Schlacht von Rschew
Die Schlachten um Rschew (russisch Ржевская битва Rschewskaja bitwa; auch als Ржевская мясорубка Rschewskaja mjassorubka „Fleischwolf von Rschew“ bekannt), die zwischen Januar 1942 und März 1943 stattfanden, zählten zu den blutigsten Schlachten im Deutsch-Sowjetischen Krieg während des Zweiten Weltkrieges. Nachdem die Truppen der Wehrmacht, vertreten durch die 9. Armee der Heeresgruppe Mitte, Ende 1941 vor Moskau zurückgeschlagen worden waren, versuchte die Rote Armee in einer Reihe von Operationen, die nördlich und östlich von Rschew stehende deutsche Abwehr zu durchbrechen und die Divisionen der 9. Armee in diesem vorspringenden Frontbogen abzuschneiden und zu vernichten. In 15 Monaten mit drei Großoffensiven konnte die Rote Armee die deutschen Truppen nicht schlagen bzw. vernichten. Schließlich zogen sich die Deutschen beim Unternehmen Büffelbewegung auf rückwärtige Auffangstellungen zurück.
Überblick
Rschew, auf deutscher Seite oft als „Eckpfeiler“ und „Wellenbrecher“ der Ostfront bezeichnet, war von Winter 1941 bis Frühjahr 1943 Schauplatz einer Serie von Materialschlachten und Stellungskämpfen. Die personell und materiell unterlegenen Verbände der Wehrmacht hatten gegenüber der Roten Armee den Nachteil, weniger auf extreme Wetterumschwünge (Temperaturstürze von Tauwetter zu Minusgraden von 40 °C) und schwieriges Gelände (Morastböden nach Regenfällen und Tauwetter) vorbereitet gewesen zu sein. Die Heeresgruppe Mitte geriet dabei in zahlreiche kritische Situationen, vor allem wegen der Versorgungslage, die sie dank Generaloberst Models Improvisationsfähigkeiten überstand. Der sowjetischen Heeresleitung unterliefen außerdem mehrere schwere Fehler, die die deutsche Heeresgruppenleitung taktisch nutzen konnte. Strategisch konnte die Rote Armee in diesem Frontabschnitt starke deutsche Kräfte binden.
Die Schlacht währte insgesamt 15 Monate und bestand aus drei Großoffensiven der Roten Armee:
- Rschew-Wjasma-Operation vom 8. Januar bis 20. April 1942 (Сычевско-Вяземская наступательная операция Sytschewsko-Wjasemskaja nastupatelnja operazija) im Anschluss an die Schlacht um Moskau
- Erste Rschew-Sytschowka-Operation vom 30. Juli bis 1. Oktober 1942
- Zweite Rschew-Sytschowka-Operation (Operation Mars) vom 25. November bis 21. Dezember 1942
Folgende Unteroperationen können der Rschew-Wjasma-Operation zugeordnet werden:
- Moschaisk-Wjasmaer Angriffsoperation vom 10. Januar bis 28. Februar 1942 (Можайско-Вяземская наступательная операция Moschaisko-Wjasemskaja nastupatelnja operazija)
- Toropez-Cholmer Angriffsoperation vom 9. Januar bis 6. Februar 1942 (Торопецко-Холмская наступательная операция Toropezko-Cholmskaja nastupatelnja operazija)
- Luftlandeoperation von Wjasma (Вяземская воздушно-десантная операция Wjasemskaja bosduschno-desantnaja operazija) und deutsches Unternehmen Hannover vom 18. Januar bis 28. Februar 1942 gegen sowjetische Partisanen und Fallschirmjägertruppen
- Rschewer Angriffsoperation vom 3. März bis 20. April 1942 (Ржевская наступательная операция Rschewskaja nastupatelnja operazija)
Insgesamt unterscheidet man vier größere Winter- und Sommerschlachten im Raum von Rschew, Sytschowka und Wjasma.
Erst das Unternehmen Seydlitz zur Partisanenbekämpfung konnte Ende Juli 1942 eine zeitweilige Entspannung der Lage im rückwärtigen Raum der 9. Armee herbeiführen. Obwohl der Erhalt des insgesamt 530 Kilometer langen exponierten Frontvorsprungs von Rschew sehr viel Kraft kostete und eine enorme Zahl an Menschen und Material band, konnte Hitler sich lange Zeit nicht entscheiden, diese Position aufzugeben. Er maß einer möglichst langdauernden Bedrohung der Hauptstadt Moskau große psychologische Bedeutung zu. Erst die Niederlage der 6. Armee bei Stalingrad und der damit verbundene Verlust von 250.000 Soldaten ließen jegliche Möglichkeit auf eine Wiederaufnahme der Offensive auf Moskau schwinden, denn hierfür waren keine militärischen Ressourcen mehr vorhanden. Im März 1943 befahl Hitler daher den deutschen Rückzug (Unternehmen Büffelbewegung). Der Frontbogen von Rschew wurde damit endgültig begradigt und die deutsche Front um 230 Kilometer verkürzt.[1]
Die Schlacht forderte auf beiden Seiten immense Opfer: Auf Seiten der Roten Armee starben vermutlich etwa 500.000 Mann, und ca. 1.000.000 sowjetische Soldaten wurden verwundet. Auf deutscher Seite rechnete man mit 80.000 Gefallenen und zweieinhalb- bis dreieinhalbmal so vielen Verwundeten. Vermutlich sind die Zahlen aber noch deutlich höher anzusetzen, und diese relativ unbekannte Schlacht wäre damit noch verlustreicher als die Schlacht von Stalingrad.
Schauplatz
Rschew ist eine 180 Kilometer westlich von Moskau gelegene, 54.000 Einwohner zählende Bezirkshauptstadt der Oblast Twer in Nordrussland. Rschew stellt einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt von Moskau nach Smolensk, Nowgorod und Wjasma dar. Wegen seiner strategisch günstigen Lage am Oberlauf der Wolga war Rschew bereits während der Zarenzeit Mittelpunkt militärisch-hegemonialer Auseinandersetzungen. Die Umgebung der Stadt ist von größeren feuchten Mischwaldgebieten (Erlen, Espen, Birken und Fichten) sowie von zahlreichen Sümpfen durchzogen.
Militärhistorische Darstellung
Die Aspekte der Schlachten um Rschew wurden von Militärhistorikern der Sowjetunion nur wenig erforscht. Erst nach Auflösung der Sowjetunion wurden einige Dokumente zugänglich. Exakte Daten über Schlachtverläufe, Beteiligte, Resultate, Bedeutung und Verluste sind bis heute nicht vollständig verfügbar. Ein Gedicht aus der Zeit von 1945/1946 von Alexander Trifonowitsch Twardowski erinnert mit dem Satz „Ich wurde in der Nähe von Rschew getötet.“ (Я убит подо Ржевом Ja ubit podo Rschewom) an die blutigen Kämpfe, ansonsten ist von sowjetischer Seite sehr wenig überliefert.
Einer der Hauptgründe für die unzureichende Dokumentation der Kampfhandlungen um Rschew ist, zumindest laut dem russischen Historiker Igor Bunitsch,[2] die Verheimlichung einer Vielzahl von militärischen Fehlentscheidungen und der sinnlosen und brutalen Opferung einer großen Anzahl von russischen Soldaten für fragwürdige Ziele. Der russische Ausdruck мясорубка mjassorubka (wörtlich übersetzt deutsch „Fleischwolf“) bedeutet das „gnadenlose Abschlachten von Soldatenmassen“ auf Befehl sowjetischer Offiziere. Der zehnfach überlegenen Roten Armee gelang es innerhalb von 14 Monaten nicht, die Stadt Rschew einzunehmen. Nach Auffassung des Generalobersten und Historikers Dmitri Wolkogonow gehören die Schlachten um Rschew vom Oktober 1941 bis März 1943 zu den größten Katastrophen des Zweiten Weltkriegs.
