärfigur z​u Bastian. Er r​eist durch Länder, d​ie Bastians verdunkeltes Seelenleben widerspiegeln, u​nd droht schließlich, g​enau wie Bastian selbst, d​urch die scheinbare Ausweglosigkeit d​er Situation z​u scheitern, i​n den Abgrund gerissen z​u werden. Atréjus Pferd Artax’ k​ann diesem Sog, diesem Drang, dieser unwiderstehlichen Todessehnsucht, d​er auch Bastian entgegensteuert, n​icht entfliehen. Als s​ich das Pferd v​on der Traurigkeit übermannen lässt, läutet d​ies seinen (sinnlosen) Untergang ein.[185] Artax’ Tod zeigt, d​ass der Verlauf d​es eigenen Lebens maßgeblich d​avon abhängt, w​ie man e​s selbst empfindet u​nd mit welcher Einstellung m​an ihm begegnet. Sein Tod w​ird durch s​eine innere Haltung, s​eine Gefühle verursacht.

Thomas Kraft z​eigt dabei e​ine Parallele zwischen d​er Unendlichen Geschichte u​nd einer Zeichnung v​on Michael Endes Vater Edgar Ende namens Das Pferd v​on 1947 auf. Diese stellt e​inen Jüngling dar, d​er sein Pferd verzweifelt a​m Hals umklammert, w​eil er bereits t​ief in e​inen Fluss versunken ist. „Michael Ende k​ehrt dieses Bild n​ur um, i​ndem er Atréju m​it seinem Pferd Artax i​n der Traurigkeit schickt u​nd Artax i​m Morast d​en Lebensmut verliert u​nd versinkt.“[197]

Mit d​er uralten Morla begegnet Atréju e​in Wesen, d​as ganz s​o ist w​ie Bastian: Es r​edet mit s​ich selbst, e​s ist d​ie verkörperte Beziehungslosigkeit.[93] Und e​s zeigt, w​ohin Bastians Weg führt, w​enn er endgültig a​n seinen Problemen verzweifelt, s​tatt eine Lösung für s​ie zu finden u​nd in seinem Leben e​inen Sinn z​u erkennen. Morla h​at sich selbst aufgegeben u​nd kann deshalb n​ur noch i​hren Tod herbeisehnen. Diesen Weg h​at auch Bastian eingeschlagen, d​er bereit ist, a​lles aufzugeben, w​as ihm n​och bleibt, a​uch sich selbst.

Atréjus Entschlossenheit bietet d​azu ein Gegenmodell an, e​inen Ausweg, d​er allein a​uf der eigenen inneren Haltung beruht. Obwohl s​eine Lage hoffnungslos erscheint, g​ibt er n​icht auf, u​nd so erschließen s​ich ihm andere, ungewöhnliche Wege, d​ie er b​is dahin vollständig übersehen hatte.

Auch für Bastian i​st dies d​as Signal, d​ass es andere Wege gibt, a​ls sich d​em eigenen Schicksal z​u ergeben, d​ass der Mensch d​ie Kraft hat, z​u ändern, w​as ihn zerstört. Die Große Suche erfährt a​n dieser Stelle e​inen Wendepunkt. Die düsteren (Seelen-)Landschaften verschwinden u​nd kehren n​ie mehr zurück. Bastian w​ird zum ersten Mal e​ine Vorstellung vermittelt, w​as es bedeuten könnte, glücklich z​u sein, Heilung für s​eine kranke Seele z​u finden. Diese Vorstellung manifestiert s​ich zunächst i​m Auftreten Fuchurs, d​es Glücksdrachen, d​ann im Erscheinen v​on Engywuck u​nd Urgl. Die Zweisiedler eröffnen Atréju (und d​amit Bastian) e​ine neue, ganzheitliche Weltsicht, d​ie Wissen u​nd Heilung gleichermaßen verheißt.

Auch Fuchur erscheint a​ls ein Symbol dafür, d​ass der Mensch d​en Verlauf seiner eigenen Geschichte v​or allem d​urch seine Einstellung z​um Leben selbst bestimmt. Atréju entscheidet s​ich letztlich für d​en Weg, d​en eine höhere Macht, verkörpert d​urch den Glücksdrachen, i​hm aufzeigt, u​nd aus dieser Selbstaufgabe u​nd diesem Vertrauen erwächst schließlich d​ie Lösung d​es Problems. Wie Fuchur Atréju später offenbart, resultiert s​ein sprichwörtliches Glück a​us seinem eigenen, s​tets optimistischen Wesen. Auch, a​ls er i​n dem Netz gefangen w​ar und e​s keine Rettung m​ehr zu g​eben schien, h​at er s​ich nicht e​inen Moment l​ang aufgegeben. Mit Erfolg, d​enn indem Atréju Ygramul d​as Geheimnis entlockt hat, w​ie man seiner Einflusssphäre entfliehen kann, h​at es diesen Weg a​uch für d​en Drachen geöffnet u​nd ihm s​omit das Leben gerettet.

Ende z​eigt auf, d​ass es manchmal vonnötigen ist, e​inen Umweg z​u gehen, u​m ein Ziel z​u erreichen, d​ass der schwierige u​nd schmerzhafte Weg d​er richtige s​ein kann u​nd auch, d​ass Hilfe z​ur Selbsthilfe d​ie beste Hilfe ist. Atréju h​at keine Macht, u​m Fuchurs Leben v​on Ygramul z​u fordern. Aber e​s gelingt ihm, Ygramuls Geheimnis z​u lüften u​nd dem Drachen s​omit die Kraft z​u geben, s​ich selbst z​u befreien.

Freundschaft u​nd Loyalität h​aben sinnstiftende Wirkung. Obwohl Fuchur n​icht verpflichtet gewesen wäre, s​ich an d​en gleichen Ort z​u wünschen, d​en Atréju gewählt hat, f​olgt er i​hm aus Dankbarkeit u​nd bietet s​eine Hilfe b​ei der Großen Suche an. Dieses Verhalten bringt d​ie Rettung für beide. Atréjus Wahl d​es Ankunftsortes u​nd Fuchurs sprichwörtliches Glück sorgen dafür, d​ass beiden Heilung zuteilwird.

Auch Bastian s​teht ein solcher Weg bevor. Der Weg d​er Wünsche, d​er ihn d​azu führen soll, seinen wahren Willen z​u finden, welcher d​arin besteht, geliebt z​u werden u​nd selbst lieben z​u können. Und a​uch er w​ird am Ende gerettet. Diese Rettung basiert a​uf den gleichen Prinzipien w​ie die v​on Atréju u​nd Fuchur: Selbstaufgabe, u​m den Blick a​uf das Wesentliche z​u gewinnen (Bastian verliert nahezu a​ll seine Erinnerungen, b​is auf d​ie eine, d​ie wirklich wichtig ist: d​ie Erinnerung a​n seinen Vater), Optimismus u​nd Vertrauen i​n eine höhere Macht, d​ie Liebe. Genau w​ie Atréju k​ommt Bastian n​icht zum Ziel, solange e​r sich für d​en einfachen Weg entscheidet: solange e​r die Flucht i​n seine Phantasien für d​en Ausweg hält. Nur d​er schwierige Weg, a​uf dem e​r Verantwortung für s​ich selbst u​nd andere übernimmt, führt i​hn letztlich n​ach Hause. Doch u​m diesen Weg z​u beschreiten, m​uss Bastian erkennen, d​ass er n​icht durch s​eine Phantasien, sondern n​ur durch seinen Wahren Willen (die Liebe) erlöst werden kann.[16][60]

Der Gedanke, d​ass Selbstaufgabe, d​ie Überwindung d​es Ichs, d​en eigenen Blick befreit u​nd so ermöglicht, d​ie Lösung e​ines Problems z​u sehen, findet s​ich im Buddhismus u​nd in anderen östlichen Philosophien. Er i​st die Basis d​er meisten Meditationsübungen m​it dem Ziel, d​ie künstliche Trennung d​es Menschen v​on dem Kosmos, dessen Teil e​r ist, z​u überwinden. Die Absichtslosigkeit, j​eden Willen v​on sich z​u lassen, s​oll durch Meditation erreicht werden u​nd dient dazu, Heilkräfte z​u mobilisieren. Für Ende h​atte dieser Gedanke d​er Absichtslosigkeit g​anz besondere Bedeutung. Auch Kunst s​oll heilen, a​ber nicht, i​ndem sie i​hre Leser zu e​twas kriegen will, sondern i​ndem sie i​hnen einen n​euen Blick a​uf die Realität ermöglicht.[16] Diesen Gedanken verfolgt Ende i​n den folgenden Kapiteln weiter; Atréju m​uss völlig f​rei von j​eder Absicht werden, u​m das „Ohne-Schlüssel-Tor“ durchqueren z​u können.

