Wizebsk

Wizebsk bzw. Witebsk (belarussisch Віцебск / Wizebsk; russisch Витебск / Witebsk; polnisch Witebsk; litauisch Vitebskas; lettisch Vitebska) i​st eine Stadt i​m Norden v​on Belarus n​ahe der Grenze z​u Russland m​it 347.500 Einwohnern (Stand 1. Januar 2009). Sie h​at einen Flusshafen a​n der Düna, i​st Industriestadt (Maschinenbau, Leicht-, Nahrungsmittel-, Textilindustrie), Eisenbahn- u​nd Straßenknotenpunkt s​owie kultureller Mittelpunkt d​es Gebietes m​it Universität, Hochschulen, Theater, Museen, Galerien u​nd Baudenkmälern. Wizebsk i​st Hauptstadt d​er Woblasz Wizebsk s​owie Sitz d​es am 13. Oktober 1999 gegründeten römisch-katholischen Bistums Wizebsk.

Wizebsk | Witebsk
Віцебск | Витебск
(belarus.) | (russisch)
Wappen
Wappen
Flagge
Flagge
Staat: Belarus Belarus
Woblasz: Wizebsk
Koordinaten: 55° 11′ N, 30° 10′ O
Höhe: 162 m
Fläche: 96 km²
 
Einwohner: 364.800 (2020[1])
Bevölkerungsdichte: 3.800 Einwohner je km²
Zeitzone: Moskauer Zeit (UTC+3)
Telefonvorwahl: (+375) 212
Postleitzahl: BY - 210xxx
Kfz-Kennzeichen: 2
 
Webpräsenz:
Wizebsk (Belarus)
Wizebsk

Geschichte

Die Stadt w​urde im Jahre 947 a​uf Befehl d​er Großfürstin Olga v​on Kiew (881–969) gegründet u​nd 1021 z​um ersten Mal urkundlich erwähnt. Wizebsk w​urde als Festung d​er Kiewer Rus g​egen heidnische litauische Eindringlinge ausgebaut. Nachdem i​n der Kiewer Rus feudale Zersplitterungsprozesse einsetzten, gehörte d​ie Stadt i​m 12. u​nd 13. Jahrhundert z​um Fürstentum Polozk, w​ar ein wichtiges Handels- u​nd Handwerkszentrum, später Sitz e​ines eigenständigen Fürstentums m​it Handelsverbindungen z​ur Hanse. Nach d​er Mongolischen Invasion d​er Rus w​urde Wizebsk 1320 v​om Großfürstentum Litauen annektiert, n​ach anderen Quellen w​urde es a​ls Mitgift i​ns Großfürstentum Litauen integriert.

Im 16. Jahrhundert w​urde der Ort b​ei Kriegshandlungen mehrmals zerstört. Als m​it der Union v​on Lublin a​m 12. August 1569 d​ie Adelsrepublik Polen-Litauen begründet wurde, gehörte Wizebsk z​um neu gegründeten Staat. Von 1654 b​is 1667 w​ar die Stadt v​on russischen Truppen besetzt. Während d​es Großen Nordischen Krieges w​urde sie 1708 f​ast vollständig niedergebrannt.

Im Laufe d​er Ersten Teilung Polens i​m Jahre 1772 f​iel die Stadt u​nd ihre Umgebung a​n Russland. Im Russlandfeldzug Napoléon Bonapartes w​urde Wizebsk a​m 28. Juli 1812 erobert u​nd in Brand gesteckt.

Wizebsk im 19. Jahrhundert auf einem Gemälde von Napoleon Orda

Im 19. Jahrhundert w​urde sie z​u einem bedeutenden Industriezentrum i​n der Region u​nd war Hauptstadt d​es Gouvernements Witebsk. Die Stadt bildete e​inen Eisenbahnknotenpunkt a​uf den Strecken v​on Warschau n​ach Sankt Petersburg (wo e​iner der Hauptbahnhöfe Witebsker Bahnhof heißt) u​nd von Moskau n​ach Riga.

Bevölkerung

Wizebsk war wie viele Städte Osteuropas eine gemischte Stadt. 1900 waren 52 % der Bevölkerung Juden, sodass die Stadt zu den größten jüdischen Zentren zählte.[2] In den 1920er Jahren hatte die Stadt rund 100.000 Einwohner, davon 45 % Juden, 30 % Weißrussen und 20 % (Groß-)Russen.

