Polnisch-ukrainische Beziehungen
Polnisch-ukrainische Beziehungen sind die außenpolitischen Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine.
Polen | Ukraine |
Die beiden Länder haben eine ungefähr 530 km lange gemeinsame Grenze.
Geschichte
Chmelnyzkyj-Aufstand
Gegen den Widerstand der polnisch-litauischen Adligen errichtete Bohdan Chmelnyzkyj 1648 durch einen Vertrag mit dem polnischen König Jan Kazimierz einen eigenständigen ukrainischen Kosakenstaat (Hetmanat) mit Regierungssitz in Tschyhyryn, der aber 1651 durch Bündnisse mit Russland und dem Osmanischen Reich wieder schnell in Abhängigkeiten geriet. Daraufhin wurde die Ukraine zwischen Polen, welches die Rechtsufrige Ukraine erhielt und Russland, das die linksdnieprischen Gebiete bekam, geteilt. Im russischen Teil der Ukraine begann der Aufstieg der Russischen Sprache in der Ukraine, während im polnischen Teil die schon lange anhaltende Polonisierung weitergeführt wurde.
Galizien
Die Polen im österreichischen Teilungsgebiet Galizien hatten nach den Teilungen Polens relativ früh wieder die Möglichkeit, ihre nationalen Empfindungen zu zeigen, insbesondere nach der Autonomiegewährung durch den österreichischen Staat im Jahre 1867. Diese Bewegung wurde dort nicht nur von der städtischen Bevölkerung, sondern auch von Teilen der ländlich-bäuerlichen Schichten getragen. In gleichem Maße wuchs in den östlichen Teilen Galiziens jedoch auch ein ukrainischer Nationalismus, dessen gewalttätig-radikaler Charakter dadurch genährt wurde, dass neben die ethnische Variante des Konflikts eine soziale hinzutrat: Die Mehrzahl der landarmen, bäuerlichen Bevölkerung ukrainischer Nationalität litt erheblich unter dem extensiv wirtschaftenden und gesellschaftlich konservativen Großgrundbesitzertum polnischer Nationalität. Der Konflikt trug somit die Züge einer auch sozialen Spaltung. Die dem Großteil der Bevölkerung kaum bewussten nationalen und kulturellen Trennungslinien konnten demzufolge anhand der für alle klar erkennbaren sozialen Spaltung zwischen gesellschaftspolitischer Elite und sozial sowie ökonomisch deklassierten Schichten definiert werden, wodurch die Betonung der nationalkulturellen Eigenständigkeit der Ukrainer und die Idee ihrer nationalen Unabhängigkeit besondere politische Sprengkraft gewannen. Mit der Struktur der wirtschaftlichen Macht ging die Verteilung der politischen Macht einher: Sie lag fast ausschließlich in der Hand des polnischen Adels. Zudem trennten beide Nationalitäten die konfessionellen Unterschiede. Man kann daher den schwelenden polnisch-ukrainischen Streit als einen Konflikt zwischen einer ehemals privilegierten Nation, die von ihrem Besitzstand an Schulen, Universitäten und politischer Macht nicht lassen wollte, und einer ursprünglich kleinbürgerlich bis bäuerlichen Nation, die ihre Gleichstellung forderte, charakterisieren.
Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg
Im Ersten Weltkrieg verschärftem sich die nationalen Gegensätze, indem die sich bekämpfenden Großmächte Österreich und Russland den polnisch-ukrainischen Gegensatz für ihre jeweiligen Ziele ausnutzten, beide Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielten, was den Konflikt wohl verschärfte und verstetigte. Nach der Niederlage der Mittelmächte und dem Auseinanderfallen des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn strebten sowohl Polen als auch Ukrainer die nationale Staatenbildung an – jeweils auf territoriale, politische und ökonomische Kosten der anderen Seite. Den daraus entstehenden Polnisch-Ukrainischen Krieg gewann Polen; am 17. Juli 1919 wurde eine Waffenruhe vereinbart.