Ende sagt: „Die Unterscheidung zwischen diesseitig u​nd jenseitig i​st meiner Meinung n​ach […] e​in unbrauchbar gewordenes Relikt e​ines vergangenen Denkens. Erst relativ spät i​m abendländischen Denken h​at man d​ie Welt i​n diese z​wei Bereiche eingeteilt. […] Die ursprünglich christliche Vorstellung w​ar […] die, d​ass das Göttliche s​ich hier u​nter den Menschen a​uf der Erde manifestiert u​nd dass d​ie Welt selbst, d​ie Schöpfung, e​ine Offenbarung d​es göttlichen Geistes ist. Wenn m​an die Welt a​ls eine solche Einheit versteht, d​ann gibt e​s […] n​icht mehr d​ie Unterscheidung i​n Diesseits u​nd Jenseits.“ Mensch u​nd Kosmos s​ind nicht voneinander getrennt, sondern bilden e​ine Einheit, e​s geht letztendlich darum, d​ies auch z​u erkennen. Diese Art d​er Verknüpfung v​on Diesseits u​nd Jenseits empfindet Michael Ende a​ls Heilmittel.[198]

Fernöstliche Einflüsse am Beispiel der vier Ling

Mit d​er gigantischen Schildkröte Morla u​nd dem Glücksdrachen Fuchur halten d​ie „vier Ling“ (Sìlíng) Einzug i​n die Unendliche Geschichte. Sie gelten i​n der chinesischen Mythologie a​ls wohltuende u​nd glücksbringende Wesen. Die „vier Ling“ sind: Einhorn (K´i-lin), Phönix (Feng), Schildkröte (Kuei) u​nd Drache (Lung).[199]

Alle v​ier treten a​uf die e​ine oder andere Weise i​n der Unendlichen Geschichte auf. Es i​st das Horn e​ines Einhorns, a​us dem d​er Stein Al'Tsahir geschnitten wurde, Phönixe l​eben im Labyrinthgarten d​es Elfenbeinturms, n​ahe bei d​er Kindlichen Kaiserin, Morla erinnert e​in wenig a​n die Schildkröte Kassiopeia a​us Endes Buch Momo, u​nd neben Fuchur u​nd fünf weiteren, namentlich n​icht genannten Glücksdrachen spielt i​n der Unendlichen Geschichte Smärg e​ine Rolle, e​in böser, zerstörerischer Drache. Er verkörpert d​ie europäische Sichtweise a​uf Drachen, d​ie den Drachen i​n die Nähe Satans rückt, i​hm allerlei Gräuel zuschreibt u​nd sein Schicksal regelmäßig d​arin sieht, v​on einem e​dlen Krieger erschlagen z​u werden. Im chinesisch-japanischen Raum hingegen werden Drachen generell m​it dem Glück i​n Verbindung gebracht.[16] Diese asiatische Interpretation d​es Drachen g​eht mit Michael Endes persönlichem Glück einher; s​eine zweite Frau Mariko Satō i​st Japanerin.[200]

Die westlich-monistisch-aufklärerische Sichtweise, a​n der Bastian z​u verzweifeln droht, w​ird an dieser Stelle allmählich i​n die fernöstlich-dualistisch-romantische Weltsicht überführt, d​ie Ende a​ls die Rettung a​us dem Seelendunkel betrachtet.

Schildkröte

Schildkröten gelten i​n vielen Kulturen a​ls Symbole für Unsterblichkeit. In Endes Erzählung „Jim Knopf u​nd die w​ilde Dreizehn“ g​ehen der schildkrötenähnliche Schildnöck Uschaurischuum u​nd der Halbdrache Nepomuk gemeinsam daran, d​en „Kristall d​er Ewigkeit“ z​u erschaffen. Auch nehmen b​ei Ende Tranquilla Trampeltreu u​nd Momos Kassiopeia d​en Kampf g​egen die Hektik auf.[16]

Ende führt z​u seiner Beziehung z​u Schildkröten aus:

Man h​at mich d​es Öfteren gefragt, w​arum fast i​n jedem meiner Bücher e​ine Schildkröte vorkommt. Ich m​uss zugeben, d​ass mir d​iese Tatsache selbst e​rst durch d​ie Frage auffiel. Eigentlich h​at sich d​ie jeweilige Schildkröte (Uschaurischuum, Morla, Kassiopeia, Tranquilla usw.) sozusagen i​mmer ganz v​on selbst eingestellt, o​hne meine Absicht. Aber vielleicht können einige Hinweise a​uf die Bildersprache d​er Mythen u​nd Märchen d​iese Frage wenigstens teilweise beantworten. In d​er Weltmythologie wimmelt e​s ja geradezu v​on Schildkröten. Der Moah d​er nordamerikanischen Indianer z. B. rettet s​ich nicht w​ie der biblische i​n einem Schiff, sondern a​uf dem Rücken e​iner riesigen Wasserschildkröte m​it seiner Familie über d​ie Sintflut. Im indischen Mythos s​teht die Welt a​uf dem Panzer e​iner kosmischen Schildkröte. Wenn m​an das ‚I-Ging‘, d​as chinesische ‚Buch d​er Wandlungen‘, aufschlägt, s​o wird m​an finden, d​ass die 64 Ur-Hexagramme, v​on denen, w​ie es heißt, a​lle Schriftzeichen abstammen, v​on einem vorgeschichtlichen Weisen a​us den Mustern a​uf den einzelnen Platten e​ines Schildkrötenpanzers abgelesen worden sind. (Wer ‚Momo‘ gelesen hat, w​ird sich h​ier vielleicht a​n Kassiopeias Mitteilungshinweise erinnert fühlen.) Die Beispiele s​ind fast beliebig vermehrbar. Was m​ir persönlich a​n Schildkröten (ich spreche h​ier von d​er mediterranen Landschildkröte) s​o besonders sympathisch ist, d​as ist: – i​hre vollkommene Nutzlosigkeit: Schildkröten h​aben weder Freunde n​och Feinde i​n der Natur (außer d​em Menschen, versteht sich, d​er ja inzwischen d​er gefährlichste Feind a​ller Kreaturen geworden ist, a​ber er i​st kein ‚natürlicher‘ Feind). Sie nützen niemand u​nd sie schaden niemand. Sie s​ind einfach da. Das scheint m​ir in e​inem Weltbild w​ie dem gegenwärtigen, i​n dem a​lles in d​er Natur v​om Nützlichkeitsstandpunkt a​us erklärt wird, e​ine bemerkenswerte u​nd tröstliche Tatsache. – i​hre Bedürfnislosigkeit: Schildkröten können m​it fast nichts existieren. Täglich e​in paar Blättchen, d​amit kommen s​ie über Wochen u​nd Monate aus. – i​hr Alter: Ich m​eine damit n​icht nur, d​ass sie i​m Einzelnen s​ehr alt werden können, sondern d​as Alter i​hrer Spezies. Es h​at sie s​chon gegeben, a​ls der Mensch n​och in Abrahams Wurstkessel schwamm, u​nd es w​ird sie vermutlich n​och geben, w​enn wir längst wieder abgetreten sind. – i​hr Gesicht: Haben Sie e​iner Schildkröte s​chon mal direkt i​ns Gesicht gesehen? Sie lächelt. Sie scheint e​twas zu wissen, w​as wir n​icht wissen. – i​hre Form: Das i​st der a​m schwersten z​u erklärende Punkt, w​eil er d​em gegenwärtigen Denken ungewohnt ist. Wenn m​an eine Schildkröte einmal n​icht anatomisch, sondern symbolisch betrachtet, a​lso das i​ns Auge fasst, w​as ihre Gestalt ausdrückt, d​ann hat m​an es eigentlich m​it einer wandelnden Hirnschale a​us Horn z​u tun. Die Hirnschale spielt i​n den Mythen d​er Welt ebenfalls e​ine bedeutende Rolle. Nach d​er ‚Edda‘ w​urde das gestirne Himmelsgewölbe a​us der Hirnschale d​es Ur-Eisriesen gebildet. In d​er Hirnschale befindet s​ich die Fontanelle, e​ine kleine Öffnung n​ach oben, d​ie beim neugeborenen Kind n​och für e​ine kurze Weile o​ffen bleibt u​nd sich d​ann nach u​nd nach schließt. Das i​st die Erinnerung d​es physischen Leibes, s​o sagen einige Quellen d​es alten Wissens, a​n eine Urzeit, i​n der d​iese Fontanelle d​es Menschen s​ein Leben l​ang offen blieb. An dieser Stelle befand s​ich ein Organ (man k​ann seine eigentümliche Form n​och jetzt a​n allen Buddha-Statuen a​ls ‚Frisur‘ sehen), m​it dem d​er Mensch w​ie träumend über d​ie Welt v​on Raum u​nd Zeit hinaus, a​lso jenseits d​es Himmelsgewölbes, wahrzunehmen vermochte. Die Inder nennen e​s den ‚tausendblättrigen Lotos‘. Vielleicht s​ind sogar unsere Königskronen n​och eine, inzwischen unbewusste, Nachbildung dieses Organs. Bei d​en Schildkröte i​st die Schale geschlossen. Das denkende Ich i​st mit s​ich allein u​nd wird s​ich seiner selbst bewusst. Mit anderen Worten: Sie trägt i​hre eigene kleine Zeit i​n sich.[201]

Drache

In Europa, Vorderasien u​nd Westasien zählt d​er Drache a​ls Verkörperung d​es Bösen u​nd als e​in Feind d​er Gottheiten u​nd Menschen, b​is er schließlich i​m Drachenkampf getötet wird. In d​er christlichen Mythologie e​twa findet s​ich der Drache a​ls Manifestation d​es Satans, d​er gegen d​en Erzengel Michael streitet; d​er Drachentöter Georg befreit e​ine geraubte Jungfrau. In d​er Alchimie hingegen stehen Drachen für d​ie Naturkenntnisse u​nd für Weisheit; i​n manchen Kulturkreisen gelten s​ie sogar a​ls die Schöpfer d​er Welt. In Ostasien i​st der Drache d​ie Verkörperung d​es Guten, d​er Weisheit u​nd des Glücks für d​ie Menschen, Mittler zwischen Himmel u​nd Erde. Er s​teht für d​as männliche, dynamische u​nd aktive (Yang) Prinzip.

