AGM-88 HARM
Die AGM-88 HARM (High-Speed-Anti-Radiation-Missile) ist eine Luft-Boden-Rakete, die speziell zur Bekämpfung von bodengestützten Radaranlagen entwickelt wurde. Produziert wird sie heute von dem US-Konzern Raytheon, ursprünglich wurde sie aber von Texas Instruments entwickelt und eine Zeit lang produziert. Die Vorgänger der HARM waren die AGM-78 Standard ARM und die AGM-45 Shrike. Die US Air Force, die US Navy und das US Marine Corps erhielten bis ins Jahr 2000 über 19.600 Stück der AGM-88 HARM. Die Bundeswehr beschaffte für die Luftwaffe und Marine bis 1997 rund 1.000 Stück. Der Stückpreis lag im Jahr 2000 bei rund 317.000 US-Dollar.
AGM-88 HARM | |
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Allgemeine Angaben | |
Typ | Luft-Boden-Rakete |
Heimische Bezeichnung | AGM-88 HARM |
Herkunftsland | USA |
Hersteller | Texas Instruments, danach Raytheon Corporation |
Entwicklung | Texas Instruments |
Indienststellung | 1983 |
Einsatzzeit | 1983 bis heute |
Stückpreis | 284.000 US-Dollar 870.000 US-Dollar für AGM-88E |
Technische Daten | |
Länge | 4170 mm |
Durchmesser | 254 mm |
Gefechtsgewicht | 363 kg |
Spannweite | 1120 mm |
Antrieb | Feststoffraketentriebwerk |
Geschwindigkeit | 2286 km/h |
Reichweite | 150 km |
Ausstattung | |
Zielortung | Passive Radarortung mit home-on-jam; Aktive MMW-Fahrzeugortung in der E-Version. 500–20.000 MHz bei AGM-88C |
Gefechtskopf | WDU-21/B Splittersprengkopf WAU-7/B; später WDU-37/B, 66 kg |
Zünder | Laser-Abstandszünder FMU-111/B |
Listen zum Thema |
Beschreibung
Den Kern des Lenksystems bildet ein Breitband-Funkempfänger, der einen Frequenzbereich von 0,5–20 GHz überwachen kann. Sobald dieser Empfänger oder die Avionik des Trägerflugzeuges die Radaremissionen eines SAM-Radars wahrnimmt, kann der Suchkopf der HARM auf diese ausgerichtet und die Rakete abgefeuert werden. Sie orientiert sich nun bis zum Einschlag an den von dem Radar abgestrahlten elektromagnetischen Wellen. Die frühen Versionen dieser Waffe konnten noch durch das Abschalten des Radars irritiert werden, spätere Versionen verfügen jedoch über eine INS- und/oder GPS-Navigationseinheit, die es der Rakete ermöglichen, die letzte bekannte Position der Radaranlage anzufliegen. Die in der Entwicklung befindliche AGM-88E AARGM (siehe unten) kann darüber hinaus auch mobile Radare nach deren Abschaltung mittels eines bordgestützten aktiven Radars orten und bekämpfen.
Die HARM ist der wichtigste Bestandteil der sogenannten „Wild-Weasel“-Taktik, die speziell zur Bekämpfung und Niederhaltung von radargelenkten Luftabwehrsystemen entwickelt wurde.
Betriebsmodi
Die HARM verfügt über vier grundlegende Betriebsmodi:
- Pre-Briefed (PB)
- In diesem Modus werden dem Lenkflugkörper vor dem Start die Koordinaten und die Identität der feindlichen Radaranlage durch die Bordavionik des Trägerflugzeuges mitgeteilt. Er kann dann in einem Schleuderwurf zur Erhöhung der Reichweite gestartet werden.
- Equations-Of-Motion (EOM)
- EOM ist im Grunde ein erweiterter PB-Modus. Der Unterschied besteht darin, dass bei diesem Verfahren dem Trägerflugzeug die Entfernung und Charakteristik der feindlichen Radaranlage bekannt sein muss. Dadurch kann die HARM das Ziel direkter und schneller anfliegen. Hierzu wird jedoch eine spezielle Avionik benötigt, die nur SEAD-Kampfflugzeuge besitzen (z. B. das ELS (Emitter Locator System) des Tornado ECR).
- Targets Of Opportunity (TOO)
- In diesem Modus schaltet der Suchkopf der HARM (60°-Sichtfeld) bereits vor deren Start auf ein Ziel auf. Dadurch wird keine komplexe Bordavionik benötigt, was den Lenkflugkörper kompatibel mit nicht spezialisierten Plattformen macht.
- Self Protect (SP)
- Dieser Modus ist zum Selbstschutz des Trägerflugzeuges ausgelegt. Die HARM ist hier an den Radarwarnempfänger des Trägerflugzeuges gekoppelt. Sollten die Sensoren eine Radaranlage erfassen, wird die HARM, nach dessen Auswahl durch den Piloten (Designation) und dessen Feuerbefehles, nahezu verzögerungsfrei auf diese abgefeuert.
