Wladimir Wolfowitsch Schirinowski
Wladimir Wolfowitsch Schirinowski (russisch Владимир Вольфович Жириновский, wiss. Transliteration: Vladimir Vol'fovič Žirinovskij; * 25. April 1946 in Alma-Ata, Kasachische SSR, als Wladimir Wolfowitsch Eidelstein) ist ein russischer Politiker und Rechtsanwalt. Schirinowski ist Gründer und Parteivorsitzender der Liberal-Demokratischen Partei Russlands (LDPR), einer im rechtspopulistischen bis rechtsextremen Spektrum angesiedelten russisch-nationalistischen Partei. Sein öffentlicher Auftritt und seine Politik sind ungeachtet eigener jüdischer Abstammung offen antisemitisch und geschichtsvergessen populistisch.
Leben
Wladimir Schirinowski wurde in Alma-Ata geboren, zog 1964 nach Moskau und nahm dort den Familiennamen seines Stiefvaters an, anstelle des bis dahin getragenen seines Vaters, des polnischen Juden Wolf Eidelstein (Эйдельштейн).[1] Von 1964 bis 1970 studierte er an der Lomonossow-Universität Moskau Turkologie (daher spricht er fließend Türkisch), nebenher studierte er auch von 1965 bis 1967 Internationale Beziehungen an der Universität des Marxismus-Leninismus. Von 1972 bis 1977 absolvierte er schließlich ein Fernstudium für Jura und war später als Anwalt tätig.
Politische Karriere
1989 gründete Schirinowski die LDPSU (1992 in LDPR umbenannt),[2] die er als erste Oppositionspartei in Russland bezeichnete. 1991 nahm Schirinowski an Präsidentschaftswahlen der Russischen SFSR teil und erreichte knapp acht Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei den Parlamentswahlen 1993, 1995, 1999, 2003, 2007, 2011 und 2016 wurde seine Partei in das russische Parlament gewählt. Für die Legislaturperioden von 2000 bis 2011 wurde Schirinowski jeweils zu einem der stellvertretenden Duma-Vorsitzenden gewählt.[3]
Unter anderem forderte Schirinowski 1992 die Wiederherstellung der alten russischen Reichsgrenzen von 1917 mit Finnland, Kongresspolen, Belarus und der östlichen Ukraine. Letztere war Kernland der mittelalterlichen Kiewer Rus, die manchen als Wiege der russischen Nation gilt.[4]
Im Dezember 1993 (damals fand die erste Wahl zur Duma im postsowjetischen Russland statt) stellte Schirinowski die deutsch-polnische Grenzziehung in Frage, um mit der Bundesrepublik über den möglichen Verkauf des Gebietes um Kaliningrad (den Norden des ehemals deutschen Ostpreußen einschließlich Königsberg) an Deutschland verhandeln zu können.[5]
Schirinowski wurde mehrfach gegenüber politischen Kontrahenten ausfallend und handgreiflich.[6] So spritzte er in einem TV-Duell im Juni 1995 vor laufender Kamera Orangensaft ins Gesicht von Boris Nemzow, dem damaligen Gouverneur der Oblast Nischni Nowgorod, nachdem Nemzow auf einer Seite der Zeitschrift Playboy einen Satz von Schirinowski zitiert hatte, wonach dieser geprahlt haben soll, mit 200 Frauen geschlafen zu haben.[7] 2003 zettelte er, während des Wahlkampfs zur Parlamentswahl im Dezember 2003, eine Massenschlägerei bei einer Fernsehsendung an. Im Februar 2008 griff er einen Kritiker während einer Talkshow an und schubste ihn.[8]
Sprache und Ideologie Schirinowskis sind geprägt von demagogischen Theorien, Populismus und (trotz seiner eigenen väterlicherseits jüdischen Abstammung) von Antisemitismus. Er leugnete die Existenz Osama bin Ladens und Al-Qaidas und behauptete, wie auch einige Verschwörungstheoretiker, die Terroranschläge am 11. September 2001 seien von der US-amerikanischen Regierung, vielleicht mit Hilfe des Mossad, inszeniert worden. Er behauptete, der US-Kongress sei ein von den Israelis besetztes Territorium.[6] 2007 schlug er vor, im Atlantik russische Atombomben zu zünden, um Großbritannien zu überfluten.[9]
Schirinowski äußerte 2010, er lehne eine Mitgliedschaft Russlands in der NATO ab.[10]
Schirinowski wurde von einer ukrainischen Journalistin während seines Besuchs vom Januar 2013 in der Ukraine mit Sauerkohl beworfen. Er fragte sie nach dem Anlass, worauf sie geantwortet habe, er liebe die Ukraine nicht.[11]