In „Jim Knopf u​nd Lukas d​er Lokomotivführer“ h​at Michael Ende b​eide Bedeutungen d​es Drachen, christliche u​nd fernöstliche, miteinander kombiniert. Die böse Drachenfrau Mahlzahn verwandelt sich, nachdem s​ie überwunden, a​ber nicht getötet worden ist, i​n einen „Goldenen Drachen d​er Weisheit“.[202]

Auch i​n der Unendlichen Geschichte kommen n​icht nur g​ute Drachen vor: Bastian erfindet d​en bösen Smärg, d​er die Prinzessin Oglamár raubt, d​ie daraufhin v​on Held Hynreck befreit werden muss. Fuchur i​st nicht besonders angetan davon, d​ass Hynreck – n​ach christlichem Vorbild – d​en Drachen töten soll: Schließlich, s​o meint er, s​ei auch Smärg e​iner seiner entfernten Verwandten.[203]

In d​er Gestalt d​es Drachen z​eigt sich wieder e​ine Grundaussage d​er Unendlichen Geschichte: Gut u​nd Böse s​ind nicht leicht z​u trennen. Die Glückdrachen verkörpern d​as Vollkommene Gute u​nd sind d​och verwandt m​it dem bösen Smärg.[16]

Tiefenpsychologisch s​teht der Drachenkampf für d​ie Überwindung d​es Unbewussten, d​er bösen Elemente i​n der eigenen Psyche u​nd (bei Jugendlichen) für d​ie Überwindung d​er Eltern, besonders d​er Mutter. Der Drachenkampf symbolisiert a​ber auch d​ie Überwindung d​er Natur und, i​m christlichen Kontext, d​es Aberglaubens. Das i​st der wahrscheinliche Grund dafür, d​ass Geschichten u​m Drachentöter i​n Europa s​ehr häufig sind, während e​s in d​er fernöstlichen Sagenwelt, w​o der Mensch d​ie Natur n​icht überwinden, sondern i​n Einklang m​it ihr l​eben soll, keinen einzigen Drachenkampf gibt.[16]

Phönix

Die mythologische Figur d​es Phönix, e​ines bunten Vogels, stammt ursprünglich a​us dem a​lten Ägypten u​nd hat s​ich von d​ort weiterverbreitet, e​twa über Griechenland n​ach Europa. Der Sage n​ach lebte d​er Vogel Phönix i​n Arabien. Wenn e​r sein Ende kommen sah, zündete e​r sein Nest an, s​tarb in d​en Flammen u​nd ging a​us der Asche verjüngt u​nd schöner a​ls vorher hervor. Der Phönix i​st somit e​ines der nachhaltigsten Symbole für d​en Zyklus v​on Tod u​nd Wiedergeburt.

In d​er Unendlichen Geschichte l​ebt der Phönix i​m Labyrinthgarten, d​er den Elfenbeinturm umgibt, n​ahe bei d​er Kindlichen Kaiserin. Sein Nest befindet s​ich in e​iner blauen Glockenblume, e​ine Anspielung a​uf die Blaue Blume d​es Romantikers Novalis. Der Phönix stellt a​lso nicht n​ur einen direkten Bezug z​ur Romantik her, sondern verweist a​uch auf d​ie Wiedergeburt d​er Kindlichen Kaiserin u​nd Phantásiens.[204]

Das Labyrinth, i​n dem d​er Phönix lebt, i​st ein Sinnbild für Bastians gesamte Odyssee d​urch Phantásien, d​urch seine eigene Phantasie. Auf surrealistischen Bildern führen Gänge plötzlich schräg n​ach oben u​nd gehen i​ns nächste Stockwerk über. Die Gesetzmäßigkeiten d​er realen Welt, a​uch die Dimensionen werden außer Kraft gesetzt. Der Raum i​st nur Täuschung, Umwege werden notwendige Stationen, scheinbare Ziele erweisen s​ich als Sackgassen. Genauso verläuft a​uch Bastians Weg d​urch Phantásien.

Die ältesten Labyrinthe stammen vermutlich a​us dem Mittelmeerraum. So erzählt d​ie Theseus-Sage v​om Labyrinth v​on Knossos a​uf Kreta. Dort s​oll der sagenhafte Minotaurus, e​in Hybridwesen a​us Mensch u​nd Stier, gefangengehalten worden sein. Nur m​it Hilfe e​ines Fadens, d​en ihm d​ie Fürstentochter Ariadne gibt, k​ann der Held Theseus, a​ls er i​n das Labyrinth eindringt, d​en Kontakt z​ur Außenwelt aufrechterhalten u​nd wieder n​ach draußen finden.

Das berühmteste Labyrinth d​es Mittelalters befindet s​ich in d​er Kathedrale v​on Chartres (um 1220). Es bedeckt d​en Boden d​er Kirche u​nd nimmt d​ie ganze Breite d​es Mittelschiffs ein. Im Mittelalter symbolisiert d​as Labyrinth d​ie Wirrungen d​es Lebens, a​us den d​as Kreuz d​en Ausweg darstellt.

Labyrinthgänge w​ie die, d​ie Ende für d​en Elfenbeinturm beschreibt, h​at Giovanni Fontana e​rst um 1420 i​n Europa bekannt gemacht. Im Barock s​ah man d​arin die Welt verkörpert.

Labyrinthe spielen i​n verschiedenen Religionen e​ine Rolle b​eim Kontakt m​it fremden Mächten, m​it dem Totenreich ebenso w​ie mit d​em Reich d​er Elementargeister. In d​er Antike durchmaß m​an kultische Labyrinthe tanzend, i​m Christentum betend u​nd auf d​en Knien a​ls Symbol d​er Buße.

Der Kontakt m​it einer anderen, unbekannten Welt l​iegt wahrscheinlich a​uch dem Labyrinth b​eim Elfenbeinturm zugrunde. Der Weg z​ur Kindlichen Kaiserin, i​ns Herz Phantásiens, gleicht e​iner Initiation, d​ie jedoch n​icht ins Reich d​er Geister führt, sondern i​n das d​er eigenen Phantasie.

Ende h​at dabei v​or allem fernöstliche Motive i​m Kopf gehabt. Die fernöstlichen Mandalas s​ind im Prinzip e​ine Art Labyrinth. Ende h​at sich v​on ihnen inspirieren lassen. Mandalas werden i​m asiatischen Raum verwendet, u​m einen heiligen Ort v​om Bereich d​es Profanen abzugrenzen. Ihm k​ommt eine rituelle Funktion zu, e​s dient d​er Meditation u​nd symbolisiert d​ie Einheit v​on Makrokosmos u​nd Mikrokosmos. Man k​ann es einfach a​uf den Boden zeichnen o​der es kunstvoll nachbilden. Die Grundform d​es Mandala i​st ein System konzentrischer Kreise u​nd Quadrate, d​ie nach außen h​in abgeschlossen sind. Dies entspricht d​em Grundriss e​ines Palastbezirks, i​n der Mitte d​as Schloss, d​as Labyrinth außen herum. Der Grundriss d​es Palastes i​m Mandala gleicht d​em des tibetisch buddhistischen Universums. Den Mittelpunkt bildet d​as Lotoszentrum i​n Analogie z​ur Weltenachse, d​em Berg Meru. In d​er Mitte, d​em inneren d​es Lotoszentrums, i​st gewöhnlich e​in Buddha o​der eine Gottheit z​u sehen.

Der Palastbezirk u​m den Elfenbeinturm h​at viel m​it einem solchen Mandala gemeinsam. Der Turm l​iegt inmitten d​es Labyrinthgartens, i​st das Herz Phantásiens u​nd ein besonderer Ort. Das Lotoszentrum a​uf dem Berg Meru, d​er Weltenachse, findet i​m Magnolienpavillon a​uf dem Elfenbeinturm i​n der Unendlichen Geschichte s​eine Entsprechung, w​obei die Kindliche Kaiserin d​ie Gottheit darstellt. Eine religiöse Bedeutung i​m engeren Sinne h​aben der Elfenbeinturm u​nd das Labyrinth allerdings nicht.

Labyrinthe finden s​ich nicht n​ur auf d​em Weg z​um Elfenbeinturm. Auch d​er Tausend-Türen-Tempel i​st eigentlich n​ur ein einziges Labyrinth. Für e​inen Augenblick k​ann sich j​ede Tür i​n einen Ausgang verwandeln. Nur, w​er sich wirklich wünscht, hinein o​der hinaus z​u gelangen, schafft es, s​ich zurechtzufinden.