„Im ganzen Krieg habe ich nichts Schrecklicheres gesehen: Riesige Bombenkrater, bis zum Rand mit Wasser gefüllt, am Wegesrand zerstörte Fuhrwerke und Autos, tote Pferde und ringsherum nur Leichen. Und aus dem Wald das Stöhnen der Verwundeten.“
Die Darstellung des Unternehmens Büffelbewegung, also des deutschen Abzugs, war in der Militärgeschichtsschreibung der Nachkriegszeit von Polemik geprägt. Während der Divisionskommandeur der 6. Infanterie-Division, General Großmann, sowie die Kriegstagebücher der 78. Sturm-Division und 98. Infanterie-Division übereinstimmend von einem Erfolg des Unternehmens berichteten, stellten sowjetische Historiker die Unternehmung als katastrophales Scheitern der Wehrmacht dar:
„Die Kalininer Front und die Westfront verhinderten durch energisches Nachstoßen den planmäßigen Ablauf der Absetzbewegung. Die deutschen Truppen ließen einen Teil ihrer Ausrüstung im Stich und erlitten hohe Verluste an Menschen und technischen Kampfmitteln. […] Nach dem Krieg versuchten laufend einige westdeutsche Militärhistoriker, den Rückzug als Schulbeispiel einer geglückten planmäßigen Absetzbewegung hinzustellen. Die Verluste des Gegners bei diesem Rückzug beweisen jedoch die Fragwürdigkeit derartiger Behauptungen. Seine Truppen, die sich unter den Schlägen der Roten Armee überstürzt aus Rschew zurückziehen mussten, kamen nicht dazu, die Stadt planmäßig zu räumen.“[4]
Vorgeschichte
Am 14. Oktober 1941 erfolgte im Rahmen der Doppelschlacht bei Wjasma und Brjansk der Befehl für die 9. Armee und die Panzergruppe 3, nach Rschew und Kalinin vorzustoßen.[5] Die 206. Infanterie-Division und Aufklärungsabteilungen der 26. Infanterie-Division besetzten die Stadt erstmals im Oktober 1941 und waren damit die ersten deutschen Verbände, welche die bedeutende Verkehrsader Wolga erreichten. Der Vorstoß auf Rschew war der Auftakt zum Vormarsch auf Moskau.
Dabei stießen im nördlichen Abschnitt der Heeresgruppe Mitte die Panzergruppen 3 und 4 bis Anfang Dezember bis Kalinin und an den Moskau-Wolga-Kanal sowie den Iwankowoer Stausee vor. Am 5. Dezember setzte die Gegenoffensive der Roten Armee ein, die von Georgi Schukows Westfront und der Kalininer Front unter Iwan Konew geführt wurde. Es war ein erklärtes Ziel der sowjetischen Militärführung, den von den deutschen Panzergruppen 3 und 4 gebildeten Frontvorsprung nordwestlich von Moskau um jeden Preis wieder zu beseitigen. Die Rückeroberung von Rschew war ein Hauptziel der sowjetischen Winteroffensive 1941/1942.
Verlauf
Die sowjetische Winteroffensive 1941/42 im Raum Rschew
Angesichts des zunehmenden Drucks durch die sowjetische Winteroffensive auf die vordersten deutschen Linien bat der Oberbefehlshaber der 2. Panzerarmee, Generaloberst Heinz Guderian, Hitler am 20. Dezember 1941 in der Wolfsschanze um eine Erörterung zur Lage der Heeresgruppe Mitte. Hitler befahl, dass das Heer die Verteidigungslinien um strategisch bedeutsame Verkehrsknotenpunkte und Versorgungslinien unbedingt zu halten habe. Guderians Argumente, dass der bis zu 1,50 Meter tief gefrorene Boden im Winter keinerlei Schanzarbeiten zulasse und die zu erwartenden Materialschlachten an festen Positionen zu überproportionalen Verlusten führen würden, wurden ignoriert. Guderian bevorzugte eine elastische Verteidigung angesichts der momentanen offensiven Überlegenheit der Roten Armee, so dass den Verbänden in aussichtslosen Lagen ein geordnetes und organisiertes Zurückweichen auf die Höhen von Smolensk gestattet sein müsste, um sinnlose Verluste an Menschen und Material zu vermeiden und dann aus rückwärtigen Positionen mehr Bewegungsspielraum für neue Offensiven zu haben. Hitler befürchtete, dass sich bei einer Freigabe eines taktischen Rückzugs eine Eigendynamik entwickeln könnte, die in allgemeine Panik umschlagen, einen moralischen Sieg des Gegners und außerdem einen Totalzusammenbruch der Front der Heeresgruppe Mitte bedeuten könnte. Aus diesem Grunde verbot er jegliche Ansätze von Frontverkürzungen und erließ folgenden Befehl:
„Unter persönlichem Einsatz der Befehlshaber, Kommandeure und Offiziere ist die Truppe zum fanatischen Widerstand in ihren Stellungen zu zwingen, ohne Rücksicht auf durchgebrochenen Feind in Flanke und Rücken. Erst wenn Reserven die ausgebauten rückwärtigen Stellungen besetzt haben, kann daran gedacht werden, sich in diese Stellungen zurückzuziehen.“
Der Haltebefehl Hitlers wurde zunächst von allen Generalstabsoffizieren und Armeekommandeuren befolgt. Die 9. Armee unter dem Oberbefehl von Generaloberst Adolf Strauß befand sich zu diesem Zeitpunkt am Nordflügel der Heeresgruppe Mitte im Raum Kalinin-Rschew. Mitte Dezember 1941 zog sich die 9. Armee bereits schrittweise von Kalinin nach Südwesten zurück, da die 29. und 31. Armee der Kalininer Front eine großangelegte Gegenoffensive einleiteten. Die Truppenbewegungen wurden durch hohen Schnee und Temperaturen bis −30 °C stark erschwert. Die 29. und 31. sowjetische Armee unter den Generälen Schwezow und Juschkewitsch richteten ihre Angriffe in der Anfangsphase gegen das XXVII. Armeekorps unter General der Infanterie Alfred Wäger. Die 86. Infanterie-Division unter Generalleutnant Joachim Witthöft konnte mithilfe konzentrierten MG-Feuers am Wolga-Stausee einen Sturmangriff sowjetischer Schützen niederschlagen. An der linken Grenze, im Abschnitt der 162. Infanterie-Division, gelang mehreren sibirischen Skibataillonen der Einbruch. Ein weiterer Fronteinbruch auf das südliche Ufer der Wolga wurde im Sektor der 110. Infanterie-Division erzielt. Die 26. Infanterie-Division, schwerpunktmäßig mit dem Infanterie-Regiment 39 unter Oberst Friedrich Wiese, und die 6. Infanterie-Division konnten ihren über 25 Kilometer langen Frontabschnitt unter großen Anstrengungen noch behaupten. Mittlerweile setzten Rotarmisten in Regimentsstärke im Abschnitt der 110. ID über die Wolga, eine Verfolgungsjagd des III. Btl./IR 18/6. ID scheiterte unter großen Verlusten bei Temperaturen von −40 °C. Im Ergebnis konnte aber ein Nachrücken von Einheiten der Roten Armee verhindert werden, und eine bedeutende Nachschubstraße konnte zurückerobert werden. Am 16. Dezember 1941 eroberten Rotarmisten die Stadt Kalinin. Damit war der Weg frei für eine Zangenbewegung auf den deutschen Frontvorsprung von Rschew.
Generaloberst Strauß plante eine geordnete Absetzbewegung der 9. Armee auf die rückwärtig ausgebaute Winterstellung Königsberg, der zahlreiche Zwischenstellungen mit den Tarnnamen deutscher Städte wie Augsburg, Bremen, Coburg, Dresden, Essen, Frankfurt, Gießen, Hanau und Ilmenau vorgeschaltet waren. Hitlers kompromissloser Haltebefehl vom 20. Dezember beendete die Rückzugsbewegung, als die ersten Truppen bereits die Winterstellung Gießen erreicht hatten. Die Panzergruppen 3 und 4 waren zu diesem Zeitpunkt an der Rusa-Stellung bei Rusa und Wereja. Der am 18. Dezember als Nachfolger Fedor von Bocks zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte ernannte Generalfeldmarschall Günther von Kluge bekräftigte in diesem Zusammenhang den Haltebefehl Hitlers:
„Jeder muß halten, wo er steht. Wer das nicht tut, reißt ein Loch in die Front, das nicht gestopft werden kann. Absetzen vom Feind hat nur dann Sinn und Zweck, wenn es zu günstigeren Kampfbedingungen, wenn möglich zur Bildung von Reserven führt. Für jedes Absetzen vom Divisionsverband aufwärts ist meine persönliche Genehmigung notwendig.“
Dem XXIII. Armeekorps der 9. Armee unter General der Infanterie Albrecht Schubert, zu dessen Verband die 102., 206., 251., 253. und 256. Infanterie-Division gehörten, wurde jeglicher Rückzug untersagt, um den Frontbogen von Rschew zu halten. Am 22. Dezember 1941 stürmte die neuformierte sowjetische 39. Armee unter Iwan Maslennikow in einem kombinierten Angriff mit T-34-Panzern die Verteidigungslinien der 256. ID vor Rschew. Die deutsche Division konnte ihren Abschnitt gegen einen zehnfach überlegenen Gegner noch bis zum 29. Dezember 1941 halten.