Im Mai 2013 erklärte das Parlament von Kirgisistan Schirinowski zur Persona non grata. Schirinowski hatte zuvor vorgeschlagen, dass Kirgisistan den Yssykköl-See an Russland abtreten soll. Im Gegenzug soll Russland Kirgisistan Schulden in Höhe von 500 Millionen US-Dollar erlassen.[12]
Nach der Annexion der Krim durch Russland schickte Schirinowski den Regierungen Polens, Rumäniens und Ungarns Schreiben, in denen er eine Aufteilung der Ukraine zwischen Russland und den drei Ländern vorschlug.[13] Der Sprecher des polnischen Außenministeriums äußerte sein Bedauern, dass ein Teil der russischen Politiker immer noch nach dem Schema des Ribbentrop-Molotow-Paktes denke.[14] Im April 2014 rief Schirinowski seine Leibwächter bei einer Pressekonferenz dazu auf, die schwangere Journalistin Stella Dubowizkaja zu vergewaltigen. Sie stellte eine Frage zum aktuellen Krieg in der Ukraine, als Schirinowski in Form eines Wutanfalls plötzlich rief: „Wenn ich rufe ‚Christus ist auferstanden‘, fangt ihr an, sie zu vergewaltigen.“[15] Die Ethikkommission der Duma wies daraufhin Schirinowski an, sich öffentlich gegenüber den beschimpften Journalisten zu entschuldigen, verzichtete aber darauf, ein einmonatiges Redeverbot in der Duma zu verhängen.[16] Kanada sanktioniert ihn am 28. April 2014.[17]
Im Zusammenhang mit dem Konflikt Russlands mit der Türkei nach dem Abschuss einer Suchoi Su-24 der russischen Luftwaffe 2015 durch das türkische Militär forderte er, die russische Regierung solle der Türkei mit einem Atomangriff für den Fall drohen, dass die Türkei eine Sperre der Bosporus-Meerenge für russische Schiffe verhänge. „Es ist sehr einfach, Istanbul zu vernichten. Man muss nur eine Atombombe über dem Bosporus abwerfen und die Stadt wird überflutet“, so Schirinowski in einer Rede vor der Duma.[18][19]
Schirinowski und die Europäische Union
Schirinowski behauptet, dass Juden die Weltherrschaft erobert hätten und alle Konzerne und Banken in Europa beherrschen würden, so auch in Russland.[20] Am 12. September 2014 wurde gegen Schirinowski ein Einreiseverbot in die Länder der Europäischen Union und eine Kontensperre verhängt.[21] Daraufhin erklärte Schirinowski in einem Interview, dass er die Anwesenheit seines Namens auf der EU-Sanktionsliste als Anerkennung seiner Verdienste vor dem russischen Volke deutet, dass er demzufolge auf den Vaterlandsverdienstorden II. Klasse (die III. Klasse wurde ihm schon 2011 verliehen) Anspruch erheben könne und dass dies in ihm Stolz und Freude hervorrufe. Er ist der Meinung, Europa werde von den USA unterdrückt. Die europäischen Länder würden sich seiner Sicht nach „bald erheben“, „auf die Straßen strömen in einem europäischen Maidan und die Amerikaner verjagen“.[22] Der Vaterlandsverdienstorden II. Klasse wurde ihm am 18. April 2016 tatsächlich verliehen.
Anfang Februar 2015 äußerte sich Schirinowski während einer Diskussion über die aktuellen Ereignisse in Europa in der Sendung Sonntagabend auf Rossija 1 folgendermaßen: „Müller wacht in kaltem Schweiß auf und wendet sich an Stierlitz, ihm seinen Traum erzählend: Stierlitz, weißt du, dass jetzt ein Weib das Dritte Reich führt und auf den Straßen Berlins Schwule anstatt Soldaten marschieren, kannst Du dir denken, keine Sturmabteilungen, sondern Schwule? Die Juden besitzen alle Banken und Zeitungen, die Russen kämpfen gegen die Ukrainer um Donbass, nicht um Stalingrad, und die ganze Posse lenkt ein Neger aus Amerika.“[23]
Am 25. April 2021 beging Schirinowski seinen 75. Geburtstag und wurde an demselben Tag mit dem Vaterlandsverdienstorden I. Klasse für die Stärkung der russischen Staatlichkeit und die Entwicklung des Parlamentarismus ausgezeichnet.[24]
Persönliches
Schirinowski ist laut eigenen Angaben Anhänger des christlich-orthodoxen Glaubens.[25] Schirinowski ist seit den 1970er Jahren mit der Biologin Galina Alexandrowna Lebedewa verheiratet. Aus der Ehe ging der Sohn Igor Lebedew hervor, der seit 1999 Duma-Abgeordneter ist und wie sein Vater der LDPR-Fraktion angehört.
