Mithras
Mithras ist eine römische Gottheit und als Göttergestalt eine mythologische Personifizierung der Sonne, die im Mithraismus verehrt wurde. Der Name Mithras geht auf den Gott Mithra aus der iranischen Mythologie zurück. Jedoch weist der römische Mithras bestimmte Unterschiede zum Mithra der iranischen Völker auf, so dass die beiden trotz der gemeinsamen Ursprünge nur in einer indirekten Beziehung zueinander stehen.
Mithra in Persien
Mithra (avestisch Miθra und Miθrō, altpersisch Miθra, mittelpersisch Mihr und neupersisch مهر, DMG Mehr, Mihr mit der Bedeutung „Licht, Sonne, Barmherzigkeit, Freundschaft, Liebe“)[1] ist im Gebiet des späteren Perserreichs bereits seit dem 14. Jahrhundert v. Chr. belegt und in der frühen Zeit vermutlich weitgehend identisch mit dem altindischen (vedischen) Gott Mitra. Der Name Mithra bedeutet im Altpersischen „Vertrag“. Im Altindischen bedeutet Mitra „Vertrag“ oder „Freund“. Beide gehen wohl auf die proto-indo-iranische Wortwurzel *mi-tra- („Vertrag“, „Eid“) zurück.
Im Persischen Reich und in Indien war Mithra ein Gott des Rechtes und des Bündnisses sowie seit der Zeit der Parther auch ein Licht- bzw. Sonnengott. Er war der Führer zur rechten Ordnung („Asha“ in der Religion Zoroastrismus) und wachte auch über die kosmische Ordnung, wie den Wechsel von Tag und Nacht und die Jahreszeiten. Er pflegte die Tugend der Gerechtigkeit, schützte die Gläubigen und strafte die Ungläubigen. Er wurde auf einem Streitwagen dargestellt, der von weißen Pferden gezogen wurde. Seine Waffen waren ein silberner Speer, er trug einen goldenen Panzer und war mit Pfeilen, Äxten, Keulen und Dolchen ausgerüstet. Seine Keule war eine Waffe gegen den Geist des Bösen Angra mainju (Ahriman). Seine wichtigste Aufgabe war es, das königliche Glück und die göttliche Gnade zu schützen.
Zarathustra bekämpfte den Mithra-Kult angeblich, doch ist dies unsicher. Denn andererseits kam der Gottheit bereits in der Achämenidenzeit eine hohe Bedeutung zu; Mithra gehörte offenbar früh zu den drei wichtigsten Göttern im Iran. So bittet der Großkönig Artaxerxes II. in seiner Inschrift in Susa Ahura Mazda, Mithra und Anahita um Beistand. Zudem erscheint Mithra bereits in einem der ältesten Yašts des Avesta, einer Hymne, welche dieser Gottheit gewidmet ist und ihren Namen trägt (Mihr Yašt).
Auch in der Spätantike zählte Mithra (Mihr) neben Ahuramazda (Ohrmazd) und Anahita (Anahid) zu den wichtigsten Göttern in Persien und erschien teils in den Felsreliefs der Großkönige. Spätestens in dieser Zeit war seine Verehrung auch in den Zoroastrismus integriert worden. Mit der Zeit kam es zu einer immer stärkeren Vermischung der Lehren Zarathustras mit der der Anhänger Mithras – insbesondere unter den Magiern der Sassanidenzeit (seit 224 n. Chr.). Seit der Herrschaft der Parther hatte Mithra zudem – wie bereits erwähnt – einige Attribute eines Sonnengottes angenommen, so etwa eine Strahlenkrone.
Mitra/Mithras in Kleinasien
Erste Aufzeichnungen über Mitra in Kleinasien sind durch Tontäfelchen aus Ḫattuša, der Hauptstadt des Hethiterreiches, bekannt, auf denen ein Vertrag zwischen den Hethitern und ihrem Nachbarvolk, den Mitanni, abgeschlossen wurde. Auf diesen, in das 14. Jahrhundert v. Chr. datierten Täfelchen gilt Mitra als Schirmherr des Vertrages. In den folgenden Jahrhunderten wurde in Kleinasien der Name Mitra/Mithra hellenisiert zu Mithras. Es ist wohl diese kleinasiatische Variante des Kultes, die später den Ausgangspunkt des römischen Mithraismus bilden sollte.