Die Armee der Volksrepublik Ukraine kämpfte an der Seite Polens im Polnisch-Sowjetischen Krieg. Nach der Unterzeichnung des Vertrags von Riga im März 1921 wurden die ukrainischen Soldaten in Polen interniert.
Ostgalizien und das im ehemaligen russischen Teilungsgebiet liegende Wolhynien – beide im ländlichen Bereich überwiegend ukrainisch geprägt – wurden dem wiedererrichteten polnischen Staatswesen angegliedert. Diese Entscheidung führte jedoch zu keiner Lösung der polnisch-ukrainischen Konflikte, sondern trug diese direkt hinein in den jungen polnischen Staat: Ein Sechstel der Gesamtbevölkerung der Zweiten Polnischen Republik waren Ukrainer.
Zeit der Zweiten Polnischen Republik
Insgesamt fiel die Qualität der Lebensverhältnisse der ukrainischen Minderheit noch hinter die in der Habsburgermonarchie zurück: Das spezifisch ukrainische Schulwesen wurde unterdrückt, Ukrainer sukzessive aus dem polnischen Staatsdienst entfernt und orthodoxe Kirchen zerstört. Der soziale Konflikt verschärfte sich zusehends, da der Landbesitz des polnischen Adels und der polnischen Großgrundbesitzer nicht in die Landreform der zwanziger Jahre mit einbezogen wurde. Die Folge war eine weitere Verarmung insbesondere der ukrainischen Landbevölkerung. Zum größten Problem zwischen Polen und Ukrainern wurde jedoch das Bestreben des polnischen Staates und seiner Nationalitätenpolitik, das Polentum durch die Ansiedlung von Polen in den östlichen, ukrainisch bestimmten Gebieten des Landes in Form einer inneren Kolonisation zu verbreiten bzw. zu vertiefen. Dort, wo die Versuche, polnische Siedler aus Zentralpolen anzusiedeln, am stärksten unternommen wurden, wie etwa in Wolhynien, war die Reaktion der mehr und mehr wirtschaftlich, sozial, politisch und kulturell bedrängten ukrainischen Bevölkerung am heftigsten. Zu Anfang der dreißiger Jahre waren Anschläge auf polnische Politiker und staatliche Repräsentanten beinahe an der Tagesordnung. Zuvor hatte sich in der ukrainischen Widerstands- bzw. Untergrundbewegung Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) die Haltung durchgesetzt, dass die Besserung der ukrainischen Lebensverhältnisse und die Erreichung der politischen Ziele nur mit Gewalt gegenüber dem polnischen Staat durchzusetzen seien. Der polnische Staat reagierte mit Repressionsmaßnahmen und gewaltsamen Übergriffen gegen ganze ukrainische Dorfgemeinschaften. Gleichzeitig unternahm man mit Hilfe der polnischen katholischen Kirche Zwangsmissionierungen der orthodoxen Ukrainer und ließ deren Geistliche deportieren. Im Gegenzug zu diesen Formen der polnischen Gegengewalt entwickelte man in der OUN kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erstmals die Idee, die Polen aus den als ukrainisch betrachteten Gebieten zu vertreiben.
Zweiter Weltkrieg
Die abermalige Teilung Polens im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes und der Beginn des Zweiten Weltkrieges mit Einmarsch der Wehrmacht und der Roten Armee führten zu den ersten Deportationen von Polen aus der Heimat. Es gab verschiedene Flucht- und Deportationswellen, von denen die Polen zum einen um 1939/1940 im Zuge des deutschen Einmarsches und dann wieder 1944/1945 im Zuge des Einmarsches der Roten Armee betroffen waren.
In den Gebieten Ostpolens tobte nicht nur der Zweite Weltkrieg, sondern auch ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Polen und ukrainischen Nationalisten (vgl. dazu Massaker in Wolhynien und Ostgalizien). Im Januar 1944 hatte die Rote Armee zwar die polnisch-sowjetische Grenze von 1939 ein erneutes Mal überschritten. Sie war dabei jedoch nicht in der Lage, die polnische Bevölkerung in Wolhynien und Ostgalizien vor den Angriffen der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) zu schützen. Ebenso kam es zu Übergriffen von polnischen Nationalisten auf ukrainische Zivilisten, wie im Massaker von Pawłokoma.
