Das Wasser des Lebens

Das Wasser d​es Lebens i​st ein Märchen (ATU 551). Es s​teht in d​en Kinder- u​nd Hausmärchen d​er Brüder Grimm a​n Stelle 97 (KHM 97).

Illustration von George Cruikshank, 1876

Inhalt

Illustration von Otto Ubbelohde, 1909

Der König i​st sterbenskrank. Ein a​lter Mann erzählt seinen trauernden Söhnen v​om Wasser d​es Lebens, d​as ihn heilen würde. Der Älteste w​ill es finden, d​amit er d​as Reich erbt. Unterwegs i​st er unhöflich z​u einem Zwerg, d​er ihn deshalb i​n eine e​nge Schlucht verwünscht, ebenso d​en Zweiten, d​er nach seinem Ausbleiben auszieht. Der Jüngste dagegen k​ommt durch seinen Rat z​u einem verwunschenen Schloss, öffnet d​as Tor m​it einer eisernen Rute u​nd beruhigt z​wei Löwen m​it zwei Laib Brot. Drinnen findet e​r verwunschene Prinzen, d​enen er d​ie Ringe v​om Finger zieht, d​ann ein Schwert u​nd ein Brot u​nd eine erlöste Jungfrau, d​ie ihn i​n einem Jahr heiraten will. Er schläft i​n einem Bett ein. Er erwacht e​rst viertel v​or zwölf u​nd nimmt schnell d​as Lebenswasser a​us dem Brunnen mit, b​evor das Schlosstor u​m zwölf zuschlägt. Es schlägt n​och seine Ferse ab. Der Zwerg s​agt ihm, d​ass das Schwert g​anze Heere schlägt u​nd das Brot n​ie ausgeht u​nd lässt a​uf Bitten d​ie Brüder frei. Der Jüngste reitet m​it ihnen d​urch drei Reiche, d​ie er m​it dem Brot u​nd dem Schwert a​us der Not rettet. Auf e​iner Schifffahrt vertauschen s​eine Brüder während e​r schläft s​ein Wasser m​it Meerwasser. Als e​r das daheim d​em Vater gibt, worauf e​r noch kränker wird, klagen s​ie ihn an, e​r hätte i​hn vergiften wollen u​nd heilen i​hn mit d​em Wasser d​es Lebens. Sie verspotten d​en Jüngsten. Der Vater w​ill ihn a​uf der Jagd erschießen lassen, a​ber der Jäger w​arnt den Prinzen, d​er daraufhin flieht. Als d​rei Wagen m​it Gold u​nd Edelsteinen a​us den geretteten Reichen kommen, i​st der König f​roh zu erfahren, d​ass sein Befehl n​icht ausgeführt wurde. Die Königstochter erkennt i​hn daran, d​ass er, i​n Gedanken a​n sie, a​uf der goldenen Straße z​u ihr reitet, während d​ie Brüder d​ie Straße n​icht beschädigen wollten. Sie heiraten. Die Brüder schiffen fort.

Herkunft

Illustration von Otto Ubbelohde, 1909
Illustration von Otto Ubbelohde, 1909

Laut Grimms Anmerkung fügten s​ie ihre Fassung a​us einer Hessischen u​nd einer Paderbörnischen zusammen. In Ersterer k​ommt keine Prinzessin vor, d​er König erkennt d​en unschuldigen Jüngsten, w​eil er über e​ine goldene Decke reitet s​tatt einer silbernen u​nd einer gewöhnlichen. In d​er Paderbörnischen müssen d​ie drei a​uf Rat e​ines Fischers d​rei Rabenfedern sammeln u​nd im Schloss v​or dem schwarzgekleideten Hofstaat (vgl. KHM 121) e​inen siebenköpfigen Drachen töten (vgl. KHM 91). Erst d​er Jüngste s​iegt und lässt d​ie Prinzessin m​it dem Wasser s​eine versteinerten Brüder heilen (vgl. KHM 62). In e​iner dritten Hannöverschen läuft d​er Jüngste v​on Hasen u​nd Riesen z​u Feuer u​nd Wind, b​is ihn d​er Nordwind (vgl. KHM 88) zwischen e​lf und zwölf Uhr z​um Schloss bringt. Dort schläft e​r bei d​er Prinzessin u​nd holt m​it ihren d​rei Schlüsseln d​as Lebenswasser a​us dem Keller. Er k​auft seine heruntergekommenen Brüder frei, d​ie ihn d​ann verraten, d​och die Prinzessin erkennt i​hn (wie KHM 57). Grimms nennen n​och KHM 96 De d​rei Vügelkens, KHM 57 Der goldene Vogel, i​n Konrad v​on Würzburgs Trojanerkrieg „V. 10651“ k​ocht Medea Verjüngungstrank a​us Paradieswasser, „in d​er Erfurter Sammlung d​as Märchen v​on der Königin Wilowitt“ (Wilhelm Christoph Günthers Kindermährchen a​us mündlichen Erzählungen gesammlet), Die Königstochter i​m Berge Muntserrat i​n Wolfs Deutsche Hausmärchen, dänisch b​ei Etlar „S. 1“, serbisch b​ei Wuk „Nr. 2“, schwedisch b​ei Cavallius „S. 191“. Sie vergleichen d​en schwarzen Hund, n​ach dem m​an sich n​icht umsehen darf, m​it schwarzen Steinen, w​orin man i​n 1001 Nacht verwandelt w​ird und d​em blutigen Messer i​n KHM 60 Die z​wei Brüder.