Verschiedene Herrschernamen im Pontischen Reich und anderen hellenistischen Monarchien sowie der Parther lauten Mithridates = „Von Mithra Gegeben“. Der erste, Mithridates I. aus Pontus, führte diesen Namen ab 281 v. Chr. Bekannt wurde Mithridates VI. (Eupator), der nahezu ein halbes Jahrhundert lang zwischen dem Römischen Reich und den Parthern paktierte.
Mithras im Römischen Reich
Laut Plutarch lernten die Römer den Kult durch Seeräuber aus Kilikien kennen, die von Pompeius 67 v. Chr. entscheidend bekämpft wurden. Durch römische Legionäre gelangte der sittlich strenge, ausschließlich auf Männer abgestellte Mithraskult danach in das Römische Reich.
In der modernen Forschung wird abweichend hiervon hingegen vermehrt die These vertreten (vgl. besonders R. Merkelbach und M. Clauss), dass der römische Mithraskult vielmehr eine römische Neuschöpfung gewesen sei, die vom iranischen Kult nur peripher beeinflusst wurde: Im 1. Jahrhundert n. Chr. habe ein heute unbekannter Stifter diesen neuen Kult unter Rückgriff auf orientalische Elemente in Italien (genauer: in Rom) ins Leben gerufen.
Neben dieser existieren noch weitere moderne Hypothesen zum Ursprung des römischen Mithraskultes. Dieser erreichte jedenfalls seinen Höhepunkt im 2. und 3. Jahrhundert und unterlag im 4. Jahrhundert dem nunmehr staatlich geförderten Christentum, das im Jahr 380 zur alleinigen römischen Staatsreligion erhoben wurde. Es dauerte allerdings noch länger, bis der Kult ganz unterdrückt worden war. In Baalbek wurde der große Haupttempel des Sol Invictus Mithras erst im Jahr 554 aufgegeben, nachdem er nach einem Blitzeinschlag ausgebrannt war.[3]
Umstritten ist, wie verbreitet der Kult tatsächlich war und welche gesellschaftliche Bedeutung er besaß. Eine wirkliche Konkurrenz zu dem ganz anders ausgerichteten und strukturierten Christentum scheint er nicht gewesen zu sein – schon wegen des Ausschlusses von Frauen: Während das Christentum vielfach von Müttern an ihre Kinder weitergegeben wurde, konnte der Mithraskult neue Anhänger nur durch Mission gewinnen.[4]
Mythologie
Man weiß nur wenig Genaues über den römischen Mithraskult und seine Mythologie. Das hat zwei Hauptgründe: Zum einen war der Kult in seiner römischen Variante eine Mysterienreligion, deren Anhängern streng verboten war, Konkretes über Glaubensinhalte und Rituale zu erzählen oder niederzuschreiben. Zum anderen bemühte sich das siegreiche Christentum, die Erinnerung an den Mithraskult zu unterdrücken. Daher ist es nahezu unmöglich, Sicheres zum Mithraskult zu sagen (auch wenn in der Forschungsliteratur teils anderes suggeriert wird). Fast alles ist umstritten.
Mithras wurde von einem Vatergott ausgeschickt, die Welt zu retten. Er wurde aus einem Stein in einer Felsenhöhle geboren, der von den Mythen als Petra Genetrix („Mutterfelsen“) angerufen wurde. Demnach spricht man von einer Felsgeburt. Die mithräische Ikonographie stellt Mithras als Jüngling dar, der eine phrygische Mütze trägt. Die Innenseite seines Umhangs ist oft wie ein Sternenhimmel dekoriert.