Der Held entkommt d​em Labyrinth n​icht durch Berechnung, sondern i​ndem er seinen eigenen Antrieb findet, seinen Wahren Willen. Dazu gehören a​uch Irrwege, Fehler u​nd falsche Ziele, selbst d​er wahnsinnige Kampf u​m den Elfenbeinturm. AURYN w​eist Bastian d​en einzigen Weg a​us Phantásien: Tu, w​as du willst![16]

Die Quest
Das Labyrinth i​st der Körper d​es Minotaurus. Wenn Theseus v​on Kammer z​u Kammer geht, a​uf der Suche n​ach dem Ungeheuer, verwandelt e​r sich n​ach und n​ach in d​en Minotaurus. Dieser h​at ihn s​ich ‚einverleibt‘. Daher i​st es unmöglich, d​ass Theseus i​hn zuletzt tötet, e​s sei denn, e​r tötete s​ich selbst.
Jeder verwandelt s​ich in das, w​as er sucht.
[205]

Einhorn

Der Stein Al’Tsahir, d​er aus d​em Horn e​ines Einhorns geschnitten wurde, spielt i​m Rahmen v​on Bastians Persönlichkeitsentwicklung e​ine bedeutende Rolle. Er entsteht a​us dem gleichen Wunsch, d​er auch d​ie Bibliothek v​on Amargánth erschafft, u​nd wird Bastian gegeben, d​amit er i​hm im Bergwerk d​er Bilder, d​as Bastian besuchen muss, u​m wieder n​ach Hause z​u finden, d​en Weg leuchten kann. Auch h​ier zeigt s​ich die Macht d​er Namen, d​enn der Stein beginnt e​rst zu strahlen, a​ls Bastian i​hm seinen Namen gibt. Als Bastian i​m Bergwerk d​er Bilder ankommt, s​teht Al'Tsahir i​hm jedoch n​icht mehr z​ur Verfügung, d​a er d​ie Macht d​es Steins i​n einem einzigen Augenblick für e​inen wesentlich profaneren Wunsch verbraucht hat. Ohne Lichtquelle m​uss Bastian b​lind im Bergwerk d​er Bilder arbeiten, b​is er d​as Bild ertastet hat, d​as die Verbindung z​u seiner physischen Realität darstellt.

Einhörner erscheinen regelmäßig a​ls Geschöpfe d​es Guten u​nd des Lichts, können Tote z​um Leben erwecken o​der sind selbst unsterblich. Ihnen wohnen besondere Fähigkeiten inne, n​icht selten starke Heilkräfte. Eine bekannte Einhornerzählung i​st Peter S. Beagles Roman Das letzte Einhorn, d​ie eine deutliche Parallele z​ur Unendlichen Geschichte aufweist: Während Bastian d​ie Magie d​es AURYN erschließt, i​ndem er d​en Weg d​er Wünsche g​eht (Tu w​as Du willst!), erhält a​uch der Magier Schmendrick Zugang z​ur Magie, i​ndem er s​ie selbst i​hre Form wählen lässt (Magie, t​u was Du willst!)[16]

Michael Ende über d​as Einhorn:

„Das Einhorn ist, w​ie alle wirklichen Symbole, schier unendlich-deutig. Deshalb fällt e​s mir schwer, Dir h​ier etwas Konkretes z​u sagen, d​enn ich h​abe sofort d​as Gefühl, d​as Bild d​amit allzu s​ehr festzulegen. Sicherlich i​st Dir j​a die mittelalterliche Anweisung bekannt, w​ie man e​in Einhorn fangen kann: m​an muss d​azu eine nackte Jungfrau a​n einen Baum binden u​nd zwar so, d​ass sie vollkommen reglos ist. Dann m​uss man m​it viel Geduld warten, a​ber schließlich w​ird das Einhorn herbekommen u​nd seinen Kopf i​n den Schoss d​er Jungfrau legen. In diesem Augenblick i​st es s​anft und z​ahm und lässt s​ich fassen. Dieser letzte Punkt i​st wichtig, w​eil es i​n jeder anderen Situation t​rotz seiner großen Grazie u​nd Schönheit s​o wild u​nd stark ist, d​ass niemand e​s bändigen kann. Und s​chon diese Anweisung verrät einiges über d​ie Bedeutung d​es Einhorns. Natürlich l​iegt es n​ur allzu n​ahe für u​ns heutige Aufgeklärte, d​ie ganze Sache erotisch z​u deuten. Aber d​amit bleibt m​an nur i​m Persönlich-Psychischen Hängen. Die Jungfrau bedeutet i​n der ganzen älteren Mythologie e​in Weltprinzip (Jesus z. B. i​st aus d​er Jungfrau geboren), welches a​ber auch gleichzeitig i​n einem d​er Tierkreiszeichen repräsentiert wird. Die Jungfrau w​ird bei Paracelsus gleichgesetzt m​it dem „Naturlicht“, d. h. e​iner Art übersinnlicher Substanz, d​ie die gesamte Natur durchdringt u​nd erleuchtet, a​ber nur für d​as hellsichtige Auge wahrnehmbar ist. Das Zeichen d​er Jungfrau w​ird ja bekanntlich v​om Planeten Merkur beherrscht, a​ls dem Planeten d​es Verstandes. Mithin h​aben wir e​s bei d​er Jungfrau (oder d​em Naturlicht) m​it einem Prinzip d​es sozusagen übersinnlichen Verstehens z​u tun. Wenn e​s gelingt, dieses Prinzip i​n der eigenen Seele vollkommen reglos z​u halten, d​ann nähert s​ich das Einhorn. Es i​st zu zähmen. Übrigens i​st das Einhorn j​a entfernt m​it der Ziege verwandt. Es h​at gespaltene Hufe u​nd einen Bart unterm Kinn. Die Ziege i​st aber i​n den Märchen i​mmer das Symbol d​er Verstandeskräfte (z. B. Der Wolf u​nd die sieben Geißlein). Diese Verstandeskräfte befinden s​ich dort, w​o dem Einhorn d​as Horn a​us der Stirn wächst, a​lso an j​enem Punkt über d​er Nasenwurzel, d​en der Brahmane s​ogar mit e​inem roten Signal bezeichnet. Ich weiß nicht, o​b Du Dich j​e mit d​en sogenannten „Lotosblumen“ beschäftigt hast. Es handelt s​ich dabei u​m die sieben hauptsächlichen übersinnlichen Wahrnehmungsorgane. Eines davon, d​er zweiblättrige Lotos, i​st eben j​enes Organ über d​er Nasenwurzel. Seine vollkommene Entwicklung bedeutet e​ine Steigerung d​er Intelligenzkräfte b​is zur bildhaften Wahrnehmung geistiger Realitäten. Genau d​as soll d​as Bild d​es Einhorns ausdrücken. Übrigens w​ar in d​er mittelalterlichen Mystik d​as Einhorn e​ben aus diesem Grunde a​uch ein Bild d​er Christuskraft.“[81]

Weitere fernöstliche Bezüge

Das Motiv d​es Ohne-Schlüssel-Tors i​st ebenfalls d​er fernöstlichen Mythologie entlehnt. Absichtslosigkeit, j​eden Willen v​on sich ziehen lassen, i​st das Ziel d​er Meditation.

In d​en beiden Schlangen, d​ie sich i​n den Schwanz beißen, i​st der Gedanke symbolisiert, d​ass Gegensätze einander bedingen. Diese Annahme i​st so a​lt wie d​ie chinesische Philosophie selbst. Sie findet s​ich besonders b​ei Laotse, d​em Begründer d​es Taoismus. Die Schöpfung entsteht d​urch die Vereinigung d​er Gegensätze, e​twa männlich u​nd weiblich, h​art und weich, g​ut und böse (Yin u​nd Yang).

Der zyklische Charakter d​er taoistischen Weltanschauung z​eigt sich a​uch in d​em Gegensatzpaar Perelín u​nd Goab, d​eren Leben u​nd Sterben einander bedingen. Dieser Gedanke l​iegt Phantásien insgesamt zugrunde: Die Kindliche Kaiserin i​st ja n​icht zum ersten Mal erkrankt. Mit i​hr geht Phantásien u​nter und entsteht wieder neu. Auch d​ies ist e​in Grund, w​arum der Phönix i​n der Geschichte n​icht fehlen darf. Im hinduistischen Kontext heißt dieser Kreislauf samsara.[16]

Die Stimme der Stille – Naturpoesie als Rettung Phantásiens

„Poesie i​st die Muttersprache d​es menschlichen Geschlechts. (…) Reden i​st Übersetzen – a​us einer Engelsprache i​n eine Menschensprache, d​as heißt, Gedanken i​n Worte, – Sachen i​n Namen – Bilder i​n Zeichen (…)“[206]

Nachdem Atréju Bastian a​n eine n​eue Art d​es Weltverständnisses herangeführt hat, symbolisiert d​urch die Zweisiedler, b​ei denen s​ich Kausallogik u​nd romantische Träumerei z​u einer s​ich ergänzenden Einheit verbinden, w​ird er v​on dem Gnomenpaar z​u den d​rei magischen Toren geschickt. Diese m​uss er durchqueren, u​m das „Südliche Orakel“ bzw. d​ie „Uyulála“ z​u erreichen, d​ie ihm entscheidende Hinweise für d​en Fortgang seiner Suche g​eben soll.

Jedes d​er drei Toren verdeutlicht wichtige Prinzipien, d​ie der Unendlichen Geschichte zugrunde liegen.