Generaloberst Konew stieß mit seiner Kalininer Front weiter von Norden gegen Rschew vor, um sich mit den von Osten kommenden Verbänden von General Schukow zu vereinigen. Rschew wurde dabei als entscheidender Eckpfeiler der Ostfront angesehen. Am 31. Dezember 1941 brach der Frontabschnitt der 256. ID und 206. ID aufgrund des erhöhten sowjetischen Drucks zusammen. Bei Stariza wurde die 26. ID eingeschlossen, und aus Rschew wurde ein Truppenverbandsplatz, der über 3000 Schwerverletzte aufnehmen musste. Vor der Ortschaft Mologino (russisch Мологино) konzentrierten sich starke Armeeverbände der Roten Armee, Generaloberst Strauß gab den bedingungslosen Haltebefehl für die 256. ID bei Mologino aus. Zu dieser Zeit hatte die eingeschlossene 256. ID unter Generalleutnant Gerhard Kauffmann nur noch die Gefechtsstärke eines einzigen Regiments, und die Soldaten verweigerten den Offizieren bereits teilweise den Gehorsam: „Schlagt uns doch tot, es ist ja egal, wer uns totschlägt. Mologino ist bereits verloren.“ Am 2. Januar 1942 riss die Funkverbindung zu den isolierten Soldaten in Mologino ab, die Kommunikation erfolgte durch sogenannte Pendelspähtrupps. Am 3. Januar 1942 gab Major Mummert von der Aufklärungsabteilung 256 den Befehl zur Aufgabe von Mologino.
Am 4. Januar 1942 erreichte die Rote Armee ein Auseinanderbrechen der Hauptkampflinie der 9. Armee, indem eine 15 bis 20 Kilometer breite Lücke im Abschnitt zwischen dem VI. und XXIII. Armeekorps geschaffen wurde. Teile der sowjetischen 39. Armee gelangten so in den Rücken der deutschen Verteidiger von Rschew. Gleichzeitig drohte zwischen dem VI. und XXVII. Armeekorps ein sowjetischer Durchbruch auf Subzow, wenige Kilometer südöstlich von Rschew. Rschew konnte dennoch vorerst gehalten werden, die deutschen Truppen befanden sich aber in einer prekären Situation.
Kräfteverhältnis
- Rote Armee: 688.000 Soldaten aus 14 Armeen und drei Kavallerie-Korps
- Wehrmacht: 625.000 Soldaten aus 42 Infanterie-, Panzer-, Luftwaffen- und SS-Divisionen[3]
Kalininer Front (Generaloberst Iwan Stepanowitsch Konew) | ||||
22. Armee (Generalmajor W. I. Wostruchow) | ||||
39. Armee (Generalleutnant Iwan Maslennikow) | ||||
29. Armee (Generalmajor Wassili Schwezow) | ||||
31. Armee (Generalmajor Wassili Juschkewitsch) | ||||
30. Armee (Generalmajor Dmitri Leljuschenko) | ||||
Westfront (Armeegeneral Georgi Konstantinowitsch Schukow) | ||||
1. Stoßarmee (Generalleutnant Wassili Kusnezow) | ||||
20. Armee (Generalleutnant Andrei Wlassow) | ||||
16. Armee (Generalleutnant Konstantin Rokossowski) | ||||
5. Armee (Generalleutnant Leonid Goworow) | ||||
33. Armee (Generalleutnant Michail Jefremow) | ||||
43. Armee (Generalmajor Konstantin Golubew) | ||||
49. Armee (Generalleutnant Iwan Sacharkin) | ||||
50. Armee (Generalleutnant Iwan Boldin) | ||||
10. Armee (Generalleutnant Filipp Golikow) |
Heeresgruppe Mitte (Oberbefehlshaber Generalfeldmarschall Günther von Kluge, Chef des Stabes Generalmajor Hans von Greiffenberg) | ||||
3. Panzerarmee (Generaloberst Hermann Hoth) | ||||
XXXXI. Armeekorps (General der Panzertruppe Walter Model) | ||||
36. Infanterie-Division (Generalmajor Hans Gollnick) | ||||
1. Panzer-Division (Generalmajor Walter Krüger) | ||||
2. Panzer-Division (Generalleutnant Rudolf Veiel) | ||||
LVI. Armeekorps (General der Panzertruppe Ferdinand Schaal) | ||||
14. Infanterie-Division (Generalleutnant Friedrich Fürst) | ||||
7. Panzer-Division (Generalmajor Hans Freiherr von Funck) | ||||
Lehr-Infanterie-Brigade 900 (mot.) (---) |
Heeresgruppe Mitte (Oberbefehlshaber Generalfeldmarschall Günther von Kluge, Chef des Stabes Generalmajor Hans von Greifenberg) | |||||
XXXXVI. Armeekorps (General der Panzertruppe Heinrich von Vietinghoff-Scheel) | |||||
SS-Division „Reich“ (mot.) (SS-Brigadeführer Matthias Kleinheisterkamp) | |||||
11. Panzer-Division (Generalmajor Walter Scheller) | |||||
5. Panzer-Division (Generalmajor Gustav Fehn) | |||||
Infanterie-Regiment 309 (--) | |||||
Kampfgruppe Decker (---) |
Rschew-Wjasma-Operation (8. Januar bis 20. April 1942)
„Ich darf Herrn General kurz in die beschissene Lage einweisen. Seit dem 9. Januar läuft der russische Großangriff aus dem Raum Ostaschkow gegen den linken Flügel des abgeschnittenen XXIII. Armeekorps, das nach Süden zurückgedrängt wurde. Gleichzeitig stärkere Angriffe gegen den linken Flügel des VI. Armeekorps hier. Unsere Bitte, die Ostfront in die Gschatzk-Wolga-Stellung zurücknehmen zu dürfen, wurde abgelehnt. Seit dem 11. Januar starke Feindangriffe aus Richtung Nordwesten und westlich Sytschowkas nach Süden, vorderste Teile am Westrand. Halten Sie uns Sytschowka, es darf nicht verlorengehen.“
Die über die Wintermonate neu formierte Rote Armee richtete im Januar 1942 den ersten Schlag gegen die 9. Armee am nördlichen Stützpfeiler der Heeresgruppe Mitte in Rschew. Der neue Oberbefehlshaber der 9. Armee, General der Panzertruppe Walter Model, wurde am 12. Januar 1942 in seinem Hauptquartier Sytschowka angegriffen. Bald darauf war die 9. Armee von drei Seiten eingeschlossen. Im Osten verteidigte sie eine Winterstellung und war über die „Rollbahn“ in Verbindung mit der 4. Panzerarmee. Rschew wurde zur Schlüsselstellung der 9. Armee und war den Offensiven durch die 27., 22., 34. Armee, 3. und 4. Stoßarmee, die mit zunehmender Intensität durchgeführt wurden, unmittelbar ausgesetzt.
Um eine Einschließung der Heeresgruppe Mitte zu verhindern, wurde das LIX. Armeekorps unter Generalleutnant Kurt von der Chevallerie mit der 83., 205. und 330. Infanterie-Division aus Frankreich herangeführt und der 3. Panzerarmee unterstellt. Beim Vormarsch in das von Partisanenaktivitäten stark gefährdete Gebiet sammelten die neu eingetroffenen Einheiten fliehende Soldaten der SS-Kavalleriebrigade, 123. und 81. Infanterie-Division auf. Besonders kritisch war die Einbruchstelle der Roten Armee westlich von Rschew, durch die neun sowjetische Divisionen einsickern konnten. Das XXIII. Korps war eingekesselt und musste über die Luft versorgt werden. Weiter im Süden bei Wjasma bedrohte sowjetische Kavallerie die deutschen Linien. Die Bahnlinie Rschew-Wjasma war die einzig mögliche Nachschubverbindung für die 9. Armee und wurde von Soldaten der motorisierten SS-Infanterie-Division „Das Reich“ gehalten.
Währenddessen kämpften Kradschützen der 1. Panzer-Division das von Rotarmisten besetzte Bahnhofsgebäude von Sytschowka wieder frei, außerdem konnte die Verbindung zum Feldflugplatz Nowo Ougino wiederhergestellt werden. Model ordnete an, die Einbruchstelle bei Nikolskoje und Solomino mit hoher Priorität wieder zu schließen, dabei die sowjetischen Nachschubwege zu kappen und ihre Flanken bei Sytschowka anzugreifen. Der Versuch seines Vorgängers Generaloberst Strauß, dies am 8. Januar 1942 mit der SS-Kavallerie-Brigade Fegelein zu erreichen, scheiterte. Models Konzept „Angreifen, die Initiative zurückgewinnen, dem Feind das Gesetz des Handels diktieren“ hatte unter den Offizieren und Soldaten der 9. Armee eine große psychologische Signalwirkung. Weiterhin ließ er Panzerbesatzungen zu Skijägern umfunktionieren oder stellte eine Schneeschuhkompanie auf, die sich bei Spähtruppunternehmungen unbemerkt dem Gegner annähern konnte. Die Schneeschuhkompanie wurde auch zur Sicherung der Eisenbahnpioniere eingesetzt, die ständig die von Partisanen gesprengte Eisenbahnlinie Rschew-Wjasma ausbessern mussten. Zur Partisanenbekämpfung kam außerdem ein mit einer Flakbatterie bestückter Panzerzug zum Einsatz.