Varianten
AGM-88A
Sie ist mit einem raucharmen Feststoffraketenantrieb sowie einem 66 kg schweren Gefechtskopf ausgestattet, der bei seiner Zündung in etwa 25.000 Stahl-Fragmente zerfällt. Die AGM-88A wird oft auch als AGM-88 Block I bezeichnet, denn ab 1986 wurde die AGM-88 Block II produziert, die seit 1987 AGM-88B heißt. Später ging man dazu über, nur noch Software-Updates Block zu nennen. Die Rakete wurde 1983 bei der US-Luftwaffe und -Marine eingeführt.
AGM-88B
Sie verwendet einen verbesserten Suchkopf und neue Software (Block II). Ebenfalls wurde die Computerhardware der Rakete verbessert, damit sie mit der neuen Software (Block III), die ab 1990 verfügbar war, umgehen konnte. Darüber hinaus konnte die Software nun auch kurz vor einem Einsatz neu programmiert werden, was eine genauere Abstimmung auf die zu erwartende Gefahrenlage zuließ. Früher war dieses Verfahren nur in den Fabriken des Herstellers möglich.
AGM-88C
Ab 1993 wurde die C-Version der HARM eingesetzt. Es wurde der Gefechtskopf verbessert, der jetzt bei seiner Zündung in 12.800 Wolframsplitter zerfällt. Der Suchkopf erfuhr eine umfassende Leistungssteigerung, wozu unter anderem ein breiterer Frequenzbereich (0,5–20 GHz), ein stärkerer Signalprozessor und eine erhöhte Empfangsempfindlichkeit zählen. Die Suchköpfe aller AGM-88C werden von Texas Instruments (C-1) und Loral (C-2) hergestellt. Anfänglich wurde die Rakete mit der Block-IV-Software ausgeliefert, später kamen noch zwei Updates heraus, Block V für die 88C und Block IIIB für die älteren 88B-Raketen. Mit diesen Updates wurde auch der HOJ-Modus eingeführt, der es der Rakete ermöglicht, Störsender (z. B. GPS-Jammer) zu erfassen und zu bekämpfen.
AGM-88D
Das aktuelle Update Block VI wurde in Zusammenarbeit zwischen den USA (Raytheon), Deutschland (BGT) und Italien (Alenia) entwickelt. Es wurde ein GPS-Empfänger eingebaut, so dass die Rakete ein abgeschaltetes Radar nun präziser treffen kann. Bei den US-Streitkräften ist die Block-VI-Variante als AGM-88D bekannt. Da Deutschland und Italien nur die alten B-Versionen haben, läuft die Rakete dort unter dem Namen AGM-88B Block IIIa.
AGM-88E AARGM
Bei der AARGM (Advanced Anti-Radiation Guided Missile) handelt es sich um eine verbesserte Block-VI-Rakete, bei der neben dem GPS jetzt ein MWR-Radarsuchkopf (Millimeterwellenradar) verwendet wird, der von Alliant Techsystems entwickelt wird. Dadurch wird auch die Bekämpfung von mobilen radarbasierten Flugabwehrsystemen (z. B. 96K6 Panzir) möglich, auch wenn diese ihr Radar abschalten und sich fortbewegen. Die Position des Zieles kann für eine mögliche spätere Wirkungsaufklärung kurz vor dem Einschlag der Waffe an einen Satelliten übermittelt werden. Ferner wurde die Computerhardware völlig neu entwickelt. Die ersten Abschusstests fanden im Mai 2007 statt, seit 2009 ist die Waffe in Dienst gestellt.
Die Bestellung von 91 modernisierten AGM-88E zusammen mit Übungsraketen, Telemetriesystemen, Flugdatenschreibern, technischer und logistischer Unterstützung im Gesamtwert von 108 Mio. Euro für die deutsche Luftwaffe wurde 2019 durch das Außenministerium der Vereinigten Staaten genehmigt.[1] Der Verkauf erfolgt durch Northrop Grumman Innovation Systems, vormals Orbital ATK. Das Angebot, gemeinschaftlich mit Diehl Defence, wurde 2016 durch das Bundesministerium der Verteidigung akzeptiert. Diehl wird Produktion und Wartung durchführen. Der Einsatz ist ab 2023 vorgesehen.[2]
AGM-88F HCSM
Eine von Raytheon entwickelte Version mit verbesserter Steuereinheit.
AGM-88G AARGM-ER
Speziell für die Aufnahme in den Waffenschacht der F-35 entwickelte, völlig neue Version mit anderer Form und erhöhter Reichweite.