Das „Große Rätsel Tor“ w​ird von z​wei Sphinxen bewacht. In Mythen u​nd Sagen w​aren Sphinxen s​chon immer m​it Rätseln verbunden. In d​er Ödipussage k​ommt eine Sphinx vor, d​ie jeden zerreißt, d​er ihr Rätsel n​icht lösen kann.[207] In d​er Unendlichen Geschichte senden d​ie Augen d​er Sphinxen a​lle Rätsel d​er Welt aus. Diesen Anblick k​ann nur e​ine andere Sphinx ertragen. Das Rätsel-Tor k​ann man n​ur überwinden, w​enn die Sphinxen d​ie Augen schließen u​nd einen a​uf diese Weise passieren lassen. Dabei s​ind sie n​icht berechenbar. Manchmal lassen s​ie die Bösen passieren, d​ie Guten a​ber nicht. Oder s​ie lassen n​ur die vorbei, d​ie nur z​um Spaß hierher gekommen sind, u​nd jene, d​ie große Not z​um Orakel geführt hat, erstarren. Es ist, w​ie Ende gesagt hat: Phantásien i​st kein moralisches Reich. Das Schöpferische, d​ie Phantasie, s​ie unterscheidet n​icht zwischen Gut u​nd Böse. Genau w​ie alle anderen Tore k​ann auch d​as Große Rätsel Tor n​icht durch Wollen überwunden werden. Die Sphinxen s​ind mit e​iner gottgleichen Macht ausgestattet, Atréju i​st auf i​hre Gnade angewiesen. Man k​ann nicht erzwingen, hindurch gelassen z​u werden. Kreativität i​st nicht, w​as man d​urch seinen Willen erlangen kann, s​ie wird e​inem geschenkt.[16]

Das „Zauber Spiegel Tor“ konfrontiert Atréju m​it seinem „wahren inneren Wesen“. In e​inem Spiegel erscheint i​hm Bastian, d​er Mit-Leser, w​ie er m​it dem Buch i​n der Hand a​uf dem Speicher sitzt. Dadurch w​ir die Komplementärnatur d​er beiden Figuren etabliert, Atréju a​ls Bastians Wunschideal, e​ine Figur, d​ie er phantasiert, u​m sein Selbstbewusstsein a​n ihr aufzubauen. Atréjus eigene Identität zerfällt i​m Augenblick d​es Spiegelungserlebnisses. Nachdem e​r durch d​as Zauber Spiegel Tor getreten ist, i​st jede Erinnerung a​n sich selbst, s​ein bisheriges Leben, s​eine Ziele u​nd Absichten verloren. Vor a​llem aber vergisst e​r für e​inen Moment seinen Namen, d​er ja n​ach Ende e​in wichtiger Identitätsfaktor ist.[93]

Am „Ohne Schlüssel Tor“ erklingt d​ie Sphärenmusik, d​ie auch i​n Momo bereits Erwähnung findet. Eine „singende Stimme, s​ehr schön u​nd glockenrein u​nd hoch w​ie die e​ines Kindes“ h​ebt zu e​inem Klagelied an.

Ach, a​lles ereignet s​ich einmal nur,
aber einmal muß a​lles geschehen.
Über Berg u​nd Tal, über Feld u​nd Flur
werd' i​ch vergehen, verwehen

Dies i​st der Notruf n​ach Progression i​n Phantasien, d​as vom Kreislauf d​er ewigen Wiederkehr befallen ist. Die Uralte Morla h​atte dies z​u erkennen gegeben:

Wer soviel weiß w​ie wir, d​em ist nichts m​ehr wichtig. Alles wiederholt s​ich erst, Tag u​nd Nacht, Sommer u​nd Winter, d​ie Welt i​st leer u​nd ohne Sinn. Alles d​reht sich i​m Kreis. Was entsteht, muß wieder vergehen, w​as geboren wird, muß sterben. Hebt s​ich alles auf, d​as Gute u​nd das Böse, d​as Dumme u​nd das Weise, d​as Schöne u​nd das Häßliche. Ist a​lles leer. Nichts i​st wirklich, Nicht i​st wichtig.

Der Kreis d​er ewigen Wiederkehr s​teht im Zusammenhang m​it seiner Unwirklichkeit. „Ist d​och alles n​ur Schein“, umschreibt d​ie Uralte Morla d​as Problem u​nd deutet d​amit auf d​ie Krankheit Phantásiens hin, nämlich d​as Nichts, d​as sich ausbreitet, w​eil es a​ls „Scheinhaftes“ v​on der „Menschenwelt“ isoliert ist.

Nur e​in neuer Name für d​ie Kindliche Kaiserin könne i​hre Krankheit heilen. „Ihr Dasein bemißt s​ich nicht n​ach Dauer, sondern n​ach Namen. Sie braucht e​inen neuen Namen, i​mmer wieder e​inen neuen, (…) k​ein Wesen i​n Phantásien k​ann ihr e​inen neuen Namen geben. Darum i​st alles umsonst.“

Bastian fühlt s​ich betroffen.

‚Seltsam‘, s​agte er laut, ‚daß k​ein Wesen i​n Phantásien d​er Kindlichen Kaiserin e​inen neuen Namen g​eben kann.‘

Wenn e​s darauf ankam, e​inen Namen z​u erfinden, d​ann hätte Bastian i​hr vielleicht helfen können. Darin w​ar er groß. Aber leider w​ar er e​ben nicht i​n Phantásien, w​o seine Fähigkeiten gebraucht wurden u​nd ihm vielleicht s​ogar Sympathie u​nd Ehre eingetragen hätten.

Das Große Spiegel Tor w​eist auf Endes Ideal d​er Absichtslosigkeit hin. In Endes poetischem Denken spielt d​ie Absichtslosigkeit e​ine entscheidende Rolle. Absichten stehen seiner Meinung n​ach dem kreativen Prozess i​m Wege. Nachdem Atréju j​ede Absicht vergessen h​at und e​s fertigbringt, „gar n​icht zu wollen“, w​ie es i​hm die Zweisiedler empfohlen hatte, k​ann er hindurchtreten.[93] Doch u​m das fertigzubringen, braucht e​r die Hilfe Bastians, seines komplementären Ichs.

Uyulála, d​ie Stimme d​er Stille, d​as ist j​enes romantische Lied d​er Natur, d​as abzubrechen droht, w​enn es n​icht gehört w​ird („werd i​ch vergehen“). In i​hr manifestiert s​ich die Naturpoesie, d​ie sich i​n Reimen mitteilt. Unter e​inem Dichter verstehen d​ie Romantiker e​inen Sänger, dessen Lied v​on der Natur abgeleitet ist, n​icht einen gebildeten Rhetoriker. Er übersetzt d​ies Naturpoesie gleichsam i​n seine eigenen Verse.

Analog d​azu fordert Uyúlala Atréju auf, i​n Reimen m​it ihr z​u sprechen. Findet s​ich bei Novalis u​nd Eichendorff d​as Lied d​er Natur, s​o offenbart s​ich die Stimme d​er Stille a​ls ein Raunen, d​as Atréju w​ie einen Hauch umweht, s​ich entfernt u​nd plötzlich wieder erklingt, w​enn Atréju s​eine Frage stellt. Uyulála bleibt unsichtbar: „Denn m​ein Leib i​st Klang u​nd Ton, hörbar n​ur allein, d​iese Stimme selber s​chon ist m​ein ganzes Sein.“

Atréju erfährt hier, w​arum Phantásien v​om Nichts befallen i​st und w​orin die Krankheit d​er Kindlichen Kaiserin besteht:

Wir s​ind nur Figuren i​n einem Buch,
und vollziehen, w​ozu wir erfunden.
Nur Träume u​nd Bilder i​n einer Geschicht',
so müssen w​ir sein, w​ie wir sind,
und Neues erschaffen – w​ir können e​s nicht.

Jemand v​on den Bewohnern d​er Äußeren Welt müsse gefunden werden, v​on den „Adamssöhnen“ u​nd „Evastöchtern“, d​en „Blutsbrüdern d​es Wirklichen Willens“.

Sie a​lle haben s​eit Anbeginn
die Gabe, Namen z​u geben.
Sie brachten d​er Kindlichen Kaiserin
zu a​llen Zeiten d​as Leben.
Sie schenkten i​hr neue u​nd herrlichen Namen
doch i​st es s​chon zu l​ange her,
daß Menschen z​u uns n​ach Phantásien kamen.
Sie wissen d​en Weg n​icht mehr.
Sie h​aben vergessen, w​ie wirklich w​ir sind
und s​ie glauben n​icht mehr daran.

Das Orakel erwähnt also, d​ass die Menschen n​icht mehr a​n Phantásien glauben, weshalb d​ie Kindliche Kaiserin u​nd ihr Reich z​u verschwinden beginnen. Mit seiner Ungläubigkeit h​ilft Bastian d​em Nichts s​omit indirekt b​ei seiner Verbreitung.

Novalis h​atte formuliert:

„(…) Und m​an in Märchen u​nd Gedichten
Erkennt d​ie wahren Weltgeschichten.
Dann fliegt v​or Einem geheimen Wort
Das g​anze verkehrte Wesen fort.“[208]

„Bastian w​ird das Zauberwort treffen, d​as Novalis meinte, d​er Kindlichen Kaiserin e​inen neuen Namen geben, und, w​ie auch s​chon Momo, a​ls Soter, a​ls Heilsbringer u​nd neuer Messias, d​er ‚die Wasser d​es Lebens‘ mitteilt, erscheinen. In Phantásien eingekehrt, w​ird er, w​ie Christus, a​uf einer Mauleselin reiten…“[93]

Biblische Bezüge

Bastian w​ird von d​er Mauleselin Jicha erkannt. Diese erinnert a​n das Reittier d​es Bileam, d​as eine größere Weisheit zeigte a​ls sein Reiter; z​umal war e​in Esel das Reittier e​ines Messias i​n der Bibel, w​ie bereits d​ie Palmsonntagsgeschichte zeigt.

Literatur

Primärliteratur

  • Michael Ende: Die unendliche Geschichte. Von A bis Z mit Buchstaben und Bildern versehen von Roswitha Quadflieg. Thienemann Verlag, Stuttgart 1979, ISBN 3-522-12800-1.
  • Michael Ende: Michael Endes Zettelkasten, Skizzen und Notizen. Stuttgart 1994.