Kurz vor der geplanten Gegenoffensive auf die sowjetische Einbruchstelle westlich von Rschew sanken die Temperaturen weiter auf −45 °C. Die Offiziere hielten eine erfolgreiche Durchführung der Offensive nicht mehr für möglich. Model ermutigte seine Soldaten:
„Warum meine Herren? Morgen und übermorgen wird es auch nicht wärmer. Die Russen marschieren ja auch.“
Durch Models Strategiewandel wurde aus einer fast schon aussichtslosen Rundumverteidigung eine aktive Gegenoffensive mit definierten Schwerpunkten. Aus Sytschowka rückten die 1. Panzer-Division und die SS-Division „Das Reich“ ab, um den taktisch bedeutsamen Ort Ossuiskoje zu nehmen. Am 22. Januar 1942 wurde ein Großangriff des VI. Armeekorps befohlen, das die verstärkte 256. ID, Artillerie, Panzerjäger und Fla-Geschütze beinhaltete. Dem XXIII. Armeekorps (206. ID, SS-Kavallerie-Brigade Fegelein und Sturmgeschützabteilung 189) gelang der Durchbruch und die Vereinigung mit dem VI. Armeekorps. Der Doppelschlag erfolgte bei Nikolskoje und Solomino. Im Ergebnis war die Verbindung zur 9. Armee wiederhergestellt und die Versorgungsrouten der 29. und 39. sowjetischen Armee waren unterbrochen.
Das SS-Regiment „Der Führer“ unter Obersturmbannführer Otto Kumm erhielt die Aufgabe, die neugeschaffene Verbindungsstelle zwischen VI. und XXIII. Armeekorps und die Landbrücke der 9. Armee um jeden Preis zu halten, wie Model ausdrücklich forderte. Der nördliche Sperrriegel wurde verstärkt; bei Osuga/Sytschowka wurden die 1. Panzer-Division, 86. Infanterie-Division, der Großteil der SS-Division „Das Reich“, 5. Panzer-Division, IR 309 und die Kampfgruppe Decker unter dem Oberbefehl von General der Panzertruppe Heinrich von Vietinghoff als XXXXVI. Armeekorps zusammengefasst und marschierten in nordwestliche Richtung. Von jetzt an entstanden in den Wäldern und verschneiten Ortschaften erbitterte Gefechte. Ein sowjetischer Großangriff gegen die Nordfront der 256. und 206. ID wurde am 26. Januar 1942 in Bewegung gesetzt und schließlich unter großen Anstrengungen von den deutschen Truppen abgewehrt. Neben der zahlenmäßigen Überlegenheit der sowjetischen Einheiten verursachten die extremen Wetterumschwünge von kurzzeitiger Schneeschmelze bis zu immer wieder auftauchenden Schneestürmen und einem Temperaturabfall auf minimal −52 °C der Wehrmacht größte Probleme.
Obwohl die sowjetischen Truppen bei ihren Angriffen auf die Bahnlinie Rschew–Olenino teilweise Menschenverluste in Bataillonsgröße hatten, konnte sie schließlich gesichert werden. Am 28. Januar 1942 kam es infolge des sowjetischen Gegenangriffs zu einer entscheidenden Panzerschlacht, die für beide Seiten mit überproportional hohen Verlusten verbunden war. So stellte beispielsweise der Rottenführer Wagner den letzten Überlebenden der 10. Kompanie dar, die 2. Kompanie des SS-Regiments „Der Führer“ wurde vollständig vernichtet, und in der Ortschaft Klepenino, dem Armeegefechtsstand der 9. Armee, „stapelten sich die Leichenberge“ der sowjetischen Gefallenen. Am 4. Februar 1942 gelang es der 86. ID, die Schlüsselposition in Ossuikoje zu nehmen, zwei Tage später überquerten Panzergrenadiere der 1. PD die Eisenbahnlinie bei Tschertolino, so dass sich die Gruppen Wietersheim und Zehender vereinigen konnten.
Die Kämpfe zwischen Sytschowka und dem „Wolgaknie“ bei Subzow erreichten während der Schneestürme im Februar ihren vorläufigen Höhepunkt, bis die Kraft der sowjetischen Großoffensive nachließ. Im Ergebnis hatte die Rote Armee die vereiste Wolga überquert, den linken Flügel der 9. Armee durchstoßen und das XXIII. Armeekorps vom Rest des Verbandes isoliert. Als Reaktion griff das XXXXVI. Panzerkorps aus Sytschowka an und schloss die sowjetische 29. Armee im Waldgebiet von Montschalowo ein. Hier wurde vom 23. Januar bis zum 17. Februar 1942 gekämpft, wobei sämtliche sowjetischen Entlastungsangriffe zunächst scheiterten. Im Laufe der Kampfhandlungen ergaben sich hohe Verluste, so hatte zum Beispiel das SS-Regiment „Der Führer“ am Ende nur noch 35 Soldaten zur Verfügung. Sieben sowjetische Divisionen wurden im Kessel vernichtet und die Winteroffensive der sowjetischen Truppen vorübergehend zum Stillstand gebracht. Im OKW-Wehrmachtbericht vom 21. Februar 1942 wurden beim Gegner 27.000 Gefallene und 5.000 Gefangene gemeldet. Die 29. Armee wurde vollständig vernichtet und die 39. Armee zum größten Teil.[6]
Unternehmen Seydlitz (Juli 1942)
Seit dem Einbruch der Roten Armee in die Front der 9. Armee am 4. Januar 1942 und dem Druck auf den linken Flügel der Heeresgruppe Mitte wurde eine Reihe von deutschen Gegenmaßnahmen eingeleitet. Ein sowjetisches Kavalleriekorps, welches zu den eingebrochenen Truppenverbänden gehörte und den deutschen Nachschub auf der Rollbahn zwischen Smolensk und Wjasma bedrohte, konnte von der Wehrmacht zunächst nicht wirksam bekämpft werden. Die Kavallerie war in unwegsamen Geländeabschnitten eine der wenigen Waffengattungen, welche noch eine ausreichend hohe Beweglichkeit entwickeln konnte. Die den Divisionen zugeordneten Aufklärungsabteilungen waren im Sommer 1942 bereits so stark abgekämpft, so dass sie dem sowjetischen Gegenpart stark unterlegen waren. Generaloberst Model strukturierte seine Kavallerie-Einheiten um, indem er die Aufklärungs-Abteilungen verschiedener Armeekorps zu einem Kavallerie-Kommando z. b. V. in der Stärke von drei Kavallerie-Regimentern mit jeweils fünf Schwadronen zusammenführte und deren Kräfte bündelte. Oberst Robert Holste erhielt den Oberbefehl über die Armee-Kavallerie-Regimenter 1 (Major Laubner), 2 (Oberstleutnant von Baath) und 3 (Major Briegleb).
Am 2. Juli 1942 begann das Unternehmen Seydlitz mit dem Auftrag, die Bedrohung der Versorgungslinien der 9. Armee durch Rotarmisten oder Partisanen zu eliminieren. Einsatzgebiet war die Bahnlinie Welikije Luki-Rschew mit der 1. Panzer-Division an der rechten und Infanterie-Regiment 427 an der linken Flanke. Die sowjetischen Stellungen in den dichten Wäldern am Fluss Lutschessa wurden relativ schnell durchbrochen, danach setzten Regenfälle ein, welche die Beweglichkeit der Panzer stark einschränkten.
Am 5. Juli konnten die 39. sowjetische Armee und das XI. Kavallerie-Korps (Gorin) eingekesselt werden. Bis zum 16. Juli 1942 dauerten die Angriffe der Wehrmacht auf die in dem Kessel eingeschlossenen Rotarmisten, wobei 50.000 Sowjetsoldaten gefangen genommen und 230 Panzer und 760 Artilleriegeschütze erbeutet werden konnten. Der Erfolg war größtenteils der hohen Beweglichkeit der deutschen Kavalleristen im Wald- und Sumpfgelände um den Lutschessa-Fluss zu verdanken. Der deutsche Historiker Walter Görlitz schildert in seiner Biographie über Generalfeldmarschall Model das Unternehmen Seydlitz als gescheiterte Anti-Partisanen-Operation.