Zentral in der mithräischen Ikonographie ist das Motiv einer Stiertötung. Zur Darstellung und verschiedenen Deutungen der Stiertötungsszene im Mithraismus siehe den Artikel Tauroktonie.
Mithras als Sonnengott
Ähnlich wie der persische Gott Mithra Jahrhunderte zuvor schon als Sonnengott verehrt worden war, bekam Mithras auch bei den Römern oft den Beinamen Sol invictus (lat. „der unbesiegte Sonnengott“). Viele antike Abbildungen zeigen Mithras gleichrangig mit dem Sonnengott Sol oder als Sieger über diesen. Da Mithras und Sol nicht identisch waren, sollte der Beiname möglicherweise ausdrücken, dass Mithras von Sol die Rolle des Kosmokrators (Beherrschers des Kosmos) übernommen hatte. Zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert war Sol invictus Mithras eine der beliebtesten Gottheiten unter römischen Nichtchristen.
Archäologische Stätten
Die Mithras-Tempel heißen Mithräen. Typischerweise enthielten sie zwei lange Reihen von Liegen, die durch einen Mittelgang voneinander getrennt waren, der vom Eingang auf das Kultbild hinführte. Dieses zeigte die Stiertötung durch Mithras, oft ergänzt um weitere Szenen und Symbole mit umstrittener Bedeutung. Die Mithräen sind relativ klein, also auf nur kleine Kultgemeinschaften ausgerichtet, und waren offenbar oft nicht lange in Benutzung, so dass ihre große Anzahl nichts über die Zahl der Anhänger insgesamt aussagt. Offenbar durfte die Kultgemeinde eine gewisse Größe nicht überschreiten; um dies zu vermeiden, wurden oft mehrere Mithräen an einem Ort gegründet. Sie wurden mit der Christianisierung Europas und dem damit verbundenen Ende des Mithraismus weitgehend zerstört (die übrigen verfielen), aber ihre archäologischen Überreste sind heute noch im gesamten Gebiet des Römischen Reiches zu finden, von der Iberischen Halbinsel bis Kleinasien, von den Britischen Inseln bis zur Küste Nordafrikas. Etliche Mithräen wurden auch in Südwestdeutschland gefunden, etwa in Saarbrücken und in Schwarzerden im Saarland, Dieburg und Heidelberg. Auch im bosnischen Jajce gibt es Zeugnisse des Mithraskultes.
Ein besonders gut erhaltenes Mithräum findet sich in Italien, in der Ortschaft Santa Maria Capua Vetere (nahe Caserta). Es wurde im Jahre 1924 entdeckt. Die Decken sind bemalt und mit Stuck dekoriert und zeigen Motive aus dem Mithras-Mythos (unter anderem die Stiertötung durch Mithras). Ein weiteres erhaltenes Mithräum ist in der Römerstadt Ostia Antica zu besichtigen.
Quellenausgaben und Übersetzungen
- Maarten J. Vermaseren (Hrsg.): Corpus inscriptionum et monumentorum religionis Mithriacae. Den Haag 1956–1960.
- Hans Dieter Betz (Hrsg.): The Mithras Liturgy (= Studien und Texte zu Antike und Christentum. Band 18). Mohr Siebeck, Tübingen 2005 (Text, Übersetzung und Kommentar).
Literatur
Übersichtsdarstellungen
- Richard L. Gordon: Mithras. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Band 24, Hiersemann, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-7772-1222-7, Sp. 964–1009.
Gesamtdarstellungen und Untersuchungen
- Roger Beck: The Religion of the Mithras Cult in the Roman Empire. Mysteries of the Unconquered Sun. Oxford University Press, Oxford 2006.
- Manfred Clauss: Mithras. Kult und Mysterien. Philipp von Zabern, Darmstadt 2012, ISBN 978-3-8053-4581-1.