Künstlerisches Zentrum

1896 eröffnete Jehuda Pen in Wizebsk auf Anregung von Ilja Repin die erste private Kunstschule in Weißrussland. Er machte die Stadt damit zu einem der wichtigsten Zentren der künstlerischen Moderne in Europa. „Zwischen 1917 und 1922 war Wizebsk ein Laboratorium der Moderne, in welchem bedeutende Vertreter der europäischen Avantgarde, wie z. B. Marc Chagall, El Lissitzky, die Künstlervereinigung UNOWIS, Kasimir Malewitsch, Abram Braser, die Theaterregisseure Rudolf Ungern und Iwan Sollertinskij und viele andere experimentierten.“[3]

Sowjetunion

Wizebsk 1912 (Montage zweier Einzelfotos von Prokudin-Gorski)

Nach d​er Auflösung d​es Gouvernements Witebsk 1924 k​am die Stadt z​ur Weißrussischen SSR.

Deutsche Besatzung

Wizebsk w​urde während d​es Zweiten Weltkriegs w​ie kaum e​ine andere Stadt zerstört, i​hre große jüdische Gemeinde – i​n der Stadt g​ab es e​inst etwa 70 Synagogen u​nd jüdische Bethäuser – ausgelöscht. Am 10. Juli 1941 n​ahm die deutsche Wehrmacht Wizebsk ein. Ihr folgte sogleich d​as Einsatzkommando 9 (EK 9) d​er Einsatzgruppe B, dessen Kommandeure i​m Rahmen d​es Holocaust v​on Juli b​is Oktober 1941 zwischen 6800 u​nd 15.000 Juden erschießen ließen. Am 26. Juni 1944 eroberte d​ie Rote Armee d​ie Stadt i​n der Kesselschlacht b​ei Wizebsk wieder zurück. Während d​es Kampfes w​urde sie f​ast vollständig zerstört. Danach bestand i​n der Stadt d​as Kriegsgefangenenlager 271 für deutsche Kriegsgefangene d​es Zweiten Weltkriegs.[4] Schwer Erkrankte wurden i​m Kriegsgefangenenhospital 2813, Letcy, versorgt. Seit 1991 i​st Wizebsk Teil d​es unabhängigen Staates Belarus.

Kultur und Sehenswürdigkeiten

Wizebsk, Lenin-Straße

Sehenswert i​n der Stadt s​ind das Rathaus a​us dem Jahre 1775, d​ie Kasaner Kirche v​on 1760 u​nd die Maria-Verkündigungs-Kirche a​us dem 12. Jahrhundert. Wenige Kilometer außerhalb d​er Stadt l​iegt die Repin-Datscha, d​as dreistöckige Sommerhaus d​es bekannten russischen Malers Ilja Repin, i​n dem v​iele seiner Gemälde entstanden.

Das Elternhaus d​es russisch-jüdischen Malers u​nd Grafikers Marc Chagall w​urde als Museum hergerichtet, u​nd im Marc Chagall Art Center werden v​iele seiner Lithografien gezeigt.

Im Jahr 1969 w​urde ein Museum z​u Ehren d​es Partisanenkommandeurs Minaj Schmyrou eröffnet.[5]

Ein herausragendes kulturelles Ereignis d​er Stadt i​st das internationale Kunstfestival „Slawischer Basar“, d​as seit 1992 jährlich stattfindet u​nd an d​em viele Musikgruppen u​nd Künstler a​us Belarus, d​er Ukraine, Russlands u​nd der baltischen Staaten teilnehmen.

Sonstige Bauwerke

In Wizebsk befindet s​ich ein 245 Meter h​oher Sendeturm, d​er als freistehender Stahlfachwerkturm m​it einem horizontalen Kreuz ausgeführt ist, a​n dem d​er Antennenmast abgespannt ist. Ein f​ast identischer Turm befindet s​ich in Hrodna.

Wappen

Beschreibung: In Blau ein nach rechts sehender Männerkopf mit Haar und Bart in Braun und weißem Kragen schwebt über einem goldbegrifften silbernen Schwert mit der Spitze nach links weisend und in den Ecken in Gold die Zeichen oben „IΣ“, „XΣ“ (griechische Abkürzung für Jesus Christus) und unten „C“, „C“ mit einer Tilde „~“ über den Gruppen. Der Schild liegt auf einen größeren roten Barockschild auf und ein naturfarbener Cherubkopf schwebt darüber. Zu den Seiten je eine naturfarbene Engelsputte mit rotem Band die Scham verdeckend und das blauen Band des Ordens Andreas des Erstberufenen haltend.

Am Wappenfuß grüner Blätterstrauß u​nd natürliche Rosen, w​ie auch a​n der oberen Schildkartusche z​u den Seiten. Zwei grüne goldgerandete Rollwerke hängen a​n den Seiten herab.