Rschew-Sytschowka-Operation (30. Juli bis 23. August 1942)
Im Sommer 1942 setzte die Rote Armee ihre Zangenbewegung auf den Frontvorsprung bei Rschew fort, einerseits, um die Heeresgruppe Mitte weiter unter Druck zu setzen, und andererseits, um durch ein Binden der deutschen Truppen im Norden den Südabschnitt bei Stalingrad und am Kaukasus zu entlasten. Für dieses Vorhaben wurden 41 Schützen-Divisionen, 15 Schützen-Brigaden, 38 Panzer-Brigaden mit über 3.000 Panzern, mehreren tausend Artilleriegeschützen und zusätzlich Luftunterstützung mobilisiert, um die Heeresgruppe Mitte mit einer Übermacht an Personal und Material zu vernichten. Die Stawka plante die endgültige Einnahme der Festungen Rschew und Sytschowka in einer großangelegten Sommeroffensive und ein Teilen der Heeresgruppe Mitte durch einen schnellen Vorstoß auf Smolensk und Wjasma.[7]
Sowjetischer Angriff auf den Nordsektor von Rschew
Am 30. Juli 1942 begann ein sowjetischer Artillerieüberfall auf den Nordbereich von Rschew. Wenig später erzielte die Rote Armee einen Durchbruch an der Verbindungsstelle zwischen 256. und 87. ID. General Großmann zog seine 6. ID aus dem Verfügungsraum westlich von Sytschowka wieder zurück, um sie beim VI. Armeekorps (General Bieler) in den ausbrechenden Kämpfen um die Stadt Rschew einzusetzen. Zuvor einsetzender Dauerregen verwandelte das Waldgelände in einen unwegsamen Morast, so dass die Verladung der aus dem Verfügungsraum abgezogenen Infanterie-Bataillone der 6. ID stark verlangsamt wurde. Zudem wurde das Bahnhofsgelände von Sytschowka immer häufiger von sowjetischen Schlachtflugzeugen angegriffen.[7]
Das IR 58 unter Oberst Furbach erhielt den Befehl, durchgebrochene Rotarmisten im Raum Galachowo und Punkt 195,5 zu vernichten und den Status quo der Hauptkampflinie wiederherzustellen. Am 1. August 1942 kam es zum Nahkampf in drei sowjetischen Verteidigungslinien, schließlich konnte der Frontdurchbruch bei Polunino unmittelbar im Norden von Rschew geschlossen werden. Seit dem 31. Juli 1942 kämpfte die Aufklärungs-Abteilung 328 (328. ID, der 256. ID unterstellt) unter Major von Kalben an der rechten Grenze von IR 58 um das Dorf Gribojewo. Am 15. August 1942 war die Abteilung durch Ausfälle stark reduziert und musste auf das Südufer der Wolga zurückgenommen werden. Die linke Grenze lag im Bereich eines Bataillons unter Major Freiherr von Recum, welches zur 251. ID unter General Burbach gehörte und am 31. Juli der 87. ID unter General von Studnitz unterstellt wurde. Am 1. August sollte von Recums Bataillon IR 187 bei Martjukowo unterstützen. Sofort wurden die Kampfhandlungen eröffnet, in den Dörfern Gorbowo, Fedorkowo und Chanino entwickelten sich zähe Gefechte. Am 2. August 1942 wurde in Gory Kaseki ein deutsches Bataillon von Rotarmisten eingeschlossen. Nur mithilfe von Sturmgeschützen konnte das Bataillon befreit und die angreifenden Sowjetpanzer vernichtet werden. Am 10. August 1942 bestand das Bataillon von Recum nur noch aus einem Offizier und 22 Soldaten und konnte nicht weiter eingesetzt werden.[7]
Der Brennpunkt der Waldkämpfe nördlich von Rschew auf der Höhe Gory Kaseki–Polunino lag im Sektor der 6. ID zwischen 256. und 87. ID, wobei Rotarmisten jetzt täglich die deutschen Stellungen stürmten und die Entscheidung erzwingen wollten. Am 4. August 1942 bombardierten sowjetische Bomber das Dorf Polunino und richteten große Schäden im deutschen Stellungssystem an, welches bis zu siebenmal täglich von kombinierten Kräften aus Infanterie und Panzern angegriffen wurde. Deutsches Artilleriefeuer, welches gezielt gegen massierte Truppenansammlungen des Gegners eingesetzt wurde, verhinderte einen totalen Zusammenbruch der stark angeschlagenen Abwehrreihen. Pak- und Flak-Kampftrupps, verbunden mit Sturmgeschützen, erhielten die Aufgabe, Durchbrüche der sowjetischen Infanterie sofort zu bekämpfen. Am 5. August 1942 wurden im Gefechtsabschnitt des IR 58 21 vornehmlich T-34 Panzer vernichtet.
Am 4. August 1942 musste die 6. ID eine Artillerie-Abteilung an die 161. ID bei Subzow abgeben, da dort ebenfalls starke Verbände der Roten Armee durchgebrochen waren. Zwei Tage später wurde die 6. ID durch die Abgabe einer Reiter-Schwadron zur Bahnsicherung bei Ossuga weiter geschwächt. Die Nachbardivisionen 256. und 87. ID waren zunehmend gefährdet, von der Roten Armee überrannt zu werden, während Rschew weiter im pausenlosen Artilleriefeuer lag und nachts bombardiert wurde. Ziel der Sowjetarmee war das Zerstören der Wolgabrücken, um den deutschen Nachschub dauerhaft zu unterbinden.[7]
Kampf um die Rschewer Wolgabrücken
Am 10. August 1942 unternahm die Rote Armee einen weiteren Angriff auf den Nordsektor von Rschew. Hierzu waren Bomber, Jagdbomber, Artillerie, Katjuscha-Raketenwerfer und Mörser im Einsatz, welche das Gelände für einen tiefgestaffelten Panzerangriff vorbereiteten. Die Wehrmacht setzte dem die eigene Luftwaffe, Artillerie, Flak, Pak, Granatwerfer, Mörser und Sturmgeschütze entgegen. Deutsche Infanteristen, Pioniere und Kavalleristen erlebten von 5 Uhr 15 bis 18 Uhr 30 pausenlose Angriffswellen der Roten Armee. Die Gefechte waren von außerordentlicher Härte, insbesondere im Bereich der Aufklärungs-Abteilung 328 am linken Flügel der 256. ID, welcher mithilfe des PiBtl. 6 gehalten werden konnte, und im Abschnitt des IR 18 mit dem Bataillon von Recum. Bei der Vernichtung von 39 sowjetischen Panzern fiel der Bataillonskommandeur Hauptmann Thummes. Im Endergebnis konnte der Gesamtabschnitt trotz starker Überlegenheit der Roten Armee von den Deutschen gehalten werden. Der 20. August 1942 brachte jedoch einen Zusammenbruch des Gefechtsabschnitts der 256. ID, welche über die Matjukowo-Brücke auf die südliche Seite der Wolga zurückweichen musste. Somit waren die 6. ID, Teile der 129. ID und die 87. ID die letzten deutschen Einheiten, die nördlich von Rschew übrig blieben. Der 24. August 1942 wurde zu einem weiteren Großkampftag für die verbliebenen drei Divisionen gegenüber einer weit überlegenen sowjetischen Übermacht. Nach einer intensiven Artillerievorbereitung wurde ein verlustreicher Panzerangriff der 153. und 238. sowjetischen Panzer-Brigade begonnen, der die deutschen Linien an einer geschwächten Stelle im Bereich des IR 18 durchbrach und deren Schützenlöcher überrollte. Trotz eines Flankenangriffs des I. Btl./IR 18 erreichte der sowjetische Vorstoß die Wolga. Die 6. ID war nun von der 87. ID abgeschnitten. Insgesamt verlor die Rote Armee an diesem Tag 65 Panzer. Die 6. ID kämpfte in westlicher Richtung und die 87. ID in östlicher, wobei sich die 6. ID wegen des starken Drucks der sowjetischen Kräfte in die Neu-Kolberg-Stellung unmittelbar vor Rschew zurückzog.[8] Die Rote Armee bildete am 26. August 1942 einen Brückenkopf am Südufer der Wolga bei Snamenskoje.
Kämpfe zwischen Rschew und Sytschowka
Das XXXXVI. Panzerkorps verteidigte im Rahmen der Heeresgruppe Mitte mit der 342. ID, 36. ID (mot.), 161. ID und 14. ID (mot.) einen ca. 100 Kilometer langen Frontabschnitt von Samujlowo bis Gridino, der bislang noch relativ ruhig war. Am 25. Juli 1942 meldeten deutsche Aufklärungsflugzeuge große sowjetische Truppenkonzentrationen, die unter keinerlei Tarnmaßnahmen mehr abliefen wie noch zu Beginn des Unternehmens Barbarossa. Über Lautsprecher kündigten die Sowjets offen ihren Angriff für den 30. Juli 1942 an. Der Angriff erfolgte am linken Flügel des Panzerkorps und erreichte lediglich kleinere Einbrüche von der Ausdehnung weniger Hundert Meter, die von der Wehrmacht sofort wieder abgeriegelt wurden. Am 4. August 1942 erfolgte der entscheidende Vorstoß der Roten Armee auf einer Divisionsbreite von ein bis zwei Kilometern, die einen Aufmarsch von drei gestaffelten Schützen-Regimentern hinter sich zog. Dahinter näherten sich zwei Panzer-Brigaden mit 80 bis 100 Kampfpanzern an. Die deutschen Verteidiger hatten in minimaler Personalstärke große Gefechtsabschnitte zu verteidigen; einer einzigen Kompanie kam ein Abschnitt von ein bis zwei Kilometern zu.