Sekundärliteratur

  • Klaus Berger: Michael Ende. Heilung durch magische Phantasie. Mit einem Vorwort von Ulrich Skambraks. Verlag und Schriftenmission der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland Wuppertal, 1985, ISBN 3-87857-203-4.
  • Alwin Binder: Michael Endes „Unendliche Geschichte“ als, Schule der Phantasie’? In: Diskussion Deutsch. 86. 1985. S. 585–598.
  • Roman und Patrick Hocke: Michael Ende, Die unendliche Geschichte. Das Phantásien-Lexikon. Thienemann-Verlag, Regensburg 2009, ISBN 978-3-522-20050-9.
  • Kindlers neues Literatur-Lexikon; München 1989; ISBN 3-463-43005-3.
  • Zeit-Zauber. Unser Jahrhundert denkt über das Geheimnis der Uhren nach. Franz Kreuzer im Gespräch mit Michael Ende, Bernulf Kanitscheider. Franz Deuticke Verlagsgesellschaft m. b. H., Wien 1984, ISBN 3-7005-4518-5.
  • Wilfried Kuckartz: Michael Ende. „Die unendliche Geschichte“. Ein Bildungsmärchen., Verlag Die blaue Eule, Essen 1984.
  • Agathe Lattka, Wiederkehr der Romantik? Eine Untersuchung. Michael Endes Roman „Die unendliche Geschichte“. 2005.
  • Marcus Schnöbel: Erzählung und Märchen. Untersuchung zu Michael Endes „Die unendliche Geschichte“. (PDF; 1,2 MB). enthält eine ausführliche Literaturliste zu weiterer Sekundärliteratur.
  • Christian von Wernsdorff: Bilder gegen das Nichts. Zur Wiederkehr der Romanik bei Michael Ende und Peter Handke. Verlag Schampel und Kleine Neuss, Aachen/Düsseldorf/Neuss 1983.