Einsatz
Das erste Mal wurde die Waffe von den USA im März 1986 während der Operation Attain Document III gegen Libyen im Kampf eingesetzt. Die verwendete A-Version stellte sich als effektives Bekämpfungsmittel gegen die libyschen Flugabwehrsysteme vom Typ S-75, S-125 Newa und S-200 heraus.
Der nächste Einsatz fand während des Zweiten Golfkrieges statt. Es wurden mehr als 2000 Raketen vom Typ AGM-88B Block III abgefeuert. Obwohl sich das Militär zufrieden mit deren Einsatzeffizienz zeigte, verwendete die US Navy – im Gegensatz zur Air Force – später nur noch Block-II-Raketen. Diese Entscheidung lag im Update-Prozess der Block-III-Rakete begründet: Wollte man die Software aktualisieren, so musste die gesamte Rakete eingeschaltet werden, was das – wenn auch geringe – Risiko eines ungeplanten Raketenstarts mit sich brachte. Da dies in den Munitionsdepots eines Flugzeugträgers schlimmste Folgen haben konnte, entschied sich die Navy, auf diese Funktion zu verzichten.
1999 setzte die US Air Force im Rahmen des Kosovo-Krieges die ersten C-Varianten ein. Deutschland verwendete die älteren B-Varianten. Während der Kampfhandlungen kam es zu einigen Problemen mit der HARM. Einige serbische Flugabwehrbatterien erkannten schon früh den Start von HARM-Raketen, was sie veranlasste, ihr Radar sofort abzuschalten. Zwar konnte die Rakete ihren Zielanflug fortsetzen, jedoch wurde die Ungenauigkeit (CEP) des INS dann so groß, dass meist keine nennenswerten Schäden mehr verursacht wurden. Diese Problematik wurde meist auch noch durch die Nähe der feindlichen Luftabwehr zu zivilen Einrichtungen verschärft. Dieser Konflikt gab auch den Anlass zur Entwicklung der D-Variante, die mit GPS-Unterstützung präziser gelenkt wird.
Es ist wahrscheinlich, dass die HARM auch während des Irakkrieges zum Einsatz kam, wobei hierzu keine offiziellen Daten vorliegen.
Nutzer
- Australien: AGM-88B/E mit EA-18G
- Ägypten: AGM-88 mit F-16
- Deutschland: AGM-88B Block IIIB mit Tornado IDS/ECR, 81 AGM-88E ab 2023
- Griechenland: AGM-88B Block IIIA mit F-16C/D
- Italien: AGM-88B Block IIIB /E mit Tornado IDS/ECR
- Kuwait: AGM-88 mit F-18C/D/E/F
- Marokko: AGM-88B/C mit F-16C/D
- Pakistan
- Saudi-Arabien: AGM-88B mit F-15SA
- Spanien: AGM-88B mit EF-18A/B und Taifun
- Südkorea: AGM-88 mit F-15K
- Taiwan: AGM-88B mit F-16A/B
- Türkei: AGM-88B Block III /C/D mit F-16C/D
- Vereinigte Arabische Emirate: AGM-88C mit F-16E/F
- Vereinigte Staaten: AGM-88A/B/C/D/E/G mit A-6E, A-7E, EA-6B, F-4G, F-16C/D, F/EA-18A/B/C/D/E/F/G, F-35A/C
Technische Daten
Kenngröße | Daten der AGM-88 |
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Hauptfunktion: | Taktische Anti-Radar-Rakete |
Hersteller: | Raytheon (Texas Instruments) |
Länge: | 4,17 m |
Durchmesser: | 25 cm |
Spannweite: | 1,12 m |
Startgewicht: | 363 kg |
Antrieb: | einstufige Feststoffrakete |
Geschwindigkeit: | > 2280 km/h |
Reichweite: | 50 km |
Lenkung: | inertial, passive Radaransteuerung, „home-on-jam“ (ab C-Version), GPS (ab D-Version), aktives Radar (nur E-Version) |
Frequenzbereich: | 0,5–20 GHz |
Gefechtskopf: | 66-kg-Splittersprengkopf (PBXN-107-Sprengstoff) |
Zündung: | Laser-Annäherungszünder |
Stückkosten: | 284.000 US-Dollar |
Indienststellung: | 1983 |
Ähnliche Systeme
Weblinks
- Herstellerinformationen (engl.; PDF, 189 kB) (Memento vom 23. November 2008 im Internet Archive)
- Designation-Systems.net (engl.)
- ausairpower.net (engl.)
Einzelnachweise
- Upgrade für Anti-Radar-Raketen der Luftwaffe. Meldung in: Europäische Sicherheit & Technik, Ausgabe 08/2019, S. 9
- Sidney E. Dean: Deutsch-nordamerikanische Zusammenarbeit in der Verteidigungsindustrie. S. 101, In: Europäische Sicherheit & Technik. Ausgabe 08/2019, 68. Jahrgang, Mittler Report Verlag, Bonn, ISSN 2193-746X