Nach starker Artillerievorbereitung konnten Panzerschwadrone in großer Zahl die ausgedünnten deutschen Linien überrollen, die durch Artilleriebeschuss und Bombardierung sturmreif waren. Die sowjetische 31. Armee zielte auf den Ort Pogoreloje, während das Ziel der 20. Armee Sytschowka war. Die Offensive konnte wegen schwacher Kräfte nicht aufgehalten werden und lieferte einen größeren Fronteinbruch, der zu einer kritischen Situation bei der 9. Armee führte. Im Norden nahmen sowjetische Schützen Subzow und trennten die Verbindungsstraße Karmanowo-Subzow ab, so dass die 161. ID und 14. ID (mot.) isoliert wurden. Danach änderte die Rote Armee ihre Bewegungsrichtung nach Süden ab, um die Flanke ihres Vorstoßes mit vier bis fünf Divisionen und mehreren Panzer-Brigaden zu decken. Bei Karmanowo drangen die Angreifer in den Gefechtsstand des XXXXVI. Panzerkorps ein und versuchten die 36. ID (mot.) unter General Gollnick vergeblich aus ihren Stellungen zu werfen. Zur Entlastung wurde die 2. Panzer-Division am 5. August 1942 in Bewegung gesetzt, konnte aber nur in kleinen Einheiten in das Kampfgeschehen eingreifen, ohne Anschluss an die 36. ID (mot.) zu gewinnen. Die 36. ID (mot.) hielt trotz großer Anstrengungen den Fronteckpfeiler bei Wosskressenoje bis zum 7. August 1942. Am selben Tag erfolgte eine weitere sowjetische Offensive in Stärke von drei Schützen-Divisionen sowie drei Schützen- und vier Panzer-Brigaden gegen die 342. ID. Es wurde gemeldet, dass sich die gesamte sowjetische 5. Armee in Marsch setzte, um die Front an deren linken Flügel einzudrücken.
Erfolgreich war der Einbruch der Roten Armee an der Nachschublinie Sytschowka-Subzow und der Eisenbahnlinie Sytschowka-Rschew, was die 9. Armee mit sofortigen Gegenmaßnahmen beantwortete. Hierzu wurde das IR 84 mit der Kampfgruppe Biewald und Bülowius eingesetzt, welches am Waldrand von Tschaschnikowo eine Rundumverteidigungsstellung legte. Die Einbrüche der Roten Armee am 6. August 1942 führten zu Nahkampfeinsätzen, da zuvor mehrere deutsche Maschinengewehrstellungen von sowjetischen Schützen ausgeschaltet worden waren, wobei beide Seiten hohe Ausfälle zu verzeichnen hatten. Auch in der Nacht zum 8. August kam es bei Tschaschnikowo zu mehreren sowjetischen Angriffswellen. Als sich die Mannschaftsstärke einer Kompanie des IR 84 auf 22 Personen verringert hatte, wurde der Rückzug befohlen. Mittlerweile war das I. Btl./IR 84, gefolgt vom Rest des Regiments und der 102. ID (General Frießner) bei Ossuga eingetroffen, so dass die Überreste der Kompanie abgelöst werden konnten. Im Ergebnis hatte die Wehrmacht die Versorgungsrouten nach Rschew wieder freigekämpft. Die Reiter der Aufklärungs-Abteilung 6 kämpften mit Unterstützung des Panzerzuges eingesickerte Rotarmisten auf dem Eisenbahndamm nieder. Bis zum 11. August wurden die Sowjetverbände in der Nähe des Dorfes Schalamowo vernichtend geschlagen.
In den Waldgebieten von Ossuga hielten die Kämpfe noch bis zum 15. August 1942 an. Auf beiden Seiten stiegen die Verluste rapide an, während die deutschen Verteidigungslinien durch hohe Belastung zunehmend ausgedünnt wurden. Allein am 9. August 1942 vernichtete die 2. Panzer-Division 64 sowjetische Panzer, die Flakeinheiten zerstörten weitere zehn. Vergeblich versuchte die Rote Armee in vielen Angriffswellen die Höhen von Karmanowo zu nehmen. Am 10. August 1942 erzielten sie einen größeren Einbruch, was die Wehrmacht zu einer Frontbegradigung zwang. Zwischenzeitlich wurde die 2. Panzer-Division eingekesselt, konnte sich jedoch wieder befreien. Das II. Btl./113 PR der 2. PD zählte am 28. August nur noch einen Offizier und 12 Mannschaftsdienstgrade. Westlich des Flusses Jausa in Schelomiki und Krutije wurden drei Bataillone der 342. ID eingeschlossen. Deren Befreiung wurde durch das unwegsame Wald- und Morastgelände längere Zeit verzögert. Der Druck auf Karmanowo hielt währenddessen unvermindert an, an einem Tag wurden bis zu 9000 sowjetische Artilleriegranaten verschossen. Die Situation war extrem unübersichtlich, da Angriffe, Einbrüche und Gegenangriffe permanent abwechselten. Als sich am 21. August 1942 40 Panzer und 700 Fahrzeuge der Roten Armee Karmanowo näherten, entschied sich die 9. Armee dazu, die Ortschaft zu räumen und die dort eingegrabenen Soldaten in der Nacht vom 22. auf den 23. August 1942 abzusetzen. Das Unternehmen gelang nur mit Hilfe der Luftwaffe, welche in die Erdkämpfe eingreifen musste. Die Rote Armee folgte der zurückweichenden Wehrmacht bis zur neuen Wechselstellung, wo ein erneutes heftiges Gefecht entbrannte, welches den Verlust von insgesamt 460 zerstörten Sowjetpanzern nach sich zog.
Ausklang
Am 14. August 1942 erfolgte eine weitere Großoffensive der Roten Armee auf Rschew. Der Plan, mit drei Schützen-Divisionen und dem 8. Panzer-Korps (fünf Panzer-Brigaden) nach Wjasma vorzustoßen, scheiterte am erbitterten Widerstand der Panzer-Division „Großdeutschland“, die im Verlauf der Kämpfe stark dezimiert wurde. Der 23. August war mit der Eroberung des deutschen Widerstandsknoten von Karmanowo für die sowjetischen Truppen erfolgreich. Der Roten Armee gelang es, bei Subzow einen Frontvorsprung zu erzwingen und bis an den Stadtbezirk von Rschew aufzurücken, eine vollständige Einnahme misslang jedoch.
Die Angriffe der Roten Armee brachten diese bald in eine derart aussichtsreiche Situation, dass Gfm. von Kluge Hitler eine Reduktion des Frontbogens vorschlug. Hitler lehnte dies mit der Begründung ab, Rschew habe eine große symbolische Bedeutung für die Ostfront und dürfe auf keinen Fall aufgegeben werden. Mithilfe aller verfügbaren Reserven konnten Wehrmachtsverbände die Vorwärtsbewegung der Roten Armee in den Trümmern der Stadt Rschew zum Stehen bringen, bevor eine längere Schlechtwetterphase weitere Kampfhandlungen unterbrach.[9]
Rschew und Sytschowka verblieben trotz immensem Menschen- und Materialeinsatz der Angreifer im Besitz der 9. Armee. Die Stadt Rschew war durch das permanente Artilleriefeuer und die Bombardierungen in ein Kraterfeld, von einem Ausmaß ähnlich wie der Schauplatz an der Somme während des Ersten Weltkriegs, verwandelt worden. Bis in den September 1942 wiederholte die Rote Armee ihre selbstmörderischen Massenangriffe, die mit unzähligen Opfern ohne nennenswerten Geländegewinn endeten. Das Kradschützen-Bataillon „Großdeutschland“ konnte am 21. September die lange unterbrochene Verbindung zur 6. I.D. in Rschew wieder herstellen. In der Stadt selbst kam es zu mehreren sowjetischen Einbrüchen im Nordosten, die im Nahkampf mit Flammenwerfern und Flammenwerfer-Panzern ausgeweitet wurden. Dabei erlitten das I. Btl./IR 18, I. Btl. /IR 37 und PiBtl. 6 extrem hohe Verluste. Die Rote Armee grub ihre Panzer in den Granattrichtern der Stadt ein, die mit Flachschüssen erheblichen Schaden anrichteten, aber weder aus der Luft noch vom Boden aus wirksam bekämpft werden konnten.[7]
Die Kämpfe um Rschew waren geprägt von unwegsamem Gelände, extremen Wetterschwankungen und einer für die Wehrmacht prekären Versorgungslage. Die Rote Armee verlor in der verlustreichen Sommerschlacht um Rschew insgesamt 380.000 Soldaten, 13.770 Kriegsgefangene, 2.956 Panzer, 45 Geschütze, 101 Pak-Kanonen, 227 Granatwerfer, 781 Maschinengewehre und 870 Flugzeuge.[7]
Operation Mars und Büffelbewegung
In der folgenden Winterschlacht um Rschew (auch Zweite Rschew-Sytschowka-Offensive, 25. November bis 21. Dezember 1942) versuchte die Rote Armee nochmalig unter Beteiligung der Kalinin- und Westfront mit überragender Materialüberlegenheit den operativen Durchbruch zu erzwingen. Die Truppen der deutschen 9. Armee sah sich dabei auch mit Volkswehrmilizen konfrontiert, die sich aus den Einwohnern der umliegenden Orte rekrutierten und zusammen mit regulären sowjetischen Streitkräften den Druck von drei Seiten auf die 9. Armee aufrechterhielten. Auch diese Offensive verfehlte sämtliche militärischen Ziele der sowjetischen Heeresführung und hatte große Verluste zur Folge.