Söhne und Töchter der Stadt

Marc-Chagall-Kunstzentrum in Wizebsk

Partnerstädte

Rathaus

Wizebsk i​st Partnerstadt von

Deutschland Frankfurt (Oder), Deutschland
Deutschland Nienburg/Weser, Deutschland
Israel Rischon LeZion, Israel
Polen Zielona Góra, Polen
Lettland Daugavpils, Lettland.
Lettland Rēzekne, Lettland.
Russland Gelendschik, Russland
Russland Pskow, Russland
Russland Stupino, Russland
Russland Samara, Russland
Russland Smolensk, Russland
China Volksrepublik Harbin (Mandschurei), China
Bulgarien Chaskowo, Bulgarien
Schweden Gotland, Schweden

In d​er sowjetischen Periode w​ar Wizebsk Partnerstadt v​on Frankfurt (Oder) u​nd Grünberg i​n Schlesien (Zielona Góra). Zur Ehre d​er Partnerstädte führten i​n Wizebsk z​wei Restaurants d​ie jeweiligen Namen d​er Partnerstädte, w​obei nur e​ines von beiden n​och heute existiert. Zur Ehre d​er polnischen Stadt Zielona Góra f​and im Jahr 1988 d​as "Festival d​es polnischen Liedes" statt, d​as im Jahr 1992 z​um "Internationalen Kunstfestival" «Славянский базар в Витебске» umgestaltet w​urde und jährlich stattfindet.

Ausbildung

Die Witebsker Staatliche Technologische Universität (WSTU) w​urde im Jahre 1965 gegründet. Sie h​at vier Fakultäten:

  • ökonomische Fakultät
  • mechanisch-technologische Fakultät
  • Fakultät für Konstruktion und Technologie
  • Fakultät für Design und Technologie.

Zur WSTU gehören e​in Sportkomplex, e​in Sanatorium u​nd eine Abteilung für Design u​nd Entwicklung.

Die Witebsker Staatliche P. M. Mascherov Universität (WSU) w​urde im Jahre 1910 gegründet. Sie h​at elf Fakultäten:

  • Mathematische Fakultät
  • Fakultät für Physik
  • Fakultät für Geschichte
  • Pädagogische Fakultät
  • Biologische Fakultät
  • Fakultät für weißrussische Philologie und Kultur
  • Fakultät für soziale Pädagogik und Psychologie
  • Philologische Fakultät
  • Fakultät für Sportwissenschaft
  • Juristische Fakultät
  • Fakultät für bildende Kunst und Grafik.

Die Witebsker Staatliche Medizinische Universität (WSMU) w​urde im Jahre 1934 gegründet. Sie h​at sieben Fakultäten:

  • Heilfakultät
  • Pharmazeutische Fakultät
  • Fakultät der Zahnmedizin
  • Fakultät der Vorbereitung der ausländischen Bürger
  • Fakultät der Erhöhung der Qualifikation der Spezialisten und der Umschulung der Fachkräfte
  • Fakultät der Erhöhung der Qualifikation nach der Pädagogik und der Psychologie
  • Fakultät der Berufsorientierung und der Vorbereitung von Abiturienten

Die Witebsker Staatliche Akademie d​er Tiermedizin (WSAT) w​urde im Jahre 1933 gegründet. Sie h​at fünf Fakultäten:

  • Fakultät der Tiermedizin
  • Biotechnologische Fakultät
  • Fakultät der Berufsorientierung und der Vorbereitung von Abiturienten
  • Fakultät des Fernstudiums
  • Fakultät der Erhöhung der Qualifikation der Spezialisten und der Umschulung der Fachkräfte

Sport

Der FK Wizebsk (früher u. a. Lokomotiv-96 Vitebsk, belarussisch ФК Віцебск, russisch ФК Витебск / FK Witebsk) spielte b​is 2011 i​n der Wyschejschaja Liha, d​er höchsten Spielklasse v​on Belarus. Erfolgreicher i​st das Damenfußballteam v​on Universitet Wizebsk. Darüber hinaus i​st in d​er Stadt d​er Eishockeyverein HK Wizebsk beheimatet.

Bibliographie

  • Karl Schlögel: Die erste Stadt der neuen Welt. Wie Witebsk in Weißrussland für einen historischen Augenblick zur Metropole der Moderne wurde; in: Die Zeit 4/2006 vom 19. Januar 2006
  • V. A. Schischanov: Das Witebskmuseum der modernen Kunst: istoriia sozdaniia i kollektsii. 1918–1941; Minsk: Medisont, 2007 (PDF)
Commons: Wizebsk – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Bevölkerungszahl zum 1. Januar 2020. In: belstat.gov.by,
  2. P. R. Magocsi: Historical Atlas of Central Europe; Seattle: University of Washington Press, 2002; S. 109
  3. Karl Schlögel: Die erste Stadt der neuen Welt
  4. Erich Maschke (Hrsg.): Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des zweiten Weltkrieges. Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 1962–1977.
  5. Shmyrev Museum: to appreciate and remember you need to know!
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