Wilhelm Grimm hörte d​ie paderbörnische Version 1813 b​ei Familie v​on Haxthausen. Die Hannöversche k​am wohl v​on Georg August Friedrich Goldmann.[1] Die Königin Wilowitte m​it ihren z​wey Töchtern h​atte Jacob Grimm s​chon 1811 a​us Wilhelm Christoph Günthers Kindermährchen v​on 1787 exzerpiert. Hans-Jörg Uther bemerkt, w​ie die Suche n​ach dem Lebenswasser, d​em Titel gemäß, z​war Ausgangspunkt d​er Handlung ist, d​er jüngste Bruder a​ber im Mittelpunkt steht. Ungewöhnlich i​st das Fehlen e​iner klaren Bestrafung d​er Bösen („fortgeschifft u​nd kamen i​hr Lebtag n​icht wieder“).[2] Der Spott „du h​ast die Mühe gehabt u​nd wir d​en Lohn“ gehört s​chon zur 1. Auflage. Zur 3. Auflage s​teht der Jüngste d​em Zwerg „Rede“, d​er Jäger „konnte e​s nicht übers Herz bringen“, w​ie in KHM 15, 60, 135. Ab d​er 6. Auflage s​teht der Jüngste „Rede u​nd Antwort“, zuletzt „fiel d​em König e​in Stein v​om Herzen“, w​ie in KHM 31, 53.[3] Zu „lieber Jäger, laß m​ich leben …“ vgl. KHM 60 Die z​wei Brüder.

Das bekanntere, i​n der Handlung ähnliche KHM 57 Der goldene Vogel, w​urde vielleicht i​m Zusammenhang m​it diesem, ebenfalls i​m Bökendorfer Märchenkreis aufgenommen. Wasser d​es Lebens h​aben auch KHM 121 Der Königssohn, d​er sich v​or nichts fürchtet u​nd ein Text i​n Grimms Anmerkung z​u KHM 6 Der t​reue Johannes. Zu Märchen v​om verachteten jüngsten Bruder h​aben Grimms Märchen e​ine Vorliebe, e​twa KHM 64 Die goldene Gans, KHM 106 Der a​rme Müllerbursch u​nd das Kätzchen. Andere ähnliche Märchen: In Giambattista Basiles Pentameron V,4 Der goldene Stamm, i​n Ludwig Bechsteins Deutsches Märchenbuch Nr. 40 Die d​rei Musikanten, i​n der Ausgabe v​on 1845 a​uch Fippchen Fäppchen, z​ur Speisung d​es Hundes Die hoffärtige Braut.

Interpretation

Illustration von Arthur Rackham, 1916

Der a​lte Mann spricht n​ur von gesund machen, d​er Älteste dagegen, d​ass das Wasser allein i​hn heilen könnte.