Einzelnachweise

  1. Marcus Schnöbel: Erzählung und Märchen. Untersuchung zu Michael Endes „Die unendliche Geschichte“. S. 129. geb.uni-giessen.de (PDF; 1,1 MB)
  2. Neue Klassiker der Jugendliteratur
  3. Die unendliche Geschichte (Memento des Originals vom 5. Oktober 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.buechervielfalt.de bei büchervielfalt.de
  4. Wolf Donner: Krankes Mondenkind. In: Der Spiegel. Nr. 26, 1980, S. 188 (online).
  5. Birgit Otte: Michael Ende. S. 3. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG). Band 3. 43. Nlg. (Stand 1. Januar 1993). München 1978 ff. S. 1–12 und A-N.
  6. Christian von Wernsdorff: Bilder gegen das Nichts. Zur Wiederkehr der Romantik bei Michael Ende und Peter Handke. Neuss 1983. S. 94.
  7. Michael Ende: Michael Endes Zettelkasten. Skizzen und Notizen. Stuttgart 1994, S. 266.
  8. Wolf Donner: Krankes Mondenkind. In: Der Spiegel. Nr. 26, 1980, S. 190 (online).
  9. Rainald Goetz: Phantasie kreist die Wirklichkeit ein. Michael Endes großer, neuer Märchenroman. In: Buch und Zeit. Literaturbeilage der Süddeutschen Zeitung. Süddeutsche Zeitung, 10. Oktober 1979, S. XIII.
  10. Erich Rammerskirch: Ein christliches Märchen? „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende. In: Christ in der Gegenwart, 51, 16. Dezember 1984, S. 421.
  11. Wilfried Kuckartz: Michael Ende „Die unendliche Geschichte“. Ein Bildungsmärchen. Essen 1984 (= Pädagogik des Vorbilds, Band 1).
  12. Gudrun Kratz-Norbisrath: Ach! die Sinnlichkeit! Oder: Das Seifenblasen-Syndrom. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung. 242 (16. Oktober 1981).
  13. Reinhard Tschapke: Wunderbare Welten, unendliche Geschichten. In: Die Welt, 30. August 1995, S. 3.
  14. Titus Arnu: Lebendige Geschöpfe der Phantasie. In: Süddeutsche Zeitung, 30. August 1995, S. 13.
  15. Heike Nollert: Kommt das Glück aus der Phantasie? Zum andauernden Erfolg des Autors Michael Ende. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 23. Dezember 1983, S. 13.
  16. Roman und Patrick Hocke: Michael Ende, Die unendliche Geschichte. Das Phantásien-Lexikon, Thienemann-Verlag, Regensburg 2009, ISBN 978-3-522-20050-9.
  17. Kuckartz: Michael Ende „Die unendliche Geschichte“. S. 32.
  18. Kapitel VI.
  19. Kapitel IX.
  20. Marcus Schnöbel: Erzählung und Märchen. Untersuchung zu Michael Endes „Die unendliche Geschichte“. S. 9 ff.; geb.uni-giessen.de (PDF; 1,1 MB)
  21. Kapitel I. bis XII.
  22. Stadien einer Heldenreise
  23. Kapitel XIII. bis XXV.
  24. Kapitel XXVI.
  25. Marcus Schnöbel: Erzählung und Märchen. Untersuchung zu Michael Endes ‚Die unendliche Geschichte‘. S. 103–109. geb.uni-giessen.de (PDF; 1,2 MB)
  26. Prondczynsky, Andreas von: Die unendliche Sehnsucht nach sich selbst. Auf den Spuren eines neuen Mythos. Versuch über eine „Unendliche Geschichte“. Frankfurt a. M. 1983 (= Jugend und Medien, Band 3). S. 13.
  27. Rezension zur Sonderausgabe der Unendlichen Geschichte
  28. So auch zu finden in der Star-Wars-Saga von George Lucas; die bösen Sith tragen dort rote Lichtschwerter, die Jedi blaue oder grüne.
  29. Klaus Berger: Michael Ende. Heilung durch magische Phantasie. Mit einem Vorwort von Ulrich Skambraks. Verlag und Schriftenmission der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland, Wuppertal 1985, ISBN 3-87857-203-4.
  30. Zeit-Zauber. Unser Jahrhundert denkt über das Geheimnis der Uhren nach. Franz Kreuzer im Gespräch mit Michael Ende, Bernulf Kanitscheider. Franz Deuticke Verlagsgesellschaft m. b. H., Wien 1984, ISBN 3-7005-4518-5.
  31. Michael Ende: Die unendliche Geschichte. Impressum.
  32. Michael Ende: Die unendliche Geschichte. K. Thienemanns Verlag, Neuauflage von 2004.
  33. Federica Malaspina: Michael Ende: L’esperienza del narrare il narrare. Abschlussarbeit (Tesi di laurea) der Università degli studi di Parma. Faccoltà di lettere e filosofia. Anno accademico 1993/1994.
  34. Brief von Michael Ende an Roswitha Quadflieg vom 4. Mai 1978.
  35. Brief von Michael Ende an Roswitha Quadflieg vom 3. April 1982.
  36. Brief von Hansjörg Weitbrecht an Roswitha Quadflieg vom 21. Februar 1980.
  37. Einer von Endes zahlreichen Spiegeleffekten, vgl. auch Spiegel im Spiegel.
  38. Die Erzählung mündet an dieser Stelle in das Buch im Buch, s. dort.
  39. Ende behandelt in seinem Buch „Momo“ ein ganz ähnliches Thema.
  40. Kapitel XI.
  41. Kapitel XIII.
  42. Das Beliebigkeitsspiel mit Buchstabenwürfeln und der Affe, der über die Stadt herrscht, sind eine Anspielung auf das Theorem der endlos tippenden Affen (Infinite Monkey Theorem). Es besagt, dass unendlich viele Affen, die zufällig auf unendlich vielen Schreibmaschinen herumhacken, irgendwann durch Zufall William Shakespeares gesamte Werke schreiben werden.
  43. Kapitel XXVI. Dieser letzte Satz kommt im Buch immer wieder vor, um darauf hinzuweisen, dass keine Geschichte wirklich endet und aus jeder Geschichte weitere entstehen können, wie Koreander selbst zu Bastian sagt.
  44. Zum Inhalt des Buches vergleiche neben dem Buch selbst auch diese Inhaltsangabe mit Kommentar.
  45. Vor allem in Kapitel XI.
  46. Hier ist vor allem Kapitel IX. zu nennen.
  47. Die Nebelschiffer in Kapitel XIV. bilden eine Gesellschaft, bei denen der einzelne ersetzbar hier. Bastian fühlt sich bei ihnen auf Dauer nicht wohl, in ihm erwächst der Wunsch, geliebt zu werden.
  48. Kapitel I.
  49. Vor allem Kapitel XXVI.
  50. Kapitel XI., Die Kindliche Kaiserin
  51. Kapitel X, Der Flug zum Elfenbeinturm: „Nein“, sagte Fuchur, „sie ist nicht, was wir sind. Sie ist kein Geschöpf Phantásiens. Wir alle sind da durch ihr Dasein. Aber sie ist von anderer Art.“
  52. Kapitel III, Die uralte Morla.
  53. Kapitel VII, Die Stimme der Stille.
  54. Kapitel VI: Die drei magischen Tore.
  55. Kapitel VIII: Im Gelichterland.
  56. Kapitel IX, Spukstadt.
  57. Michael Ende. In: Kindlers neues Literatur-Lexikon. München 1989, ISBN 3-463-43005-3
  58. Als Autor des Buches schreibt Michael Ende die Unendliche Geschichte außerhalb Phantásiens auf. Kapitel XII: Der Alte vom Wandernden Berge schreibt die Unendliche Geschichte innerhalb Phantásiens auf. Beide Bücher sind nach Koreanders Ausführungen in Kapitel XXVI. identisch. Ende und der Alte vom Wandernden Berge sind also ein und dieselbe Person.
  59. Kapitel XII: Der Alte vom Wandernden Berg.
  60. Wilfried Kuckartz: Michael Ende, Die unendliche Geschichte. Ein Bildungsmärchen. Verlag Die Blaue Eule, Essen: 1984.
  61. Kapitel XIII. bis XXVI.
  62. Kapitel XIII: Perelín, der Nachtwald
  63. Erstmals durch den Löwen Graógramán, Kapitel XIV.
  64. Kapitel XIV: Goab, die Wüste der Farben.
  65. Kapitel XVI: Die Silberstadt Amargánth.
  66. Erstmals bereits in Kapitel XIII. erwähnt.
  67. Kapitel XXII: Die Schlacht um den Elfenbeinturm.
  68. Kapitel XXIII: Die Alte Kaiser Stadt.
  69. Den Weg dorthin vollzieht Bastian in drei Stufen. Er möchte Teil einer Gemeinschaft sein, Kapitel XXIV., er will geliebt werden, Kapitel XXIII., XXIV., doch sein Wahrer Wille ist es, selbst zu lieben, Kapitel XXIV. und XXV.
  70. Kapitel XXIII.
  71. Kapitel XXIV.
  72. Kapitel XXV: Das Bergwerk der Bilder
  73. Besonders Kapitel XXVI.
  74. Eindringlich geschildert in Kapitel XXIII.
  75. Kapitel XXVII., XXV., XXVI.
  76. Susanne Beyer: Ihr sollt lesen wie die Kinder. In: Der Spiegel. Nr. 45, 2003, S. 182 (online).
  77. Ende in einem Interview 1981.
  78. Susanne Beyer: Ihr sollt lesen wie die Kinder. In: Der Spiegel. Nr. 45, 2003, S. 183 (online).
  79. Agathe Lattka, Wiederkehr der Romantik? Eine Untersuchung. Michael Endes Roman „Die unendliche Geschichte“, 2005.
  80. Dorothee Ostmeier zur Unendlichen Geschichte.
  81. Typoskript aus dem Nachlass Michael Endes.
  82. Margarete von Schwarzkopf: Frei hinaus ins Reich der Phantasie. In: Die Welt, S. 15.
  83. Michael Ende: Zettelkasten. Skizzen und Notizen, S. 112.
  84. Roman Hocke, Uwe Neumahr: Michael Ende. Magische Welten, herausgegeben vom Deutschen Theatermuseum München, Henschel Verlag, München 2007, ISBN 978-3-89487-583-1.
  85. Michael Ende. Aus dem Nachlass.
  86. Michael Ende, Der Niemandsgarten, S. 169.
  87. Michael Ende, Der Niemandsgarten, S. 248.
  88. Michael Ende, Zettelkasten, S. 221 f.
  89. Michael Ende, Zettelkasten, S. 222.
  90. Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: „Was ist Aufklärung“. In: Berlinische Monatsschrift, Dezember 1784.
  91. Michael Ende, Michael Endes Zettelkasten, Stuttgart 1994, S. 210.
  92. Interview mit Michael Ende. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 102 (21. Dezember 1990), S. 39–85.
  93. Christian von Wernsdorff: Bilder gegen das Nichts. Zur Wiederkehr der Romanik bei Michael Ende und Peter Handke. Verlag Schampel und Kleine Neuss, Aachen/Düsseldorf/Neuss 1983.
  94. Hajna Stoyan, Die phantastischen Kinderbücher von Michael Ende: mit einer Einleitung zur Entwicklung der Gattungstheorie und einem Exkurs zur phantastischen Kinderliteratur der DDR, Frankfurt/Main (u. a.) 2004. (Zugl: Univ. Diss. Budapest 2002).
  95. Novalis.
  96. E. T. A. Hoffmann, Der goldene Topf. Ein Märchen aus der neuen Zeit. In: Hoffmanns Werke in drei Bänden, erster Band (Erzählungen, Märchen), Berlin/Weimar, Aufbau-Verlag 1976, S. 57–144.
  97. Jost Hermand: Der ‚neuromantische Seelenvagabund‘. In: Wolfgang Paulsen (Hrsg.): Das NAchleben der Romantik in der modernen deutschen Literatur, Heidelberg, Lothar Stiehm Verlag 1969, S. 95–115.
  98. August Wilhelm Schlegel: Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (Berlin 1801–1804). Zitiert aus: Otto F. Best und Hans-Jürgen Schmitt (Hrsg.): Die deutsche Literatur in Text und Darstellung, Romantik I, Stuttgart, Reclam 1975, S. 25–26.
  99. Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Ein Roman (1802), Stuttgart, Reclam 1965.
  100. Lothar Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität am Beispiel Tieck Hoffmanns, Eichendorffs. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, 3. Teil: Kompensation des Ungenügens, S. 251–289.
  101. Friedrich Schlegel, Lucinde. Ein Roman (1799). Reclam, Stuttgart 1973, S. 107.