Aussiedlung der polnischen Bevölkerung
Grundlage der Umsiedlungen der sogenannten Repatrianten war die Abtretung von Ostpolen, Ostgalizien und Wolhynien an die Sowjetunion. Vater dieser Idee war Josef Stalin, der erstmals 1943 auf der Konferenz von Teheran eine Westverschiebung Polens auf Kosten Deutschlands und zugunsten der UdSSR anregte. Auf der Konferenz von Jalta, 4.–11. Februar 1945, beschlossen Roosevelt, Churchill und Stalin, dass Polen im Osten von der Curzon-Linie und im Westen von der Oder-Neiße-Linie begrenzt sein sollte. Gleichzeitig wurde von Großbritannien und den USA die von Stalin eingesetzte provisorische polnische Regierung anerkannt. Mit der Konferenz von Potsdam vom 17. Juli bis 2. August 1945 wurde schließlich die „Überführung“ der deutschen Bevölkerung aus den an Polen abgetretenen Gebieten nach Deutschland „in ordnungsgemäßer und humaner Weise“ beschlossen.
Die sich den polnisch-sowjetischen Grenzverträgen anschließende Umsiedlung der Polen aus den östlichen Landesteilen erfolgte also in einem Gebiet, das sich permanent im Kriegszustand befunden hatte. Insbesondere dieser Umstand mag auch Winston Churchill – im Übrigen genauso wie die polnischen Kommunisten – dazu bewogen haben, für die Zukunft einen polnischen Nationalstaat ohne Minderheiten anzustreben und daher dem Drängen Stalins nach einer Westverschiebung Polens einhergehend mit einem Bevölkerungsaustausch nachzugeben:
There will be no mixture of populations to cause endless trouble […]. A clean sweep will be made.
Umsiedlungen der ukrainischen Bevölkerung
1944 bis 1946 wurden etwa eine halbe Million Ukrainer aus den Gebieten des nach Westen verschobenen Polens in die ehemaligen polnischen Ostgebiete umgesiedelt.[1]
1947 fand eine Zwangsumsiedlung ethnischer Ukrainer, sowie Bojken und Lemken, aus dem Südosten in die sog. wiedergewonnenen Gebiete im Norden und Westen der Volksrepublik Polen statt.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion
Polen hat großes Interesse an einer unabhängigen, demokratischen und marktwirtschaftlich orientierten Ukraine. Polen leistet bilateral sowohl humanitäre Hilfe als auch Unterstützung beim Reformprozess in der Ukraine.[2]
Am 18. Mai 1992 wurde in Warschau der bilaterale Vertrag über gute Nachbarschaft, freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit vom polnischen Präsidenten Lech Wałęsa und dem Präsidenten der Ukraine Leonid Krawtschuk unterzeichnet, in dem die gemeinsame Staatsgrenze und die Rechte nationaler Minderheiten anerkannt sowie offenkundige gemeinsame Interessen in der Außenpolitik formuliert wurden.[3]
2012 richtete Polen zusammen mit der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft aus.
Im März 2014 annektierte Russland die Krim und begann einen Krieg im Osten der Ukraine.
2015 gründeten die staatlichen Institute für Nationales Gedenken (IPN in Polen und UNIP in der Ukraine) eine gemeinsame Historikerkommission zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Phase von 1939 bis 1947. Der Kommission gehören je sechs Historiker beider Institute an, die sich im halbjährigen Wechsel jeweils in der Ukraine und in Polen treffen.[4][5]
Am 24. Februar 2022 begannen die Streitkräfte Russlands auf Befehl des russischen Präsidenten Putin den Überfall auf die Ukraine. Polen und viele EU-Länder bekundeten ihre Bereitschaft, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen. Am Ende des 4. März (8. Tag des Krieges) meldete Polen rund 787.300 Flüchtlinge, davon allein 106.400 Flüchtlinge am 4. März.[6] Insgesamt waren zu diesem Zeitpunkt 1,45 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, davon rund 228.700 nach Moldau, 144.700 nach Ungarn, 132.600 nach Rumänien und 100.500 in die Slowakei.[7]
Siehe auch
Literatur
- Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens. Reclam, Stuttgart 2003, ISBN 3-15-010522-6.