Räumung des Frontbogens (März 1943)
Auch noch im Januar 1943 war die Wehrmacht im Raum Rschew, Demjansk und Leningrad pausenlosen Angriffen der Sowjetarmee ausgesetzt. Im Unternehmen Büffelbewegung wurde der Frontbogen von Rschew endgültig zurückgenommen.[10] Hitler erteilte am 6. Februar 1943 der 9. Armee und Teilen der 4. Armee die Erlaubnis, sich in geordneter Weise aus dem Frontvorsprung Rschew zurückzuziehen.
Die vierwöchige Vorbereitung des Unternehmens Büffelbewegung[11] umfasste eine immense logistische Aufgabe für den Generalstab der 9. Armee, einerseits den Aufbau einer 300 Kilometer westlich liegenden Wechselstellung für den Rückzug der Divisionen, Definition der Widerstandslinien für die phasenweise Absetzbewegung und die Räumung eines ca. 100 Kilometer tiefen Gefechtsraumes. Hierzu musste das Verkehrsnetz erweitert werden, Bautrupps begannen mit dem Bau von 200 Kilometern Straßen für Kraftfahrzeuge sowie 600 Kilometern Straßen für Schlitten und Pferdefahrzeuge. Der besetzte Frontvorsprung wurde von der Zivilbevölkerung geräumt. 60.000 Zivilisten wurden ins von Deutschen besetzte Gebiet transportiert, Agrarprodukte, Nutztiere und andere Wirtschaftsgüter wurden ebenfalls mit Zügen abtransportiert, um der vorrückenden Roten Armee einen „leeren“ Raum und „verbrannte Erde“ zu hinterlassen. Der Generalstab hatte einen umfangreichenden Bewegungs- und Marschplan, welcher 29 Divisionen (250.000 Soldaten) bewegen sollte und entweder auf Räderfahrzeugen bei passierbaren Straßen oder bei Schnee auf Schlitten durchgeführt werden sollte. Die Planungen des Unternehmens Büffelbewegung wurden vom Geheimdienst der Sowjetunion enttarnt, so dass Propaganda-Einheiten über Lautsprecher den deutschen Soldaten mitteilten: „Eure Offiziere packen die Koffer. Seht zu, dass ihr mitkommt.“ Unternehmen Büffelbewegung begann am 1. März 1943 bei Tauwetter. Starke Temperaturschwankungen, wie ein nächtlicher Frosteinbruch, verlangsamten die Rückwärtsbewegung. An der Wolga verblieben noch ca. 2/3 der 9. Armee in den ursprünglichen Stellungen und sollten dem Gegner ihre vermeintliche Sollstärke vortäuschen, indem sie beispielsweise MG-Salven aus verschiedenen Feuerstellungen abgaben. Die Rote Armee prüfte dies durch punktuierte Gegenangriffe und erzwang bei Lepeticha an der Wolga einen kleineren Fronteinbruch. Einen Tag nach dem Abzug der Haupttruppen sollte auch der Rückzug der letzten vorgelagerten Einheiten erfolgen, was mit einer größeren sowjetischen Offensive beantwortet wurde. Um die Verfolgung nachhaltig zu verzögern, legten deutsche Pioniere in großem Umfang Panzer- und Schützenminen in den unterschiedlichsten Zündarten aus. Hierzu wurden Gelände flächenhaft vermint sowie Ortschaften durch Minen- und Sprengfallen unpassierbar gemacht. Die Sowjets erlitten durch Minenfallen in Rschew beträchtliche Verluste.
Innerhalb von 21 Tagen konnten sich die 9. Armee und Teile der 4. Armee 160 Kilometer hinter der vordersten Front absetzen und eine neue, nur noch 220 Kilometer breite Linie beziehen. Die Einsparung von 330 Kilometern zur Verteidigung wurde als entscheidende operative Maßnahme zur Erhalt der Front für die Heeresgruppe Mitte gesehen. Der Roten Armee gelangen zum Zeitpunkt des organisierten deutschen Rückzugs keine weiteren nennenswerten Einbrüche, Flankenstöße oder Verfolgungen mehr. Hitler übernahm von seinem Hauptquartier in Winniza aus per Telefon die Überwachung über das Minenkommando, welches am 3. März 1943 die große Wolgabrücke bei Rschew sprengte und den sowjetischen Vormarsch damit weiter verlangsamte. Erst Stunden nach der Sprengung konnten sowjetische Spähtrupps Verbindung mit den vorgelagerten Einheiten jenseits der Wolga aufnehmen. Die 9. Armee erreichte planmäßig die stark ausgebaute und mit Minen und Drahthindernissen gesicherte „Büffelstellung“ auf Höhe Spas-Demensk – Dorogobusch – Duchowschtschina noch vor dem Beginn der Schlammperiode (Rasputiza) im Frühjahr. Somit konnte die durch die Winterschlacht 1942/43 entstandene Krise der Heeresgruppe Mitte entschärft werden, und die Voraussetzungen für die Schlacht bei Kursk waren nun gegeben.
Folgen für die Zivilbevölkerung
Die Zivilbevölkerung der Stadt Rschew musste besonders leiden.
„Dort haben sie meine Mutter umgebracht. Sie haben sie vergewaltigt, ihr dann die Zähne ausgeschlagen, die Hände gebrochen und sie mit vier Bajonettstichen getötet. Es war ein Übergriff, die Deutschen selbst haben die Mörder hingerichtet. Ich hatte Glück, eine Tante rettete mich."“
Von 56.000 Einwohnern wohnten nach der Befreiung durch die Rote Armee noch 150 Menschen in der Stadt, im Umfeld der Stadt wohnten weitere 200. Viele der Einwohner wurden als Arbeitskräfte von den Deutschen deportiert.[12]
Des Weiteren existierte in der Stadt ein Konzentrationslager. Es wird davon ausgegangen, dass in zwei gefundenen Massengräbern etwa 70.000 Menschen verscharrt wurden.[13] Der Stadtkommandant von Rschew in den Jahren 1941 und 1942, Carl Becker, wurde 1945 von einem Militärgericht in einem Kriegsverbrecherprozess in Kalinin zu einer Haftstrafe von 25 Jahren verurteilt.[14]
Verluste
Verluste der Roten Armee
Alexej W. Isajew geht von 392.554 Toten und 768.233 Verwundeten aus.[15] Swetlana Alexandrowna Gerassimowa schätzt die Anzahl Gefallener auf 1.325.823.[16] Die hohen Verlustraten beruhen vermutlich darauf, dass die Sowjetarmee organisatorische Fehlplanung, mangelhafte Truppenführung und den geringen Einsatz von Technik mit einem überproportional großen Einsatz von Menschen kompensieren wollte. Dabei befahlen Offiziere der Roten Armee ihren ungeschützten Soldaten wiederholt Sturmangriffe an denselben Punkten der deutschen Verteidigungslinie, was in einem militärischen Fiasko endete. Von den 1.000 Angehörigen des 618. Schützen-Regimentes überlebten nur zwei die Schlacht, bei der 29. und 39. Armee kam es zu einem Totalverlust. Bereits in den ersten drei Januarwochen des Jahres 1942 starben 80.000 sowjetische Soldaten während der Kampfhandlungen, oft 80 % der Infanteristen bei einem Sturmangriff. Die 20. Armee verlor innerhalb kürzester Zeit 58.000 Mann. In der Absprungzone der 8. Luftlande-Brigade der Westfront kamen bei der schlecht geplanten Operation mehr als die Hälfte der ungenügend vorbereiteten Fallschirmjäger ums Leben. Noch heute werden jährlich die Gebeine von ca. 1000 Gefallenen geborgen, an einigen Stellen sogar in „sieben Schichten übereinander“.[3]
Verluste der Wehrmacht
Die Verluste der Wehrmacht belaufen sich, nach deutschen Angaben, auf 162.713 Tote, 469.747 Verwundete und 35.650 Vermisste.[17][18]
Michail Jurjewitsch Mjagkow geht von 330.000 Toten und mehr als 450.000 Verwundeten aus.[19]
Fazit
Stalins Doktrin, dem Feind „keine Atempause mehr zu geben“, stand Hitlers starrer Haltebefehl entgegen, Rschew sei eine uneinnehmbare Linie des Führers. Da es der Roten Armee trotz großem Kräfteeinsatz nicht gelang, den Frontbogen von Rschew zu liquidieren, wurde die Schlacht von der Stawka zu einem Ereignis lokaler Bedeutung heruntergespielt. Ursprünglich war die sowjetische Angriffsoperation nur für wenige Tage vorgesehen, weitete sich jedoch im Lauf des Jahres 1942 zu einem kostspieligen Stellungskampf auf einer breiten Frontlinie aus, welcher von Moskau ungeduldig mit der Formulierung kommentiert wurde, die Liquidierung der gegnerischen Gruppierungen ziehe sich unzulässig lange hin.