- Thorsten Fleck: Isis, Sarapis, Mithras und die Ausbreitung des Christentums im 3. Jahrhundert. In: Klaus-Peter Johne, Thomas Gerhardt, Udo Hartmann (Hrsg.): Deleto paene imperio Romano. Transformationsprozesse des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert und ihre Rezeption in der Neuzeit. Steiner, Stuttgart 2006, ISBN 3-515-08941-1, S. 289–314.
- Attilio Mastrocinque: The Mysteries of Mithras. A Different Account (= Orientalische Religionen in der Antike. Ägypten, Israel, Alter Orient. Band 24). Mohr Siebeck, Tübingen 2017, ISBN 978-3-16-155112-3.
- Campos Méndez: El dios Mitra: orígenes de su culto anterior al mitraísmo romano. Ed. ULPGC, Las Palmas de Gran Canaria 2006, ISBN 84-96502-71-6.
- Reinhold Merkelbach: Mithras. Ein persisch-römischer Mysterienkult. Wiesbaden 2005, ISBN 978-3-928127-61-5.
- Jean-Christophe Piot: Les Lions de Mithra. Gramond-Ritter, Marseille 2006, ISBN 2-35430-001-8.
- Alexander von Prónay: Mitra: un antico culto misterico tra religione e astrologia. Convivio, Florenz 1991.
- Michael Schütz: Hipparch und die Entdeckung der Präzession (Bemerkungen zu David Ulansey: Die Ursprünge des Mithraskultes). In: Electronic Journal of Mithraic Studies (uhu.es; 53 kB).
- Elmar Schwertheim: Mithras. Seine Denkmäler und sein Kult (= Antike Welt, Sondernummer 10). Feldmeilen 1979.
- Robert Turcan: Mithra et le Mithriacisme. Les Belles Lettres, Collection Histoire, Paris 1993, ISBN 2-251-38023-X.
- David Ulansey: Die Ursprünge des Mithraskults. Kosmologie und Erlösung in der Antike. Stuttgart 1998, ISBN 3-8062-1310-0.
- Maarten J. Vermaseren: Mithras. Geschichte eines Kultes. Stuttgart 1965.
- David Walsh: The Cult of Mithras in Late Antiquity: Development, Decline and Demise. Leiden 2019.
- Sebastian Buck: Mithras. Geschichte einer Gottheit. Steinfurt 2021, ISBN 979-85-9149141-3.
- Maria Weiß: Als Sonne (v)erkannt - Mithras. Osterburken 1996, ISBN 3-9805275-0-6.
Weblinks
- Monografische Seite über den Mithraismus
- Mithrakult (Mehrayini) in Iran und in Europa
- David Ulansey: The Cosmic Mysteries of Mithras (englisch)
- Der Mithraskult – wissenschaftliche Hausarbeit mit Darstellung der Grundzüge und der wichtigsten Theorien zum Kult
- Die Ikonographie Mithras (PDF, englisch) (Memento vom 11. April 2008 im Internet Archive) (88 kB)
- Das Sol-Mithras-Relief von Ladenburg im Lobdengau-Museum bei YouTube.
Anmerkungen
- Vgl. F. Steingass: Persian-English Dictionary. 6. Aufl., London 1977.
- Angaben zur Abbildung nach: G. Herrmann. Archäologie in Wort und Bild. Band: Die Wiedergeburt Persiens. Lizenzierte Übersetzung aus dem englischen Original The Iranian Revival (1975), Elsevier Publishing Projects S. A., Lausanne. Hinweis: Die Identifikation der rechten Figur als Ahura Mazda ist in einigen Quellen umstritten. Möglicherweise ist auch Ardaschirs Vorgänger Schapur II. abgebildet, in dessen Armee Ardaschir II. als General am Sieg über den römischen Kaiser Julian Apostata in dessen Persienfeldzug beteiligt war. Zu Füßen des Großkönigs wäre somit der besiegte römische Kaiser zu identifizieren.
- Die Spätantike: römische Geschichte von Diocletian bis Justinian, 284-565 n. Chr. C.H.Beck, 2007, ISBN 978-3-406-55993-8, S. 502 (books.google.de).
- Quellenangabe fehlt!