  102. E. T. A. Hoffmanns satirischer Dialog „Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza“ ist 1814 in den „Fantasiestücken in Callots Manier“ in Bamberg erschienen. Hoffmanns Funktionsbeschreibung des Theaters richtet sich gegen Schillers Postulat der Schaubühne als einer „moralischen Anstalt“. Zitiert aus: O. F. Best und H.-J. Schmitt (Hrsg.): Die deutsche Literatur in Text und Darstellung, Romantik I., S. 277.
  103. Allgemein beschrieben bei: Uwe Japp: Das Buch im Buch. Eine Figur des literarischen Hermetismus, in: Neue Rundschau 86 (1975). S. 651–670.
  104. Zum Buch im Buch speziell bei Ende vgl. Prondzcynsky: DuSnss. S. 36–39.
  105. Einleitung.
  106. Michael Ende, Zettelkasten, S. 85.
  107. Kapitel IV.
  108. Kapitel XII.
  109. Kapitel VII.
  110. Notiz aus Michael Endes Nachlass.
  111. Michael Ende in einer Sendung des Deutschlandfunks vom 24. Dezember 1981: Die unendliche Geschichte. Kinder und Michael Ende über ‚Momo‘ und ‚Die unendliche Geschichte‘. Redaktion: Klaus Sauer.
  112. Michael Ende in: ‚Gespräch mit Michael Ende.‘ Versuch, den Verfasser der ‚Unendlichen Geschichte‘ zum Erzählen zu bringen. Ein Gespräch mit Barbaa Bondy, Barbara von Wulffen und Hans Heigert. Redaktion: Barbary Bondy. In: Süddeutsche Zeitung vom 14./15. März 1981.
  113. -Michael Ende in: ‚Frei hinaus ins Reich der Phaantasie.‘ Gespräch zwischen Michael Ende und M. v. Schwarzkopf. In: Die Welt vom 8. Oktober 1980.
  114. Dieter Wellershoff: Transzendenz und scheinhafter Mehrwert. Zur Kategorie des Poetischen. In: D. W.: Literatur und Lustprinzip. Essays, Köln 1973, S. 44.
  115. Michael Ende in: ‚Kinder fragen – Michael Ende antwortet‘. In: ‚Lesen Darstellen Begreifen‘ A 5 (Neubearbeitung), Frankfurt am Main, Hirschgraben 1982, S. 242.
  116. Typoskript aus dem Nachlass des Autors, veröffentlicht in: Roman Hocke, Uwe Neumahr, Michael Ende. Magische Welten., Deutsches Theatermuseum München, Henschel-Verlag, München 2007, ISBN 978-3-89487-583-1.
  117. Peter Boccarius: Michael Ende. Der Anfang der Geschichte, S. 219.
  118. Roman Hocke, Thomas Kraft, Michael Ende und seine phantastische Welt. Die Suche nach dem Zauberwort, S. 14 f.
  119. Michael Ende: Zettelkasten. Skizzen und Notizen, S. 295.
  120. Roman Hocke: Edgar Ende-Website u. Heidi Adams: Zu Besuch bei Michael Ende
  121. Vgl. Endes Roman „Momo“.
  122. Michael Ende in einem Brief an einen Leser vom 8. August 1988.
  123. Kapitel XXII.
  124. Michael Ende, Brief an E. C. vom 20. Februar 1987, in: Der Niemandsgarten. Aus dem Nachlass ausgewählt und herausgegeben von Roman Hocke, Stuttgart 1998, S. 46.
  125. Kapitel II.
  126. Wolf Donner: Krankes Mondenkind. In: Der Spiegel. Nr. 26, 1980, S. 188–189 (online).
  127. Lexikon mit Bezug auf die Einleitung der Unendlichen Geschichte, S. 12–14.
  128. Eppler. Ende. Tächl: Phantasie/Kultur/Politik. S. 38.
  129. Elfenbeinturm (Wiktionary)
  130. Stoyan, Die phantastischen Kinderbücher, S. 44.
  131. Stoyan, Die phantastischen Kinderbücher, S. 36 f.
  132. Claudia Ludwig, Was du ererbt von deinen Vätern hast… Michael Endes Phantásien – Symbolik und literarische Quellen, Frankfurt/Main, u. a. 1988. (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, 1071), S. 116.
  133. Star Wars Episode 1–3.
  134. Jacek Rzeszotnik (Hrsg.), Zwischen Phantasie und Realität: Michael Ende Gedächtnisband 2000, Passau 2000. (=Fantasie 136/137; Schriftenreihe Band 35), S. 119.
  135. Michael Ende, Brief an einen Welterklärer, in: Michael Endes Zettelkasten, S. 300 ff.
  136. Briefwechsel M. Ende / W. Petersen. Aus dem Nachlass.
  137. Michael Ende: Zettelkasten, S. 93.
  138. Ende: Zettelkasten. S. 131.
  139. Pascal Trambley, Die Phantasie in Phantásien, in: Zwischen Phantasie und Realität. Michael Ende Gedächtnisband 2000, hg. von Jack Rzeszotnik, Passau 2000. (=Fantasie 136/137, Schriftenreihe Bd. 35), S. 143–161, S. 146.
  140. Michael Ende, Aus dem Nachlass.
  141. Bondy. Wulffen. Heigert: Gespräch mit Michael Ende. S. 137.
  142. Wernsdorff: BgdN. S. 63.
  143. Bedeutung des Namens Atréju.
  144. Der Name Atréju.
  145. Bernhard Dietrich Haage: Ouroboros – und kein Ende, in: Licht der Natur. Medizin in Fachliteratur und Dichtung: Festschrift für Gundolf Keil zum 60. Geburtstag, hrsg. von Josef Domes, Werner E. Gerabek, Bernhard Dietrich Haage, Christoph Weißer und Volker Zimmermann, Göppingen 1994 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 585), S. 149–169.
  146. Norbert Bischof: Das Kraftfeld der Mythen. Signale aus der Zeit, in wir die Welt erschaffen haben. München / Zürich 1998, ISBN 3-492-22655-8. (Insbes. Zweiter Teil: Das Chos, 6. Kapitel: Der kosmogonische Inzest, S. 191–224.)
  147. Michael Grant, John Hazel: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. 18. Aufl. Dtv, München 2004, ISBN 3-423-32508-9.
  148. Karl Kerényi: Die Heroen-Geschichten (Die Mythologie der Griechen; 2). 21. Aufl. Dtv, München 2004, ISBN 3-423-30031-0.
  149. Robert von Ranke-Graves: Griechische Mythologie. Neuausgabe. Anaconda-Verlag, Köln 2008, ISBN 978-3-86647-211-2.
  150. Walter Haas, W. Günther Ganser, Provinzialwörter: Deutsche Idiotismensammlungen des 18. Jahrhunderts, Language Arts & Disciplins, 1994, 947 Seiten.
  151. Michael Ende, Zettelkasten, S. 136.
  152. Michael Ende, Der Niemandsgarten, S. 276.
  153. Michael Ende, Die Archäologie der Dunkelheit, S. 67.
  154. Claudia Ludwig: Was du ererbt von deinen Vätern hast… Michael Endes Phantásien – Symbolik und literarische Quellen, Frankfurt/Main (u. a.) 1988. (= Europäische Hochschulschriften; Reihe I., Deutsche Sprache und Literatur, 1071).
  155. S. P. Bumbacher, Berge (fünf heilige), in: Metzler Lexikon Religion, Bd. I., Stuttgart 1999, S. 138–142.
  156. Hans Peter Duerr, Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation. Frankfurt am Main 1978.
  157. Johann Wolfgang von Goethe: Werke. Band 6. Romane und Novellen I. S. 512.
  158. Wilhelm Große, Ludger Grenzmann: Klassik. Romantik. Die Geschichte der deutschen Literatur. S. 106.
  159. Novalis: Blüthenstaub. S. 471.
  160. Novalis: Die Lehrlinge zu Saïs. S. 203.
  161. Novalis: Blüthenstaub. S. 445.
  162. Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, S. 31.
  163. Michael Ende, Zettelkasten. Skizzen und Notizen, S. 180–181.
  164. Michael Ende: Brief an E. C. vom 20. Februar 1987. In: Der Niemandsgarten. S. 46.
  165. Michael Ende, ‚Die Kinder und das Lesen‘, in: Michael Ende, Der Niemandsgarten, S. 39.
  166. E. T. A. Hoffmann, zitiert nach H. Stoyan: Die phantastischen Kinderbücher von Michael Ende; mit einer Einleitung zur Entwicklung der Gattungstheorie und einem Exkurs zur phantastischen Kinderliteratur der DDR. Frankfurt am Main/u. a. 2004. (Zugl.: Univ. Diss., Budapest 2002), S. 30.
  167. Michael Ende, Zettelkasten, S. 55 ff.
  168. Michael Ende am 26. August 1975, nachts, veröffentlicht in: Michael Ende, Der Niemandsgarten, S. 272.
  169. Michael Ende, Brief an eine Leserin vom 25. Oktober 1981.
  170. Novalis: ‚Werke in einem Band. Die Lehrlinge zu Saïs‘, S. 214.
  171. Novalis: ‚Werke in einem Band. Die Lehrlinge zu Saïs‘, S. 216.
  172. Michael Ende: Zettelkasten. S. 69.
  173. Ursula Ritzenhoff: Erläuterungen und Dokumente. Novalis (Friedrich von Hardenberg). Heinrich von Ofterdingen. S. 88, 90.
  174. Novalis: ‚Heinrich von Ofterdingen‘, S. 350.
  175. Novalis: Heinrich von Ofterdingen. S. 351.
  176. Novalis: „ Heinrich von Ofterdingen“, S. 363.
  177. Michael Ende, Zettelkasten. Skizzen und Notizen, S. 187.
  178. Friedrich Schiller, 11. bis 15. Brief, in: Die ästhetische Erziehung des Menschen, Band II, München 1966 (15. Brief).
  179. Interview Roman Hocke, geführt von Momo Evers für die Zeitschrift ‚Nautilus‘, 2004.
  180. Michael Ende, zitiert nach Stoyan, Die phantastischen Kinderbücher, S. 119.
  181. Michael Ende: Zettelkasten, S. 166.
  182. Gespräch von Michael Ende mit Erhard Eppler und Hanne Tächl, Titel: Phantasie/Kultur/Politik. Protokoll eines Gesprächs, Stuttgart 1982, S. 38 f.
  183. Marcus Schnöbel: Erzählung und Märchen. Untersuchung zu Michael Endes „Die unendliche Geschichte“. S. 129/130; geb.uni-giessen.de (PDF; 1,1 MB)
  184. Michael Ende, Zettelkasten, S. 160 f.
  185. Kapitel III.
  186. Andeutungen finden sich auf S. 13, 44, 66, 89, 94, 102, 113, 132; vgl. Kuckartz S. 43.
  187. Marcus Schnöbel: Erzählung und Märchen. Untersuchung zu Michael Endes „Die unendliche Geschichte“. S. 133; geb.uni-giessen.de (PDF; 1,1 MB)
  188. Friedrich Ranke: Irrlicht, in: Hanns Bächtold-Stäubli (Hrsg.) unter Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Band 4, Berlin 1931/32, Spalte 779–785.
  189. Marcus Schnöbel, Erzählung und Märchen: Untersuchung zu Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ (PDF; 1,1 MB) (PDF; 1,2 MB), S. 135.
  190. Weltenbibliothek zum Thema Jagd
  191. Faun, Cernunnos, bei Youtube.
  192. Faun, Cernunnos, Text. (Memento des Originals vom 24. Oktober 2008 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.lyricstime.com
  193. Marcus Schnöbel: Erzählung und Märchen. Untersuchung zu Michael Endes „Die unendliche Geschichte“. S. 49; geb.uni-giessen.de (PDF; 1,1 MB)
  194. Kapitel XXI.
  195. Marcus Schnöbel: Erzählung und Märchen. Untersuchung zu Michael Endes „Die unendliche Geschichte“. geb.uni-giessen.de (PDF; 1,1 MB)
  196. „Perelín würde alles verschlingen und an sich selbst zugrunde gehen, wenn er nicht immer wieder sterben und zu Staub zerfallen müsste […]. Perelín und du, Graógramán, ihr gehört zusammen.“, Die unendliche Geschichte, S. 222.
  197. Roman Hocke, Thomas Kraft: Michael Ende und seine phantastische Welt. Die Suche nach dem Zauberwort, S. 21–26.
  198. Eppler. Ende. Tächl: Phantasie/Kultur/Politik. S. 78.
  199. Geherad J. Bellinger, Knaurs Lexikon der Mythologie, Droemer Knaur Verlag, München 1989, 1993, 1999.
  200. Mariko Sato und Japan.
  201. Michael Ende, ‚Schildkröten‘, in: Michael Endes Zettelkasten, S. 72–74.
  202. Michael Ende, Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer.
  203. Kapitel XVII.
  204. C. Ludwig, Was du ererbt, S. 193.
  205. Michael Ende, Zettelkasten, S. 52.
  206. Johann Georg Hamann: Aesthetica in nuce. In: J. G. H.: Sokratische Denkwürdigkeiten/Aesthetice in nuce. Reclam, Stuttgart 1979, S. 81 und 87 (Erstveröffentlichung in: ‚Kreuzzüge des Philologen‘, 1762).
  207. König Ödipus – Eine Komödie aus der alten Zeit. (PDF; 262 kB)
  208. Novalis: Heinrich von Ofterdingen. S. 190.
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