Erst der Durchbruch der sowjetischen Kavallerie auf einer Straße westlich von Wjasma sorgte für einen Teilerfolg, indem die deutschen Nachschublinien empfindlich gestört wurden. Außerdem konnten im Sommer 1942 einige deutsche Brückenköpfe am linken Wolgaufer ausgeschaltet werden.
„Es ist das erste Mal, daß in diesem Kriege von mir der Befehl zum Zurücknehmen eines größeren Frontabschnittes gegeben wird.“
Im Februar gelang es der Wehrmacht, die 29. und 33. Armee einzukesseln, während im Verlauf der Operation Mars 1,9 Millionen Soldaten der Sowjetunion Zangenangriffe auf die 9. Armee durchführten. Weitere Versuche der Wehrmacht, durch den Einsatz der Division „Großdeutschland“ im Spätsommer 1942 Vorstöße in Richtung Moskau voranzutreiben, misslangen. Das Ziel der Roten Armee, die Heeresgruppe Mitte bei Rschew zu zerschlagen, wurde zwar nicht erreicht, die 9. Armee zog sich im Frühjahr 1943 im Zuge des Unternehmens Büffelbewegung planmäßig in ihre rückwärtigen Stellungen zurück; doch Rschew wurde am 3. März 1943 von Truppen der sowjetischen Westfront eingenommen und befreit.[3]
Nachwirkungen
Seit 1997 finden in Rschew deutsch-russische Jugendlager auf der deutschen und russischen Kriegsgräberstätte Rshew unter dem Motto „Versöhnung über den Gräbern“ statt. Im Park des Friedens, der 2002 erbaut wurde, wurden sowohl sowjetische als auch deutsche Gefallene bestattet.[3] Zudem findet seit 2014 jährlich der internationale Schüleraustausch „Erinnern, Gedenken, Versöhnen“ statt, der 2016 durch den Besuch Wladimir Putins eine besondere Aufmerksamkeit erhielt.[20]
2020 wurde ein Denkmal errichtet; auf einem kegelförmigen flachen Hügel steht die etwa 25 Meter hohe Metallskulptur eines sowjetischen Soldaten. Sein Oberkörper ist realistisch dargestellt. Nach unten hin löst sich der Körper in einen Schwarm von Kranichen auf; die Kraniche stehen symbolisch für die Gefallenen (→ Die Kraniche ziehen, Film von 1957).[21]
Literatur
- Horst Grossmann: Rschew, Eckpfeiler der Ostfront. Podzun Verlag, Bad Nauheim 1962, ISBN 978-3-7909-0126-9.
- Oleg A. Kondratjew: Die Schlacht von Rshew. Ein halbes Jahrhundert Schweigen. Arethousa-Verlag, München 2001, ISBN 3-934207-11-1.
- Svetlana Gerasimova: Ржевская бойня : потерянная победа Жукова. Jauza / Eksmo, Moskau 2009, ISBN 978-5-699-35203-6 („Schlacht von Rschew: Schukows verlorener Sieg“).
- David Glantz: Zhukov’s Greatest Defeat. The Red Army’s Epic Disaster in Operation Mars 1942. Ian Allan Publishing, Shepperton 2000, ISBN 978-0-7110-2748-0.
- Otto Dessloch: The winter battle of Rzhev, Vyazma, and Yukhnov, 1941–42. Headquarters, European Command, Office of the Chief Historian, 1947.
Weblinks
- Schlacht von Rshew. In: rshew.de.
- Ржевская битва 1941–1943 гг. In: narod.ru. 3. März 2013, archiviert vom Original am 6. April 2020 (russisch).
- Christian Neef: Ostfront: Attacke um jeden Preis. In: einestages auf Spiegel Online. 6. Juli 2010 .
- Unternehmen Seydlitz: Das Armee-Kavallerie-Kommando z.b.V der 9. Armee im Kampf bei Rschew, Sommer 1942. In: zweiter-weltkrieg-lexikon.de. 9. Dezember 2009, archiviert vom Original am 4. Juli 2020 .
- Nikolai Belov, Tatjana Mikhailova: Rzhev July–August 1942: The battle for hill 200. (Nicht mehr online verfügbar.) In: informaworld.com. Ehemals im Original; abgerufen am 4. Juli 2020 (englisch). (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven)
- Johann Althaus: Schlacht von Rschew: Für Hitler war es „unser kapitalster Fehler in diesem Jahr“. In: welt.de. 1. Juli 2020 .
Dokumentationen
- Russische TV-Dokumentation Rschew: Die unbekannte Schlacht des Georgi Schukow (2009)
Einzelnachweise
- Was geschah im März 1943? In: chroniknet.de. Abgerufen am 5. Juli 2020.
- „Operazja Grosa“
- Christian Neef: Ostfront – Attacke um jeden Preis. In: Spiegel Online. 6. Juli 2010, abgerufen am 19. Juni 2019.
- P. N. Pospelow: Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges, Bd. 3, Moskau 1960.
- Raymond Cartier: Der Zweite Weltkrieg. Bd. 1 1939–1941, Lingen Verlag, Köln 1967, S. 416.
- „Die verzweifelte Lage der Heeresgruppe Mitte“ in Raymond Cartier: Der Zweite Weltkrieg. Bd. 2 1942–1944, Lingen Verlag, Köln 1967, S. 478, 481–483.
- Die Sommerschlacht von Rschew – Die vierte Schlacht Ende Juli/Mitte Oktober 1942.
- http://www.infanterie-regiment-18.de.tl/Geschichte--k1-1939_1945-k2-.htm
- Raymond Cartier: Der Zweite Weltkrieg. Bd. 2 1942–1944, Lingen Verlag, Köln 1967, S. 588.
- Raymond Cartier: Der Zweite Weltkrieg. Bd. 2 1942–1944, Lingen Verlag, Köln 1967, S. 686.
- teilweise auch nur Unternehmen Büffel genannt.
- История Ржевской битвы 1941–1943 гг. In: rshew-42.narod.ru. Abgerufen am 29. Juni 2016 (russisch).
- Надежда Бабенко: Поиск родственников солдат, погибших во время ВОВ. In: www.stapravda.ru. Abgerufen am 29. Juni 2016 (russisch).
- Christoph Rass: Menschenmaterial: Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939–1945. Schöningh, Paderborn 2003, ISBN 3-506-74486-0, S. 168, 210.
- Jamaletdinow Ruslan alias Dime: Алексей Исаев. К ВОПРОСУ О ПОТЕРЯХ СОВЕТСКИХ ВОЙСК В БОЯХ ЗА РЖЕВСКИЙ ВЫСТУП. In: actualhistory.ru. Abgerufen am 29. Juni 2016 (russisch).
- Первая Ржевско-Сычевская наступательная операция 1942 года. In: rshew-42.narod.ru. Abgerufen am 29. Juni 2016 (russisch).
- 1942. (Nicht mehr online verfügbar.) In: ww2stats.com. Archiviert vom Original am 28. Dezember 2015; abgerufen am 29. Juni 2016. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- 1943. (Nicht mehr online verfügbar.) In: ww2stats.com. Archiviert vom Original am 25. Mai 2013; abgerufen am 29. Juni 2016. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Михаил Юрьевич Мягков: Вермахт у ворот Москвы, 1941–1942. In: militera.lib.ru. Abgerufen am 29. Juni 2016.
- Kira Neumann: Erinnern, Gedenken, Versöhnen – Moskau – Rschew – Hamburg. In: Johannes-Brahms-Gymnasium Hamburg. 20. August 2018, abgerufen am 11. November 2019.
- Gernot Kramper: Rschew 1942 – warum der „Fleischwolf“ der Ostfront lange vergessen wurde. In: stern.de. 4. Juli 2020, abgerufen am 5. Juli 2020.