- Hans-Jürgen Bömelburg: Die polnisch-ukrainischen Beziehungen 1922–1939. Ein Literatur- und Forschungsbericht. in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge Bd. 39, Nr. 1, 1991 S. 81–102, JSTOR 41048537.
- Andrzej Chojnowski: Koncepcje polityki narodowościowej rządów polskich w latach 1921–1939 (= Polska myśl polityczna XIX i XX wieku. 3). Zakład Narodowy imienia Ossolińskich, Breslau 1979, ISBN 83-04-00017-2.
- Winston S. Churchill: His complete speeches. 1897–1963. Band 7: 1943–1949. Edited By Robert Rhodes James. Chelsea House Publishers, New York u. a. 1974.
- Norman Davies: God’s Playground. A History of Poland. Band 2: 1795 to the present. Oxford University Press, Oxford u. a. 1981, ISBN 0-19-821944-X.
- Piotr Eberhardt: Przemiany narodowościowe na Ukrainie XX wieku (= Biblioteka Obozu. 19). Obóz, Warschau 1994, ISBN 83-90310-90-2.
- Rainer W. Fuhrmann: Polen. Handbuch. Geschichte, Politik, Wirtschaft. Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuausgabe. Fackelträger, Hannover 1990, ISBN 3-7716-2105-4.
- Ryszard Gansiniec: Na straży miasta. In: Karta. Nr. 13, 1994, ISSN 0867-3764, S. 7–27.
- Krystyna Kersten: Polska – państwo narodowe. Dylematy i rzeczywistość. In: Marcin Kula (Hrsg.): Narody. Jak powstawały i jak wybijały się na niepodległość? Państwowe Wydawnictwo Naukowe, Warschau 1989, ISBN 83-01-09112-6, S. 442–497.
- Andrej Kreutz: Polish-Ukrainian Dilemmas: A Difficult Partnership. In: Canadian Slavonic Papers. = Revue Canadienne des Slavistes. Bd. 39, Nr. 1/2, 1997, S. 209–221, JSTOR 40869898.
- Enno Meyer: Grundzüge der Geschichte Polens (= Grundzüge. 14). 2., überarbeitete und um ein Register vermehrte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1977, ISBN 3-534-04371-5.
- Hans Roos: Geschichte der Polnischen Nation. 1918–1985. Von der Staatsgründung im Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Fortgeführt von Manfred Alexander. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1986, ISBN 3-17-007587-X.
- Michał Sobkow: Do innego kraju. In: Karta. Nr. 14, 1994, ISSN 0867-3764, S. 57–68.
- Ryszard Torzecki: Polacy i Ukraińcy. Sprawa ukraińska w czasie II wojny światowej na terenie II Rzeczypospolitej. Państwowe Wydawnictwo Naukowe, Warschau 1993, ISBN 83-01-11126-7.
Weblinks
Einzelnachweise
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine (= Beck'sche Reihe. 1059). C. H. Beck, München 1994, ISBN 3-406-37449-2, S. 224.
- Außenpolitik. Auswärtiges Amt. Abgerufen am 22. Juli 2018.
- Das ukrainisch-polnische Verhältnis in Bundeszentrale für politische Bildung vom 12. Februar 2007; abgerufen am 14. Januar 2019
- Following seven-year break Ukrainian-Polish forum of historians resumes its work. In: Ukraine Today vom 5. November 2015, abgerufen am 1. Juni 2016 (englisch)
- Second meeting of the Polish-Ukrainian Forum of Historians in Warsaw. (Memento des Originals vom 1. Juni 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Meldung auf der Webseite des Institute of National Remembrance, abgerufen am 1. Juni 2016 (englisch)
- Meldung vom 5. März 2022 10:31 Uhr
- Angaben der IOM