Auszeichnungen
Russische
- Verdienstorden für das Vaterland (IV. Klasse 2006, III. Klasse 2011, II. Klasse 2016, I. Klasse 2021)
- Alexander-Newski-Orden (2015)
- Orden der Ehre (2008)
- Schukow-Medaille
- Stolypin-Medaille (II. Klasse 2012, I. Klasse 2019)
Ausländische
- Orden Ehre und Ruhm (2005, Abchasien)
- Samarer Kreuz (2013, Bulgarien)
Literatur
- In der bibliographischen Internet-Datenbank RussGUS (frei zugänglich) werden zu „Schirinowski“ weit über hundert Literaturnachweise angeboten (unter Formularsuche → Sachnotationen: 16.2.2/Zirinovskij*).
Weblinks
- Literatur von und über Wladimir Wolfowitsch Schirinowski im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Russland-Aktuell: Wladimir Wolfowitsch Schirinowski
- Nationalist Schirinowski: Putins treuester Gegner, Porträt von Benjamin Bidder in Spiegel Online, 1. März 2012
Einzelnachweise
- Zhirinovsky admits Jewish roots bei BBC News, 19. Juli 2001. Abgerufen am 23. Februar 2017.
- Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde: 'Russlandanalysen' Nr. 4 vom 7. November 2003, S. 7 (pdf)
- Siehe auch Deputy Chairmen
- Alaska inbegriffen. In: Der Spiegel. Nr. 26, 1992, S. 170–172 (online).
- Geschichte Königsbergs auf der Seite des Films Königsberg is dead
- Russland vor der Wahl: Rambo-Kandidat Schirinowski. In: Spiegel Online. 28. Februar 2008 (Video)
- «Один на один» Жириновский — Немцов - Телеканал „Время“. Abgerufen am 18. Oktober 2017 (russisch).
- Wladimir Schirinowski: Prügel nach TV-Debatte. In: Spiegel Online. 22. Februar 2008 (Video)
- spiegel.de
- LDPR-Chef Schirinowski gegen Nato-Beitritt Russlands. In: RIA Novosti. 10. September 2010
- Interview Sergej Briljows mit Wladimir Schirinowski in den Samstagsnachrichten (russisch Вести в субботу), Rossija 1, 13. September 2014 um 20:00 MSK (18:00 MESZ), 4:10-4:40 in der Aufnahme
- Жириновского депутаты Киргизии объявили персоной нон грата. In: Runews24. 15. Mai 2013
- Polish ex-minister quoted saying Putin offered to divide Ukraine with Poland. In: Reuters, 20. Oktober 2014.
Crimea crisis: Putin adviser proposes division of Ukraine along Nazi-Soviet lines and says it's 'never too late to correct historical errors'. In: The Independent, 24. März 2014. - Russian politician proposes new divisions of Ukraine. In: Reuters, 24. März 2014.
- Ellen Ivits: Ausraster von russischem Politiker: „Notgeile Frauen sind schuld am Maidan“. In: stern.de. 21. April 2014
- Christopher Brennan & Anna Dolgov: Ethics Committee Advises Zhirinovsky to Apologize Publicly for „Rape“ Tirade. In: The Moscow Times. 23. April 2014
- UPDATE 2-Canada puts sanctions on two small Russian banks (en) Reuters. 28. April 2014. Archiviert vom Original am 15. Oktober 2021. Abgerufen am 15. Oktober 2021.
- Russischer Nationalist Schirinowski droht mit Atom-Angriff auf Istanbul. In: Spiegel Online. 2. Dezember 2015, abgerufen am 3. Dezember 2015.
- Michael Wollny: Atombombe auf Istanbul: Absurde Vorschläge aus Russland zu Konflikt mit Türkei. In: Web.de. 2. Dezember 2015, abgerufen am 3. Dezember 2015.
- Wolfgang Benz: Die Protokolle der Weisen von Zion – Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung. München 2007, S. 101.
- FAZ.net: Gegen Putin, Wen die EU mit den neuen Sanktionen trifft
- Interview Sergej Briljows mit Wladimir Schirinowski in den Samstagsnachrichten (russisch Вести в субботу), Rossija 1, 13. September 2014 um 20:00 MSK (18:00 MESZ), 5:00-5:20; 8:50-9:10 in der Aufnahme
- Sonntagabend mit Wladimir Solowjow bei Rossija 1 am 1. Februar 2015; Schirinowskis Beitrag zwischen 21:50 und 22:40
- Präsidialerlass über Schirinowskis Auszeichnung mit dem Vaterlandsverdienstorden I. Klasse
- ВЛАДИМИР ЖИРИНОВСКИЙ: Я - ЕДИНСТВЕННЫЙ ПРАВОСЛАВНЫЙ, Interview auf pravoslavie.ru (Memento vom 15. Oktober 2011 im Internet Archive) (russisch)