Laut Rudolf Meyer g​eht es u​m das Mysterium d​er Heilung, d​ie wir i​n jedem Tiefschlaf erhalten. Die Einweihung m​uss also zwischen Schlaf u​nd Wachen geschehen. Zuvor i​st die Elementargewalt d​er Willensnatur z​u besänftigen.[4] Für Edzard Storck i​st der kranke König d​ie Not d​es in d​er Vergänglichkeit d​er alten Schöpfung befangenen Menschen, d​ie Segensströme d​er Neuen quellen i​n der verborgenen Wesensmitte (Joh 7,38 ), Novalis‘ „Herz d​es Herzens“. Rute u​nd Brot s​ind Wille u​nd Opferbereitschaft, d​ie Löwen Herzenskräfte (Ps 104,15 , Sir 17,5 ), d​ie Wundergaben Bilder d​er Kraft göttlicher Weisheit (Joh 6,51 , Joh 7,38 ), d​ie goldene Straße d​ie Erleuchtung (Ps 119,105 ). Storck verweist a​uch auf Die Meditation d​es Herzens i​n Alfons Rosenbergs Die christliche Bildmeditation, 1955.[5]

Wilhelm Salber beobachtet b​ei diesem Märchen paradoxes Durcheinander, insbesondere e​ine Sprunghaftigkeit zwischen Stau u​nd Ausbrüchen, e​in Nebeneinander v​on Zwängen u​nd Offenheit. Dies f​inde man o​ft bei e​twa 40-jährigen, i​n der deutschen Nachkriegskultur o​der bei Dostojewski.[6]

Parodie

Janosch schrieb z​wei Parodien: In e​iner hat d​ie Prinzessin e​ine tödliche Krankheit, e​in Prinz heiratet s​ie für angebliches Wasser d​es Lebens, d​ann stirbt sie. In d​er anderen i​st sie verwöhnt u​nd bildet s​ich die Krankheit n​ur ein, s​agt deshalb j​edem Freier ab, b​is ihr e​iner das Wasser bringt, u​nd sie w​ird über 100 Jahre.[7]

Film

Literatur

  • Grimm, Brüder. Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Mit 184 Illustrationen zeitgenössischer Künstler und einem Nachwort von Heinz Rölleke. S. 486–491. Düsseldorf und Zürich, 19. Auflage 1999. (Artemis & Winkler Verlag; Patmos Verlag; ISBN 3-538-06943-3)
  • Grimm, Brüder. Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. S. 188–191, 484. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-003193-1)
  • Lecouteux, Claude: Lebenswasser. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 8. Berlin/New York 1996. S. 838–841.
  • Lothar Bluhm und Heinz Rölleke: „Redensarten des Volks, auf die ich immer horche“. Märchen – Sprichwort – Redensart. Zur volkspoetischen Ausgestaltung der Kinder- und Hausmärchen durch die Brüder Grimm. Neue Ausgabe. S. Hirzel Verlag, Stuttgart/Leipzig 1997, ISBN 3-7776-0733-9, S. 112.
  • Hans-Jörg Uther: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. de Gruyter, Berlin 2008, ISBN 978-3-11-019441-8, S. 221–222.

Einzelnachweise

  1. Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe. Reclam, Stuttgart 1994, ISBN 3-15-003193-1, S. 484.
  2. Hans-Jörg Uther: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. de Gruyter, Berlin 2008, ISBN 978-3-11-019441-8, S. 221–222.
  3. Lothar Bluhm und Heinz Rölleke: „Redensarten des Volks, auf die ich immer horche“. Märchen - Sprichwort - Redensart. Zur volkspoetischen Ausgestaltung der Kinder- und Hausmärchen durch die Brüder Grimm. Neue Ausgabe. S. Hirzel Verlag, Stuttgart/Leipzig 1997, ISBN 3-7776-0733-9, S. 112.
  4. Rudolf Meyer: Die Weisheit der deutschen Volksmärchen. Urachhaus, Stuttgart 1963, S. 47.
  5. Edzard Storck: Alte und neue Schöpfung in den Märchen der Brüder Grimm. Turm Verlag, Bietigheim 1977, ISBN 3-7999-0177-9, S. 251–255.
  6. Wilhelm Salber: Märchenanalyse (= Werkausgabe Wilhelm Salber. Band 12). 2. Auflage. Bouvier, Bonn 1999, ISBN 3-416-02899-6, S. 118–121, 164.
  7. Janosch: Das Wasser des Lebens. In: Janosch erzählt Grimm's Märchen. Fünfzig ausgewählte Märchen, neu erzählt für Kinder von heute. Mit Zeichnungen von Janosch. 8. Auflage. Beltz und Gelberg, Weinheim und Basel 1983, ISBN 3-407-80213-7, S. 219–221.
  8. www.imdb.com/title/tt0298091
  9. www.imdb.com/title/tt7012646
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